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Der Angeklagte wird wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird angeordnet.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Angewendete Vorschriften:
§§ 223 Abs. 1, 229, 230, 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 23, 52, 64 StGB
Gründe
2I.
3A wuchs als der ältere zweier Söhne seiner ursprünglich miteinander verheirateten Eltern in X auf. Seine heute 58 Jahre alte Mutter ist gelernte Beruf, arbeitet mittlerweile jedoch beim Z. Sein Vater verfügt über eine Ausbildung zum Feinwerkmechaniker und war in der Aufstellung von Spielautomaten tätig. Seit dem Jahr 2017 ist er berentet. Da beide Eltern in der Kindheit des Angeklagten in Vollzeit arbeiteten, betreute nachmittags die Großmutter den Angeklagten und seinen Bruder. Dieser hat heute zwei Kinder, ist verheiratet und im Garten- und Landschaftsbau als Vorarbeiter tätig.
4Das Verhältnis zu seinen Eltern war über die Jahre wechselhaft. Bereits im Kleinkindalter des Angeklagten begann sein Vater übermäßig Alkohol zu konsumieren. In Folge dessen zeigte er sich launisch und cholerisch. Häufig kam es zu Streit. Seinen Kindern gegenüber wurde er körperlich übergriffig durch Ohrfeigen und Schläge mit dem Staubsaugerkabel. Etwa mit Erreichen der Volljährigkeit des Angeklagten trennte sich seine Mutter von seinem Vater aufgrund dessen auch heute noch phasenweise fortwährendem Alkoholkonsums. Heute stellt sich das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und seinen Eltern – nachdem es sich in Zeiten starken Drogenkonsums weiter verschlechtert hatte – als gut dar. Der Angeklagte lebt in einer Einliegerwohnung im selben Haus wie sein Vater, der im Laufe der Zeit vier Schlaganfälle erlitten hat. Der Angeklagte unterstützt seinen Vater bei der Gartenarbeit.
5A besuchte ab einem Alter von drei Jahren einen Kindergarten in X. Mit sechs Jahren wurde er dort in die Grundschule eingeschult, wo er gute Leistungen zeigte. Trotz einer Gymnasialempfehlung folgte er seinem damaligen Freundeskreis auf die Realschule in Q. In der achten Klasse musste er aufgrund unzureichender Teilnahme am Unterricht, seines störenden Verhaltens sowie verbaler und körperlicher Auseinandersetzungen mit Mitschülern auf die Hauptschule in V wechseln. Bereits nach einem Jahr wechselte er für das letzte Schuljahr auf die Schule in W, eine städtischen Schule für Erziehungshilfe. In diesem Schuljahr nahm er lediglich vier Mal am Unterricht teil, sodass er die Schule 16-jährig ohne Abschluss verließ.
6Er nahm sodann an einer einjährigen berufsvorbereitenden Maßnahme im Metallbereich teil und besuchte zeitgleich die Berufsschule in W mit dem Ziel der Vermittlung in eine Ausbildung. In diesem Rahmen absolvierte er ein Langzeitpraktikum bei der Bauschlosserei M in V. Eine dort zunächst begonnene Ausbildung schloss er jedoch angesichts wiederkehrender Erkrankungen des Firmeninhabers nicht ab. Eine neue Ausbildung begann er nicht, denn es kam in der Folgezeit zu strafrechtlichen Vollstreckungsmaßnahmen. Nach seiner Entlassung aus einer Unterbringung gemäß § 64 StGB, in der er sich von 2010 bis 2014 befand, nahm er eine Ausbildung zum Maurer auf, die er abzuschließen vermochte. Fortan arbeitete er in seinem Ausbildungsbetrieb, der Firma B, weiter. An den Wochenenden verdiente er sich außerdem in der Gastronomie etwas hinzu. Da er vorhatte, eine Ausbildung zum Stahlbetonbauer zu absolvieren, wechselte er zur Baugesellschaft D in Y. Dort verdiente er monatlich1.750 Euro netto. Hinzu kamen bis zu 950 Euro, wenn er sich auf Montage befand. Seit dem Sommer 2019 arbeitete der Angeklagte jedoch nur noch sporadisch, denn zumeist war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog regelmäßig lediglich Krankengeld. Im Juni oder Juli 2019 erlitt er bei einem Berufsunfall einen Bänderriss. Kurz nach Rückkehr aus dieser Krankschreibung erkrankte er aufgrund des Drogentodes eines Bekannten und seiner dadurch bedingten psychischen Belastung erneut arbeitsunfähig. Selbiges gilt für den folgenden ersten Schlaganfall seines Vaters. Seit Februar 2020 leidet der Angeklagte nunmehr unter kardiologischen Problemen (hierzu s.u.), weswegen er seitdem durchgängig krankgeschrieben ist.
7Für seine berufliche Zukunft beabsichtigt der Angeklagte, in Teilzeit und daher über die Dauer von vier Jahren an der Abendschule den Techniker im Hoch- und Tiefbau zu erwerben. Sein Ziel ist es, als Bauleiter bei der Stadt zu arbeiten.
8Aktuell wird der Angeklagte mangels eigenen Einkommens durch seinen Bruder finanziert. Er hat jüngst Arbeitslosengeld I beantragt, erhält zurzeit aber noch keine Leistungen.
9A ist Vater eines heute sechsjährigen Mädchens. Die Beziehung mit deren Mutter zerbrach kurz vor der Geburt. Während der Angeklagte in der Vergangenheit etwa wöchentlichen Kontakt zu seiner Tochter, die bei der Mutter aufwächst, pflegen konnte, findet ein persönlicher Kontakt nach einem Umzug von Mutter und Tochter nach Gießen lediglich noch alle vier bis sechs Wochen statt. Bis zu seiner Erkrankung leistete der Angeklagte für seine Tochter Unterhalt in Höhe von 376 Euro, nunmehr in Höhe von 200 Euro monatlich.
10Erstkontakt zu Alkohol hatte der Angeklagte in Form von Bier-Mixgetränken in der achten Klasse. In den Folgejahren und bis heute trinkt er Alkohol unregelmäßig, dann etwa fünf bis sechs Flaschen Bier. Gelegentlich, etwa bei besonderen Anlässen wie Geburtstagen, trinkt er auch mehr.
11Den Konsum von Betäubungsmitteln nahm der Angeklagte – zuvor hatte er lediglich ein paar Mal Marihuana geraucht – im Alter von 16 Jahren auf, als er Kokain zu rauchen begann. Hinzu kamen diverse weitere Substanzen wie Heroin und Ecstasy. Im Rahmen des § 35 BtMG begab er sich ab Herbst 2008 für die Dauer von 26 Wochen in die Fachklinik in C. Von 2010 bis 2014 war er zur Therapie seiner Kokainsucht – wie oben bereits kurz erwähnt – untergebracht in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB. Dennoch kam es in den Folgejahren zu mehreren Rückfällen mit Kokain, wie auch zur Tatzeit. Konsumphasen von zwei bis drei Wochen, während derer er ein bis zwei Gramm Kokain täglich benötigte, wechselten sich mit etwa gleichlangen abstinenten Phasen ab. Während der abstinenten Phasen kreisten seine Gedanken auch nach dem Abklingen der unmittelbar akuten, etwa vier Tage andauernden Entzugssymptomatik fortwährend um den Suchtmittelkonsum. In diesem Kontext kam es auch zu weiteren Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlungen und der Aufnahme einer Substitutionsbehandlung, welche bis heute andauert.
12In gesundheitlicher Hinsicht ist der Angeklagte auch aufgrund seiner Herzerkrankung belastet. Kurz nach der Tat traten bei ihm Kammerflimmern und Herzrhythmusstörungen auf. Als wahrscheinliche Ursache hierfür wurden eine Mischintoxikation aus Kokain, Ecstasy und Alkohol und ein dadurch bedingter Kaliummangel festgestellt. Nachdem er vor seiner Haustür zusammengebrochen war, befand er sich vom 14.02.2020 bis zum 02.03.2020 in stationärer Behandlung. Er erhielt einen Defibrillator implantiert und ist eng an die Kardiologie des Universitätsklinikums in W angebunden.
13Trotz dessen vermochte es der Angeklagte auch in der Folgezeit nicht, abstinent zu leben. Erneut kam es nach einem Rückfall zuletzt zu einer stationären Aufnahme im Hospital in E im Frühjahr 2021 und einer sich daran anschließenden Aufnahme des Angeklagten in die Fachklinik in J im Rahmen einer Bewährungsauflage. Da dort nach eigenen Angaben seine alle zwei Monate anstehende Vorstellung in der Kardiologie des Universitätsklinikums W von seiner ihm gewährten Freizeit von zwölf Stunden pro Wochenende abgezogen werden sollte, beendete der Angeklagte die Abstinenztherapie in J gegen ärztlichen Rat vorzeitig.
14A ist in strafrechtlicher Hinsicht bislang wie folgt auffällig geworden:
15Im Jahr 2004 hat die Staatsanwaltschaft Münster von der Verfolgung einer Beihilfe zum Betrug und eines Wohnungseinbruchsdiebstahls gemäß § 45 Abs. 1 bzw. Abs. 2 JGG abgesehen.
16Einen gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchsdiebstahl und einen Diebstahl mit Waffen ahndete das Amtsgericht Münster am 15.02.2006 mit einer richterlichen Weisung und einer Arbeitsauflage.
17Mit Urteil vom 21.03.2007 belegte ihn das Amtsgericht Münster wegen gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Beleidigung, Sachbeschädigung in zwei Fällen, Hausfriedensbruchs und Beleidigung mit einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
18Einen gemeinschaftlichen Diebstahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung in acht Fällen, wobei es in sechs Fällen beim Versuch blieb, bestrafte das Amtsgericht Münster unter dem 21.11.2007 unter Einbeziehung der vorausgegangenen Jugendstrafe mit einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Auch deren Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.
19Am 01.12.2008 verurteilte ihn das Amtsgericht Münster wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, ferner wegen Bedrohung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren, wobei es die Strafen aus den Entscheidungen vom 21.03.2007 und 21.11.2007 einbezog.
20Unter Einbeziehung der drei zuletzt gegen ihn ergangenen Strafen verhängte das Amtsgericht Münster unter dem 17.05.2010 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung in zwei Fällen eine Einheitsjugenstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Zudem ordnete es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt an, welche er im Jahr 2010 antrat.
21Mit Urteil vom 06.06.2011 verurteilte ihn das Amtsgericht Münster wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der vorausgegangenen Jugendstrafen zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren. Die aufgrund der vorausgegangenen Verurteilung bereits begonnene Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde ebenfalls weiterhin angeordnet. Mit Erledigung der Unterbringung am 10.11.2014 trat Führungsaufsicht ein, deren Ende auf den 26.07.2024 notiert ist. Der Rest der Jugendstrafe wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt und schließlich mit Wirkung vom 04.12.2018 erlassen. Der Verurteilung lagen die folgenden Feststellungen zugrunde:
22„Am 15.08.2010 gegen 03.44 Uhr befuhren die Zeugen G und T den Radweg der Ö-Straße in W. In Höhe des Parkhauses am P in W gingen die Angeklagten auf den Zeugen G zu und schlugen mit den Fäusten auf ihn ein. Dadurch stürzte der Zeuge zu Boden. Sodann forderten die Angeklagten den Zeugen auf, ihnen sein Geld zu übergeben. Als der Zeuge der Aufforderung nicht nachkam, schlug ihm der Angeklagte A erneut mit der Faust ins Gesicht.
23Der Zeuge G erlitt eine Schwellung im Gesicht. Ferner brach er sich ein kleines Stück vom Zahn ab.
24Der Blutalkoholbefund der Uniklinik W vom 16.08.2010 wies beim […] Angeklagten A eine Blutalkoholkonzentration von 2,50 o/oo um 04.30 Uhr am 15.08.2010 auf.“
25Wegen einer am 10.08.2013 begangenen vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit im Verkehr verhängte das Amtsgericht Münster gegen ihn eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 12,00 Euro und erteilte ihm eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bis zum 06.08.2015.
26Eine Beleidigung ahndete das Amtsgericht Münster unter dem 22.03.2016 mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen.
27Am 27.09.2017 verurteilte ihn das gleiche Gericht wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Diese dauert noch bis zum 04.10.2021 an. Der Entscheidung lagen folgende Feststellungen zugrunde:
28„Es steht fest, dass der Angeklagte am 20.08.2016 in W zunächst in der Diskothek den Zeugen F grundlos mit der Faust ins Gesicht schlug. Der Zeuge F erlitt keine äußeren Verletzungen.
29Danach begab sich der Angeklagte in das Lokal „Ü“, wo er wiederum grundlos den Zeugen H mit der Faust ins Gesicht schlug, dieser ging danach zu Boden. Der Zeuge H trug eine blaue Lippe davon, das Frenulum mediale (Lippenbändchen) war gerissen und blutete. Der Angeklagte schlug die Zeugen jeweils, weil er sie an der Gesundheit schädigen wollte.“
30Eine weitere sechsmonatige Bewährungsstrafe verhängte das Amtsgericht Gladbeck am 11.12.2019 gegen ihn wegen Geldwäsche. Hier dauert die Bewährungszeit noch bis zum 26.07.2024 an.
31Schließlich wurde der Angeklagte mit Entscheidung des Amtsgerichts Münster vom 07.02.2020 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstraße von 90 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt. Die Sperre zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis wurde auf den 14.08.2021 festgelegt.
32Seit dem 11.05.2021 befindet sich der Angeklagte in anderer Sache in Untersuchungshaft aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Münster vom selben Tag. Ihm wird dort vorgeworfen, an eben diesem Tag um 03:28 Uhr einen nicht verschlossenen Pkw nach „Stehlenswertem“ durchsucht und versucht zu haben, den Pkw kurzzuschließen. Dabei soll er eine betriebsbereite und geladene Waffe griffbereit auf dem Beifahrersitz abgelegt, ein Tierabwehrspray am Körper getragen und ein weiteres Tierabwehrspray sowie einen Teleskopschlagstock in einem Rucksack mit sich geführt haben.
33II.
34Am Abend des 09.02.2020 befand sich der Angeklagte zu Hause an seiner Wohnanschrift in X. In dieser Zeit hatte er einen erneuten Drogenrückfall erlitten. Ab etwa 18 Uhr hatte er acht oder neun Flaschen Bier sowie bis zu maximal zwei Gramm Kokain konsumiert. Mit dem Ziel der Finanzierung seines Drogenkonsums fasste er den folgenden Tatentschluss:
35Er beabsichtigte, sich zu dem in der näheren Nachbarschaft unter der Anschrift X1 wohnenden, zur Tatzeit 82 Jahre alten Zeugen K zu begeben. Für den Fall, dass dieser zu Hause sein und auf sein Klingeln öffnen würde, wollte er ihn durch Vorhalt eines Küchenmessers mit einer etwa 30 Zentimeter langen Klinge derart einschüchtern, dass er diesem ohne Gegenwehr Geld oder Wertgegenstände abnehmen könnte. Einen weitergehenden über eine bloße Drohung hinausgehenden Einsatz des Messers, etwa zum Zwecke der aktiven Verletzung des Zeugen, sollte sich das Tatopfer durch die bloße Drohung nicht beeindruckt zeigen, schloss der Angeklagte von vorneherein für sich aus. Da ihn der Zeuge seit seiner Kindheit kannte, maskierte sich der Angeklagte, um unerkannt zu bleiben, mit einem schwarzen Schlauchschal sowie einer schwarzen Mütze dergestalt, dass lediglich noch seine Augen sichtbar waren.
36Zusätzlich führte er in einem schwarzen Turnbeutel mit der gelben Aufschrift „Borussia 09 Dortmund“ zwei Stechbeitel und einen Schraubendreher mit sich, wobei sich nicht mehr feststellen ließ zu welchem Zwecke. Den Turnbeutel trug er so herum auf dem Rücken, dass die Aufschrift nicht zu sehen war, sondern in Richtung seines Rückens zeigte. Zudem nahm er ein Küchenmesser mit schwarzem Griff und einer Klingenlänge von etwa 30 Zentimetern mit. So begab er sich gegen 23 Uhr zu dem von dem Geschädigten K bewohnten Haus, etwa 150 Meter von seiner Heimatanschrift entfernt belegen. Dort angekommen stieg er die sich vor der Haustür befindlichen zwei Stufen hinauf. Er reichte mit einem Arm über einen auf der obersten Stufe stehenden Blumenkübel hinweg zur Klingel und schellte an. Sodann verweilte er auf der obersten Stufe unmittelbar vor der Haustür mit dem Messer in der Hand. Als der Zeuge K die Haustür öffnete, sah er sich dem maskierten Angeklagten, den er weder zum jetzigen Zeitpunkt noch im Folgenden als den ihm bekannten Nachbarn A erkannte, gegenüber. Dieser hielt ihm in Brusthöhe das vorbeschriebene Messer in einem Abstand von etwa 20 Zentimetern entgegen. Noch bevor der Angeklagte etwas zu sagen oder zu tun vermochte, ergriff der Zeuge mit seiner rechten Hand das Messer. Mit der anderen Hand griff er nach der Maskierung des Angeklagten und drängte den Angeklagten rückwärts die Stufen herab. Dabei rief er laut „Ich kenne Dich! Hier gibt es nichts zu holen!“, obwohl er den Angeklagten tatsächlich nicht erkannt hatte. Der Angeklagte entzog sich des Griffs nach der Maskierung, die ihm dadurch über die Augen gerutscht war, wobei er Mütze und Schal teils abstreifte und sie ihm teils abgezogen wurde. Das Messer behielt er in der Hand und löste es ebenfalls aus dem Griff des Zeugen, ohne die Klinge weiter durch die Hand des Geschädigten zu ziehen und so die Verletzung zu intensivieren, gegebenenfalls auch, weil der Zeuge das Messer wieder freigegeben hatte.
37Der Angeklagte erkannte spätestens jetzt, dass der Zeuge aufgrund des Griffs in die Messerklinge verletzt war. Dass sich der Zeuge an dem Messer verletzte, hatte er zwar für möglich gehalten, aber nicht gewollt und möglicherweise darauf vertraut, dass dies nicht geschehen würde. Ihm war bewusst, dass er dem wesentlichen älteren, wenn auch rüstigen Geschädigten körperlich überlegen war und ihn, auch unter Zuhilfenahme des Messers, weiterhin körperlich hätte überwältigen können. Ihm war jedoch ebenfalls bewusst, dass er infolge der entschlossenen Gegenwehr des Geschädigten sein Ziel – den Erhalt von Geld oder Wertgegenständen – nicht ohne den Einsatz weiterer, über eine Drohung hinausgehende Nötigungsmittel erreichen konnte. Die spontane und entschlossene Gegenwehr des Geschädigten hatte ihn überrascht und er hatte von vornherein darauf vertraut, dass das deutlich ältere Opfer sich aus Panik und Angst gefügig zeigen würde. Eine Gewaltanwendung zum Nachteil des Zeugen mit der möglichen Folge einer Verletzung war für den Angeklagten jedoch weiterhin ausgeschlossen. Dies hätte er als „definitiv zu krass“ empfunden. Das Messer wollte er nicht aktiv verletzend einsetzen, um die Wegnahme von Geld oder Wertgegenständen zu ermöglichen. Den ihm seit Jahren bekannten Zeugen durch einen gezielten Stich oder Schnitt zu verletzten, kam für ihn nicht in Betracht. Zudem hielt er es in diesem Moment angesichts des entsprechenden Ausrufs des Geschädigten zumindest für möglich, dass dieser ihn aufgrund der erfolgten Enttarnung auch erkannt hatte. Da für ihn aber insbesondere eine weitere Eskalation im Sinne einer Intensivierung der Nötigung über eine bloße Drohung hinaus nicht in Betracht kam, sah er sich gezwungen, sein Vorhaben abzubrechen und mit dem Messer zu flüchten. Zurück blieben Mütze und Schlauchschal.
38In der Folge bat er einen unbekannt gebliebenen Freund, den Turnbeutel mitsamt des Messers, der Stechbeitel und des Schraubenziehers in ein nahegelegenes Regenrückhaltebecken zu werfen, denn er befürchtete, vom Geschädigten erkannt worden und zeitnah einer polizeilichen Durchsuchung ausgesetzt zu sein. Sein Freund legte den Rucksack mit den genannten Werkzeugen jedoch abredewidrig lediglich im Carport der Tante des Angeklagten, welche unter der Anschrift X2 und damit unmittelbar neben dem Angeklagten wohnhaft ist, ab. Dort wurde er zwei Tage nach der Tat aufgefunden und sichergestellt.
39Der Zeuge K trug von dem Griff in die Messerklinge eine blutende, etwa zwei Zentimeter lange Schnittverletzung in der Handinnenfläche zwischen Daumen und Zeigefinger davon, deren Heilung etwa drei Wochen in Anspruch nahm. Von dieser bleib eine entsprechend lange, dezent gerötete, nicht erhabene Narbe zurück, die der Geschädigte bei bestimmten alltäglichen Bewegungen spürt. Obschon er bislang keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat, geht er davon aus, dass er – wie bislang – auch weiterhin von dem Erlebten träumen wird.
40Zum Zeitpunkt der Tatbegehung war der Angeklagte uneingeschränkt dazu in der Lage, das Unrecht seiner Tat einzusehen und entsprechend dieser Erkenntnis zu handeln.
41III.
42Die so getroffenen Feststellungen sind das Ergebnis der Beweisaufnahme.
431.
44Die Feststellungen zur Person beruhen auf den entsprechenden Einlassungen des Angeklagten und den zeugenschaftlichen Ergänzungen das Sachverständigen, an deren Richtigkeit zu zweifeln sich der Kammer kein Anlass bot, sowie ergänzend auf der Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 21.04.2021 und den in Auszügen verlesenen Urteilen des Amtsgerichts Münster vom 06.06.2011, Az., und vom 27.09.2017, Az. sowie dem verlesenen Haftbefehl des Amtsgerichts Münster vom 11.05.2021, Az..
452.
46a)
47Der Angeklagte hat das der Anklageschrift zugrundeliegende äußere Geschehen in weiten Teilen eingeräumt, den Tatvorwurf im Kern jedoch von sich gewiesen. Er hat sich zur Sache im Wesentlichen wie folgt eingelassen, wobei er Nachfragen der Staatsanwaltschaft zu seiner vor der Kammer getätigten Einlassung nicht zuließ:
48Am Tattag habe der Zeuge N, ein Freund und Bekannter, ihn ab etwa 18 Uhr besucht. Gemeinsam habe man Bier gekauft und es sodann bei ihm zu Hause getrunken. Er selbst habe acht oder neun Flaschen Bier zu je 0,5 Liter getrunken. Auch habe er Kokain konsumiert. Die genaue Menge sei ihm nicht mehr erinnerlich, jedoch habe er in Zeiten eines Drogenrückfalls regelmäßig ein, manchmal bis zu zwei Gramm Kokain konsumiert. Den Geschädigten kenne er seit seiner Kindheit. Zwei Tage zuvor habe dieser ihn beim Ausparken mit dem Pkw übersehen, sodass er beinahe mit dem Fahrrad gestürzt sei. Selbst sein aufgeregtes Gestikulieren habe der Geschädigte nicht wahrgenommen. Er habe sich darüber gegenüber dem Zeugen N am Tattag aufgeregt und in Rage geredet. Dabei habe er geäußert, der Geschädigte sei „ein Penner“ und habe „eine Abreibung verdient“. Als Rache und Denkzettel für dessen vermeintlich rücksichtslose Fahrweise habe er sich entschlossen, zwei bis drei Blumen, oder Buchsbäume in dessen vermeintlich pedantisch gepflegten Vorgarten abzuschneiden, und zu diesem Zwecke ein Küchenmesser mit einer etwa 30 Zentimeter langen Klinge an sich genommen. Den Zeugen N habe er von diesem Vorhaben nicht näher in Kenntnis gesetzt. Der Zeuge N und er hätten sich dann gemeinsam in Richtung des Hauses des Zeugen K begeben.
49Während N an der Straße gewartet habe, sei er, der Angeklagte, die etwa 100 Meter lange Stichstraße bis zu dem Reihenendhaus des Geschädigten gelaufen. Hierbei habe N nun auch das von ihm mitgeführte Messer wahrgenommen. Am Haus des K angekommen habe er mit Schlauchschal und Mütze maskiert geklingelt, damit es der Geschädigte sehen könne, wie er die Blumen köpft. Er habe unterhalb der sich vor der Haustür befindlichen Treppenstufen mit etwa zwei Metern Abstand von der Tür und dem Messer in der rechten Hand gewartet. Nachdem Dr. Bonn die Tür geöffnet habe, sei dieser noch bevor er, der Angeklagte, etwas habe sagen oder tun können die Stufen heruntergekommen, habe mit der einen Hand in das Messer gegriffen und ihm mit der anderen Hand die Mütze runtergezogen. Dabei habe er gerufen „Ich kenne Dich!“. Durch den Griff in das Messer habe sich der Geschädigte an der Hand verletzt. Weil er den Zeugen nicht habe verletzen und er ein weiteres Ausufern angesichts der Gegenwehr haben vermeiden wollen, sei er weggelaufen. Das Messer zur Verletzung des Zeugen zu verwenden sei für ihn ausgeschlossen und „definitiv viel zu krass“ gewesen. Dies wäre ihm angesichts seiner körperlichen Überlegenheit trotz der Gegenwehr des Zeugen natürlich möglich, aber nicht von ihm gewollt gewesen. Ein tatsächlicher Einsatz des Messers zur Verletzung des Zeugen sei für ihn unter keinen Umständen in Betracht gekommen. Er sei an seinem Freund N vorbei und nach Hause gerannt. Dieser sei ihm gefolgt. Man habe zwar noch zusammen ein Bier getrunken und geraucht. Über das zuvor Geschehene habe man jedoch nicht gesprochen. Der Zeuge N habe auch nicht nachgefragt. 45 Minuten später, nämlich als die von dem Geschädigten K gerufene Polizei nicht mehr vor Ort gewesen sei, sei N dann gegangen.
50Später sei ein weiterer Bekannter zu Besuch gekommen. Da in der Nachbarschaft vermehrt eingebrochen worden sei und er, der Angeklagte, nun befürchtet habe, die Polizei würde auf ihn aufmerksam werden, bat er diesen Bekannten, seine Stechbeitel, welche er in einem schwarzen Turnbeutel in seinem Carport verwahrt habe, zusammen mit dem an dem Abend verwendeten Messer in ein nahegelegenes Regenrückhaltebecken zu werfen. Der Bekannte habe die Sachen jedoch absprachewidrig lediglich bei der in unmittelbarer Nachbarschaft wohnenden Tante des Angeklagten ins Carport geworfen, wo sie dann später gefunden worden seien.
51b)
52Dieser Einlassung folgt die Kammer nur teilweise.
53aa)
54Soweit sie den getroffenen Feststellungen entspricht, wird sie zunächst hinsichtlich der im wesentlichen eingeräumten Täterschaft des Angeklagten gestützt durch die Schilderungen des Zeugen K, dessen abstrakte Beschreibung des Täters in etwa mit den äußeren Merkmalen des Angeklagten übereinstimmt, die sichergestellten Werkzeuge sowie das Gutachten der O, der Forensischen Molekularbiologie des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums W.
55Nach dem Gutachten steht bereits fest, dass es sich bei dem Täter um den Angeklagten handelte. Denn die Sachverständige hat ausgeführt, dass auf dem am Tatort sichergestellten Schlauchschal ein DNA-Muster einer einzelnen Person festgestellt worden sei. Bei einem Abgleich mit der DNA-Analysedatei habe dieses mit dem dort gespeicherten DNA-Identifizierungsmuster des Angeklagten übereingestimmt. Sie, die Sachverständige, habe die diesem zugrundeliegenden Rohdaten nicht eingesehen. Dies sei angesichts des hohen Maßes an Standardisierung und regelmäßiger Qualitätssicherung aber auch nicht erforderlich. Zweifel an der Richtigkeit der in die DAD eingestellten Befunde hätten sich nicht ergeben. Es seien sodann die 16 üblichen Merkmale der Spur auf dem Schlauchschal untersucht worden. Alle 16 hätten übereingestimmt mit dem in die DAD eingestellten Identifizierungsmuster des Angeklagten. Zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, mit derer der Angeklagte tatsächlich der Spurengeber gewesen sein mag, werde die jeweilige Wahrscheinlichkeit zweier Hypothesen zueinander ins Verhältnis gesetzt (sog. Likelihood-Quotient). Die erste Hypothese laute „Die DNA-Spur stammt vom Angeklagten“, die zweite laute „Die DNA-Spur stammt von einer unbekannten Person, die mit dem Angeklagten nicht verwandt ist und deren DNA-Profil nicht in der DAD gespeichert ist“. Die hiermit durchgeführte Berechnung habe ergeben, dass die genetische Merkmalskonstellation der Spur unter der ersten Hypothese 283 Billiarden Mal wahrscheinlicher zu erwarten ist als unter der zweiten Hypothese.
56Anlass, an der Richtigkeit des Gutachtens der forensisch erfahrenen Sachverständigen zu zweifeln, ergab sich der Kammer nicht, so dass sich die Kammer den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nach eigener Prüfung angeschlossen hat. Sie hat das Gutachten auf Grundlage zutreffender Tatsachen nachvollziehbar und widerspruchsfrei erstattet. Zudem hat sie zutreffend bei der erfolgten Wahrscheinlichkeitsberechnung die mitteleuropäische Merkmalshäufigkeit zugrunde gelegt.
57bb)
58Soweit der Angeklagte angegeben hat, außer dem Messer keinen Rucksack bei sich geführt und unterhalb der Stufen mit einem Abstand von etwa zwei Metern zur Tür gewartet und lediglich vorgehabt zu haben, aus Ärger über den Zeugen dessen Blumen/Buchsbäume im Vorgarten zu köpfen, ist seine Einlassung widerlegt.
59(1)
60Die Kammer folgt zunächst hinsichtlich des äußeren Tatgeschehens den Schilderungen des Zeugen K, der die Situation – ebenso wie die Tatfolgen – wie festgestellt geschildert hat. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung vor der Kammer einen ruhigen und besonnenen Eindruck gemacht und zwischen eigenen Wahrnehmungen und bloßen Schlussfolgerungen differenziert. Ungebührliche Belastungstendenzen waren nicht auszumachen – weder zum Nachteil des Angeklagten persönlich, den der Zeuge tatsächlich nicht erkannt hatte und dessen Täterschaft er auch nicht behauptet hat, noch zum Nachteil des aus seiner Sicht unbekannten Täters. So wäre es ihm ein Leichtes gewesen, weitergehende Nötigungsversuche oder auch nur eine durch den Täter gestellte Forderung zu behaupten. Dem entgegen aber hat er beispielsweise deutlich gemacht, dass er nicht den Eindruck gehabt habe, der Täter hätte ihn mit dem Messer töten oder besonders verletzen wollen. Aus seiner Sicht habe der Täter lediglich damit drohen wollen, um ihn auszurauben. Soweit der Zeuge im Rahmen seiner Vernehmung vor der Kammer eine Stichbewegung mit dem Messer ausgemacht haben will, hat er dies auf den Vorhalt hin, dass hiervon im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung nicht die Rede war, dahingehend relativiert, dass er lediglich das Gefühl gehabt habe, dass der Täter habe zustechen wollen und er deshalb in das Messer gegriffen habe.
61Die Einlassung des Angeklagten, er sei unten am Treppenabsatz auf Entfernung stehen geblieben wird widerlegt durch die Schilderung des Zeugen K. Um das Messer des Angeklagten mit den Händen zu umfassen und die Verletzungen des Geschädigten plausibel zu machen, mussten sich Angeklagter und Geschädigter direkt gegenüber stehen. Es hätte ausgesprochen fern gelegen, dass der zur Tatzeit 82jährige Zeuge beim Erblicken eines maskierten und bewaffneten Mannes zu fortgeschrittener Uhrzeit, der unten am Treppenabsatz und mit einer Entfernung von zwei Metern zu ihm steht – selbst wenn die Situation insgesamt aufgrund des auslösenden Bewegungsmelders beleuchtet gewesen war – wie es der Angeklagte behauptet hat, sein schützendes Haus verlassen hätte und zum (Gegen-)Angriff übergegangen wäre; und dies mit einer Geschwindigkeit, die dem Angeklagten keine Reaktionszeit gelassen hätte. Die Schilderung des Angeklagten unterstellt, hätte es aus Sicht des Zeugen viel näher gelegen, dass er schlichtweg die Haustür wieder schließt. Hierzu wäre er dann auch ohne weiteres zeitlich in der Lage gewesen, denn der Angeklagte will lediglich dort gestanden und sich der Haustür in dem Moment nicht weiter angenähert haben. Daher hält die Kammer die Einlassung des geschädigten Zeugen, der Angeklagte habe nach Öffnen der Haustür unmittelbar vor ihm auf dem oberen Treppenabsatz vor der Haustür gestanden, weshalb er auch nach Messer und Maskierung habe greifen können, für deutlich plausibler und daher glaubhafter. Diese für den Zeugen als bedrängend empfundene Situation hat auch darin Niederschlag gefunden, dass der Zeuge den Angeklagten dann noch von sich wegstößt, wie es der Zeuge geschildert hat.
62(2)
63Bei dessen Flucht hat der Zeuge K – auch insofern glaubhaft – den dunklen Turnbeutelrucksack des Angeklagten gesehen und als solchen detailliert beschreiben können. Dass es sich bei dem aufgefundenen Turnbeutel mit Stechbeitel und Tatmesser um den Rucksack des Angeklagten handelte, hatte dieser eingeräumt. Soweit der Angeklagte sich dahingehend eingelassen hat, er habe den Rucksack nicht mitgeführt, sondern lediglich nachträglich entsorgen wollen, weil in der Nachbarschaft verstärkt eingebrochen worden sei und man ihn verdächtigen könne, hält die Kammer dies für eine Schutzbehauptung. Denn allein aufgrund des Besitzes von Stechbeiteln und eines Turnbeutels wäre ein Rückschluss der Ermittlungsbehörden auf eine Täterschaft nicht möglich gewesen, was dem Angeklagten auch klar gewesen sein muss. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, wieso der Zeuge K, der auch im Übrigen keine Belastungstendenzen erkennen ließ, einen Turnbeutel hinzu erfinden sollte, wenn er einen solchen beim Angeklagten nicht gesehen hat.
64(3)
65Aus den Umständen des äußeren Tatgeschehens sowie der Gesamtsituation des Angeklagten schließlich folgt die Überzeugung der Kammer hinsichtlich der subjektiven Tatseite:
66Zunächst einmal liegt bei lebensnaher Betrachtung der Entschluss zur Begehung eines Raubes schlichtweg nahe, wenn eine Person am späten Abend bzw. nachts maskiert an der Haustür klingelt und dem Öffnenden in einer Entfernung von wenigen Zentimetern ein größeres Küchenmesser vorhält. Dabei hat die Kammer auch mögliche Alternativen berücksichtig: Eine möglicherweise beabsichtigte Verletzung oder Tötung des Zeugen K kam indes nicht in Betracht. Für eine derartige Motivlage ergaben sich keine Anhaltspunkte, auch wenn der Angeklagte behauptete, er habe dem Zeugen K einen Denkzettel verpassen wollen. Dass er aber vorgehabt hätte, den Zeugen im Hinblick auf das behauptete Vorgeschehen (die rücksichtslose Fahrweise) zu bestrafen, indem er ihm eine Verletzung zufügt, hat er zur Überzeugung der Kammer glaubhaft von sich gewiesen. Soweit die Kammer aufgrund des mitgeführten Werkzeugs im Rucksack die Möglichkeit gesehen hat, dass der Angeklagte vorhatte, bei dem Zeugen einzubrechen, lag es fern, dort zunächst unter Vorhalt eines Messers und unter Verbleib auf dem obersten Treppenabsatz zu klingeln, abgesehen davon, dass es möglicherweise einfachere und sicherere Varianten gegeben hätte, die Anwesenheit eines Hausbewohners zu kontrollieren. Es hätte näher gelegen, dass sich der Angeklagte – der im Übrigen selbst keinen solchen Absichten geschildert hat – nach dem Schellen zunächst versteckt, um zu beobachten, ob sich jemand in dem Haus befindet, oder das Haus zunächst beobachtet. Im Übrigen hätte es auch nicht des Vorhaltes eines Messers bedurft.
67Die vom Angeklagten in seiner Einlassung aufgezeigte Möglichkeit, er habe dem Geschädigten aufgrund dessen vermeintlich rücksichtsloser Fahrweise lediglich einen Denkzettel verpassen wollen, indem er ihm die Blumen/Büsche im Vorgarten abschneidet, hält die Kammer ebenfalls für nicht plausibel. Den eigenen Ausführungen des Angeklagten nach hatte der Geschädigte überhaupt nicht bemerkt, dass er den Angeklagten vermeintlich fast überfahren hätte. Eine Verknüpfung mit dieser Situation im Straßenverkehr wäre für den Geschädigten aus Sicht des Angeklagten somit nur möglich gewesen, wenn er ihn in dem Moment zumindest über den Unfall aufgeklärt hätte. Das hätte dann aber auch eine Maskierung hinfällig gemacht, hätte dies doch unmittelbar Rückschlüsse auf die Identität des Maskierten zugelassen – abgesehen davon, dass im Falle einer dann möglicherweise lediglich verwirklichten Sachbeschädigung, soweit der Pflanzenrückschnitt eine solche darstellen konnte, eine Maskierung übertrieben erscheint und ein Küchenmesser nicht gut geeignet erscheint zum Schnitt von Pflanzen. Dass der Denkzettel – wenn überhaupt – im Sinne einer erzieherischen Maßnahme wirken sollte, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Angeklagte es offensichtlich für nötig erachtete, dass der Geschädigte beim Zurückschneiden der Blumen/Pflanzen zuschauen sollte. Ansonsten hätte der Angeklagte den Rückschnitt auch in Abwesenheit des Zeugen und ohne Klingeln an der Haustür durchführen können. Es lag vor diesem Hintergrund auch nicht nahe, das Küchenmesser zu verstecken und einen Dritten aufzufordern, den Rucksack mit dem Werkzeug in einem Regenrückhaltebecken mitsamt dem Küchenmesser zu entsorgen.
68Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt möglicherweise nach eigenen Angaben unter dem Einfluss von Alkohol und Kokain stand, und dies unvernünftiges und undurchdachtes Verhalten begünstigen kann. Aber insbesondere vermochte der erstmalig kurz vor der Hauptverhandlung vom Angeklagten benannte Zeuge N die Einlassung des Angeklagten nicht zu stützen. Seine Aussage war unergiebig. Er gab an, zuletzt etwa drei bis vier Monate vor seiner Inhaftierung am 09.03.2020, also zu einem ganz anderen Zeitpunkt, bei dem Angeklagten zu Hause gewesen zu sein. Bei der Gelegenheit sei man nicht weggegangen, man habe das Haus nicht verlassen. Auch habe sich der Angeklagte nicht über einen Nachbarn aufgeregt, der Name des Zeugen K sage ihm gar nichts. Man habe damals bei der ihm erinnerlichen Zusammenkunft mit dem Angeklagten Bier und Wodka-Mischgetränke getrunken sowie Heroin geraucht – was der Angeklagte für den Tattag jedoch ausschloss.
69Die für ein beabsichtigtes Raubdelikt sprechende Wahrscheinlichkeit wird untermauert durch den Umstand, dass der Angeklagte im Zeitraum der Tat einen Drogenrückfall erlitt (im Hinblick auf den Hang vgl. unter VI.). Entsprechend seiner Angaben, er habe zwei bis drei Wochen lang täglich ein bis zwei, durchschnittlich also eineinhalb Gramm Kokain konsumiert, welches er für 50 Euro pro Gramm gekauft habe, hatte er einen erheblichen Finanzierungsbedarf. Diesen aus seinem – zuweilen auf das Krankengeld reduzierten – regulären Einkommen zu decken war ihm jedoch unmöglich.
70c)
71Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhen auf dem Gutachten des Sachverständigen R, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
72Dieser hat zusammengefasst ausgeführt:
73Bei dem Angeklagten liege eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 60.2) vor. Von einer Persönlichkeitsstörung ließe sich sprechen bei bereits früh in der Kindheit und Jugend erlernten Verhaltensmustern, die sich im Jugend- und Erwachsenenalter fortsetzten und von einer Missachtung sozialer Verpflichtungen und herzlosem Unbeteiligtsein an Gefühlen anderer gekennzeichnet seien. Für die Stellung einer derartigen Diagnose müssten mindestens drei der in der „International Classification of Diseases“ genannten Merkmale erfüllt sein. Hierzu gehörten mangelnde Empathie und Gefühlskälte anderen gegenüber (1), Missachtung sozialer Normen (2), Beziehungsschwäche und Bindungsstörung (3), geringe Frustrationstoleranz und impulsiv-aggressives Verhalten (4), mangelndes Schulderleben und Unfähigkeit zu sozialem Lernen (5), vordergründige Erklärung für das eigene Verhalten und unberechtigte Beschuldigung anderer (6) und anhaltende Reizbarkeit (7). Angesichts der im Hinblick auf den Angeklagten erfüllten Kriterien 2 bis 6 liege angesichts dessen bisherigen Lebensweges eine gesicherte Diagnose vor.
74Die beim Angeklagten auszumachende dissoziale Persönlichkeitsstörung unterfalle dabei nicht dem Eingangskriterium der „schweren anderen seelischen Störung“. Hierfür bedürfe es eines Störungsbildes, welches einen derart hohen Grad erreicht haben müsse, der einer Psychose gleichkäme. Anhaltspunkte hierfür seien jedoch nicht ersichtlich angesichts des guten Funktionsniveaus des Angeklagten.
75Über die Jahre habe sich eine klinisch manifeste Abhängigkeit von Alkohol, Kokain und Heroin entwickelt, sodass ebenfalls die Diagnose einer Polytoxikomanie (ICD 10: F 19.2) zu stellen sei. Im Hinblick auf eine Intoxikation zur Tatzeit könne angesichts der vom Angeklagten angegebenen Konsummengen jedoch nicht von einer „tiefgreifenden affektiven Störung“ gesprochen werden. Weder die Schilderungen des Zeugen noch die Einlassung des Angeklagten selbst lassen Hinweise auf intoxikationsbedingte Einschränkungen erkennen. Insbesondere ließen sich keine substanzbedingten kognitiven Störungen wie z.B. Erinnerungslücken ausmachen.
76Für die Eingangskriterien der „krankhaften seelischen Störung“ und der „Intelligenzminderung“ bestünden keinerlei Anhaltspunkte.
77Insgesamt sei mangels Vorliegens eines Eingangskriteriums im Sinne der §§ 20, 21 StGB von einer zur Tatzeit voll erhaltenen Schuldfähigkeit auszugehen.
78Die Kammer folgt nach eigener Prüfung dem Ergebnis des Sachverständigen. Dieser hat seinem verständlichen und widerspruchsfreien Gutachten umfassend ermittelte Tatsachen zugrunde gelegt. Diese basieren auf den Angaben des Angeklagten im Rahmen der Untersuchung selbst sowie auf der Einsichtnahme in eine in ihrer Gesamtschau stimmige medizinische Dokumentation der Suchtgeschichte des Angeklagten. Diese steht in Übereinstimmung mit seinen Diagnosen, welche im Hinblick auf die Persönlichkeitsstörung bereits im Jahr 2008 als Verdachtsdiagnose und im Hinblick auf Substanzabhängigkeiten schon im Jahr 2010 und vermehrt in den Jahren seit 2018 gestellt worden waren. Der Sachverständige vermochte sein Gutachten daher auf eine breite Datenlage zu stützen.
79IV.
801.
81Der Angeklagte hat sich nach den so getroffenen Feststellungen wegen eines versuchten besonders schweren Raubes schuldig gemacht, indem er mit dem Messer drohte und es so – allerdings erfolglos – als Nötigungsmittel verwendete, §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.
82Er ist von diesem Versuch nicht strafbefreiend zurückgetreten, weil der Versuch fehlgeschlagen war.
83Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, dem je nach Fallgestaltung allenfalls Indizwirkung für den Erkenntnishorizont des Täters zukommen kann, sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont). Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Gelangt der Täter nach anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufes also unmittelbar zu der Annahme, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden, ist ein Fehlschlag zu verneinen und der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt zu bewerten (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2015, 4 StR 92/15 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 23.07.2013, 3 StR 205/13). Zur Beantwortung der Frage, ob ein Fehlschlag vorliegt, kommt es somit lediglich auf die weiteren Vorstellungen des Angeklagten nach dem Misslingen des zunächst ins Auge gefassten Tatablaufs an (BGH, Beschluss vom 06.10.2015, Az. 4 StR 352/15; BGH, Beschluss vom 22.03.2012, Az. 4 StR 541/11). Erscheint dem Täter infolge einer Veränderung der Handlungssituation oder aufkommender innerer Hemmungen das Erreichen seines Zieles nicht mehr möglich und ist der Täter daher nicht weiter "Herr seiner Entschlüsse", ist der Versuch fehlgeschlagen. Der Tatplan kann hier nur insoweit eine Rolle spielen, als eine vom Täter nach dem Scheitern seiner bisherigen Bemühungen erkannte Notwendigkeit, Tathandlung und -ablauf grundlegend zu ändern oder ein ganz anderes als das bisher verwendete Tatmittel einzusetzen, die Annahme eines Fehlschlags nahelegt (BGH, Beschluss vom 23.07.2013, 3 StR 205/13).
84So ist es hier.
85Von Beginn an hatte der Angeklagte das Messer in der Vorstellung, den Geschädigten könne er sich schon allein durch die Drohung damit gefügig machen, lediglich zur Drohung verwenden wollen. Dieses Nötigungsmittel zeigte jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Angesichts seiner körperlichen Überlegenheit und des Umstandes, dass ihm, nachdem er das Messer aus dem Griff des Geschädigten lösen konnte, auch dieses weiterhin zur Verfügung stand, war ein Erreichen seines Ziels objektiv jedoch weiterhin möglich. Hierzu hätte es gegebenenfalls lediglich – mangels der Möglichkeit der weiteren Intensivierung der Drohung – des Übergangs zum Nötigungsmittel der Gewaltanwendung, etwa durch Schläge oder den aktiv-verletzenden Einsatz des Messers, bedurft. Ein solcher Tatverlauf kam für ihn nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung jedoch nicht in Betracht. Die Anwendung von Gewalt gegen den Geschädigten schied für den Angeklagten kategorisch aus. Insofern war auch der Tatplan von indizieller Bedeutung, denn der Angeklagte wollte von Vornherein den Zeugen nicht verletzen, worauf er auch vertraute. Dass sich der 82jährige Nachbar von seinen Drohungen völlig unbeeindruckt zeigte und heftige Gegenwehr leistete, war nicht geplant und führte daher zu einer Zäsurwirkung. Ihm verblieb lediglich noch die Möglichkeit, zur Gewaltanwendung überzugehen, wenn er nicht sowieso schon überzeugt war, dass es nichts zu holen gab. Dies war ihm jedoch „definitiv zu krass“ und daher keine gleichwertige Handlungsalternative. Dies stellte für ihn eine so hohe innere Hürde dar, die zu nehmen er weder willens noch in der Lage war, womöglich zusätzlich auch, da er davon ausgehen musste, erkannt worden zu sein und der Geschädigte ihm gegenüber geäußert hatte, dass es nichts zu holen gäbe. Insofern kann dahinstehen, ob der Angeklagte freiwillig im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB gehandelt hat, indem er die Flucht ergriff ohne zuvor von weiteren Nötigungsmitteln Gebrauch gemacht zu haben.
862.
87Darüber hinaus hat sich der Angeklagte wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 229, 230 StGB strafbar gemacht, indem er dem Geschädigten mit dem Messer drohte und dieser sich bei seiner Abwehrhandlung eine Schnittverletzung an der Hand zuzog. Zwar hat der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, den Zeugen mit dem Messer selbst aktiv zu verletzen – hiermit dem Zeugen aktiv einen Stich oder einen Schnitt zuzufügen schied für den Angeklagten vielmehr sogar aus. Er hätte jedoch erkennen können und müssen, dass es nicht fernliegend ist, dass das Opfer eines Überfalls sich wehrt, und dass es sodann im Rahmen einer Gegenwehr zu einer Verletzung kommen kann. Einen Körperverletzungsvorsatz vermochte die Kammer hingegen nicht festzustellen, denn der Angeklagte hatte mit einer derartigen Gegenwehr des 82-jährigen Geschädigten nicht gerechnet und entsprechend darauf vertraut, dass es zu dessen tatsächlicher Verletzung nicht kommen, da er sich der Drohung beugen würde.
883.
89Beide Delikte stehen im Konkurrenzverhältnis der Tateinheit, § 52 StGB.
90V.
91Im Rahmen der Strafzumessung ist die Kammer zunächst vom Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB ausgegangen, der für einen besonders schweren Raub unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges Freiheitsstrafe von fünf bis 15 Jahren vorsieht. Die ebenfalls verwirklichte fahrlässige Körperverletzung nach den §§ 223 Abs. 1, 229, 230 StGB sieht demgegenüber keine schärfe Strafe vor.
92Sie hat sodann das Vorliegen eines minder schweren Falles gemäß § 250 Abs. 3 StGB, welcher das Strafmaß auf ein bis zehn Jahre reduziert, geprüft und verneint. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn sich auf Grund einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die für die Wertung von Tat und Täter von Bedeutung sein können, ein so beträchtliches Überwiegen der strafmildernden Gesichtspunkte ergibt, dass die Tat nicht mehr den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fällen gleicht und die Anwendung des Regelstrafrahmens deshalb als unangemessen hart erscheint. Das Zugrundelegen des Normalstrafrahmens ist im vorliegenden Fall aber nicht unangemessen. Die Abwägung aller Strafzumessungsgesichtspunkte ergibt kein beträchtliches Überwiegen der mildernden Umstände.
93Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hat sich die Kammer im Wesentlichen von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:
94Zu Lasten des Angeklagten musste sich auswirken, dass dieser bereits zahlreich, auch einschlägig, vorbestraft ist und unter zweifacher Bewährung sowie unter Führungsaufsicht steht. Die Verurteilung zu der zweiten seiner laufenden Bewährungsstrafen erfolgte lediglich etwa zwei Monate vor der hier verfahrensgegenständlichen Tat; darüber hinaus ist er bloß zwei Tage vor der hiesigen Tat zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ein Überfall am späten Abend bzw. in der Nacht und in der Sphäre des Wohnhauses des zur Tatzeit 82-jährigen Geschädigten, in dem er sich sicher fühlte, zeichnet sich zudem durch eine besondere Abgebrühtheit aus. Die psychischen Tatfolgen für den Geschädigten dauern auch noch über ein Jahr nach der Tat an. Schließlich hat der Angeklagte tateinheitlich mehrere Tatbestände verwirklicht.
95Zu Gunsten des Angeklagten war andererseits dessen Teilgeständnis und Reue zu berücksichtigen. Auch dürfte der vorausgegangene Konsum von Alkohol und Kokain – ohne die Schuldfähigkeit zu beeinträchtigen – enthemmend gewirkt und so die Tatbegehung begünstigt haben. Auch beabsichtigte der Angeklagte nicht, das Messer über eine Drohung hiermit hinausgehend einzusetzen; den Geschädigten hiermit aktiv zu verletzen, hatte er in seiner Vorstellung von der Tat ausgeschlossen. Dementsprechend lässt auch die Möglichkeit des Opfers, durch seine gezeigte Reaktion den Angriff zu stoppen, nicht auf eine besondere Brutalität des Angeklagten schließen. Die Verletzung war verhältnismäßig gering und ist mit Ausnahme von zuweilen auftretenden Schmerzen mit nur einer dezenten Narbe gut verheilt. Schließlich ist der Angeklagte suchteinsichtig.
96Nach Abwägung dieser und der übrigen für und gegen den Angeklagten sprechenden Kriterien überwiegen die strafschärfenden Gesichtspunkte – und zwar auch unter zusätzlicher Berücksichtigung des Umstandes, dass es beim Versuch geblieben ist.
97Die Kammer hat den Strafrahmen jedoch gemäß der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 StGB gemildert. Der nach Durchführung dieser Milderung gefundene Rahmen beschränkt sich auf Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu elf Jahren drei Monaten.
98Nach Abwägung sämtlicher in § 46 Abs. 2 StGB aufgeführter Gesichtspunkte und unter besonderer Berücksichtigung der vorstehend ausdrücklich genannten Umstände hat die Kammer eine
99Freiheitsstrafe von drei Jahren
100als tat- und schuldangemessen erachtet.
101VI.
102Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt beruht auf § 64 StGB. Auch bei den diesbezüglich gemachten Erwägungen hat sich die Kammer von den Ausführungen des Sachverständigen R nach eigener Prüfung leiten lassen.
103Bei dem Angeklagten besteht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und fortbestehend ein Hang, Kokain sowie Alkohol im Übermaß zu konsumieren. Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Der Angeklagte konsumiert Kokain – mit Unterbrechungen – bereits seit seinem 16. Lebensjahr. Auch nach mehrjähriger Behandlung im Maßregelvollzug mit zunächst beruflicher Rehabilitation kam es erneut zu suchtbedingten stationären Krankenhausaufenthalten. Deren Wirkung war angesichts der Einlassung, es sei nach etwa zwei- bis dreiwöchiger Abstinenz zu ihrerseits zwei- bis dreiwöchigen Phasen des Konsums gekommen, nur von kurzer Dauer. Erst kurz vor der hier verfahrensgegenständlichen Tat brach er einen stationären Aufenthalt trotz bereits bestehender Planung einer nachgeschalteten Entwöhnungsbehandlung gegen ärztlichen Rat am 18.11.2019 ab. Nachfolgend fand eine ambulante Substitutionsbehandlung statt, unter der es jedoch zum Beikonsum von Alkohol kam. Spätestens im Zeitraum der Tat konsumierte der Angeklagte entsprechend seiner eigenen Einlassung auch wieder regelmäßig Kokain.
104Die Tat stehe nach den Ausführungen des Sachverständigen auch in symptomatischem Zusammenhang mit dem Hang des Angeklagten. Er beabsichtigte, durch den Überfall an Barmittel oder veräußerungsfähige Wertgegenstände zu gelangen, die ihm den Kauf weiterer Drogen ermöglichen sollten.
105Von ihm gehe – so der Sachverständige – ferner die Gefahr aus, dass er infolge seines Hanges in Freiheit weitere erhebliche rechtswidrige Straftaten, ähnlich des hier gegebenen Delikts, aber aufgrund seiner Impulsivität auch Körperverletzungsdelikte, begehen wird, wenn seine Erkrankung unbehandelt bleibe. Denn der Angeklagte kann nach wiederholten Rückfällen seit dem Jahr 2018 nicht weiterhin als im Rahmen des letztmaligen Maßregelvollzugs in der Zeit von 2010 bis 2014 erfolgreich therapiert gelten. Vielmehr steht aufgrund seines langjährigen Drogenmissbrauchs zu besorgen, dass er nach seiner Haftentlassung wieder den Drang verspüren wird, unerlaubte Rauschmittel zu konsumieren. Nach Einschätzung der Kammer handelt es sich bei den danach unbehandelt von dem Angeklagten zu befürchtenden weiteren Straftaten gemäß §§ 249, 250 Abs. 2 StGB um erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne von § 64 S. 1 StGB, zumal mit solchen Taten erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit verbunden sind.
106Es besteht nach den Ausführungen des Sachverständigen R auch die konkrete Aussicht, den Angeklagten zu heilen bzw. zumindest über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den Alkohol- und Kokainkonsum und der Begehung weiterer hangbedingter Straftaten zu bewahren. Die für eine erfolgversprechende Therapie notwendige Krankheitseinsicht des Angeklagten ist vorhanden. Eine Therapieresistenz ist nicht erkennbar; die letzte Therapie liegt mittlerweile sieben Jahre zurück. Ihr nachfolgend vermochte es der Angeklagte, etwa vier Jahre abstinent zu leben. Dem stünden auch die missglückten Therapieversuche und die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung nicht entgegen. Letztere sei Ausdruck einer Reifeverzögerung, wobei eine Nachreife denkbar und möglich ist, soweit der Angeklagte dies zulasse. Der Sachverständige kommt ferner zu dem Ergebnis, dass eine Behandlungsdauer von etwa 2 Jahren ausreichend und erforderlich sein dürfte
107Die Kammer hat sich den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nach eigener Prüfung angeschlossen und unter Berücksichtigung der angeordneten Haftstrafe von 3 Jahren eine Vorwegvollstreckung gemäß § 67 Abs. 2 StGB nicht angeordnet, denn angesichts der prognostizierten Behandlungsdauer in der Unterbringung von zwei Jahren ist ein Halbstrafengesuch gemäß § 67 Abs. 5 StGB sodann nach Beendigung der Maßregel bereits ohne einen vorausgegangenen Vorwegvollzug möglich.
108VII.
109Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.