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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 48.891,97 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2020 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke Audi Typ A6 Avant 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 09.10.2020 mit der Rücknahme des Fahrzeuges der Marke Audi Typ A6 Avant 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.147,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 15 % und die Beklagte zu 85 % zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Klagepartei begehrt von der Beklagten im Wesentlichen Schadenersatz im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal.
3Die Klagepartei erwarb im Februar 2015 bei der Beklagten über das Autohaus einen Neuwagen der Marke Audi A6 Avant 3.0 TDI quattro, 230 kW, Fahrzeugidentifikationsnummer: zum Kaufpreis von 69.750,01 EUR brutto (vgl. Anlage 1). Das Fahrzeug ist ausgestattet mit einem V6-Dieselmotor, 3.0 TDI in der Schadstoffklasse Euro 5.
4Das Kraftfahrbundesamt (KBA) erließ am 02.12.2019 einen Rückrufbescheid für sämtliche Fahrzeuge der Modelle Audi A6, A7 und A8 mit dem 3.0 LiterDiesel-Aggregat und Euro 5-Norm. Zudem veröffentlichte das KBA am 21.02.2020 einen weiteren Rückruf für alle Fahrzeuge der Audimodelle A6 und A7 der Baujahre 2010 bis 2015 und Zulassung nach Euro 5-Norm zur Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen (Bl. 8 ff. GA).
5Aus dem als Anlage K 21 vorgelegten Schreiben der Beklagten geht hervor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug dem Rückruf 23X6 – Nox-Emissionsminderung unterfällt.
6Mit außergerichtlichem Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.09.2020 forderte die Klagepartei die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges bis zum 08.10.2020 auf (Anlage 16).
7Am 19.04.2021 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 74.755 km auf.
8Die Klagepartei behauptet, bei dem in dem Fahrzeug verbauten Motor handele es sich um einen solchen des Typs EA 897. Auf die interne Bezeichnung des Motortypes komme es jedoch nicht an. Jedenfalls sei in dem Motor seines Fahrzeuges eine illegale Abschalteinrichtung verbaut, vergleichbar den sog. „VW-Abgasfällen“. Es sei eine Software verbaut, die physikalische Größen, wie z.B. die Umgebungstemperatur auswerte. Wenn sich das Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand befinde, aktiviere die Software eine Aufheizstrategie, die den Schadstoffausstoß reduziere. Zudem werde eine illegale Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verwendet. Sowohl bei dem Thermofenster und der Aufheizstrategie als auch bei der Lenkwinkelerkennung handele es sich um unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007, die dazu führe dass das Kraftfahrzeug einen wesentlich höheren NOx-Ausstoß aufweise, als die Typgenehmigung des KBA ausweise.
9Die Klagepartei ist der Ansicht, indem die Beklagte den Dieselmotor unter Verschweigen des Thermofensters in den Verkehr gebracht habe, habe sie sie geschädigt. Sie hätte bei Offenlegung des Mangels das Fahrzeug nicht erworben. Die Beklagte habe sittenwidrig und vorsätzlich gehandelt. Hierzu verweist sie insbesondere auf die ihrer Ansicht nach die Beklagte treffende sekundäre Darlegungslast.
10Der Kläger behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei nie einem Unternehmen zugeordnet worden oder ein Vorsteuerabzug geltend gemacht worden.
11Der Kläger beantragt, der Beklagten die die Vorlage des Anhörungsschreibens des Kraftfahrt-Bundesamtes im Original sowie die Vorlage der Antragsunterlagen für die EG-Typengenehmigung zum streitgegenständlichen Fahrzeug auferlegen (vgl. Bl. 878 GA).
12Die Klagepartei hat ursprünglich beantragt,
131. die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 69.750,01 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 12.217,24 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke Audi Typ A6 Avant 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer zu zahlen;
142. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 09.10.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet;
153. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.994,04 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2020 zu zahlen.
16Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2021 hat die Klagepartei ihren Klageantrag zu 1) bezüglich der Höhe der Nutzungsentschädigung angepasst und beantragt nunmehr,
171. die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 69.750,01 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 14.897,61 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke Audi Typ A6 Avant 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer zu zahlen;
182. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 09.10.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet;
193. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.994,04 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2020 zu zahlen.
20Die Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Sie behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine Programmierung, insbesondere keine Manipulationssoftware verwendet werde, die dazu führen würde, dass auf der Straße unter „normalen Betriebsbedingungen“ ein anderes Emissionsverhalten erzielt werde als auf dem Prüfstand.
23Bei dem Thermofenster handele es sich zudem nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil es zum Bauteilschutz verwendet worden sei. Hierfür spreche auch, dass selbst das KBA das Thermofenster nicht als unzulässig eingeordnet habe.
24Das Fahrzeug erfülle sämtliche gesetzlichen Vorgaben. Es bestehe auch eine unwiderrufene EG-Typengenehmigung für das Fahrzeug. Das Fahrzeug könne dementsprechend vom Kläger uneingeschränkt genutzt werden.
25Vor diesem Hintergrund liege erst gar keine Täuschung oder ein sonstiges sittenwidriges Verhalten der Beklagten, jedenfalls aber kein Schaden beim Kläger vor.
26Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei als Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt.
27Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe:
29Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
30I.
31Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist auch das verfolgte Feststellungsbegehren zulässig. Im Rahmen des Klageantrages zu 2) besteht ein Interesse für die Klagepartei daran, dass der Annahmeverzug zur Vereinfachung der Zwangsvollstreckung festgestellt wird, §§ 756, 765 ZPO.
32II.
33Die Klage ist überwiegend begründet.
341.
35Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB i. V. m. § 31 BGB analog. Nach Anrechnung der vom Kläger gezogenen Nutzungen ergibt sich der tenorierte Zahlungsanspruch in Höhe von 48.891,97 EUR Zug um Zug gegen die Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
36a)
37Die Beklagte hat den Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden vorsätzlich geschädigt, weil sie ein Fahrzeug hergestellt und in Verkehr gebracht hat, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.
38aa)
39Der Kläger kann seinen Anspruch zwar nicht auf die von ihm behauptete Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung (Thermofenster) stützen. Das Thermofenster führt bei bestimmten Temperaturbereichen dazu, dass die Abgasrückführungsrate niedriger ist und die Emissionen hierdurch höher ausfallen können, so dass die Emissionen je nach Temperatur oder Umgebungsluft unterschiedlich ausfallen. Eine Erkennung des NEFZ ist hiermit jedoch – anders als beim Motor EA 189 der VW AG - nicht verbunden. Vielmehr erfolgt beim sog. Thermofenster dauerhaft eine dynamische Anpassung der Abgasrückführungsrate anhand der Außentemperatur mit dem Ziel des Motorschutzes.
40Dieser Sachverhalt stellt sich als nicht sittenwidrig dar. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BGH NJW 2014, 1380 m.w.N.). Insoweit muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH NJW 2014, 1380). Ein solches verwerfliches Verhalten ist auf Grundlage dieses Maßstabes nicht ersichtlich. Denn es ist nicht derartig offenkundig, dass die Implementierung einer temperaturabhängige Abgasrückführungslogik eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, so dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erscheint. Möglicher Beweggrund und Zweck des Einbaus einer solchen Funktion spricht nicht zwingend für eine besonders verwerfliche Gesinnung (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019, 12 U 246/19). Es folgt aus der Einrichtung eines Thermofensters nicht per se eine Unterscheidung bei gleicher Einstellung im Prüfbetrieb und im Realbetrieb. Damit ist die Einrichtung aber auch nicht offensichtlich auf eine Überlistung der Prüfungssituation ausgelegt. Ein sittenwidriges Verhalten scheidet zudem aus, weil eine Auslegung, wonach die vorgenannten Einrichtungen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen darstellen, juristisch jedenfalls vertretbar war. Es kann unter Berücksichtigung der dargestellten Funktionsweise nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden/Verantwortlichen der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss bei den vorgetragenen Einrichtungen auch – wenn u.U. falsche – aber eben gleichwohl vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. zum Thermofenster OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020, Az.: I-5 U 110/19, BeckRS 2020, 9904, Rn. 32 m.w.N.).
41Ungeachtet dessen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Haftung nach § 826 BGB ausscheidet, wenn der Handelnde der redlichen Überzeugung war, er dürfe in Verfolgung eines erlaubten Interesses handeln. Dies schließt nämlich die Annahme eines vorsätzlichen Sittenverstoßes aus (BGH NJW-RR 2000, 393 m.w.N.). Vor dem Hintergrund der Auslegungsbedürftigkeit der VO 715/2007/EG und der Vertretbarkeit der Auffassung, die temperaturabhängige Abgasregelung falle nicht unter Art. 3 Nr. 10, zumindest aber unter die Ausnahme des Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 715/2007/EG, kann auf Grundlage des klägerischen Vortrags nicht davon ausgegangen werden, dass ein vorsätzlicher Sittenverstoß zu bejahen ist (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 01.10.2020 - 6 U 1/20). Im Ergebnis ändert an dieser Wertung auch die Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020, Aktenzeichen C-693/18, nichts. Denn erst mit diesem Urteil – also lange nach Einritt der schädigenden Handlung – ist klargestellt worden, dass auch ein sog. Thermofenster eine unerlaubte Abschalteinrichtung darstellt und sich die Hersteller nicht auf die Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007 berufen können.
42bb)
43Allerdings sind von der Beklagten in dem Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs weitere Abschalteinrichtungen verbaut, die sich nach der Auffassung der Kammer als illegale Manipulationen der Motorsteuersoftware darstellen.
44Bei dem Motor soll es sich nach dem Vortrag des Klägers um einen solchen des Typs EA 897 handeln. Soweit die Beklagte diesen Vortrag bestritten hat, ist diese Behauptung unabhängig von der konkreten Typenbezeichnung solange unbeachtlich, wie die Beklagte nicht spezifiziert darlegt, worin sich der von ihr behauptete Motorentyp im einzelnen von den Eigenschaften des Motors des Typs EA 897 unterscheidet und insoweit im Gegensatz zu dem Vortrag der Klagepartei steht, was die Wirkungsweise und die Beeinflussung der Abgasbehandlung anlangt. Hierzu ist die Beklagte im Zuge der sekundären Darlegungslast verpflichtet, da nur sie als Motorenentwicklerin über die entsprechenden Informationen hierzu in technischer Hinsicht verfügt (vgl. auch OLG Naumburg, Beschluss vom 29.06.2020 - 8 U 39/20).
45Das Gericht ist davon überzeugt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind. Dies folgt schon daraus, dass auch das KBA für das streitgegenständliche Fahrzeug vom Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen ausgeht. Aus dem als Anlage K21 vorgelegten Schreiben der Beklagten geht hervor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug dem Rückruf 23X6 unterfällt, weil Unregelmäßigkeiten in der Motorsteuerungssoftware im Hinblick auf die Funktionsweise des Emissionsminderungssystems festgestellt wurden, die das Kraftfahrbundesamt als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft hat. Der Kläger beschreibt diese Abschalteinrichtung in dessen Funktion und Wirkungsweise (Erkennung des Lenkwinkeleinschlags im Rollenprüfstand, dann schalte sie eine Aufheizvorrichtung an, die den Schadstoffausstoß vermindere. Der Oxydationskatalysator Katalysator werde damit schnell auf Betriebstemperatur gebracht). Mit dieser verbauten Abschalteinrichtung beschreibt er eine vergleichbare Funktions- und Wirkungsweise, wie sie Gegenstand der EA 189 Motoren gewesen ist (LG Koblenz, Urteil vom 07.01.2021 – 16 O 252/20).
46Substantiierte Einwendungen gegen die Einschätzung des KBA wurden auch von der Beklagten nicht vorgebracht, sodass sich das Gericht nicht zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens gehalten sieht. Die Beklagte hat sich bezüglich der substantiiert vorgetragenen Rückrufe des KBG näher zu dem Rückrufgrund nicht geäußert. Dieses faktische Bestreiten mit Nichtwissen ist bereits unzulässig, weil es der Beklagten als Adressatin des Bescheids des Kraftfahrtbundesamtes zwanglos möglich ist, sich substantiiert zu dem Rückrufgrund zu äußern. Ebenso geht die Nichtvorlegung des Bescheids des Kraftfahrtbundesamtes zu ihren Lasten, weil sie als Adressatin im Rahmen der sekundären Darlegungslast und damit gegenüber dem Kläger über einen Wissensvorsprung verfügt. Aus alledem folgt, dass gemäß § 138 Abs. 3 ZPO jedenfalls auch von einer Aufheizstrategie als Rückrufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist (vgl. LG Marburg, Urteil vom 06.10.2020 – 2 O 67/20).
47b)
48Das Inverkehrbringen eines Motors unter bewusstem Verschweigen der (gesetzwidrigen) Softwareprogrammierung stellt, ebenso wie das Inverkehrbringen des hiermit ausgestatteten Fahrzeugs, eine konkludente Täuschung dar, da der Hersteller mit dem Inverkehrbringen durch schlüssiges Verhalten erklärt, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, mit der Folge, dass der Widerruf der Typgenehmigung droht.
49c)
50Die subjektiven Voraussetzungen für den Anspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte liegen ebenfalls vor.
51Die Verwendung der Software erfolgte jedenfalls bedingt vorsätzlich. In subjektiver Hinsicht setzt der Schädigungsvorsatz gemäß § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Es genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei jener nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss (BGH, Urt. v. 13.09.2004 - II ZR 276/02). Die Software wurde bewusst benutzt, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und so die Typgenehmigung zu erhalten. Einen anderen Zweck hatte ihre Verwendung nach Überzeugung der Kammer nicht. Die Beklagte hat dabei das Risiko der darin liegenden Schädigung der Endkunden als möglich erkannt und dennoch billigend in Kauf genommen.
52Die Beklagte muss sich dabei das Handeln ihrer Mitarbeiter gemäß § 31 BGB analog zurechnen lassen (vgl. schon BGH, NJW 2020, 1962 betr. VW AG zum Motor EA 189).
53Die Repräsentantenhaftung erstreckt sich für die juristischen Personen über den Vorstand, die Vorstandsmitglieder und die verfassungsmäßig berufenen besonderen Vertreter hinaus auf alle sonstigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (BGH, Urteil vom 30.10.1967 - VII ZR 82/65). Hierzu gehört auch der Personenkreis der leitenden Angestellten (BGH, Urteil vom 03.05.2007 - IX ZR 218/05). Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung der Beklagten von der Entwicklung und Verwendung der Software zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis hatte und dies gebilligt und, wenn nicht angeordnet, so zumindest nicht unterbunden hat. Denn die Programmierung der Software setzt denknotwendig eine aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware voraus und schließt die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustands aus für ausgeschlossen, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung keine Kenntnis von den Manipulationen hatte. Es handelt sich um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen arbeits- und strafrechtlichen Risiken für die entscheidenden Personen, denen bei den untergeordneten Konstrukteuren kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenüber stand (OLG Koblenz, Urteil vom 05.06.2020 – 8 U 1803/19).
54Aber auch aus Darlegungs- und Beweislastgesichtspunkten ergibt sich kein anderes Ergebnis. Grundsätzlich hat jede Partei die ihr günstigen Tatsachen vorzutragen und im Bestreitensfall zu beweisen. Zugunsten des Käufers, also auch des Klägers, greift jedoch wie oben näher ausgeführt, auch in diesem Zusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, da der Kläger außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht und die Beklagte alle wesentlichen Tatsachen kennt.
55Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht der Entscheidung des BGH vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19 entnehmen. Denn der Entscheidung des BGH lag ein Fahrzeug der Beklagten zugrunde, welcher mit einem 2,0-Liter Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet war. Der Motortyp EA189 wird nicht von der Beklagten selbst, sondern von der VW AG hergestellt. Nur für diese konkrete Konstellation nahm der Bundesgerichtshof an, dass nicht ohne Weiteres von einer gemäß § 31 BGB zurechenbaren Kenntnis der Beklagten ausgegangen werden kann. Vorliegend handelt es sich um einen Audi A6, welcher jedoch mit einem 3,0-Liter Dieselmotor, 230 kW ausgestattet ist und die Motorenkennung CGQB aufweist (https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Abgasthematik/uebersicht2_x.html). Motorenhersteller ist in diesem Falle die Beklagte selbst.
56d)
57Die Beklagte hat dem Kläger auch einen Schaden im Sinne von § 826 BGB zugefügt.
58Der Schaden für die Klagepartei liegt in dem auf der Täuschung durch die Beklagte beruhenden Abschluss des Kaufvertrags (BGH, NJW 2020, 1962). Der Umstand, dass die erforderlichen Genehmigungen und Zulassungen für das Fahrzeug durch Täuschung erlangt worden sind, gefährdet aus der Sicht eines vernünftigen Durchschnittskäufers die für die Nutzung im Straßenverkehr erforderliche Zulassung und hat zudem unabsehbare Folgen für den Verkehrs- und Wiederverkaufswert des Fahrzeugs.
59Dabei muss sich die Klägerpartei aber im Wege der Vorteilsausgleichung für die gezogenen Nutzungen durch das Fahren des Fahrzeugs einen Betrag in Höhe von 20.858,04 EUR schadensmindernd anrechnen lassen. Denn die Klägerseite soll durch das schädigende Ereignis nicht besser stehen als vorher. Sie konnte das Fahrzeug über mehrere Jahre hinweg nutzen. Der Ansatz einer Nutzungsentschädigung ist auch nicht europarechtswidrig. Vielmehr stellt die Nutzungsmöglichkeit einen Vermögenswert dar, der bei der Berechnung des konkreten Schadens anzurechnen ist (vgl. OLG Karlsruhe – 13 U 142/18 – a. a. O., Rn. 112 ff.). Die Berechnung dieser Nutzungsentschädigung erfolgt nach höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 09. Dezember 2014 – VIII ZR 196/14 –; OLG Düsseldorf, Urteil vom 03. Juli 2014, – I-3 U 39/12 –; beide zitiert nach Juris) nach der Formel:
60Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer ./. erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt
61Der Kaufpreis betrug 69.750,01 EUR. Die gefahrenen Kilometer ergeben sich aus der Differenz zwischen dem Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und dem Kilometerstand im Erwerbszeitpunkt (hier 74.760 km). Soweit die Klagepartei nur zu dem Kilometerstand einen Tag vor der mündlichen Verhandlung schlüssig vorgetragen hat, war der Kilometerstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gemäß § 287 ZPO anhand der linearen Kilometerentwicklung zu schätzen. Die Kammer schätzt die bei dem streitgegenständlichen Pkw zu erwartende Gesamtlaufleistung auf 250.000 km.
62e)
63Der Zinsanspruch beruht auf §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
642.
65Die Klägerseite hat Anspruch auf die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet, §§ 293, 298 BGB.
66Voraussetzung dafür ist nach § 294 BGB, dass die Leistung so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten wird, der Gläubiger also nur noch zuzugreifen braucht (BGH, Urt. v. 29.11.1995 - VIII ZR 32/95). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger hat mit anwaltlichem Schreiben die Verschaffung des Eigentums des streitgegenständlichen Fahrzeuges in einer den Annahmeverzug begründenden Art und Weise angeboten (Anlage K16).
673.
68Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.147,83 EUR ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB, der Zinsanspruch hierzu aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
69Der Anspruch der Klagepartei ist der Höhe nach begrenzt auf die berechtigterweise anzusetzenden Anwaltskosten, ausgehend von einem Streitwert am 24.09.2020 (vergleiche Anl. K16) in Höhe von 51.057,57 EUR (Kaufpreis minus Nutzungsentschädigung i.H.v. 18.682,44 EUR. Der Berechnung wurde der damals angegebene Kilometerstand von 66.998 km sowie eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 250.000 km (nicht 400.000 km) zugrunde gelegt.
70Der Klagepartei steht allerdings nur eine 1,3-fache Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu. Für das Ansetzen einer 2,0-fachen Gebühr ist vorliegend offensichtlich kein Raum. Denn bei dem von den Prozessbevollmächtigen der Klagepartei an die Beklagte gerichteten Schreiben handelt es sich inhaltlich - was gerichtsbekannt ist - um ein unter Verwendung von Textbausteinen erstelltes Standardschreiben zu der bekannten und grundsätzlich auch im Jahre 2021 nicht (mehr) schwierigen „Diesel-Problematik“.
71III.
72Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, 709 S. 2 ZPO.
73Der Streitwert wird auf 57.532,76 EUR bis zum 19.04.2021 und ab dem 20.04.2021 auf 54.852,40 EUR festgesetzt.