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Der Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt, freigesprochen.
Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag wird abgesehen.
Die Adhäsionskläger tragen die gerichtlichen Auslagen im Adhäsionsverfahren und die dem Angeklagten im Adhäsionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
G r ü n d e
2Die Staatsanwaltschaft Münster hat dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 27. August 2018, welche die Kammer mit Eröffnungsbeschluss vom 24. September 2018 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen hat, vorgeworfen, am ##.## 2018 in P1 als Heranwachsender einen Menschen getötet zu haben, ohne Mörder zu sein. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten zur Last gelegt, er habe sich am vorgenannten Tattag gegen 3:00 Uhr aufgrund der Aufforderung des Geschädigten, des am ##.12.1997 geborenen N1, von seiner Wohnanschrift aus in den Stadtpark an der X1-Straße in P1 begeben und dort an der Sitzgruppe hinter der Villa X1 auf den Geschädigten gewartet. Dieser habe den Angeklagten unter einem Vorwand dorthin bestellt, um sich dort mit ihm schlagen zu können. Nach seiner Ankunft habe der Geschädigte anstelle einer Begrüßung den Angeklagten unvermittelt und ohne Vorwarnung mit der Faust gegen die linke Kopfhälfte geschlagen. Nachdem der Angeklagte zunächst die von ihm mitgeführte Bierflasche auf dem Kopf des Geschädigten zerschlagen habe, habe er, da der Geschädigte nicht von ihm abgelassen und ihn weiter leicht geboxt habe, ohne weitere Vorwarnung mit einem in der Brustinnentasche verborgenen, durch ihn in Erwartung einer Auseinandersetzung zum Tatort mitgebrachten ca. 14cm langen Messer mindestens sechsmal wuchtig auf den unbewaffneten Geschädigten eingestochen und diesen am Oberkörper und den Armen getroffen. Der Geschädigte sei unmittelbar und stark blutend zu Boden gegangen und verstorben. Aufgrund der Schwere der dem Geschädigten beigebrachten Verletzungen habe der Angeklagte bei der Tatausführung den Tod des Geschädigten als mögliche Folge seines Tuns erkannt und dieses auch billigend in Kauf genommen, da er aufgrund der Vielzahl und Wucht der beigebrachten Stichverletzungen nicht mehr auf ein „gutes Ende“ habe vertrauen dürfen.
3Die Kammer hat das objektive Tatgeschehen jedenfalls insoweit feststellen können, als dass der Angeklagte dem Geschädigten, nachdem dieser ihn unvermittelt und ohne Vorwarnung mit der Faust gegen die linke Kopfhälfte geschlagen hat, die von ihm mitgeführte Bierflasche auf dem Kopf zerschlagen hat und im weiteren Verlauf der fortgesetzten Auseinandersetzung mit einem Küchenmesser sechs Verletzungen beigebracht hat, von denen eine Stichverletzung zum Tod des Geschädigten geführt hat. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache gemacht. Aufgrund der teils durch die Beweisaufnahme bestätigten, teils nicht widerlegbaren Angaben des Angeklagten zum weiteren Geschehensablauf gegenüber der Polizei, welche die Kammer durch Einvernahme der Vernehmungsbeamten als Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt hat, geht die Kammer unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes jedoch davon aus, dass das Verhalten des Angeklagten wegen Notwehr gerechtfertigt ist. Die Kammer hat den Angeklagten daher aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
4I.
5Der Angeklagte wurde am 27. Januar 2000 in Afghanistan geboren. Er wuchs gemeinsam mit sieben weiteren Geschwistern bei seinen Eltern auf. Nach der Geburt des Angeklagten flüchtete die Familie aus nicht bekannten Gründen in den Iran. Als der Angeklagte sechs Jahre alt war, ging die Familie zurück nach Afghanistan und lebte dort auf dem Land eines Onkels. Nach drei weiteren Jahren zog die Familie zurück nach Mazar-i-Sharif. Der Vater des Angeklagten arbeitete als Maurer und seine Mutter als Hebamme. Nach Angaben des Angeklagten erlebte er seine Kindheit nicht unbelastet, da der Vater gegenüber der Familie gewalttätig war. So schlug der Vater den Angeklagten mit einem Gürtel, einem Kabel, einmal sogar mit einer Sense, wovon der Angeklagte eine Narbe davontrug. Zudem konsumierte der Vater Alkohol sowie Drogen und litt unter einer Spielsucht. Weiter wurde das Familienleben dadurch belastet, dass der Vater eine Liebesbeziehung zu seiner Schwester unterhielt. In Afghanistan erlebte der Angeklagte aufgrund der Kriegszustände im Land auch andere Formen von Gewalt, wie beispielsweise Bombenexplosionen, bei denen Menschen – auch Kinder – ums Leben kamen.
6Der Angeklagte flüchtete mit seinem Vater aus Afghanistan, insbesondere weil die Familie massiv durch die Brüder des Vaters bedroht wurde. Nachdem sich der Angeklagte zunächst für einige Zeit im Iran aufhielt, seine Mutter mit den Kindern nach Teheran floh und der Vater in dieser Zeit als Söldner in der iranischen Armee in Syrien kämpfte, begab sich der Angeklagte auf die Flucht nach Deutschland. Er wurde zunächst in der Türkei in einem Flüchtlingslager festgehalten. Nachdem er dieses verlassen durfte, begab er sich in die Stadt Izmir, wo er erneut auf seinen Vater traf. Gemeinsam mit seinem Vater setzte er auf die griechische Insel Chios über und reiste weiter nach Athen. Nach einer weiteren Flucht über die Balkanroute erreichten sie Deutschland am 15. Dezember 2015. Der Angeklagte und sein Vater hielten sich zunächst für sechs Monate in M1 auf, bevor sie weitere drei Monate in J1 lebten. Nach einer Zuweisung in den Kreis C1 zogen der Angeklagte und sein Vater in eine Wohnung in T1. Wegen der weiter anhaltenden Alkohol- und Spielsucht des Vaters wandte sich der Angeklagte an den Verein „N2 e.V.“ in T1 und bekam dadurch Kontakt zum Fachbereich Jugend und Familie. Aufgrund der schwierigen familiären Umstände wurde der Angeklagte im Februar 2017 in einer Wohngruppe in P1 untergebracht. Dort bewohnte er zunächst ein Zimmer in der Wohngruppe, in welcher weitere sechs Jugendliche betreut werden, die ohne Begleitung nach Deutschland eingereist sind. Nach kurzer Zeit konnte der Angeklagte zur Verselbständigung in einen abgetrennten Wohnbereich dieser Wohngruppe umziehen. Im April 2017 wurde das Ruhen der elterlichen Sorge der Kindesmutter beschlossen und im November 2017 dem Kindsvater das Sorgerecht entzogen und auf einen Amtsvormund übertragen. Der Vater des Angeklagten war zwischenzeitlich in den Niederlanden untergetaucht und gab bei seiner Rückkehr in T1 zu Protokoll an, dass er sich nicht mehr um die Belange seines Sohnes kümmern möchte.
7Der Angeklagte besuchte in Afghanistan eine Regelschule, allerdings aufgrund des Umstandes, dass er nebenher arbeiten musste, nur unregelmäßig. Nach seiner Zuweisung in den Kreis C1 besuchte der Angeklagte den Bildungsgang Ausbildungsvorbereitung – Internationale Förderklasse am Berufskolleg für Technik in B1. Den Bildungsgang schloss der Angeklagte im Sommer 2017 mit gutem Erfolg ab. Während dieser Zeit absolvierte er verschiedene Praktika und konnte sich hierüber erfolgreich für eine Ausbildung als Metallbauer bei der Firma G1 Fahrzeugbau qualifizieren. Der zielstrebige und ehrgeizige Angeklagte konnte während seiner Schulzeit gute Noten erreichen und es gelang ihm in kurzer Zeit, die deutsche Sprache zu erlernen. Am 1. August 2017 begann der Angeklagte eine Ausbildung bei der Firma G1 Fahrzeugbau in P1. Hinsichtlich dieser Ausbildung erhielt der Angeklagte stets positive Rückmeldungen und hatte Freude an der Ausbildung. Aufgrund des sehr fachbezogenen Unterrichts hatte der Angeklagte zunächst schulische Schwierigkeiten und erhielt zweimal wöchentlich eine durch die Agentur für Arbeit finanzierte Nachhilfe. Hierdurch konnte der Angeklagte auch im schulischen Bereich schnell Fortschritte machen. In der Wohngruppe in P1 integrierte sich der Angeklagte schnell, so dass die Maßnahme insgesamt positiv verlief. So war der Angeklagte für die anderen Bewohner dieser Wohngruppe wie ein großer Bruder und galt als Vorbild für die jüngeren Mitbewohner.
8Der Angeklagte hat eine enge Beziehung zu seiner Mutter. Die räumliche Trennung zu ihr und seinen Geschwistern fällt dem Angeklagten schwer, auch wenn er seitens der Mutter die Unterstützung erhält, das Richtige zu tun, indem er sich in Deutschland ein neues Leben aufbaut. Der Angeklagte hatte bis zu seiner Inhaftierung zu der Mutter telefonischen Kontakt. Derzeit besteht kein Kontakt.
9In der Freizeit geht der Angeklagte gerne mit Freunden feiern. Dabei konsumiert der Angeklagte am Wochenende Alkohol.
10Von März bis April 2016 erstellte die Diplom-Psychologin G2 einen Bericht über den psychologischen Eindruck des Angeklagten. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte nicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet.
11Der Angeklagte ist strafrechtlich nicht vorbelastet.
12Ein Asylantrag des Angeklagten wurde zwischenzeitlich negativ beschieden.
13Er wurde in dieser Sache am 21. Mai 2018 vorläufig festgenommen und befand sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Münster vom selben Tag (Az.: 1 -### Gs ##/##) in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt X2. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2018 hat die Kammer den Haftbefehl aufgehoben.
14II.
15Tatvorgeschichte
Der 1,70 m große und ca. 60 kg schwere Angeklagte und der 1,75 m große und 91 kg schwere Geschädigte N1 kannten sich aufgrund verschiedener Begegnungen. Beide waren wiederum mit der Zeugin C2 bekannt.
18Der Angeklagte lernte die Zeugin C2 im Jahr 2017 am Bahnhof in P1 kennen. Der Angeklagte und die Zeugin C2 unterhielten sich und tauschten die Handy-Nummern aus. Der Angeklagte, der bemüht war, eine Freundin zu finden, suchte fortan den Kontakt zu der Zeugin C2. So kam es immer wieder zu WhatsApp-Chats und gelegentlichen Aufeinandertreffen. Der Angeklagte schrieb der Zeugin mehrfach, dass er sie liebe und irgendwann mit ihr verheiratet sei. Auch wandte er sich – wohl auch, da dies im kulturellen Umkreis des Angeklagten üblich ist – an den Vater der Zeugin und bat um ein Treffen mit seiner Tochter. Die Zeugin C2 lehnte eine Beziehung mit dem Angeklagten zwar ab, erklärte ihm, dass sie „nix für ihn fühle“ und er sie vergessen solle, führte den Chat mit dem Angeklagten aber dennoch über mehrere Monate fort.
19Neben gelegentlichen Treffen in der Innenstadt oder auf der Straße gab es zudem folgende Aufeinandertreffen der Beteiligten:
20An einem nicht näher konkretisierbaren Tag Anfang 2018 kam es zu einem Treffen zwischen dem Angeklagten und der Zeugin C2, weil der Angeklagte die Gaststätte „I1“ aufsuchte, für welche er von seinem Arbeitgeber zu Weihnachten einen Verzehrgutschein geschenkt bekommen hatte. Dort arbeitete die Zeugin C2, was dem Angeklagten bekannt war. Nach Ende der Arbeitszeit der Zeugin C2 fuhr der Angeklagte ihr mit dem Fahrrad auf dem Heimweg hinterher. Da der Zeugin dies unangenehm war, bog sie in einen Waldweg ein und konnte ein weiteres Nachfahren verhindern.
21Die Zeugin C2 begegnete dem Angeklagten zudem auf einem Zeltfest an Rosenmontag, dem 12. Februar 2018. Die Zeugin besuchte das Zeltfest mit einer Freundin und traf dort auf ihren weiteren Bekannten X3. An diesem Abend lernte die Zeugin C2 auch den Geschädigten N1 kennen, der ein Freund des X3 war. Der Angeklagte suchte bei diesem Fest erneut die Nähe der Zeugin und lief ihr hinterher, was diese nervte. Als sie sich deshalb an X3 wandte und dieser die Angelegenheit mit dem Angeklagten klären wollte, kam es zu einer Pöbelei zwischen X3 und dem Angeklagten. Um X3 zu unterstützen, ging der Geschädigte N1 zwischen die beiden und schlug ebenfalls zu. Dabei traf der Geschädigte den Angeklagten jedenfalls einmal im Bereich des Kiefers. Als die hinzugerufene Security erschien, gingen die Beteiligten auseinander. Später traf die Zeugin C2 auf den weinenden Angeklagten, der ihr erklärte, überfallen worden zu sein. Der Angeklagte erlitt an dem Abend, was sich erst am nächsten Morgen herausstellte, einen Kieferbruch. Gegenüber dem Zeugen Q1, der als Betreuer in der Wohngruppe arbeitete, gab der stark unter Alkoholeinfluss stehende Angeklagte an, überfallen worden zu sein und sich nicht an den Täter zu erinnern. Der Geschädigte N1 teilte der Zeugin C2 in einem WhatsApp-Chat mit, dass er davon ausgehe, dass er den Kieferbruch durch den Schlag in Gesicht verursacht haben könne. Ob es tatsächlich der Geschädigte war, der den Kieferbruch des Angeklagten verursacht hatte, konnte nicht aufgeklärt werden.
22Zu einem erneuten Aufeinandertreffen kam es bei einem Zeltfest in N3 am ##. März 2018. Der Angeklagte suchte den Abend über erneut die Nähe der Zeugin C2, welche in Begleitung der Zeugin K1 das Zeltfest besuchte, und lief ihr hinterher. Zu einem Gespräch zwischen dem Angeklagten und der Zeugin C2 kam es nicht. Obwohl die Zeugin C2, die das Verhalten des Angeklagten als unangenehm empfand, sich an die Security wandte, half dies nicht, den Angeklagten fern zu halten. Die Zeugin verließ daraufhin das Fest. Einige Tage später schrieb die Zeugin dem Angeklagten eine Nachricht über das Handy, dass er sie in Ruhe lassen solle. Es erfolgte sodann ein wechselseitiger, regelmäßiger Austausch von Nachrichten. Der Angeklagte schrieb der Zeugin etwa, dass er von ihr träume und sie gern jeden Tag einmal sehen wolle. Etwa einen Monat vor dem Tatgeschehen hatten die Zeugin und der Angeklagte jedoch keinen Kontakt mehr.
23Am 8. April 2018 trafen der Geschädigte und der Angeklagte in dem Irish Pub „Q2“ in P1 aufeinander. Die Zeugin M2 und eine Freundin, W1, waren eigentlich mit dem Angeklagten verabredet. Jedoch hatte der Geschädigte ihr geschrieben und sie aufgefordert, ins „Q2“ zu kommen. Als sie das Lokal betraten, saß der Geschädigte gemeinsam mit dem Zeugen X4 an einem Tisch und forderte die Mädchen auf, sich zu ihnen zu setzen. Dieser Aufforderung kamen die Mädchen nach. Als sodann der Angeklagte mit einem Freund in den Pub kam, setzte er sich zu dem Geschädigten, dem Zeugen X4 sowie der Zeugin M2 und deren Freundin an den Tisch. Dem Geschädigten passte dies jedoch nicht und er schickte den Angeklagten weg, weil er nicht wollte, dass sich der Angeklagte mit seinem Freund bei ihnen aufhält. Daraufhin kam es zu einem Streit, der sich hochschaukelte und in einer gegenseitigen Pöbelei endete. Bevor es zu einer Schlägerei kommen konnte, verließ der Angeklagte mit dem Freund das Lokal. Auch der Geschädigte, die Zeugen X4 und M2 sowie die Freundin der Zeugin M2 verließen den Pub, da sie bei einer Pizzeria etwas zu Essen kaufen wollten. Die Zeugin M2 ging mit ihrer Freundin anschließend nach Hause. Zu diesem Zeitpunkt schrieb der Angeklagte der Zeugin M2 eine Nachricht aufs Handy, in der er sich nach der Adresse des Geschädigten erkundigte und erklärte, er wolle „diesen Jungen ficken“. Die Zeugin M2 leitete einen Screenshot der Nachricht an den Geschädigten weiter. Der Geschädigte antwortete der Zeugin daraufhin, dass der Angeklagte „keine Eier habe“ und er sagen solle, wann er Zeit habe, dann werde er ihn direkt „durchlassen“. Er forderte die Zeugin M2 auf, dies an den Angeklagten weiterzuleiten. Daraufhin schickte die Zeugin dem Geschädigten die Handynummer des Angeklagten. Dieser wandte sich sodann direkt an den Angeklagten und verabredete mit ihm ein Treffen am Bahnhof in P1, da für ihn die Sache in dem Pub nicht geklärt war. Tatsächlich kam es zu einem Treffen am Bahnhof, bei welchem der Geschädigte und der Zeuge X4 sowie der Angeklagte mit Bekannten anwesend waren. Der Geschädigte und der Angeklagte gingen aufeinander los, wobei der Angeklagte, der mit dem Fahrrad unterwegs war, ein offenes Fahrradschloss in der Hand hielt. Nachdem der Geschädigte und der Angeklagte zunächst miteinander redeten, wurde die Stimmung von beiden Seiten aus aggressiver und es kam zu einer gegenseitigen Schubserei, welche jedoch endete, als zunächst ein Auto anhielt und sodann ein zweites, in welchem eine Verwandte des Geschädigten saß, die erklärte, die Beteiligten sollen nach Hause gehen. In diesem Zusammenhang äußerte der Angeklagte gegenüber dem Geschädigten sinngemäß „Du wirst schon sehen“. Tatsächlich trennten sich die Beteiligten, ohne dass es an diesem Tag zu weiteren Auseinandersetzungen kam.
24Letztlich traf der Angeklagte im April 2018, ca. 1 – 2 Wochen nach dem Vorfall im Pub, auf der Kirmes in P1 erneut auf den Geschädigten. Auch dort gerieten sie zunächst verbal aneinander, der Geschädigte gab dem Angeklagten zudem leichte Backpfeifen. Zu weiteren Verletzungshandlungen kam es bei diesem Treffen nicht.
25Einige Tage vor dem Tattag kam es zu engerem Kontakt zwischen dem Geschädigten und der Zeugin C2. Am ##. Mai 2018 traf sich die Zeugin mit dem Geschädigten und einem Freund des Geschädigten vor einem K + K Markt in P1, wo sie etwa zwei Stunden gemeinsam verbrachten. Am nächsten Tag besuchte die Zeugin C2 den Geschädigten zu Hause, wo sie sich näher gekommen sind. Von diesen Annäherungen erzählte die Zeugin niemandem. Zu weiteren Treffen zwischen der Zeugin und dem Geschädigten kam es nicht, da die Zeugin über das Wochenende zu Verwandten nach Bayern reiste. In einem WhatsApp-Chat zwischen der Zeugin und dem Geschädigten berichtete sie jedoch von dem Verhalten des Angeklagten ihr gegenüber, insbesondere hinsichtlich des Aufsuchens am Arbeitsplatz und des Nachlaufens bei dem Zeltfest. Auch übersandte sie dem Geschädigten ein Foto von dem Angeklagten, der sich nicht mehr sicher an dessen Aussehen erinnerte. Sie schrieb dem Geschädigten, dass sie Angst vor dem Angeklagten habe. Kurz vor dem Tatgeschehen schrieb der Geschädigte der Zeugin „Ich box den heute“, wobei er sich dabei auf den Angeklagten bezog. Da die Zeugin keinen Internetempfang hatte, las sie diese Nachricht erst nach dem Tatgeschehen.
26Tatgeschehen in der Nacht vom ##. auf den ##. Mai 2018
a) Tatvorgeschehen
29Am Abend des 20. Mai 2018 traf sich der Geschädigte N1 mit den Zeugen G3, L1 und O1 in P1, um den Abend gemeinsam zu verbringen. Sie nahmen Kontakt zu den Zeuginnen B2, C3 und H1 auf, mit denen sie sich vor einer Shisha-Bar verabredeten. Gemeinsam begaben sie sich auf den Parkplatz vor einem K + K Supermarkt in P1 und „chillten“ dort. Die Jungen konsumierten dabei Wodka, die Mädchen tranken keinen Alkohol. Die Zeuginnen begaben sich nach einiger Zeit zunächst nach Hause zu H1, wo auch die anderen beiden Zeuginnen übernachten wollten. Einige Zeit später, etwa gegen ein Uhr nachts, nahmen N1, G3, L1 und O1 erneut Kontakt zu den Mädchen auf. Daraufhin begaben sich diese ohne Kenntnis der Eltern erneut nach draußen, wo sie gemeinsam mit den Jungen spazieren gingen, sich auf verschiedenen Spielplätzen aufhielten und jedenfalls die Jungen weiter Alkohol tranken. Insgesamt konsumierten die Jungen ein bis zwei Flaschen Wodka, wobei die einzelnen Trinkmengen nicht bekannt sind. Jedoch war keiner der Beteiligten betrunken oder zeigte Ausfallerscheinungen.
30Zuletzt hielten sie sich auf einem Spielplatz auf. Dort beschäftigte sich der Geschädigte auffallend viel mit seinem Handy. Er schrieb über den Instant-Messaging-Dienst Snapchat mit dem Angeklagten, den er in seinem Adressbuch als „Hurensohn“ abgespeichert hatte. N1 verabredete mit dem Angeklagten ein Treffen im Stadtpark am späteren Tatort, nämlich an der Villa X1 an einer sich dort befindlichen Sitzgruppe. Er schrieb dem Angeklagten, der zunächst kein Treffen wollte, sich im Beisein der Zeugin C2 mit ihm treffen zu wollen, die mit dem Angeklagten reden wolle. Der Angeklagte, der erst kurz zuvor nach Hause gekommen war, willigte deshalb doch zu einem Treffen ein. Zwar teilte er dem Geschädigten mit, sich alleine mit ihm treffen zu wollen und dass C2 da rausgehalten werden solle. Gleichzeitig hoffte der Angeklagte aber auch, im Stadtpark auf die Zeugin C2 zu treffen. Der Angeklagte nahm zu dem Treffen ein grünes, ca. 15 cm langes Küchenmesser aus Keramik mit einer Klingenlänge von ca. 8 cm in seiner Hemdtasche mit, weil er Angst vor dem körperlich weit überlegenen Geschädigten hatte und auch damit rechnete, dass der Geschädigte mehrere Personen zu dem verabredeten Treffen mitbrachte.
31Gegenüber den Zeugen erklärte der aufgebrachte und aggressive Geschädigte, er wolle in den Stadtpark, um dort etwas zu klären, da der Angeklagte der Zeugin C2 an den „Arsch“ gefasst habe, er daher mit dem Angeklagten Stress habe und er ihm klar machen wolle, die Hände von ihr zu lassen. Er erklärte den Zeugen, er wolle den Angeklagten „durchlassen“. Gegenüber der Zeugin C3 äußerte der Geschädigte auch, der Angeklagte habe seine Mutter beleidigt. Die Zeugen, die aufgrund des Verhaltens des Geschädigten bereits ahnten, dass es zu einer Schlägerei kommen könnte, konnten ihn nicht von dem vereinbarten Treffen abhalten.
32Die Gruppe begab sich sodann in Richtung Stadtpark, wobei der Geschädigte schnellen Schrittes allein vorging und die anderen in einiger Entfernung folgten. Der Geschädigte erklärte den Zeugen, er wolle das allein klären, sie sollten nur eingreifen, wenn außer dem Angeklagten weitere Personen anwesend seien. Die Zeugin H1 befand sich auf dem Gepäckträger des Fahrrades des Zeugen G3; beide waren die letzten in der Gruppe. Am Stadtpark gegen 3:00 Uhr angekommen ließ der Geschädigte sein Fahrrad bei den Zeugen zurück und begab sich schnell laufend zu dem vereinbarten Treffpunkt, während die Zeugen zunächst am Eingang des Stadtparks in einer Entfernung von etwa 20 Metern warteten. Zwischen dem Tatort und den Zeugen befand sich ein hochgewachsenes Gebüsch.
33b) Tatgeschehen
34Am Tatort vor der Villa X1 befindet sich eine Sitzgruppe bestehend aus zwei Bänken und einem Tisch. Dieser Sitzgruppe schließt sich eine Rasenfläche sowie ein hochgewachsenes Gebüsch an. Hinter dem Gebüsch befindet sich ein Gewässer. Vor Ort war es trotz einer Laterne vor der Villa X1 dunkel und die Sichtverhältnisse in dem dicht bewachsenen Park waren schlecht.
35Der Geschädigte rannte auf den Angeklagten zu, der an dem Treffpunkt allein auf einer der Bänke sitzend wartete, rauchte sowie Bier aus einer Flasche „Desperados“ trank, die er in der Hand hielt. Der Geschädigte streckte dem Angeklagten die Hand entgegen. Diese wollte der Angeklagte zur Begrüßung greifen. In diesem Moment zog der Geschädigte die Hand zurück und schlug ohne Vorwarnung mit der Faust gegen den Kopf des Angeklagten, welcher daraufhin mit der Bierflasche, die er als Linkshänder in der linken Hand hielt, zur Abwehr des Angriffs auf den Kopf des Geschädigten schlug. Die Flasche zerbrach und fiel klirrend zu Boden. Dennoch ließ der Geschädigte nicht von dem Angeklagten ab, sondern griff den Angeklagten weiter an, sodass es zu einer Schlägerei unter Einsatz von Fäusten kam, deren konkreter Verlauf nicht aufgeklärt werden konnte. Dabei bewegten sich der Geschädigte und der Angeklagte von der Sitzgruppe weg in Richtung Gebüsch. Der Geschädigte fixierte den Angeklagten im Verlauf der Auseinandersetzung in einer Art atypischen Schwitzkasten, indem er den rechten Arm um den Hals des Angeklagten hielt und dabei nicht ausschließbar den Arm fest um den Hals drückte. Beide Beteiligten standen sich in dieser Situation Gesicht zu Gesicht gegenüber. Der Angeklagte ergriff vom Geschädigten unbemerkt das mitgeführte Küchenmesser. Mit diesem Messer stach der Angeklagte, um sich gegen den Angriff des Geschädigten zur Wehr zu setzen, der den Angeklagten - jedenfalls nicht ausschließbar - weiter im Schwitzkasten hielt und fixierte, ungezielt auf den Geschädigten ein, was den Geschädigten jedoch nicht direkt in seiner Angriffsfähigkeit beeinträchtigte. Insgesamt stach der Angeklagte sechs Mal auf den Geschädigten ein, bis dieser von dem Angeklagten abließ, auf seinen Arm schaute, an welchem er eine Schnittverletzung erlitten hatte, und sagte: „Ist das dein Ernst? Ist das dein scheiß Ernst?“. Sodann ging der Geschädigte zu Boden. Kurz darauf stand der Geschädigte noch einmal auf und machte einen Schritt auf den Angeklagten zu – nicht ausschließbar in dem Bestreben, den Angriff fortzusetzen – , bevor er kurz danach erneut zu Boden ging, liegen blieb und verstarb. Nachdem der Geschädigte bereits das erste Mal zu Boden gegangen war, führte der Angeklagte keine in irgendeiner Art gegen den Geschädigten gerichteten Verletzungshandlungen mehr durch. Insgesamt dauerte die körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten nur wenige Minuten an. Das mitgeführte Messer warf der Angeklagte in das Gewässer hinter dem Tatort.
36Nachdem die Zeugen das Zerbrechen der Flasche gehört hatten und sodann die körperliche Auseinandersetzung erkannten, begaben sie sich zum Tatort. Als sie ankamen, lag der Geschädigte bereits am Boden, der Angeklagte stand ihm gegenüber. Der Zeuge L1 sowie die Zeuginnen C3, B2 und H1 verließen den Tatort aus Angst vor der Polizei und weil die Situation bei ihnen Panik ausgelöst hatte. Sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge G3 setzten einen Notruf ab. Der Zeuge G3 verband zudem mit einem T-Shirt des Zeugen O1 die für die Zeugen sichtbare Schnittverletzung am Arm des Geschädigten. Der Zeuge G3 begab sich sodann zum Parkeingang, um den Rettungswagen in Empfang zu nehmen. Die eintreffenden Sanitäter, die Zeugen C2 und P2, versuchten lebenserhaltende Maßnahmen durchzuführen, ließen jedoch davon ab, als ihnen bewusst wurde, dass durch die durchgeführte Herzdruckmassage das Blut aus dem Körper des Geschädigten gepumpt wurde und eine weitere Wiederbelebungsmaßnahme aussichtslos war. Der nach den Sanitätern eingetroffene Notarzt L2 konnte nur noch den Tod des Geschädigten feststellen. Die später eingetroffenen Polizeibeamten, die Zeugen PK’in O2, PK’in I2, PHK’in T2 und POK’in C3, sperrten den Tatort ab und separierten die am Tatort verbliebenen Zeugen G3 und O1 sowie den Angeklagten, der den Tatort ebenfalls nicht verlassen hatte, zunächst vom unmittelbaren Tatort. Der Angeklagte verhielt sich ruhig, verließ den Tatort auch nach Eintreffen der Polizei nicht und machte auf die am Tatort anwesenden Zeugen durchweg einen geschockten Eindruck. Bereits gegenüber den als erstes am Tatort eingetroffenen Zeuginnen PK’in O2 und PK’in I2 gab der Angeklagte sich als Täter zu erkennen und gab spontan eine Einlassung hinsichtlich des Tatgeschehens ab. Er wurde von den später zur Unterstützung hinzugerufenen Zeugen POK I3 und POK I4 zur Polizeiwache nach S1 verbracht. Ein von den Zeuginnen PK’in I2 und PK’in O2 durchgeführter Atemalkoholtest ergab beim Angeklagten eine Konzentration von 0,05 mg/l, bei dem Zeugen G3 ein Konzentration von 0,22 mg/l und bei dem Zeugen O1 eine Konzentration von 0,30 mg/l. Das vom Angeklagten ins Wasser geworfene Messer konnte nicht aufgefunden werden, obwohl später durch die Polizei die gesamte Vegetation im Uferbereich gerodet und auch im Wasser nach dem Messer gesucht wurde. Jedoch wurden am Tatort insbesondere Scherben einer Desperadosflasche als auch Blutspuren aufgefunden, welche von der Sitzgruppe bis zum Geschädigten führten.
37Der Geschädigte erlitt eine Stichverletzung im linken Brustkorb 133 cm oberhalb der Sohlenebene. Dieser Stich verläuft annähernd gerade in die Tiefe und hat den linken Lungenoberlappen angestochen. Eine weitere Brustkorb-Stichverletzung verläuft 128 cm oberhalb der Sohlenebene und 11 cm rechts der Mittellinie, etwa 1 cm unterhalb der rechten Brustwarze. Diese Verletzung verläuft ebenfalls annähernd horizontal, durchsetzte den 4. Zwischenrippenraum und eröffnete den Herzbeutel vorderseitig sowie der Vorderwand der rechten Herzkammer. Ein Oberbauchstich befindet sich 112 cm oberhalb der Sohlenebene und ca. 2,5 cm rechts der Mittellinie. Dieser durchsticht das Bauchfell mit knapp 1 cm und die Magenvorderwand mit 7 mm. Alle drei Körperstammstiche hatten einen Stichkanal von ca. 12 cm. Der Geschädigte erlitt zudem an der linken Schulter vorderseitig eine 3,5 cm lange halbkreisförmig konfigurierte Schnittverletzung sowie eine 7 cm lange, glattrandige Hautdurchtrennung an der Innenseite des rechten Oberarms mit einem Wundkanal in Richtung Achselhöhle. Ebenfalls am rechten Arm in der Ellenbeuge fügte der Angeklagte dem Geschädigten eine weitere 7 cm lange, glattrandige Hautdurchtrennung im Sinne einer Schnitt-/Stichverletzung zu. Nicht festgestellt werden konnte, in welcher Reihenfolge der Angeklagte die jeweiligen Stichverletzungen durchführte. Weiter trug der Geschädigte am Übergang von der linken Wange zur linken Schläfe mehrere kleinfleckige, blass rötliche Hautblutungen in einem Areal von ca. 4 cm Durchmesser davon. Der rechtseitige Brustkorbstich, welcher den Herzbeutel vorderseitig eröffnete, verursachte eine Herzbeuteltamponade mit einer Einblutung im Herzbeutel von 380 ml. Zudem befand sich 500 ml Blut in der linken und 700 ml Blut in der rechten Brustkorbhöhle. Diese Herzbeuteltamponade hat den Tod des Geschädigten verursacht.
38Der Angeklagte selbst erlitt eine Weichteilschwellung an der linken Schläfe, welche durch die Einwirkung stumpfer Gewalt verursacht worden ist. Der Angeklagte hatte weiter eine 3 cm lange kratzerartige Veränderung an der linken Halsseite, eine 2,5 cm lange kratzerartige Veränderung an der rechten Halsseite, eine 1,8 cm lange kratzerartige Hautverletzung am rechten Handrücken, sowie kratzerartige Hauptverletzungen am rechten Mittel- und Ringfinger. Diese kratzerartigen Verletzungen rühren von einem spitzen Gegenstand. Darüber hinaus hatte der Angeklagten eine fetzige Schnittverletzung von 2,5 cm Länge am rechten Daumen, welche durch ein Glasfragment oder einen ähnlich scharfen, unregelmäßig konfigurierten Gegenstand verursacht sein kann.
39Die Schuldfähigkeit des Angeklagten war zum Tatzeitpunkt weder erheblich vermindert noch aufgehoben.
40III.
41Die Feststellungen beruhen auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, deren Art und Umfang sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt.
421.
43Die Feststellungen zur Person beruhen auf den Ausführungen der Jugendgerichtshilfe, welche der Angeklagte für zutreffend befunden hat sowie den ergänzenden Angaben des Angeklagten. Die Jugendgerichtshilfe, vertreten durch Frau Q3, hat in der Hauptverhandlung Bericht erstattet und in diesem Zusammenhang den Werdegang des Angeklagten, wie unter I. ist festgestellt, dargelegt. Diesen hat der Angeklagte für zutreffend erklärt und ergänzende Angaben hinsichtlich des Standes des Asylantragsverfahrens sowie seiner persönlichen Situation in der Untersuchungshaft gemacht. Weiter beruhen die Feststellungen zur Person auf den Angaben des Zeugen Q1, der als Betreuer in der Wohngruppe in P1 tätig war und daher engen Kontakt zu dem Angeklagten hatte. Darüber hinaus beruhen die Feststellungen auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 16. November 2018.
442.
45Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung hinsichtlich des Tatgeschehens von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch gemacht. Der Angeklagte hat jedoch im Rahmen der Vernehmung durch die Polizei am ##. Mai 2018 um 9:22 Uhr und erneut um 12:40 Uhr durch den Zeugen KHK I5 und im Rahmen der Vernehmung am ##. Mai 2018 um 13:43 Uhr durch den Zeugen KOK P2 nach entsprechender Belehrung Angaben zur Sache gemacht. Die Kammer hat die Angaben des Angeklagten zur Sache durch Einvernahme der Vernehmungsbeamten, des Zeugen KHK I5 sowie des KOK P2, in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Feststellungen zur Sache beruhen im Wesentlichen auf diesen Angaben des Angeklagten, welche durch das Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme bestätigt und ergänzt wurden, jedenfalls aber nicht widerlegt werden konnten. Dabei ist sich die Kammer des geringeren Wertes des lediglich mittelbar in die Hauptverhandlung eingeführten Geständnisses bewusst und hat dies bei der Beweiswürdigung umfassend berücksichtigt.
46a)
47Die Feststellungen zur Vorgeschichte beruhen auf den durch die Vernehmung der Zeugen KHK I5 und KOK P2 in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei sowie der Einvernahme der Zeugen C2, M2, K1, Q1, L1 und X4.
48Der Zeuge KHK I5, an dessen Glaubwürdigkeit die Kammer keinerlei Zweifel hat und der den Angeklagten am ##. Mai 2018 zwei Mal vernommen hat, hat in der Hauptverhandlung die Angaben des Angeklagten im Rahmen der polizeilichen Vernehmung im Wesentlichen wie folgt wiedergegeben: Der Angeklagte habe berichtet, mit dem Geschädigten seit längerer Zeit Probleme gehabt zu haben. So habe der Angeklagte von einer Auseinandersetzung im „Q2“ berichtet. Dort habe der Geschädigte den Angeklagten von seinem Platz weggeschickt. Auch habe es noch ein Aufeinandertreffen auf der Kirmes in P1 gegeben. Weitere Angaben zur Vorgeschichte hat der Angeklagte nach Aussage des Zeugen I5 ihm gegenüber nicht getätigt.
49Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, an der Glaubhaftigkeit der Angaben des KHK I5 zu zweifeln. Der Zeuge, der aufgrund seiner Tätigkeit als Ermittlungsbeamter mit der Durchführungen von Vernehmungen vertraut ist, hat zwar eingeräumt, im Vorfeld des Hauptverhandlungstermins die Vernehmung noch einmal gelesen zu haben. Er hat jedoch sodann aus der Erinnerung heraus die Angaben des Angeklagten und die Vernehmungssituation und seine eigene, über die Vernehmung hinausgehende Ermittlungstätigkeit detailliert geschildert.
50Der Zeuge P2, an dessen Glaubwürdigkeit die Kammer ebenfalls keinerlei Zweifel hat, hat den Angeklagten am ##. Mai 2018 erneut vernommen. Der Zeuge KOK P2 hat erklärt, der Angeklagte habe ihm gegenüber ausgesagt, er habe die Zeugin C2 im Zug kennen gelernt. Sie hätten die Telefonnummern ausgetauscht und sich anschließend geschrieben. Die Zeugin C2 habe dem Angeklagten mitgeteilt, sie habe einen Freund und das sei okay für ihn gewesen. Hinsichtlich des Geschädigten habe der Angeklagte berichtet, er habe ihn vorher gekannt und etwa einen Monat vor dem Tatgeschehen „Stress“ mit ihm gehabt. Es habe ein Aufeinandertreffen in einer Kneipe gegeben. Der Angeklagte sei mit einem Mädchen, der Zeugin M2 verabredet gewesen. Der Geschädigte sei ebenfalls anwesend gewesen und habe ihn, den Angeklagten, vom Tisch weggeschickt. Er habe sich schließlich – nach einer Auseinandersetzung – mit seinem Kumpel entfernt. Die Zeugin M2 sei mit einer Freundin, dem Geschädigten und einem seiner Freunde gegangen. Der Angeklagte habe die Zeugin M2 angeschrieben und die Adresse des Geschädigten haben wollen. Der habe ihn sodann aufgefordert, zum Bahnhof zu kommen. Der Angeklagte sei mit zwei Kumpeln dort hin, der Geschädigte habe bereits auf ihn gewartet. Dort sei aber nichts passiert. Es seien zwei Autos gekommen, die wohl wegen des Geschädigten gehalten hätten. Er sei dann nach Hause gegangen. Der Geschädigte habe ihn angeschrieben mit „Du Weichei, konntest du nicht allein kommen. Wenn du das nächste Mal so was machst, werde ich deine Fresse polieren“. Ein oder zwei Wochen später habe der Angeklagte den Geschädigten auf der Kirmes in P1 gesehen. Dort habe der Geschädigte den Angeklagten gefragt, ob er Angst habe, was dieser bejaht habe. Der Geschädigte habe ihm, dem Angeklagten, dann „sowas“ gemacht. Nach Angaben des KOK P2 habe der Angeklagte leichte Ohrfeigen gezeigt, um zu erklären, was er mit dem Begriff „sowas“ meine. Der Zeuge KOK P2 berichtete weiter, der Angeklagte habe auf seine Frage, was denn das Problem zwischen ihm und dem Geschädigten gewesen sei, angegeben, das Problem sei, dass er die Zeugin M2 nach der Anschrift des Geschädigten gefragt habe. Das habe den Geschädigten beschäftigt. Hinsichtlich des Kontakts zu der Zeugin C2 habe der Angeklagte erklärt, der Chat mit der Zeugin sei etwa einen Monat vor der Tat abgebrochen.
51Auch hinsichtlich der Angaben des Zeugen KOK P2 hat die Kammer keine Veranlassung, an der Glaubhaftigkeit zu zweifeln. Der Zeuge, der ebenfalls als Ermittlungsbeamter Erfahrung mit der Durchführung von Vernehmungen hat, hat erklärt, seine Vernehmung als Wortprotokoll geführt zu haben und sodann die Vernehmungssituation, seinen Eindruck vom Angeklagten und den Inhalt der Vernehmung wie dargestellt aus sicherer Erinnerung heraus im Wesentlichen wiedergeben.
52Diese durch die Vernehmung der Zeugen KHK I5 und KOK P2 in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Angeklagten sind auch für sich gesehen glaubhaft. Der Angeklagte hat den Zeugen gegenüber die Umstände des Vorgeschehens widerspruchsfrei und in sich schlüssig geschildert. Sie weisen keine Belastungstendenzen zu Lasten des Geschädigten auf, was sich bereits daraus ergibt, dass der Angeklagte einräumt, nach der Adresse des Geschädigten gefragt und diesem damit einen Grund gegeben zu haben, verärgert auf den Angeklagten zu sein. Zudem stehen die Angaben des Angeklagten in Einklang mit dem Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme, auf welchem die Feststellungen zur Vorgeschichte darüber hinaus beruhen.
53So hat die Zeugin C2 in sich schlüssig und ohne Widersprüche in der Hauptverhandlung – wie unter II. 1. festgestellt – sowohl den Kontakt zu dem Angeklagten und einzelne Aufeinandertreffen dargelegt, als auch bekundet, woher sie den Geschädigten kannte. Die Zeugin C2 hat – was sich widerspruchsfrei in die Angaben des Angeklagten einfügt – bestätigt, den Angeklagten am Bahnhof kennen gelernt und anschließend mit ihm Nachrichten über das Handy ausgetauscht zu haben. Weiter hat die Zeugin bekundet, der Angeklagte sei aufdringlich gewesen, sei ihr nachgefahren, habe ihren Vater kontaktiert und sie bei der Arbeit bei „I1“ aufgesucht. Auch hat die Zeugin das Geschehen beim Zeltfest am Rosenmontag, den 12. Februar 2018, geschildert. So hat sie erklärt, der Angeklagte sei ihr nachgelaufen, was sie genervt habe. Daraufhin habe sie sich an X3, einen Freund gewandt, der sich an den Angeklagten wandte, um die Sache zu klären. Als es zwischen dem Angeklagten und X3 zu einer Pöbelei gekommen sei, sei der Geschädigte dazwischen gegangen, um X3 zu unterstützen. Der Geschädigte habe den Angeklagten mit der Faust geschlagen. Später habe sie den Angeklagten weinend mit der Security gesehen und er habe ihr gesagt, er sei überfallen worden. In diesem Zusammenhang hat die Zeugin bekundet, über das Geschehen an Rosenmontag mit dem Geschädigten geschrieben zu haben. Der Geschädigte habe ihr mitgeteilt, den Angeklagten am Kiefer getroffen zu haben und dass er davon ausgehe, er könne den Kieferbruch des Angeklagten verursacht haben.
54Die Zeugin C2 hat zudem von dem Treffen beim Zeltfest in N3 am ##. März 2018 berichtet, wie unter II. 1. festgestellt. Die Zeugin hat erklärt, der Angeklagte habe wiederum ihre Nähe gesucht und sei ihr hinterher gelaufen. Sie hätten nicht miteinander gesprochen. Sie habe sich dann an die Security gewandt. Nachdem dies nicht geholfen habe, habe sie das Fest verlassen. Sie sei erst nur genervt gewesen, nach dem Vorfall in N3 habe sie aber auch Angst gehabt. Sie habe dem Angeklagten einige Tage später geschrieben, dass er sie in Ruhe lassen solle. Trotzdem habe sie weiter mit dem Angeklagten über WhatsApp gechattet, der ihr immer wieder beteuert hat, sie zu lieben. Sie habe ihm zwar geschrieben, dass sie „nix für ihn fühle“, habe den Chat aber auch nicht beendet.
55Hinsichtlich des Geschädigten hat die Zeugin bekundet, diesen Rosenmontag 2018 auf dem Zeltfest kennen gelernt zu haben. Sie hat geschildert, dass es einige Tage vor dem Tattag zu einem näheren Kontakt gekommen sei. Am ##. Mai 2018 habe sie sich mit dem Geschädigten und einem seiner Freunde vor dem K + K Markt in P1 getroffen und etwa zwei Stunden Zeit miteinander verbracht. Am nächsten Tag habe es bei ihm zu Hause ein intimeres Treffen gegeben, sie hätten eine DVD gesehen und seien sich näher gekommen. Davon habe sie aber niemandem erzählt. Die Zeugin hat jedoch erklärt, dass sie mit dem Geschädigten über den Angeklagten geschrieben habe, ihm ein Bild des Angeklagten übersandt und erklärt habe, dass sie wegen der Vorfälle Angst vor dem Angeklagten habe. So habe sie dem Geschädigten eine Nachricht gesandt mit dem Inhalt: „Nein ich habe Angst vor ihm N3 zeltfest ist der mir die ganze Nacht hinterher gelaufen“. Dass der Geschädigte ihr geantwortet hat: „Ich box den heute“ habe die Zeugin erst nach dem Tatgeschehen gelesen, da sie sich bei Verwandten in Bayern aufgehalten habe und dort keinen Internetempfang gehabt habe.
56Die Angaben der Zeugin sind glaubhaft. Sie hat frei von Widersprüchen und nachvollziehbar das Verhältnis zum Angeklagten und zu dem Geschädigten geschildert. Dabei hat die Kammer keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin. Dafür spricht bereits, dass die von dem Geschehen deutlich beindruckte Zeugin, die im Rahmen ihrer Aussage sichtlich aufgeregt war, keinerlei Belastungstendenzen hinsichtlich des Angeklagte zeigte, aber auch nicht den Eindruck erweckte, diesen in Schutz zu nehmen. So hat die Zeugin, die nach den Feststellungen der Kammer auch ein wesentlicher Grund für die Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten war, von sich aus ihr Verhalten gegenüber dem Angeklagten, insbesondere die anhaltenden Chats geschildert. Gleichzeitig hat sie auch den näheren Kontakt zum Geschädigten, auch die in diesem Zusammenhang geäußerte Angst vor dem Angeklagten, dargelegt, und war dabei sichtlich bemüht, das Geschehen aufzuklären.
57Die Angaben der Zeugin C2 werden gestützt von der Aussage der Zeugin K1. Die Zeugin K1 hat den Kontakt der Zeugin C2 zu dem Angeklagten bestätigt, soweit dies in ihrer eigenen Wahrnehmung stand. So hat die Zeugin berichtet, es habe zufällige Treffen zwischen dem Angeklagten und der Zeugin C2 gegeben. Der Angeklagte sei in die Zeugin verliebt gewesen, sie aber nicht in ihn. Es habe Rosenmontag auf dem Zeltfest dann eine Prügelei gegeben, an welcher der Geschädigte und der Angeklagte beteiligt gewesen seien. Aber sie wisse nicht, wer für den Kieferbruch des Angeklagten verantwortlich gewesen sei. C2 habe es auch nicht gewusst, ihr aber erzählt, dass es der Geschädigte gewesen sein soll. Der Zeugin C2 habe sie geraten, sie solle, wenn sie nicht in den Angeklagten verliebt sei, den Kontakt sein lassen. Diesen Rat habe die Zeugin aber nicht befolgt. Die Angaben der Zeugin K1 sind glaubhaft. Sie sind in sich schlüssig und stehen in Einklang mit den Angaben des Angeklagten und der Zeugin C2. Die Zeugin ist auch glaubwürdig. Sie zeigte keinerlei Belastungstendenzen und hat ihr Wissen geradlinig mitgeteilt. Dabei hat sie auch keine Scheu gezeigt, Angaben hinsichtlich des von ihr kritisch beurteilten Verhaltens der Zeugin C2, welche eine langjährige Freundin der Zeugin ist, zu machen.
58Die Angaben des Angeklagten werden zudem durch die Aussage des Zeugen Q1 gestützt, auf welchen auch die über die Angaben des Angeklagten hinausgehenden Feststellungen beruhen. Der Zeuge Q1 hat im Rahmen seiner Aussage zunächst bestätigt, dass der Angeklagte eine Freundin gesucht und sich in C2 verliebt habe. Der Zeuge wusste von dem Angeklagten, dass er Kontakt zu C2’s Vater aufgenommen und um ein Treffen gebeten hat sowie von der Einlösung des Essengutscheins bei I1. Weiter hat der Zeuge berichtet, dass der Angeklagte Rosenmontag 2018 im Stadtpark beim Zeltfest gewesen sei. Nachdem andere Jugendliche um 22 Uhr wieder in die Wohngruppe zurückgekehrt seien, habe er den Angeklagten zunächst angerufen und dann gesucht. Nach seiner Rückkehr in die Wohngruppe habe er den Angeklagten stark alkoholisiert in seinem Bett aufgefunden. Erst am nächsten Tag habe sich gezeigt, dass der Kiefer des Angeklagten geschwollen gewesen sei, und es sei ein Kieferbruch diagnostiziert worden. Ihm gegenüber habe der Angeklagte erklärt, er sei auf dem Rückweg überfallen worden, wisse aber nicht, von wem. Die Kammer hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Zeugen. Zwar zeigte sich der Zeuge in der Hauptverhandlung zunächst zurückhaltend, was auch nach eigenen Angaben des Zeugen auf dessen Funktion gegenüber dem Angeklagten als Betreuer in der Wohngruppe zurückzuführen ist und sich vornehmlich auf Angaben zu den persönlichen und familiären Verhältnissen des Angeklagten bezog, welche der Angeklagte dem Zeugen anvertraut hatte. Der Zeuge hat jedoch sodann ausführlich über den Angeklagten berichtet, sodass die Kammer keine Anhaltspunkte dafür hat, dass die Angaben des Zeugen nicht der Wahrheit entsprechen.
59Die Feststellungen zu dem Geschehen im „Q2“ beruhen auch auf den Angaben der Zeugin M2. Diese erklärte, sie sei an dem Tag eigentlich mit dem Angeklagten verabredet gewesen. Der Geschädigte habe ihr jedoch geschrieben und so sei sie mit ihrer Freundin zu dem Geschädigten und dessen Freund, dem Zeugen X4, in den Pub gegangen. Der Angeklagte sei mit einem Freund dazu gekommen und habe sich mit an den Tisch gesetzt. Dies habe dem Geschädigten jedoch nicht gepasst und er habe den Angeklagten weggeschickt. Der Geschädigte habe zunächst freundlich zum Gehen aufgefordert, der Angeklagte sei der Aufforderung nachgekommen. Dann habe sich die Sache aber hochgeschaukelt und beide hätten sich „angepöbelt“. Nach Einschätzung der Zeugin ging diese Pöbelei von beiden Seiten aus. Es sei kurz vor einer Schlägerei gewesen, aber dann seien der Angeklagte und dessen Freund gegangen. Sie habe mit den anderen auch das Lokal verlassen in Richtung Bahnhof. Sie und ihre Freundin seien nach Hause gegangen. Die Zeugin schilderte zudem, dass der Angeklagte ihr geschrieben und gefragt habe, wo der Geschädigte wohne. Sie habe das an den Geschädigten weitergeleitet und mitgeteilt, dass der Angeklagte den Geschädigten suche. Auf Vorhalt hat die Zeugin bestätigt, dass sie dem Geschädigten einen Screenshot einer Nachricht des Angeklagten übersandt habe, in welcher dieser fordert, dass die Zeugin ihm mitteilt, wo „der“ wohne, dann würde er diesen Jungen „ficken“. Der Geschädigte habe eine Sprachnachricht übersandt, in der er erklärt habe, der Angeklagte habe „keine Eier“ und er solle sagen, wann er Zeit habe, dann werde er ihn direkt „durchlassen“. Der Angeklagte solle zur Kreuzung am Bahnhof kommen. Sie, die Zeugin M2, habe dem Geschädigten daraufhin die Nummer des Angeklagten gesandt. Die Angaben der Zeugin sind glaubhaft. Sie hat in der Vernehmung neutral das erlebte Geschehen geschildert und zeigte in ihren Angaben keinerlei Widersprüche. Die Kammer hat mithin keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme falscher Angaben.
60Die Feststellungen zu dem Geschehen im „Q2“ sowie anschließend am Bahnhof in P1 beruhen auch auf den Angaben des Zeugen X4, soweit ihnen gefolgt werden konnte. Der Zeuge hat erklärt, er kenne den Geschädigten seit etwa 6 – 7 Jahren. Er habe sich eigenständig bei der Polizei gemeldet, um nach dem Tatgeschehen Angaben zu der von ihm miterlebten Auseinandersetzung zu machen. Insofern erklärte der Zeuge, mit dem Geschädigten im „Q2“ in P1 gewesen zu sein und dort die Zeugin M2 und deren Freundin getroffen zu haben. Der Zeuge erklärte, der Angeklagte und ein Freund hätten sich dann einfach zu ihnen gesetzt, räumte jedoch ein, dass der Angeklagte eigentlich mit der Zeugin M2 im Stadtpark verabredet gewesen sei. Nach Aufforderung des Geschädigten habe sich der Angeklagte nach einiger Diskussion dann weggesetzt. Später hätten sie das Lokal verlassen, um Pizza zu kaufen. Die Mädchen seien nach Hause gegangen. Die Zeugin M2 habe aber dann geschrieben, dass der Angeklagte den Geschädigten sehen wolle und habe dem Geschädigten die Nummer des Angeklagten weitergeleitet. Es sei dann zu einem Chat zwischen dem Geschädigten und dem Angeklagten gekommen, dessen Inhalt der Zeuge nicht gelesen, sondern nur von dem Geschädigten berichtet bekommen habe. Es sei daraufhin zu einem Treffen am Bahnhof gekommen, der Angeklagte sei mit fünf bis sechs Leuten da gewesen und habe ein offenes Fahrradschloss in der Hand gehalten, mit welchem er auf den Zeugen und den Geschädigten zu gekommen sei. Die Kumpel des Angeklagten hätten ihn zurückgehalten. Der Zeuge erklärte, der Angeklagte sei sehr aggressiv gewesen, es sei kurz vor einer Schlägerei gewesen. Der Geschädigte sei auch aggressiv gewesen, aber nur leicht und auch „ausgleichend“. Es sei zu einer kleinen Schubserei gekommen. Die Aggressionen seien vom Angeklagten ausgegangen, aber der Geschädigte sei dann auch aggressiv geworden und habe zurückgeschubst. Dann habe erst ein Auto angehalten und dann ein weiteres, in welchem eine Verwandte des Geschädigten gesessen habe, die sie nach Hause geschickt habe. Daraufhin seien alle gegangen. Der Angeklagte habe noch eine Äußerung im Sinne von „Du wirst schon sehen“ gemacht. Ganz sicher sei er sich dahingehend aber nicht, eher zu „80 %“. Die Angaben sind, was das objektive Geschehen angeht, mit der Aussage der Zeugin M2 sowie mit den Angaben des Angeklagten in Einklang zu bringen, zeigen keine Widersprüche auf und sind für die Kammer daher glaubhaft. Der Zeuge zeigte jedoch eine deutliche Tendenz, den Geschädigten in Schutz zu nehmen und dem Angeklagten – durch die Schilderung seines „aggressiven“ Verhaltens – die Verantwortung für die Auseinandersetzung zu geben. Dies zeigte sich insbesondere darin, dass der Zeuge erst auf wiederholte Nachfrage auch die Stimmungslage des Geschädigten als ebenfalls „aggressiv“ beschrieb, dies dann jedoch abschwächte und hinzufügte, der Geschädigte sei ausgleichend gewesen, was sich schwer mit einer aggressiven Stimmung in Einklang bringen lässt. Insofern folgt die Kammer, was das Geschehen im „Q2“ angeht und Abweichungen in den Aussagen bestehen, den Angaben der Zeugin M2, die neutral und ohne jegliche Belastungstendenzen angegeben hat, die Pöbelei sei von beiden ausgegangen. Diese Schilderung ist plausibel, da es der Geschädigte war, der ein Treffen am Bahnhof einforderte, nicht aber der Angeklagte, welcher zuvor von dem Geschädigten vom Tisch weggeschickt worden war. Gleiches gilt für die Feststellungen zum Geschehen am Bahnhof, soweit sich in der Aussage des Zeugen X4 eine Belastungstendenz zu Lasten des Angeklagten zeigte. Feststellungen, welche über die eigenen Angaben des Angeklagten hinausgehen, insbesondere einen vom Angeklagten ausgehenden Angriff, vermochte die Kammer daher nicht zu treffen.
61Die Feststellungen zu dem Inhalt der Nachrichten zwischen dem Geschädigten und der Zeugin M2 nach dem Treffen im „Q2“ beruhen zudem auf der Aussage des Zeugen KOK P2, der im Rahmen seiner Ermittlungstätigkeit die Handys des Geschädigten und des Angeklagten ausgewertet hat. Hinsichtlich des Handys des Geschädigten erklärte der Zeuge, es habe einen Chat zwischen dem Geschädigten und der Zeugin M2 gegeben. Der Zeuge KOK P2 hat die Aussage der Zeugin M2 zum Inhalt dieser Kommunikation vollumfänglich bestätigt. Darüber hinaus hat der Zeuge KOK P2 auch angegeben, dass der Geschädigte den Angeklagten in seinem Handy unter dem Begriff „Hurensohn“ im Adressbuch gespeichert habe.
62b)
63Die Feststellungen zum Tatvorgeschehen (II. 2. a)) beruhen auf den durch die Vernehmung der Zeugen KHK I5 und KOK P2 in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei sowie den Aussagen der Zeugen G3, L1, O1, B2, H1 und C3.
64Die Angaben des Angeklagten am ##. Mai 2018 zum Tatvorgeschehen hat der Zeuge KHK I5 wie folgt wiedergegeben: Der Geschädigte habe den Angeklagten über das Handy angeschrieben und sich mit ihm im Stadtpark in P1 verabredet. Nach Erinnerung des Zeugen I5 sei es um eine Frau gegangen, die der Angeklagte zwar kaum kenne, sie aber liebe.
65Der Zeuge KOK P2 hat von folgenden ergänzenden Angaben des Angeklagten in der Vernehmung vom ##. Mai 2018 berichtet: Der Geschädigte habe mit ihm, dem Angeklagten, der erst kurz vorher nach Hause zurückgekehrt sei, über Snapchat Kontakt aufgenommen. Er selbst habe erst gar nicht zu einem Treffen gehen wollen. Der Geschädigte habe dem Angeklagten aber mitgeteilt, auch die Zeugin C2sei im Stadtpark. Wegen C2 habe der Angeklagte dann doch einem Treffen zugestimmt. Sie sei der Grund gewesen, weshalb er in den Park habe gehen wollen. Den Konflikt habe er hingegen allein mit dem Geschädigten austragen wollen.
66Wie bereits unter 2. a) ausgeführt, hat die Kammer keine Zweifel daran, dass die Angaben der Zeugen KHK I5 und KOK P2 glaubhaft sind. Glaubhaft sind auch die Angaben des Angeklagten, wie von den Zeugen wiedergegeben. Denn diese Einlassung des Angeklagten lässt sich widerspruchsfrei in die Angaben der weiteren Zeugen einfügen, auf welchen auch die weiteren Feststellungen zu dem Tatvorgeschehen in der Nacht vom ##. auf den ##. Mai 2018 beruhen:
67Der Zeuge G3 hat ausgesagt, den Geschädigten seit der dritten Klasse aus der Grundschule zu kennen. Sie seien sehr gut befreundet gewesen. Es habe aber dann mal ein Kontaktverbot seitens der Eltern des Geschädigten gegeben, welches auf Konfliktsituationen mit Drogen beruhe. Der Geschädigte habe – jedenfalls vor dem Kontaktverbot – selbst Drogen konsumiert, insbesondere Gras, Ecstasy, Koks, Pep und MDMA. Trotz des Kontaktverbots habe er bereits zwei Wochen vor dem Vorfall wieder Kontakt zum Geschädigten gehabt. Den Geschädigten selbst beschreibt der Zeuge nicht als generell aggressiv, aber unter Alkohol als übermütig. Er habe Streit und Wortgefechte gesucht. Zwar sei er nicht derjenige gewesen, der eine Schlägerei angefangen habe, habe aber zurückgeschlagen. Der Geschädigte habe eine feste Beziehung mit seiner Freundin geführt. Von der Zeugin C2habe der Zeuge nichts gewusst; der Kontakt zwischen der Zeugin und dem Geschädigten soll nach seiner Kenntnis erst kurz vor dem Tatgeschehen entstanden sein. Den Angeklagten habe er am Tattag das erste Mal gesehen. Zum Geschehen am Abend des ##. Mai 2018 hat der Zeuge bekundet, er habe sich mit dem Geschädigten und den Zeugen O1 und L1 gegen 20:00 Uhr getroffen. Erst habe man geplant, ein Schützenfest zu besuchen, sei dann aber in der Stadt geblieben. Sie hätten sich später mit den Zeuginnen B2, C3 und H1 verabredet und sie an einer Shisha-Bar abgeholt. Er habe mit den anderen Jungen an dem Abend Wodka konsumiert, es sei aber keiner betrunken gewesen. Auch im Verlauf des Abends habe insbesondere der Geschädigte keine Ausfallerscheinungen gezeigt, wie eine unklare Sprache. An dem Abend hätten sie mit den Mädchen „gechillt“, die aber später zunächst nach Hause gegangen seien. Gegen 1 Uhr nachts hätten sie sich mit den Mädchen aber wieder getroffen. Dieses Treffen sei von beiden Seiten ausgegangen. Dass der Geschädigte über das Handy mit dem Angeklagten geschrieben habe, habe er nicht mitbekommen. Von einer Verabredung habe er erst Kenntnis genommen, als der Geschädigte los gewollt habe. Er habe erklärt, dem Angeklagten klar machen zu wollen, dass er die Hände von C2 lassen solle. Der Zeuge G3 hat erklärt, den Geschädigten von dem Treffen habe abhalten wollen, was ihm aber nicht gelungen sei. Die Gruppe habe sich dann auf den Weg zum Park gemacht. Die Zeugin H1 habe auf dem Gepäckträger seines Fahrrades gesessen und sie seien am Ende der Gruppe gewesen. Der Geschädigte habe dann vorgehen wollen, damit der Angeklagte die weiteren Begleiter nicht sieht. Er habe aber auch gesagt, wenn bei dem Angeklagten mehrere Leute seien, sollten die Zeugen eingreifen. Der Geschädigte sei schnell zum Angeklagten gegangen. Der Zeuge beschreibt dies als „langsames rennen“. Er selbst habe mit den weiteren Zeugen etwa 15 m entfernt vom Tatort gewartet.
68Die Kammer hat keine Zweifel, dass die Angaben des Zeugen G3 zutreffend sind. Der Zeuge hat frei heraus und geradlinig das Geschehen geschildert. Dabei war dem Zeugen deutlich anzumerken, dass er von dem Ausgang des Geschehens nachhaltig beeindruckt war. Er zeigte dennoch keine Tendenzen, Angaben zu verharmlosen, sondern die Bereitschaft, auch für ihn unangenehme Umstände, wie das Kontaktverbot oder die Tatsache, dass er den Geschädigten nicht von dem Treffen abgehalten hat, zu schildern. Insgesamt hält die Kammer die Aussage des Zeugen ohne Zweifel für glaubhaft.
69Auch der Zeuge O1 hat das Tatvorgeschehen wie unter Ziff. II. 2. a) festgestellt geschildert. Seine Angaben stimmen mit denen des Zeugen G3 überein. So hat der Zeuge insbesondere geschildert, dass er sich zunächst mit dem Geschädigten und den Zeugen G3 und L1 getroffen habe und die Mädchen später dazu gekommen seien. Die Jungen hätten Wodka konsumiert. Der Zeuge O1 hat bestätigt, dass der Geschädigte später dem Angeklagten geschrieben und sich mit ihm im Stadtpark verabredet habe. Als Grund gab der Zeuge O1 an, es sei um die Freundin des Geschädigten gegangen und er habe was mit dem Angeklagten klären wollen. Der Geschädigte sei sauer gewesen. Sie seien dann zum Stadtpark gegangen. Am Park habe der Geschädigte ihm sein Rad gegeben und sei allein vorgegangen. Der Geschädigte sei außer Sichtkontakt gewesen und er habe mit den anderen Zeugen in einiger Entfernung gewartet. Auch die Aussage des Zeugen O1 zum Tatvorgeschehen ist glaubhaft. Es ergeben sich keinerlei Widersprüche zu der Aussage des Zeugen G3.
70Gleiches gilt für die Aussage des Zeugen L1, der den Geschädigten seit der 5. Klasse kannte, den Angeklagten seit einigen Wochen vom Sehen. Der Zeuge hat das Tatvorgeschehen ebenfalls wie unter II. 2. a) festgestellt geschildert. Auch der Zeuge L1 hat berichtet, dass die Jungen sich an dem Abend getroffen hatten, um zu einem Fest zu gehen. Sie hätten aber davon abgesehen und sich dann mit den Zeuginnen B2, H1 und C3 getroffen. Die Jungen hätten Alkohol getrunken; Drogen seien nicht konsumiert worden. Der Zeuge L1 hat insbesondere bestätigt, dass der Geschädigte, als sich die Gruppe auf einem Spielplatz aufgehalten habe, über Handy-Nachrichten sich mit dem Angeklagten im Stadtpark verabredet habe. Dazu habe der Geschädigte erklärt, er habe Stress und wolle das klären. Der Zeuge beschrieb den Geschädigten als aufgeregt. Er habe rumgebrüllt, so dass man habe vermuten können, dass es zu einer Schlägerei komme. Der Geschädigte habe den Zeugen gesagt, er wolle den Angeklagten „durchlassen“. Dies bedeute, er habe sich mit dem Angeklagten boxen wollen. Er und die weiteren Zeugen hätten den Geschädigten nicht abhalten können, zu dem verabredeten Treffen zu gehen. Der Geschädigte sei dann vorgegangen, die Gruppe habe an einer Hecke gewartet.
71An der Glaubhaftigkeit der Aussage hat die Kammer bereits keine Zweifel, weil sie sich ohne jegliche Widersprüche in die Angaben des Angeklagten und der weiteren Zeugen einfügen lässt. Er schilderte das Geschehen sicher aus seiner Erinnerung und hat auch die Verabredung des Geschädigten mit dem Angeklagten trotz seiner Beziehung zu dem Geschädigten ohne Entlastungstendenzen dargestellt.
72Die Feststellung zu II. 2. a) werden darüber hinaus getragen durch die glaubhafte Aussage der Zeugin B2, die das Tatvorgeschehen ebenfalls wie in den Feststellungen wiedergegeben geschildert hat. Die Zeugin hat erklärt, den Geschädigten seit ein paar Jahren zu kennen und mit ihm gut befreundet gewesen zu sein. Den Angeklagten kenne sie vom Sehen. Hinsichtlich des Tatvorgeschehens hat die Zeugin das Treffen mit den Zeugen bestätigt, ebenso wie den Umstand, dass sie, nachdem sie zunächst zu der Zeugin H1 nach Hause gegangen waren, sich später erneut ohne Kenntnis ihrer Eltern getroffen und insbesondere auf verschiedenen Spielplätzen gechillt zu haben. Auch hat die Zeugin beschrieben, dass der Geschädigte den Angeklagten über Snapchat angeschrieben habe. Der Geschädigte habe gesagt, es gehe um ein Mädchen, der Angeklagte soll ihr „an den Arsch gepackt“ haben. Daher wolle er zum Stadtpark und das klären. Sie sei in diesem Moment davon ausgegangen, er wolle mit dem Angeklagten reden. Sie seien dann zum Park gelaufen, der Geschädigte vorne weg. Der Geschädigte habe jemand anderem sein Rad gegeben und sei dann in den Park vorgelaufen. Es haben sich für die Kammer keine Anhaltspunkte ergeben, an der Glaubhaftigkeit der Aussage zu zweifeln, zumal die Zeugin – wie auch ihre Freundinnen – sich zwar zunächst vom Tatort entfernt hatte, später aber eigenständig – um der Aufklärung der Sache zu dienen – bei der Polizei gemeldet und als Zeugin zur Verfügung gestellt hat.
73Auch die Zeugin C3 hat in ihrer Zeugenaussage das Tatvorgeschehen wie unter II. 2 a) festgestellt bekundet. Die Zeugin kannte den Angeklagten gar nicht, den Geschädigten hatte sie nach eigenen Angaben erst etwa einen Monat vor dem Tattag über ihre Freundin, die Zeugin B2, kennen gelernt. Weiter hat die Zeugin das Treffen mit den Zeugen, das erneute Treffen, nachdem die Mädchen zunächst nach Hause zu H1 gegangen waren, sowie die Verabredung des Geschädigten mit dem Angeklagten wie festgestellt geschildert. Dabei hat die Zeugin insbesondere berichtet, dass der Geschädigte sich viel mit seinem Handy beschäftigt habe und auf ihre Nachfrage erklärt habe, es sei alles gut, aber er müsse etwas klären. Es gehe um seine Ex-Freundin und dass da so ein Flüchtling sei, der seine Mutter beleidigt habe und er das unter vier Augen klären wolle. Der Geschädigte sei „auf 180“ gewesen und habe unbedingt zu dem Treffen gewollt. Die Kammer hat keinerlei Anhaltspunkte, an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugen zu zweifeln, die sich widerspruchsfrei in das weitere Ergebnis der Beweisaufnahme einfügen.
74Letztlich bestätigt auch die Zeugin H1 die von der Kammer zum Tatvorgeschehen getroffenen Feststellungen. Die Zeugin H1 kennt den Angeklagten ihren Angaben zufolge vom Sehen, den Geschädigten hatte sie ca. ein halbes Jahr vor dem Tatgeschehen kennengelernt und ca. zwei Mal etwas mit ihm und weiteren Freunden unternommen. Zum Tatvorgeschehen hat die Zeugin wie festgestellt das Treffen mit den Jungen, das wiederholte Treffen, nachdem sie zunächst nach Hause gegangen waren, und das Geschehen vor dem Stadtpark geschildert. Insofern hat die Zeugin H1 zwar erklärt, die Verabredung des Geschädigten mit dem Angeklagten nicht direkt mitbekommen zu haben. Der Geschädigte habe aber gesagt, dass er zum Stadtpark wolle, dass er unbedingt etwas klären müsse. Dabei sei es um ein Mädchen gegangen, dem jemand „auf den Arsch geklatscht“ habe. Die Zeugin C2 gehe in ihre Klasse, sie habe aber erst zwei oder drei Wochen nach dem Geschehen erfahren, dass es um sie gegangen sei. Die Angaben der Zeugin sind in sich schlüssig, lassen sich in Einklang bringen mit den übrigen Aussagen und stellen sich für die Kammer damit als glaubhaft dar.
75c)
76Die Feststellungen zum engeren Tatgeschehen beruhen auf den durch die Vernehmung der Zeugen KHK I5 und KOK P2 in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei, die von dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt wurden und - soweit dies nicht der Fall ist - jedenfalls nicht widerlegt werden konnten.
77Der Zeuge KHK I5 hat die Aussage des Angeklagten im Rahmen seiner Vernehmung am ##. Mai 2018 im Wesentlichen wie folgt wiedergegeben:
78Er, der Angeklagte, habe im Park gewartet, habe eine Flasche Bier getrunken und eine Zigarette geraucht. Der Geschädigte sei gekommen, die anderen erst später. Der Geschädigte habe ihm die Hand gereicht, er habe zufassen wollen. Aber der Geschädigte habe die Hand zurückgezogen und mit der Faust gegen die linke Kopfhälfte geschlagen. Er habe daraufhin mit der Bierflasche, welche er in der Hand hatte, auf den Kopf des Geschädigten geschlagen. Die Flasche sei zerbrochen. Mit dem Rest der angebrochenen Flasche, die er in der Hand gehalten habe, habe er in Richtung des Geschädigten gestochen, um sich zu verteidigen. Der Geschädigte sei zu Boden gegangen. Er selbst habe den Ort nicht verlassen, sondern habe mit dem eigenen Handy den Notarzt gerufen. Der Zeuge I5 hat erklärt, dass er diesem Punkt nachgegangen sei und sich ergeben habe, dass von dem Handy des Angeklagten um 3:09 Uhr ein Notruf bei der Leitstelle der Feuerwehr eingegangen sei. Weiter hat der Zeuge KHK I5 erklärt, dass er dem Angeklagten im Rahmen der Vernehmung mitgeteilt habe, dass der Geschädigte verstorben sei. Dieser habe daraufhin geschockt gewirkt, habe mehrfach nachgefragt, ob das wirklich stimme. Zudem habe der Angeklagte ihm gegenüber geäußert, dass er den Geschädigten auf keinen Fall habe umbringen wollen; er habe sich bei ihm entschuldigen wollen, aber keinen Streit gewollt. Von einem Messer habe der Angeklagte ihm gegenüber keine Angaben gemacht. Nach Vorhalt eines Vermerks vom ##. Mai 2018 hat der Zeuge bestätigt, dass es noch am selben Tag eine Nachvernehmung gegeben habe, über welche er einen Vermerk gefertigt habe, an den Inhalt jedoch keine konkrete Erinnerung habe.
79Die Kammer hat dem Zeugen I5 daraufhin folgenden Vermerk vorgehalten:
80„Um 12:40 Uhr wurde der Beschuldigte in den hiesigen Räumlichkeiten mündlich nachvernommen. Er gab an, dass er sich bei dem Opfer habe entschuldigen wollen, er sei nicht mit der Absicht zum Treffpunkt gegangen, um sich zu schlagen.
81Er könne auch definitiv nicht sagen, wie oft er zugestochen hätte. Nachdem der Geschädigte den Beschuldigten in der zuvor genannten Art geschlagen hätte, habe der Geschädigte den Beschuldigten in den sogenannten „Schwitzkasten“ genommen. In dieser Situation habe der Beschuldigte auch zugestochen.
82Später sei der Geschädigte alleine zu Boden gegangen. Der Beschuldigte habe nicht auf dem Boden gelegen.“
83Hierzu hat der Zeuge KHK I5 erklärt, dass die Angaben zutreffend seien, wenn er dies so vermerkt habe. Weiter hat er ausgeführt, dass es sich bei der wörtlichen Rede nicht um ein Zitat des Angeklagten, sondern um seine eigene Beschreibung der geschilderten Situation handele. Er verstehe unter dem Begriff „Schwitzkasten“ das Einklemmen des Kopfes bzw. des Halses unter dem Arm.
84Wie bereits unter III. 2. a) dargestellt hat die Kammer keinerlei Zweifel daran, dass die Angaben des Zeugen zutreffend sind. Dies gilt auch für die vom Zeugen I5 bestätigten Angaben in dem noch am selben Tag gefertigten Vermerk, da keinerlei Gründe für den Zeugen vorliegen, unzutreffende Angaben in einem polizeilichen Vermerk festzuhalten oder diese nicht der Wahrheit entsprechend als zutreffend zu bestätigen.
85Der Zeuge KOK P2, der den Angeklagten am ##. Mai 2018 ergänzend vernommen hat, hat dessen Angaben zum Tatgeschehen im Wesentlichen wie folgt wiedergegeben: Er habe den Angeklagten das Tatgeschehen zunächst erneut schildern lassen. Dabei habe der Angeklagte – wie in der ersten Vernehmung – dargestellt, dass er auf den Geschädigten im Park gewartet habe, eine Zigarette geraucht und eine Flasche Desperados getrunken habe. Der Geschädigte sei dann gekommen. Er habe mit ihm reden wollen, aber der Geschädigte habe ihn direkt geschlagen. Er habe dann, um sich zu wehren, mit der Flasche zugeschlagen, die zerbrochen sei. Der Geschädigte sei wieder auf ihn draufgegangen. Er habe ihn so genommen. Dann habe der Angeklagte einen Schwitzkasten gezeigt. Der Zeuge P2 hat sodann in der Hauptverhandlung dargestellt, dass der Angeklagte gezeigt habe, dass der Kopf mit dem rechten Arm eingeklemmt gewesen sei. Dann habe der Angeklagte erklärt, mit der Flasche zugestochen zu haben. Der Geschädigte sei zu Boden gegangen und er habe den Rettungsdienst gerufen. Der Zeuge P2 hat geschildert, dass er dem Angeklagten das Ergebnis der Obduktion vorgehalten habe, aus welchem sich ergebe, dass mit einem Messer zugestochen worden sein muss, nicht mit einer Scherbe. Der Angeklagte habe zunächst weiter daran festgehalten, mit der Bierflasche zugestochen zu haben, ein Messer habe er nicht gehabt. Erst als der Zeuge dem Angeklagten mitgeteilt habe, man werde nach dem Messer suchen und könne ggf. seine DNA nachweisen, sei der Angeklagte eingeknickt. Er habe sehr emotional reagiert und angefangen zu weinen. Er habe geäußert, dass jetzt alles egal und er ein Mörder sei. Er habe beschrieben, dass das zuvor geschilderte Geschehen mit einem grünen Küchenmesser erfolgt sei, dass insgesamt etwa 14 bis 15 cm lang gewesen sei. Das Messer sei aus einer Packung mit drei Messern; die anderen beiden Messer seien noch in seiner Wohnung. Das grüne Messer habe er später in den Fluss geworfen. Der Angeklagte habe erklärt, er habe gar nicht gewusst, dass man „sowas mit einem kleinen Messer“ machen könne. Er habe das mitgenommen in der Hemdtasche, um etwas zum Verteidigen zu haben. Der Geschädigte sei dann gekommen und habe ihn geschlagen. Er habe ihn schlagen wollen mit der Bierflasche, der habe sich aber weggemacht und die Flasche sei am Boden zerbrochen. Das Messer sei in der Tasche an der Brust gewesen. Der Geschädigte habe ihn in den Schwitzkasten genommen. Er habe dann gestochen. Der Geschädigte habe nicht gesehen, dass er ein so kleines Messer gehabt habe. Beim Herausnehmen des Messers habe er sich selbst geschnitten. Auf Nachfrage habe der Angeklagte erklärt, er wisse nicht, ob er sofort beim ersten Stich getroffen habe. Der Geschädigte habe nicht reagiert und habe weiter geschlagen. Auf die Frage, auf welcher Seite der Geschädigte ihn im Schwitzkasten gehabt habe, habe der Angeklagte mit Hilfe eines anwesenden Kollegen gezeigt, dass es die rechte Seite des Geschädigten gewesen sei. Auf die Nachfrage, ob er hingefahren sei, um den Geschädigten zu töten, habe der Angeklagte dies verneint. Er habe sich entschuldigen wollen, dass sei „scheiße, wenn man jemanden nach der Adresse“ frage. Das Messer habe er aus Angst mitgenommen. Ihm sei Karneval der Kiefer gebrochen worden, das habe er nicht wieder gewollt. Und er habe Sorge gehabt, der Geschädigte bringe Leute mit. Der Angeklagte habe wiederholt, dass er zwar gewusst habe, dass er den Geschädigten verletzte, aber nicht, dass er ihn töten könne. Das habe er nicht gewollt. Als Grund dafür, dass er überhaupt zu dem Treffen gefahren sei, habe der Angeklagte angegeben, er habe C2 sehen wollen. Das mit dem Messer habe er erst nicht gesagt, weil er nicht lange in den Knast gewollt habe.
86Der Zeuge P2 hat hinsichtlich des Messers ergänzend erklärt, er habe die Wohnung des Angeklagten aufgesucht und dort ein weiteres Messer mit einer Klingenlänge von 8 cm sowie eine grüne baugleiche Messerscheide aus Kunststoff aufgefunden. Der Umstand, dass die aufgefundene grüne Messerscheide baugleich ist mit dem aufgefundenen blauen Küchenmesser, ergibt sich auch aus dem in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbild dieser Messer, welches in der Wohnung des Angeklagten durch den Zeugen KOK P2 gefertigt worden ist (Bl. 113 der Akte) und auf welches wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
87Wie bereits unter III. 2. a) dargestellt hat die Kammer keinerlei Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen KOK P2, der auch die Einlassung des Angeklagten zum engeren Tatgeschehen sicher aus der Erinnerung geschildert hat.
88Die Angaben des Angeklagten zum engeren Tatgeschehen hält die Kammer für glaubhaft, jedenfalls lässt sich die Einlassung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht widerlegen. Alternative Handlungsverläufe sind weder naheliegender noch durch Tatsachen belegt.
89Insofern ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass die Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei – vom Tatwerkzeug abgesehen – keinerlei Widersprüche enthalten. So hat der Angeklagte von Beginn an geschildert, direkt von dem Geschädigten angegriffen worden zu sein. Von dieser Schilderung, die hinsichtlich des Hinstreckens der Hand zum Vortäuschen einer Begrüßung sowie des anschließenden direkten Zuschlagens auch von Details geprägt ist, ist der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt abgewichen. Auch den weiteren Verlauf hat er wiederholt konstant sowohl gegenüber dem Zeugen KHK I5 als auch dem Zeugen KOK P2 geschildert, ohne dass hinsichtlich des Inhalts der Schilderung eine Belastungstendenz zu Lasten des Geschädigten erkennbar war. So hat der Angeklagte durchgehend gegenüber der Polizei geschildert, zuerst mit der Flasche zugeschlagen zu haben, welche sodann zerbrochen sei. Auch hat der Angeklagte von Beginn an eingeräumt, auf den Geschädigten eingestochen zu haben. Weiter hat er, auch nachdem er von dem Tod des Geschädigten erfahren und aufgrund des Vorhaltes des KOK P2 die Verwendung des Messers eingeräumt hat, den Angriff des Geschädigten nicht anders, etwa von mehr Gewalt geprägt oder unter Verwendung eines Werkzeugs, beschrieben. Zwar hat der Angeklagte direkt von einer Angriffslage seitens des Geschädigten berichtet und so sein eigenes Verhalten als Verteidigung dargestellt. Auch dies ist für die Kammer jedoch glaubhaft und wird nicht als Schutzbehauptung gewertet. Dafür spricht bereits, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt seiner Vernehmung durch die Polizei weder am ##. noch am ##. Mai 2018 anwaltlich vertreten war. Daher ist sicher auszuschließen, dass der Angeklagte den Geschehensablauf bewusst zu seinen Gunsten geschildert hat, um seine eigene Tathandlung – juristisch gewertet – als etwaige Notwehrhandlung dastehen zu lassen. Gegen eine solche Annahme spricht, dass der Angeklagte zum einen von der Todesnachricht sichtlich geschockt war und zum anderen nach Schilderung der KOK P2 selbst davon ausging, nunmehr ein „Mörder“ zu sein. Er selbst ging mithin nicht davon aus, aufgrund der eigenen Schilderung auf eine Straffreiheit hoffen zu können. Zudem erfolgte die erstmalige Vernehmung des Angeklagten direkt am Morgen des ##. Mai 2018, sodass der Angeklagte kaum Zeit gehabt hat, sich einen für ihn günstigen Geschehensablauf zurechtzulegen. Für die Kammer ist die Einlassung gegenüber der Polizei auch glaubhaft, soweit der Angeklagte eine Schwitzkasten-Situation geschildert hat. Den Begriff selbst hat der Angeklagte nach Angabe des KHK I5 selbst nicht verwendet, sondern vielmehr die Situation beschrieben, welche der Zeuge I5 sodann im Vermerk unter Verwendung des Begriffs „Schwitzkasten“ festgehalten hat. Dieses Detail hat der Angeklagte auch gegenüber dem Zeugen KOK P2 erwähnt, der davon berichtet hat, der Angeklagte habe diese Situation nachgestellt. Im Rahmen dieser Vernehmung hat der Angeklagte den Angaben des Zeugen KOK P2 zufolge auch den Begriff des Schwitzkastens verwendet, jedoch erst nach der optischen Darstellung der Situation. Es ist mithin naheliegend, dass der Begriff des Schwitzkastens im Verlauf der Vernehmung erwähnt und von dem Angeklagten aufgegriffen wurde. Der Glaubhaftigkeit der Angaben steht nicht entgegen, dass der Angeklagte erst auf den Vorhalt des Zeugen KOK P2, dass nach Einschätzung der Rechtsmedizin die Stiche von einem Messer herrühren müssten und man danach suchen werde, die Verwendung des Messers eingeräumt hat. Der Angeklagte hat im Rahmen seiner Vernehmung plausibel begründet, die Mitnahme und Verwendung des Messers zunächst bewusst verschwiegen zu haben aus Angst, lange „in den Knast“ zu müssen. Dieses Verhalten ist nachvollziehbar, zumal der Angeklagte um seinen aufenthaltsrechtlichen Zustand wusste. Er hat jedoch sodann den Einsatz des Messers eingeräumt und darüber hinaus aus freien Stücken dargelegt, dieses zum Treffen mitgenommen, sodann aber ins Wasser geworfen zu haben. Das erst spätere Geständnis, ein Messer verwendet zu haben, vermag die Glaubhaftigkeit der Aussage auch deshalb nicht zu erschüttern, weil dieser „Austausch“ des Tatwerkzeuges keinen Einfluss auf die sonstige Darstellung des äußeren Tatablaufs hat, den der Angeklagte im Übrigen weiterhin konstant schildert. Letztlich folgt die Kammer auch den Angaben des Angeklagten zu seinem Motiv, einem Treffen überhaupt zugestimmt und zu diesem das Messer mitgeführt zu haben. Für die Kammer ist zweifelsfrei nachvollziehbar, dass der Angeklagte gehofft hat, im Park auf C2 zu treffen und dies für ihn ein Grund war, einem Treffen zuzustimmen. Denn nach den von der Kammer getroffenen Feststellungen war der Angeklagte in die Zeugin verliebt und hatte zum Tatzeitpunkt länger keinen Kontakt zu ihr. Auch die Einlassung des Angeklagten, er habe das Messer aus Angst vor dem Geschädigten und davor, dass er mit mehreren Personen im Park erscheint, mitgeführt, ist nachvollziehbar. Denn zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten kam es bereits zu mehrfachen Auseinandersetzungen. Unabhängig davon, ob der Geschädigte für den Kieferbruch des Angeklagten verantwortlich war, was nicht festgestellt werden konnte, hatte der Geschädigte den Angeklagten jedenfalls im Gesichtsbereich geschlagen, gemeinsam mit dem bei der Prügelei beteiligten X3. Dass die Befürchtung, der Geschädigte komme nicht allein, zutreffend war, zeigt bereits der Umstand, dass der Geschädigte zwar allein zum Treffpunkt gegangen war, die weiteren Zeugen jedoch im Hintergrund warteten.
90Die Einlassung des Angeklagten lässt sich auch ohne Widersprüche in das weitere Ergebnis der Beweisaufnahme einfügen, lässt sich jedenfalls nicht widerlegen.
91Zunächst lässt sich die Aussage des Zeugen G3 ohne jeden Widerspruch mit der Einlassung in Einklang bringen. Der Zeuge G3 hat das engere Tatgeschehen nämlich im Wesentlichen wie folgt geschildert: Als er mit den anderen Zeugen in einiger Entfernung gewartet habe, habe er zunächst Glas zersplittern hören. Er habe dann das Rad abgestellt und sei in Richtung des Tatorts gegangen. Eine Laterne und den Kopf des Angeklagten habe er sehen können, aber es sei ein Busch zwischen ihm und dem Tatort gewesen, der seine Sicht verdeckt habe. Als er den Geschädigten sagen gehört habe: „Ist das dein scheiß Ernst?“, sei er losgelaufen. Noch vor dem Busch habe er gesehen, dass der Geschädigte „über dem Angeklagten“ gewesen sei und den rechten Arm um den Angeklagten gehabt habe. Auf weitere Nachfrage der Kammer hat der Zeuge erklärt, für ihn habe es ausgesehen, als habe „der Geschädigte den Angeklagten im Stehen im Schwitzkasten“ gehabt, ohne dass er habe einschätzen können, wie fest der Griff gewesen sei. Der Kopf des Angeklagten sei im Arm des Geschädigten gewesen. Dabei hätten der Angeklagte und der Geschädigte Bauch an Bauch und Gesicht zu Gesicht gestanden. Einzelne Schläge oder Bewegungen habe der Zeuge nicht wahrgenommen. Er sei dann um den Busch herumgelaufen und habe beobachtet, dass der Geschädigte hingefallen, wieder aufgestanden und sodann erneut zu Boden gegangen sei. Wie die Situation mit dem Schwitzkasten zu Ende gegangen sei, wisse er nicht, da er zu diesem Zeitpunkt um den Busch herumgelaufen sei. Er habe N1 erst wieder gesehen, als er bereits das erste Mal am Boden lag. Der Angeklagte habe gestanden, den Geschädigten habe er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr angegriffen. Der Geschädigte sei noch mal aufgestanden, sei aber wieder zu Boden gegangen. Er habe dann die Wunde am Arm des Geschädigten gesehen und diese verbunden. Die Mädchen und der Zeuge L1 hätten den Park dann verlassen. Er habe auch Polizei und Krankenwagen alarmiert und sei zwischen Straße und Tatort hin und her gelaufen, um den Krankenwagen zum Geschädigten zu leiten. Der Zeuge hat erklärt, das gesamte Geschehen habe nur wenige Minuten angedauert. Auf Nachfrage hat der Zeuge zudem bekundet, ein Messer in dieser Situation nicht gesehen zu haben.
92Wie bereits ausgeführt hat die Kammer keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Insofern wird Bezug genommen auf die Ausführungen unter III. 2 a). Ergänzend ist hinsichtlich des engeren Tatgeschehens zu erwähnen, dass der Zeuge – ein langjähriger Freund des Geschädigten – freigiebig eingeräumt hat, Teile des Geschehens-ablaufs wegen der Vegetation und Sichtverhältnisse nicht wahrgenommen zu haben. Er hat insofern aber keine Spekulationen angestellt oder Belastungstendenzen gezeigt. Vielmehr hat er von sich aus geschildert, eine - wie auch vom Angeklagten erwähnte - Schwitzkastensituation wahrgenommen zu haben, nicht aber irgendwelche Angriffshandlungen des Angeklagten, insbesondere nachdem der Geschädigte am Boden lag. Die Angaben des Zeugen G3 sind auch glaubhaft. Sie stellen einen in sich nachvollziehbaren Geschehensablauf wieder, der sich ohne Widersprüche in die Einlassung des Angeklagten einfügt. Insbesondere die Angabe, der Zeuge habe das Klirren von Glas gehört, belegt die Angabe, der Angeklagte habe mit der Flasche zugeschlagen, die am Boden zerbrochen sei. Hervorzuheben ist auch die Darstellung einer Schwitzkastensituation, die die Einlassung des Angeklagten bestätigt. Insofern ist von entscheidender Bedeutung, dass der Zeuge, der ein Freund des Geschädigten war, keinerlei Grund dafür hat, eine den Angeklagten entlastende Aussage zu tätigen. Vielmehr spricht für die Glaubhaftigkeit dieser Aussage, dass der Zeuge G3 und der Angeklagte, die in entgegengesetzten Lagern stehen, unabhängig voneinander eine derartige Situation schildern, nach der keine weiteren Angriffshandlungen des Angeklagten mehr erfolgten. Für die Kammer sind keinerlei Motive für eine Falschaussage des Zeugen G3 ersichtlich, der keinen erkennbaren Grund hat, den Angeklagten in Schutz zu nehmen. Vielmehr wäre es nachvollziehbar gewesen, wenn der Zeuge, der nach eigenen Angaben das Geschehen nicht hat verhindern können, das Verhalten des Angeklagten in einer diesen belastenden Version geschildert hätte. Die Angaben des Zeugen sind auch authentisch, da dieser von sich aus den Begriff des Schwitzkastens erwähnt hat, sodann jedoch klargestellt hat, dass die Beteiligten eher in einer atypischen Position zu einander standen, nämlich Bauch an Bauch und Kopf an Kopf. Dass der Angeklagte und der Zeuge G3 ein derartiges Detail schildern, ohne dass es auf realem Erleben basiert, schließt die Kammer aus. Auch hat die Kammer keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte und der Zeuge G3 insofern abgesprochen haben könnten.
93Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden auch bestätigt durch die Aussage des Zeugen L1, soweit ihr gefolgt werden konnte. Der Zeuge L1 gab an, mit den anderen Zeugen an der Hecke gewartet zu haben. Er habe den Geschädigten dann sagen hören „Ist das dein scheiß Ernst“. Er habe gesehen, dass der Geschädigte gefallen, wieder aufgestanden und dann erneut hingefallen sei. Er habe darüber hinaus weder Schläge noch einen Klammergriff gesehen. Er habe auch kein Glas splittern gehört, am Tatort aber Scherben gesehen. Er sei zum Geschädigten gerannt, dort habe der Angeklagte vor dem Geschädigten gestanden mit einem Messer in der Hand. Damit habe der Angeklagte noch auf die Bank an der Sitzgruppe geschlagen. Die Wunde am Arm des Geschädigten habe der Zeuge G3 verbunden. Er habe – aus Angst vor der Polizei – mit den Mädchen den Tatort verlassen. Dass er ein Messer gesehen habe, habe er auch zu 100 % bereits bei seiner Aussage bei der Polizei ausgesagt. Aktenkenntnis habe er nicht gehabt, aber auch der Zeuge O1 habe ihm in einem Gespräch nach dem Tatgeschehen gesagt, er habe ein Messer gesehen. Das Messer sei 25 – 30 cm lang, hellgrün und aus Keramik gewesen.
94Die Kammer hat keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen, soweit er seine Wahrnehmung des eigentlichen Tatgeschehens geschildert hat. Denn dieses weist keine Abweichungen zu den Angaben des Zeugen G3 auf. Auch ist plausibel, dass er die Auseinandersetzung nur teilweise mitbekommen hat. Denn aufgrund der Beschaffenheit des Tatorts und der Sichtverhältnis ist nachvollziehbar, dass der Zeuge keine freie Sicht auf das Geschehen hatte. Insofern stellt sich für die Kammer die Aussage des Zeugen, einen Klammergriff nicht gesehen zu haben, als glaubhaft dar. Dieser Umstand vermag auch den Beweiswert der Aussage des Zeugen G3 hinsichtlich des „Schwitzkastens“ nicht zu erschüttern. Denn der Zeuge L1 hat nicht erklärt, es habe keine Schwitzkastensituation gegeben, sondern lediglich bekundet, eine solche nicht gesehen zu haben. Da der Zeuge das Geschehen nicht durchgehend hat beobachten können, ist dies ohne weiteres nachvollziehbar.
95Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen hat die Kammer lediglich insoweit, als der Zeuge erklärt hat, ein hellgrünes, 25 – 30 cm langes Keramikmesser in der Hand des Angeklagten gesehen zu haben. Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob dem Zeugen aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse am Tatort überhaupt eine derartige Wahrnehmung möglich war und die konkrete Beschaffenheit des Messers (Farbe, Länge, Material) erfassen konnte. Entscheidend ist aber, dass der Zeuge L1 ein Messer erstmals in der Hauptverhandlung erwähnt hat. Denn im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung durch den Zeugen KHK L3 vom ##. Mai 2018 hat der Zeuge ein Tatwerkzeug nicht benannt. Der als Ermittlungsbeamte mit der Vernehmung vertraute KHK L3, den die Kammer als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen hat, hat die Aussage des Zeugen L1 ihm gegenüber im Wesentlichen wiedergegeben. Ein Messer habe der Zeuge nicht erwähnt, er habe vielmehr erklärt, von dem ganzen Vorgang nichts mitbekommen zu haben. Für die Kammer ist es wenig nachvollziehbar, dass der Zeuge L1 als Freund des Geschädigten ein Messer nicht erwähnt, obschon er dieses detailliert wahrgenommen haben will. Als einzige Erklärung kommt in Betracht, dass der Zeuge zum Zeitpunkt seiner Aussage bei der Polizei immer noch Sorge hatte, dass ihm selbst Vorwürfe gemacht werden, weshalb er zum Geschehen selbst auch keine Angaben gemacht hat. Letztlich kann die Kammer jedoch dahinstehen lassen, ob dem Zeugen in Bezug auf die Wahrnehmung des Messers gefolgt werden kann, da der Angeklagte selbst die Verwendung eines grünen Keramikmessers eingeräumt hat und es daher insofern nicht auf die Aussage des Zeugen L1 ankommt. Zudem stellt dies die Aussage des Zeugen im Übrigen nicht in Frage.
96Der Zeuge O1 hat das äußere Tatgeschehen ebenfalls im Sinne der getroffenen Feststellungen geschildert. Er hat insbesondere bekundet, der Geschädigte habe sein Rad bei ihm gelassen und sei alleine zum Treffpunkt „losgerannt“. Das erste Zusammentreffen des Geschädigten und des Angeklagten habe er nicht sehen können. Er habe aber eine Flasche zerbrechen gehört, die Scherben habe er auch nachher gesehen. Er habe wahrgenommen, dass der Angeklagte und der Geschädigte sich gegenseitig geboxt hätten, eine Schwitzkastensituation habe er nicht gesehen. Er habe aber auch zunächst nur den oberen Kopf des Geschädigten gesehen, weil es auch so dunkel gewesen sei, dann die Äußerung „Ist das dein scheiß Ernst“ gehört und anschließend gesehen, dass der Geschädigte am Boden gelegen habe. Der Angeklagte habe ein grünes Keramikmesser in der Hand gehabt und sei völlig aufgelöst gewesen. Der Zeuge G3 habe mit seinem T-Shirt die Armwunde des Geschädigten verbunden, der Angeklagte habe ihm daher seine Jacke gegeben, weil es kalt gewesen sei. Als der RTW da gewesen sei, habe der Angeklagte ihm gesagt, er habe Angst um sein Leben gehabt, was er dem Angeklagten abgenommen habe. Auf Vorhalt hat der Zeuge dann eingeräumt, nach der Tat mit dem Zeugen L1 gesprochen zu haben. Der habe von dem Messer berichtet und dass es grün und aus Keramik gewesen sei. Er selbst habe das Messer aber auch gesehen.
97Auch die Aussage des Zeugen O1 stellt sich im Wesentlichen als glaubhaft dar. Der Zeuge hat ebenfalls vom Zerbrechen einer Flasche, einer gegenseitigen Auseinandersetzung sowie der Äußerung „Ist das dein scheiß Ernst“ berichtet. Diese Details stimmen mit den Angaben der übrigen Zeugen überein. Hinsichtlich der Aussage des Zeugen, er habe eine Schwitzkastensituation nicht gesehen, ist die Aussage ebenfalls glaubhaft, zumal der Zeuge erklärt hat, zwischenzeitlich nur den oberen Kopf des Geschädigten gesehen zu haben, da es dunkel gewesen sei. Daher steht diese Aussage auch der Feststellung einer Schwitzkastensituation nicht entgegen, da es plausibel ist, dass der Zeuge Teile der Auseinandersetzung nicht wahrgenommen hat. Zweifel hat die Kammer auch hinsichtlich der Aussage des Zeugen O1 lediglich in Bezug auf seine Angaben zur Wahrnehmung eines Messers in der Hand des Angeklagten. Denn der Zeuge O1 hat ebenfalls gegenüber der Polizei ein Messer unerwähnt gelassen. Der Zeuge KHK L3 hat in seiner Vernehmung durch die Kammer die Aussage des Zeugen O1 vom ##. Mai 2018 aus der Erinnerung heraus wiedergegeben und erklärt, der Zeuge habe ein Messer sicher nicht erwähnt. Dabei vermochte der Zeuge KHK L3 Details aus der Aussage wiedergeben, wie etwas das Zerbrechen der Flasche und das Verbinden mit einem T-Shirt. Die Kammer hat daher durchgreifende Zweifel, ob der Zeuge O1 tatsächlich selbst ein Messer in der Hand des Angeklagten wahrgenommen hat oder aber die Existenz eines Messers aufgrund der späteren Gespräche mit dem Zeugen L1 herleitet. Letzteres scheint naheliegender, da der Zeuge selbst nach wiederholter Nachfrage eingeräumt hat, die Farbe und das Material des Messers selbst nicht erkannt zu haben, sondern nur, dass es ein Messer gegeben habe. Im Ergebnis kann die Kammer auch hinsichtlich des Zeugen O1 dahinstehen lassen, ob seine Angabe insofern zutreffend ist. Denn zum einen hat der Angeklagte selbst die Verwendung des Messers eingeräumt. Zum anderen erschüttert diese Unklarheit nicht den Gehalt der Aussage insgesamt, zumal diese sich widerspruchsfrei in das übrige Ergebnis der Beweisaufnahme einfügt.
98Die Zeugin B2 hat das äußere Tatgeschehen ebenfalls dargestellt, wie unter II. 2. b) festgestellt. So hat die Zeugin insbesondere bestätigt, sie habe zuerst eine Flasche klirren gehört. Sie habe dann, als sie in den Park gekommen seien, gesehen, dass sich der Geschädigte und der Angeklagte schlagen. Als der Geschädigte auf seinen Arm geschaut habe, habe er gesagt „Ist das dein Ernst, ist das dein scheiß Ernst“. Er sei hingefallen, sei wieder aufgestanden und habe in Richtung des Angeklagten irgendeine Bewegung gemacht und sei wieder hingefallen. Als der Geschädigte zu Boden gegangen sei, habe der Angeklagte nichts mehr gemacht. Er habe auf sie den Eindruck gemacht, unter Schock gestanden zu haben. Sie sei sich nicht sicher, ob der Angeklagte ein Messer gehabt habe. Ein Festhalten habe sie nicht gesehen. Diese Angaben der Zeugin sind glaubhaft. Die Zeugin hat das von ihr wahrgenommene Geschehen sicher und ohne Widersprüche dargelegt. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte, an dem Wahrheitsgehalt der Aussage zu zweifeln.
99Auch die Zeugin C3 hat das Geschehen den Feststellungen entsprechend geschildert, soweit es in ihrer Wahrnehmung war. Die Zeugin hat insbesondere bekundet, dass sie gesehen habe, wie sich der Geschädigte und der Angeklagte schlagen. Es sei jedoch ein Gebüsch dazwischen gewesen und sie habe nur einmal hingesehen. Eine Schwitzkastensituation habe sie nicht gesehen. Der Geschädigte habe dann seinen Arm ausgestreckt, gesagt „Ist das dein scheiß Ernst“ und sei dann hingefallen. Er sei wieder aufgestanden und habe eine Handbewegung gemacht, aber dann erneut zu Boden gefallen. Sie habe weder eine Flasche noch ein Messer gesehen. Es sei nur später zwischen den Zeugen über ein Messer gesprochen worden. Sie habe dann mit den anderen Zeuginnen und dem Zeugen L1 aus Panik den Park verlassen, da sie auch eigentlich gar nicht hätten draußen sein dürfen. Auch an dem Wahrheitsgehalt der Angaben der Zeugen C3 hat die Kammer keine Zweifel, die sicher aus der Erinnerung das Tatgeschehen geschildert hat. Dabei war sie in der Lage, auch Details zu beschreiben, die sich ohne Widersprüche in die Angaben der übrigen Zeugen einfügen. Soweit die Zeugin erklärt hat, eine Schwitzkastensituation nicht gesehen zu haben, ist auch diese Angabe plausibel, da die Zeugin erklärt hat, die Sicht sei wegen eines Gebüsches verdeckt gewesen und sie habe nicht durchgehend das Geschehen beobachtet (sie habe nur „einmal hingesehen“). Daher vermag auch der Umstand, dass die Zeugin C3 eine derartige Situation nicht bezeugt hat, die Feststellungen der Kammer nicht zu erschüttern.
100Letztlich bestätigt auch die Zeugin H1 den von der Kammer festgestellten Geschehensablauf. Denn auch die Zeugin H1 hat das äußere Tatgeschehen im Wesentlichen geschildert, wie unter II. 2 b) festgestellt. Insbesondere hat die Zeugin ebenfalls von dem Zerbrechen einer Flasche berichtet, als sie am Park angekommen seien. Ebenso schildert die Zeugin die Äußerung des Geschädigten „Ist das dein Ernst, ist das dein scheiß Ernst“ sowie den Umstand, dass der Geschädigte sodann hingefallen, wieder aufgestanden und erneut in Richtung des Angeklagten gegangen, dann aber wieder zu Boden gegangen sei. Vorher habe sie gesehen, dass zwei Personen sehr nah aneinander gestanden hätten, Bauch an Bauch. Ob es eine Umklammerung gegeben habe, habe sie schlecht erkennen können. Insoweit hat die Zeugin erklärt, kurzsichtig zu sein und an dem Abend keine Brille getragen zu haben. Das Geschehen sei binnen kurzer Zeit erfolgt. Sie habe mit den anderen Mädchen und dem Zeugen L1, nachdem sie versucht habe, dem Geschädigten zu helfen, aus Panik den Park verlassen. Die Angaben der Zeugin sind zweifelsfrei glaubhaft. Die Zeugin hat das Geschehen geradlinig und nachvollziehbar geschildert. Auch ihre Angabe, schlecht gesehen zu haben, ist glaubhaft. Die Zeugin war zwar nicht in der Lage, eine Dioptrien Zahl hinsichtlich ihrer Sehschwäche zu benennen. Auf die Bitte des Verteidigers, die Uhrzeit von der analogen Uhr im Sitzungsaal abzulesen, musste die Zeugin sich jedoch merklich anstrengen, um die Stellung der Zeiger zu erkennen. Auch steht die Aussage nicht in Widerspruch zu den Feststellungen der Kammer, da sie eine Umklammerung bereits nicht ausschließen konnte, sogar ein nahes Zusammenstehen des Geschädigten und des Angeklagten „Bauch an Bauch“ beschrieben hat.
101Bestätigt werden die getroffenen Feststellungen auch durch die Lichtbilder, welche in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden sind und auf welche wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 12 – 14, 31, 42 – 90, 111 – 113). So ist auf den Lichtbildern Blatt 12 – 14 sowie den Lichtbildern Blatt 40 – 90 der Tatort und die Auffindesituation des Geschädigten nahe des Gebüsches wie in den Feststellungen dargelegt zu erkennen. Auf den Lichtbildern Blatt 112 – 113 ist das in der Wohnung durch den Zeugen KOK P2 aufgefundene blaue Küchenmesser sowie die grüne (leere) Messerscheide zu erkennen. Wie von dem Zeugen KOK P2 berichtet, handelt es sich bei der grünen Messerscheide um ein zur blauen Messerscheide baugleiches Modell.
102d)
103Die Feststellungen zum weiteren Geschehen - Eintreffen der Sanitäter, des Notarztes sowie das Geschehen nach Eintreffen der Polizei - beruhen auf den Aussagen der Zeugen G3, O1, L2, C2 und (U2) P2 sowie der Polizeibeamten PK’in O2, PK’in I2, PHK’in T2, POK’in C3, POK I3 und POK I4, welche das Geschehen übereinstimmend wie festgestellt bekundet haben.
104Die Feststellungen zu den bei den Zeugen G3 und O1 sowie bei dem Angeklagten ermittelten BAK-Werten beruhen auf der Aussage der Zeuginnen PK’in I2 und PK’in O2, welche die Atem-Alkoholtests durchgeführt und die festgestellten Werte nach Vorhalt bestätigt haben.
105e)
106Die Feststellungen zum Tatort und den aufgefundenen Spuren, insbesondere den Blutspuren zwischen der Sitzgruppe und dem Geschädigten sowie den aufgefundenen Glasscherben beruhen auf den Aussagen der Zeugen KHK L4 sowie KHK G5 sowie den in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbildern Blatt 12 – 14 sowie Blatt 31 – 90 der Akte, auf welche wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Die Zeugen KHK L4 und KHK G5 waren mit der Spurenaufnahme am Tatort beauftragt und haben diese wie festgestellt in der Hauptverhandlung beschrieben. Insbesondere hat der Zeuge G5 erklärt, man habe neben der Sitzgruppe Scherben einer Desperadosflasche aufgefunden. Der Schriftzug sei auf den Scherben erkennbar gewesen. Die aufgefundenen Scherben sind auf den Lichtbildern Blatt 78 – 82 zu erkennen, welche mit den Ziffern 10 – 13 der Spurensicherung nummeriert wurden. Auch hat der Zeuge erklärt, dass man Blutspuren aufgefunden habe, welche von der Sitzgruppe bis hin zu dem Geschädigten geführt hätten und auf den Lichtbildern Blatt 67 – 71, gekennzeichnet mit den Spurennummern 3 – 6, zu erkennen sind. Diese Angaben hat der Zeuge L4 bestätigt.
107f)
108Die Feststellungen zu den Verletzungen des Geschädigten beruhen auf dem Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen L5, welcher den Geschädigten am ##. Mai 2018 obduziert hat. Der Sachverständige L5 hat sein Gutachten unter Hinzuziehung der als Anlage zum Protokoll genommenen Lichtbildmappe, die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden ist und auf welche wegen der Einzelheiten verwiesen wird, erläutert. Dabei hat der Sachverständige die Verletzungen - wie unter II. 2. b) festgestellt - dargelegt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die durch den Stich in den rechten Brustkorb verursachte Herzbeuteltamponade todesursächlich gewesen sei. Aufgrund der Herzbeuteltamponade sei das Herz von außen komprimiert worden, sodass es sich nicht mehr habe erweitern können, was für einen regelgerechten Herzschlag erforderlich sei. Es habe sich um eine schnell tödlich verlaufende Stichverletzung gehandelt. Nach Einschätzung des L5 hätten die übrigen Verletzungen bei entsprechender chirurgischer Versorgung überlebt werden können. Der Sachverständige hat auch erläutert, dass die festgestellte Klingenlänge von ca. 8 cm mit der längsten Stichkanallänge von 12 cm in Einklang zu bringen sei. Grund sei, dass die Haut und das sich darunter befindliche Fettgewebe sehr beweglich seien und daher das Heft bzw. der Griff des Messers eingedrückt werden könne. Insofern lasse sich die Stichkanallänge gut erklären. Zudem hat der Sachverständige erläutert, dass bei Verwendung eines Keramikmesser trotz eines Durchstechens der Rippen keine erhebliche Wucht erforderlich sei, die festgestellten Stich- und Schnittverletzungen zu verursachen. Diese hätten in kurzer Abfolge verübt werden können.
109Die Feststellungen zu den Verletzungen des Angeklagten beruhen ebenfalls auf dem Gutachten des Sachverständigen L5, der den Angeklagten am ##. Mai 2018 in der JVA in Herford untersucht hat. Auch die Verletzungen des Angeklagten hat der Sachverständige unter Bezugnahme auf die Lichtbilder Blatt 209 – 214, Blatt 223 – 224 und Blatt 378 – 380, welche in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden sind und auf welche wegen der Einzelheiten verwiesen wird, wie unter II. 2. b) festgestellt im Einzelnen dargelegt. Hinsichtlich der Verletzung des Angeklagten am Daumen hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich um eine fetzige Verletzung handele, die nicht von einem Messer herrühren könne. Naheliegender sei eine Verletzung durch Glas, die etwa beim Zuschlagen mit der Flasche oder beim Zerbrechen der Flasche entstanden sein kann.
110Darüber hinaus bewertet der Sachverständige L5 unter Bezugnahme auf die von ihm festgestellten Verletzungen beim Geschädigten und beim Angeklagten den vom Angeklagten geschilderten Geschehensablauf als möglichen Tatverlauf, ohne dass es Anhaltspunkte für ein näher liegendes Alternativgeschehen gebe. So hat der Sachverständige dargelegt, dass eine beim Angeklagten festgestellte Verletzung an der linken Schläfe Folge der Einwirkung stumpfer Gewalt, etwa eines Schlages, sei. Dies passe zu der Schilderung des Angeklagten, direkt von dem Geschädigten links gegen den Kopf geschlagen worden zu sein. Auch die beim Geschädigten festgestellten Hautunterblutungen passten zu dem geschilderten Schlag mit der Flasche, da sie seiner Einschätzung nach ebenfalls Folgen stumpfer Gewalt seien. Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, dass keine Reihenfolge der Messerstiche festgestellt werden könne. So könne auch der Stich ins Herz bereits der erste gewesen sein, ohne dass er sich insofern festlegen könne. Grund hierfür sei insbesondere, dass der den Tod verursachende Stich in den Brustkorb, welcher die Herzbeuteltamponade ausgelöst hat, nicht zwingend direkt zu einer Schwächung des Geschädigten führen müsse. Denn die eintretenden Folgen hingen von der Geschwindigkeit der Blutung ab. Es dauere mehrere Sekunden, bis die Blutung wirksam werde (Entstehung einer Herzbeuteltamponade) und sodann weitere Sekunden, bis es zu einem Sauerstoffmangel aufgrund der mangelnden Herzfunktion komme. Die Dauer schätze er auf 10 – 20 Sekunden. Nach Einschätzung des Sachverständigen könnten in dieser Zeit ohne weiteres sämtliche weiteren Stiche erfolgt sein. In dieser Zeit habe der Geschädigte voll handlungsfähig sein können. Insofern sei die Einlassung nachvollziehbar, der Geschädigte habe trotz des Angriffs des Angeklagten nicht von ihm abgelassen. Damit sei es auch gut möglich, dass der von dem Geschädigten wahrgenommene Stich in der Armbeuge, die zu der Äußerung „Ist das dein scheiß Ernst“ geführt habe, einer der letzten gewesen sei. Bei dieser Bewertung sei zu berücksichtigen, dass Opfer von Stichverletzungen, welche mit einem scharfen Gegenstand wie einem Keramikmesser verursacht werden, die Stiche häufig erst später realisierten, auch wenn diese tief seien.
111Die vom Angeklagten und dem Zeugen G3 geschilderte „Schwitzkasten“ - Situation ist nach Einschätzung des Sachverständigen ebenfalls möglich und mit den von ihm festgestellten Verletzungen gut vereinbar. Insofern hat der Sachverständige ausgeführt, die geschilderte Schwitzkastensituation, welche sich als eine Art Standbild darstelle, da die Entstehung und das Geschehen während dieser Situation nicht festgestellt werden konnten, gebe einen Anhaltspunkt, lasse aber auch viel Spielraum. Nach seiner sachverständigen Bewertung ließen sich bei einer typische Schwitzkastensituation (bei gleicher Blickrichtung des Geschädigten und des Angeklagten) die Stiche in den Brustkorb nachvollziehen, jedoch nur bei Verwendung des Messers mit unterschiedlichem Griff (Wechsel der Hände). Dagegen würde eine atypische Schwitzkastensituation, wie vom Zeugen G3 geschildert, die Stiche in den Brustkorb und auch in die Schulter sehr gut erklären. Dazu passe auch der diagonale Verlauf der Stiche, da der Angeklagte wenig Raum zum Ausholen gehabt habe. Auch der Stich in die Achsel des Geschädigten passe in eine solche Situation. Allein der Stich/Schnitt in der Armbeuge lasse sich eher schwer erklären, sodass er nicht sicher beurteilen könne, ob dieser in einer atypischen Schwitzkastensituation entstanden sei. Zu einer Schwitzkastensituation passten auch die beim Angeklagten festgestellten kratzerartigen Verletzungen am Hals, welche nach Einschätzung des Sachverständigen durch jeden spitzen Gegenstand wie Glas oder einem Messer, aber auch durch Fingernägel verursacht sein können. Möglich sei daher, dass sie Folgen eines Greifens und Fixierens am Hals, also einer Schwitzkastensituation seien. Die Tropfspuren, welche von der Bank bis zum Fundort des Geschädigten festgestellt werden konnten, gäben keinen sicheren Rückschluss auf den Geschehensablauf. Denn die Tropfspuren seien zwar am ehesten zu erklären mit der vom Geschädigten erlittenen Verletzung in der Armbeuge, da diese mit Sicherheit nach außen geblutet habe, was bei den Stichen in die Bauchregion nicht zwingend der Fall gewesen sein müsse. Jedoch könne nicht sicher nachvollzogen werden, aufgrund welcher Verletzung die Blutspuren entstanden seien. Weitere Feststellungen ließen sich aus sachverständiger Sicht nicht treffen. Den Ausführungen des Sachverständigen L5, welcher der Kammer als zuverlässiger und äußerst erfahrener Sachverständige bekannt ist, schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an.
112g)
113Die Feststellungen zur inneren Tatseite – dem Verteidigungswillen des Angeklagten – beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, die er gegenüber den Zeugen KHK I5 und KOK P2 abgegeben hat. Insofern wird zunächst auf den Inhalt der Einlassung unter III. 2. c) Bezug genommen. Der so vom Angeklagten erklärten Motivlage, sich gegen den Angriff des Geschädigten wehren zu wollen, stehen keine objektiven Umstände entgegen, die abweichende Feststellungen rechtfertigen könnten. Insbesondere liegen keine Umstände vor, die für ein geplantes Vorgehen des Angeklagten sprechen, den Geschädigten an dem Abend getroffen zu haben, um ihn dann zu verletzen oder gar zu töten. Insofern kann zwar nicht außen vor bleiben, dass der Angeklagte das Küchenmesser eingesteckt und mit zum Treffpunkt genommen hat. Diesen Umstand hat der Angeklagte jedoch plausibel damit erklärt, das Messer mitgenommen zu haben, um etwas zum Verteidigen zu haben, weil er Angst gehabt habe sowie aus Sorge, der Geschädigte komme nicht allein. Diese Befürchtung hatte sich ja tatsächlich als wahr herausgestellt. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es bereits zuvor Auseinandersetzungen mit dem Geschädigten gegeben hat, genügt dies nicht für die Annahme, der Angeklagte habe bereits bei der Zusage des Treffens den Willen gehabt, im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung den Geschädigten zu schädigen. Dagegen spricht bereits der äußere Geschehensablauf, da der Angeklagte sich zunächst mit der Flasche und dann im Rahmen einer Schlägerei gewehrt hat. Erst als der Geschädigte den Angeklagten in den Schwitzkasten genommen hatte, griff der Angeklagte zu dem Messer und setzte es ein. Diese Abfolge spricht für einen Verteidigungswillen des Angeklagten, der auch aus eigener Initiative heraus – ohne Mitwirkung des Geschädigten – bei keinem der vorangegangenen Aufeinandertreffen eine körperliche Auseinandersetzung selbst begonnen hat. Letztlich fehlt es damit an objektiven Feststellungen, welche eine anderweitige Motivlage des Angeklagten begründen könnten.
114h)
115Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten beruhen auf dem Gutachten der Sachverständigen T3. Der Angeklagte hat sich durch die Sachverständige im Vorfeld der Hauptverhandlung nicht explorieren lassen, sodass diese ihr Gutachten allein auf der Grundlage der Hauptverhandlung erstattet hat. Die Sachverständige konnte keines der Eingangskriterien bei dem Angeklagten feststellen, welche Voraussetzung für einen Ausschluss bzw. eine Verminderung der Schuldfähigkeit sind. So hat die Sachverständige ausgeführt, es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte unter einer Störung der Geistesfähigkeit leide. Auch das Kriterium des Schwachsinns sei ausgeschlossen, gleiches gelte für eine schwere andere seelische Abartigkeit. Letztlich fehle es auch an Anhaltspunkten für eine Intoxikation, welche zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt haben könnte. Mangels Vorliegens eines Eingangskriteriums sei daher von der Schuldfähigkeit des Angeklagten auszugehen. Die Kammer schließt sich den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen, welche der Kammer als zuverlässige und äußerst erfahrene Sachverständige bekannt ist, nach eigener Sachprüfung an.
116i)
117Ein von der Kammer zunächst durch Beschluss der Kammer vom 5. Dezember 2018 in Auftrag gegebenes Gutachten zur Bestimmung des Lebensalters des Angeklagten musste nicht fortgeführt und in die Hauptverhandlung eingeführt werden, da die Kammer keine Entscheidung zur Anwendung des Jugendstrafrechts treffen musste.
118IV.
119Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte zwar jedenfalls den objektiven Tatbestand des Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB erfüllt. Auch ist naheliegend, dass der Angeklagte bei Ausführung der Stiche den Tod des Geschädigten billigend in Kauf genommen hat. Denn bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen wie der Verwendung eines Messers liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH NStZ 2012, 384). Letztlich konnte die Kammer diese Frage jedoch offen lassen, da sein Verhalten wegen Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt ist. Denn das Handeln des Angeklagten war erforderlich, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des Geschädigten von sich abzuwehren.
1201.
121Der Geschädigte hat dem Angeklagten ohne Vorwarnung mit der Faust gegen den Kopf geschlagen und von seinem Angriff nicht abgelassen, bis er am Ende zu Boden ging. Dabei handelt es sich um einen gegenwärtigen Angriff auf die körperliche Unversehrtheit im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB. Dieser stand im Widerspruch zur Rechtsordnung.
122Die Rechtswidrigkeit des Angriffs könnte allenfalls in Frage gestellt werden, wenn der Geschädigte und der Angeklagte sich einvernehmlich zu einer Schlägerei verabredet hätten. Nach den von der Kammer getroffenen Feststellungen war eine Schlägerei jedoch weder ausdrücklich noch konkludent vereinbart. Vielmehr wollte der Angeklagte erst gar nicht zu einem Treffen erscheinen, sondern ließ sich erst von dem Geschädigten dazu überreden mit dem Argument, er könne C2 treffen. Allein der Umstand, dass sich der Angeklagte auf eine ihm aufgezwungene Schlägerei eingelassen hat, kann nicht als Einwilligung in eine körperliche Auseinandersetzung umgedeutet werden.
1232.
124Das Verhalten des Angeklagten war auch erforderlich. Die Erforderlichkeit setzt zunächst die Geeignetheit der Verteidigungshandlung voraus. Das heißt, die Verteidigungshandlung muss nach der objektiven Sachlage und nach den konkreten Umständen des Einzelfalls geeignet sein, den Angriff sofort zu beenden oder zumindest abzuschwächen und die Gefahr endgültig abzuwenden oder zu verringern. Das Verhalten des Angeklagten – zunächst die Abwehr mit der Flasche und später das Zustechen mit dem Messer – war ohne Zweifel geeignet, den Angriff des Geschädigten abzuwehren, denn mit dem Zusammenbrechen am Boden ließ der Geschädigte von dem Angeklagten ab.
125Die Verteidigungshandlung war auch erforderlich im engeren Sinne. Erforderlichkeit im engeren Sinne setzt voraus, dass die Verteidigungshandlung nach Art und Maß der drohenden Gefahr entspricht; die vom Täter gewählte Verteidigung muss das relativ mildeste Mittel der Abwehr sein. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich nicht stattfindet (BGH NStZ 2005, 85 – 87). Auch muss sich der Verteidigende nicht auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang einlassen (BGH NStZ 2002, 140). Daher ist auch der Einsatz eines Messers – selbst wenn der Gegner unbewaffnet ist – nicht von vornherein unzulässig. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht, wobei angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen (BGH NStZ-RR 2016, 271). Ist der Angreifer unbewaffnet und ist ihm die Bewaffnung des Verteidigers unbekannt, so ist je nach der Auseinandersetzungslage grundsätzlich zu verlangen, dass er den Einsatz der Waffe androht, ehe er sie lebensgefährlich oder gar tödlich einsetzt (BGH aaO). Andererseits darf der Angegriffene sich grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, dass er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt (BGH NStZ 2002, 140). Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH NStZ-RR 2016, 271). Vorliegend ist unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass der Einsatz des Messers erforderlich war. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Angeklagte das Messer nicht direkt mit tödlicher Folge eingesetzt hat, sondern versucht hat, den Angriff des Geschädigten zunächst mit der Desperadosflasche, die er in der Hand hielt, abzuwenden. Der Schlag mit der Flasche hat den Geschädigten jedoch nicht in seinem Angriff stoppen können, sodass es zu einer Schlägerei kam. Erst als der Geschädigte den Angeklagten im atypischen Schwitzkasten festhielt, zog dieser das Messer und stach zu. Mangels anderweitiger Feststellungen ist mithin davon auszugehen, dass der Angeklagte zunächst auf mildere Mittel zurückgegriffen hat, diese jedoch ungeeignet waren, den Angriff sofort zu beenden. Die Kammer konnte auch keine Feststellungen dahingehend treffen, dass eine Androhung mit dem Messer geeignet gewesen wäre, den Angriff zu stoppen. Es liegen bereits keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagten hinreichend Zeit und Gelegenheit hatte, die Androhung mit dem Messer in Erwägung zu ziehen und die Gefährlichkeit hinreichend abzuwägen. Denn nach den Feststellungen dauerte die gesamte Auseinandersetzung insgesamt nur kurze Zeit. Bei einer derart schnellen Abfolge der Geschehnisse verblieb im Zweifel keine Gelegenheit, eine Abwägung einzelner Angriffsmethoden gegeneinander vorzunehmen, zumal der Angeklagten sich im Zeitpunkt des Messerangriffs im Schwitzkasten befand. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Zweifelssatz auch für die Frage des Notwehrrechts gilt (BGH NStZ 2005, 85). Insofern ist zugunsten des Angeklagten anzunehmen, dass er – von dem Geschädigten im Schwitzkasten gehalten – gerade keine Möglichkeit hatte, den Einsatz des Messers anzudrohen.
126Die Erforderlichkeit des Messereinsatzes umfasst auch sämtliche dem Geschädigten beigefügten Stiche. Denn nach den Feststellungen ging der Geschädigte erst zu Boden, nachdem der Angeklagte alle sechs Stiche verübt hatte. Zuvor war er weiterhin in der Lage, die Schwitzkastensituation aufrecht zu erhalten. Nachdem der Geschädigte zu Boden gegangen war, verübte der Angeklagte keine weiteren Angriffshandlungen. Insofern hat es auch keine Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung, dass es der Kammer nicht möglich war, Feststellungen zu der Reihenfolge der Stiche zu treffen. Denn der Angeklagte hat sämtliche Stiche während des noch andauernden Angriffs verübt. Dies gilt selbst dann, wenn der rechte Brustkorbstich, welcher die tödliche Herzbeuteltamponade ausgelöst hat, der erste der Stiche war, da nach den Ausführungen des Sachverständigen die Handlungsfähigkeit des Geschädigten noch mehrere Sekunden (bis zu ca. 20) vollständig aufrecht erhalten blieb. In dieser Zeit war es zweifelsfrei möglich, auch die weiteren Stiche zu versetzen. Eine abweichende rechtliche Bewertung würde voraussetzen, dem Angeklagte zuzumuten, nach einem der verübten Stiche zunächst deren Wirkung abzuwarten, dabei aber die Fortdauer des Angriffs und damit einhergehende gravierende Verletzungen in Kauf zu nehmen. Der Angegriffene ist hingegen nicht verpflichtet, entgegen den allgemeinen Prinzipien des Notwehrrechts bis zur Selbstgefährdung zu gehen. Unabhängig von der Reihenfolge sind damit sämtliche Stiche als Verteidigungshandlung von der Notwehr umfasst.
127Alternative Handlungsabläufe, die eine Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung ausschließen könnten, sind nicht naheliegend, jedenfalls aber nicht mit Tatsachen belegt und daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, sodass zugunsten des Angeklagten - wie dargelegt - davon auszugehen ist, dass der Einsatz des Messer nach Art und Maß der drohenden Gefahr durch den Geschädigten entsprochen hat. Denn es ist weder ersichtlich, dass es dem Angeklagten in der konkreten Situation (Schwitzkasten) möglich gewesen wäre, dem Geschädigten das Messer unter Androhung seines Einsatzes vorab zu zeigen, noch konkrete Stiche in Arme oder Beine zu versetzen, um den Geschädigten so kampfunfähig zu machen. Dabei hat die Kammer zum einen berücksichtigt, dass der Geschädigte dem Angeklagten körperlich weit überlegen war. Er war nicht nur größer, sondern auch wesentlich kräftiger, was sich im Gewicht des Geschädigten (91 kg) im Vergleich zum Gewicht des Angeklagten (ca. 60 kg) niederschlägt. Zum anderen war der Angeklagte durch die Schwitzkastensituation fixiert und in seiner Bewegung – nicht ausschließbar wesentlich – eingeschränkt. Es kann daher nicht mit der hinreichenden Sicherheit festgestellt werden, dass dem Angeklagten zielgerichtete Stiche in Arme und Beine zur Abwehr möglich gewesen wären. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Geschädigte auf den Schlag mit der Flasche nicht reagiert hat, sondern den Angriff fortgesetzt hat, letztlich erst nach Beibringung aller sechs Stiche von dem Angeklagten abließ und selbst danach noch einen Schritt auf den Angeklagten zu gemacht hat, ist der Angriff des Angeklagten als erforderlich zu beurteilen.
1283.
129Der Angeklagte handelte mit dem erforderlichen Verteidigungswillen, ohne dass anderweitige Motive das Handeln des Angeklagten so wesentlich bestimmt haben, dass sie den Verteidigungswillen des Angeklagten völlig in den Hintergrund gedrängt haben.
130Der Verteidigungswille des Angeklagten ergibt sich zunächst aus dem objektiven Tatgeschehen. So war es der Geschädigte, welcher den Angeklagten angegriffen hat. Der Angeklagte selbst hat erst als Reaktion auf den Angriff mit der Flasche zugeschlagen. Der Angeklagte hat zudem, nachdem der Geschädigte zu Boden gegangen war, direkt von ihm abgelassen und keinerlei weiteren Handlungen gegen den Geschädigten verübt. Er hat einen Notruf abgesetzt und sich der Polizei gestellt. Dass der Angeklagte mit Verteidigungswillen gehandelt hat, ergibt sich zudem – wie bereits unter III. dargelegt - aus der Einlassung gegenüber den Zeugen KHK I5 und KOK P2. Gegenüber den Vernehmungsbeamten hat der Angeklagte erklärt, er habe gehandelt, um sich zu wehren. Auch hat der Angeklagte ausgesagt, zu dem Treffen gegangen zu sein, um sich zu entschuldigen, nicht um sich zu schlagen oder aber den Geschädigten zu töten. Für diese vom Angeklagten geschilderte Motivation spricht auch seine Reaktion hinsichtlich der ihm vom Zeugen KHK I5 übermittelten Nachricht vom Tod des Geschädigten. Nach Aussage des Zeugen KHK I5 war der Angeklagte geschockt und hat mehrfach nachgefragt, ob das stimme.
131Anderweitige Motive des Angeklagten, dem Geschädigten die (tödlichen) Messerstiche beizubringen, hat die Kammer umfassend erwogen, sind jedoch nicht durch Tatsachen belegt. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte sich wesentlich von solchen Motiven hat leiten lassen. Zwar kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Angeklagte bereits zuvor mehrfach mit dem Geschädigten aneinandergeraten war, wobei er in einem Fall sogar einen Kieferbruch erlitten hat, ohne das festgestellt werden konnte, dass der Geschädigte diesen verursacht hat. Auch geht die Kammer davon aus, dass der Angeklagte dem Geschädigten gegenüber bei dem Zusammentreffen am Bahnhof nach dem Besuch im „Q2“ am ##. April 2018 die Äußerung „Du wirst schon sehen“ getätigt hat. Aufgrund des deutlichen zeitlichen Abstandes genügt diese Äußerung jedoch nicht, sicher auf ein jenseits des Verteidigungswillen liegendes Motiv zu schließen. Weitere Umstände, die dem Angeklagten ein Motiv für sein Handeln hätten geben können, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Es konnte insbesondere nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte Kenntnis davon hatte, dass sich die Zeugin C2 mit dem Geschädigten getroffen hat, was ein Motiv der Eifersucht hätte begründen können. Auch ist der Angeklagte selbst in der Vergangenheit weder im Rahmen der Auseinandersetzungen mit dem Geschädigten noch in Bezug auf weitere Personen durch Körperverletzungen in Erscheinung getreten. Mithin ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte nach Vergeltung für den erlittenen Kieferbruch suchte. Es fehlt jedoch an hinreichenden greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass er – gerade um eine derartige Vergeltung umzusetzen – zu dem Treffen im Stadtpark gegangen ist und seine Handlungen derart durch ein Motiv der Rache getragen worden sind, dass es den festgestellten Verteidigungswillen völlig in den Hintergrund hat treten lassen. Selbst wenn der Angeklagte auch aus Rache gehandelt haben sollte, was nicht sicher festgestellt werden kann, schließt dies die Notwehr nicht aus, da eine Rechtfertigung auch dann in Betracht kommt, wenn neben der Abwehr eines Angriffs auch andere Ziele verfolgt werden, solange sie den Verteidigungswillen nicht völlig in den Hintergrund drängen (vgl. BGH NStZ 2003, 425).
1324.
133Das Notwehrrecht des Angeklagten war auch nicht eingeschränkt.
134a)
135Ein Fall der Absichtsprovokation liegt nicht vor. Der Angeklagte könnte sich dann nicht wirksam auf Notwehr berufen, wenn er sich absichtlich oder jedenfalls vorsätzlich in eine erwartete Verteidigungssituation hineinbegeben hätte, um dann den Geschädigten unter dem Vorwand einer objektiven Notwehrlage anzugreifen und tödlich zu verletzen. In einem solchen Fall würde sich die Gegenwehr des Angeklagten in Wahrheit als vorgeplanter Angriff auf das Leben des Geschädigten erweisen, rechtsmissbräuchlich unter dem Deckmantel der Verteidigung geführt (vgl. BGH NStZ 2003, 425; BGH NStZ 2006, 332). Eine derartige Motivlage ist nicht durch Tatsachen belegt. Zwar hat der Angeklagte, wie von ihm gegenüber dem Vernehmungsbeamten KOK P2 eingeräumt, das Messer von zu Hause mitgeführt. Auch gab es bereits Auseinandersetzungen mit dem Geschädigten. Dabei hat die Kammer nicht unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte dem Geschädigten sinngemäß gesagt hat: „Du wirst schon sehen“. Diese Umstände sind jedoch auch in der Gesamtschau nicht geeignet, auf einen schon vor dem Aufeinandertreffen bestehenden Angriffswillen des Angeklagten zu schließen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zunächst gar nicht zu dem Treffen hat gehen wollen. Der Anstoß für das Treffen kam vom Geschädigten, der auch seinen Freunden gegenüber keine Zweifel daran gelassen hat, dass er unbedingt in den Stadtpark wollte. Der Einlassung des Angeklagten zu Folge war für ihn der Hauptbewegungsgrund die bestehende Möglichkeit, C2 sehen zu können. Gegen eine Absichtsprovokation des Angeklagten spricht auch, dass der Angeklagte nicht direkt zu dem von ihm mitgeführten Messer gegriffen, sondern sich zunächst mit der Flasche und sodann im Rahmen der Schlägerei abgestuft verteidigt hat. Wäre es ihm darauf angekommen, den Geschädigten unter dem Deckmantel der Notwehr nachhaltig zu verletzen, hätte er direkt zu Beginn der Auseinandersetzung zustechen können und so eigene gravierende Verletzungen verhindern können. Gegen eine derartige Provokation spricht auch die spontane Reaktion des Angeklagten gegenüber dem Vernehmungsbeamten KOK P2, nachdem dieser ihm die Verwendung eines Messers vorgehalten hat. Denn dort hat der Angeklagte angefangen zu weinen und erklärt, es sei alles egal, er sei ein Mörder. Hätte der Angeklagte unter dem Deckmantel der Notwehr handeln wollen und dies geplant, so erscheint es abwegig, dass er zunächst überhaupt die Verwendung des Messers verschwiegen hat und dann zunächst offenbar selbst davon ausgegangen ist, als „Mörder“ ins Gefängnis zu müssen.
136Letztlich ist auch fernliegend, dass der Angeklagte die Nähe zu der Zeugin C2 nur gesucht und den Chat über WhatsApp mit ihr nur durchgeführt hat, um die Zeugin ihrerseits dazu zu bringen, den Geschädigten gegen den Angeklagten aufzuhetzen, um sodann einen Gegenangriff zu führen. Dagegen spricht nicht nur der Umstand, dass der Angeklagte die Zeugin C2 bereits kannte, als er mit dem Geschädigten in Kontakt kam. Auch widerspricht einer derartigen Theorie, dass der Kontakt zu der Zeugin C2 bereits etwa einen Monat vor dem Tatgeschehen abgebrochen war.
137b)
138Das Notwehrrecht ist auch nicht eingeschränkt aufgrund einer jenseits der Absichtsprovokation liegenden Notwehrprovokation. Das Notwehrrecht des Angegriffenen kann auch dann eingeschränkt sein, wenn der tatsächlich bestehenden Notwehrlage ein rechtswidriges, jedenfalls aber sozialethisch missbilligendes Verhalten des Angegriffenen vorangegangen ist und zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht (BGH NStZ 2006, 332).
139Ein derartiges Verhalten des Angeklagten konnte nicht festgestellt werden. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass es zu mehrfachen Aufeinandertreffen des Angeklagten und des Geschädigten gekommen ist. Der Angeklagte hat in diesem Zusammenhang jedenfalls an Rosenmontag auf dem Zeltfest sowie bei dem Aufeinandertreffen am Bahnhof in P1 sich auf eine Schlägerei bzw. Pöbelei mit dem Geschädigten eingelassen. Auch hat der Angeklagte sich nach der Adresse des Geschädigten erkundigt, was in dem konkreten Zusammenhang jedenfalls als sozialethisch missbilligend einordnet werden mag. Ob das Verhalten des Angeklagten für sich gesehen geeignet wäre, das Notwehrrecht einzuschränken, erscheint allerdings bereits fraglich, da es sich jeweils nicht um allein vom Angeklagten ausgehendes Verhalten handelte, sondern auch der Geschädigte seinerseits sich sozialethisch missbilligend verhalten hat, indem er in die Prügelei zwischen dem Angeklagten und X3 eingegriffen bzw. das Treffen am Bahnhof nach dem Geschehen im Q2 eingefordert hat. Bei dem Aufeinandertreffen auf der Kirmes in P1 im April 2018 ging das missbilligende Verhalten sogar eher vom Geschädigten aus, der dem Angeklagten leichte Backpfeifen versetzte. Letztlich ist jedoch entscheidend, dass sämtliche dieser Geschehen zum Tatzeitpunkt drei Monate (12. Februar 2018), einen Monat und fast zwei Wochen (8. April 2018) bzw. etwa einen Monat (Mitte April 2018) zurück lagen und jeweils in sich abgeschlossene Geschehensabläufe bilden. Dieser deutliche zeitliche Abstand lässt einen erforderlichen räumlich-zeitlichen Zusammenhang entfallen. Die Motivation des Geschädigten für das Treffen ging auch vielmehr aus dem erst kurz vor dem Tatgeschehen entstandenen Kontakt mit der Zeugin C2 hervor, welche ihm von dem Verhalten des Angeklagten berichtet hatte. Den benannten Vorkommnissen kann damit keine derartige Fernwirkung zugesprochen werden, dass sich daraus eine Einschränkung des Notwehrrechts des Angeklagten herleiten ließe.
140c)
141Letztlich war das Notwehrrecht des Angeklagten auch nicht eingeschränkt aufgrund einer etwaigen körperlichen Überlegenheit gegenüber dem Geschädigten. Vielmehr war es der Geschädigte, der dem Angeklagten aufgrund seiner Körpergröße und seines Gewichts überlegen war. Darüber hinaus bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Geschädigte körperliche Einbußen aufgrund einer etwaigen Intoxikation in Kauf nehmen musste. Bei dem Angeklagten selbst ist im Rahmen eines Atemalkoholtest ein Wert von 0,05 mg/l festgestellt worden. Ein (Blut-)Alkoholtest beim Geschädigten wurde nicht durchgeführt. Jedoch hat der Geschädigte trotz des Genusses von Wodka keinerlei Ausfallerscheinungen gezeigt, die auf eine ihn einschränkende Alkoholisierung hindeuten könnten. Sein zielgerichtetes Vorgehen spricht vielmehr gegen eine derartige Einschränkung.
1425.
143Anderweitige Umstände, die ein Notwehrrecht des Angeklagten ausschließen oder einschränken könnten, liegen nicht vor.
144Da das Verhalten des Angeklagten umfassend durch die Notwehr gerechtfertigt ist, entfällt eine Strafbarkeit insgesamt und nicht nur hinsichtlich des von der Staatsanwaltschaft angeklagten Totschlags.
145V.
146Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag der Nebenkläger war abzusehen, § 406 Abs. 1 S. 3 StPO. Denn der Antrag erscheint unbegründet, da die Kammer den Angeklagten freigesprochen hat.
147VI.
148Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 467 Abs. 1, 472, 472 a Abs. 2 StPO.
149VII.
150Aufgrund der erlittenen Untersuchungshaft steht dem Angeklagten eine Entschädigung nach dem StrEG zu. Eine Entscheidung nach § 8 StrEG hat die Kammer versehentlich nicht in den Urteilstenor aufgenommen.
151Unterschriften