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wird auf Antrag der Bundespolizei vom 26.4.2021 gemäß §§ 415 ff. FamFG, § 62 Abs.4 Aufenthaltsgesetz, Art. 28 der Verordnung (EU) 604/2013 i. V. m. § 2 Abs. 14 Aufenthaltsgesetz Abschiebungshaft (Sicherungshaft) bis zum 14.6.2021 angeordnet.
Die Anordnung ergeht mit sofortiger Wirkung.
Diese tritt mit der erfolgten Bekanntgabe dieses Beschlusses an den Betroffenen und die Verwaltungsbehörde ein (§ 422 FamFG).
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Dolmetscherkosten.
G r ü n d e :
2Am 00.00.0000, um 00:00 Uhr, wurde der Betroffene nach erfolgter Einreise aus den Niederlanden als Fahrgast in der Regionalbahn RE00 (ERB 00000) angetroffen und auf Höhe des Bahnhofs L kontrolliert.
3Er führte nicht die für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erforderlichen Reisedokumente mit sich und gab seine Personaldaten gegenüber den feststellenden Beamten mündlich in englischer Sprache an.
4Der Betroffene gab sich als marokkanischer Staatsangehöriger aus und gab an, auf dem Weg von Venlo nach Frankfurt zu sein und dort einen Freund besuchen zu wollen.
5Die Durchsuchung des Betroffenen sowie des mitgeführten Rucksacks nach Ausweispapieren verlief negativ, er führte 000,00 Euro an Barmitteln mit sich.
6Eine durchgeführte Identitätsfeststellung mittels Fast-ID verlief negativ.
7Anschließend wurde der Betroffene erkennungsdienstlich behandelt. Die EURODAC-Recherche ergab dass der Betroffene in Schweden am 11.03.2019 und Norwegen am 15.04.2019 erkennungsdienstlich behandelt wurde, weil er dort Asylanträge stellte. Abfragen in sonstigen Datenbanken verliefen negativ.
8Eine zwischenzeitlich durchgeführte und intensivere Überprüfung im Europäischen Visa-Informationssystem (VIS) ergab, dass der Betroffene unter dem abweichenden Geburtsdatum 14.06.1999 unter Vorlage seines marokkanischen Reisepasses-Nr. NH9608514 (gültig 29.08.2014 bis 29.08.2019) unter der Antragsnummer FRATNG2018004420300 beim französischen Konsulat in Tanger / Marokko am 11.12.2018 ein Schengenvisum mit einer beantragten Aufenthaltsdauer von 90 Tagen im geplanten Zeitraum vom 26.12.2018 bis 26.03.2019 beantragte. Als Reisezweck wurde der Besuch von Freunden in Marseille angegeben.
9Der Visaantrag wurde am 26.07.2019 durch Norwegen von Amts wegen zurückgezogen, weil die Absicht des Antragstellers, das Territorium der Mitgliedstaaten zu verlassen, bevor das Visum ausläuft, nicht nachgeprüft werden konnte.
10Die mit diesem abweichenden Geburtsdatum erneute Überprüfung ergab eine schengenweite Fahndungsnotierung vom 22.05.2019 durch Norwegen als Ausländer, dem die Einreise in das Schengener Gebiet oder der Aufenthalt dort zu verweigern ist. Aus dieser Fahndungsnotierung waren auch die vorgenannten weiteren Aliaspersonalien Z D K ersichtlich.
11Es wurden Überprüfungen im Rahmen des polizeilichen Informationsaustausches über die Gemeinsame Verbindungsstelle der deutsch-niederländischen Polizei in Goch in Norwegen, Schweden und den Niederlanden durchgeführt.
12In den Niederlanden ist der Betroffene unbekannt, aus Norwegen wurden mit Verweis auf die Schengenausschreibung keine weiteren Informationen mitgeteilt.
13Zudem wurde eine ebensolche Überprüfung auch über das Gemeinsame Zentrum in Kehl in Frankreich durchgeführt. Dort ist der Betroffene ausländerrechtlich und polizeilich bislang nicht in Erscheinung getreten.
14Im Rahmen seiner Vernehmung gab der Betroffene erstmals seine offensichtlich echten Personalien mit dem Geburtsdatum 00.00.0000 an. Seinen Pass habe er in Belgien verloren als er dort zuletzt ein Jahr lang unerlaubt lebte und arbeitete. Er erklärte seine Absicht, in Deutschland Asyl zu beantragen, weil er familiäre Probleme habe. Zudem habe er regimekritische Lieder in Marokko verfasst.
15Seine Reise nach Europa schilderte er wie folgt: Er sei mit einem Visum legal nach Frankreich gereist, um Verwandte zu besuchen und ein Praktikum zu absolvieren. Er blieb dort jedoch nur zwei Wochen. Einen Asylantrag habe er dort nicht gestellt, weil er das in Frankreich als aussichtslos ansah. Diesen stellte er dann in Schweden. Als er dort nach 6 Monaten keine Entscheidung erhielt, habe er in Norwegen Asyl beantragt und man habe ihn von dort nach Frankreich abgeschoben. Anschließend habe er Frankreich nach Belgien verlassen, wo er etwa ein Jahr lang unerlaubt lebte und arbeitete. Auch dort stellte er keinen Asylantrag, weil er es ebenfalls als aussichtslos ansah. Als er in Belgien keine Arbeit mehr hatte, beschloss der Betroffene zu einem Freund nach Frankfurt zu reisen und in Deutschland Asyl zu beantragen.
16Mit Beschluss vom 15.04.2021 erließ das AG Krefeld mit Az.: 29 XIV (B) 66/21 auf Antrag der BPOLI Kleve Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 28.04.2021 im Wege der einstweiligen Anordnung. Seither befindet sich der Betroffene in der UfA Büren.
17Über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg wurde der Betroffene am 26.04.2021 unter dem Az.: 8409043-252 gemäß Artikel 18 Abs.1 Buchstabe b der Verordnung (EU) Nr.: 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (im folgenden Dublin III VO genannt) dem Mitgliedsstaat Frankreich zur Übernahme angeboten. Eine zuvor erfolgte Anbietung an den Mitgliedsstaat Schweden wurde durch diesen abgelehnt.
18Der Betroffene ist Ausländer im Sinne des § 2 Abs. 1 AufenthG und unterliegt nach §§ 3 und 4 AufenthG der Pass- und Aufenthaltstitelpflicht. Befreiungen von der Aufenthaltstitelpflicht nach der Aufenthaltsverordnung oder nach dem Recht der Europäischen Union liegen nicht vor.
19Der Betroffene verfügt über keinen gültigen Pass bzw. Aufenthaltstitel im Sinne der §§ 3, 4 AufenthG, und ist somit gem. § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Die Ausreisepflicht ist gem. §§ 58 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG vollziehbar, da er unerlaubt i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1, 2 AufenthG eingereist ist.
20Aufgrund der unerlaubten Einreise liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Zurückschiebung nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 18 Abs. 3, 2 AsylG vor.
21Die Zurückschiebung ist dem Betroffenen durch die aktualisierte Verfügung vom 26.04.2021 mitgeteilt und mittels Sprachmittler übersetzt worden. Ein Mehrstück wurde ihm ausgehändigt.
22Die Bundespolizeiinspektion Kleve betreibt vorrangig die Rückführung nach Frankreich oder aber in jeden anderen Staat, der aufgrund völker- oder europarechtlicher Regelungen zur Übernahme verpflichtet oder dazu bereit ist.
23Aufgrund der Informationen durch das BAMF ist Frankreich gemäß Verordnung (EU) 604/2013 für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und zur Aufnahme verpflichtet. Durch das BAMF wurde daher am 26.04.2021 ein Wiederaufnahmegesuch gem. Art 18 Abs.1 b der Verordnung (EU) 604/2013 an den Mitgliedsstaat Frankreich gestellt.
24Die Überstellung nach Frankreich ist tatsächlich und rechtlich möglich.
25Überstellungen nach Frankreich sind auch während der anhaltenden Corona-Pandemie möglich und werden durchgeführt. Voraussetzung hierfür ist die Mitführung eines negativen Covid-19-Testergebnisses bei der Überstellung sowie Vorabübermittlung an das BAMF, Ref. 32C. Ein PCR-Test, der nicht älter als 72 Stunden sein darf, ist hierbei vorgeschrieben.
26Ein entsprechender Test kann durch die Krankenabteilung der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in Büren auf Anforderung zeitgerecht durchgeführt werden. Entsprechende Testungen erfolgen darüber hinaus aber auch schon vorher in der UfA Büren (bei Aufnahme und nach etwa fünf Tagen erneut).
27Aktuell gilt seitens des Bundespolizeipräsidiums die grundsätzliche Regelung, Überstellungen nach Frankreich möglichst auf dem Landweg durchzuführen. Auf Anfrage beim BAMF, Ref 32C vom 22.04.2021 werden auf dem Landweg Einzel- und Sammelüberstellungen nach Frankreich durchgeführt. Einzelüberstellungen finden von Montag bis Freitag in der Zeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr statt. Sammelüberstellungen dagegen nur dienstags und donnerstags.
28Es besteht erhebliche Fluchtgefahr i. S. d. Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchst. n) DÜ-III-VO, § 2 Abs. 14 AufenthG vor.
29Bei seinem Aufgriff gab der Betroffene gegenüber den kontrollierenden Beamten falsche Personalien an, was zunächst auch unentdeckt blieb. So verlief die Überprüfung in den polizeilichen Fahndungssystemen sowie die Auswertung der Fingerabdrücke im nationalen Bestand ohne Erkenntnisse. Erst eine Recherche im europaweiten Visa-Informationssystem (VIS) ergab einen Treffer mit abweichendem Geburtsdatum aufgrund einer Visa-Beantragung bei den französischen Behörden aus dem Jahr 2018. Der Betroffene täuscht mithin über seine Identität, da er nicht freiwillig in den für ihn zuständigen Mitgliedsstaat Frankreich zurückkehren will (widerlegliche gesetzliche Vermutung gem. § 62 Abs. 3a Nr. 1 AufenthG).
30Dies wird auch durch die Einlassungen des Betroffenen in seiner Vernehmung deutlich. Demnach verließ er Frankreich etwa 2 Wochen nach seiner Ankunft, da er dort keine Chancen sah, dass ein Asylantrag positiv beschieden worden wäre. Schweden verließ er etwa 6 Monate nach Asylantragstellung, da er mit dem Leben im Flüchtlingslager und den monatlichen finanziellen Zuwendungen nicht einverstanden war. Im Anschluss stellte in Norwegen unter anderen Personalien erneut einen Asylantrag und wurde nach Frankreich abgeschoben. Der Betroffene verließ seinen zuständigen Mitgliedsstaat und hielt sich anschließend unerlaubt in Belgien auf. Das Verhalten sowie die Einlassungen des Betroffenen lassen also den naheliegenden Schluss zu, dass er sich zukünftigen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entziehen wird (widerlegliche gesetzliche Vermutung gem. § 62 Abs. 3a Nr. 6 AufenthG).
31Ferner liegen gemäß § 2 Abs. 14 S. 1 AufenthG weitere Anhaltspunkte für die erhebliche Fluchtgefahr des Betroffen vor, da er bereits in Schweden und Norwegen Asylanträge stellte, deren Ausgang - zumindest in Schweden - nicht abwartete, und nun in Deutschland während seiner Vernehmung erneut ein Asylbegehren vorbrachte.
32In seiner gerichtlichen Anhörung hat der Betroffene erklärt, er wolle in der Bundesrepublik Deutschland bleiben, da es ihm hier gut gefalle. Er beabsichtige die Sprache zu lernen und sich dann mit einem Arbeitsplatz ein neues Leben aufzubauen.
33Gemäß § 14 Abs. 3 AsylG steht die Asylantragstellung der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Sicherungshaft im Übrigen nicht entgegen (BGH v. 20.05.2016 - VZB 24/16).
34Darüber hinaus verfügt der Betroffene über keine familiären Bindungen in Deutschland, er ist hier arbeits- und wohnsitzlos.
35Die Würdigung der Gesamtumstände ergibt, dass damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Betroffene den geplanten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entziehen wird, sehr hoch ist.
36Mildere Mittel, z.B. die Hinterlegung von Geldmitteln oder Wertgegenständen als „Kaution“, die Anordnung von Meldeauflagen oder die Erteilung einer räumlichen Beschränkung sind aufgrund der erheblichen Fluchtgefahr nicht geeignet, die Rückführung zu sichern.
37Der Betroffene verfügte bei seinem Aufgriff über Zahlungsmittel in Höhe von 000 Euro.
38Für die Zurückschiebung muss der ersuchte Staat seine Zuständigkeit erklären. Dieses Verfahren und die anschließend einzuleitenden Zurückschiebemodalitäten nach Frankreich nehmen nach den aktuellen Erfahrungswerten des BAMF voraussichtlich 6 bis 8 Wochen in Anspruch.
39- Prüfung des Übernahmeersuchens durch den zuständigen Mitgliedsstaat Frankreich bis zum 10.05.2021, danach wird von fiktiver Zustimmung ausgegangen,
40- Bearbeitung und Weiterleitung der Antwort des BAMF an die Bundespolizei sowie Er- und Zustellung der Abschiebeanordnung durch das BAMF - 1 bis 3 Arbeitstage,
41- Mitteilung der Überstellungsmodalitäten nach Ablauf der einwöchigen Klagefrist gegen die Abschiebeanordnung - 10 Tage,
42- Organisation der Landüberstellung und Auskunftsersuchen an die Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige Büren über die Reisetauglichkeit (inklusive Corona-Testung) des Betroffenen - 5 bis 7 Arbeitstage,
43- nach Mitteilung der Modalitäten durch das BAMF vorgegebener Überstellungszeitraum durch den Mitgliedsstaat - 10 Werktage.
44Laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist den Behörden bei der Organisation der Rücküberstellung ein gewisser zeitlicher Puffer für allfällige Verzögerungen zuzubilligen (BGH V ZB 167/14 v.20.10.2016).
45Aufgrund des geringen Strafverfolgungsinteresses bedarf es keines Einvernehmens mit der
46Staatsanwaltschaft (§ 72 Abs. 4 S. 3 AufenthG).
47Die Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß § 419 FamFG war nicht erforderlich, weil der Betroffene bei dem einfachen ausländerrechtlichen Sachverhalt seine Interessen selber angemessen vertreten kann.
48Rechtsmittelbelehrung:
49Gegen diesen Beschluss ist Beschwerde zulässig, die binnen eines Monats beim Amtsgericht Krefeld schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen ist.
50Der Betroffene wird über die Möglichkeit, unentgeltlich Rechtsberatung und -vertretung in Anspruch zu nehmen, informiert (Art. 9 Abs. 4 der Richtlinie 2013/33EU). Nur in Dublin-Fällen
51Krefeld, 28.04.2021