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Der anstehende Umgangskontakt des Kindesvaters mit den Kindern B M, geboren am 00.00.2010, T-straße 00000 N, H M, geboren am 00.00.2010, T-straße 00000 N und J M, geboren am 00.00.2012, T-straße 00000 N, wird für die Zeit von Donnerstag, 01.07.2021 bis Sonntag, 04.07.2021 ausgeschlossen.
Die Kindesmutter holt die soeben genannten Kinder am 01.07.2021 von der Schule ab. Eine Übergabe der Kinder an den Kindesvater wird für den soeben genannten Zeitraum 01.07 bis 04.07.2021) untersagt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
2In dem von Amts wegen eingeleiteten einstweiligen Anordnungsverfahren war gemäß § 1684 Abs. 4 S. 1, 2 BGB das Umgangsrecht des Kindesvaters für den Zeitraum 01.07. bis 04.07.2021 auszuschließen, um eine Kindeswohlgefährdung für die im Tenor genannten Kinder abzuwenden. Für den soeben genannten Zeitraum, der gemäß Beschluss des OLG Düsseldorf vom 23.12.2019 - II-5 UF 69/19 - grundsätzlich einen Umgang des Kindesvaters mit den oben genannten Kindern vorsieht, ist das Umgangsrecht des Kindesvaters wegen der ablehnenden Haltung der soeben genannten Kinder, wie sie sich insbesondere im Rahmen der Kindesanhörung am 30.06.2021 im Verfahren 18 F 52/21 offenbarte, nicht durchsetzbar.
3Gemäß § 1684 Abs. 4 S. 1 kann das Familiengericht das Umgangsrecht oder den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Gemäß § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB kann eine Entscheidung, die das Umgangsrecht eines Elternteils für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, nur ausnahmsweise ergehen, wenn nämlich andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.
4Vorliegend kann dahinstehen, ob sich die Voraussetzungen für den vorübergehenden Umgangsausschluss für einen Zeitraum von vier Tagen nach § 1684 Abs. 4 S. 1 BGB oder nach § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB richten (vgl. Johannsen/Heinrich/Althammer/Rake, 7. Aufl. 2020, BGB § 1684 Rn. 54-56 sowie Grandel/Stockmann, StichwortKommentar Familienrecht, Ausschluss des Umgangsrechts Rn. 5-7, beck-online), da jedenfalls die strengeren Voraussetzungen der Eingriffsnorm des § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB vorliegend im für das einstweilige Anordnungsverfahren maßgeblichen summarischen Verfahren erfüllt sind.
5Nach Maßgabe der Eingriffsschwelle der Kindeswohlgefährdung muss der Ausschluss oder die längere Einschränkung des Umgangs nach den Umständen des Einzelfalls zum Schutz des Kindes erforderlich sein, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Integrität abzuwenden. Eine derartige Kindeswohlgefährdung besteht bei einer gegenwärtigen, in einem solchen Maß vorhandenen Gefahr, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Schädigung des Kindes zu rechnen ist. Nach dem Grundsatz der umgekehrten Proportionalität von Schadensschwere und Eintrittswahrscheinlichkeit sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer der drohende Schaden wiegt. (vgl. Johannsen/Henrich/Althammer/Rake, 7. Aufl. 2020, BGB § 1684 Rn. 56 m.w.N. auf BGH-Rechtsprechung)
6Zudem ist Voraussetzung, dass keine anderen - milderen - Mittel zum Schutze des Kindes verfügbar sind, der konkreten Gefährdung also nicht durch eine bloße vorübergehende Einschränkung des Umgangsrechts oder dessen sachgerechter Ausgestaltung begegnet werden kann (vgl. u.a. BGH, NJW 1994, 312 = FamRZ 1994, 158 [160]; OLG Koblenz NJOZ 2005, 5244). Bei der Prüfung, ob eine Gefährdung des Kindeswohls in diesem Sinne gegeben ist, hat auch der Wille des Kindes Berücksichtigung zu finden. Das Persönlichkeitsrecht des Kindes erfordert es, dass sein Wille im Rahmen seines wohlverstandenen Interesses zur Geltung kommt. Da allerdings dem Willen des Kindes zwar Gewicht, aber nicht ohne Weiteres ein Vorrang beizumessen ist, gilt es, die Individualität des Kindes und die aus dem Elternrecht fließenden Belange des Kontakt suchenden Elternteils gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Koblenz, aaO). Soweit das Kind den Umgang mit dem Elternteil ablehnt, ist für den Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB stets bedeutsam, ob die Einstellung des Kindes auf subjektiv beachtlichen oder verständlichen Beweggründen beruht (vgl. Thormeyer in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 1684 BGB (Stand: 15.10.2019), Rn. 141).
7Nach diesen Grundsätzen ist ein zeitweiliger Ausschluss von Umgangskontakten dann geboten, wenn das Kind Kontakte mit dem Elternteil ablehnt und auf Grund seiner derzeitigen Verfassung und Einstellung nicht in der Lage ist, die Konfliktsituation, der es durch Umgangskontakte ausgesetzt wäre, zu bewältigen (vgl. OLG Koblenz aaO). Die Ablehnung von Kontakten muss dabei auf einer inneren Ablehnung beruhen, der tatsächliche oder auch eingebildete, nicht sachgerecht verarbeitete Ereignisse zu Grunde liegen. In einem derartigen Fall würde die Auferlegung von Umgangskontakten mit deren Zweck im Allgemeinen ebenso unvereinbar sein wie mit dem Persönlichkeitsrecht des Kindes (so OLG Koblenz, aaO; OLG Celle, FamRZ 1998, 1458; OLG Hamm, NJWE-FER 1999, 235 = FamRZ 2000, 45).
8Die Voraussetzungen eines vorübergehenden Ausschlusses des Umgangsrechts liegen vor. Die oben genannten Kinder verweigern derzeit aus beachtenswerten Gründen den anstehenden Umgangskontakt zu ihrem Vater. Die Kinder haben übereinstimmend im Rahmen der Kindesanhörung angegeben, dass sie bei ihrem letzten Umgangskontakt mit dem Kindesvater von diesem massiv unter Druck gesetzt worden seien, einen Brief aufzusetzen, in dem sie entgegen ihrem Willen, bekunden sollten, dass sie nicht zusammen mit der Kindesmutter nach I umziehen wollen. So berichteten die Kinder - ersichtlich betroffen - davon, dass der Kindesvater das Schreiben von J, indem sie ihren Wunsch schriftlich niedergelegt habe, mit der Kindesmutter nach I/V zu ziehen, in Gegenwart der Kinder zerrissen habe. Er habe von ihnen verlangt zu schreiben, dass sie nicht mit der Mutter nach I ziehen wollen. Sie schilderten des Weiteren, dass der Kindesvater sie zusätzlich mit Äußerungen, dass sie ihren Papa verlieren würden, wenn sie ihn verraten würden bzw. sie Gott verraten würden, wenn sie ihren Vater verraten würden, erheblich unter Druck gesetzt habe. Die Kinder scheinen durch den weiterhin bestehenden Elternkonflikt bezüglich des geplanten Umzugs der Kindesmutters sowie das soeben genannten Verhalten des Kindesvaters gegenüber den Kindern psychisch erheblich belastet. Die Einschätzung des Gerichts deckt sich insoweit mit der Einschätzung der Verfahrensbeiständin sowie des Jugendamtes. Die Kinder konnten nachvollziehbare Gründe für ihre ablehnende Haltung bezüglich des anstehenden Umgangskontaktes mit dem Kindesvater angeben. Sie haben diesen Willen sowohl gegenüber der Verfahrensbeiständin als auch dem Jugendamtes als auch dem hiesigen Gericht wiederholt bekundet.
9Die anzunehmende psychische Belastung der Kinder folgt insbesondere aus den von ihnen bekundeten Ängsten. So gab Ingrid an, dass sie Angst habe, dass ihr Vater sie irgendwo hinbringen könne, wo ihre Mutter nicht sei und die Mutter den Ort nicht kenne. Gertrud gab an, dass sie Angst habe, ihrem Vater ihre Meinung zu sagen; er sei "komisch" geworden. B, J und H betonten, dass sie ihren Vater erst wieder sehen wollen, wenn er sich "beruhigt" habe.
10Die Angaben der Kinder sind auch glaubhaft. Sie sind differenziert, detailreich und enthalten auch immer wieder positive Angaben bezüglich des Kindesvaters, wie etwa ihre Bekundung, dass sie davon ausgehen, dass ihr Vater sie trotzdem "von Herzen liebe". Ferner schließen sie einen Umgangskontakt zum Kindesvater nicht kategorisch aus, legen jedoch Wert darauf, dass er sich zunächst "beruhigt" habe und "wieder lieb und nett" zu ihnen sei. Eine einseitige Belastungstendenz zu Lasten des Vaters war nicht festzustellen. H gab z.B. an, dass auch ihre Mutter mit ihnen über "Erwachsenenthemen" spreche, was sie nicht gut finde. J gab an, dass ihr Vater ihr Würstchen, die sie gerne möge, gebracht habe und ihr gesagt habe, dass sie ihn anrufen solle, wenn sie Hilfe bräuchten.
11Bringen Eltern ihre Kinder durch ihr Verhalten in einen Loyalitätskonflikt, in dem sie es in den Elternkonflikt einbeziehen, kann dies - wie vorliegend - zu seelischen Belastungen mit der Folge einer Gefährdung des seelischen Wohls der Kinder führen (vgl. Grandel/Stockmann, StichwortKommentar Familienrecht, Ausschluss des Umgangsrechts, Rn. 46-49, beck-online).
12Mildere sowie gleich effektive Maßnahmen zur Gefahrenabwehr sind im Hinblick auf das anstehende Umgangswochenende nicht ersichtlich. Die Kinder lehnen den Umgang für den oben genannten Zeitraum kategorisch aus beachtlichen Gründen ab. Es ist derzeit auch nicht davon auszugehen, dass der Kindesvater sein Verhalten gegenüber seinen Kindern kurzfristig ändern wird. So hat J erzählt, dass B und H ihr erzählt hätten, dass ihr Vater sie heute in der Schule aufgesucht und gesagt habe, dass, wenn sie etwas falsches gegenüber dem Gericht sagen würden, sie ihren Vater verlieren würden. Sie hätten das so verstanden, dass sie nicht sagen sollen, dass sie umziehen wollen.
13Die befristete Untersagung der Herausgabe der Kinder an den Kindesvater folgt aus § 1666 Abs. 1 BGB. Wegen der Annahme einer Kindeswohlgefährdung im Falle der Durchsetzung des Umgangsrechts trotz des entgegenstehenden beachtlichen Kindeswillens wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen.
14Es besteht auch das gemäß § 49 FamFG erforderliche dringende Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden des Gerichts. Der Kindesvater hat durch seine Anträge und Vorbringen in den Verfahren 18 F 70/21 sowie im Vollstreckungsverfahren zum Aktenzeichen 18 F 106/18 deutlich gemacht, dass er sein Umgangsrecht trotz des derzeit entgegenstehenden beachtlichen Kindeswillen der oben genannten Kinder durchsetzen möchte.
15Eine vorherige Anhörung der Kindeseltern konnte wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit nicht erfolgen. Die die einstweilige Anordnung rechtfertigenden Umstände haben sich vor allem aus der heutigen Kindesanhörung ergeben. Der Umgangskontakt des Kindesvaters steht jedoch bereits für den morgigen Tag nach Schulschluss der Kinder an.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG.