Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 09.12.2022, 134 C 358/20 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte die Kosten dieses Rechtsstreits zu tragen hat, soweit sie nicht durch die Weiterverfolgung des Klageantrags zu 2. (gerichtet auf Freihaltung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 249,40 €) nach der mit Schriftsatz vom 23.08.2021 (Bl. 42 ff. d. A.) erfolgten Klageänderung entstanden sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 25 % und die Beklagte zu 75 %. Die Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger zu 21 % und die Beklagte zu 79 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e:
2I.
3Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung hat zu einem Teil Erfolg. Sie ist begründet, soweit sie sich gegen die Abweisung des Klageantrags zu 1. (Feststellung der Kostentragungspflicht für das Gerichtsverfahren) wendet (dazu nachfolgend 1.). Soweit sie dagegen den auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klageantrag zu 2. weiter verfolgt, bleibt sie ohne Erfolg (dazu nachfolgend 2.).
61. Die mit Schriftsatz vom 23.08.2021 (Bl. 42 ff. d. A.) vorgenommene Klageänderung ist zulässig gemäß §§ 263 ff. ZPO. Sie ist jedenfalls sachdienlich im Sinne von § 263 Fall 2 ZPO (vgl. Anders/Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, 15. Aufl. P Rn. 65).
72. Der Feststellungsantrag (Klageantrag zu 1.) ist zulässig und mit Maßgabe der aus seiner Auslegung folgenden, aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung auch begründet.
8a) Der Feststellungsantrag ist zulässig. Das Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) besteht, weil sich die durch die gerichtliche Inanspruchnahme entstandenen Kosten noch nicht abschließend beziffern lassen. Für den Antrag besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil ohne Zulassung eines entsprechenden Hauptsacheantrags der aus einer vorprozessual unterlassenen Auskunft folgende materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch im Rahmen der prozessualen Kostenentscheidung keine Berücksichtigung finden könnte (vgl. BGH NJW 1981, 990 unter II 3 b ee; Anders/Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, 15. Aufl. P Rn. 65). Etwas Anderes folgt nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.10.2020 (VII ZR 10/17, NJW 2021, 468 Rn. 22 f.), denn vorliegend bestünde ohne Zulassung des Feststellungsantrags gerade kein sich mit dem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch deckender, im Kostenfestsetzungsverfahren verfolgbarer prozessualer Erstattungsanspruch, und ein Widerspruch zwischen einer Entscheidung über den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch einerseits und dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch droht gerade nicht, sondern wird vielmehr durch die Zulassung des Antrags vermieden.
9b) Der Feststellungsantrag ist - mit Maßgabe der aus seiner Auslegung folgenden, aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung - auch begründet.
10aa) Der Feststellungsantrag ist interessengerecht so auszulegen, dass er etwaige Mehrkosten, die durch die Weiterverfolgung des Antrags auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nach der Klageänderung entstanden sind, nicht umfasst. Denn jener Antrag wird als Hauptsacheantrag weiterverfolgt und hierüber ergeht ein prozessualer Kostenausspruch. Insoweit besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Feststellungsantrag hinsichtlich der hierdurch ausgelösten Kosten. Würden jene Kosten Teil des Feststellungsausspruchs, drohte zudem ein Widerspruch zwischen dem Feststellungsausspruch in der Hauptsache und der prozessualen Kostenentscheidung, bei der ein Teilunterliegen hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu berücksichtigen ist.
11bb) Der so ausgelegte Klageantrag zu 1. ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen auf Ersatz der Kosten des Rechtsstreits gerichteten Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung ihrer Pflicht, den Kläger über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu unterrichten.
12(1) Gemäß dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24.10.2017 (X ZR 64/16, juris Leitsatz zu 2. und Rn. 19) ist das vertragliche Luftfahrtunternehmen aufgrund einer Nebenpflicht aus dem Flugbeförderungsvertrag verpflichtet, den Fluggast über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu unterrichten, wenn der Fluggast ihm gegenüber Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung geltend macht.
13Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall übertragbar. Zwar ging es in der vorgenannten Entscheidung - anders als hier - um die Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach Art. 5, Art. 7 FluggastrechteVO. Wie die Berufungsbegründung zu Recht ausführt, besteht aber kein Grund, die dort niedergelegten Grundsätze nicht auch auf andere Ansprüche nach der FluggastrechteVO anzuwenden, für die ausschließlich das ausführende Luftfahrtunternehmen passivlegitimiert ist, wie hier die Ansprüche auf Unterstützungs- und Betreuungsleistungen nach Art. 8, Art. 9 FluggastrechteVO.
14(2) Die Auskunftspflicht besteht nicht ohne Weiteres bereits bei Buchung (missverständlich insoweit BGH, Urteil vom 24.10.2017 - X ZR 64/16, juris Rn. 19), sondern wird ihrem Sinn und Zweck nach erst dadurch in Gang gesetzt, dass der Fluggast dem Luftfahrtunternehmen gegenüber Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung geltend macht (vgl. BGH aaO Leitsatz zu 2.). Das war vorliegend mit dem vorgerichtlichen Rechtsanwaltsschreiben vom 01.09.2020 (Anl. RAS 02, Bl. 18 ff. d. A.) der Fall. Aus jenem Schreiben ging klar hervor, dass die Beklagte aufgrund Art. 8, Art. 9 FluggastrechteVO als ausführendes Luftfahrtunternehmen in Anspruch genommen wurde, denn die vorgenannten Normen wurden in dem Schreiben zitiert (Seite 3, Bl. 20 d. A.), und die Beklagte wurde um Mitteilung gebeten, falls sie sich dadurch exkulpieren könne, dass sie nicht das ausführende Luftfahrtunternehmen gewesen sei (Seite 2, Bl. 19 d. A.).
15(3) Die Auskunftspflicht entfiel im Streitfall nicht durch die Angabe „Operating by EW“ in der Buchungsbestätigung (Auszug Schriftsatz vom 26.10.2021, Seite 2, Bl. 72 d. A. und Seite 5 der Berufungsbegründung, eAkte Bl. 33).
16Diese Angabe beruht auf der Verpflichtung gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2111/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.12.2005. Danach unterrichtet der Vertragspartner für die Beförderung im Luftverkehr unabhängig vom genutzten Buchungsweg die Fluggäste bei der Buchung über die Identität der/des ausführenden Luftfahrtunternehmens.
17Auch wenn die Definition des ausführenden Luftfahrtunternehmens in beiden Verordnungen nahezu wortlautgleich geregelt ist (vgl. Art. 2 e) VO Nr. 2111/2005 und Art. 2 b) FluggastrechteVO), ist das „ausführende Luftfahrtunternehmen“ im Sinne der Verordnung Nr. 2111/2005 nicht stets deckungsgleich mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen im Rahmen der Fluggastrechteverordnung. Insbesondere im Falle des „I. D.“ - Vermietung eines Flugzeugs mit Besatzung - kann beides auseinanderfallen (vgl. EuGH, Urteil vom 04.07.2018 - C 532/17, juris Rn. 25 f.). Die Angabe „operating by“ in der Buchungsbestätigung lässt daher keinen sicheren Schluss auf das ausführende Luftfahrtunternehmen im Sinne der Fluggastrechteverordnung zu (vgl. BGH, Urteil vom 12.09.2017 - X ZR 102/16, juris Rn. 21, 23; LG Frankfurt, Urteil vom 21.02.2019 - 24 S 143/18, juris Rn. 7; AG Köln, Urteil vom 22.05.2019 - 131 C 407/18, juris Rn. 15; offengelassen in LG Düsseldorf, Urteil vom 15.02.2021 - 22 S 407/18, RRa 2021, 131, 132; a. A. wohl BeckOK Fluggastrechte-VO/Hopperdietzel, 30. Ed. Art. 2 Rn. 12 [Stand: 01.04.2024]).
18Der Kläger durfte daher aufgrund der in der Buchungsbestätigung genannten, der Beklagten zuzuordnenden Flugnummer (N01) davon ausgehen, dass die Beklagte (zumindest möglicherweise) ausführendes Luftfahrtunternehmen war. Bei Geltendmachung von Ansprüchen aus der FluggastrechteVO traf die Beklagte mithin eine Auskunftspflicht über das ausführende Luftfahrtunternehmen nach der FluggastrechteVO, die nicht bereits erfüllt war.
19(4) (a) Die Kosten der gerichtlichen Inanspruchnahme der Beklagten beruhen kausal auf der Verletzung der Auskunftspflicht und sind daher erstattungsfähig. Denn wäre die Beklagte ihrer Auskunftspflicht innerhalb der im vorgerichtlichen Rechtsanwaltsschreiben gesetzten Frist nachgekommen, hätte der Kläger nicht Klage gegen sie erhoben, und diese Kosten wären nicht entstanden.
20(b) Der Schaden ist der Verletzung der Auskunftspflicht durch die Beklagte auch objektiv zurechenbar und der Schadensersatzanspruch nicht durch ein Mitverschulden gemindert. Dem steht weder entgegen, dass der Kläger die Beklagte zunächst auf Auskunft hätte in Anspruch nehmen müssen (dazu aa), noch fehlte es der erhobenen Klage offensichtlich an Aussicht auf Erfolg (dazu bb).
21(aa) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts muss sich der Kläger nicht darauf verweisen lassen, dass er die Beklagte zunächst auf Auskunft hätte in Anspruch nehmen müssen. Eine entsprechende Obliegenheit des Klägers bestand nicht. Vielmehr war die Beklagte bereits auf das vorgerichtliche Rechtsanwaltsschreiben vom 01.09.2020 (Anl. RAS 02, Bl. 18 ff. d. A.) zur Auskunft verpflichtet - der Kläger hat sie „überobligatorisch“ sogar in jenem Schreiben hierauf hingewiesen - und soweit die Beklagte die Auskunft dann nicht erteilte, durfte der Kläger von ihrer Passivlegitimation ausgehen und unmittelbar Klage erheben.
22(bb) Für die objektive Zurechnung des Schadens kommt es nicht darauf an, ob die Klage - sofern sie gegen den richtigen Anspruchsgegner gerichtet gewesen wäre - in jedem Fall - etwa nach einer durchzuführenden Beweisaufnahme - Erfolg gehabt hätte, sondern an der objektiven Zurechenbarkeit würde es nur dann fehlen, wenn der Kläger eine offensichtlich erfolglose Klage erhoben und den Schaden damit maßgeblich selbst verursacht hätte. So liegt der Fall aber nicht. Die Abtretung durch die Zedentin ist (knapp) vorgetragen (Klageschrift Seite 5, Bl. 6 d. A.). und ihr ist beklagtenseits nicht widersprochen worden. Die Ansprüche aus Art. 8, Art. 9 FluggastrechteVO auf Betreuungs- und Unterstützungsleistungen sowie Erstattung der Kosten für die Ersatzbeförderung sind schlüssig vorgetragen worden. Dass die Beklagte die Entstehung der Kosten bestritten hat (Schriftsatz vom 04.06.2021, Seite 2, Bl. 39 d. A.), führt nicht dazu, dass die Klage offensichtlich unbegründet gewesen wäre.
233. Der auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klageantrag zu 2. ist zulässig, aber unbegründet.
24Die durch das vorgerichtliche Rechtsanwaltsschreiben vom 01.09.2020 (Anl. RAS 02, Bl. 18 ff. d. A.) entstandenen Kosten beruhen nicht auf einer Verletzung der vorbeschriebenen Auskunftspflicht. Denn vor Abfassung dieses Schreibens war die Beklagte noch nicht zur Auskunft verpflichtet. Wie bereits ausgeführt entsteht die Auskunftspflicht nicht anlasslos bereits bei Buchung. Sie wurde im vorliegenden Fall auch nicht bereits durch das vom Kläger persönlich verfasste Schreiben vom 20.04.2020 (Bl. 12 d. A.) in Gang gesetzt. Denn aus diesem ist nicht erkennbar, dass Ansprüche aus der FluggastrechteVO geltend gemacht werden. Die Geltendmachung von „Mehrkosten für Hotel und Verpflegung“ aufgrund der Flugannullierung lässt vielmehr auch die Deutung zu, dass es nur um vertragliche Ansprüche gehen sollte. Das war in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (Urteil vom 24.10.2017 - X ZR 64/16, juris) anders, denn dort ging es um einen Ausgleichsanspruch, der nur auf Grundlage der Fluggastrechteverordnung in Betracht kommt.
25Eine bereits vor Geltendmachung von Ansprüchen bestehende Auskunftspflicht der Beklagten über das ausführende Luftfahrtunternehmen ergibt sich auch nicht aus Art. 14 FluggastrechteVO, denn die dort statuierte Informationspflicht trifft nur das ausführende Luftfahrtunternehmen, hier also J. (so zutreffend Seite 2 der Berufungserwiderung, Bl. 75 eAkte).
26Schließlich kommt ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten auch nicht auf anderer rechtlicher Grundlage in Betracht, insbesondere nicht aus Verzugsgesichtspunkten (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB), denn gegen die Beklagte bestand nicht der geltend gemachte Zahlungsanspruch.
274. Die prozessuale Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Insoweit war sowohl für die Kosten des ersten als auch des zweiten Rechtszugs das Teilunterliegen hinsichtlich des Anspruchs auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (249,40 €) zu berücksichtigen. Die Kammer geht hierbei von bis zur Klageänderung auf Grundlage eines Streitwerts von bis 2.000,- € bereits angefallenen Kosten von 731,10 € aus (3 Gerichtsgebühren nach Maßgabe des GKG in der bis 31.12.2020 geltenden Fassung sowie zwei 1,3-Verfahrensgebühren nach dem RVG in der bis 31.12.2020 geltenden Fassung zuzüglich Umsatzsteuer). Dies entspricht dem Wert des Klageantrags zu 1) bei Erhebung mit Schriftsatz vom 23.08.2021. Ab der Klageänderung wurde der Klageantrag zu 2) zur weiteren Hauptforderung und ist mit einem Betrag von 249,40 € bei dem der Kostenquote zugrunde liegenden Gesamtstreitwert von mithin 980,50 € zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich ein Teilunterliegen des Klägers von 25 % in erster Instanz. Beim Streitwert für die Berufungsinstanz ist zu berücksichtigen, dass bei Einreichung der Berufung weitere Kosten in Form von zwei 1,2-Terminsgebühren (nach altem RVG) für die beiden Rechtsanwälte aus einem Streitwert von 980,50 €, nämlich insgesamt 192 € entstanden waren, die in den Streitwert des in der Berufungsinstanz weiterverfolgten Klageantrags zu 1) einfließen, dessen Wert mithin 923,10 € (731,10 € + 192 €) beträgt. Der Gesamtstreitwert für die Berufungsinstanz beträgt mithin 1.172,50 € (923,10 € + 249,40 €). Das Teilunterliegen der Klägerseite hinsichtlich des Klageantrags zu 2) (249,40 €) schlägt insofern mit einem Anteil von 21 % zu Buche.
285. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
29Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.172,50 EUR festgesetzt.
30Zur Begründung wird auf die unter obiger Ziffer 4. gemachten Ausführungen Bezug genommen.