Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt. Die Kosten der Nebenintervention trägt der Streithelfer selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
2Der Kläger (geb. am 00.00.0000) unterhält bei der Beklagten eine Krankheitskostenversicherung nach dem Tarif AV. Bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2016 erlitt er eine Oberschenkelhalsfraktur des linken Oberschenkels, die konservativ versorgt wurde. Nach einer Hüftkopfnekrose wurde dem Kläger ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt. Die Beklagte übersandte dem Kläger unter dem 16.11.2016 einen Unfallfragebogen (Anlage E. 5, Bl. 385 ff.). In den beigefügten „Wichtigen Informationen“ (a.a.O., Bl. 389) heißt es (auszugsweise):
3Vergleich: So machen Sie es richtig!
4Oft schließen der Verletzte und der Verursacher des Unfalles (oder dessen Haftpflichtversicherer) einen Vergleich. Ist das auch hier der Fall? - Dann achten Sie bitte darauf, dass dieser Vergleich nicht unsere Ansprüche erfasst.
5Hierzu nehmen Sie bitte alle unfallbedingten Kosten, die wir gezahlt haben oder zahlen werden, von dem Vergleich aus. Hierzu sollten Sie unbedingt die folgende Klausel nutzen:
6"Diese Abfindungserklärung erstreckt sich nicht auf die unfallbedingten Behandlungskosten, die die K. J. Krankenversicherung AG erstattet hat oder zukünftig noch erstatten wird. Der Vergleich erfasst auch nicht die Pflegeleistungen, die die K. J. Krankenversicherung AG wegen des Unfalls ausgezahlt hat oder zukünftig auszahlen wird."
7Ohne diese Klausel können wir nach einem Vergleichsschluss unsere Leistungen nicht mehr vom Verursacher des Unfalles (oder dessen Versicherer) zurückfordern. Dies hat für Sie negative Folgen: Wir werden Ihnen die unfallbedingten Kosten nicht mehr erstatten.“
8Der Kläger schloss im Jahr 2017 mit der Haftpflichtversicherung der Unfallverursacherin einen Abfindungsvergleich. Diesem lag die durch den seinerzeitigen bevollmächtigten Rechtsanwalt L. (nachfolgend: Streithelfer) unterzeichnete Abfindungserklärung vom 06.12.2017 (versehentlich datiert auf den 06.11.2017) zugrunde (Anlage E. 1, Bl. 30 d.A.). Diese lautet auszugsweise:
9„Ich (wir) erklären, dass bei Auszahlung einer weiteren Entschädigungssumme von 20.000,00 € […] durch Vergleich alle Schadensersatzansprüche aus diesem Unfallereignis/Schadenereignis, unabhängig davon, ob diese bekannt oder unbekannt, voraussehbar oder nicht voraussehbar sind, endgültig und vollständig abgefunden sind. Dies gilt uneingeschränkt auch für Schadensersatzansprüche aus diesem Unfallereignis/Schadenereignis gegen Versicherte der o. g. Versicherungsgesellschaft oder für etwaige weitere Gesamtschuldner. […]“
10Mit Schreiben vom 26.06.2018 (Anlage E. 2, Bl. 31 d.A.) verweigerte die Haftpflichtversicherung der Unfallverursacherin gegenüber der Beklagten unter Verweis auf den Abfindungsvergleich eine Beteiligung an weiteren Aufwendungen. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, eine Kostenübernahme der unfallbedingten Behandlungskosten komme aufgrund der Wirkung des § 86 VVG nicht in Betracht. Wegen der beklagtenseits nicht erstatteten Positionen, die Reha-Behandlungen und Physiotherapie bis einschließlich 2019 betreffen, wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 06.12.2022 (Bl. 82 d.A.) nebst Anlagen K1 und K2 (Bl. 83 ff. d.A.) sowie K4 (Bl. 109 d.A.) verwiesen.
11Der Kläger nahm den Streithelfer auf Schadensersatz aus dem Anwaltsvertrag in Anspruch. Mit Urteil vom 20.09.2021 wies das Landgericht Köln (Az.: 24 O 446/19) die Klage ab. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers stellte das Oberlandesgericht Köln mit Urteil vom 30.05.2024 (Az.: 4 U 181/21) unter teilweiser Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Verpflichtung des Streithelfers fest, den Kläger von den unfallbedingten Heilbehandlungskosten freizustellen, deren Erstattung die – hiesige – Beklagte unter Verweis auf den Abfindungsvergleich verweigert. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Oberlandesgerichts Köln (Anlage zum Schriftsatz des Streithelfers vom 15.08.2024, Bl. 399 ff.; sowie zum Schriftsatz der Beklagten vom 22.08.2024, Bl. 427 ff. d.A.) verwiesen.
12Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte sei zum Ersatz der aus dem Unfallereignis bereits entstandenen und der künftig noch entstehenden Heilbehandlungskosten verpflichtet. Es bestehe eine Möglichkeit, dass weitere Heilbehandlungskosten anfielen, da künstliche Hüftgelenke nur eine Standzeit von 15-20 Jahren aufwiesen. Aktuell bestünden keine gesundheitlichen Probleme, es sei jedoch jederzeit zu befürchten, dass weitere Behandlungen oder Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten könnten. Der Kläger macht geltend, es liege weder ein vorsätzlicher noch ein fahrlässiger Verstoß gegen das Aufgabeverbot vor. Bei Abschluss des Abfindungsvergleiches sei ihm nicht bekannt gewesen, dass möglicherweise auch künftige Heilbehandlungskosten oder Ansprüche aus der Krankentaggeldversicherung abgefunden sein könnten. Auch habe er keinerlei Vorstellung davon gehabt, dass seine Erklärung auch Ansprüche gegenüber der Beklagten betreffen könne. Um diese Auffassung zu bilden, hätte er über vertiefte Rechtskenntnisse verfügen müssen. Auch der Streithelfer habe ihn hierüber nicht informiert. Vielmehr habe dieser selbst nicht gewusst, dass hiermit auch Ansprüche der Beklagten mit abgefunden worden seien. Er, der Kläger, habe den Vergleich auch nicht persönlich unterzeichnet.
13Der Streithelfer ist der Ansicht, der Kläger habe das Aufgabeverbot weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt. Ein Vorsatz folge nicht aus dem Wortlaut des Vergleichs. Grober Fahrlässigkeit stehe entgegen, dass der Kläger sich auf den eingeholten anwaltlichen Rat verlassen habe. Der Streithelfer sei auch nicht Repräsentant des Klägers für die Erfüllung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten gewesen. Eine Zurechnung seiner – des Streithelfers – Fehler an den Kläger komme schon aus Rechtsgründen nicht in Betracht.
14Mit der zunächst vor dem Amtsgericht Köln erhobenen Klage hat der Kläger zunächst Zahlung von 4.908,35 € nebst Prozesszinsen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte auch künftig verpflichtet sei, bedingungsgemäß Versicherungsleistungen zu erstatten, die auf den Verkehrsunfall des Klägers vom 25.08.2016 zurückzuführen seien. Die Klage ist der Beklagten am 04.07.2022 zugestellt worden. Mit Beschluss vom 06.01.2023 (Bl. 131 d.A.) hat sich das Amtsgericht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Köln verwiesen.
15Nach einer Erweiterung des Zahlungsantrags zu 1. mit Schriftsatz vom 06.12.2022 – zugestellt am 08.12.2022 – beantragen der Kläger und der Streithelfer sinngemäß,
161. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.064,61 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
172. festzustellen, dass die Beklagte auch künftig verpflichtet ist, bedingungsgemäß Versicherungsleistungen, die auf den Verkehrsunfall des Klägers vom 25.09.2016 zurückzuführen sind, zu erstatten.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Die Beklagte hält die Feststellungsklage für unzulässig. Sie ist der Ansicht, sie sei gemäß § 86 Abs. 2 VVG nicht zur Leistung verpflichtet, da der Kläger durch den Abschluss des Abfindungsvergleichs vorsätzlich gegen diese Obliegenheit verstoßen habe. Sie habe den Kläger mit Schreiben vom 16.11.2016 auf die Obliegenheit und etwaige Folgen hingewiesen. Durch den gleichwohl abgeschlossenen Vergleich sei ihr – der Beklagten – die Möglichkeit eines Regresses gegen die gegnerische Haftpflichtversicherung genommen worden. Das Verschulden seines Rechtsanwalts sei dem Kläger zuzurechnen. Hilfsweise wendet die Beklagte ein, Belege in Höhe von 1.196,00 € seien doppelt eingereicht worden und erhebt einen tariflichen Einwand betreffend die abrechenbaren Höchstsätze für Physiotherapie.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe
23Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
24I.
25Das Feststellungsbegehren gemäß Antrag zu 2. ist zulässig. Der Antrag ist auszulegen als Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte sich gegenüber etwaigen Erstattungsansprüchen wegen unfallbedingter Heilbehandlungen, Heilmittel etc. nicht auf Leistungsfreiheit wegen eines Obliegenheitsverstoßes berufen dürfe. Dass die Beklagte sich einer Leistungsfreiheit berühmt, ergibt sich bereits aus ihrem Schreiben vom 29.10.2019 (Bl. 83).
26II.
27Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der streitgegenständlichen Behandlungskosten gem. § 192 Abs. 1 VVG i.V.m. § 1 Abs. 2 AVB.
28Der Anspruch auf Erstattung der Kosten, die unstreitig auf die Behandlung der Folgen des Unfallgeschehens vom 25.09.2016 beruhen, steht die vorsätzliche Verletzung des Aufgabeverbots gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 und 2 VVG entgegen.
29Nach § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG hat der Versicherungsnehmer seinen Ersatzanspruch oder ein zur Sicherung dieses Anspruchs dienendes Recht unter Beachtung der geltenden Form- und Fristvorschriften zu wahren und bei dessen Durchsetzung durch den Versicherer soweit erforderlich mitzuwirken.
30Aufgrund des Abschlusses des Abfindungsvergleichs zwischen dem Kläger und dem Haftpflichtversicherer der Unfallgegnerin vom 06.11.2017 wurde der Beklagten die Geltendmachung von gegenwärtigen und künftigen Regressansprüchen aus übergegangenem Recht (§ 86 Abs. 1 VVG) unmöglich. Dies steht zwischen den Parteien auch nicht in Streit.
31Der Verstoß gegen das Aufgabeverbot erfolgte auch vorsätzlich. Zwar ist die Beklagte für das Vorliegen des Vorsatzes beweisbelastet, jedoch trifft den Kläger eine sekundäre Darlegungslast für gegen die Annahme von Vorsatz sprechende Umstände. Dieser hat der Kläger indes nicht hinreichend genügt. Den Erhalt des Schreibens vom 16.11.2016 und dessen Lektüre hat der Kläger nicht in Abrede gestellt. Soweit er geltend macht, er habe dessen Inhalt „als Arzt ohnehin auch anfänglich nicht einordnen“ können (Schriftsatz vom 22.08.2024, Bl. 426 d.A.), ist dies angesichts des Wortlautes des Schreibens nicht nachvollziehbar. Denn in den „Wichtigen Informationen“ hat die Beklagte dort mit allgemeinverständlichen Formulierungen darauf hingewiesen, dass alle von ihr gezahlten oder zu zahlenden unfallbedingten Kosten von einem Vergleich auszunehmen seien und die Verwendung einer konkreten Klausel vorgeschlagen. Auf anderenfalls drohende nachteilige Folgen für den Kläger hat die Beklagte ebenfalls deutlich hingewiesen („Wir werden Ihnen die unfallbedingten Kosten nicht mehr erstatten“). Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, dass dem Kläger bei Abschluss des Vergleiches nicht bekannt war, (auch) für die Beklagte entstandene oder ggf. entstehende Ansprüche abzugelten.
32III.
33Das Feststellungsbegehren gemäß Antrag zu 2. ist aus den vorstehenden Gründen, auf welche Bezug genommen wird, ebenfalls unbegründet.
34IV.
35Die prozessualen Nebenentscheidungen ergehen gem. §§ 91, 101, 709 S. 2 ZPO.
36Streitwert: 7.624,61 €
37(5.064,61 € für Klageantrag zu 1. zzgl. 2.560,00 € für Klageantrag zu 2. [gem. § 9 ZPO für künftige Behandlungskosten von geschätzten 1.000,00 € abzgl. 20% wegen Feststellungsantrag])