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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 38.079,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Pkw Audi A6 3.0 TDI Quattro Avant, Fahrzeugidentifikationsnummer __________________________ nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
Es wird festgestellt, dass sich die Klage in Höhe von 61,88 EUR erledigt hat.
Es wird festgestellt, dass der in Ziff.1 des Tenors bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1590,91 EUR freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers im Zusammenhang mit dem so genannten „Abgasskandal“.
3Der Kläger erwarb am 18.04.2018 von _________________________________ das gebrauchte Fahrzeug vom Modell Audi A6 Quattro Avant 3.0 TDI, Euro 6 zu einem Kaufpreis von 40.250,00 EUR. Zu diesem Zeitpunkt wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 62.429 auf.
4Die Beklagte ist Entwicklerin und Herstellerin des im Fahrzeug verbauten V6- Tubrodieselmotors.
5Bei dem Fahrzeug ist ein sog. Thermofenster verbaut, mittels dessen die Abgasrückführungsrate je nach Außentemperatur angepasst wird. Außerdem wird im Rahmen des Prüfzyklus NEFZ auf dem Rollenprüfstand eine schadstoffmindernde Aufwärmstrategie eingesetzt, die den SCR-Katalysator schnell auf Betriebstemperatur bringt, so dass sich der Stickstoffausstoß reduziert, während diese Funktion im normalen Straßenverkehr nahezu gänzlich deaktiviert ist.
6Das Kraftfahrtbundesamt ordnete bezüglich verschiedener Fahrzeugtypen der Beklagten, u.a. dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp Audi A 6 3.0 l Diesel Euro 6 einen Rückruf an, in dessen Rahmen von dem KBA festgestellte unzulässige Abschalteinrichtungen entfernt werden sollen.
7Am 21.07.2017 veröffentlichte die Beklagte eine Pressemitteilung folgenden Inhalts:
8„Audi bietet für Kunden in Europa und weiteren Märkten ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge an. Insgesamt können bis zu 850.000 Autos, die mit dem Sechszylinder- und Achtzylinder-Dieselmotor ausgestattet sind (V6/V8 TDI, EU5/EU6), eine neue Software bekommen. Hierdurch wird das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb jenseits der bisherigen gesetzlichen Anforderungen weiter verbessert. Die Aktion wird in enger Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) erfolgen.“
9Am 23.01.2018 informierte das KBA im Rahmen einer Pressemitteilung darüber, dass es bei den Modellen Audi 3.0 l Euro 6, Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5, Q7 unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen und deshalb verpflichtende Rückrufe angeordnet habe. In Deutschland seien hiervon rund 77.600 Fahrzeuge betroffen.
10Im Januar 2018 wies die Beklagte ihre Vertragshändler an, Kaufinteressenten ein zur Musterschreiben auszuhändigen. Darin heißt es auszugsweise wie folgt:
11„Wie sie sicherlich der Presse bereits entnommen haben, bietet Audi für Kunden ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge an. Insgesamt können bis zu 850.000 Autos, die mit Sechszylinder- und Achtzylinder Dieselmotos ausgestattet sind, eine neue Software bekommen. Dies haben wir bereits am 12.07.2017 über die Medien bekannt gemacht. Durch die Nachrüstung wird das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb weiter verbessert. Dies wird in enger Abstimmung mit dem KBA erfolgen. Damit will Audi dazu beitragen, die Gesamtemission in den Innenstädten zu reduzieren- Für diese 850.000 Fahrzeuge werden in Absprache mit dem KBA Software Updates durchgeführt, die zum Teil angeordnet, zum Teil freiwillig vorgenommen werden. Das vorliegende Fahrzeug gehört zu dieser Gruppe […]“
12Ferner richtete die Beklagte eine Website ein, die nach Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer mitteilte, ob das Fahrzeug von einer „Feldmaßnahme“ betroffen sei. Diese wurde dann unter der Beschreibung „A-Diesel Emissionsminderung“ angezeigt.
13Mit anwaltlichen Schreiben vom 23.09.2020 hat der Kläger von der Beklagten die nunmehr streitgegenständliche Rückabwicklung begehrt, wobei er den Abzug einer Nutzungsentschädigung auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 400.000 km anbot.
14Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 07.07.2021 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 72.542 km auf.
15Der Kläger behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffen, da es sich bei dem genannten Thermofenster und der Aufwärmstrategie um unzulässige Abschalteinrichtungen handele. Er sei von den Verantwortlichen der Beklagten in einer Weise mit sittenwidriger Schädigungsabsicht getäuscht worden, die die Beklagte sich zurechnen lassen müsse.
16Bei Kenntnis aller Umstände hätte er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben.
17Er lasse sich eine Nutzungsentschädigung auf Basis einer Gesamtleistung von 400.000 km anrechnen.
18Der Kläger hat ursprünglich beantragt, die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 39.153,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu bezahlen. In der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2021 hat der Kläger den Rechtsstreit in Höhe von 61,88 EUR wegen einer weiteren abzuziehenden Nutzungsentschädigung teilweise für erledigt erklärt.
19Er beantragt nunmehr,
201. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 39.044,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Pkw Audi A6 3.0 TDI Quattro Avant, Fahrzeugidentifikationsnummer _____________________ nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft;
21hilfsweise,
22festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschaltvorrichtung in das Fahrzeug der Marke Audi vom Typ A6 3.0 TDI Quattro Avant mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ____________________________________ und der damit verbundenen Manipulation des Emissionskontrollsystems resultieren;
232. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Verzug befindet;
243. festzustellen, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt;
254. die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.613,24 EUR freizustellen.
26Die Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Die Beklagte behauptet, in dem Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Insbesondere weise es keine wie in den Motoren des Typs EA 189 enthaltene Umschaltlogik auf, die dauerhaft zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem Betrieb auf der Straße unterscheide.
29Das Thermofenster sei zulässig und notwendig, um eine Versottung des Abgasrückführungskühlers zu verhindern. Eine Lenkwinkelerkennung, Getriebemanipulation, oder Manipulation des On-Board-Diagnosesystems weise das streitgegenständliche Fahrzeug nicht auf und sei auch nicht Gegenstand des KBA-Rückrufs. Ein AECD- Steuergerät sowie ein NOx-Speicherkatalysator seien nicht im Fahrzeug verbaut. Schließlich finde auch keine Leistungsreduzierung, die nur auf dem Prüfstand zu einer höheren Abgasrückführungsquote führe, nicht statt.
30Das Kraftfahrtbundesamt habe auch bereits bestätigt, dass das Software-Update u.a. keinen Einfluss auf den Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionswerte habe.
31Auch sei nicht nachvollziehbar, inwiefern das Emissionsverhalten des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus Sicht des Klägers der entscheidende Faktor für den Abschluss des Kaufvertrages gewesen sein soll. Bereits der Umstand, dass sich der Kläger für ein Fahrzeug mit einer beachtlichen PS-Leistung entschieden habe, zeige, dass es dem Kläger vornehmlich auf die Leistung des Fahrzeugs angekommen sei.
32Die Beklagte habe sich gegenüber dem Kläger auch nicht sittenwidrig verhalten. Insbesondere habe die Beklagte den Kläger nicht getäuscht. Eine Sittenwidrigkeit entfalle, weil die Beklagte ihr Verhalten maßgeblich geändert habe.
33Jedenfalls sei der Kläger Unternehmer und als solcher zum Vorsteuerabzug berechtigt; ein etwaiger Schaden sei daher um den Betrag der Berechtigung zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG zu kürzen.
34Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen Bezug genommen.
35Entscheidungsgründe:
36I.
37Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
38Das notwendige Feststellungsinteresse für den Klageantrag zu 3) folgt aus der im Gesetz vorgesehenen Privilegierung solcher Forderungen, die auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruhen.
391.
40Die Klagepartei hat gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB einen Anspruch auf die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 40.250,00 EUR abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.170,10 EUR, mithin insgesamt 38.079,90 EUR.
41Nach § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet. Dabei ist ein Unternehmen für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt, § 31 BGB.
42Die Beklagte hat den Kläger vorliegend getäuscht, indem sie zugelassen hat, dass ein von ihr hergestelltes Fahrzeug, in welches eine manipulierte Motorsteuerungssoftware eingebaut worden ist, in den Verkehr gebracht wurde, ohne dass sie die Details der Programmierung offen gelegt hat.
43Die Programmierung der Motorsteuerungssoftware ist gesetzeswidrig. Der Kläger hat substantiiert dargelegt, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug, gesteuert über die Motorsteuerungssoftware, verschiedene Vorrichtungen implementiert sind, welche hinsichtlich der Abgasbehandlung zwischen einer Situation auf dem Prüfstand und außerhalb des Prüfstandes unterscheiden und nur auf dem Prüfstand für eine die gesetzlichen Grenzwerte einhaltende Abgasreinigung sorgen. Auch wenn die Verwendung des Thermofensters allein regelmäßig einen Anspruch aus § 826 BGB nicht begründen kann, liegen hier mit dem Warmlaufmodus und der Dosierungsstrategie weitere Vorrichtungen vor, welche Einfluss auf das Emissionsverhalten nehmen. Dieser Vortrag wird insbesondere gestützt durch den vom KBA angeordneten Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps, welcher sich ausdrücklich auf eine „die Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“ bezieht. Die Beklagte ist dem im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast nicht ausreichend entgegengetreten. Vielmehr ist der KBA - Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unstreitig.
44In der Verwendung von Abschaltvorrichtungen, die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr.10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (EU 5 und EU 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge. Bei verständiger Auslegung muss die von der Beklagten installierte Programmierung als Abschalteinrichtung angesehen werden.
45Denn sie setzt Strategien ein, die nahezu ausschließlich unter den Prüfbedingungen der NEFZ wirken. Der Warmlaufmodus sorgt auf dem Prüfstand für eine sofortige Verringerung der Emissionen, die auf der Straße erst verzögert eintritt. Die Dosierungsstrategie tritt erst bei zu Neige gehendem AdBlue-Vorrat und damit nicht auf dem Prüfstand auf. Nach verständiger Würdigung kann dies allein die Abgasreduzierung im Prüfstand zum Ziel haben.
46Die Einschätzung als Abschalteinrichtung gilt unabhängig davon, ob tatsächlich eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem vorhanden ist oder aber lediglich eine Einwirkung auf einen innermotorischen Vorgang erfolgt. Schon die faktische Testzykluserkennung in Verbindung mit einer fast ausschließlich im Testzyklus erfolgenden Einwirkung auf die Abgasrückführung ist ein Verstoß gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen. Zudem liegt auf der Hand, dass auch eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist und einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller ermöglicht, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist, da ansonsten Tricks und Manipulationen jedweder Art Tür und Tor geöffnet würden und eine Vergleichbarkeit selbst unter den dem realen Fahrbetrieb fernen, genormten Prüfstandbedingungen nicht mehr herzustellen wäre. Eine nahezu ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden.
47Die Offenbarungspflicht und in deren Missachtung die Täuschung des Klägers ergibt sich daraus, dass der Einbau der Manipulationssoftware dazu geführt hat, dass das von dem Kläger erworbene Fahrzeug unter kaufrechtlichen Aspekten im Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft war. Durch die Installation einer Motorsteuerungssoftware, die die korrekte Messung der Stickoxidwerte verhindert und im Prüfbetrieb niedrigere Ausstoßmengen vorspiegelt, weicht ein Fahrzeug von der bei vergleichbaren Fahrzeugen üblichen Beschaffenheit ab (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 21.06.2016, Az.:28 W 14/16; OLG Celle, Beschluss vom 30.06.2016 - Az. 7 W 26/16 -; OLG München – Beschluss vom 03.07.2017 – Az. 21 U 4818/16 = NJW-RR 2017,1238; OLG Koblenz – Beschluss vom 27.09.2017 – Az. 2 U 4/17 = BeckRS 2017,127983). Ein Fahrzeugkäufer geht aber grundsätzlich davon aus, dass das erworbene Fahrzeug insoweit vollständig mangelfrei ist, den gesetzlichen Vorschriften genügt und ohne Einschränkung und ohne weitere zusätzliche spätere Maßnahmen am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen darf, wobei diese Vorstellungen in der Regel für den Kaufentschluss des jeweiligen Käufers wie auch der hiesigen Klagepartei maßgeblich sind. Diese Vorstellungen waren hier aufgrund der vorgenommenen Manipulation und der diesbezüglichen Täuschung falsch.
48Diese Täuschung ist auch sittenwidrig.
49Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauungen. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen; besonders strenge Anschauungen sind ebenso wie besonders laxe Auffassungen unbeachtlich (Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., Rn. 4 zu § 826 und Rn. 2 ff zu § 138). Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, a.a.O., Rn. 4 zu § 826). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich machen (BGH, Urteile vom 20. November 2012 - VI ZR 268/11, aaO und vom 4. Juni 2013 - VI ZR 288/12, aaO, jeweils mwN).
50Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig einzustufen.
51Die Täuschung diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit und lässt das teilweise in den Medien verharmlosend als "Schummelei" bezeichnetes Vorgehen weder als "Kavaliersdelikt" noch als "lässliche Sünde" erscheinen. Hinzu tritt, dass die Beklagte durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, so dass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing und die Beklagte darauf hoffen konnte, niemals erwischt zu werden. Ein solches die Verbraucher täuschendes Verhalten ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen, nicht übermäßig strengen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen und ebenso verwerflich wie in der Vergangenheit etwa die Beimischung von Glykol in Wein oder von Pferdefleisch in Lasagne. Das Verhalten der Beklagten wiegt umso schwerer, als es sich beim Kauf eines PKW für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt, die durch das unredliche Verhalten der Beklagten nachteilig beeinflusst worden ist. Vielmehr wurde die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zum eigenen Vorteil ausgenutzt.
52Der Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung entfällt vorliegend nicht durch eine Verhaltensänderung der Beklagten. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltes als (nicht) sittenwidrig ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, sodass ihr das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist (BGH, Urt. vom 30.078.2020 – VI ZR 5/20. juris, Rn. 5 ). So können durch eine Verhaltensänderung wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert werden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger und gerade im Hinblick auf den Schaden, der bei ihm durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Fahrzeughersteller seine strategische unternehmerische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das KBA und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, durch die Strategie ersetzt, an die Öffentlichkeit zu treten, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem KBA Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes zu erarbeiten, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen (BGH a.a.O. Rn. 37).
53Für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber dem Fahrzeugkäufer reicht es dabei nicht aus, dass ein Fahrzeughersteller die festgestellte Abschalteinrichtung nicht selbst als illegal brandmarkt, sondern im Gegenteil dieser (zutreffenden) Bewertung in der Folgezeit entgegentritt, eine bewusste Manipulation leugnet und möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können. Insbesondere ist ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten des Fahrzeugherstellers oder eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreichte und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung sicher verhinderte, zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Käufern, die sich erst für einen Kauf entschieden heben, nachdem ein Fahrzeughersteller sein Verhalten, wie beschrieben, geändert hatte, ist damit - unabhängig von ihren Kenntnissen vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen - nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt worden (BGH a.a.O. Rn. 38).
54In der dem BGH zugrundeliegenden Sachverhalt hat VW im Rahmen der ad hoc Mitteilung und gleichlautenden Pressemitteilung unmissverständlich deutlich gemacht, dass sämtliche Fahrzeuge, die mit einem EA 189 Motor ausgestattet wurden, von den Unregelmäßigkeiten betroffen sind, die eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandwerten und realen Fahrbetrieb verursachen. Ferner wurde mitgeteilt, dass zur Beseitigung dieser Abweichungen technische Maßnahmen entwickelt worden; hierzu stehe VW in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA.
55Ausgehend hiervor sind die von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichend, um das vorausgegangene sittenwidrige Verhalten zu relativieren, so dass das Verhalten der Beklagten zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses im April 2018 nicht mehr als sittenwidrig zu betrachten war.
56So ergibt sich zunächst aus der im Juni 2017 herausgegebenen Pressemitteilung schon nicht, was der Grund für die angekündigten Software-Updates sind. Es ist insoweit von „anbieten eines Nachrüstprogramms“ die Rede sowie, dass bis zu 850.000 Fahrzeuge neue Software bekommen könnten, wodurch das Emissionsverhalten im realen Fahrbetriebt „jenseits der bisherigen gesetzlichen Anforderungen weiter verbessert“ werde. Auch aus dem Schreiben, dass von den Vertragshändlern an Kaufinteressenten auszugeben war, folgt nicht, dass das Fahrzeug eine „Unregelmäßigkeit“ o.ä. in Bezug auf das Emissionsverhalten auf dem Prüfstand versus im realen Fahrbetrieb aufweise. Vielmehr solle durch die Nachrüstung das Emissionsverhalten „weiter verbessert“ werden. Die Beklagte kehrt damit die durch das KBA angeordnete Nachrüstung in ihr Gegenteil um und suggeriert, dass es sich um ein Angebot ihrerseits handele. Zwar wird darauf hingewiesen, dass die Software Updates in Absprache mit dem KBA durchgeführt werden und diese zum Teil angeordnet und zum Teil freiwillig vorgenommen werden. Ob das Fahrzeug jedoch Teil der von den durch das KBA angeordneten Maßnahmen oder Teil der freiwilligen Maßnahmen ist, ergibt sich aus dem Schreiben nicht. Auch durch die Website, die eine FIN-Abfrage ermöglicht, lässt sich eine etwaige Betroffenheit des Fahrzeugs nicht eindeutig ermitteln, da auch insoweit Unklarheit verbleibt, was sich hinter dem Begriff „Feldmaßnahme“ verbirgt. Insbesondere kann auch nicht die Pressemitteilung des KBA im Januar 2018 sowie die weitere Berichterstattung in den Medien nicht der Beklagten als eigene Aufklärungsarbeit zugerechnet werden.
57Zwar ist eine Aufklärung durch den Fahrzeughersteller, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung sicher verhindert, nicht erforderlich (BGH a.a.O., Rn. 38). Die von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen sind jedoch selbst dann, wenn ein potenzieller Käufer von diesen Maßnahmen erreicht wurde, nicht geeignet eine Unkenntnis der Abschalteinrichtung zu verhindern. Insgesamt ist damit nicht von einer Verhaltensänderung auszugehen, die geeignet ist – etwa wegen offensiver Information durch die Beklagte – den Vorwurf der sittenwidrigen Täuschung entfallen zu lassen. Vielmehr ist die Vorgehensweise der Beklagten nach wie vor davon geprägt, einen Anschein von Ordnungsmäßigkeit ihrer Fahrzeuge aufrecht zu erhalten und gerade nicht offenzulegen ob/ welche Fahrzeuge Unregelmäßigkeiten im Emissionsverhalten aufwiesen.
58Der Klagepartei ist durch den Verstoß der Beklagten auch ein Schaden entstanden. Schaden bedeutet jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses oder Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung, gleichgültig ob vermögensrechtlicher oder nicht vermögensrechtlicher Art (Palandt/Sprau, § 826, Rn. 3).
59Der Schaden besteht vorliegend darin, dass die Klagepartei in Unkenntnis der Funktionsweise der Software das streitgegenständliche Fahrzeug erworben und damit einen für sie wirtschaftlich nachteiligen Kaufvertrag geschlossen hat. Dass es sich um einen wirtschaftlich nachteiligen Kaufvertrag handelt, zeigt sich bereits darin, dass kein verständiger Kunde ein entsprechendes Fahrzeug erwerben würde, wenn die Beklagte ihn zuvor darauf hingewiesen hätte, dass die Software nicht gesetzeskonform und deshalb jedenfalls im Falle einer Entdeckung mit Problemen durch das KBA zu rechnen sei.
60Auf die Frage, ob tatsächlich ein verminderter Veräußerungswert in Folge des Abgas-Skandals besteht, kommt es in diesem Zusammenhang ebenso wenig an wie darauf, dass das KBA die Zulassung für die betreffenden Fahrzeuge (allgemein) bislang nicht entzogen hat.
61An dem Schaden in Form des ungewollten Vertragsschlusses ändert es auch nichts, dass der Beklagten zwischenzeitlich die technische Überarbeitung des Fahrzeugs gestattet wurde, zumal dem Kläger wegen andernfalls drohender Nachteile insoweit keine Wahl blieb. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich der arglistig getäuschte Käufer einer mangelhaften Sache nicht auf eine Beseitigung des Mangels verweisen lassen muss. Auch der Käufer eines Gebrauchtwagens der hiesigen Art und Güte will nach der Lebenserfahrung kein mangelhaftes Fahrzeug erwerben, auch wenn der Mangel noch beseitigt werden soll (vgl. auch LG Kiel, Urteil vom 18.05.2018 - 12 O 371/17, BeckRS 2018, 8903; LG Darmstadt, Urteil vom 18. Mai 2018 – 28 O 250/17 - juris, LG Mönchengladbach, Urteil vom 08.04.2019, 1 O 119/18).
62Der Schaden der Klagepartei ist auch vom Schutzbereich der verletzten Verhaltensnorm umfasst.
63Die Klagepartei ist von einem möglichen sittenwidrigen Verhalten der Beklagten mittelbar betroffen. Mittelbar Betroffene sind in den Schutzbereich einer Verhaltensnorm grundsätzlich nicht schon dann einbezogen, wenn sich die Handlung zwar gegen einen anderen richtet, der Täter indessen mit der Möglichkeit der Schädigung (auch) des Dritten gerechnet hat. Es kommt vielmehr darauf an, dass das Vermögen des Dritten nicht nur reflexartig als Folge der sittenwidrigen Schädigung eines anderen betroffen wird.
64Gemäß den Erwägungsgründen zur Verordnung (vgl. insbesondere Ziff. 5, 6, 13) soll die Verordnung allerdings nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern dem Erreichen der Ziele hinsichtlich der Luftqualität und der Feinstaubwerte sowie der innereuropäischen Vereinheitlichung der technischen Vorschriften über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen dienen. Allerdings hängt die Haftung aus § 826 BGB nicht davon ab, auf welchem Weg und unter Verstoß gegen welche Norm der Schädiger gehandelt hat. Entscheidend ist vorliegend, dass die in Rede stehende Software gerade entwickelt und in den Fahrzeugen installiert wurde, um auf den Markt gebracht zu werden. Entsteht den Kunden hierdurch ein Schaden, stellt sich dieser Schaden daher nicht lediglich als Reflex des Verstoßes dar.
65Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen, sie bzw. ihre Organe handelten vorliegend auch vorsätzlich.
66Der Anspruch aus § 826 BGB setzt voraus, dass die Beklagte bzw. eines ihrer Organe vorsätzlich handelte, also Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände hatte.
67Darlegungs- und beweisbelastet ist insoweit grundsätzlich die klagende Partei. Allerdings hat die hiesige Klagepartei bereits im Rahmen ihrer Möglichkeiten vorgetragen, woraus sie auf eine Kenntnis einzelner Vorstandsmitglieder schließt. Eine weitere Substantiierung ist der Klagepartei nicht möglich, da es sich insoweit um konzerninterne Vorgänge der Beklagten handelt. Insofern wäre es daher Sache der Beklagten, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast darzulegen, dass der Vorstand oder andere Organe trotz der internen Überprüfungsmechanismen keinerlei Kenntnis von der Verwendung der in Rede stehenden Software und deren Auswirkungen hatten.
68Eine sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner der primär darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (vgl. BGHZ 140, 156, 158).
69So liegt es hier, denn die Klagepartei hat naturgemäß keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten, sondern ist insoweit auf Presseberichte u.ä. angewiesen.
70Dass bei ihren Organen bzw. verfassungsmäßig berufenen Vertretern keine Kenntnis bestand, hat die Beklagte nicht hinreichend dargetan. Sie hat die Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen. Sie muss deshalb darlegen, wer die Entscheidung zur Entwicklung und millionenfachen Implementierung der Software getroffen hat. Es handelte sich um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Reichweite und - wie die wirtschaftlichen Folgen des sogenannten Abgasskandals zeigen - ebenso großen Risiken, bei der kaum anzunehmen ist, dass sie von einem am unteren Ende der Betriebshierarchie angesiedelten Entwickler in eigener Verantwortung getroffen worden ist. Dass diese Entscheidung nicht vom Vorstand angeordnet oder doch jedenfalls "abgesegnet" worden ist, ist angesichts des Umfangs der Implementierung kaum vorstellbar. Jedenfalls ist dies nur dann plausibel dargelegt, wenn die Entscheidungsprozesse im Hause der Beklagten hierzu offen gelegt werden. Die Beklagte ist als juristische Person verpflichtet, ihr Haus so zu organisieren, dass wesentliche Entscheidungen nicht durch einzelne Mitarbeiter getroffen werden können, sondern überprüft und kontrolliert werden. Gerade der Vorstand hat das Unternehmen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu organisieren (sog. "Compliance", vgl. MüKo AktG/Spindler, § 91 AktG, Rn. 52 f). Dementsprechend muss durch organisatorische Maßnahmen wie Controlling und Innenrevision sichergestellt sein, dass für alle wesentlichen Entscheidungen Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand bestehen und deren Einhaltung kontrolliert wird. Geht man von einer entsprechenden Organisation der Beklagten aus, musste der Vorstand angesichts des Umfangs der Manipulation, der auch eine entsprechende Budgetierung voraussetzt, wissen, wer hier verantwortlich war. Jedenfalls muss die Beklagte erklären, warum bei einer zureichenden Organisation ihrerseits ihre leitenden Mitarbeiter und der durch sie zu informierende Vorstand, davon keine Kenntnis gehabt haben können. Dementsprechend hat sie die Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Entscheidungsprozesse in ihrem Unternehmen darzutun, um eine fehlende Kenntnis hinreichend darzulegen. Damit wird keine unzulässige mosaikartige Wissenszurechnung des im Hause vorhandenen Wissens über außerhalb des Hauses liegende Umstände vorgenommen, sondern es geht um den der Beklagten bekannten Entscheidungsablauf in ihrem eigenen Unternehmen.
71Die Beklagte haftet für das Verhalten der verantwortlichen Mitarbeiter schließlich auch unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens. Der Anwendungsbereich des § 31 BGB wird bei Organisationsmängeln erweitert (Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Auflage, § 31 Rn. 7). Juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Entspricht die Organisation diesen Anforderungen nicht, muss sich die juristische Person so behandeln lassen, als wäre der tatsächlich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßiger Vertreter. Die Beauftragung eines wichtigen Aufgabenkreises an einen Funktionsträger oder Bediensteten begründet daher für die juristische Person eine Haftung ohne Entlastungsmöglichkeit. Hat sie dem Vertreter eine selbstständige Stellung mit eigener Entscheidungsbefugnis eingeräumt, ist er verfassungsmäßiger Vertreter; ist das nicht geschehen, ist § 31 BGB wegen eines Organisationsmangels anwendbar.
72Der Einbau der in Rede stehenden Software in Millionen von Fahrzeugen nicht nur in Europa stellt, eine wesentliche Entscheidung mit großer wirtschaftlicher Bedeutung für die Beklagte dar. Hat nicht der Vorstand und auch nicht der Leiter der Entwicklungsabteilung als Repräsentant gemäß § 31 BGB diese weitreichende Entscheidung getroffen, sondern Mitarbeiter auf nachgeordneten Arbeitsebenen alleine, muss sich die Beklagte so behandeln lassen, als wären diese Mitarbeiter ihre verfassungsmäßigen Vertreter. Die Beklagte hat nämlich keinerlei Organisationsmaßnahmen ihrerseits dargetan, die hätten gewährleisten können, dass Entscheidungen von solcher Tragweite rechtlich geprüft und im Fall erheblicher Risiken dem Vorstand oder einem sonstigen verfassungsgemäß berufenen Vertreter vorgelegt werden. Wenn es der Vorstand der Beklagten zuließ, dass Mitarbeiter auf nachgeordneten Arbeitsebenen eine so schwerwiegende Entscheidung frei treffen konnten, ohne naheliegende organisatorische Vorkehrungen dagegen zu ergreifen, ist eine Zurechnung geboten.
73Die sittenwidrige Schädigung der Klagepartei erfolgte auch vorsätzlich. Es ist nicht ersichtlich, dass die Software zu einem anderen Zweck eingesetzt werden sollte als dazu, falsche Vorstellungen über die mit den betroffenen Fahrzeugen zu erzielenden Abgaswerte bei Verbrauchern und Behörden hervorzurufen. Dass auch und gerade die Täuschung potentieller Kunden beabsichtigt war, ergibt sich insbesondere auch daraus, dass die Beklagte selbst mit der besonderen Umweltfreundlichkeit ihrer Dieselmotoren warb. Dabei musste der Beklagten bzw. den betreffenden Vorständen auch klar sein, dass hierdurch die Kunden wie geschildert geschädigt werden. Dass Käufer geschädigt werden, wenn die Abgaswerte mittels einer Software gezielt manipuliert werden, muss sich dabei jedem ohne Weiteres aufdrängen.
74Schließlich kommt es in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, dass die Beklagte bzw. ihre Vorstandsmitglieder nicht den Vorsatz hatten, gerade die hiesige Klagepartei zu schädigen. Es genügt, dass die Schädigung einen vorher feststehenden Personenkreis – Kunden, die ein Fahrzeug mit der in Rede stehenden Software erwarben – betrifft. Im Übrigen kann der Beklagten kein Vorteil daraus erwachsen, dass nicht nur einzelne, sondern eine Vielzahl von Personen geschädigt wurden.
75Rechtsfolge der gegen die guten Sitten verstoßenden vorsätzlichen Schädigung ist ein Anspruch der Klagepartei auf Schadensersatz.
76Der Schaden liegt dabei in dem Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags über ein mangelhaftes Fahrzeug. Insbesondere bestanden Risiken im Hinblick auf den Fortbestand der Betriebserlaubnis.
77Der Schadensersatzanspruch des Klägers geht deshalb dahin, dass die Beklagte ihn so stellen muss, wie er ohne die Täuschung über die nicht gesetzeskonforme Motorsteuerungssoftware gestanden hätte. Insoweit ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Kläger – wie jeder verständige, Risiken vermeidende Kunde – bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis den Vertrag nicht geschlossen hätte. Die Beklagte muss danach die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis zuzüglich der Finanzierungskosten abzüglich des Rückkaufpreises erstattet.
78Der Kläger hat allerdings auch Vermögensvorteile in Form der während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen erzielt. Diese sind auf den Ersatzbetrag anzurechnen, weil andernfalls eine vom Schadensrecht nicht gedeckte Überkompensation stattfinden würde. Dem steht nicht entgegen, dass nach § 475 Abs. 5 BGB in der ab 01.01.2018 gültigen Fassung bei einem Verbrauchgüterkauf § 439 Abs. 5 BGB mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind. Denn vorliegend geht es nicht um einen Nacherfüllungsanspruch. Dies hat der Bundesgerichtshof inzwischen bestätigt (vgl. BGH; Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19).
79Der Vorteilsausgleich ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Laufleistung ist nach den Grundsätzen der kilometeranteiligen linearen Wertminderung der Nutzungsersatz wie folgt zu berechnen: Kaufpreis x gefahrene km ÷ Restnutzungsdauer, wobei das Gericht die zu erwartende Gesamtlaufleistung in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Düsseldorf in vergleichbaren Fällen auch für das vorliegende Fahrzeug auf 250.000 km schätzt, § 287 ZPO. Mithin ergab sich folgend ein Nutzungsersatz in Höhe von 2.170,10 EUR (40.250,00 x (72.542 – 62.429 = 10.113) ÷ (250.000 – 62.429 = 187.571))
80Eine Berücksichtigung einer Vorsteuerabzugsberechtigung im Wege des Vorteilsausgleichs kommt hingegen nicht in Betracht. Anhaltspunkte für eine Vorsteuerabzugsberechtigung sind weder von der Beklagten vorgetragen, noch ersichtlich. Der Kläger hat vielmehr vorgetragen, dass er das Fahrzeug als Privatperson erworben habe und nutze.
81Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 Abs. 1 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage am 30.12.2020 für den Zeitraum ab dem Folgetag, mithin ab dem 31.12.2020.
822.
83Das mit dem Klageantrag zu Ziff. 2) verfolgten Feststellungsbegehren ist unbegründet. Mit dem Schreiben vom 23.09.2020 hat die Klagepartei zwar die Rückgabe des Fahrzeugs angeboten, dies aber unter Abzug einer zu niedrigen Nutzungsentschädigung und damit von einer zu hohen Gegenleistung abhängig gemacht. Daher handelte es sich nicht um ein ordnungsgemäßes Angebot. Auch mit der Klageeinreichung hat sich dies nicht geändert, da die Klagepartei die Nutzungsentschädigung nach wie vor auf Basis einer zu hohen Laufleistung in Höhe von 400.000 km berechnet hat.
843.
85Der Klageantrag gerichtet auf Feststellung, dass der in Ziff. 1) geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf einer vorsätzlich unerlaubten Handlung beruht, ist angesichts der vorstehenden Ausführungen zur Haftung gem. § 826 BGB gleichsam begründet.
864.
87Ebenfalls aus § 826 BGB kann die Klagepartei die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.590,91 EUR verlangen. Diese sind aufgrund des Umstandes, dass es sich um eines einer Vielzahl von im Wesentlichen gleichgelagerten Verfahren handelt, auf eine Geschäftsgebühr mit dem Faktor 1,3 nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer begrenzt, wobei der Gegenstandswert dem Zahlungsanspruch unter Abzug einer Nutzungsentschädigung bei Berücksichtigung einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km am Tag der Klageeinreichung entspricht.
885.
89Der Feststellungsantrag bezüglich der Erledigung des Rechtstreits ist begründet. Die Klage war zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Höhe des Mehrbetrags von 196,77 EUR zulässig und begründet und ist durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis unbegründet geworden.
90Der Antrag zu 1) war zunächst in Höhe von 38.276,67 EUR begründet, wobei sich dieser Betrag aus dem Kaufpreises in Höhe von 40.250,00 EUR abzüglich eines nach oben dargelegter Formel errechneten Nutzungsersatzes in Höhe von 1.973,33 EUR zusammensetzt.
91Durch die berechtigte Weiternutzung des Fahrzeugs erhöhte sich der in Abzug zu bringende Nutzungsersatz auf insgesamt 2.170,10 EUR, so dass die Klageforderung nunmehr nur noch in Höhe von 38.079,90 EUR begründet ist. Wegen der Bindung an den Klageantrag gem. § 308 Abs. 1 ZPO kann die Feststellung, dass sich der Rechtsstreit teilweise erledigt hat, nur in Bezug auf den Betrag von 61,88 EUR getroffen werden.
92II.
93Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
94Der Streitwert wird auf 39.153,41 EUR festgesetzt.