Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt.
Er hat die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen.
Angewandte Vorschriften: §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB
G r ü n d e :
2I.
3Der Angeklagte steht zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung kurz vor der Vollendung des 22. Lebensjahres, ist verlobt mit der Zeugin Z und hat keinen Beruf erlernt.
4Er ist das älteste von 4 Kindern seiner Mutter, die ihn im Alter von 16 Jahren bekam. Bis zum Alter von 3 Jahren wohnte der Angeklagte mit seiner Mutter bei ihren Eltern, der Vater lebte bei seinen. Dann trennten sich seine Eltern und der Angeklagte lebte fortan mit seiner Mutter und ihrem neuen Lebensgefährten, den sie später auch heiratete und mit dem sie einen weiteren Sohn bekam, in O in einer eigenen Wohnung.
5Er wurde mit sechs Jahren in eine reguläre Grundschule eingeschult und wechselte zur vierten Klasse mit der Diagnose ADHS auf eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, weil er den Unterricht ständig störte und unter Konzentrationsschwäche litt. In der sechsten Klasse, also mit elf Jahren, wurde er nach einer zweieinhalbmonatigen stationären Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie X in dem Kinderheim W untergebracht, weil seine Mutter und deren neuer Lebensgefährte nach Einschätzung des Jugendamtes mit ihm überfordert waren, was vor allem darauf beruhte, dass er seit seinem zehnten Lebensjahr Cannabis konsumierte und wiederholt mit seinen Freunden bei rechtswidrigen Taten wie Ladendiebstählen, kleineren Brandstiftungen und Körperverletzungen aufgefallen war. Er besuchte die Heimschule und setzte die bis dahin verabreichten Medikamente gegen ADHS nach Beratung durch den dortigen Jugendpsychologen ab. Die achte Klasse wiederholte er, bevor er im Alter von 16 oder 17 Jahren den Hauptschulabschluss mit Förderschulabschluss erreicht hatte und die Schule beendete.
6Bis er ins Heim kam, konsumierte der Angeklagte etwa zwei- bis dreimal wöchentlich Cannabis, welches er teilweise auch selbst gekauft hatte. In den ersten drei bis vier Heimjahren hatte er wegen fehlender Ausgangsmöglichkeiten, die er sich erst erarbeiten musste, kaum Gelegenheiten zum Betäubungsmittelkonsum oder -erwerb. Ab dem 16. oder 17. Lebensjahr jedoch nutzte der Angeklagte seine ihm sukzessive gewährten Ausgangsmöglichkeiten und das Heimtaschengeld, um Betäubungsmittel zu konsumieren. Der Konsum steigerte sich schnell zu einem täglichen und bezog sich anfangs ausschließlich auf Cannabis. Noch im 16. oder 17. Lebensjahr begann der Angeklagte auch Ecstasy, Amphetamine und „Pillen“ zu nehmen, was er und seine Freunde regelmäßig auch zusammen mit Alkohol konsumierten. Im Fokus stand jedoch stets der Konsum von Cannabis, andere Betäubungsmittel konsumierte der Angeklagte sporadisch, immer nur zusätzlich zu Cannabis und im Verhältnis dazu an zweiter Stelle.
7Nach der Beendigung der Schule wurde der Angeklagte in eine offene Verselbstständigungsgruppe des W verlegt und begann anschließend eine heiminterne Ausbildung zum Schlosser oder Metallbauer, die er nach etwa einem Lehrjahr abbrach, weil er – mittlerweile 18 Jahre alt – kein Interesse daran hatte und in der Schule sowie dem Ausbildungsbetrieb durch hohe Fehlzeiten auffiel. Mit Vollendung des 18. Lebensjahres wurde ebenfalls die Unterbringung des Angeklagten im W seitens des Jugendamtes für beendet erklärt. Der Angeklagte zog für kurze Zeit wieder zu seiner Mutter nach O, wo er den Kontakt zu seinen Freunden von früher suchte und mit ihnen Drogen konsumierte. Weil es im Haushalt der Mutter schnell zu Streit kam, lebte der Angeklagte zeitweise auch auf der Straße, schlief bei Kumpels auf dem Sofa oder übernachtete in Obdachlosenunterkünften. Insgesamt lebte er seit dieser Zeit in den Tag hinein und bezog Hartz IV, bis er wegen der Vorwürfe dieses Verfahrens am ##.##.2020 in Untersuchungshaft genommen wurde, die seitdem ohne Unterbrechung vollstreckt wird.
8Ende 2018 lernte er seine spätere Verlobte, die Zeugin Z kennen, welche zu dieser Zeit von einem anderen Mann schwanger war. Mit ihr zog er nur kurze Zeit nach dem Kennenlernen – Dezember 2018 – bei dem Zeugen A ein. Letzterer bewohnte zunächst mit einer anderen Lebensgefährtin, mittlerweile mit der Zeugin D, eine vom Jobcenter bezahlte Wohnung am M-Weg ## in C, in der Nähe des späteren Tatorts. Bei der Wohnung, in der der Angeklagte nie gemeldet war, handelte es sich nach seiner Einschätzung um eine „Konsumentenwohnung“, in der das verbindende Element zwischen den Bewohnern der gemeinsame Betäubungsmittelkonsum war. Im ##.2019 brachte die Zeugin Z einen Jungen zur Welt, der aber kurz darauf vom Jugendamt in Obhut genommen wurde. Noch in 2019 wurde sie erneut schwanger, dieses Mal vom Angeklagten, verlor das Kind jedoch. Anfang 2020 wurde sie erneut von ihm schwanger, was die beiden seit März 2020 auch wussten und sich in der Folge dafür entschieden, dass die Zeugin das Kind auch austrägt.
9Den Kontakt zu seiner Mutter brach der Angeklagte nach dem Auszug bei ihr nahezu vollständig ab. Eine Weiterführen der Schlosserlehre oder eine Arbeit in diesem Bereich strebte er nie an, da – wie er sich ausdrückte – „der Job nicht sein Ding“ sei und er stattdessen gerne als IT-Techniker arbeiten würde. Er entwickelte aber auch in diesem Bereich keinerlei Weiterbildungs- oder Jobaktivitäten. Tatsächlich war die einzige Tätigkeit, die er seit Abbruch der Ausbildung ausübte, eine ehrenamtliche bei der Tafel in C, die er an eine gerichtlich verordnete Ableistung von Sozialstunden ab Anfang 2020 anschloss.
10Der Angeklagte gab den Konsum von Betäubungsmitteln nie auf und gebrauchte insbesondere Cannabis missbräuchlich. Darüber hinausgehende, konkretisierende Feststellungen zum Konsumverhalten des Angeklagten vermochte die Kammer nicht zu treffen. Zu seinem Betäubungsmittelkonsum im ersten Viertel des Jahres 2020 hat der Angeklagte selbst angegeben, täglich bis zu 5 g Marihuana und dazu auch Amphetamin konsumiert zu haben. Er habe einen guten Preis bei seinem Dealer bekommen, unter anderem auch, weil er für die anderen Bewohner in der Wohnung A – neben diesem noch die Zeuginnen D und Z – Betäubungsmittel mitgekauft und deswegen „Mengenrabatt“ erhalten habe. In welchen Mengen und in welcher Regelmäßigkeit der Angeklagte Alkohol trank, war nicht feststellbar. Jedenfalls aber spielte der Alkoholkonsum auch in dieser Zeit keine bestimmende Rolle in seinem Konsumverhalten, sondern fand weiter nur sporadisch, vor allem aus Anlass besonderer Ereignisse wie Geburtstagen o. ä., und dann auch meist zusätzlich zum Cannabiskonsum statt.
11Der Angeklagte ist Vater einer vierjährigen Tochter, zu der er keinen Kontakt hat, weil die Mutter dies – seinen Angaben zufolge – wegen seines Betäubungsmittelkonsums nicht erlauben würde, und eines wenige Wochen alten Säuglings, den die Zeugin Z am ##.##.2020 geboren hat. Mittlerweile ist auch dieser Junge vom Jugendamt in Obhut genommen, die Zeugin Z lebt nunmehr in der Wohnung eines Freundes des Angeklagten. Die Beziehung der beiden bestand zum Ende der Hauptverhandlung fort.
12Der Angeklagte ist strafrechtlich wie folgt vorbelastet:
13Am ##.##.2019 ist er vom Amtsgericht O wegen „gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen“ für ein Jahr der Betreuung unterstellt worden.
14Am ##.##.2020, rechtskräftig seit demselben Tag, ist er vom Amtsgericht ‚C unter Einbeziehung des vorgenannten Urteils und unter Aufrechterhaltung der Betreuungszuweisung wegen vorsätzlicher und wegen gefährlicher Körperverletzung zusätzlich zur Ableistung von 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. In diesem Urteil hat das Amtsgericht folgende Feststellungen, die von dem Angeklagten als zutreffend bezeichnet worden sind, getroffen:
15„Über die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten hat die Jugendgerichtshilfe folgenden Bericht erstattet, den der Angeklagte als richtig anerkannt hat:
16Der Heranwachsende wurde in F geboren und wuchs im elterlichen Haushalt auf. Seine Eltern trennten sich, als er drei Jahre alt war. E hat einen älteren Bruder und drei jüngere Geschwister, die alle aus unterschiedlichen Beziehungen seiner Mutter stammen.
17Nach dem Besuch des Kindergartens und einer Grundschule in C habe er eine Förderschule besucht. Im Alter von 11 Jahren sei E in eine stationäre Einrichtung der Jugendhilfe gekommen, dem W. Hier habe er sich grundsätzlich sehr wohl gefühlt. E sei dann von der Förderschule auf die Gesamtschule gewechselt und habe dort seinen Realschulabschluss gemacht. Im Anschluss habe er an der Werkstattschule des W eine Berufsausbildung zum Schlosser erfolgreich abgeschlossen.
18Nachdem er dort zuletzt in einer Verselbstständigungsgruppe gewohnt habe, sei mit Vollendung des 18. Lebensjahres die Hilfe ausgelaufen. Nach einer kurzzeitigen Rückkehr in den Haushalt der Mutter sei er in eine eigene Wohnung in G gezogen und habe Leistungen über das Jobcenter erhalten.
19Mit dieser Situation schien er rückblickend jedoch überfordert gewesen zu sein, da ihm die festen Strukturen und die Unterstützung der Wohngruppe fehlten, die er offensichtlich auch heute noch immer benötigt.
20E gibt an, Vater einer vierjährigen Tochter zu sein, zu der er jedoch keinen Kontakt habe.
21Im Internet habe er 2016 seine jetzige Freundin, die Zeugin Z, kennengelernt. Um diese in einer ähnlich schwierigen Lebenslage zu unterstützen, sei er im letzten Jahr nach C gezogen, jedoch ohne hier einen festen Wohnsitz zu haben.
22Zu seiner Mutter habe er seit 2016 nur sporadisch, zu seinem Vater gar keinen Kontakt mehr.
23E erklärt, seit seinem 9. Lebensjahr Cannabis, später auch andere Drogen konsumiert zu haben. Er habe daraus eine Abhängigkeit entwickelt, gibt an, drogenfrei leben zu wollen, jedoch regelmäßig rückfällig zu werden. Der Heranwachsende scheint insgesamt motiviert zu sein, einen eigenen Hausstand zu begründen und in seinem Beruf zu arbeiten. Allerdings fehlen ihm dazu die nötigen Ressourcen, eine Tagesstruktur und die notwendige Unterstützung. Für die Beantragung von Leistungen kann er z. B. nicht einmal einen Personalausweis bzw. eine Geburtsurkunde beantragen, auch deswegen nicht, da er mittellos ist. Er habe seit Kurzem eine gesetzliche Betreuung (s.o.), benötigt aber aus Jugendhilfesicht dringend noch weitere Unterstützung im Alltag.
24Im persönlichen Gespräch wirkt der Heranwachsende höflich, kooperativ und zunächst einmal veränderungsmotiviert.
25Auf die Anklage angesprochen teilt E mit, dass diese so stimme. Er habe im Vorhinein exzessiv Alkohol getrunken, was sein aggressives Verhalten potenziert habe. Gleichwohl erklärt er, seine Aggressionen grundsätzlich nur schwer kontrollieren zu können. Seine Freundin habe ihm in der Zwischenzeit verziehen.
26[…]
27Trotz der abgeschlossenen Ausbildung geht der Angeklagte keinerlei Beschäftigung nach. Die Gründe hierfür sind nur vorgeschoben – fehlender Personalausweis etc. – und machen nur deutlich, dass der Angeklagte durch den langjährigen Drogenkonsum, den er zumindest bis Mitte Dezember 2019 fortgesetzt hat, aus der Spur geraten ist.
28***
29Im vorliegenden Fall hat sich der Angeklagte wegen folgender Taten zu verantworten, die das Gericht aufgrund und im Umfang seiner nach bereits durchgeführter Beweisaufnahme geständigen und glaubhaften Einlassung festgestellt hat:
30Am ##.##.2019 gegen ##:20 Uhr befand sich der Angeklagte gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin der Zeugin Z und deren Freundin B in der Wohnung der Zeugin B, M-Weg ## in C. Der Angeklagte echauffierte sich darüber, dass die Zeuginnen längere Zeit ohne ihn unterwegs waren. Im Schlafzimmer der Wohnung würgte der Angeklagte die Zeugin Z so lange, bis sie kaum noch Luft bekam. Als die Zeugin B dies bemerkte, zog sie die Zeugin Z von dem Angeklagten weg in das Wohnzimmer. Der Angeklagte folgte ihnen, betitelte die Zeugin Z als Fotze und Schlampe, zog sie an den Haaren und schlug sie schließlich mit der Faust und der flachen Hand ins Gesicht und auf den ganzen Körper.
31Als die Zeugin B erneut dazwischen ging, schlug der Angeklagte auch sie mit der flachen Hand ins Gesicht und verdrehte ihr das rechte Handgelenk, so dass die Zeugin Schmerzen erlitt.
32Anschließend schubste der Angeklagte die Zeugin Z so heftig, dass sie über die Couch fiel und für einige Zeit bewusstlos auf dem Boden liegen blieb. Auch dort schlug der Angeklagte weiter auf sie ein [und ließ] erst dann von ihr ab, als die Zeugin B die Polizei verständigte.
33Die Zeugin Z erlitt rote Würgemale und Kratzer am Hals. Sie erlitt zudem Schmerzen im Gesicht und insbesondere im Unterkiefer.
34Eigenen Angaben zufolge hatte der Angeklagte Betäubungsmittel und Alkohol konsumiert, wodurch seine ohnehin leichte Reizbarkeit massiv gesteigert worden sei.“
35Soweit in dem dortigen Urteil ein älterer Bruder sowie der Realschul- und Abschluss der Ausbildung zum Schlosser Erwähnung finden, sind diese Umstände durch die hiesige Beweisaufnahme widerlegt.
36II.
37In der Sache hat die Kammer die folgenden Feststellungen getroffen:
381. Vorgeschichte
39Zwischen der Gruppe um den Angeklagten, für diese insbesondere die Zeugin D, und dem Nebenkläger T sowie wechselnden Begleitern kam es seit Anfang 2020 wiederholt zu Auseinandersetzungen, deren Ursache die Kammer ebenso wie die jeweiligen Beiträge der Beteiligten nicht genauer festzustellen vermochte. Jedenfalls trat die Zeugin D – und mit ihr der Zeuge R, der ebenfalls zeitweise in der Wohnung A untergekommen war – auch offen fremdenfeindlich auf, was sich in Beleidigungen wie z. B. „Kanacken“ zeigte. Es ist möglich, dass sich die Gruppe um den Nebenkläger bestehend vornehmlich aus Jugendlichen und Heranwachsenden türkischer Herkunft durch dieses Verhalten provoziert gefühlt haben könnte. Es ist aber auch möglich, dass sich die Mitglieder der letztgenannten Gruppe die ihnen bekannten Bewohner der Wohnung A im M-Weg ## aus eigenem Antrieb und schon vor den ersten fremdenfeindlichen Anfeindungen als Opfer ausgesucht hatten und ihnen bewusst nachstellten, sie beleidigten, bedrohten und körperlich angingen. Jedenfalls zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger war es aber bislang noch nie zu einer Auseinandersetzung gekommen, ersterer wusste aber von den Feindseligkeiten, weil die Zeugen D und A ihm stets nach Vorfällen davon berichteten. Nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte sich als Beschützer seiner „Mitbewohner“ begriff, dies umso mehr, als die Zeuginnen D und Z seit März 2020 von ihren Schwangerschaften wussten.
40Im Zuge der Auseinandersetzung kam es am ##.##.2020 möglicherweise dazu, dass der Nebenkläger und womöglich auch die Zeugen V oder H die Zeugin D unter anderem damit bedrohten, ihr „das ungeborene Kind aus dem Bauch zu schneiden“ und PVC-Rohre eines Wäscheständers in ihre Richtung warfen. Am ##.##.2020 bedrohte der Nebenkläger die Zeugin D und den Zeugen A möglicherweise mit einem Messer, als er sie zufällig auf der Straße antraf. Schließlich erklomm der Nebenkläger womöglich am ##.##.2020 gegen ##:30 den Balkon zur Wohnung des Zeugen A und wiederholte durch die verschlossene Balkontür aus Glas seine Androhung, er werde der Zeugin D ihr „Kind aus dem Bauch“ und ihr selbst die Kehle durchschneiden. Die Zeugen D und A berichteten dem Angeklagten von den Vorfällen und brachten sie zur Anzeige. Sie sind Gegenstand einer Anklage zum Amtsgericht – Jugendrichter – C (staatsanwaltschaftliches Aktenzeichen 83 Js ####/20). Der Angeklagte war möglicherweise bei dem Vorfall am ##.##.2020 auch in der Wohnung, zu einem Aufeinandertreffen mit dem Nebenkläger kam es jedoch auch bei dieser Gelegenheit nicht.
412. Geschehen am Tatvortag
42Am ##.##.2020 – dem Vortag der Tat – konsumierte der Angeklagte im Laufe des Mittags/Nachmittags einen Joint, der etwa 0,4 g Marihuana enthielt. Amphetamin nahm er an diesem Tag nicht, weiteres Cannabis ebenfalls nicht. Mit dem Konsum von Alkohol begann er etwa gegen 18 Uhr und kam bis kurz nach Mitternacht auf mindestens 8 Bier à 0,5 l sowie dem Inhalt eines Glases in der Größe von etwa 0,3 l, welches jeweils zur Hälfte mit Wodka und Orangensaft gefüllt war.
43Im Verlauf des Abends – nach 18 Uhr und vor Mitternacht – machte die Zeugin D ihrem Lebensgefährten, dem Zeugen A, Vorhaltungen, nachdem sie einen Handy-Chat ihres Lebensgefährten mitbekommen hatte, aus dem sie schloss, dass er heimlich mit anderen Frauen chattete. In das Streitgespräch griff der Zeuge R ein, indem er den Zeugen A von der Couch auf den Boden zog. Ebenfalls mischte sich der Angeklagte ein, der sich auf die am Boden liegenden Zeugen stürzte und ihnen Schläge und Tritte versetzte. Der Angeklagte war aggressiv und geladen, weil die Zeugin Z ihm zuvor davon berichtet hatte, dass der Zeuge A eine teilweise gefüllte Wasserflasche nach ihr geworfen hatte. Den Zeugen A traf er mit einem Faustschlag im Gesicht, was zu einer kurzzeitig blutenden Verletzung an der Nase führte. Den Zeugen R traf er mit einem Tritt am Handgelenk, welches möglicherweise infolge des Trittes brach.
44Kurze Zeit nach der Verletzung As und Rs – etwa gegen Mitternacht –verließ der Angeklagte gemeinsam mit der Zeugin Z die Wohnung A, um aus der unweit gelegenen Wohnung des Zeugen R für diesen etwas zum Kühlen seines schmerzenden Handgelenks zu holen. Auf der Straße trafen der Angeklagte und die Zeugin Z auf den ihnen unbekannten 37jährigen Zeugen J, der wütend schreiend auf sich aufmerksam machte, weil er sich um sein Portemonnaie gebracht fühlte. Dem sollte nach der Schilderung des Zeugen gegenüber dem Angeklagten – der es wiederum glaubte – vorausgegangen sein, dass der Zeuge den Abend zunächst zechend mit zwei Bekannten verbracht und sich dann ein Taxi genommen hatte, das ihn nach Hause fahren sollte. Dort angekommen wollte der Zeuge J bemerkt haben, dass er kein Geld bei sich führte. Er habe den Taxifahrer gebeten, ihn wieder zu seinem Freund zum M-Weg zu fahren, was dieser auch getan habe. Als der Zeuge J ausgestiegen sei und den Taxifahrer gebeten habe zu warten, habe dieser sich aber einfach entfernt, wobei er den Personalausweis oder das Portemonnaie des Zeugen mit sich genommen haben soll.
45Der Angeklagte bot dem alkoholisierten und aufgebrachten Zeugen an, ihm zu helfen. Das Portemonnaie sollte, wie man nach einem Anruf bei der Taxizentrale gegen 00:30 Uhr herausfand, bei der Polizei abgeholt werden können. Zuvor, so schlug es der Angeklagte dem Zeugen vor, könnte dieser aber mit in die Wohnung A kommen, um sich etwas zu beruhigen.
46Dort angekommen dauerte es nur wenige Minuten, bis der Zeuge J die anwesende Gruppe bestehend aus dem Angeklagten und den Zeugen D, Z, A und R gegen sich aufgebracht hatte. Zusammen mit dem Angeklagten entschloss sich der Zeuge R dazu, den Zeugen J rauszuwerfen, weil letzterer der Zeugin Z das Bein streichelte und küsste, obwohl diese den Zeugen bis dahin nicht kannte und seine Avancen erkennbar ablehnte. Dem Angeklagten ging es dabei darum, den seine Freundin belästigenden Gast loszuwerden. Der Zeuge R, dessen Motivation nicht genau festzustellen war, nahm sich ein im Wohnzimmer aufbewahrtes Zierschwert – das spätere Tatwerkzeug – mit etwa 28 cm langer, beidseitig geschliffener spitzer Klinge, die trotz des dekorativen Zweckes scharf war. Wegen der Einzelheiten des Erscheinungsbildes des Schwertes wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf die bei den Akten befindlichen Lichtbilder (Bl. 38 und 39) verwiesen. Damit bedrohte er den Zeugen J, indem er ihm das Dekoschwert unter anderem an die Brust hielt und ihn so aus der Wohnung drängte, wobei ihm der Angeklagte behilflich war. Möglicherweise verletzte der Zeuge R den Zeugen J beim Herausdrängen mit der Spitze der Schneide an der Hand und an der Brust. Eigentümer des Zierschwertes war der Wohnungsinhaber A.
47Draußen angekommen ließen der Angeklagte und der Zeuge R den Zeugen J gehen. Dieser entfernte sich einige Meter vom Hauseingang, lehnte sich an ein geparktes Auto und rief um Hilfe. Auf ihn wurden zu diesem Zeitpunkt die Zeugen H, V und der Nebenkläger aufmerksam, die sich in dem unweit vom Eingang des Hauses M-Weg ## gelegenen Garten des Zeugen V am M-Weg ## aufhielten und schon Schreie und Lärm, womöglich von dem Rauswurf des Zeugen J, gehört hatten. Sie gingen auf den Zeugen J zu, der ihnen in türkischer Sprache sagte, dass er Hilfe brauche, weil er von zwei Leuten mit einem riesigen Messer gejagt worden sei. Zur Verdeutlichung hob er auch sein T-Shirt und zeigte einen möglicherweise frischen, vom Zierschwert stammenden Kratzer an der Brust. Zudem bat er die Gruppe, ihm beim Suchen seines Portemonnaies behilflich zu sein, weil dieses „weg“ sei.
48Obgleich die jungen Männer bemerkten, dass der Zeuge J offensichtlich alkoholisiert war und sie die Gefahr erkannten, dass die mutmaßlichen Täter des Messerangriffs noch in der Nähe sein könnten, gingen sie mit dem Zeugen mit, der sie in Richtung des Eingangs der Hausnummer ## führte. Womöglich war ihnen zu dieser Zeit schon bewusst, dass der Zeuge J Streit mit der ihnen verhassten Gruppe aus der Wohnung des Zeugen A hatte und sie erkannten für sich eine Gelegenheit, eine weitere Auseinandersetzung in dem schwelenden Streit herbeizuführen. Dass sie den Zeugen J vorher näher kannten und mit ihm gingen, um den Angriff auf ihn zu rächen, war nicht festzustellen. Waffen oder andere Gegenstände, die für die Zufügung von Verletzungen im Kampf oder zur Drohung geeignet wären, trugen sie nicht oder nicht offen mit sich.
493. Tatgeschehen
50Am Eingang der Hausnummer ## angekommen, trafen die vier Männer auf den vor der Eingangstür stehenden Angeklagten, der mittlerweile das zuvor vom Zeugen R getragene Zierschwert hinter seinem Rücken versteckt hielt, und den daneben stehenden Zeugen R. Während die drei jungen Männer in einer Entfernung von etwa zwei Metern stehen blieben, ging der Zeuge J direkt auf den Angeklagten und den Zeugen R zu und rief, dass die das gewesen seien, womit er auf den behaupteten Messerangriff Bezug nahm. Jedenfalls jetzt bemerkte der Nebenkläger auch, dass sich der Zeuge J in einer Auseinandersetzung mit dem ihm bekannten Zeugen R befand, mit dem er auch im Streit war. Den Angeklagten kannte er nicht oder nur vom Sehen, nahm ihn allerdings auch spätestens jetzt als Teil der ihm verhassten Gruppe um D und R wahr. Der Zeuge J schubste den Zeugen R, welcher infolgedessen zu Boden fiel, jedoch umgehend ohne Hilfe wieder aufstehen konnte.
51Die Auseinandersetzung vor der Haustür, die bis dahin ansonsten nur mit verbalen Aggressionen von beiden Seiten geführt worden war und in der der Nebenkläger kein Messer gezückt hatte, endete sodann, als die Gruppe um den Nebenkläger die Flucht ergriff. Auslöser für das plötzliche Wegrennen war, dass der Angeklagte das Zierschwert erhob und gleichzeitig eine Drohung aussprach, deren genauer Wortlaut nicht festzustellen war, die sich aber gegen den Nebenkläger richtete.
52Während die Zeugen V und H in Richtung des Gartens des erstgenannten liefen und sich, nachdem der Zeuge R ihnen nur wenige Meter hinterher gelaufen war, dort in Sicherheit bringen und die Polizei alarmieren konnten, lief der Nebenkläger gefolgt vom Angeklagten in die andere Richtung, wo er auf die hinter der Hausnummer 55 gelegene Wiese kam. Dort bemerkte der übergewichtige Nebenkläger, der beim Laufen außer Atem geraten war, dass der Angeklagte, weiter das Dekoschwert mit sich führend, ihn beinahe eingeholt hatte. Er entschloss sich daher zu stoppen, sich umzudrehen und den Angeklagten „umzutreten“. Bei dem Versuch stehenzubleiben, rutschte der Nebenkläger auf dem unbefestigten und rutschigen Untergrund aus und fiel zu Boden.
53Unter der Androhung, er werde ihn nun kriegen und ihn abstechen, trat der Angeklagte an den Nebenkläger heran, als dieser gerade dabei war, sich aufzurichten, wozu er einen Fuß und ein Knie auf den Boden stellte, um sich hochzudrücken. In diesem Moment – am ##.##.2020, frühestens um ##.50 Uhr – stach der Angeklagte das mitgeführte Zierschwert jedenfalls zweimal in Richtung der Hals- und Kopfgegend des Nebenklägers, wobei ihm bewusst war, dass eine Stichverletzung in diesem besonders vulnerablen Bereich des Körpers, in dem viele stark blutführende Gefäße nahe der Hautoberfläche verlaufen, tödliche Verletzungen herbeiführen kann. Mit der potenziell tödlichen Folge des Stichs fand er sich auch ab, wobei es ihm darum ging, Rache dafür zu üben, dass der Nebenkläger „seine Freunde“ in der zurück liegenden Zeit bedroht hatte. Die Spitze des Zierschwertes traf den Nebenkläger im hinteren rechten Halsbereich, wo sie eindrang und eine etwa 6-7 cm tiefe Stichverletzung hinterließ. Dadurch entstanden multiple Verletzungen der inneren großen Halsvene und der großen äußeren Halsschlagader, die zu einem massiven Blutverlust führten. Dass die noch mehr Blut transportierende innere Halsschlagader nicht getroffen wurde, war nur dem Zufall zu verdanken, da diese in einem Bereich von wenigen – möglicherweise sogar nur einem halbem – Zentimeter/n Entfernung zu der verletzten Stelle verläuft. Für den Fall, dass die innere Halsschlagader verletzt worden wäre, wäre das Leben des Nebenklägers nicht mehr zu retten gewesen. Neben der Halsvene und äußeren Halsschlagader verletzte der Stich auch den nervus hypoglossus, der lateral zur Schlagader verläuft und die rechte Zungenhälfte versorgt. Mit einem weiteren Stich traf der Angeklagte den Nebenkläger an der Wange, wodurch eine etwa 2 cm lange Stich-/Schnittwunde ohne Eröffnung der Mundhöhle entstand.
54Der sich den Stichen anschließende Geschehensablauf war für die Kammer nicht im Detail feststellbar. Sicher ist noch, dass der Nebenkläger – nachdem er den zugefügten Stich und das aus der Wunde austretende Blut bemerkt hatte – die Klinge des Zierschwertes ergriff, um den Angeklagten durch deren Festhalten daran zu hindern, ihm weitere Stiche zuzufügen. Der Angeklagte ging deshalb davon aus, den Nebenkläger nicht tödlich verletzt zu haben, da er anderenfalls nicht zu solch massiver Gegenwehr imstande gewesen wäre. Wie sich der Nahkampf um das Zierschwert auflöste, war dagegen nicht genau feststellbar. Möglich ist, dass durch das Hinzutreten eines Dritten – möglicherweise des Zeugen J oder des Zeugen R – das Gerangel zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger beendet wurde, indem der Dritte den Angeklagten angriff, woraufhin dieser das Zierschwert losließ und es möglicherweise neben ihm auf den Boden fiel. Ob und inwieweit der Dritte nach seinem Eingreifen noch am Tatort verblieb und für den Angeklagten, der das Zierschwert mindestens noch in seiner Nähe, eventuell sogar noch in der Hand hatte, zu überwinden gewesen wäre, hätte er versuchen wollen, weiter auf den Nebenkläger einzustechen, war nicht festzustellen. Möglich wäre danach insbesondere auch, dass der Angeklagte nach dem Hinzutreten des Dritten aus freien Stücken von einem ihm weiterhin möglichen Angriff mit dem Zierschwert auf den nach wie vor in seiner Nähe befindlichen Nebenkläger absah. Dieser entfernte sich aus eigener Kraft langsam in nördliche Richtung vom Tatort, wo er um die Ecke des Hauses Nummer ## herum ging und an der zur Straße zeigenden Seite des Hauses um Hilfe rief und zusammenbrach.
55Bei der Tatbegehung war der Angeklagte weder in seiner Unrechtseinsicht noch in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
564. Nachtatgeschehen
57Der Nebenkläger wurde, nachdem die Zeugen F und K, die im Haus Nummer ## wohnten, auf seine Hilferufe aufmerksam geworden waren und die eingetroffenen Einsatzkräfte zu ihm gebracht hatten, notärztlich versorgt. Bei ihm lagen ein akut lebensbedrohlicher Zustand der Anämie sowie ein Herz-Kreislauf-Schock vor. Wegen des starken Blutverlustes erhielt der Nebenkläger im Verlaufe der notfallmäßigen Versorgung, die im Krankenhaus C fortgesetzt wurde, 6 Erythrozytenkonserven zu jeweils 0,5 l. Die Verletzungen der Vene und der Schlagader mussten zur Abwendung des ansonsten sicheren Todes operativ versorgt werden, wozu die Anbringung eines weiteren Schnittes am Hals notwendig wurde, die wie die Stichverletzung die Bildung einer wulstig erhabenen, roten Narbe zur Folge hatte. Die weit weniger tiefe Stichverletzung in der unteren rechten Wangenregion verheilte komplikationslos, hinterließ jedoch eine etwa 2 cm lange Narbe.
58Der Nebenkläger konnte nach mehrtägiger intensivmedizinischer Behandlung und zweiwöchiger stationärer Behandlung nach Hause entlassen werden. Er litt danach noch für eine gewisse, nicht genauer eingrenzbare Zeit unter Ängsten wegen des Geschehens.
59Die Verletzung des nervus hypoglossus hat zu einer halbseitigen Zungenlähmung beim Nebenkläger geführt, die dessen Artikulationsmöglichkeiten beim Sprechen hörbar einschränkt und auch beim Essen Probleme bereitet. Diese Beeinträchtigungen der Zunge werden auch bei maximalem therapeutischem, etwa logopädischen, Aufwand nicht vollständig reversibel sein.
60Der Angeklagte verließ mit dem Zierschwert den Tatort hinter dem Haus Nummer ## und ging zurück in die Wohnung des Zeugen A, aus der er von der Zeugin D rausgeworfen wurde, weil diese das Tatwerkzeug, welches er noch immer bei sich trug, nicht in der Wohnung haben wollte. Gemeinsam mit der Zeugin Z verließ er die Wohnung wieder und warf das Zierschwert kurz bevor die anwesenden Polizeibeamten auf sie aufmerksam wurden in ein Gebüsch. Als die Beamten ihn antrafen, hatte der Angeklagte eine Schnittverletzung am Knie, welche er womöglich in dem Gerangel mit dem Nebenkläger um das Dekoschwert erlitten hatte, sowie eine Schnittverletzung an der Hand. Wegen der stark blutenden Knieverletzung wurde er einem Rettungswagen zugeführt und dort als Beschuldigter belehrt. Gegenüber PK’in N gab er an, es sei vor dem Haus zu einer Rangelei zwischen etwa 10 Personen gekommen, bei der ein Messer eingesetzt worden sei. Der spätere Geschädigte habe von einem seiner Begleiter eine Schusswaffe übergeben bekommen und damit gedroht. Er – der Angeklagte – habe dann mit dem Schwert wahllos in die Menge gestochen, die sich daraufhin aufgelöst habe. Er habe kurz darauf dem Geschädigten alleine gegenüber gestanden, der mit der Schusswaffe zuerst zweimal in die Luft geschossen und die Waffe dann auf ihn gerichtet und gesagt habe, „keinen Schritt näher oder ich schieße dir in die Fresse“. Daraufhin habe er aus Notwehr auf den Geschädigten eingestochen, wobei ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er ihn am Hals getroffen gehabt habe.
61Eine dem Angeklagten um 03:48 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 0,84 o/oo auf. Seine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug maximal 1,64 o/oo.
62III.
63Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit die Kammer dieser zu folgen vermochte, sowie auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme, deren Art und Umfang aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ersichtlich sind.
641. Feststellungen zur Person
65Die Feststellungen zum Werdegang des Angeklagten beruhen im Wesentlichen auf seinen eigenen Angaben in der Hauptverhandlung sowie gegenüber der psychiatrischen Sachverständigen Q, die diese als Zeugin geschildert hat. Nachdem er in seiner Einlassung am ersten Hauptverhandlungstag noch geschildert hatte, er habe im W einen Realschulabschluss erworben, weil ihm die schulische Bildung trotz Betäubungsmittelkonsums stets sehr wichtig gewesen sei, und auch die anschließende Lehre zum Schlosser erfolgreich beendet, hat er zum Ende der Hauptverhandlung eingeräumt, dass er insoweit aus Scham darüber, „nichts auf die Reihe bekommen zu haben“, gelogen habe, um sich in ein besseres Licht zu rücken. Die zuletzt gemachten Angaben decken sich auch mit den Angaben des W hierzu, welche die Sachverständige Q dort abgefragt und der Kammer mitgeteilt hat.
66Genauere Feststellungen zum Umfang seines Konsums unerlaubter Betäubungsmittel in 2019/20 waren nicht möglich. Insoweit hat der Angeklagte selbst ungenaue und sich teilweise widersprechende Angaben gemacht, die letztlich keine zweifelsfreien Feststellungen erlaubten. In der Hauptverhandlung hat er angegeben, er habe seit er in die Wohnung in C des Zeugen A eingezogen sei, jeden Tag „mindestens 5 g“ Marihuana alleine konsumiert, welches er mit seinen ALG-II-Bezügen finanziert habe. Er habe gute Kontakte zu einem arabischen Dealer gehabt, der ihm gute Preise gemacht habe. So habe er für Marihuana 5 €/g bezahlen müssen. Zusätzlich habe er auch nahezu täglich 2-3 g Pepp – also Amphetamin – konsumiert, die er ebenfalls von diesem Dealer bezogen habe, wofür er 2,50 €/g habe bezahlen müssen. Auf Vorhalt der Kammer, dass er schon für seinen behaupteten Marihuanakonsum 750 € monatlich hätte aufbringen müssen, weshalb die Angaben mit der gleichzeitigen Beteuerung, für die Finanzierung des Konsums nicht straffällig geworden zu sein, nicht nachvollziehbar seien, ergänzte der Angeklagte seine Einlassung dahingehend, dass er auch Boni von dem Dealer bekommen habe, wenn er neue Kunden akquiriert hätte. Später hat der Angeklagte seine Einlassung auf die Erklärung seines Verteidigers, 5 g Marihuana pro Tag seien nur „Spitzenwerte“ gewesen, korrigiert und nunmehr diese Angabe als richtig bezeichnet, wobei er eine Erklärung für die anderslautende erste Einlassung nicht gab und auch seinen täglichen „Normalkonsum“ nicht näher konkretisiert hat.
67Die Angaben der als Zeugen vernommen Bewohner der WG waren in Bezug auf den Betäubungsmittelkonsum des Angeklagten weitgehend unergiebig, da sie sich im Wesentlichen darauf beschränkten, dass der Angeklagte „gekifft“ habe, aber man zu Mengen nichts sagen könne.
68Betreffend den feststellbaren Alkoholkonsum des Angeklagten wird auf die Feststellungen zu V. 2. verwiesen.
69Die Feststellungen zu den nach Jugendrecht geahndeten Vorerkenntnissen beruhen auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 05.08.2020 sowie dem auszugsweise verlesenen Urteil des Amtsgerichts C – Jugendrichter – (Az. 6a Ds ###/19) vom ##.##.2020.
702. Feststellungen zur Sache
71Die Feststellungen zur Sache beruhen zunächst auf der weitgehend geständigen Einlassung des Angeklagten, der eingeräumt hat, dem Nebenkläger die Verletzungen mit einem Zierschwert aus der Wohnung des A zugefügt zu haben.
72a) Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung mit einer von ihm als zutreffend bezeichneten schriftlichen Verteidigererklärung zu dem Tatvorwurf eingelassen und sich anschließend den Fragen der Kammer und der Verfahrensbeteiligten gestellt. In seiner Einlassung hat der Angeklagte den Ablauf des Tatvornachmittags und -abends wie festgestellt geschildert, wobei er die Auseinandersetzung mit dem Zeugen A zunächst bestritten und diese erst nach Vernehmung der Zeugen A und D eingeräumt hat. Das Tatgeschehen hat er wie folgt geschildert:
73Nachdem er mit dem Zeugen R zusammen „den Bärtigen“ – gemeint ist der Zeuge J – aus der Wohnung geworfen und vor die Haustür gebracht gehabt habe, sei dieser kurze Zeit später mit drei oder vier Kumpels zurückgekommen, unter ihnen der Nebenkläger, über den er von der Zeugin D gewusst habe, dass er in der Vergangenheit viel Stress gemacht gehabt habe. Er sei mit dem Zeugen R in den Hausflur zurückgewichen, von wo man durch die gläserne Haustür hindurch nach draußen habe schauen können. Einer der Angreifer habe einen Schlagstock oder eine Eisenstange getragen, der Nebenkläger ein sog. „Call of Duty-Messer“. Dabei handele es sich um ein Einhandmesser, welches über einen Griff mit Fingereinsätzen verfüge, so dass es auch als Schlagring eingesetzt werden könne. Eine Schusswaffe, wie in seiner Einlassung im Ermittlungsverfahren behauptet, habe keiner, insbesondere auch nicht der Nebenkläger, getragen.
74Da ihm bewusst gewesen sei, dass der Nebenkläger in der Vergangenheit von der gerufenen Polizei nicht habe dabei erwischt worden können, wie er seine Freunde „terrorisiert“ habe, habe er für sich eine günstige Gelegenheit gesehen, dass nunmehr die schon wegen des Zeugen J gerufene Polizei den Nebenkläger „auf frischer Tat“ werde erwischen können. Der letzte Vorfall mit dem Nebenkläger sei etwa zwei bis drei Wochen vor der Tat gewesen, als unter anderem jener den Balkon zur Wohnung A hochgeklettert sei und Drohungen gegen die Bewohner – aber nicht gegen ihn selbst – ausgestoßen habe. Er habe sich als eine Art Beschützer seiner Freunde gesehen, die ihn auch in der Vergangenheit schon gebeten gehabt hätten, sie gegen den Terror des Nebenklägers und seiner Freunde zu beschützen. Denn er habe den Ruf in C, dass er bedingungslos dazwischen gehe und zudem bekanntermaßen unter dem Schutz seines arabischen Dealers stehe, mit dem sich in C niemand anlege.
75Um den Nebenkläger festzuhalten, bis die Polizei vor Ort sei, habe er sich das Zierschwert, welches der Zeuge R wieder in die Wohnung gebracht gehabt habe, genommen und es entweder in den Bund seiner Jogginghose gesteckt oder es offen in der Hand gehalten und sei mit dem Zeugen R zusammen nach draußen getreten. Dabei habe er das Schwert nur mitgenommen, um damit Eindruck zu machen; verletzen wollen habe er niemanden.
76Er selbst sei zunächst ruhig gewesen, aber alle anderen hätten sich gegenseitig angeschrien und die Situation habe sich immer mehr aufgeheizt, so habe es auch „Geschubse und Gerangel“ gegeben. Die Gruppe um den Nebenkläger sei respektlos und beleidigend gewesen. Er selbst sei wegen des Alkoholkonsums zuvor auch etwas aggressiver als sonst gewesen. Als er gerufen habe, dass die Polizei ohnehin unterwegs sei, seien die Angreifer alle schlagartig geflüchtet. Dass er – wie der Nebenkläger T und der Zeuge V behauptet haben – laut gerufen habe, „wer ist T“ und dabei mit dem Schwert herumgefuchtelt habe, stimme nicht. Dies hätte ja auch keinen Sinn ergeben, weil er schon gewusst habe, wer aus der Personengruppe der T gewesen sei.
77Anders als die Zeugen V und H seien der Nebenkläger und der Zeuge J in Richtung einer Wiese nördlich von dem Haus M-Weg ## gelaufen. Er habe sie verfolgt, weil er ja den Nebenkläger der Polizei habe übergeben wollen. Der Nebenkläger habe sich irgendwann umgedreht und versucht nach ihm zu treten, wobei er hingefallen sei, was er – der Angeklagte – genutzt habe, um sich auf ihn zu stürzen und ihn festzuhalten, bis die Polizei komme. Bei der folgenden Rangelei auf dem Boden habe er mehrmals um Hilfe gerufen, in der Hoffnung, die Polizei sei schon angekommen und werde auf ihn aufmerksam. Mit dem oben erwähnten „Call of Duty Messer“ habe der Nebenkläger ihm im Verlaufe der Rangelei am Boden einen Schlag gegen das Knie versetzt, wodurch letzteres aufgeschnitten worden sei. Überdies sei er am Boden liegend zu diesem Zeitpunkt von einer weiteren Person – vermutlich dem Zeugen J – gegen den Kopf und in die Rippen getreten worden. Aufgrund dieser Entwicklung habe er Panik bekommen, das Zierschwert genommen und damit wild um sich geschlagen. Wo das Zierschwert sich bis dahin befunden habe, könne er nicht genau sagen. Es könne sein, dass er es aus dem Hosenbund gezogen habe. Auch sei möglich, dass er es schon vor und während der Rangelei mit dem Nebenkläger in der Hand gehabt habe oder es zu Beginn der Rangelei auf den Boden habe fallen lassen und nunmehr aufgehoben habe. Er habe das Zierschwert nach unten zeigend in der Hand gehalten und damit in Richtung des Nebenklägers „geboxt“. Während er mit dem Zierschwert geschlagen habe, habe er womöglich auch laut geschrien, er steche sie ab, wobei er damit den Nebenkläger und den nicht sicher erkannten Dritten, der ihn auch attackiert habe, gemeint habe, die er habe auf Abstand bringen wollen. Es könne aber auch sein, dass er erst nach der Rangelei, als sie schon von dem Dritten getrennt worden seien, diese Drohungen gerufen gehabt habe. Mitbekommen, wie er den Nebenkläger getroffen habe, habe er nicht.
78Er habe sich mithilfe des Zierschwertes aus der liegenden Position befreien können und daran anschließend wieder mit dem Nebenkläger gerungen, allerdings im Stehen. Das Zierschwert sei ihm dabei heruntergefallen, womöglich habe der Nebenkläger ihm das Schwert auch aus der Hand gezogen. Wo der Dritte, mutmaßlich der Zeuge J, zu dieser Zeit gewesen sei, könne er nicht sagen. Die Rangelei habe angedauert, bis jemand – womöglich der Zeuge R, genau habe er das nicht wahrgenommen – dazu gekommen sei und sie getrennt habe. Zu dieser Zeit habe er – der Angeklagte – wieder auf dem Boden gelegen und seine Arme schützend vor seinen Kopf gehalten, weil die hinter ihm stehende Person seinen Kopf mit Tritten traktiert habe. Der Nebenkläger und auch der nicht erkannte Dritte seien dann wohl direkt geflüchtet, als die weitere Person ihm zu Hilfe gekommen sei, jedenfalls habe er sie nicht mehr gesehen, als er aufgestanden sei. Erst nach dem Kampf habe er bemerkt, dass er auch eine Schnittverletzung an der Hand gehabt habe, die auch von dem „Call of Duty Messer“ stammen müsse.
79Er habe das Zierschwert sodann aufgehoben und sei zurückgegangen zur Wohnung des Zeugen A. Er habe seine Lebensgefährtin holen und zu ihrer Mutter bringen wollen, weil die ganze Situation „eskaliert“ sei. Als er dann mit der Zeugin Z zusammen die Polizei gesehen habe, habe er das Zierschwert kurzer Hand ins Gebüsch geworfen, da ihm klar gewesen sei, dass er es am besten gar nicht erst mit zu der Auseinandersetzung hätte nehmen sollen. Dass der Nebenkläger schwer verletzt wurde, habe er erst im Rettungswagen mitbekommen, als die Kriminalbeamtem ihn mit dem Vorwurf eines Tötungsdelikts konfrontiert hätten.
80b) Soweit die Kammer von der Einlassung des Angeklagten abweichende Feststellungen getroffen hat, beruhen diese auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme und dabei insbesondere auf folgenden Gesichtspunkten:
81aa) Eine offen und bedrohlich zur Schau gestellte Bewaffnung der Zeugen H, V, J und des Nebenklägers, wie sie der Angeklagte in seiner Einlassung behauptet hat, schließt die Kammer aufgrund folgender Erkenntnisse und Erwägungen aus:
82Zunächst haben die genannten Zeugen sowie der Nebenkläger jeweils für sich selbst eine Bewaffnung, etwa mit Stangen, Knüppeln oder Messern verneint. Auch habe keiner von ihnen bei einem anderen, ausgenommen dem Angeklagten, einen Gegenstand gesehen, der zur Verletzung anderer geeignet gewesen wäre. Zwar hat die Kammer gesehen, dass es nicht ganz fern liegt, dass die Zeugen, um eine Selbstbelastung zu vermeiden, eine Bewaffnung ihrerseits auch wahrheitswidrig in Abrede gestellt haben können. Es war letztlich auch nicht ganz auszuschließen, dass der Nebenkläger, der auch in einer der von der Zeugin D angezeigten Bedrohungssituationen nach deren Angaben ein Messer gehabt haben soll, das von dem Zeugen R als „Call of Duty Messer“ beschrieben worden ist, ein solches auch bei der hiesigen Tat bei sich führte, auch wenn es einen konkreten Hinweis darauf nicht gibt. Die Angaben des Nebenklägers und der Zeugen H und V, dass Waffen nicht eingesetzt worden seien, werden betreffend das verfahrensgegenständliche Geschehen aber durch die Bekundungen der eher im Lager des Angeklagten stehenden Zeugen D und R gestützt, die beide Angaben gemacht haben, die einer offen getragenen Bewaffnung der Gruppe um den Nebenkläger in der Tatnacht entgegenstehen. So hat die Zeugin D, die ihren starken Groll gegen den Nebenkläger ansonsten offen zeigte, geschildert, dass sie nach dem Rauswurf J die Polizei gerufen habe, weil letzterer mit mehreren anderen Personen, darunter der ihr bekannte Nebenkläger T, wiedergekommen sei und Randale vor der Haustür gemacht habe. Der Angeklagte und der Zeuge R seien dann vor die Haustür getreten, um die Angreifer zu vertreiben. Sie habe von innen durch die mit einem Glaseinsatz versehene Haustür nach draußen gesehen. Sie habe den Nebenkläger erkannt, auch einen seiner Begleiter, deren Namen sie nicht kenne, der aber in der Vergangenheit dabei gewesen sei, als man sie mit Rohren beworfen habe. In der Tatnacht habe sie aber nicht gesehen, dass einer der Angreifer ein Messer oder ein Schlagwerkzeug getragen habe. Dass die Zeugin D, die zum einen bemüht war, den Angeklagten entlastende Umstände zu betonen und darüber hinaus in Bezug auf gefährliche Werkzeuge der Gruppe um den Nebenkläger aufgrund des sie betreffenden Vorgeschichte besonders sensibel war, kein solches wahrgenommen hat, ist nach dem Dafürhalten der Kammer ein deutliches Zeichen dafür, dass es auch keine solche Bewaffnung gab.
83Auch der Zeuge R hat, obwohl er in das Geschehen vor der Tür auch nach eigenen Angaben direkt involviert war, keinerlei Beobachtungen zu einer Bewaffnung der verfeindeten Gruppe geschildert. Konkret dazu befragt, hat er angegeben, die Gruppe um den Nebenkläger sei aggressiv gewesen. Aber dass eines der Mitglieder bewaffnet gewesen sei, wisse er nicht. Diese Bekundung war zunächst offenbar dahin gemeint, dass der Zeuge von verdeckt getragenen Waffen nicht wissen musste bzw. konnte. Seine Aussage verdeutlicht anderseits aber auch, dass er Waffen nicht gesehen hat, was wiederum dadurch am plausibelsten zu erklären ist, dass solche von den Mitgliedern der auch ihm feindselig gegenüberstehenden Gruppe nicht hervorgezogen waren. Andernfalls nämlich hätte der Zeuge in der angespannten Situation die Waffen gesehen und erinnert. In dieser war ein Waffeneinsatz nämlich nicht fernliegend und schon deshalb diesbezüglich besondere Aufmerksamkeit geboten, weil durch Waffen wie Eisenstangen und/oder das beschriebenen Messer bei der verfeindeten Gruppe die Lage auch für den Zeugen R deutlich bedrohlicher gewesen wäre.
84bb) Die Feststellung, dass das bedrohliche Auftreten des Angeklagten unter Vorzeigen des Dekoschwertes dazu führte, dass der Nebenkläger und dessen Gruppe die Flucht ergriffen, beruht auf folgenden Erkenntnissen und Erwägungen:
85Die Einlassung des Angeklagten ist dazu schon für sich genommen widersprüchlich und unplausibel. Sollte die Gruppe um den Nebenkläger tatsächlich bewaffnet vor der Tür erschienen sein, um den schwelenden Streit fortzuführen, wäre es fernliegend, dass die zahlenmäßig überlegene Gruppe sich allein von der Ankündigung des Angeklagten, die Polizei sei auf dem Weg, derart beeindruckt gezeigt hätte, dass sie deshalb panisch flüchteten. Zwar hätten sie ein offensichtliches Interesse daran haben können, nicht mit gefährlichen Werkzeugen vor der Haustür stehend von Polizeibeamten angetroffen zu werden. Da jedoch bis zu diesem Zeitpunkt auch nach der Einlassung des Angeklagten das Eintreffen der Polizeibeamten noch nicht unmittelbar bevorgestanden haben soll, insbesondere auch noch kein Martinshorn zu hören oder Blaulicht zu sehen gewesen sein soll, ist es unverständlich, wenn die Gruppe um den Nebenkläger derart schnell und unter Aufgabe ihrer eigentlichen Ziele geflüchtet sein soll. Sie hätten sich dadurch auch für die Zukunft in dem andauernden Streit geschwächt, sozusagen „klein beigegeben“, was nicht dem Bild der nach den Angaben des Angeklagten und des Zeugen R offen aggressiv auftretenden jungen Männer entsprach. Hinzu kommt, dass der Angeklagte seinem Ziel, nämlich den Nebenkläger diesmal zu stellen und der Polizei zu übergeben durch die Ankündigung, die Polizei sei auf dem Weg, auf der Hand liegend selbst entgegen gewirkt hätte. Stattdessen spricht schon das auch vom Angeklagten geschilderte Flüchten der Gruppe in verschiedene Richtungen dafür, dass sie aus Angst vor einem Angriff des Angeklagten mit dem Schwert das Weite suchten, wie der Nebenkläger und die Zeugen V und H auch geschildert haben. Dafür, dass deren Angaben zutreffen, spricht auch nicht zuletzt, dass der Angeklagte selbst in seiner ersten Einlassung nach der vorläufigen Festnahme am ##.##.2020 davon sprach, dass die Angreifer geflüchtet seien, als er mit dem Zierschwert „wahllos in die Menge gestochen habe“, wie dies die Zeugin PKin N, die zu den ersten Beamten vor Ort gehörte und den Angeklagten festgenommen hat, bekundet hat.
86Die Einlassung des Angeklagten findet auch keine Stütze in den Bekundungen der Zeugen J und R. So hat der Zeuge J geschildert, dass es immer lauter geworden sei, als die anderen drei türkischen Männer – der Nebenkläger und die beiden vorgenannten Zeugen – auf den Angeklagten und dessen Begleiter getroffen seien. Der Angeklagte, der das „Rambomesser“ in der Hand gehabt habe, habe die Jungs gefragt, was sie wollten. Es seien dann auf einmal alle abgehauen, aber er wisse nicht, wieso genau. Er sei erst allein vor dem Hauseingang stehen geblieben, danach habe er sich auf den Heimweg gemacht.
87Der Zeuge R hat zu der Situation vor der Haustür und dem die Flucht auslösenden Umstand befragt angegeben, dass er und der Angeklagte „richtig aus der Haut gefahren“ seien, weshalb die anderen weggerannt seien. Was genau der Angeklagte gemacht habe, wisse er nicht. Auf weitere Nachfrage hat er angegeben, es habe sich halt alles hochgeschaukelt, ein Wort habe das andere gegeben.
88Demgegenüber sind die Schilderungen des Nebenklägers sowie der Zeugen H und V, wonach sie in unterschiedliche Richtungen geflüchtet seien, weil der Angeklagte mit dem Messer wirbelnd Drohungen ausgestoßen habe, glaubhaft. Die Zeugen haben das Geschehen übereinstimmend wie festgestellt bekundet. Bei dieser Bewertung ist sich die Kammer bewusst, dass sich die drei in engem Kontakt stehenden Zeugen für ihre Aussagen abgestimmt haben könnten. Über diese grundsätzlich bestehende Möglichkeit hinaus sind allerdings keine Umstände zu Tage getreten, die diese Annahme bestätigt hätten. Stattdessen waren die Angaben der Zeugen und des Nebenklägers jeweils für sich genommen glaubhaft und insgesamt betrachtet von jeweils einer sie zu den anderen Aussagen abgrenzenden Originalität, so dass die Kammer im Ergebnis davon überzeugt ist, dass sie realitätsbasiert und glaubhaft sind.
89So hat der Nebenkläger angegeben, der Angeklagte habe sie – also ihn und seine beiden Freunde – in der Situation vor der Haustür gefragt, ob sie „angestochen werden wollen, wie der da“, womit der Zeuge J gemeint gewesen sei. Kurz darauf habe der Angeklagte angefangen zu schreien, „wer ist T“, das Zierschwert rausgeholt und damit herumgefuchtelt. Als sie das Messer gesehen hätten, seien seine Freunde und er weggerannt.
90Inhaltlich gleich, aber mit anderen Worten, hat der Zeuge H das Geschehen geschildert: er sei mit dem Nebenkläger, dem Zeugen V und dem Zeugen J auf Bitten des letzteren zum Haus Nummer ## gegangen, um die Bewohner aufzumischen. Dazu sei es allerdings nicht gekommen, weil der Angeklagte auf sie zugekommen sei, „Hurensohn“ gerufen habe und Bezug nehmend auf den Zeugen J sagte, den habe er vorhin schon angestochen. Er habe dann angefangen, etwas zu schreien und sei mit dem Zierschwert näher gekommen, woraufhin sie alle abgehauen seien. Was genau der Angeklagte gerufen habe, könne er nicht sagen. „Wer ist T“, könnte sein, er wisse das nicht.
91Zu derselben Situation befragt, hat der Zeuge V angegeben, der Angeklagte habe als Reaktion auf die Frage des Zeugen J, wo sein Portemonnaie sei, das Zierschwert gezogen und zweimal gefragt, wer T sei. Er habe dann mit dem Zierschwert gewedelt. Ihm sei noch aufgefallen, dass der Angeklagte ganz große Pupillen gehabt habe. Das sei alles so angsteinflößend gewesen, dass er – genau wie die anderen – abgehauen sei.
92Soweit der Nebenkläger und der Zeuge V den Ausruf „wer ist T?“ vom Angeklagten gehört haben wollen, geht zwar auch die Kammer davon aus, dass dieser Ausruf wenig plausibel ist, weil der Angeklagte den deutlich übergewichtigen Nebenkläger, der sich schon dadurch deutlich von den anderen Männern türkischer Herkunft unterschied, und der ihm von D und R zumindest beschrieben worden war, erkannt haben wird. Es kann sich insofern aber auch unschwer um ein Missverständnis gehandelt haben, weil tatsächlich der Name „T“ und etwa ähnlich Klingendes wie „her mit T“ oder „komm her T“ gerufen wurde. Die Bekundungen der Zeugen, wonach der Angeklagte den Namen des Nebenklägers überhaupt gerufen hat, findet insofern auch eine Stütze in seiner eigenen Einlassung, mit der er eingeräumt hat, dass er auf den Nebenkläger fixiert gewesen ist, dem er im nachfolgenden Geschehen ja auch nachsetzte, als dieser flüchtete.
93cc) Die Feststellungen zum äußeren Tathergang und insbesondere dazu, dass der Angeklagte schon direkt nach dem Sturz des Nebenklägers auf diesen einstach, beruhen maßgeblich auf den Bekundungen des Nebenklägers und der diese stützenden Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen L.
94(1) Die Einlassung des Angeklagten hierzu ist demgegenüber in weiten Teilen unplausibel und findet in Bezug auf den Ablauf des Kampfgeschehens mit dem Nebenkläger keine Stütze in der übrigen Beweisaufnahme, weswegen diese auch nicht nach dem Zweifelsgrundsatz den Feststellungen zugrunde zu legen war. So ist es schon wenig nachvollziehbar, dass der Angeklagte, der – wie ausgeführt – vor der Haustür mit dem erhobenen Schwert insbesondere in Richtung des T drohte und dieses auch bei dessen Verfolgung mitführte, eben dieses Schwert dann, als er den stürzenden Nebenkläger erreichte, weggelegt haben will. Der Grund, den er hierfür angegeben hat, nämlich dass er nunmehr den am Boden liegenden Kontrahenten festhalten wollte, bis die Polizei komme, erscheint ebenfalls vor dem Hintergrund, dass es zur Erreichung dieses Ziels viel einfacher gewesen wäre, den am Boden liegenden Nebenkläger durch das in Händen gehaltene Schwert in Schach zu halten, als sich unbewaffnet auf einen Nahkampf am Boden mit unklarem Ausgang einzulassen, als reine Schutzbehauptung, die jedenfalls durch die glaubhaften und konstanten Angaben T hierzu (insofern unten) widerlegt wird. Seine auf dieser Nahkampfschilderung aufbauende weitere Einlassung, er sei dann am Boden von zwei Männern attackiert worden, bis ein weiterer hinzugetreten sei, wird ebenfalls durch keinen Anhaltspunkt aus der übrigen Beweisaufnahme bestätigt.
95(2) Der Nebenkläger hat demgegenüber das Tatkerngeschehen glaubhaft im Sinne der dazu von der Kammer getroffenen Feststellungen bekundet.
96Er zeigte dabei weder eine einseitige Belastungstendenz zum Nachteil des Angeklagten noch andere, gegen seine Glaubhaftigkeit sprechende Anzeichen. Insbesondere waren seine Angaben, das Kern- und das bestimmende Randgeschehen betreffend, konstant zu seinen im Ermittlungsverfahren gegenüber KHK P am 04.05.2020 gemachten Angaben. Der Nebenkläger hat im Ermittlungsverfahren wie vor der Kammer bekundet, dass er auf seiner Flucht vor dem Angeklagten auf eine Wiese zwischen den Häusern am M-Weg gelaufen sei. Währenddessen habe er bemerkt, dass der Angeklagte schneller gewesen sei als er. Er habe sich deshalb entschlossen, stehen zu bleiben, sich umzudrehen und den Angeklagten umzutreten. Beim Stoppen sei er dann ausgerutscht und rücklings zu Boden gegangen. Der Angeklagte sei erst ein kleines Stück an ihm vorbei gelaufen, habe sich dann aber umgedreht und sei direkt auf ihn zugekommen. Er habe in Richtung des Angeklagten getreten und sich dann aufrichten wollen. Hierzu habe er schon einen Fuß auf dem Boden gehabt, während er mit dem andern Bein noch auf dem Boden gekniet habe. Als er sich noch in dieser von dem Zeugen als „Heiratsantragsstellung“ bezeichneten Körperhaltung befunden habe, habe der vor ihm stehende Angeklagte von oben das Dekoschwert gegen ihn geführt. Er habe einen Schlag am Hinterkopf verspürt und direkt danach etwas Warmes, das seinen Hals herunter gelaufen sei. Ihm sei dann augenblicklich klar gewesen, dass der Angeklagte ihn mit dem Schwert im Bereich des Halses gestochen hatte und sei „vor Angst ausgerastet“. In seiner Angst habe er das Schwert an der Klinge ergriffen und mit beiden Händen festgehalten, um weitere Stiche des Angeklagten damit zu verhindern, was ihm auch gelungen sei. Der Angeklagte habe das Schwert aber weiter festgehalten und es habe sich ein Gerangel darum entwickelt.
97Diese Angaben des Nebenklägers sind auch deshalb glaubhaft, weil sie detailliert und in sich schlüssig und plausibel den Ablauf schildern. Auch wegen des von T passend zu dem Geschehen geschilderten inneren Erlebens wirkt seine Schilderung erlebnisbasiert.
98(3) Seine Bekundungen werden zudem gestützt durch die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen L. Der Sachverständige hat berichtet, dass er aufgrund der Krankenakte aus dem die Operation ausführenden Krankenhauses in C zu der Wunde am Hals folgende Parameter benennen könne: Die Stichverletzung habe sich am hinteren rechten Hals befunden und sei etwa 6-7 cm tief gewesen. Es sei zu multiplen Verletzungen der inneren großen Halsvene und der großen äußeren Halsschlagader gekommen, wobei der Hauptstamm nicht betroffen gewesen sei. Die äußere Halsschlagader transportiere weniger Blut als die Innere; sie versorge zudem nicht den Schädel, sondern die Gesichtsweichteile. Neben der Verletzung der Vene und der Schlagader sei auch der nervus hypoglossus verletzt worden.
99Bezogen auf den zu der Verletzung führenden Geschehensablauf sei zu sagen, dass die Angaben des Nebenklägers, der Stich sei von oben kommend gegen seinen Hals geführt worden, plausibel und mit dem Verletzungsbild gut vereinbar seien. Grundsätzlich ausschließen könne er zwar auch andere Geschehensabläufe nicht, allerdings sei die Einlassung des Angeklagten, er habe liegend mit dem Schwert in der Hand faustschlagartige Bewegungen in Richtung des Nebenklägers ausgeführt, nicht mit dem Verletzungsbild in Einklang zu bringen. Dies gelte umso mehr, als der Angeklagte angegeben hat, er habe bei der Boxbewegung das Zierschwert mit der Spitze nach unten gehalten und auf dem Rücken liegend nach oben geschlagen. Insoweit hat der Sachverständige ausgeführt, dass der Begriff „Zier- oder Dekoschwert“ für das Tatwerkzeug verharmlosend sei. So seien zwar die beiden Schneiden des Schwertes nicht sonderlich scharf, andererseits aber auch nicht ganz stumpf. Insbesondere sei die lange Klinge des Schwerts spitz zulaufend, so dass das Werkzeug ohne weiteres geeignet sie, damit die beim Nebenkläger vorgefundenen Verletzungen zuzufügen, wobei der Täter wegen des insgesamt langen Tatwerkzeugs Raum gehabt haben müsse, dieses im Sinne eines Stechens gegen den Körper zu führen. Zur Herbeiführung der oben beschriebenen tiefen Halsverletzung sie nämlich eine Stichbewegung, also eine Schwertführung mit eher orthogonalem Auftreffen der Klinge auf die Körperoberfläche, erforderlich gewesen, die der Nebenkläger auch beschreibe. Demgegenüber sei bei der vom Angeklagten beschriebenen eher ungezielten Schwertführung im Sinne eines Nach-Vorn-Boxens, wobei dieses – wie beschrieben – in der Faust gehalten werde, von einer eher parallel zur Körperoberfläche geführten Klinge auszugehen, die die vergleichsweise tiefe Stichverletzung so nicht erklären könne.
100Diesen anschaulichen Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen schließt sich die Kammer nach eigener kritischer Prüfung an. Sie hat dabei berücksichtigt, dass mit dem von dem Angeklagten geschilderten dynamischen Geschehen auch eine Schwerthaltung seinerseits und eine Körperstellung des Geschädigten für gegebenenfalls auch nur Momente vereinbar sind, die die Stichverletzung erklären könnte, die der Angeklagte andererseits aber auch auf Nachfragen nicht beschrieben hat.
101(4) Die Tatversion des Angeklagten erweist sich aber auch insofern als wenig nachvollziehbar, wenn er schildert, dass er auf dem Rücken liegend und mit dem Nebenkläger ringend, dabei von hinten durch einen Dritten attackiert worden sei, das Zierschwert ergriffen und damit um sich geschlagen haben will. Sollte das Schwert zu dieser Zeit tatsächlich in Griffweite neben ihm und dem mit ihm im Kampf befindlichen Nebenkläger gelegen haben, so wäre zu erwarten gewesen, dass eingreifende Personen seinen Griff nach dem Schwert verhindert hätten, dieses etwas vor ihm aufgenommen hätten und aus dem seinem Wirkungsbereich entfernt hätten.
102(5) Die Glaubhaftigkeit der Tatschilderung des Nebenklägers wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen L in den ärztlichen Unterlagen des Krankenhauses in C Schnittverletzungen des Nebenklägers an der Innenseite der Hände nicht dokumentiert sind. Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass solche bei dem von dem Nebenkläger beschriebenen festen Griff an die Klinge zwar zu erwarten gewesen wären. Diese müssten aber wegen der oben beschriebenen Beschaffenheit der Klinge nicht tiefgreifend gewesen, sondern können auch nur oberflächlicher Natur gewesen sein. Eine ärztliche Dokumentation sei deshalb nicht unbedingt zu erwarten, zumal die akut lebensgefährlichen Halsverletzungen im Vergleich so gravierend waren, dass die demgegenüber oberflächlichen und nicht gefährlichen Verletzungen weder im Fokus der Behandlung noch des Nebenklägers selbst gestanden haben müssen. Die Schnitte müssen auch keine heute noch sichtbaren Narben hinterlassen haben, was – so der Sachverständige nach Inaugenscheinnahme der Hände des Nebenklägers – auch nicht der Fall sei. Auf den nach der Tat von den Händen des Nebenklägers gefertigten Lichtbildern seien Verletzungen zwar ebenfalls nicht erkennbar. Diese müssten aber, da die Hände dort verdreckt und mit erheblichen Blutanhaftungen abgebildet sind, auch nicht zu sehen sein.
103(6) Die Kammer glaubt dem Angeklagten auch nicht, dass ihm der Nebenkläger im Laufe des Kampfes auf der Wiese die Schnittverletzung am rechten Knie und an der Hand, die er aufwies, als ihn die Beamten wie festgestellt antrafen, mit einem von ihm – dem Nebenkläger – gezogenen Messer zugefügt hat. Auch insofern folgt die Kammer vielmehr den Angaben des Nebenklägers, der konstant zu seiner Schilderung im Ermittlungsverfahren einen Messereinsatz seinerseits in Abrede gestellt hat.
104Zwar spricht für die Einlassung des Angeklagten, dass er die Verletzungen kurze Zeit nach dem Tatgeschehen hatte, wobei die nach den Bekundungen der Zeugin PK‘in N leichte Schnittverletzung am rechten Knie auch leicht geblutet habe, was für eine frische Verletzung spricht. Der Sachverständige L hat diesbezüglich ausgeführt, dass bei dem Angeklagten eine etwa 5 cm lange Schnittwunde oberhalb der Kniescheibe am rechten Bein festgestellt worden sei, die eher oberflächlich bei lediglich eingeschnittenem subkutanen Fettgewebe gewesen sei und die auch heute noch in Form einer Narbe sichtbar sei. An der rechten Hand, dort an Daumen und Zeigefinger, Grundglied innenseitig, seien ebenfalls oberflächliche Schnittverletzungen vorhanden gewesen. Für diese Verletzungen komme der behauptete Messereinsatz des Nebenklägers in Betracht. In Betracht käme es aber auch, dass die Verletzungen bei dem Gerangel um das lange Dekoschwert entstanden sind, wie es nach der Schilderung des Nebenklägers stattgefunden haben soll. Bezogen auf die Handverletzung sei wegen der breiten Parierstange an dem Dekomesser ein eine solche Verletzung typischerweise verursachendes Abrutschen auf die Klinge zwar nicht sehr wahrscheinlich. Dies sei anderseits in der anzunehmenden Dynamik des Rangelns um das Messer unter ebenfalls anzunehmendem erheblichen Krafteinsatz der Kontrahenten aber auch denkbar. Die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder von diesem und des Schwertes selbst hat zudem ergeben, dass sich am Griff, also unterhalb der Parierstange, erhabene Elemente befinden, die ebenfalls geeignet erscheinen, oberflächliche Handverletzungen bei ausreichendem Kraftaufwand zu erzeugen.
105Der Einlassung des Angeklagten zum Entstehen der Verletzungen folgt die Kammer aber auch deshalb nicht, weil er gegenüber der Zeugin PKin N entsprechende Angaben nicht gemacht hat, obgleich dies naheliegend gewesen wäre, zumal jedenfalls die blutende Knieverletzung beim Antreffen durch die Beamten eine Rolle spielte und diese von Rettungskräften versorgt wurde. Aus den Bekundungen der Zeugin hat sich ergeben, dass der Angeklagte vor Ort das vorangegangenen Tatkerngeschehen insgesamt stark abweichend zu seiner Einlassung in der Hauptverhandlung geschildert hat, nämlich mit dem oben zu II. 4. festgestellten Inhalt, was seine Angaben zusätzlich unglaubhaft erscheinen lässt. Die Zeugin hat der Kammer weiter geschildert, dass sie mit ihrem Kollegen PK U in einem Streifenwagen zum Tatort gefahren sei. Der Einsatzgrund sei zunächst mit „sexueller Belästigung“ angegeben worden, wobei noch unterwegs als weiterer Grund eine „Schlägerei“ genannt worden sei. Sie hätten unter Inanspruchnahme von Sonderwegerechten den Tatort angefahren und bereits auf dem Weg zur Einsatzörtlichkeit in Höhe des M-Weges ## den Angeklagten, der humpelte, und die Zeugin Z, die ihr aus früheren Einsätzen bekannt gewesen sei, erblickt und angehalten. Zu dem Geschehen befragt, habe der Angeklagte berichtet, dass seine Verletzung aus einer Auseinandersetzung nach der sexuellen Belästigung des J zum Nachteil seiner Lebensgefährtin stamme. Nachdem man den J nämlich rausgeschmissen gehabt habe, sei dieser mit weiteren Personen, die er gerufen habe, zurückgekehrt und die Situation habe sich zugespitzt. Er – der Angeklagte – habe ein Messer mitgebracht gehabt und damit „wahllos in die Menge gestochen“, um die Personen zu vertreiben. Kurz darauf habe er sich in einer Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger befunden, der eine Schusswaffe auf seinen Kopf gerichtet und gesagt habe, er werde ihm in die Fresse schießen, nachdem er einen Warnschuss in die Luft abgefeuert gehabt habe. Er habe dann „aus Notwehr“ einmal zugestochen und vermute, den Nebenkläger am Arm getroffen zu haben. Auch bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am Morgen des ##.04.2020 hat der Angeklagte noch behauptet, dass der „T“, dem er hinterhergerannt sei, eine Schusswaffe gezogen und damit in die Luft geschossen habe, wonach er selbst aus Angst mit dem Messer um sich gestochen habe. Dass diese Schilderungen bezogen auf eine/n Schusswaffenführung und -gebrauch des Nebenklägers falsch waren, hat der Angeklagte eingeräumt. In seinen polizeilichen Angaben hat er demnach den nunmehr benannten Grund für sein Knie- und Handverletzungen nicht erwähnt, wobei er betreffend die Handverletzung auch in der Hauptverhandlung nur die Vermutung geäußert hat, dass auch diese ihm vom Nebenkläger mit dessen Messer zugefügt worden sein müsse. Insgesamt sind diese unkonstanten Angaben des Angeklagten gegenüber denjenigen des Nebenklägers nicht glaubhaft, zumal es neben der Entstehung der Verletzungen im Gerangel um das Dekoschwert letztlich auch in Betracht kommt, dass der Angeklagte diese tatzeitnah außerhalb des Tatkerngeschehens erlitten hat. So scheidet letztlich auch eine bewusste Selbstbeibringung nach der Tat nicht aus, zumal der Angeklagte – wie noch auszuführen sein wird – wusste, dass er den Nebenkläger erheblich verletzt hatte und sich dafür voraussichtlich würde rechtfertigen müssen.
106dd) Davon, dass der Angeklagte, als er dem Nebenkläger die Stichverletzungen in den Hals- und Wangenbereich versetzte, mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, ist die Kammer aus den folgenden Gründen überzeugt:
107So ist seine Einlassung, gar nicht bemerkt zu haben, den Nebenkläger mit dem Zierschwert getroffen zu haben und davon ausgegangen zu sein, ihn – wenn überhaupt – am Arm verletzt zu haben, schon angesichts der aus den o. g. Gründen zugrunde zu legenden Schilderung des Nebenklägers widerlegt, der Angeklagte habe von oben auf ihn eingestochen, als er sich in einer knienden Haltung vor ihm befunden habe. Dafür, dass der Angeklagte bemerkt hatte, den Nebenkläger überhaupt mit dem Schwert verletzt zu haben, spricht auch, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen L die menschliche Haut einen nicht unerheblichen Widerstand bildet, so dass die Durchdringung auch mit einem spitzen Werkzeug regelmäßig bemerkt werde. Auch die Ausrufe des Angeklagten während der Tat sprechen dafür, dass er dem Nebenkläger die Stiche bewusst versetzte. Insofern hat der Zeuge F bekundet, dass er in seiner Souterrainwohnung im Haus M-Weg ## im Bett gelegen habe und sich schon im Halbschlaf befunden habe, als er draußen auf der Wiese hinter dem Haus in einer Entfernung von geschätzten 10 m eine Stimme gehört habe, die gesagt habe „ich krieg dich noch“ oder „ich stech dich ab“, wobei diese aggressiv geklungen habe und er deshalb von einem Streitgeschehen auf der Wiese ausgegangen sie. Kurz darauf habe sein Nachbar, der Zeuge K, bei ihm geklingelt und ihn um Hilfe bei der Versorgung einer vor dem Haus befindlichen verletzten Person gebeten. Die Kammer geht angesichts der festgestellten Geschehnisse der Verfolgung des Nebenklägers durch den Angeklagten mit dem Dekoschwert davon aus, dass die von dem Zeugen vernommenen Ausrufe von dem Angeklagten stammten, weil sie zu dessen Verhalten passen.
108Nicht zuletzt hat sich auch aus den Bekundungen der Zeugin Z ein deutlicher Hinweis darauf ergeben, dass dem Angeklagten klar war, dem Nebenkläger erheblichere Verletzungen mit dem Schwert zugefügt zu haben. Die Zeugin hat bekundet, dass sie selbst von der vor der Tür geführten Auseinandersetzung der Gruppen und dem anschließenden Kampf auf der Wiese nichts mitbekommen habe. Als der Angeklagte wieder in die Wohnung A gekommen sei, habe er blutige Hände gehabt, er habe das Zierschwert bei sich geführt und gesagt, er habe möglicherweise „jemanden abgestochen“. Dann habe er sie aufgefordert, mit ihm aus der Wohnung abzuhauen, was sie auch getan habe. Draußen habe er das Zierschwert in ein Gebüsch weggeworfen. Da die Zeugin Z ansonsten eher bemüht war, ihren Verlobten in ein gutes Licht zu rücken, glaubt die Kammer die ihn belastenden Angaben der Zeugin. Ihre Aussage stimmt auch insofern mit den Bekundungen der Zeugin PK‘in N überein, als diese geschildert hat, dass der Angeklagte tatsächlich Blutanhaftungen an den Händen gehabt habe und angegeben habe, das Zierschwert in ein Gebüsch geworfen zu haben, wo es dann auch zeitnah aufgefunden und sichergestellt werden konnte.
109Dafür, dass der Angeklagte die Möglichkeit zum Tode führender Verletzungen bei den Stichen mit dem Dekoschwert sah, spricht zunächst die Gefährlichkeit der Verletzungshandlung. Dass Stiche in den Halsbereich eines Menschen mit einem spitzen langen Werkzeug, die schon wegen der Durchdringung des Hautwiderstandes mit einer zumindest gewissen Wucht ausgeführt worden sein müssen, lebensgefährliche Verletzungen – wie hier auch geschehen – hervorrufen können, liegt derart auf der Hand, dass sich dies jedem erschließt und demnach auch dem Angeklagten. Im Halsbereich verlaufen vergleichsweise nah unter der Haut große Blutgefäße, hinsichtlich derer der Täter beim Stechen mit einem Tatwerkzeug wie dem hier eingesetzten es gar nicht mehr in der Hand hat, ob er diese trifft oder nicht. Angesichts der Stellungen, in welchen sich der Angeklagte und sein Opfer bei der Stichzufügung befanden, ist auch davon auszugehen, dass der Angeklagte den getroffenen Körperbereich bewusst wählen konnte und gewählt hat, wofür auch spricht, dass er sein Opfer zweimal in etwa derselben Körperregion traf. Demgegenüber hat die Kammer als vorsatzkritische Gesichtspunkte gesehen, dass der Angeklagte mit einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 1,64 o/oo zur Tatzeit nicht unerheblich alkoholisiert war und aufgrund der vorangegangenen Geschehnisse auch eine Affektivität im Sinne von Wut und dem Wunsch nach Rache bei ihm vorhanden war. So hat er selbst angegeben, „etwas aggressiv“ gewesen zu sein und den Nebenkläger verfolgt zu haben, weil dieser sich für sein vorangegangenes Verhalten seinen Freunden gegenüber habe verantworten sollen, als deren Beschützer er sich begriffen habe. Die Kammer geht danach davon aus, dass er aus diesen Gründen dem Nebenkläger sodann auch die Stiche mit dem Dekoschwert versetzte, zumal es nach dem von der Kammer wie ausgeführt zugrunde gelegten Ablauf kurz vor der Stichzufügung zu keinem Geschehen mehr gekommen war, das eine andere Motivation oder Gefühlslage des Angeklagten hätte begründen können, als die von ihm angegebene Aggression und den Wunsch nach Rache. Davon, dass diese Affekte und/oder seine Alkoholisierung dem Angeklagten den Blick auf die Gefährlichkeit seines Tuns verstellt hätten, geht die Kammer aber nicht aus. So hatte er im Tatzeitpunkt den Nebenkläger bereits über eine nicht nur ganz unerhebliche Strecke mit dem Dekoschwert in der Hand verfolgt. Da er, als sich ihm wegen des Sturzes des Nebenklägers die Möglichkeit hierzu bot, praktisch sogleich zustach, geht die Kammer davon aus, dass er dieses Ziel auch schon zuvor verfolgte und die Tat demnach nicht ganz spontan erfolgte. Die Wirkung des Alkohols auf den Angeklagten war wegen seiner vollständig erhaltenen Körperkoordination auch nicht von einem solchen Ausmaß, dass ein Schluss auf erheblichere kognitive Beeinträchtigungen, wobei Anhaltspunkte hierfür im Verhalten des Angeklagten auch nicht von den Zeuginnen Z oder PK´in N geschildert worden sind, naheliegend wäre. Dass es dem Angeklagten nur oder in erster Linie um die Auslebung seiner Aggression dem Nebenkläger gegenüber und dem Wunsch nach Rache ging, spricht ebenfalls nicht gegen die Inkaufnahme eines tödlichen Ausgangs. Der Gedanke, dass Bestrafung, wie sie der auf Rache sinnende Angeklagte erstrebte, und Tötung unvereinbar nebeneinander stehen, ist nur zur Verneinung eines direkten Tötungsvorsatzes geeignet. Für Fälle des – wie vorliegend – bedingten Tötungsvorsatzes besagt die Erwägung jedoch nichts; denn ausgehend von dem besonders drängenden Wunsch nach handfester Bestrafung und Vergeltung oder auch nachhaltiger Verabreichung eines Denkzettels ist es ohne Weiteres vorstellbar, dass sich der Täter in Verfolgung seines Primärzieles mit dem Eintritt der schwerwiegenden Nebenfolge abfindet.
110ee) Dazu, wie das Kampfgeschehen letztlich seinen Abschluss gefunden hat, vermochte die Kammer aufgrund der unterschiedlichen Angaben der zur dieser Zeit anwesenden Personen, nämlich des Angeklagten und des Nebenklägers sowie möglicherweise auch der Zeugen R und J, keine derart eindeutigen Feststellungen treffen, dass sie eine freiwillige Tataufgabe des Angeklagten auszuschließen vermochte. Die Kammer ist daher im Zweifel zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass er mit strafbefreiender Wirkung von der versuchten Tötung des Nebenklägers zurückgetreten ist.
111Insofern steht zunächst fest, dass der Nebenkläger sich nach den Stichen noch aus eigener Kraft vom Tatort weg und vor das Haus M-Weg Nr. ## begeben konnte, bevor er dort zusammen brach.
112Der Nebenkläger selbst hat zum Ende des Kampfgeschehens geschildert, dass zu der Zeit, als er mit beiden Händen die Klinge des Schwertes umgriffen gehabt habe, der Zeuge J erschienen sei und ihn aufgefordert habe, das Messer loszulassen. Das habe er aber zunächst nicht getan, sondern gesagt, dass er gerade abgestochen worden sei. Der Zeuge J habe sich dann auf den Angeklagten gestürzt, bis dieser das Messer losgelassen habe. Er – der Nebenkläger – sei dann in Richtung Straße gegangen und habe mit seinem Handy die Polizei verständigen wollen, als der Zeuge R aus einem Gebüsch vor ihm gekommen sei und ihn aufgefordert habe, ihm das Handy zu geben. Er habe zwar gewusst, dass der Zeuge R ihm nicht helfen würde, diesem aber aus Angst vor einem weiteren Angriff das Handy übergeben. Auf seine Bitte, ihm zu helfen, habe R entgegnet, ihm sei egal, was mit ihm – dem Zeugen T – passiere. Den Angeklagten und den Zeugen J habe er nach der Beendigung des Gerangels nicht mehr wahrgenommen.
113Der Zeuge J, der auch nach eigenen Angaben erheblich alkoholisiert war, hat geschildert, dass, nachdem alle anderen weggerannt seien, er sich auf den Heimweg gemacht habe. Auf seinem Weg nach Hause habe er auf einer Rasenfläche einen blonden Mann auf einer anderen Person, die er nicht habe erkennen können, liegen sehen. Er sei davon ausgegangen, dass es sich bei dem Blonden um den langen dünnen Mann aus der Wohnung gehandelt habe, aus der er kurz zuvor herausgeworfen wurde. Da er diesen vor dem Haus mit dem „Rambomesser“ in der Hand gesehen habe, habe er um Schlimmeres zu verhindern, eingegriffen. Er habe den Blonden – den er in der Hauptverhandlung als den Angeklagten identifiziert hat – „aus Zivilcourage“ weggetreten und von dem unter ihm liegenden Menschen weggeschubst, weil er schon davon ausgegangen sei, dass das Zierschwert sonst weiteren Schaden hätte anrichten können. Anschließend sei er auch aus Angst, selbst angegriffen zu werden, direkt nach Hause.
114Der Zeugen R hat demgegenüber angegeben, er habe sich, da er Hilferufe aus Richtung der Wiese gehört habe, dorthin begeben. Dort angekommen, habe er den Nebenkläger in seine Richtung taumeln sehen, wobei dieser unverständliche Worte gestammelt habe. Der Angeklagte habe seitlich hinter dem Nebenkläger gestanden und das Messer in der Hand gehalten, einen starren Blick nach vorne gerichtet. Er habe den Angeklagten dann weggejagt und sich um den Nebenkläger kümmern wollen, als schon ein Sanitäter da gewesen sei, der die Versorgung des Nebenklägers übernommen habe.
115Soweit es die Bekundungen der Zeugen J und R betrifft, sind diese zwar schon deshalb unglaubhaft, weil beide Zeugen, wie sie auf Vorhalt selbst eingeräumt haben, bei ihren polizeilichen Vernehmungen noch andere Angaben gemacht hatten. Dort hatte J noch angegeben, sofort nach dem Streit vor der Haustür nach Hause gegangen zu sein, ohne seinen angeblichen den Nebenkläger rettenden Einsatz zu erwähnen. Der Zeuge R hatte angegeben, dass er die auf der Wiese Rangelnden auseinandergezogen habe und dem Angeklagten, bei dem er das Schwert nicht gesehen habe, gesagt habe, er solle „sich verpissen“, was dieser dann auch gemacht habe.
116Mit den Angaben aller drei Zeugen ist es aber letztlich nicht unvereinbar, dass der Angeklagte, bevor er die Wiese verließ, noch die Gelegenheit hatte, den Nebenkläger mit dem Dekoschwert nochmals zu attackieren. Fest steht insofern, dass jedenfalls ganz zum Ende des Geschehens der Angeklagte das Schwert (wieder) in Händen hielt, weil er damit nach den Angaben der Zeugen Z und des in der Wohnung verbliebenen Zeugen A dort erschien. Da sich der Nebenkläger wegen seiner Verletzungen möglicherweise nur langsam wegbewegte, hält es die Kammer auch für möglich, dass es noch eine Situation gab, in der der Angeklagte und der Nebenkläger noch in Sichtweite zueinander auf der Wiese waren, der Zeugen J sich schon entfernt hatte und R, der T eher feindselig gegenüberstand, tatsächlich keine Anstalten machte, zu dessen Gunsten einzugreifen. Für letzteres spricht auch, dass die Zeugen A und D angegeben haben, der Zeuge R habe sich nach seiner Rückkehr in die Wohnung sogleich damit gebrüstet, den „Kanacken“ schwer verletzt zurückgelassen zu haben.
117Zwar hat der Angeklagte das Geschehen, bevor er sich entfernte, selbst nicht so geschildert, sondern angegeben, dass der Nebenkläger nach Eingreifen eines Dritten sofort geflüchtet sei, er selbst diesen jedenfalls nicht mehr gesehen habe. Da diese Einlassung des Angeklagten aber an eine Schilderung anknüpft, die die Kammer aus den ausgeführten Gründen nicht für glaubhaft hält, legt sie auch betreffend die Frage, wie das Kampfgeschehen endete, nicht seine, nicht glaubhaft bestätige Einlassung zugrunde. Hinzu kommt, dass auch mit seiner insofern eher selbstbelastenden Einlassung nicht unvereinbar ist, dass er mit dem Dekoschwert, das er auch nach eigenen Angaben zum Schluss (wieder) hatte, dem flüchtigen Nebenkläger noch hätte nachsetzen können.
118ff) Soweit die Kammer festgestellt hat, dass der Nebenkläger nach Verlassen des engeren Tatorts von den Zeugen F und AK gefunden und gerettet wurde, beruht dies auf den Angaben des Nebenklägers sowie der vorgenannten Zeugen.
119Der Nebenkläger hat insoweit angegeben, dass er eine zunehmende Kraftlosigkeit verspürt habe, sich aber noch zu dem in der Nähe befindlichen Haus – es handelte sich dabei um die Anschrift M-Weg ## – habe schleppen können, wo er durch Hilferufe und vielleicht auch das Betätigen der Türklingel auf sich aufmerksam gemacht habe. Als ein Bewohner des Hauses – der Zeuge K – zu ihm gekommen sei, habe er ihm gesagt, er solle Hilfe holen. Zu dieser Zeit habe er befürchtet, dass er sterben werde. Diese Todesangst habe auch noch angehalten, als die Sanitäter und Polizeibeamten ihn erreicht hätten.
120Die Angaben des Nebenklägers werden durch die uneingeschränkt glaubhaften Angaben des Zeugen K bestätigt, der angegeben hat, er habe etwa gegen ##:40 Uhr Hilfeschreie vernommen. Er habe zu dieser Zeit Playstation gespielt und sei dann, nachdem er die Hilferufe von vor dem Haus kommend – also nicht von der zur Wiese führenden Rückseite – habe verorten können, dorthin gegangen, um nachzusehen. Dort habe er einen Mann am Boden liegen sehen, der sich den Hals gehalten und auf seine Frage, was er tun könne, gesagt habe, er sei abgestochen worden und es solle einen Krankenwagen gerufen werden. Er habe dann sein Handy aus der Wohnung geholt, einen Notruf abgesetzt und seinen Nachbarn, den Zeugen F alarmiert, um mit ihm zusammen die an einem anderen Ort befindlichen Rettungskräfte zu dem Verletzten zu leiten.
121Des Weiteren werden die Schilderungen des Nebenklägers von dem Zeugen F bestätigt, der dessen und die Angaben K bestätigt. Als er von letzterem nach draußen geholt worden sei, habe er eine sich den Hals haltende und am Boden liegende Person angetroffen, die zwar bei Bewusstsein, aber nicht ansprechbar gewesen sei. Er habe den Nebenkläger in einer Art Schockstarre befindlich wahrgenommen. Er sei dann zu den etwas entfernt eingetroffenen Polizeibeamten gerannt, damit der verletzten Person habe geholfen werden können. Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Zeugen F, der mit keiner der am Streit beteiligten Personen bekannt ist und deshalb kein eigenes Interesse am Ausgang des Strafverfahrens hat, sind nicht aufgekommen.
122gg) Die Feststellungen zu den psychischen Folgen für den Nebenkläger beruhen auf seinen eigenen Angaben, ebenso die Feststellungen zu den körperlichen Verletzungen, die durch die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen L gestützt werden.
123Der Nebenkläger hat angegeben, er habe direkt nach dem Stich in den Hals keine Schmerzen verspürt, aber schnell bemerkt, dass er erhebliche Mengen Blut verliere. Als er an der Ecke des Hauses Nummer ## gesessen und auf Hilfe gewartet habe, habe er Angst gehabt zu sterben. Diese Angst habe sich im Rettungswagen gesteigert, da er aufgrund der drastischen Rettungsmaßnahmen – er habe Sauerstoff, einen Knochenzugang im Schienbein und Blutkonserven erhalten – das Gefühl gehabt habe, dass die Sanitäter nicht gewusst hätten, ob sie ihn retten können. Im Krankenhaus habe der behandelnde Arzt ihm vor der Operation gesagt, er solle an seinem Glauben festhalten, was auf ihn ebenfalls so gewirkt habe, als seien die Ärzte unsicher, ob sie ihn angesichts seiner Verletzung würden retten können.
124Er sei nach der Operation noch 2 oder 3 Tage auf der Intensivstation geblieben und insgesamt 2 Wochen stationär behandelt worden.
125Die glaubhaften Angaben des Nebenklägers zu den Verletzungen werden durch die Auswertung der Krankenakte, deren Inhalt der Sachverständige L der Kammer wie festgestellt vermittelt hat, bestätigt und nachvollziehbar ergänzt. Von der Schwere der Verletzungen zeugen ebenfalls die Narben, die die Kammer in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen hat. Diese messen am Hals in der Senkrechten 4,5 cm und in der Waagerechten 8 cm, an der Wange 2 cm. zudem sei die Verletzung des nervus hypoglossus aus sachverständiger Sicht weitaus gravierender, als vom Nebenkläger geschildert. Der Nerv versorge insbesondere die rechte Zungenhälfte, seine Verletzung sei der Grund dafür, dass er beim Nebenkläger eine halbseitige Zungenlähmung diagnostizieren würde, die beim Sprechen – diesem Eindruck schließt die Kammer sich an – deutlich bemerkbar sei. Zudem sei auch zu erwarten, dass der Nebenkläger beim Essen Probleme habe. Die Beeinträchtigungen der Zunge seien auch bei maximalem therapeutischem Aufwand nicht vollständig reversibel, weil sich die Muskulatur durch den fehlenden Nerv bereits zurückgebildet habe. Es sei deswegen davon auszugehen, dass der Nebenkläger den Rest seines Lebens mit der nach rechts abweichenden Zunge und Artikulationsproblemen leben müsse.
126Zu den psychischen Folgen hat der Nebenkläger glaubhaft angegeben, dass die erlittene Todesangst ihn derart geprägt habe, dass er seit dem Vorfall kaum noch rausgehe und nur noch selten Freunde treffe. Er vermeide es grundsätzlich, nachts auf die Straße zu gehen, und habe das Gefühl, dass er an Lebensfreude verloren habe, insbesondere weil er viel ängstlicher sei als früher. Er habe seine schon vor der Tat begonnene einjährige Ausbildung zum Altenpflegehelfer wegen der psychischen Belastung abgebrochen und nunmehr neu begonnen.
127hh) Dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt weder in seiner Steuerungs- noch in seiner Einsichtsfähigkeit erheblich vermindert war, ergibt sich aus folgenden Erkenntnissen und Erwägungen:
128Aufgrund des von der psychiatrischen Sachverständigen Q erstatteten Gutachtens, dem die Kammer sich nach eigener kritischer Prüfung anschließt, ist beim Angeklagten vom Vorliegen keines der vier Eingangsmerkmale des § 20 StGB auszugehen.
129Bei dem Angeklagten liege zunächst keine forensisch relevante intellektuelle Minderbegabung vor. Auch gebe es keinen Hinweis darauf, dass der Angeklagte unter einer psychischen Störung oder Erkrankung leidet, die man dem Rechtsbegriff der krankhaften seelischen Störung zuordnen könne. So habe der Angeklagte weder in seinem bisherigen Leben noch zum hier fraglichen Tatzeitpunkt unter eine schizophrenen Psychose oder einer schizoaffektiven Störung gelitten. Hinweise auf Wahnhaftigkeit, Halluzinationen oder Ich-Störungen hätten sich eben so wenig ergeben wie solche auf eine schwere depressive Symptomatik.
130Auch sei nicht von einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung zum Tatzeitpunkt oder einer die Anforderungen einer krankhaften seelischen Störung erfüllende Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit auszugehen. Anhaltspunkte für eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Sinne einer starken affektiven Beteiligung seien nicht erkennbar. Sie folgten schon nicht aus der Einlassung des Angeklagten, der ja die Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger gesucht haben will, um diesen festzuhalten; ergäben sich aber auch nicht aus Beobachtungen Dritter oder anderen Umständen. Der Angeklagte habe sein Verhalten auch zu jeder Zeit auf die veränderten äußeren Bedingungen anpassen können.
131Anhand des Leistungsbildes des Angeklagten könne nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen auch eine durch die aktuelle Alkoholintoxikation bewirkte krankhafte seelische Störung ausgeschlossen werden. Anhand der um 03:48 Uhr genommenen Blutprobe, die eine Blutalkoholkonzentration von 0,84 o/oo aufwies, errechne sich für den Tatzeitpunkt um etwa ##:50 Uhr eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,64 oo/o bei Zugrundelegung eines stündlichen maximalen Abbauwertes von 0,2 o/oo und eines einmaligen Zuschlags von nochmals 0,2 o/oo. Diese Blutalkoholkonzentration habe den Angeklagten in seiner Fähigkeit, eine Unrechtseinsicht zu bilden und danach zu handeln, nicht wesentlich beeinträchtigt. Das zeige sich sowohl an seinem Vor- als auch seinem Nachtatverhalten. Vor der Tat habe er dem Zeugen J Hilfe geleistet bei dessen vermeintlichen Problemen mit einem Taxifahrer und dann nach der Zuspitzung vor der Haustür die Verfolgung des Nebenklägers aufgenommen, um diesen in Ausübung seiner zumindest subjektiv so verstandenen Rolle als Beschützer der Zeuginnen D und Z und der weiteren Gruppe abzustrafen. Auch bei diesem Geschehen ließen sich körperlich-neurologische Beeinträchtigungen nicht feststellen, insbesondere sei der Angeklagte zu einer raschen Verfolgung des Nebenklägers in der Lage gewesen. Auch an dem geordneten Vorgehen vor und nach Antreffen der Polizeibeamten, als er zunächst das Schwert wegwarf und dann in seiner Beschuldigtenvernehmung eine Notwehrsituation erfand, um sich zu entlasten, zeige sich, dass der Angeklagte unter keinen erheblichen alkoholbedingten Beeinträchtigungen litt, sondern seine Situation zutreffend erfasste. Die Zeugin PK’in N hat insoweit angegeben, dass der Angeklagte auf sie auch keinen alkoholisierten oder berauschten Eindruck gemacht habe. Ihr sei nur aufgefallen, dass er hektisch gesprochen habe, nachdem ihm die Schwere der Verletzung des Nebenklägers mitgeteilt worden seien. Auch aus den folgenden Untersuchungen, insbesondere zur Feststellung der Gewahrsamsfähigkeit und bei der Behandlung der Wunde am Knie, sei kein auf eine übermäßige Alkoholisierung hindeutender Befund mitgeteilt worden, so die Sachverständige. Sie gehe deshalb insofern von einer erhaltenen Verantwortlichkeit des Angeklagten aus, der aufgrund seines ohnehin eher dissozialen Lebensentwurfs eine gewisse Alkoholgewöhnung und -adaption erfahren habe, weshalb die Tatzeitalkoholisierung an sich für ihn nicht zu einer vorübergehenden schweren Beeinträchtigung geführt habe. Gleiches gelte auch unter Berücksichtigung der möglicherweise fortbestehenden Wirkung des mittags/nachmittags gerauchten Cannabis.
132Schließlich sei auch keine dem Rechtsbegriff der anderen seelischen Abartigkeit zuzuordnende Störung bei dem Angeklagten festzustellen. Insofern sei zwar an eine dissoziale Persönlichkeitsstörung zu denken. Die Dissozialität des Angeklagten, die sich u. a. in seiner früh einsetzenden Delinquenz und dem ebenfalls als Ausdruck seiner Dissozialität einzustufendem Substanzkonsum zeige, habe aber bei dem noch vergleichsweise jungen Angeklagten noch nicht das Ausmaß einer Persönlichkeitsstörungen erreicht, sondern nur dasjenige einer -akzentuierung. Der Angeklagte könne nämlich negative Verhaltensanteile auch selbst benennen, habe zuletzt von sich aus einräumen können, gar nicht über die zunächst behauptete abgeschlossene Berufsausbildung zu verfügen und dies aus Scham verschwiegen zu haben. Insgesamt zeige sich sein als dissozial einzustufendes Verhalten als bewusstseinsnah. Auch der Umstand, dass der Angeklagte in der JVA, etwa bei der Arbeit, nicht negativ auffalle, wie sich aus seiner Gefangenenpersonalakte ergeben habe, zeige, dass das Vollbild der Störung nicht erreicht sei.
133IV.
134Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte sich durch die Stiche mit dem Messer wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB. Von dem tateinheitlich begangenen versuchten Totschlag ist er nicht ausschließbar gemäß § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten, indem er die weitere Tatausführung des aus seiner Sicht noch nicht beendeten Versuchs aufgegeben hat.
135V.
1361.
137Für die gefährliche Körperverletzung sieht das Gesetz einen Regelstrafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe vor. Der vom Gesetz vorgesehene minder schwere Fall nach § 224 Abs. 1 a. E. StGB, dessen Vorliegen die Kammer zunächst geprüft hat, lag aus den für die konkrete Strafzumessung geltenden Gründen (dazu sogleich) nicht vor. Denn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit weichen bei einer Gesamtbetrachtung aller wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände nicht so sehr vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle ab, dass die Anwendung des – niedrigeren – Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Insbesondere wiegt die erhebliche Verletzung des Nebenklägers, der in akuter Lebensgefahr schwebte und mit lebenslangen Tatfolgen wird umgehen müssen, schwer und spricht gegen die Annahme eines minder schweren Falles.
138Im Rahmen der nach § 46 Abs. 1 StGB vorzunehmenden Abwägung hat die Kammer die folgenden, wesentlichen Strafzumessungsgesichtspunkte berücksichtigt:
139Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer eingestellt, dass der Angeklagte eingeräumt hat, dem Nebenkläger die Stichverletzungen zugefügt zu haben, obgleich er einen von den tatsächlichen Feststellungen abweichenden Geschehensablauf geschildert hat, in dessen Rahmen er zunächst von dem Nebenkläger mit einem Messer verletzt worden war. Auch die in der Hauptverhandlung ausgesprochene Entschuldigung sowie die an den Nebenkläger übergebenen, selbstverfassten Entschuldigungsbriefe hat die Kammer strafmildernd als Zeichen der Reue bewertet. Dass der Angeklagte alkoholbedingt enthemmt gewesen sein dürfte, wenn auch die Schwelle zur eingeschränkten Steuerungsfähigkeit nicht überschritten war, hat die Kammer ebenfalls zu seinen Gunsten berücksichtigt, wobei insoweit die von ihm selbst geäußerte Erkenntnis, er neige zu aggressivem Verhalten unter Alkohol, die strafmildernde Wirkung einschränkt. Auch hat die Kammer gesehen, dass es ihm seine ins Dissoziale gehende Persönlichkeit ein normgerechtes Verhalten erschweren mag. Ganz wesentlich hat die Kammer das junge Alter des zur Tatzeit erst knapp 21 Jahre und 5 Monate alten Angeklagten zu seinen Gunsten berücksichtigt, wobei sowohl sein als eher unreif zu bezeichnendes Wesen als auch die Folgen der hier zu verhängenden Strafe für sein weiteres Leben zu der strafmildernden Wirkung führen. Schließlich hat die Kammer auch strafmildernd im Sinne einer Tatprovokation eingestellt, dass der Nebenkläger und seine Freunde den Angeklagten durch ihr Erscheinen und möglicherweise auch verbal aggressives Verhalten reizten.
140Zu Lasten des Angeklagten hat die Kammer die erheblichen Folgen für den Nebenkläger berücksichtigt, der die Tat nur knapp überlebte und zudem auch weiter schwer von der Tat gezeichnet sein wird. So hat der Nebenkläger entstellende Narben am Hals, einerseits vom Stich, andererseits von der operativen Versorgung der Wunde, die wulstig und rot sind. Des Weiteren ist er durch die halbseitige Zungenlähmung infolge der Nervenverletzung beim Sprechen und Essen durch die Schrägstellung der Zunge beeinträchtigt. Zudem ist er auch psychisch noch stark beeinträchtigt und verzichtet trotz seines noch jungen Alters bewusst darauf, rauszugehen und andere Leute zu treffen, weil er angstbelastet ist. Schließlich waren strafschärfend auch die nach JGG geahndeten Verfehlungen des Angeklagten zu berücksichtigen, wobei sich die Kammer bewusst war, dass es sich um – im Vergleich zu einer Verurteilung – weniger erhebliche richterliche Weisungen handelte. Allerdings lag die letzte ihm erteilte Weisung wegen eines einschlägigen Körperverletzungsdelikts zur Tatzeit nur etwa 4 Monate zurück, wodurch offenkundig wird, dass der Angeklagte sich von ihr nicht nachhaltig hat beeindrucken lassen.
141Nach nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt die Kammer eine
142Freiheitsstrafe von 5 Jahren
143für tat- und schuldangemessen.
1442.
145Eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat die Kammer beraten durch die psychiatrische Sachverständige Q nicht angeordnet.
146Die Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass der Angeklagte einen Hang zum Konsum von Cannabis habe, der wohl schon im Bereich eines Abhängigkeitssyndroms liege, mindestens aber den Grad eines schädlichen Gebrauchs erreiche. Die genaue Einordnung könne vorliegend aber auch dahinstehen, da jedenfalls kein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang und der Anlasstat zu erkennen sei. Aus psychiatrischer Sicht sei es eine sichere Erkenntnis, dass der Konsum von Cannabis eine eher dämpfende bis sedierende Wirkung habe, so dass ein ursächlicher Zusammenhang zu der vom Angeklagten bei der Tat an den Tag gelegten Aggressivität nicht bestehe. Der letzte Cannabiskonsum des Angeklagten lag zur Tatzeit nach eigenen Angaben auch schon etwa 10 Stunden zurück, so dass ein möglicher Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Cannabis für die Anordnung der Maßregel ausscheide.
147Demgegenüber sei, so die Sachverständige weiter, ein Zusammenhang zwischen der Alkoholisierung und der Tat erkennbar, da, was der Angeklagte bei sich auch festgestellt hat, der Alkoholkonsum zu einer Steigerung seines aggressiven Verhaltens geführt haben kann. Jedoch sei bei dem Angeklagten kein Hang festzustellen, Alkohol im Übermaß zu konsumieren, weshalb auch insoweit die Unterbringungsvoraussetzungen nach § 64 StGB aus sachverständiger Sicht nicht vorliegen. Dazu im Einzelnen:
148Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein Hang immer dann vor, wenn eine den Täter treibende oder beherrschende Neigung, das Rauschmittel immer wieder in einem Umfang – Maß und Häufigkeit – zu konsumieren, feststellbar ist, durch welche Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 64 Rn. 7).
149In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte zu seinem Alkoholkonsum angegeben, dass er im Jahre 2016, als seine ihm sehr wichtige Großmutter verstorben sei, mit einem verstärkten Alkoholkonsum angefangen habe. Er habe damals noch im W gelebt und zunächst ein paar Bier oder auch mal eine halbe Flasche Rum getrunken. Es sei daraus ein täglicher Konsum von ein bis zwei Bier geworden. Im Sommer 2019 habe es dann mit dem täglichen Konsum von Rum und Wodka angefangen, meistens in der Vierergruppe in der Wohnung A. Zum Teil habe man schon morgens mit Bier angefangen und sich zielgerichtet so betrunken, dass er abends manchmal kaum habe geradeaus gehen können. Wenn er bei der Tafel gearbeitet habe, dann habe er erst abends nach der Arbeit oder am Wochenende angefangen zu trinken.
150Demgegenüber habe der Angeklagte, wie die Sachverständige ausführte, in dem Explorationsgespräch berichtet, er habe den Anfang eines übermäßigen Alkoholkonsums auf die Zeit datiert, in der er bei seiner Mutter in O gelebt habe, also nach der Beendigung der Maßnahme im W. Er habe damals ein kleines Wodkafläschen zum Aufstehen benötigt, sei sonst „schlecht gelaunt“ gewesen. Erst auf Nachfrage, ob er denn auch Entzugserscheinungen gehabt hätte, die sie beispielhaft entsprechend näher benannt habe, habe der Angeklagte dann ausgeführt, dass er damals „sehr, sehr, sehr oft“ zitternde Hände gehabt habe. Anschließend habe er den Konsum von sich aus wieder heruntergefahren, zeitweise sogar völlig beendet, um dann in den Jahren 2019 und 2020 bis zu seiner Inhaftierung in der Wohnung A wieder mehr Alkohol zu trinken, dies allerdings unregelmäßig und vor allem an den Wochenenden. Körperliche Beeinträchtigungen habe er jedoch zu keiner Zeit erlitten und damit geprahlt, er habe sogar mal mit drei oder vier Bekannten zusammen in einer Nacht 11 Flaschen Wodka getrunken. Weiter habe er angegeben, finanzielle Mittel immer vorrangig für Cannabis und gelegentlich Amphetamin ausgegeben zu haben, Alkohol habe insoweit immer eine untergeordnete Rolle gespielt.
151Schon aus diesen voneinander abweichenden Angaben des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum ließe sich, so die Sachverständige, der Rückschluss ziehen, dass er diesen eher aufgebauscht habe und dieser tatsächlich ohne größere Bedeutung war. Dieser Erwägung schließt die Kammer sich an, auch weil – worauf die Sachverständige ebenfalls hingewiesen hat – aus den Vernehmungen der Zeugen D, Z und A, die mit dem Angeklagten eine nicht ganz unerhebliche Zeit zusammen gelebt hatten, keine Erkenntnisse folgen, die für ein Konsumausmaß sprachen, das die Anforderungen an einen Hang erfüllen könnte. So hat die Zeugin D angegeben, dass ihr nichts Besonderes zum Alkoholkonsum des Angeklagten aufgefallen sei. Er habe nicht selten und nicht häufig getrunken, was genau, wisse sie nicht, das sei unterschiedlich gewesen. „Besoffen“ habe sie ihn vielleicht dreimal gesehen. Die Zeugin Z hat angegeben, ihr Lebensgefährte habe Marihuana geraucht, ob das täglich gewesen sei, wisse sie aber nicht. Er habe auch Bier und harte Sachen getrunken, manchmal auch bis zum Rausch. Er sei dann auch aggressiver gewesen. Der Zeuge A hat angegeben, dass der Angeklagte wohl Marihuana geraucht und manchmal – „zu besonderen Anlässen“ – Alkohol getrunken habe. Also vor allem, wenn es was zu feiern gegeben habe. Einen täglichen oder auch nur regelmäßigen Alkoholkonsum habe er nicht beobachtet, obwohl der Angeklagte ja über ein Jahr bei ihm gewohnt habe. Insbesondere aus den Angaben des uneingeschränkt glaubhaften und im Gegensatz zu den Zeuginnen Z und D auch aussagefreudigen Zeugen A entnimmt die Kammer eine deutliche Einschränkung der vom Angeklagten gemachten Angaben betreffend seinen Alkoholkonsum. Es dürfte sich danach bei seinem Konsum um einen Gelegenheitskonsum gehandelt haben, der jedoch – wie die Sachverständige ausgeführt hat – seinem ohnehin dissozial akzentuierten Lebensentwurf entspreche und keinerlei bestimmende Rolle in seinem Leben oder auch nur für seinen Substanzmissbrauch gespielt habe, so dass für den Angeklagten auch keine soziale Gefährdung oder Gefährlichkeit aus dem Konsum von Alkohol erwachsen sei. Ein eingeschliffenes Muster, immer wieder Alkohol im Übermaß zu konsumieren, ließe sich insgesamt anhand der belegbaren Umstände nicht feststellen.
152Diesen insgesamt gut begründeten und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen hat die Kammer sich angeschlossen und daher die Voraussetzung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht als gegeben angesehen.
153VI.
154Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465, 472 Abs. 1 StPO.