Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.446,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.02.2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs VW Touran 2.0 TDI mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer WVGZZZ1TZKW###### nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
Die Beklagte befindet sich mit der Annahme des oben genannten Fahrzeugs im Annahmeverzug.
Der oben genannte Anspruch ergibt sich aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung der Beklagten.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 125 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
2Der Kläger macht Ansprüche aufgrund eines Kaufvertrages über einen Pkw geltend. Die Beklagte hat das im Tenor genannte Fahrzeug hergestellt und mit einem Motor vom Typ EA 288 ausgestattet. Der Kläger kaufte den Wagen am 23.01.2020 mit einer Laufleistung von 9.632 km für 30.990 EUR.
3Der Wagen hat einen SCR-Katalysator, der AdBlue verwendet. Dabei handelt es sich um eine Harnstofflösung, welche den Abgasen beigemischt wird, um die Emissionen zu reduzieren. Die Dosierung des AdBlue wird über eine Software geregelt. Diese Software sorgt dafür, dass der Stickoxid-Sparmodus nur zu etwa 2-3 % der Fahrzeit in Aktion tritt. In der übrigen Zeit wird weniger oder gar kein AdBlue zugeführt. Dementsprechend wird mehr Stickoxid ausgestoßen. Die reduzierte Dosierung von AdBlue findet regelmäßig statt, es sei denn, dass bestimmte Kriterien auf einen möglicherweise laufenden Abgastest hinweisen. Die Software führt dazu, dass nur auf dem Prüfstand und nicht im Realbetrieb ausreichend Harnstoff genutzt wird, um die Emissionen entsprechend den vorgegebenen Grenzwerten zu reduzieren.
4Der Wagen hat jetzt eine Laufleistung von 33.462 km.
5Der Kläger meint, dass er nach §§ 826, 249, 31 BGB Schadensersatz verlangen könne. Dazu behauptet er:
6Abgesehen von der oben genannten Dosierung des AdBlue durch die Software enthalte der Wagen weitere Abschalteinrichtungen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift und den Schriftsatz vom 22.03.2021 verwiesen.
7Die Mitglieder des Vorstandes der Beklagten hätten gewusst und gewollt, dass die Manipulationssoftware eingesetzt wird. Er hätte den Wagen nicht gekauft, wenn er von dieser Software gewusst hätte. Bei einem derartigen Fahrzeug könne von einer Laufleistung von 300.000 km ausgegangen werden.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte zu verurteilen, an ihn 29.563,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.10.2020 zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs VW Touran 2.0 TDI mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer WVGZZZ1TZKW###### nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft,
10hilfsweise dazu: Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das oben genannte Fahrzeug resultieren,
11festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der oben genannten Zug um Zug Leistung im Annahmeverzug befindet,
12festzustellen, dass der im ersten Antrag bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt,
13die Beklagte zu verurteilen, ihn von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.256,24 EUR freizustellen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass der Wagen keine unzulässige Abschalteinrichtung habe. Sie weist darauf hin, dass das Kraftfahrt-Bundesamt unstreitig die hier betroffene Software nicht beanstandet hat. Außerdem bestreitet sie einen Vorsatz von Vorstandsmitgliedern sowie verschiedene Angaben des Klägers zu Abschalteinrichtungen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung vom 15.03.2021 verwiesen sowie auf den Schriftsatz vom 19.03.2021.
17Die Klage ist der Beklagten am 03.02.2021 zugestellt worden.
18Entscheidungsgründe
19Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
20I.
21Die Beklagte schuldet dem Kläger Schadensersatz nach §§ 826, 249 BGB wegen der Softwaremanipulation.
221.
23Die Beklagte hat der Klägerin einen Schaden zugefügt.
24a.
25Schaden bedeutet jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses oder Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (BGH, NJW 2004, 2664, 2666).
26aa.
27Der Kläger hat in Unkenntnis der Manipulation ein mangelhaftes Fahrzeug erworben. Ein Fahrzeug entspricht nicht schon dann der üblichen und berechtigterweise zu erwartenden Beschaffenheit, wenn es technisch sicher und fahrbereit ist und über alle Genehmigungen verfügt (OLG Hamm, Beschluss vom 21.06.2016, 28 W 14/16, juris). Ein versteckter Sachmangel liegt auch dann vor, wenn ein Fahrzeug mit einer Software ausgestattet ist, die dafür sorgt, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris).
28Die Beklagte hat bei dem Fahrzeug des Klägers eine derartige Software installiert. Diese Software erkennt eine Prüfstandssituation und steuert die Dosierung des AdBlue so, dass die gesetzlichen Vorgaben zu den Abgaswerten nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, aber nicht im Straßenverkehr.
29Diese Feststellung ergibt sich aus den unstreitigen Angaben der Parteien im hier vorliegenden Rechtsstreit. Der Kläger hat durch seine Rechtsanwälte wortreich verschiedene Abschalteinrichtungen behauptet. Insbesondere hat er in der Klageschrift nicht nur eine Manipulation des SCR-Katalysators dargelegt, sondern auch eine Manipulation des NOx-Speicherkatalysators behauptet. Das ist für das Gericht nicht in jeder Hinsicht verständlich. Dem Gericht ist aus anderen Verfahren bekannt, dass die Beklagte in ihre Fahrzeuge nicht gleichzeitig einen SCR-Katalysator und zusätzlich einen NOx-Speicherkatalysator einbaut. Die Beklagte hat allerdings anhand der Angaben in der Klageschrift anscheinend ohne weiteres erkannt, dass insoweit nur die Ausführungen zum SCR-Katalysator den Wagen des Klägers betreffen. Für sie ist es, anders als für das Gericht, anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummer erkennbar, dass der Wagen des Klägers keinen NOx-Speicherkatalysator hat, was der Kläger auch später klargestellt hat. Dementsprechend hat sich die Beklagte in der Klageerwiderung und im Schriftsatz vom 19.03.2021 umfangreich zu dem Vorwurf von unzulässigen Abschalteinrichtungen eingelassen, ohne geltend zu machen, dass die Angaben des Klägers für sie unverständlich seien. Dabei hat sie die oben genannten Angaben des Klägers zu der Dosierung des AdBlue nicht bestritten. Das Gericht hat diese Frage auch in der mündlichen Verhandlung erörtert. Der Beklagtenvertreter hat auch bei dieser Gelegenheit die pauschale Angabe wiederholt, dass es keine unzulässige Abschalteinrichtung gegeben habe. Außerdem hat er in der mündlichen Verhandlung im Zusammenhang mit der AdBlue-Dosierung erstmals bestritten, „dass es eine derartige Manipulation gab“. Dieses Bestreiten ist aber nach § 138 Abs. 3 ZPO unbeachtlich. Wenn eine darlegungsbelastete Partei bestimmte Tatsachen substantiiert behauptet, wie hier der Kläger, muss die dann erklärungsbelastete Gegenpartei die Behauptung grundsätzlich ebenfalls substantiiert bestreiten. Dazu muss sie nähere positive Angaben zum Sachverhalt machen und insbesondere erläutern, von welchen tatsächlichen Umständen sie ausgeht. Mit einem bloß schlichten Bestreiten darf sie sich regelmäßig nicht begnügen. Anderenfalls ist ihr Bestreiten unsubstantiiert und damit als gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unbeachtlich anzusehen (vgl. zum Beispiel BGH, Urteil vom 15. August 2019 – III ZR 205/17 –, Rn. 23, juris). Der Beklagten war es auch möglich und zumutbar, nähere Tatsachen dazu vorzutragen. Sie kannte den zugrunde liegenden Sachverhalt schon deswegen, weil sie die Software für die Motorsteuerung entwickelt hat oder jedenfalls entwickeln ließ und im Wagen des Klägers installiert hat. Außerdem sind ihr Vorwürfe im Zusammenhang mit der Software des Motors EA 288 aus zahlreichen Verfahren bekannt. Wie bereits ausgeführt, konnte sie anhand der Klageschrift auch ohne weiteres erkennen, auf welche Tatsachen der Kläger seine Vorwürfe stützte. Nach § 138 Abs. 4 ZPO konnte die Beklagte die Angaben des Klägers auch nicht mit Nichtwissen bestreiten. Soweit es um die Installation und Funktion der Software geht, handelt es sich um Gegenstände der eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen der Beklagten.
30Das Gericht hatte auch keinen Anlass, der Beklagten Gelegenheit zu geben, nach der mündlichen Verhandlung noch dazu Stellung zu nehmen. Die Beklagte hätte sich dazu in der Klageerwiderung äußern können und müssen. Außerdem hat das Gericht zur Aufklärung des Sachverhaltes das persönliche Erscheinen beider Parteien angeordnet. Von einem sachkundigen Mitarbeiter der Beklagten konnten nähere Ausführungen zu dem oben genannten Vorwurf erwartet werden. Die Beklagte hat die gerichtliche Anordnung aber ohne Entschuldigung missachtet.
31Aufgrund der oben genannten Software weicht das Fahrzeug von der Beschaffenheit ab, die bei vergleichbaren Fahrzeugen üblich ist (vgl. dazu auch OLG Hamm, a.a.O.). Ein durchschnittlicher Käufer kann erwarten, dass die Abgaswerte im Prüfstand im Wesentlichen den Abgaswerten entsprechen, die bei dem üblichen Betrieb im Straßenverkehr entstehen. Er erwartet keinesfalls, dass die im Prüfstand gemessenen Werte nur deshalb den gesetzlichen Vorschriften entsprechen, weil eine Software den Prüfstand erkennt und den Stickstoffausstoß nur im Prüfstand an die gesetzlichen Vorschriften anpasst, aber nicht im Straßenverkehr. Außerdem hat die Beklagte die Typengenehmigungen für die betroffenen Fahrzeuge erwirkt, ohne die zuständigen Behörden über die Funktion dieser Software zu informieren. Das führt zu einer Rechtsunsicherheit für die Typengenehmigung und die Betriebszulassung der betroffenen Fahrzeuge. Auch diese Unsicherheit ist als gravierender Mangel anzusehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03. Januar 2019 – 18 U 70/18 –, juris).
32bb.
33Der Schaden ist dadurch eingetreten, dass der Kaufvertrag über das hier betroffene Fahrzeug geschlossen wurde, das einen erheblichen Mangel hat. Bereits in dem Abschluss eines derartigen Kaufvertrages liegt eine nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage (LG Paderborn, Urteil vom 07.04.2017, 2 O 118/16). Für den Schaden kommt es nicht darauf an, ob später ein Software-Update aufgespielt wurde. Das Vermögen des Klägers wurde schon vorher dadurch negativ belastet, dass er eine ungewollte Verbindlichkeit auf sich genommen hat. Eine derartige Belastung ist ein Schaden im Sinne von § 826 BGB (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris; BGH, Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14 –, juris; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18 –, juris).
34Für das Gericht steht es auch fest, dass der Kläger den Wagen nicht gekauft hätte, wenn er die Funktion der Software gekannt hätte. Dies folgt hier bereits daraus, dass kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Verbraucher ein Fahrzeug erwerben würde, das den oben genannten Mangel mit den daraus resultierenden Unsicherheiten hat. Es gibt auch im hier vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kaufvertrag zustande gekommen wäre, wenn die Beklagte dem Kläger die Einzelheiten zu der Software mitgeteilt hätte. Ebenso gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger bei Abschluss des Kaufvertrages die Funktion der Software kannte.
35b.
36Dieser Schaden wurde dem Kläger durch die Beklagte zugefügt. Sie ließ die Software entwickeln und in das hier verkaufte Fahrzeug einbauen, ohne den Kläger darauf hinzuweisen.
372.
38Die Beklagte hat dabei sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB gehandelt (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris).
39a.
40Sittenwidrig im Sinne dieser Vorschrift ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15 –, Rn. 16, juris). Das Verhalten der Beklagten war in diesem Sinne besonders verwerflich. Sie hat in großem Umfang Fahrzeuge in den Verkehr gebracht, deren mangelhafte Software sie kannte. Dabei handelte sie in der Vorstellung, dass diese Fahrzeuge von den Erwerbern, nämlich in erster Linie von niedergelassenen Händlern, in unverändert mangelhaftem Zustand an ahnungslose Dritte veräußert würden und dass die Käufer in Kenntnis der Umstände von dem Geschäft Abstand nehmen würden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18 –, juris; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18 –, juris). Damit wollte die Beklagte einen möglichst hohen Gewinn erzielen. Es liegt auf der Hand, dass der Gewinn mit den hier betroffenen Fahrzeugen deutlich geringer ausgefallen wäre, wenn sie die Kunden über die Funktion der Software informiert hätte. Es gibt jedenfalls keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Kunden dann ohne Weiteres die oben genannten Unsicherheiten in Kauf genommen hätten, die sich aus dem Einsatz der Software ergeben. Der heimliche Einbau der Software lässt sich im Übrigen nur mit einem erheblichen Gewinnstreben der Beklagten erklären.
41b.
42Die Angaben der Beklagten rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die Beklagte hat trotz ansonsten umfangreicher Angaben nicht einmal ansatzweise erklärt, warum sie den Wagen des Klägers und, wovon auszugehen ist, eine erhebliche Anzahl von weiteren Kraftfahrzeugen heimlich mit einer Software ausgestattet hat, die auf dem Prüfstand einen geringeren Ausstoß von Stickstoffmonoxid verursacht als im Straßenverkehr.
433.
44Die Beklagte handelte dabei vorsätzlich.
45Für das Gericht steht es fest, dass die beteiligten Mitarbeiter der Beklagten in der Vorstellung handelten, dass der Einsatz der Software zu Problemen bei der Typengenehmigung und der Betriebszulassung führen könnte, dass Kunden derartig ausgestatte Fahrzeuge in Kenntnis der damit verbundenen Unsicherheiten nicht ohne Weiteres kaufen würden und dass der Gewinn der Beklagten dadurch erhöht werden sollte. Eine andere Erklärung für das Verhalten dieser Mitarbeiter wäre nicht plausibel. Außerdem hat sie die Software heimlich eingesetzt. Das lässt den Rückschluss auf den oben genannten Vorsatz der Mitarbeiter zu (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18 –, juris).
46Im Übrigen können die Mitarbeiter der Beklagten nicht ernsthaft davon ausgegangen sein, dass es nur auf die im Prüfstand gemessenen Werte ankomme und nicht auf die im Straßenverkehr tatsächlich erreichten Werte. Im Prüfstand soll soweit wie möglich der Ausstoß von Abgasen simuliert werden, der auch im Straßenverkehr erzielt wird. Das ist nicht möglich, wenn im Prüfstand eine Software aktiv ist, die dort zu einem ganz anderen Ausstoß von Abgasen führt als im Straßenverkehr. Schon für einen technischen und juristischen Laien ist das ohne Weiteres erkennbar. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mitarbeiter eines der größten Fahrzeughersteller der Welt das anders beurteilt haben.
47Die Kenntnisse und Vorstellungen dieser Mitarbeiter sind der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen. Die Beklagte hat die entsprechenden Behauptungen des Klägers nicht ausreichend bestritten. Grundsätzlich muss zwar der Kläger alle Tatsachen behaupten und beweisen, die seinen Anspruch begründen. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Eine solche sekundäre Darlegungslast setzt voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – VI ZR 343/13 –, Rn. 11, juris; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18 –, juris). Das ist hier der Fall. Die Klägerin kann zu den internen Vorgängen bei der Beklagten allenfalls Vermutungen äußern. Der Beklagten ist es ohne Weiteres zumutbar, die Abläufe aufzuklären, die dazu führten, dass in größerem Umfang Fahrzeuge mit der hier betroffenen Software in den Verkehr gebracht wurden. Dafür muss sie keine negativen Tatsachen vortragen. Sie muss vielmehr mitteilen, wie es zu der Entwicklung der Software gekommen ist, wer an der Entwicklung sowie den zugrunde liegenden Entscheidungen beteiligt war und wer darüber informiert worden ist. Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass ihr das nicht möglich ist.
484.
49Als Rechtsfolge kann der Kläger Schadensersatz verlangen. Die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung führte dazu, dass er einen Kaufvertrag über das hier betroffene Kraftfahrzeug schloss. Dadurch wurde der Kläger mit einer ungewollten Verbindlichkeit belastet. Nach § 249 BGB kann er als Schadensersatz verlangen, dass die Folgen des Vertragsschlusses beseitigt werden. Dazu gehört es auch, dass die Beklagte den Kaufvertrag rückabwickeln muss, obwohl sie nicht Vertragspartnerin ist (vgl. zum Beispiel BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris; LG Paderborn, Urteil vom 07.04.2017 – 2 O 118/16 –, Rn. 56, juris, und OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18 –, juris). Der Schadensersatzanspruch ist entsprechend den oben genannten Gründen auch dann nicht erfüllt worden, wenn ein Software-Update aufgespielt worden ist. Das beseitigt nicht die ungewollte Verbindlichkeit, die mit dem Vertragsschluss begründet wurde (vgl. dazu ebenfalls LG Paderborn und OLG Köln a.a.O.).
50Die Kunden, welche von der Beklagten durch die Manipulations-Software geschädigt wurden, müssen sich allerdings die gezogenen Vorteile anrechnen lassen (so zum Beispiel auch BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris, OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18 –, juris, und Urteil vom 14.01.2020 – 34 U 37/19 –, juris). Das ist im hier vorliegenden Fall die Nutzung des Fahrzeugs. Treu und Glauben verlangen kein anderes Ergebnis. Auch nach den Angaben des Klägers gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Nutzung durch die Manipulations-Software beeinträchtigt war. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass er den Wagen genauso nutzen konnte wie jeder andere Fahrzeughalter ein Fahrzeug nutzen kann, welches nicht mit einer derartigen Software ausgestattet ist. Das Gebot effektiver Durchsetzung europäischen Rechtes verlangt ebenfalls keine andere Beurteilung. Die gegenteilige Auffassung (Harke, VuR 2017, 83, 90) übersieht, dass es nicht zu einer unbilligen Belastung der geschädigten Kunden kommt, wenn sie sich nur den Wert der tatsächlich gezogenen Nutzungen anrechnen lassen müssen, aber beispielsweise nicht zusätzlich den Wertverlust der Sache alleine infolge der Alterung. Außerdem ergeben sich Sanktionen bei Verstößen gegen europäisches Recht aus dem in Deutschland geltenden Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (so zum Beispiel OLG München, Urteil vom 15. November 2019 – 13 U 4071/18 –, Rn. 89 - 91, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, 13 U 142/18, juris). Die deutsche Zivilrechtsordnung kennt als Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung nur den Schadensausgleich nach §§ 249 ff. BGB, nicht aber eine Bereicherung des Geschädigten. Die Bestrafung und Abschreckung sind mögliche Ziele des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, wobei die Geldstrafe oder Geldbuße allerdings an den Staat fließt, aber nicht dem Gläubiger zusteht (vgl. KG Berlin, Urteil vom 26. September 2019 – 4 U 77/18 –, Rn. 128, juris).
51Der Nutzungsvorteil wird wie folgt berechnet:
5230.990,00 EUR Bruttokaufpreis *23.830 gefahrene Kilometer |
290.368 km voraussichtliche Restlaufleistung bei Vertragsschluss. |
Das Gericht hat dabei nach § 287 ZPO zugrunde gelegt, dass der verkaufte Wagen eine Gesamtlaufleistung von bis zu 300.000 km erreicht. Eine derartige Schätzung ist bei einem Fahrzeug dieser Qualität realistisch und entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung zu vergleichbaren Fahrzeugen (vgl. zum Beispiel OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, juris , VW Sharan, und OLG Stuttgart, Urteil vom 24. September 2019 – 10 U 11/19 –, juris, VW Tiguan: jeweils 300.000 km; ferner OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019, – 12 U 61/19 –, VW Golf GTD 2.0 TDI: 250.000 km; vgl. außerdem Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Auflage 2020 Rn. 3574 mit einer umfangreichen Übersicht zur Rechtsprechung, welche überwiegend Leistungen zwischen 200.000 und 300.000 km zugrunde legt). Eine darüber hinausgehende Leistung wäre ungewöhnlich. Mit dem Fahrzeug sind zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages und der mündlichen Verhandlung 23.830 km zurückgelegt worden. Daraus ergibt sich ein Nutzungsersatz von 2.543,30 EUR und die folgende Berechnung:
5430.990,00 EUR Kaufpreis
55- 2.543,30 EUR Nutzungsersatz
56= 28.446,70 EUR.
57II.
58Nach §§ 291, 288 BGB kann der Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Eintritt der Rechtshängigkeit verlangen. Er hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass ihm Zinsen für die Zeit ab dem 15.10.2020 zustehen. Den Zinsanspruch hat er lediglich auf der letzten Seite der insgesamt 130 Seiten langen Klageschrift mit Hinweis auf §§ 291, 288 BGB (= Zinsbeginn ab Rechtshängigkeit) ansatzweise begründet. Es ist auch nicht die Aufgabe des Gerichtes, anstelle des Klägers und seiner Rechtsanwälte aus den umfangreichen Anlagen herauszusuchen, welche Tatsachen möglicherweise einen früheren Zinsbeginn begründen sollen.
59III.
60Die Beklagte befindet sich im Annahmeverzug. Die Beklagte hat mit der Klageerwiderung eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie nicht bereit ist, Ansprüche des Klägers auf Schadensersatz zu erfüllen. Für einen Annahmeverzug infolge dieses Schriftsatzes kommt es nicht darauf an, ob der Kläger die Beklagte ausreichend und inhaltlich zutreffend aufgefordert hat, den Wagen zurückzunehmen. Ein wörtliches Angebot im Sinne von § 295 BGB ist dann nicht erforderlich, wenn - wie hier - offenkundig ist, dass der Gläubiger auf seiner Weigerung beharrt (vergleiche Grüneberg in: Palandt, 80. Aufl. 2021, § 295 BGB Rn. 4).
61IV.
62Der Antrag auf Feststellung, dass sich der zugesprochene Hauptanspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ergibt, ist schon aufgrund von § 393 BGB zulässig. Er ist begründet, weil der Kläger nach § 826 BGB Schadensersatz verlangen kann.
63V.
64Nach den oben genannten Vorschriften kann der Kläger dagegen nicht die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen. Seine Rechtsanwälte können von ihm keine Vergütung für eine vorgerichtliche Tätigkeit verlangen. Es ist schon nicht erkennbar, ob der Kläger ihnen dafür überhaupt einen Auftrag erteilt hat. Der Terminsvertreter konnte auf Nachfrage keine Einzelheiten dazu mitteilen. Abgesehen davon war eine etwaige vorgerichtliche Tätigkeit auch sinnlos. Den Klägervertretern muss aus zahlreichen Verfahren bekannt sein, dass die Beklagte auf keinen Fall bereit ist, Ansprüche wegen der Software des EA 288 vorgerichtlich zu regulieren oder nach einer Klageerhebung sofort anzuerkennen. Im Übrigen ist die geltend gemachte 2,0-fache Gebühr deutlich überhöht. Für die Klägervertreter handelt es sich hier erkennbar um ein standardisiertes Massengeschäft.
65V.
66Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
67VI.
68Der Streitwert wird auf bis zu 30.000,00 EUR festgesetzt. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzuges hat keinen eigenen Wert (vgl. BGH, Beschluss vom 25.10.2016 – XI ZR 33/15 –, juris). Entsprechendes gilt für den Feststellungsantrag wegen der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.