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Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Lüdinghausen vom 25.02.2016 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.
G r ü n d e
2I.
3Dieses Urteil beruht nicht auf einer Verständigung im Sinne des § 257c StPO.
4II.
5Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten mit ihrer Anklage vom 19.11.2015 vor, am 13. und 20.10.2015 in zwei Fällen öffentliche Einrichtungen einer im Inland bestehenden Kirche in einer Weise beschimpft zu haben, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
6Ihm wird zur Last gelegt, an diesen Tagen seinen PKW im öffentlichen Verkehrsraum genutzt bzw. abgestellt zu haben, dessen Heckscheibe er zuvor mit Sprüchen beklebt habe, deren Inhalt das Papsttum bzw. die Leiden Christi als Einrichtung der katholischen Kirche beschimpften.
7Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil am 25.02.2016 wegen des Beschimpfens von Einrichtungen von Religionsgemeinschaften in zwei Fällen schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten verwarnt und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 100,00 € vorbehalten.
8Auf die Berufung des Angeklagten hat die Kammer das Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.
9III.
10Die Kammer hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Er hat sich nicht wegen Beschimpfens von Bekenntnissen gem. § 166 StGB strafbar gemacht, da die Sprüche nicht geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören. Darüber hinaus stellt der am 20.10.2015 verwandte Spruch bereits keine Beschimpfung eines Bekenntnisses oder einer Einrichtung einer Kirche dar.
11Die Kammer hat dabei in der Berufungshauptverhandlung die folgenden Feststellungen getroffen:
121. Zur Person
13Der Angeklagte ist im Jahre 1949 in M geboren, wo er heute auch lebt. Er ist mit zwei Schwestern in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen. Sein Vater war Schuhkaufmann und Orthopädieschuhmacher, seine Mutter Hausfrau. Der Angeklagte ist getauft. Er war in seiner Jugend als Messdiener tätig und hat selbst auch Messdiener ausgebildet.
14Der Angeklagte war als Lehrer für Biologie, Mathematik und Geographie – nicht jedoch für Religion – tätig. Er ist seit dem 01.02.1995 aus gesundheitlichen Gründen pensioniert.
15Der Angeklagte ist ledig und hat keine Kinder. Er lebt von seiner Pension, zu deren genauer Höhe er keine Angaben machen wollte – die Schätzung der Tagessatzhöhe durch das Amtsgericht auf 100 € „lasse er stehen“.
16Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
172. Zur Sache
18Der Angeklagte war aufgrund seiner Beschäftigung mit kirchen- und religionskritischer Literatur zu dem Schluss gekommen, dass der Glaube auf fragwürdigen Fundamenten ruhe. Bibelstellen mit fragwürdigen Inhalten würden im Religionsunterricht nicht behandelt und auch die Gläubigen wüssten überwiegend überhaupt nicht, was die Grundlage ihres Glaubens sei.
19Diese von ihm als „Rosinenpickerei vernünftiger Bibelstellen“ empfundene mangelnde Beachtung von kritikwürdigen Bibelinhalten erschütterte den Angeklagten. Er kam zu dem Schluss, dass er die Allgemeinheit darüber aufklären müsse, was tatsächlich auch in der Bibel stehe. Daher begann er im Jahr 2014, wechselnde Bibelsprüche in großen Buchstaben auf die Heckscheibe seines PKW zu kleben. Darin gab er Bibelzitate wieder, verfremdete oder kommentierte sie. Darüber hinaus beschäftigte sich der Angeklagte mit Martin Luther. Auch hier kam er zu dem Schluss, dass in der Allgemeinheit kein vollständiges und richtiges Bild Luthers bestehe und er hierüber aufklären müsse.
20Am 13.10.2015 fuhr der Angeklagte mit seinem PKW auf der TStraße in M. Dabei stand auf der Heckscheibe der von ihm dort angebrachte Spruch:
21„Wir pilgern mit Martin Luther:
22Auf nach Rom!
23Die Papstsau Franz umbringen.
24Reformation ist geil! g Luther Papst umbringen“
25Hiermit wollte der Angeklagte darauf hinweisen, dass bestimmte, seines Erachtens kritische und kritikwürdige Äußerungen Luthers in der Öffentlichkeit nicht bekannt seien und daher ein falsches Bild seiner Person und seines Wirkens bestehe. Mit dem Symbol g wollte er aufrufen, die nachfolgenden Begriffe in eine Internet-Suchmaschine einzugeben – zu „googeln“.
26Am Morgen des 20.10.2015 parkte der Angeklagte seinen Pkw auf einem öffentlichen Parkplatz in der Nähe der Innenstadt an der GStraße in M. Auf der Heckscheibe stand der von ihm dort angebrachte Spruch:
27„Kirche sucht moderne Werbeideen. Ich helfe.
28Unser Lieblingskünstler:
29Jesus – 2000 Jahre rumhängen.
30Und noch immer kein Krampf!“
31Mit diesem Spruch wollte der Angeklagte kritisch darauf hinweisen, dass Jesus oft am Kreuz hängend dargestellt wird und auf provokative Weise die Frage aufwerfen, ob Jesus uns heute noch etwas zu sagen habe. Angelehnt hat er seine Formulierung an einen Spruch des Fernsehmoderators Küppersbusch. Dieser hat nach der Entscheidung des BVerfG über Kruzifixe in bayerischen Schulklassen unter anderem gesagt, „2000 Jahre rumhängen“ sei ja auch „kein Vorbild für die Jugend“.
32Der Angeklagte wollte mit diesen Sprüchen auf eine provozierende Weise auf in der Öffentlichkeit nicht bekannte Aspekte der Bibel, des Glaubens und Luthers aufmerksam machen. Dabei war ihm bewusst, dass die Äußerungen auch Verärgerung hervorrufen können; dies wollte er, um eine Diskussion und eine inhaltliche Auseinandersetzung zu erreichen.
33Ein Strafantrag liegt ebenso wenig vor wie ein Strafverlangen der Regierung des Vatikanstaates oder eine Ermächtigung der Bundesregierung zur Strafverfolgung.
34IV.
35Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten und der Inaugenscheinnahme von Lichtbildern der streitbefangenen Sprüche.
36V.
37Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Sein Verhalten erfüllt keinen Straftatbestand. Insbesondere hat der Angeklagte sich nicht gemäß § 166 StGB strafbar gemacht.
38Der am 20.10.2015 öffentlich gezeigte Spruch stellt bereits keine Beschimpfung im Sinne des § 166 StGB dar.
39Als Beschimpfung im Sinne dieser Vorschrift wird eine durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung von Missachtung angesehen (Hörnle in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017; Fischer, 64. Auflage 2017, § 166 Rn. 12). Dabei ist die entsprechende Äußerung unter Berücksichtigung der Grundrechte des Äußernden auf Meinungsfreiheit und gegebenenfalls auch der (spezielleren) Kunstfreiheit auszulegen. Erfasst sind etwa bösartiges Verhöhnen oder das Nachsagen schimpflichen Verhaltens oder schimpflicher Zustände, nicht jedoch bissige, provozierende, ironische oder auch alberne Kritik; die Bewertung hat dabei vom Standpunkt eines neutralen, auf Toleranz bedachten Betrachters zu erfolgen, nicht maßgeblich ist das religiöse Empfinden von Angehörigen des betroffenen Personenkreises (vgl. Dippel in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 166 Rn. 32). Nach diesem Maßstab liegt hier keine Beschimpfung vor.
40Der Spruch vom 20.10.2015 enthält eine kritische Äußerung gegenüber der Kirche und dem Symbol des Jesus am Kreuz. Hingewiesen wird auf die lange, aus Sicht des Verfassers möglicherweise inhaltlich überholte Tradition dieses Symboles. Der Hinweis auf den fehlenden Krampf zieht die Situation ins Lächerliche, er macht den Spruch dadurch auch zu einer unsinnigen und grotesken Aussage. Diese stellt keine besonders verletzende Äußerung von Missachtung des Symbols dar. Sie ist eine etwas gezwungen ironische Verknüpfung des profanen körperlichen Leidens des Krampfes mit dem Leiden Christi. Hierdurch soll die eigene Aussage pointiert und Aufmerksamkeit erregt werden. Unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit und auch der Kunstfreiheit, die auch Satire schützt, ist in ihr daher keine Beschimpfung im Sinne des § 166 StGB zu sehen.
41Anders beurteilt die Kammer den Spruch vom 13.10.2015. Der Begriff „Papstsau“ stellt aufgrund der Grobheit des Ausdrucks eine Beschimpfung des Papsttums als Einrichtung der katholischen Kirche dar.
42Zwar sieht die Kammer in der Äußerung keinen Aufruf zur Begehung einer Kapitalstraftat. Denn durch die Verbindung des mit „Franz“ offensichtlich gemeinten aktuellen Papstes mit dem Aufruf, gemeinsam mit Luther nach Rom zu pilgern, wird deutlich, dass dies keine reale Handlungsaufforderung zum Nachteil des aktuellen Papstes ist. Es ist vielmehr eine Äußerung in Bezug auf das Papsttum an sich.
43Inhaltlich werden mit dem Spruch durch die Bezeichnung der Reformation als „geil“ und die gemeinsame Nennung des aktuellen Papstes und Luthers der historische Vorgang der Reformation und die Person Luthers mit der heutigen Zeit verknüpft. Durch die „Aufforderung“ jemanden umzubringen wird auch deutlich, dass hier Kritik geäußert werden soll, ohne dass diese jedoch inhaltlich auf den ersten Blick zu erfassen ist. Gleichzeitig wird der Leser – sofern er das Symbol richtig deutet – zur Internetrecherche aufgefordert. Dies ist im Grundsatz von der Meinungsfreiheit gedeckt.
44Die in diesem Zusammenhang verwandte Bezeichnung als „Papstsau Franz“ stellt jedoch eine Herabwürdigung des Papsttums dar, die die Grenzen der zulässigen Meinungsäußerung überschreitet und als Beschimpfung anzusehen ist. Die Bezeichnung des aktuellen Papstes stellvertretend für das Papsttum als „Sau“ ist eine drastische Formulierung, die einen eindeutig beleidigenden Charakter hat. Die Bezeichnung stellt auch weder für sich noch im Gesamtkontext eine sachliche Kritik oder eine inhaltliche Auseinandersetzung dar. Sie hat ausschließlich die Funktion, den Spruch reißerisch und skandalös klingen zu lassen. Sie soll die Aufmerksamkeit auf den Spruch und den Angeklagten lenken. Dass der Begriff „Papstsau“ von Luther verwandt wurde und der Angeklagte darauf hinweisen und zur Internet-Recherche anregen möchte, ändert daran nichts. Diese historische Tatsache steht in keinem Zusammenhang mit dem aktuellen Papsttum und Äußerungen und Handlungen des aktuellen Papstes. Sie wurde von Luther in einem gänzlich anderen religiösen und gesellschaftlichen Umfeld und in einer von gegenseitigen Angriffen geprägten Auseinandersetzung genutzt.
45Der Angeklagte ist aber insgesamt freizusprechen, da beide Äußerungen nicht geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören. Denn es ist nicht zu befürchten, dass sie Dritte dazu veranlassen, aggressiv zu werden und die Rechte anderer zu verletzen.
46Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit zu § 130 Abs. 4 StGB ausgeführt, dass eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zur Sicherung des öffentlichen Friedens nur dann zulässig sei, wenn sie dem Schutz vor Äußerungen diene, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, also den Übergang zu Aggression und Rechtsbruch markieren. Nur wenn Äußerungen bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen, Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern, sei es gerechtfertigt, die freie Meinungsäußerung zur Aufrechterhaltung des friedlichen Miteinanders einzuschränken (BVerfG NJW 2010, 47, 52 f. – Rn. 77 und 78). Nicht ausreichend sei die Wertlosigkeit oder die Gefährlichkeit von Meinungsäußerungen, selbst wenn sie – so das BVerfG im Zusammenhang mit rechtsradikalen Äußerungen – das allgemeine Friedengefühl beeinträchtigen, das geistige Klima vergiften oder das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung kränken (BVerfG NJW 2010, 47, 52 – Rn. 2, 77).
47Diese einschränkende Auslegung ist auf § 166 StGB zu übertragen (vgl. auch Hörnle in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 166 Rn. 23; Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 166 Rn. 14a; Bayerischer VGH, Urteil vom 08.03.2010, 10 B 09.1102, 10 B 09.1837 - juris Rn. 41; VG Sigmaringen, Urteil vom 19.01.2011, 1 K 1561/10 - juris Rn. 35; VG München, Urteil vom 06.04.2016, M 7 K 15.200 – BeckRS 2015, 51272). Denn auch diese Vorschrift schränkt die Meinungsfreiheit zum Schutz des öffentlichen Friedens ein. Sie schützt damit Angehörige von Religionsgemeinschaften nicht vor Kränkung und Empörung, sondern will die Ausgrenzung und Separation bestimmter Gruppen in der Gesellschaft verhindern, um gewalttätige Auseinandersetzungen zu vermeiden.
48Maßstab ist dabei die Beurteilung durch einen toleranten, emotional gefestigten objektiven Dritten (vgl. Hörnle in: Münchener Kommentar zum StGB 3. Auflage 2017, § 166 Rn. 23; Dippel in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 166 Rn. 30, 32).
49Nach diesen Kriterien sind die vom Angeklagten verwandten Sprüche nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Sie enthalten keinen ausdrücklichen und auch keinen konkludenten Aufruf zu Gewalt. Durch das eingefügte Symbol einer Internet-Suchmaschine kommt ihnen nur in der Aufforderung zu „Googeln“ ein appellativer Charakter zu.
50Die Sprüche sind weder darauf angelegt noch geeignet, die Bereitschaft zum Rechtsbruch zu wecken oder Hemmschwellen herabzusetzen. Denn sie enthalten keine bösartige inhaltliche Beschimpfung mit hetzerischem oder ausgrenzendem Inhalt. Die Anstößigkeit der Sprüche ergibt sich inhaltlich durch ihre absurden, ironischen Aussagen und – jedenfalls im ersten Fall – durch die dargelegte Beschimpfung. Die Sprüche sind dabei aber vor allem aufgrund ihrer schwer zu erfassenden Aussagen bereits nicht geeignet, Gemüter so zu erhitzen, dass die Angesprochenen sich veranlasst sehen könnten, Rechte anderer zu verletzen. Sie erzeugen bei den Adressaten eher Irritation. Dazu kommt möglicherweise – vor allem im ersten Fall – Verärgerung, Empörung und vielleicht auch Kränkung wegen der Wortwahl. Im zweiten Fall möglicherweise aufgrund der ironischen Anklänge auch ein verwundertes Schmunzeln. Es ist zu erwarten, dass sie bei den angesprochenen Anhängern des christlichen Glaubens Diskussionen über die Sprüche sowie die Person des Angeklagten und seine Motivation auslösen. Dies reicht aber nach den obigen Ausführungen nicht aus, um eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens zu begründen.
51Beide Sprüche schüchtern Dritte auch nicht unmittelbar ein. Wie bereits ausgeführt haben sie keinen hetzerischen und ausgrenzenden Inhalt. Sie sind auch aufgrund ihres Inhalts nicht geeignet, bei angesprochenen Bekenntnisanhängern Ängste zu erzeugen oder bei ihnen Hemmungen hervorzurufen, die sie an der Ausübung ihrer Rechte hindern.
52VI.
53Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO.
54Unterschrift