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Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 388,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.07.2022 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).
2Entscheidungsgründe:
3Die zulässige Klage ist begründet.
4Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 388,23 Euro gem. §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 VVG.
5Der Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG schließt grundsätzlich den Ersatz derjenigen Kosten mit ein, die durch die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs entstehen. Nach den Grundsätzen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung kann der Geschädigte von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann (BGH, NJW 2010, 1445; NJW 2016, 2402 [2403]). Darüber hinausgehende, mithin nicht erforderliche Mietwagenkosten, kann der Geschädigte nur ersetzt verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war (BGH VersR 2009, 83 m.w.N., NJW 2016, 2402 [2403]).
6Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass der geltend gemachte Tarif dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht. Darlegungen zu örtlichen Recherchen bezüglich etwaiger günstigerer Konkurrenzangebote sind nicht erfolgt. Es wurden auch keine Umstände vorgetragen, die es nahelegen, höhere als die erforderlichen Kosten zu erstatten, weil dem Kläger in der konkreten Anmietsituation keine Nachforschungen bezüglich günstigerer Tarife möglich gewesen wären.
7Demgegenüber steht auch nicht fest, dass der Geschädigten ein günstigerer Tarif in der konkreten Situation „ohne Weiteres“ zugänglich gewesen wäre, so dass ihr eine kostengünstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihr gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (vgl. hierzu BGH, NJW 2013, 1870 [1871]). Auch ein nachträglich eingeholtes Angebot kann bei der Tarifermittlung nicht berücksichtigt werden, weil die konkrete Anmietsituation und die Erkenntnisquellen des Geschädigten in der konkreten Situation maßgeblich sind und ein nachträglich eingeholtes Angebot diese nicht unbedingt korrekt wiedergibt.
8Daher ist auf die objektive Marktlage abzustellen, also danach zu fragen, zu welchen Bedingungen das Ersatzfahrzeug anzumieten gewesen wäre. Die Ermittlung der Schadenshöhe in Form des so genannten Normaltarifs unterliegt der richterlichen Schätzung gemäß § 287 ZPO. Eine konkrete Schätzgrundlage wird dabei nicht durch § 287 ZPO vorgegeben. Die Schadenshöhe darf nur nicht aufgrund von sachfremden oder offensichtlich falschen Erwägungen geschätzt werden. Umgekehrt dürfen wesentliche Tatsachen, die zur Wertbildung geführt haben, nicht außer Betracht bleiben. Das Abstellen auf anerkannte Fachlisten und Tabellen als Grundlage für die Schadensberechnung ist nach diesen Grundsätzen zulässig. Das Gericht kann in diesem Sinne sowohl die Schwacke-Liste als auch den Fraunhofer Marktpreisspiegel oder aber auch beide zugrunde legen (vgl. BGH, NJW 2013, 1539). Dass beide Erhebungen im Einzelfall zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen führen, ändert nichts an der Eignung der Erhebungen, da sie nur als Grundlage für die Schätzung gemäß § 287 ZPO herangezogen werden. Je nach Einzelfall kann das Gericht durch Abschläge oder Zuschläge auf die sich jeweils ergebenden Tarife abweichen (BGH, NJW 2013, 1540 [1541]). Das erkennende Gericht hält die Mittelwert-Lösung (sog. „Fracke“-Methode) für vorzugswürdig (vgl. auch OLG Hamm, DAR 2016, 331 [333 f.]; LG Münster, Urteil vom 12.1.2016, Az.: 3 S 55/15). Die Vor- und Nachteile der beiden Erhebungen wurden bereits vielfach diskutiert und auch von den Parteien teilweise vorgetragen. Die Schwacke-Liste hat den Vorteil, eine höhere örtliche Genauigkeit zu erzielen und besonders regionale Anbieter unabhängig von eventuell nicht verfügbaren Internettarifen zu berücksichtigen. Der wesentliche Nachteil des Schwacke-Mietpreisspiegels liegt darin, dass die Erhebung nicht auf anonymisierten Anfragen beruht, die Unternehmer sich also bewusst waren, an einer Marktforschungsstudie teilzunehmen. Es wurde also nicht auf die konkrete Anmietsituation durch einen Unfallgeschädigten abgestellt und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Anbieter höhere Preise aus eigenem Interesse angegeben haben. Der Fraunhofer Marktpreisspiegel führt wiederum anonyme Datenerhebungen durch und kann so etwaige Manipulationsversuche durch die Mietwagenunternehmer ausschließen. Die Erhebung basiert allerdings zu einem großen Teil auf Internetangeboten, die zum einen nicht immer regional verfügbar sind und zum anderen auch einen nicht immer vorhandenen Internetzugang voraussetzen. Ferner ist bei Internetangeboten das Vorhandensein einer Kreditkarte vorausgesetzt und es wurde mit einer einwöchigen Vorlauffrist gebucht. Beides kann im Einzelfall nicht automatisch vorausgesetzt werden. Ein gravierender Vorteil der einen Liste gegenüber der anderen ist aus Sicht des Gerichts nicht erkennbar. Zwar kann es sein, dass es aufgrund der regionalen Verhältnisse geboten erscheint, die eine oder andere Liste als Grundlage der Schätzung zu bevorzugen. Anhaltspunkte dafür sind hier aber nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen des Beklagten. Um den aufgeführten Bedenken gegen beide Schätzmethoden im ausreichenden Maße zu begegnen, hält es das Gericht für vorzugswürdig, den Mittelwert aus beiden Schätzgrundlagen zu ermitteln.
9Bei der Bewertung ist hier von einem Fahrzeug der Klasse 7 auszugehen, weil das tatsächliche angemietete Fahrzeug dieser Klasse zuzuordnen ist (vgl. hierzu OLG Hamm, NZV 2016, 336 [340]; LG Frankfurt a. M., Urteil vom 20.12.2018, 2-01 S 97/18). Daneben finden die Werte für das Postleitzahlengebiet 572 (Schwacke) und 57 (Frauenhofer) Anwendung, weil hier die Anmietung des Fahrzeugs erfolgte. Bei den Listenwerten stellt das Gericht jeweils auf das arithmetische Mittel ab.
10Das Gericht geht davon aus, dass die Anmietung für einen Zeitraum von 14 Tagen erforderlich war. Die Klägerin hat substantiiert vorgetragen, dass die Geschädigte das Ersatzfahrzeug am 14.05.2021 angemietet und am 27.05.2021 zurückgegeben habe. Die Geschädigte war auch nicht verpflichtet das Ersatzfahrzeug erst nach Auftragserteilung für den Reparaturauftrag zu erteilen, da ihr Fahrzeug ausweislich des Gutachtens nicht mehr verkehrssicher war.
11Der Beklagte hat zwar die Erforderlichkeit der Anmietdauer von 14 Tagen bestritten, die Reparatur als solche hat jedoch unbestritten bis zum 26.05.2021 gedauert. Angesichts einer Geschäftsreise konnte eine Rückgabe erst am 27.05.2021 erfolgen. Unabhängig davon, dass der Sachverständige die Reparaturdauer mit nur 4-5 Tagen angesetzt hat, trägt der Schädiger das Prognoserisiko hinsichtlich etwaiger Verlängerungen der Reparatur- und der damit einhergehenden Mietdauer. Dieses Werkstattrisiko beruht auf dem Gedanken, dass bei der Prüfung der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu berücksichtigen ist, dass den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten Grenzen gesetzt sind, sobald der Reparaturauftrag erteilt und die Angelegenheit in die Hände von Fachleuten begeben hat, so dass ihm ein unsachgemäßes oder unwirtschaftliches Arbeiten des Betriebs nicht zur Last gelegt werden kann (BGH VersR 2013, 1590; LG München II, Urteil vom 18.12.2014 – 8 S 2650/14). Auch die Verzögerung um einen weiteren Tag aufgrund einer Geschäftsreise muss der Beklagte hinnehmen.
12Nach der Schwacke-Liste für 2021 und das Postleitzahlengebiet 572** liegt das arithmetische Mittel in der Mietwagenklasse 7 und einer Wochenpauschale bei 744,68 Euro (brutto) = 625,78 Euro (netto). Aus dem Marktpreisspiegel des Frauenhofer Instituts beträgt das arithmetische Mittel für den Postleitzahlenbereich 57*** in der Mietwagenklasse 7 und einer Wochenpauschale 411,32 Euro (brutto) = 345,64 Euro (netto).
13Hinzu kommen die Kosten für eine Reduzierung der Selbstbeteiligung im Rahmen einer Vollkaskoversicherung. Der Anspruch errechnet sich grundsätzlich nach der Schwacke Nebenkostentabelle und beträgt vorliegend 23,29 Euro (brutto) = 19,57 Euro (netto) x 14 = 273,98 Euro (netto). Ausweislich der Mietwagenrechnung hat die Klägerin die Kosten der Haftungsreduzierung nur mit einem Betrag in Höhe von 211,82 Euro (netto) in Rechnung gestellt. Insoweit sind hier auch nur die tatsächlich angefallenen Kosten zu berücksichtigen.
14Grundsätzlich ist eine Korrektur der jeweiligen Listenwerte bzgl. der jeweils im Normaltarif enthaltenen Vollkasko-Kosten entbehrlich Denn sowohl Frauenhofer als auch Schwacke fragen Normaltarife ab, in denen Vollkasko mit Selbstbehalt bereits eingeschlossen ist. Davon erfasst sind jedoch nur Selbstbeteiligungshöhen von 750-950 Euro (Frauenhofer) und 500-1.500 Euro (Schwacke). Der Geschädigte hat diesbezüglich einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen, wenn er während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist (BGHZ 61, 325 [331 ff.], NJW 2005, 1041 [1042 f.]). Die Kosten für eine Vollkaskoversicherung sind sogar dann erstattungsfähig, wenn das eigene Fahrzeug nicht vollkaskoversichert ist (OLG Köln, Urteil vom 26.2.2013, Az. 3 U 141/12; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.7.2012, Az. 12 U 1821/10). Bei einem Mietwagen handelt es sich in der Regel – so auch hier – um ein dem Mieter unbekanntes Fahrzeug, welches gerade aufgrund der Unbekanntheit die erhöhte Gefahr eines Unfalls mit sich bringt. Um dieser Gefahr zu begegnen, ist der Mieter berechtigt, eine Vollkaskoversicherung mit reduzierter Selbstbeteiligung abzuschließen.
15Ein Abschlag von 10 % wegen ersparter Abnutzungen am eigenen Fahrzeug ist nicht vorzunehmen. Ein Abzug entfällt jedenfalls dann, wenn mit dem Mietfahrzeug eine geringere Strecke als 1.000 km zurückgelegt wurde, das ist hier der Fall.
16Nach Maßgabe der vorgenannten Erwägungen ergibt sich folgende Berechnung unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt ist:
17Schwacke 14 Tage Klasse 7, arithmetisches Mittel Wochenpauschale744,68 Euro (brutto) (744,68 : 7 x 14 = 1.489,32 ) |
1.489,32 Euro |
Frauenhofer 14 Tage Klasse 7, arithmetisches Mittel Wochenpauschale 411,32 Euro (brutto) (411,32 : 7 x 14 = 822,64) |
822,64 Euro |
Summe |
2.311,96 Euro |
Mittelwert Normaltarif (brutto) |
1155,98 Euro |
Mittelwert Normaltarif (netto) |
971,41 Euro |
+ Haftungsfreistellung lt. Rechnung (netto) |
211,82 Euro |
Summe |
1.183,23 Euro |
abzüglich Zahlung |
795,00 Euro |
Summe |
388,23 Euro |
Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf den §§ 286, 288, 291 BGB.
19Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
20Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
21Der Streitwert wird auf 388,23 EUR festgesetzt.
22Rechtsbehelfsbelehrung:
23Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
241. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
252. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
26Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils bei dem Landgericht Münster, Am Stadtgraben 10, 48143 Münster, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
27Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils gegenüber dem Landgericht Münster zu begründen.
28Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Münster durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
29Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
30Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
31Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
32Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.