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Der Angeklagte ist der Sachbeschädigung, der gefährlichen Körperverletzung, des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und der vorsätzlichen Körperverletzung, des Diebstahls mit Waffen (Cuttermesser), der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl mit Waffen (Cuttermesser), sowie der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit dem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig.
Er wird daher wegen der Sachbeschädigung und gefährlichen Körperverletzung vom 07.10.2022 (Fall 1 und 2) und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und der vorsätzlichen Körperverletzung vom 24.06.2023 (Fall 3) unter Einbeziehung der im Strafbefehl des Amtsgerichts Gummersbach vom 20.10.2023, Az. 83 Ds 68/23 (981 Js 390/23) verhängten Einzelstrafen nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtgeldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt.
Wegen der übrigen Taten wird er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt.
Die Einziehung des sichergestellten Cuttermessers (Asservatennummer AMS23AZV6031) wird angeordnet.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird angeordnet.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Nebenklägers SN..
Angewandte Vorschriften: §§ 113 Abs. 1, 114 Abs. 1, Abs. 2, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2, 230 Abs. 1, 242, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2, Abs. 3, 303, 303c, 21, 52, 53, 54, 55, 63, 74 StGB
Gründe:
2I.
3Feststellungen zur Person
4Der Angeklagte wurde am 00.00.0000 in F., Q., geboren und im Alter von sechs Monaten vom Ehepaar J. adoptiert. Zum Zeitpunkt der Adoption war der Angeklagte unterentwickelt und zeigte Krankheits- und Vernachlässigungssymptome. Der Angeklagte hat eine ältere Adoptivschwester. Er ist ledig und kinderlos und geht keiner Erwerbstätigkeit nach.
5Im Jahr 2000 wurde der Angeklagte eingeschult. Von 2004-2005 besuchte er eine Realschule und wechselte dann auf eine Hauptschule.
62005 wurde der Angeklagte erstmalig bei einer psychologischen Beratungsstelle vorstellig, woran sich Termine bei dem Kinderpsychologen Dr. W. anschlossen. Beim Angeklagten wurde ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) diagnostiziert. Im Jahr 2006 kam es zu unterstützenden Maßnahmen des Jugendamtes. Auch in den Jahren 2006-2008 nahm der Angeklagte unregelmäßig psychologische Gespräche in Anspruch und befand sich im Jahr 2008 zeitweise in einer Wohngruppe für Autisten der D.-B.-Stiftung in V.. Eine entsprechende Diagnose konnte indes nicht bestätigt werden.
7Ab dem 24.11.2008 lebte der Angeklagte in einer Pflegefamilie in T., wo er bis Mitte 2010 blieb. Danach kehrte er in den elterlichen Haushalt zurück.
8Der Angeklagte besuchte dann eine Berufsbildende Schule, die er mit einem Abschlusszeugnis, das den Hauptschulabschluss enthielt, 2011 verließ. Ab August 2011 besuchte der Angeklagte das Berufskolleg Y., welches er vorzeitig mit Abgangszeugnis zum 31.07.2012 verließ.
9Ab Mai 2012 befand sich der Angeklagte freiwillig für ca. einen Monat stationär in der Psychiatrie im St. X. Krankenhaus in I., wo ihm eine Polytoxikomanie (insbesondere THC-Abhängigkeit), eine drogeninduzierte Psychose und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit Selbstverletzungsversuchen diagnostiziert wurde. Er litt unter paranoidem Denkerleben. Er erhielt Olanzapin, Lorazepam und Haloparidol. Anschließend befand er sich für wenige Tage in der Psychiatrie in K., bis er den Aufenthalt abbrach.
10Der Angeklagte zog im Jahr 2013 in eine eigene Wohnung in A., wo er eine Lehre als Gärtner begann. Diese brach er im April 2014 ab.
11Am 01.08.2017 wurde der Angeklagte von der Polizei in die Klinik K. eingewiesen, in der er bis zum 18.10.2017 verblieb. Dort wurde ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert und Olanzapin verabreicht.
12Ab Oktober 2018 lebte der Angeklagte in einer Außenwohngruppe des C.es in K.. Da er dort gegen das bestehende Alkoholkonsumverbot verstoßen hatte, zog er zunächst wieder in das C. selbst. Am 05.07.2019 erfolgte erneut eine Einweisung in die Klinik K., wo er am 26.07.2019 wegen Auffälligkeiten entlassen werden musste. Im Anschluss kam er erneut bei seinen Adoptiveltern unter. In der Folgezeit bekam der Angeklagte u. a. Pregabalin, Venlafaxin, Olanzapin, Trazodon, Chlorprothixen und Impromen verschrieben, wobei er jedenfalls Pregabalin über die verschriebene Menge hinaus einnahm.
13Am 03.04.2020 schlug der Angeklagte seine Adoptivschwester und fügte ihr hierbei Verletzungen zu. Daraufhin wurde er erneut in die Klinik K. eingeliefert. Ab dem 15.04.2020 lebte der Angeklagte dann in einer Obdachlosenunterkunft. Im Mai 2020 begab er sich auf eigenen Wunsch für ca. sechs Wochen wieder in die Klinik K.. Ab Juni 2020 wohnte er wiederum in der Obdachlosenunterkunft O.-straße 38, M., anschließend in einer Wohngruppe in E.. Ab September befand sich der Angeklagte wieder in der Klinik K..
14Seit Dezember 2020 bewohnte der Angeklagte ein Zimmer in einer 2-er Wohngemeinschaft des Zeugen U.. Jedenfalls während dieser Zeit schnüffelte der Angeklagte an Haarspray (ätherhaltige Spraydosen), konsumierte jedenfalls gelegentlich Amphetamin und Alkohol. Im Herbst 2022 kam es nach einem gerichtlichen Verfahren zur Zwangsräumung des Zimmers. Hierbei war das Zimmer stark vermüllt, u. a. durch Fäkalien.
15Vom 16.08.2021-27.08.2021 hielt sich der Angeklagte auf eigenen Wunsch wieder in der Klinik K. auf; ebenso erneut im April 2022 bis Anfang Mai. Danach kehrte er zunächst in die Wohnung beim Zeugen U. zurück. Nach dem Vorfall dort am 07.10.2022 (s. hierzu die Feststellungen zu Fall 1) wurde der Angeklagte nach PsychKG in die Klink K. eingeliefert und am 14.10.2022 wieder entlassen. Zuletzt ging die Klinik K. von dem Vorliegen von Hinweisen auf eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung aus.
16Das Zimmer beim Zeugen U. musste der Angeklagte zum 24.10.2022 zwangsweise räumen. Der Angeklagte lebte dann wieder in der Obdachlosenunterkunft an der Anschrift O.-straße 38 in M.. Die Stadt M. kündigte dem Angeklagten zum 28.02.2023, stimmte dann aber einer Verlängerung zu, die der Angeklagte auch in Anspruch nahm.
17Der Angeklagte ist vorbestraft durch den rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Gummersbach vom 20.10.2023, Az. 83 Ds 68/23 (981 Js 390/23), wegen vorsätzlicher Körperverletzung tateinheitlich mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung sowie Bedrohung jeweils im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit, begangen am 22.12.2022, zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 EUR. Die Vollstreckung ist insoweit nicht – auch nicht teilweise – erledigt. Die Verurteilung wurde hier nachträglich einbezogen. In der Anklageschrift, auf die sich der Strafbefehl bezieht, ist zum Tatvorwurf ausgeführt:
18„1. Am 22.12.2022 gegen 20:20 Uhr trafen die beiden Mitarbeiter des Ordnungsamtes P. und R. an der H.-straße in M. auf den Angeschuldigten, der ihnen den Mittelfinger zeigte. Da dieser dort Alkohol konsumierte, was aufgrund der dortigen Stadtsatzung verboten war, untersagten sie ihm, weiterzutrinken. Daraufhin schlug der Angeschuldigte dem Zeugen R. unvermittelt mit der rechten Faust ins Gesicht, infolgedessen dieser einen leichten Druckschmerz verspürte.
19Im Anschluss nannte er den Zeugen R. mehrfach "Hurensohn", "Idiot" und "minderwertiger Mensch".
20Durch die Gestik und die Äußerungen des Angeschuldigten fühlten die Beamten sich in ihrem Ehrgefühl verletzt.
212. Auf der Polizeiwache in M. äußerte der Angeschuldigte im Anschluss hieran, er werde den Mitarbeiter des Ordnungsamtes umbringen, diesbezüglich sei er sich ganz sicher, er wolle es auf jeden Fall machen.“
22Aufgrund der Verletzungen aus Fall 6 (s. dortige Feststellungen) befand sich der Angeklagte ab dem 14.11.2023 im Kreiskrankenhaus M..
23Das Landgericht Köln erließ am 17.11 2024 gegen den Angeklagten einen Haftbefehl (Az. 325 Qs 52/23). Aufgrund dessen wurde er aus dem Kreiskrankenhaus M. am 21.11.2023 in das Justizvollzugskrankenhaus CC., am 20.03.2024 in die Justizvollzugsanstalt Köln und am 28.03.2024 in die Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Vohwinkel verlegt.
24Gegen den Angeklagten wurde zunächst das Verfahren beim Amtsgericht Gummersbach eröffnet und begonnen. Aufgrund des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Gummersbach vom 07.06.2024, der aus der dortigen Hauptverhandlung aufgrund des dort erstatteten Gutachtens erlassen wurde, wurde der Angeklagte in die LVR-Klinik G.-S. verlegt, wo er seitdem vorläufig untergebracht ist.
25II.
26Feststellungen zur Sache
271. Komplex „U.“ (921 Js 2934/23) (Fall 1 und 2)
28Der Angeklagte hatte seit Dezember 2020 ein Zimmer in einer 2-er Wohngemeinschaft vom Zeugen U. angemietet und bewohnt. Der Zeuge U. wohnte ebenfalls in dem Haus. Aufgrund verschiedener Zwischenfälle kündigte der Zeuge U. das Mietverhältnis, woraus sich ein gerichtliches Verfahren entwickelte. Die Zwangsräumung des vom Angeklagten angemieteten Zimmers war letztlich für November 2022 angesetzt. Am 24.09.2022 leerte der Angeklagte Zigarettenasche und Essensabfälle in die gemeinsam genutzte Waschmaschine und Trockner aus, und stellte diese an. Zudem verteilte er Essensreste im Garten des Hauses und sprühte Imprägnierspray an die Wände der Wohngemeinschaft. Als der Zeuge U. und dessen Lebensgefährtin, die Zeugin MJ., dies bemerkten, sprach der Zeuge U. den Angeklagten darauf an und verständigte die Polizei. Der Angeklagte verließ die Wohnung und ließ seinen Schlüssel zurück. In der Folge wurde er als vermisst gemeldet.
29Am 07.10.2022, ca. zwei Wochen nach dem obigen Vorfall, traf die Mutter des Angeklagten diesen zufällig in der Stadt an. Nachdem sie gemeinsam mit dem Angeklagten einkaufen gewesen war, brachte sie diesen mit dem Fahrzeug zurück zu dessen Wohnung beim Zeugen U.. Der Angeklagte, der über keinen Schlüssel verfügte, rief vor dem Haus lautstark nach dem Zeugen U. und begehrte Einlass. Der Zeuge U. öffnete ein im Obergeschoss gelegenes Fenster und teilte dem Angeklagten mit, dass er diesen nur unter Hinzuziehung der Polizei in das Haus lassen werde. Daraufhin nahm der Angeklagte Wackersteine aus den vor der Haustür befindlichen Blumenkübeln und warf diese auf das Haus. Hierbei ging eine Glasscheibe im ersten Obergeschoss zu Bruch; außerdem verbeulte der Briefkasten und der Fensterrahmen der Waschküche wurde beschädigt, wie vom Angeklagten jeweils zumindest billigend in Kauf genommen.
30Die Zeugin MJ. verständigte auf Bitten des Zeugen U. die Polizei. Um weiteren Schaden an seinem Eigentum zu verhindern, setzte der Zeuge U. sich seinen Gehörschutz auf, nahm seine Schreckschusswaffe, ging vor das Haus auf den Angeklagten zu und richtete die Waffe auf diesen. Der Angeklagte sagte daraufhin: „Nicht dein Ernst.“ und zog ein Messer, welches er auf den Zeugen richtete. Der Zeuge U. forderte den Angeklagten auf, das Messer wegzustecken. Der Aufforderung kam der Angeklagte nach kurzer Zeit auch nach. Er ging dann zum Nachbargrundstück und suchte sich dort einen Stein heraus, der etwas größer als faustgroß und scharfkantig war. Der Zeuge U. telefonierte derweil mit seinem Handy mit einem Nachbarn, den er als Unterstützung dazu rufen wollte und hielt die Schreckschusspistole dabei nach unten gerichtet. Der Angeklagte stellte sich ca. 1,5-2 Meter vor den Zeugen und hielt den Stein in der Hand. Nach etwa 30 Sekunden holte er aus und warf diesen gezielt gegen den Kopf des immer noch telefonierenden Zeugen U., wobei er beabsichtigte diesen zu verletzen. In diesem Zeitpunkt ging der Angeklagte nicht davon aus, dass der Zeuge U. ihn ohne weiteren Anlass mit der Waffe bedrohen oder verletzen wollte. Der Stein traf den Zeugen dabei am linken Ohrbereich, wobei das Handy stark beschädigt wurde und der Zeuge eine blutende Platzwunde hinter dem Ohr erlitt. In Folge dessen begann der Zeuge unmittelbar mit der Schreckschusspistole auf den Angeklagten abzufeuern. Der Angeklagte bewegte sich mit seitlich neben dem Körper weggestreckten Armen auf den Zeugen zu und es entstand eine Rangelei. Der Angeklagte rannte dann weg, konnte aber vom Zeugen U. eingeholt, zu Boden gebracht und fixiert werden.
31Der Zeuge N., der aufgrund der Rufe und der Schüsse dazu geeilt war, traf dann ebenfalls ein und löste den Zeugen U. bei der Fixierung des Angeklagten ab, bis die Polizei ankam.
32Die Platzwunde des Zeugen U. wurde geklebt; die Einnahme von Medikamenten war nicht erforderlich, auch erlitt er keine weitergehenden Schmerzen. Die gebrochene Fensterscheibe tauschte der Zeuge U. für ca. 150 EUR aus.
33Bei dem Angeklagten liegt eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und emotional instabilen Anteilen vor. Dabei handelt es sich um eine schwere seelische Störung, aufgrund derer die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung erheblich vermindert war.
342. Komplex „Y.“ (981 Js 2910/23) (Fall 3)
35Am 24.06.2023 gegen 20:30 Uhr wurden die Zeugin Polizeikommissarin IG. und der Zeuge und Nebenkläger Polizeikommissar SN., jeweils uniformiert, an einer Bushaltestelle vor dem Supermarkt „GX.“ in M.-Y. im Rahmen einer Streiffahrt von Frau UJ. angesprochen. Diese teilte mit, dass der Angeklagte ihr unvermittelt einen Stein ins Gesicht geworfen habe. Der Angeklagte war Frau UJ. persönlich bekannt, da beide in der Notunterkunft O.-straße 38 wohnten. Sie teilte mit, dass es dort einen Zwischenfall gegeben habe, der Angeklagte sauer auf sie gewesen sei und sie daher nun verletzt habe. Frau UJ. teilte eine kurze Personenbeschreibung mit, sodass sich die Zeugin IG. und der Zeuge SN. direkt auf eine Nahbereichsfahndung begaben.
36Am Bahnhof in M.-Y. erblickten die Zeugin IG. und der Zeuge SN. dann den Angeklagten, auf den die Personenbeschreibung zutraf. Die Zeugin IG. parkte den Streifenwagen vor dem gehenden Angeklagten in dessen Laufrichtung und stieg aus, um die Identität des Angeklagten festzustellen. Dieser steuerte bereits direkt auf die Zeugin IG. zu, holte ohne Vorwarnung mit seiner rechten Faust aus und Schlug ihr ins Gesicht, wobei er sie am linken Jochbein traf. Hierbei kam es ihm gerade darauf an, die Zeugin zu verletzen. Ihm war hierbei auch bewusst, dass es sich um eine Polizeibeamtin handelte.
37Um einen weiteren Angriff zu verhindern, ergriff der Zeuge SN. den Angeklagten von hinten und versuchte ihn von der Zeugin IG. wegzuziehen. Dabei schlug der Angeklagte wild um sich und versuchte den Zeugen SN. in den Arm zu beißen. Letztlich gelang es dem Zeugen SN. den Angeklagten nach hinten wegzuziehen, wobei der Angeklagte im Gerangel auf den Zeugen fiel und beide zu Boden gingen. Der Angeklagte schlug weiter um sich, wobei er den Zeugen SN. mit dem Ellenbogen an der Nase traf, die stark zu bluten begann. Bei dem Einsatz verletzte sich der Zeuge SN. zudem am linken Fußgelenk.
38Die Zeugin IG. sprühte dem Angeklagten Pfefferspray in die Augen, um diesen ruhig zu stellen. Hierbei traf sie unvermeidlich auch den Zeugen SN.. Daraufhin ließ der Angeklagte ab und konnte mit Handschellen fixiert werden. Sowohl der Zeuge SN. als auch der Angeklagte erlitten infolge des Pfefferspray-Einsatzes gerötete Augen.
39Die Zeugin IG. und der Zeuge SN. waren unmittelbar nach dem Vorfall in ambulanter Behandlung:
40Die Zeugin IG. erlitt infolge des Einsatzes eine Zerrung und Schmerzen zum einen in der rechten Schulter und – infolge des Schlages – zum anderen in der linken Gesichtshälfte. Die Zeugin IG. war für eine Woche dienstunfähig, konnte danach aber wieder im Außendienst eingesetzt werden. Aufgrund der Schulterzerrung befand sie sich von Juni bis Dezember 2023 in physiotherapeutischer Behandlung mit insgesamt 24 Einheiten.
41Der Zeuge SN. erlitt eine Außenbandzerrung, eine Syndesmosenruptur und eine Volkmannfraktur mit Schmerzen am linken Fuß und starkes Nasenbluten, das durch die Rettungskräfte vor Ort gestoppt werden konnte, einhergehend mit Schmerzen. Infolge der Verletzungen am linken Fuß musste der Zeuge SN. für mehr als sechs Wochen eine Schiene tragen und Krücken benutzen und war in dieser Zeit dienstunfähig. Weitere sechs Wochen konnte er nur im Innendienst eingesetzt werden. Gegen Ende des Jahres 2023 hatte er keinerlei Einschränkungen mehr.
42Die Verletzungen beim Zeugen SN. und die Schulterverletzung der Zeugin IG. nahm der Angeklagte jedenfalls billigend in Kauf.
43Aufgrund der beim Angeklagten vorliegenden schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung erheblich vermindert. Der Angeklagte war nicht alkoholisiert, stand aber unter dem Einfluss von Cannabis, was zusätzlich zur Persönlichkeitsstörung enthemmend wirkte, aber nicht allein zu einer erheblichen Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit führte.
443. Komplex „M.“ (980 Js 54/23)
45a) Komplex „UD.“ (Fall 4 und 5)
46(1) Fall 4:
47Am 14.11.2023 begab sich der Angeklagte gegen kurz vor 12:00 Uhr in das Lebensmittelgeschäft „UD.“ im „Forum“ in M.. Dort begab er sich in den Getränkegang und leerte eine Dose eines Bier-Mix-Getränks, ohne dieses vorher bezahlt zu haben oder dieses später bezahlen zu wollen.
48(2) Fall 5:
49Die Zeugin FG. wurde auf den Angeklagten aufmerksam und wies ihn darauf hin, dass er zu zahlen habe, bevor er trinke. Dabei ging sie auf den Angeklagten in den ca. 1,50 m breiten Getränkegang zu.
50Aufgrund der beim Angeklagten vorliegenden schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ab diesem Zeitpunkt erheblich vermindert.
51Der Angeklagte stellte die leere Dose weg, nahm wortlos zwei weitere Bierdosen aus dem Regal in die linke Hand, ging auf die Zeugin FG. zu – die daraufhin rückwärts zurückwich – und schlug diese unvermittelt mit der rechten Faust auf die Nase, wobei er beabsichtigte die Zeugin zu verletzen. Nach der Vorstellung des Angeklagten war der Schlag nicht erforderlich, um die Wegnahme der Bierdosen abzusichern oder zu erleichtern. Vielmehr ging er davon aus, dass er auch ohne den Schlag an der Zeugin vorbeikommen würde und den Ladenbereich ohne zu bezahlen verlassen könnte. Die Zeugin FG. ging als Schutzreaktion zu Boden. Ohne Verzögerung entfernte sich der Angeklagte in normalem Schritttempo aus dem Laden ohne – wie von Anfang an beabsichtigt – die Ware zu bezahlen. Die Bierdosen wollte er für sich zum eigenen Konsum behalten.
52Während der Tat führte der Angeklagte zwei Cuttermesser griffbereit bei sich.
53Die Zeugin FG. erlitt durch den Schlag eine Nasenbeinfraktur, die sie für zwei bis drei Wochen mit Schmerzmitteln behandeln musste. Sie war fünf Wochen lang arbeitsunfähig. Infolge des Vorfalls entwickelte die Zeugin zudem Angsterscheinungen in der Öffentlichkeit. So schließt sie beispielsweise seitdem ihr Auto stets von innen ab und kann nicht mehr mit einem fremden Mann zusammen im Aufzug fahren. Außerdem plant die Zeugin bedingt durch den Vorfall einen örtlichen Wechsel ihrer Arbeitsstelle. Psychologische Hilfe nahm sie bisher nicht in Anspruch.
54Im Zeitpunkt des Tatgeschehens hatte der Angeklagte eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille, was zusätzlich zur Persönlichkeitsstörung enthemmend wirkte, aber nicht allein zu einer erheblichen Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit führte. Der Angeklagte war nicht durch die Wirkung anderer körperfremder Substanzen beeinträchtigt.
55b) Komplex „Innenstadt“ (Fall 6)
56Im Anschluss begab sich der Angeklagte an den Busbahnhof in M.. Hier setzte er sich zunächst in einen Wartebereich und trank Bier, wobei er ein Cuttermesser herausholte und in der Hand behielt. Nach ca. zehn Minuten entfernte er sich fußläufig Richtung Innenstadt.
57Nach nur wenigen Metern wurde der Angeklagte vom uniformierten Zeugen Polizeikommissar QM. angesprochen. Dieser befand sich gemeinsam mit den ebenfalls uniformierten Zeugen Polizeikommissar WT. und der Zeugin Kommissaranwärterin LT. auf Nahbereichsfahndung aufgrund des vorherigen Geschehens im Lebensmittelgeschäft „UD.“. Der Zeuge WT. und die Zeugin LT. waren noch mit der Kontrolle einer anderen, zunächst als verdächtig eingeschätzten Person beschäftigt. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass dies nicht die gesuchte Person war, hatte sich der Zeuge QM. bereits weiter fußläufig auf Fahndung begeben und schließlich den Angeklagten entdeckt, auf den die vorhandene Beschreibung zutraf. Der Angeklagte hielt ein Cuttermesser in der Hand, was der Zeuge QM. bemerkte. Der Zeuge QM. forderte ihn daher auf, dieses fallen zu lassen und stehen zu bleiben. Hierbei richtete er seine Waffe auf den Angeklagten. Der Zeuge WT. eilte aufgrund dieser Aufforderungen des Zeugen QM. zur Unterstützung herbei und richtete ebenfalls seine Waffe auf den Angeklagten. Dieser kam den Aufforderungen nicht nach und setzte seinen Weg in Richtung Innenstadt unbeirrt fort, obwohl er die Zeugen als Polizeibeamte erkannt hatte.
58Am Ende des sich an den Busbahnhof anschließenden Kreisverkehrs setzte der Zeuge QM. sein Pfefferspray gegen den Angeklagten ein, da dieser den Anweisungen stehen zu bleiben nach wie vor nicht nachkam. Der Angeklagte nahm seinen rechten Arm, in dessen Hand sich nach wie vor das Cuttermesser befand, schützend vor die Augen und zeigte keine Reaktion auf das Pfefferspray, bewegte sich dann aber plötzlich seitlich in einer Art „Fechtschritt“ mit angewinkeltem rechten Arm auf den Zeugen QM. zu, der daraufhin einen Warnschuss in die Luft abgab. Daraufhin drehte der Angeklagte wieder ab und setzte seinen Weg in Richtung WD.-straße über einen schmalen neben den Gleisen verlaufenden Weg fort.
59Die Zeugen QM. und WT. folgten dem Angeklagten mit auf diesen gerichteten Waffen. Auch die Zeugin LT., die nunmehr ebenfalls auf die Situation aufmerksam geworden war, folgte dem Angeklagten nachgelagert.
60Der Angeklagte bog sodann rechts auf die WD.-straße ein, dann wiederum rechts auf die BM.-straße. Am Außenbereich des auf dieser Ecke befindlichen „Backwerks“ hielt er unvermittelt an.
61Die Zeugen QM. und WT. beschlossen diese Gelegenheit zu nutzen um den Angeklagten festzunehmen. Hierzu griff der Zeuge WT. sich einen Stuhl und versuchte damit den Angeklagten mit einem Schlag zu Boden zu bringen, während der Zeuge QM. dieses Manöver mit gezogenem Teleskopschlagstock absichern wollte. Der Schlag mit dem Stuhl traf den Angeklagten jedoch nur geringfügig. Dieser wandte sich ab in Richtung des neben ihm befindlichen Zeugen QM., dem er, wie von ihm beabsichtigt, mit dem Cuttermesser neben der Nase unter dem rechten Auge eine Verletzung zufügte. Der Zeuge QM. drehte ab und bewegte sich geduckt vom Angeklagten weg, der diesem jedoch mit weiteren Stichbewegungen gegen den hinteren Kopf-/Halsbereich nachsetzte. Aufgrund dieses andauernden Angriffs auf den Zeugen QM. schoss der Zeuge WT. zwei Mal auf den Angeklagten, der sich hierauf – ohne erkenntliche Trefferwirkung – im leichten Laufschritt von den Zeugen in nördliche Richtung der BM.-straße entfernte, wobei die Zeugen WT., QM. und FF. diesem folgten. Nach wenigen Metern hielt der Angeklagte kurz inne, drehte wieder um und rannte auf die Zeugen zu. In Richtung des Zeugen FF. äußerte er hierbei außerdem: „Dann knall du mich doch ab.“ Das Cuttermesser hielt er nach wie vor in seiner rechten Hand. Aufgrund dessen gab der Zeuge QM. sechs, der Zeuge WT. zwei und der Zeuge FF. vier Schüsse auf den Angeklagten ab, der schließlich nur knapp vor den Zeugen zu Boden ging.
62Aufgrund der beim Angeklagten vorliegenden schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung erheblich vermindert. Im Zeitpunkt der Tat hatte der Angeklagte eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille, was zusätzlich zur Persönlichkeitsstörung enthemmend wirkte, aber nicht allein zu einer erheblichen Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit führte. Der Angeklagte war nicht durch die Wirkung anderer körperfremder Substanzen beeinträchtigt.
63Der Angeklagte wurde zunächst vor Ort mit Erster Hilfe, später auch notärztlich versorgt und schließlich in das Kreiskrankenhaus M. gebracht und notoperiert. Der Angeklagte erlitt mehrere Durchschüsse, dabei jedenfalls zwei am rechten Oberschenkel und zwei am linken Kniebereich bzw. Oberschenkel, einen Magendurchschuss, wobei dieser unten auf eine Länge von ca. 10 cm geöffnet war, und weitere Durchschüsse an den Händen und am rechten Oberarm. Maximal erlitt der Angeklagte jedoch acht Treffer (d. h. maximal 16 Schusslücken).
64Im Krankenhaus wurde der Angeklagte intubiert. Aufgrund der Schussverletzung im Bauchbereich erhielt er zudem prophylaktisch eine Thorax-Drainage. Die Bauchhöhle wurde notfallmäßig geöffnet, um die dortigen Verletzungen feststellen zu können. Am verletzungsbedingt geöffneten Magen wurde eine Teilresektion vorgenommen. Aufgrund der Öffnung war Speisebrei in die Bauchhöhle eingetreten, was konkret lebensgefährlich war, da auf Dauer hierdurch eine Entzündung des Bauchfells eingetreten wäre. Zudem war der untere Anteil des Dünndarms verletzt, der genäht wurde. Der Schuss verletzte außerdem eine Magenschlagader, was zu erheblichem Blutverlust führte, sodass der Angeklagte mehrere Blutkonserven benötigte. Diese Verletzung war ebenfalls konkret lebensgefährlich.
65Nach der Operation wurde der Angeklagte auf die Intensivstation verlegt. Am Folgetag wurde er extubiert und war ansprechbar. Da er noch kreislaufinstabil war, erhielt er stabilisierende Medikation, die auch anschlug. Der Angeklagte befand sich nicht mehr in konkreter, sondern nur noch potentieller Lebensgefahr, die sich beispielsweise durch Wundinfektionen hätte verwirklichen können. Am Ende der Woche erlitt er infolge der Verletzungen eine atypische Pneumonie, die antibiotisch behandelt wurde.
66Am 21.11.2023 wurde der Angeklagte in das Justizvollzugskrankenhaus CC. verlegt, wo er stationär bis zum 11.01.2024 verblieb.
67Anfang Februar 2024 wurde beim Angeklagten in der Uniklinik KV. eine Handverschmälerung an der rechten Hand vorgenommen. Diese war erforderlich aufgrund der knöchernen Schussverletzungen in den Händen. Hierbei wurden dem Angeklagten an der rechten Hand, die dessen dominante Hand ist, der Ringfinger und der kleine Finger inklusive des Mittelstrahls amputiert. An der linken Hand wurde der Mittelfinger inklusive des Mittelstrahls reseziert und die Fraktur des Mittelhandknochens des Zeigefingers mit einer Platte überbrückt, die bisher nicht entfernt wurde.
68Aufgrund der Schussverletzungen am linken Knie erlitt der Angeklagte eine Nervenschädigung, infolge der er eine Fußheberschwäche erlitt, die sich im Alltag beim Gehen beeinträchtigend auswirkt und vermutlich dauerhaft ist. Zudem traten ein teilweises Taubheitsgefühl und erhöhtes Schmerzempfinden auf, die langwierig, aber nicht dauerhaft sind.
69Zu den Verletzungsfolgen und den hieraus folgenden Beeinträchtigungen im Einzelnen wird auf die Ausführungen unter Ziff. V.3.a)(2) (Gefährlichkeitsprognose zu § 63 StGB) verwiesen.
70Der Zeuge QM. begab sich aufgrund der Schnittverletzung im Gesicht in ärztliche Behandlung. Die Wunde wurde genäht. Er war aufgrund der Geschehnisse am Folgetag vom Außendienst befreit und wurde dann im Laufe der nächsten Tage wieder eingegliedert. In seinem Dienst achtet er seitdem verstärkt auf Eigensicherung und Distanz. Der Zeuge WT. ist ebenfalls vorsichtiger geworden und achtet mehr auf die Wahrung eines Sicherheitsabstands.
71III.
72Beweiswürdigung
731. Zur Person
74Die Angaben zur Person stellt die Kammer fest ausgehend von den im Selbstleseverfahren eingeführten tabellarischen Angaben des Adoptivvaters des Angeklagten, der diese über den Verteidiger im hiesigen Verfahren eingereicht hat. Hieraus entnimmt die Kammer auch die Angaben zu den verschriebenen Medikamenten. Die Angaben über die psychologische Betreuung, die stationären Aufenthalte und Diagnosen entnimmt die Kammer den ebenfalls im Selbstleseverfahren eingeführten vom Vater des Angeklagten übersandten Arztbriefen und ergänzend dessen tabellarischer Aufstellung. Soweit die Aufenthalte in der Klinik K. betroffen sind, stützt die Kammer ihre Feststellungen zudem auf die mit der Papierlage übereinstimmenden Bekundungen des Zeugen Dr. GG..
75Die Feststellungen zur schulischen Bildung trifft die Kammer ausgehend von den im Selbstleseverfahren eingeführten Zeugnissen und dem vom Angeklagten selbst angefertigten verlesenen Lebenslauf.
76Die Feststellungen zur Wohnsituation des Angeklagten trifft die Kammer zusätzlich ausgehend von dem im Selbstleseverfahren eingeführten Schreiben des Betreuers AV. und den Auflistungen des Vaters des Angeklagten, sowie – soweit das Wohnverhältnis beim Zeugen U. betroffen ist, dessen Angaben. Zum Zustand des Zimmers im Haus des Zeugen U. hat die Kammer zudem die vom Vater des Angeklagten übersandten Fotografien in Augenschein genommen.
77Die Vorstrafe stellt die Kammer fest ausgehend von dem verlesenen Strafbefehl und Anklageschrift. Der Vollstreckungsstand ergibt sich aus dem verlesenen Vollstreckungsblatt.
78Die Kammer stellt die Krankenhausaufenthalte, Inhaftierung und Unterbringung des Angeklagten nach dem Tatgeschehen zu Fall 3 fest ausgehend von den verlesenen Vollstreckungsblättern, Verlegungsmitteilungen und dem Haft- und Unterbringungsbefehl. Die Einlieferung in das JVK CC. stellt die Kammer fest ausgehend von den Angaben des Sachverständigen Dr. IS..
792. Zur Sache
80a) Komplex „U." (921 Js 2934/23) (Fall 1 und 2)
81(1) Die Wohnsituation entnimmt die Kammer dem im Selbstleseverfahren eingeführten Vermerk über den Anhörungstermin zur Verlängerung der Betreuung und den übereinstimmenden Schilderungen des Zeugen U. und der Zeugin MJ.. Deren übereinstimmenden Angaben entnimmt die Kammer zudem das Geschehen am 24.09.2022 und das anschließende Verschwinden des Angeklagten.
82Den Zeitpunkt des Vorgeschehens am 24.09.2022 und das anschließende Verschwinden des Angeklagten entnimmt die Kammer (zusätzlich) den im Selbstleseverfahren eingeführten Auflistungen des Vaters des Angeklagten.
83(2) Die Feststellungen zum Tatgeschehen trifft die Kammer ausgehend von der Aussage des Zeugen U.. Die Kammer erachtet die Aussage als glaubhaft, insbesondere war eine Belastungstendenz nicht zu erkennen. So hat der Zeuge seine eigene Rolle im Geschehen nicht erkennbar heruntergespielt, sondern durch die Schilderung mit der Schreckschusspistole auch seinen eigenen aktiven Beitrag zum Eskalationsgeschehen dargestellt. Auch hat der Zeuge grundsätzlich vor einer tendenziellen Selbstbelastung nicht zurückgeschreckt, was aus Sicht der Kammer für eine wahrheitsgetreue und umfassende Aussage auch zum Verhältnis zum Angeklagten spricht. Hierzu hat der beispielsweise angegeben, dass er die Nebenkosten für den Angeklagten erhöht habe, da dieser ihm gesagt habe, dass hierfür weitere Sozialhilfen zur Verfügung stünden. Der Zeuge hat zudem angegeben, dass es sonst nicht zu ähnlichen Eskalationen mit dem Angeklagten gekommen sei, obwohl durch die der Kündigung zugrundeliegenden Vorfälle eine Belastung des Angeklagten ohne weiteres nahegelegen hätte. Stattdessen hat der Zeuge angegeben, dass man sich anfangs gut verstanden habe und auch gelegentlich gemeinsam im Garten gesessen habe. Auch bei den entstandenen Schäden hat der Zeuge sich nach Ansicht der Kammer sehr zurückhaltend geäußert und lediglich einen Schaden i.H.v. 150 EUR angegeben. Ein Verfolgungsdruck war hier gerade nicht erkenntlich, da er insoweit nur die Schäden an der zu Bruch gegangenen Fensterscheibe angegeben hat. Eigene Erinnerungslücken hat der Zeuge offen kommuniziert, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Auszug des vormaligen Mitbewohners des Angeklagten. Auch hat der verdeutlicht, wann es sich um reine Spekulationen und wann um konkrete Erinnerungen tatsächlicher Geschehnisse handelte. Die Erlebnisse im Kerngeschehen hat der Zeuge mit entsprechenden Gesten hinterlegt, so z. B. zum Zielen mit der Schreckschusswaffe, dem Ausholen des Steinwurfes durch den Angeklagten oder dessen Widerstand gegen die Fixierung. Auch dies spricht nach Auffassung der Kammer für eine erlebnisbasierte Erinnerung.
84Die Aussage der Zeugin MJ., die zum Kerngeschehen vor der Tür indes erst später hinzugetreten ist, deckt sich zudem mit den (umfangreicheren) Angaben des Zeugen U.. Auch hier war eine Belastungstendenz nicht zu erkennen, im Gegenteil hat die Zeugin angegeben ein Messer beim Angeklagten nicht selbst gesehen zu haben, sondern nur eine entsprechende Warnung der Mutter des Angeklagten vernommen zu haben.
85Hiermit übereinstimmend hat zudem der Zeuge N. die Geschehnisse beschrieben, soweit von diesem wahrgenommen. Den Steinwurf hat er nach seinen Angaben noch von seiner Terrasse beobachtet, die Schüsse aus seinem Hausflur gehört und weiter ist er erst hinzugekommen, als der Zeuge U. den Angeklagten bereits auf dem Boden fixiert hat.
86(3) Die Beschädigungen am Fenster und Fensterrahmen entnimmt die Kammer zusätzlich den in Augenschein genommenen Fotos.
87(4) Die Verletzungsfolgen für den Zeugen U. entnimmt die Kammer dessen Angabe, die sich mit den auf dem in Augenschein genommenen Foto der Verletzung deckt, ebenso wie mit den Angaben der Zeugin MJ..
88(5) Die Beschaffenheit des Steins, mit dem der Angeklagte den Zeugen U. verletzte, stellt die Kammer wiederum fest ausgehend von der Aussage des Zeugen U. und der Zeugin MJ., die dem in Augenschein genommenen Foto, das das Tatmittel abbildet, entsprechen.
89(6) Dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Steinwurfs gegen den Kopf des Zeugen U. nicht mit einem Angriff von diesem rechnete, folgt zur Überzeugung der Kammer aus den objektiven Umständen. Der Zeuge U., der den Angeklagten vorher tatsächlich mit der Waffe bedroht hatte, hat diese, nachdem der Angeklagte das Messer wegesteckt hat, ebenfalls abgesenkt und telefoniert. Die Angabe, dass der Zeuge telefonierte ist insbesondere glaubhaft, da der Zeuge eine entsprechende Beschädigung des Mobiltelefons schilderte, die plausibel zu dem Steinwurf gegen den Kopf-/Ohrbereich passt. Auch ein Foto des beschädigten Handys wurde in Augenschein genommen. Der Angeklagte begab sich dann auch zunächst auf die Suche nach einem geeigneten Stein. Die Kammer geht davon aus, dass – wenn er sich vom Zeugen nach wie vor bedroht gefühlt hätte – endgültig entfernt hätte. Stattdessen hat der Angeklagte wiederum die bereits beruhigte Situation eskalieren lassen.
90(7) Die Feststellungen zur verminderten Steuerungsfähigkeit aufgrund einer schweren seelischen Störung beruhen auf dem in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Gutachten der Sachverständigen Dr. KG.. Im Hinblick auf die getroffene Wertung gründet das Gutachten auf den insbesondere im Rahmen des Selbstleseverfahrens und durch die Vernehmungen des Dr. GG. und der Frau OM. in die Verhandlung eingeführten Anknüpfungstatsachen. Das Gutachten war zudem nachvollziehbar und plausibel, weshalb sich die Kammer dem in eigner Überzeugung anschließt. Im Einzelnen:
91aa) Eingangsmerkmal
92Der Angeklagte leidet unter einer sonstigen seelischen Störung i. S. v. § 20 StGB.
93Hierfür ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist.
94Bei nicht pathologisch bestimmten Störungen muss das Tatgericht ohne Bindung an die Wertung des Sachverständigen in einer Gesamtschau klären, ob sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen und Symptome aufweisen, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten und einengen (BGH, Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 651/18; BGH, Beschl. v. 11.1.2022 – 1 StR 447/21; BGH, Beschl. v. 21.6.2023 – 2 StR 158/23). Das Tatgericht ist gehalten, zum einen konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zum Zeitpunkt der Tat (vgl. § 20 StGB) zu treffen und zum anderen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung von Persönlichkeit, Lebensgeschichte, Lebensumständen und Verhalten des Angeklagten in nachprüfbarer Weise dazulegen, worin der „Zustand“ des Täters besteht (BGH, Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 651/18). Gelangt der Sachverständige zur Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, ist dies noch nicht mit der „schweren anderen seelischen Störung“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit für die Beurteilung der Schuldfähigkeit entscheidend (BGH, Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 651/18). Der Täter muss auf Grund der Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt haben (BGH, Beschl. v. 11.1.2022 – 1 StR 447/21). Die Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten müssen Besonderheiten erkennen lassen, die sich nicht mehr „normalpsychologisch“ und nicht mit der Dissozialität erklären lassen, die der (mehrfachen) Begehung von schweren Straftaten immanent ist (BGH, Beschl. v. 11.1.2022 – 1 StR 447/21).
95Die Sachverständige hat ausgeführt, dass der Angeklagte an einer schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung leide, die dissoziale und emotional instabile Anteile aufweise. Dieser Einschätzung und der ihr zugrundeliegenden Begründung schließt sich die Kammer in eigener Überzeugung an.
96Die Sachverständige hat zunächst ausgeführt, dass für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten vorliegen müsse, das merklich von den Erwartungen der sozikulturellen Umgebung abweiche. Die Sachverständige hat sich für die Kammer nachvollziehbar hierbei auf die festgestellte Vita des Angeklagten bezogen, der sich im hiesigen Verfahren nicht hat umfassend explorieren lassen. Dieser war seit der frühen Jugend mehrfach stationär und ambulant in psychologischer bzw. psychiatrischer Behandlung. Eine vermutete Erkrankung im autistischen Spektrum konnte ausgeschlossen werden. Zudem konnten bei Angeklagten Stimmungsschwankungen mit depressiven Episoden und sogar Selbstverletzungsabsicht beobachtet werden. Im April 2009 war er daher in der LVR-Klinik in CS., wo er Verfolgungsideen beschrieben hat. Die Sachverständige bezog sich zu den Stimmungsschwankungen auch auf ihre beiden Explorationsversuche mit dem Angeklagten, wobei er beim ersten Kontakt zugewandt und aussagefreudig war, beim zweiten Kontakt latent aggressiv und im Hinblick auf ein Gespräch ablehnend.
97Mit der deutlichen und andauernden Missachtung von Normen liege ein weiteres Kriterium einer Persönlichkeitsstörung vor. Der Angeklagte habe ein eigenes Wertesystem, in dem er nicht korrigierbar sei. Dies schließt die Sachverständige nachvollziehbar daraus, dass er sich nicht an die Regeln in den Wohngruppen (C.) und auch nicht beim Zeugen U. gehalten hat.
98Es sei zudem eine Tendenz erkennbar unerwartet und ohne Berücksichtigung von Konsequenzen zu handeln, was ein Hinweis auf emotional instabile Züge sei. Hierbei berief sich die Sachverständige beispielhaft auf die verfahrensgegenständlichen Taten und die einbezogene Vorstrafe.
99Es habe, als weiteres Kriterium, auch immer wieder Leute gegeben, mit denen der Angeklagte nicht klargekommen sei. Die Kammer zieht hier auch die Aussagen der Ordnungsamtsmitarbeitenden P. und R. heran, die angegeben haben, andere Bewohner in der Notunterkunft O.-straße 38 hätten Angst vorm Angeklagten gehabt; es habe Konflikte gegeben. Der Angeklagte habe auf Aufforderungen nicht reagiert, die sie insbesondere wegen des stark vermüllten Zimmers, wobei auch eine Beschmutzung mit Fäkalien vorgelegen habe, an ihn gerichtet hätten. Die Zeugin P. hat zudem berichtet, dass der Angeklagte stets ein Teppichmesser im Zimmer gehabt habe, weshalb das Ordnungsamt bei den Kontrollen vorsichtig gewesen sei. Übereinstimmend hierzu erfolgte auch zunächst eine Kündigung durch die Stadt M. begründet mit dem Verhalten und der Bedrohungslage ausgehend von dem Angeklagten, wie die Kammer im Selbstleseverfahren durch E-Mails der Stadt M. eingeführt hat.
100Es lasse sich, so die Ausführungen der Sachverständigen, auch eine Unfähigkeit erkennen, dauerhafte persönliche Beziehungen aufrecht zu erhalten. Der Angeklagte hat keinen Freundeskreis oder eine Partnerschaft. Die Jugend sei geprägt von Rückzug, wobei der Angeklagte viel Zeit alleine vor dem PC verbracht habe. Eine Betätigung im Fußballverein habe er abgebrochen, als es zu Schwierigkeiten mit dem Trainer gekommen sei. Ein Freundeskreis sei nicht vorhanden gewesen. In der Kindheit und Jugend seien zudem Versuche bemerkt worden, sich sozial unangemessen mit Autoritätspersonen zu solidarisieren, um eine Herabwürdigung Schwächerer vorzunehmen.
101Der Angeklagte habe zudem eine sehr geringe Frustrationstoleranz und sehe ich stets in der Opferrolle. Generell habe sich der Angeklagte Herausforderungen oder Erwartungen nicht gestellt, sondern Ausweichmechanismen entwickelt, wobei er Missachtung zur Bekämpfung von Minderwertigkeitsgefühlen eingesetzt habe. Gegenüber seiner Adoptivschwester ist er jedenfalls einmal gewalttätig geworden. Damit einhergehend konnten bei ihm Ausbrüche von Wut und mangelndem Einfühlungsvermögen beobachtet werden. Den Adoptiveltern gegenüber sei er dominant, teilweise auch bedrohlich aufgetreten. Das mangelnde Durchhaltevermögen zeige sich zum einen im Bildungsweg des Angeklagten, der keine Ausbildung abgeschlossen hat und nie länger berufstätig gewesen ist. Er sei stattdessen bedürfnisorientiert vorgegangen und habe hierzu auf die elterliche Sorge zurückgegriffen. Auch bei den Therapieversuchen sei dies erkennbar. Diese habe er abgebrochen oder einen Abbruch provoziert, wenn die Grundbedürfnisse gestillt gewesen seien, wie auch der Zeuge Dr. GG. geschildert hat. Zugesagte Gespräche hat er sowohl gegenüber der Sachverständigen als auch gegenüber der in der vorläufigen Unterbringung behandelnden Therapeutin, der Zeugin OM. – wie von dieser berichtet –, kurzfristig wieder abgesagt.
102Eine hohe Reizbarkeit und niedrige Schwelle für aggressives Verhalten ergebe sich aus den verfahrensgegenständlichen Taten ebenso wie aus der einbezogenen Vorstrafe. Dem stimmt die Kammer zu. Er habe erkennbar Kränkungen bereits bei nichtigen Anlässen empfunden, da sein Selbstwertgefühl durchgehend gestört sei. Er habe dann unangemessen aggressiv reagiert.
103Bei seinem Verhalten ist der Angeklagte zudem bereit, seit Jahren hohe persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Dies betrifft insbesondere die prekäre Wohnsituation, die geringe finanzielle Ausstattung und die damit einhergehende primitive Alltagsgestaltung.
104Insgesamt, so die plausible Schlussfolgerung der Sachverständigen, sei ein durchgängiges Muster an Verhaltensauffälligkeiten bis in das Erwachsenenalter bemerkbar. Die Persönlichkeitsstörung betreffe gerade nicht die bloße Kriminalität, sondern auch den Affekt, die Impulskontrolle und das interpersonelle Verhalten. Sie führe dazu, dass der Angeklagte schnell Kränkungen erlebt, da sein Selbstwertgefühl dauerhaft gestört sei. Als Reaktion sei er auf eine Dominanz in den einzelnen Situationen angewiesen, da das Beherrschen der Situation zu einer Stabilisierung seines Selbstwertgefühls führe. Hierzu mache er affektbedingt Gebrauch von unangemessener Gewaltanwendung. Der Angeklagte reagiere hierbei außerdem ohne Rücksicht auch auf eigene Verluste. Nachzugeben sei so gut wie keine Option für ihn. Dem schließt sich die Kammer vollumfänglich an. Im konkreten Fall steht dem insbesondere nicht entgegen, dass der Angeklagte das Messer auf Aufforderung des Zeugen U. zunächst weglegte. Aus objektiver Sicht lässt sich hierin ein Nachgeben sehen, das nicht zur beschriebenen Behauptungsdynamik passt. Die Sachverständige gab hierzu indes nachvollziehbar an, dass der Angeklagte sich wegen der gezogenen Waffe des Zeugen erschreckt haben könnte. Auch der Zeuge hat angegeben, dass er davon ausgehe, der Angeklagte habe vermutlich zunächst gedacht, dass es sich um eine scharfe Schusswaffe handele. Aus diesem Grund ist das Verhalten des Angeklagten in der Einzelsituation nachvollziehbar. Im Übrigen schloss sich daran das weitere Geschehen an, in dem gerade deutlich wird, dass Nachgeben für den Angeklagten gerade keine Option war. Dieser hat schließlich danach einen Stein gesucht und den Zeugen angegriffen. Das Gesamtgeschehen bestätigt aus Sicht der Kammer daher gerade die Auffassung der Sachverständigen.
105bb) Von einer paranoiden Schizophrenie geht auch die Kammer in Übereinstimmung mit den Angaben der Sachverständigen Dr. KG. und den sachverständigen Ausführungen des Dr. GG. nicht aus.
106Die Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte für einen Wahnzustand beim Angeklagten vorliegen. Der Angeklagte konnte auf die äußeren Begebenheiten der jeweiligen Taten stets reagieren. Er konnte sich auch situationsadäquat äußern („Nicht dein Ernst“, „Keine Handschellen“, „Mama: Kippen, Psychiatrie“). Im Fall 1 und 2 hat er zudem Steine konkret und bewusst ausgesucht, was für ein strategisches Vorgehen spricht. Auch nach den Taten gab es keine Anzeichen für einen Wahn, weder in der Klinik K. nach Fall 2 noch beim Erstkontakt mit der Sachverständigen am 22.11.2023 nach Fall 6.
107Ein durchgeführtes MRT war zudem unauffällig, wie die Sachverständige mitgeteilt hat, sodass die Kammer auch nicht davon ausgeht, dass eine hirnorganische Erkrankung die Verhaltensweise bedingt hat.
108cc) Daneben war auch zu erörtern, ob eine Kombinations- und Wechselwirkung des genossenen Alkohols mit den anderen Rauschmitteln oder die Intoxikation und die Persönlichkeitsstörung durch ihr Zusammenwirken die Fähigkeit des Angeklagten, sich normgerecht zu verhalten, im Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße einschränkten (BGH, Beschluss vom 23. 9. 2009 - 5 StR 287/09).
109Die Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass der Angeklagte nach Aktenlage Cannabis seit seinem 15. Lebensjahr konsumiere. Zudem sei zeitweiser Konsum von Amphetamin bekannt, den auch der Zeuge U. geschildert hat. Weiter sei der zeitweise Konsum von Alkohol und Pregabalin bekannt. Im Zeitpunkt der Taten habe jeweils keine forensisch relevante Intoxikation vorgelegen. Dies schließt die Sachverständige für die Kammer nachvollziehbar aus den vorliegenden Werten und der durch den langwierigen Konsum von Cannabis und Alkohol eingetretenen Toleranz- bzw. Gewöhnungseffekt. Auch ist von den Zeugen und Zeuginnen jeweils keine für Alkohol- oder Drogenkonsum typische Verhaltensauffälligkeit wie z. B. eine verwaschene Sprache oder motorische Auffälligkeiten beschrieben worden. Diese seien aber zu erwarten, wenn ein akuter Entzug von Alkohol vorliege. Daher könne auch ausgeschlossen werden, dass die Taten unter diesem Eindruck begangen worden seien. Ohnehin seien Entzugserscheinungen zu keinem Zeitpunkt beschrieben worden. Insbesondere deute der Diebstahl Fall 4 eines Mixgetränkes darauf hin, dass ein Suchtdruck nicht bestanden habe, da dann mit dem Konsum höherprozentigen Alkohols zu rechnen sei. Bezüglich der anderen konsumierten Substanzen ist nicht mit solch schweren Entzugssymptomen zu rechnen, dass hiervon schwere Beeinträchtigungen oder die Angst vor solchen zu erwarten ist.
110Soweit eine Alkoholisierung bzw. Intoxikation vorgelegen habe, sei aber davon auszugehen, dass dies zu einer ohnehin durch die Persönlichkeitsstörung gegebene weiteren Enthemmung geführt habe, die nicht kausal aber fördernd zu bewerten sei. Der Angeklagte habe versucht, seine innere Anspannung mit Substanzkonsum und Aggressivität zu kompensieren, z. B. wenn Anforderungen an ihn gestellt werden, denen er sich nicht stellen will oder die er nicht erfüllen kann.
111dd) Verminderte Steuerungsfähigkeit
112Die Kammer geht – im Anschluss an die Ausführungen der Sachverständigen – von einer hierdurch erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit aus.
113Hierzu war der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten zu untersuchen.
114Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein (BGH (1. Strafsenat), Beschluss vom 02.11.2021 – 1 StR 291/21).
115Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das tatsächliche Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat (st. Rspr. vgl. nur BGH Beschl. v. 25.7.2012 – 1 StR 332/12; U., StGB 71. Aufl. 2024, § 21 Rn. 3). Derjenige, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall Einsicht in das Unrecht seines Tuns hat, ist – sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war – voll schuldfähig (BGH, Beschl. v. 11.5.2021 − 4 StR 535/20; BGH Beschl. v. 19.9.2023 – 3 StR 229/23, BeckRS 2023, 35195). Die Unrechtseinsicht ist bei forensisch relevanten Persönlichkeitsstörungen meist unberührt, die motivationale Steuerungsfähigkeit kann erheblich vermindert, nur im besonderen Ausnahmefall aufgehoben sein (BeckOK StGB/Eschelbach, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 20 Rn. 48-49).
116Bei der Steuerungsfähigkeit geht es um die Fähigkeit, entsprechend der Unrechtseinsicht zu handeln, also um Hemmungsvermögen, Willenssteuerung und Entscheidungssteuerung, nicht aber um exekutive Handlungskontrolle. Entscheidend kommt es auf die motivationale Steuerungsfähigkeit an, also die Fähigkeit, das eigene Handeln auch bei starken Wünschen und Bedürfnissen normgerecht zu kontrollieren und die Ausführung normwidriger Motivationen zu hemmen. Deshalb ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gerade bei schweren Persönlichkeitsstörungen ein zielgerichtetes und überlegtes Nachtatverhalten anders als etwa bei der Prüfung eines Affektes oder einer Rauschtat wenig aussagekräftig für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit. Denn auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden (BGH, Beschl. v. 30.9.2021 – 5 StR 325/21). Eine aufgehobene oder erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ist grundsätzlich erst zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat einsah oder zumindest einsehen konnte. Die Anwendung des § 21 StGB kann grundsätzlich nicht auf beide Alternativen – erheblich verminderte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit – zugleich gestützt werden (BGH Beschl. v. 19.9.2023 – 3 StR 229/23, BeckRS 2023, 35195). Die Beurteilung erfolgt aufgrund einer Gesamtabwägung, wobei zu klären ist, ob die Fähigkeit des Täters motivatorischen und situativen Tatanreizen in der konkreten Tatsituation zu widerstehen und sich normgemäß zu verhalten im Vergleich zum Durchschnittsbürger in einem solchen Maß verringert war, dass die Rechtsordnung diesen Umstand bei der Durchsetzung der Verhaltenserwartungen nicht übergehen darf (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 21 Rn. 8).
117Bei Zugrundelegen der obigen Ausführungen schließt sich die Kammer den Ausführungen der Sachverständigen an und geht nicht von einer Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit aus:
118Ein – die Unrechtseinsicht möglicherweise ausschließender – Wahn war wie bereits ausgeführt nicht anzunehmen. Es liegt auch keine derartige Suchterkrankung vor, dass von einem Ausschluss der Unrechtseinsicht auszugehen wäre. Die Sachverständige hat sich hierzu nachvollziehbar darauf bezogen, dass nie eine Entzugssymptomatik beschrieben wurde und auch sonst keine Verhaltensweisen des Angeklagten auf einen so tiefgreifenden Konsum vorlägen.
119Es war allerdings eine verminderte – nicht indes ausgeschlossene – Steuerungsfähigkeit anzunehmen. Hierzu hat die Sachverständige angegeben, dass sich die Persönlichkeitsstörung auch auf den Affekt, die Impulskontrolle und das interpersonelle Verhalten auswirke. Durch die prekären Lebensumstände sei zudem eine Labilisierung anzunehmen, die aus dem sich verschlechternden Zustand des Angeklagten, wie die verfahrensgegenständlichen Taten zeigten, geschlossen werden könne. Er sei von außen immer unberechenbarer wahrgenommen worden und habe eine erhöhte Impulsivität gezeigt. Er habe sich aber in gewisser Weise noch steuern können. So habe er beispielsweise auf die Schreckschusspistole reagiert („Nicht dein Ernst“), das Messer dann auch zunächst weggelegt, dann aber nach dem Stein gesucht. Auch diesen Ausführungen kann sich die Kammer in eigener Überzeugung uneingeschränkt anschließen.
120b) Komplex „Y.“ (981 Js 2910/23) (Fall 3)
121(1) Die getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen entnimmt die Kammer den insoweit übereinstimmenden Angaben des Zeugen SN. und der Zeugin IG.. Die Kammer erachtet die Aussagen auch als belastbar. Beide schilderten langwierige Folgeverletzungen und damit einhergehende Einschränkungen, sodass eine Erinnerung an den Vorfall – trotz der berufsbedingten Vielzahl von Einsätzen – plausibel ist. Zudem hat der Zeuge SN. geschildert, dass er die Widerstandshandlung des Angeklagten als sehr massiv einschätze. In seinen sieben Berufsjahren sei dies das einzige Mal gewesen, dass er eine solche Intensität erlebt habe. Es sei klar gewesen, dass der Angeklagte die Kollegin und ihn habe verletzen wollen. Auch dies spricht für eine besondere Erinnerungswürdigkeit aus Sicht der Zeugen.
122Das Kerngeschehen um den unvermittelten Schlag des Angeklagten gegen die Zeugin IG. hat zudem der – unbeteiligte – Zeuge XX. übereinstimmend geschildert.
123Die Zeugin IG. hat außerdem angegeben, dass nach den damaligen Angaben der vermeintlich vorher Geschädigten Frau UJ. diese und der Angeklagte in der gleichen Notunterkunft untergebracht waren, sich daher kannten und es dort vorher einen Zwischenfall gegeben habe. An den Schilderungen hat die Kammer keine Zweifel. Der Vorfall mit dem von der Zeugin geschilderten Schlag ist aufgrund der ebenfalls von ihr geschilderten Konfliktlage mit dem Angeklagten plausibel. Die Aussage erachtet die Kammer auch als belastbar, da die Zeugin entsprechende Details erinnerte, wie dass es sich um eine Notunterkunft handelte und es vorher bereits einen Konflikt gegeben habe. Dass es sich bei der Notunterkunft um die Adresse O.-straße 38 handelt, entnimmt die Kammer in Ergänzung hierzu den Angaben des Betreuers AV..
124(2) Dass es dem Angeklagten gerade darauf ankam die Zeugin IG. mit dem Schlag zu verletzen, folgt für die Kammer aus den objektiven Umständen. Die Zeugen/Zeugin IG., SN. und XX. haben hierzu angegeben, dass der Angeklagte gezielt auf die Zeugin IG. zugegangen sei. Die Zeugin IG. und der Zeuge SN. haben zudem angegeben, dass der Angeklagte zum Schlag ausgeholt habe. Die Kammer hat angesichts der nach diesen Angaben festgestellten Uniformierung und des Streifenwagens auch keine Zweifel daran, dass der Angeklagte die Zeugin IG. und den Zeugen SN. als Polizeibeamter/Polizeibeamtin erkannt hat.
125Angesichts des Verhaltens des Angeklagten schließt die Kammer weiter auch darauf, dass dieser die Verletzungen des Zeugen SN. zumindest billigend in Kauf genommen hat. Da der Angeklagte auch auf dem Boden liegend weiter um sich schlug, war eine mögliche Verletzung des Zeugen SN. erwartbar. Dies gilt auch für die Verletzung am linken Fuß, auch wenn nicht genau festgestellt werden konnte, wie diese genau verursacht wurde. Gleiches gilt für die Schulterverletzung der Zeugin IG..
126(3) Die gesundheitlichen Folgen für die Zeugin IG. und den Zeugen SN. entnimmt die Kammer auch den – mit den Aussagen übereinstimmenden – verlesenen ärztlichen Unterlagen, aus denen sich für den Zeugen SN. auch das Tragen einer Schiene für sechs Wochen ergibt.
127(4) Dass der Angeklagte nicht alkoholisiert war, entnimmt die Kammer dem in Selbstleseverfahren eingeführten Ergebnis des Alkoholtests, nachdem der Wert der Blutalkoholkonzentration unter der Bestimmungsgrenze lag, sowie dem chemisch-toxikologischen Gutachten, das ebenfalls angab, dass Blutalkohol nicht nachweisbar gewesen sei.
128Aus diesem Gutachten folgert die Kammer auch, dass der Angeklagte unter dem Einfluss von Cannabis stand. Nach dem Gutachten konnten bei diesem Cannabinoide in einer Konzentration nachgewiesen werden, bei der von einer Wirkung auszugehen ist. Angesichts der im Vergleich zu Fall 3 (s. dazu weiter unten) höheren Werte, ist dies auch objektiv nachvollziehbar.
129(5) Die Feststellungen zur Persönlichkeitsstörung und deren Einfluss auf die Tat entnimmt die Kammer wiederum in eigener Überzeugung ausgehend von den Ausführungen der Sachverständigen Dr. KG..
130Auf die obigen Darstellungen wird verwiesen.
131Auch im vorliegenden Fall war nicht von einer Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit auszugehen. Wiederum lag kein Anzeichen für einen Wahn vor, den die Kammer in Anschluss an die überzeugende Einschätzung der Sachverständigen insbesondere aufgrund fehlender Anhaltspunkte im Zeitraum nach der Tat ausschließt. Der Angeklagte ging bei der Tat gezielt vor und wandte sich direkt gegen die Polizeibeamtin und den Polizeibeamten. Insofern ist nach Auffassung der Kammer von einer deutlich gegen einen Wahn sprechende örtliche und situative Orientierung des Angeklagten auszugehen, der die Beamtin und den Beamten als solcher offensichtlich erkannt hat. Zudem konnte er die Situation zuordnen und – als plausible Verknüpfung – mit der vorherigen Tatbegehung zum Nachteil der Frau UJ. in Zusammenhang bringen und reagieren. Auch hierin verdeutlicht sich ein zielgerichtetes Vorgehen.
132Es war aber von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) auszugehen. Da davon auszugehen ist, dass der Angeklagte die Beamtin und den Beamten als solche erkannt hat und deren Anhalten auch mit dem Vorfall gegen die Frau UJ. in Verbindung brachte, erlebte er das von ihm Erwartete Vorgehen gegen ihn krankheitsbedingt als Kränkung. Da für ihn mit einer Zurechtweisung bzw. Grenzziehung und Sanktionierung seitens der Polizei zu rechnen war, die seinem eigenen unkorrigierbaren Gerechtigkeitsempfinden nicht entsprach, triggerte ihn bereits das Anhalten des Polizeiwagens, welches aufgrund der örtlichen Umstände und zeitlichen Nähe zum vorherigen Vorfall mit Frau UJ. vom Angeklagten nur als ihm geltend bewertet werden konnte. Wiederum war davon auszugehen, wobei sich die Kammer wiederum den Ausführungen der Sachverständigen in eigener Überzeugung anschließt, dass er zur Stabilisierung seines Selbstwertgefühls nahezu zu keiner anderen Reaktion fähig war.
133c) Komplex „M.“ (980 Js 54/23)
134(1) Komplex „UD.“ (Fall 4 und 5)
135aa) Die Feststellungen zum konkreten Tatgeschehen entnimmt die Kammer zunächst den in Augenschein genommenen Videoaufnahmen des UD.-Marktes, die mit den Angaben der Zeugin FG. übereinstimmen.
136Die Zeugin FG. hat ergänzend geschildert, dass der Angeklagte vor dem Faustschlag den Inhalt eines Bier-Mix-Getränks geleert habe, was auf den Videoaufnahmen aufgrund der Kameraposition nicht ersichtlich ist. Die Kammer erachtet die Angabe der Zeugin als glaubhaft, da dies logisch erklärt, weshalb die Zeugin den Angeklagten überhaupt ansprach. Der Faustschlag selbst und die Wegnahme von zwei Bierdosen wiederum ist auf den Kameraaufnahmen ersichtlich, ebenso wie das Passieren des Kassenbereichs ohne diese zu bezahlen.
137bb) Die Feststellung, dass der Angeklagte von Anfang an nicht vorhatte für das Biermix-Getränk und die beiden Bierdosen zu bezahlen, schließt die Kammer aus den objektiven Umständen. Für das Biermix-Getränk ist die Kammer insbesondere davon überzeugt, da der Angeklagte das Getränk noch vor dem Regal austrank und die leere Dose wieder zurückstellte, als die Zeugin FG. ihn zum Bezahlen aufforderte. Für die zwei weiteren Bierdosen schließt die Kammer dies insbesondere daraus, dass der Angeklagte vorher die Aufforderung der Zeugin FG. erhalten hatte und dann die Dosen griff und letztlich den Kassenbereich durchschritt ohne diese zu bezahlen. Dass der Angeklagte die Bierdosen für sich zum eigenen Konsum behalten wollte, schließt die Kammer aus den in Augenschein genommenen Videoaufnahmen vom Busbahnhof in M.. Hier ist ersichtlich, dass der Angeklagte aus einer Bierdose trinkt.
138cc) Die Kammer trifft die Feststellung, dass der Schlag aus Sicht des Angeklagten nicht der Wegnahme diente oder diese erleichtern sollte ausgehend von den Ausführungen der Sachverständigen Dr. KG.. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen. Die Kammer stützt sich hierbei insbesondere auf deren nachvollziehbaren und plausiblen Ausführungen, dass der Angeklagte mit Gewalt gegen die Zeugin FG. reagierte, da diese ihn angesprochen und zurechtgewiesen hat, dass er die Dose nicht schon austrinken dürfe und dass er zu bezahlen habe. Hierdurch habe der Angeklagte eine Kränkung empfunden, der er bedingt durch seine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit Gewaltanwendung begegnet sei, um sich in seinem Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Demnach stellte die Wegnahme oder die Absicherung dieser wenn überhaupt eine lediglich untergeordnete Rolle für die Gewaltanwendung dar.
139Auch geht die Kammer nicht davon aus, dass der Angeklagte den Schlag als erforderlich empfand, um an der Zeugin FG. vorbeizukommen und den Laden verlassen zu können. Auch die Zeugin FG. hat angegeben, dass er im Gang an ihr hätte vorbeigelangen können. Dem folgt die Kammer auch angesichts der Inaugenscheinnahme des Videos aus dem Markt, das den Gang abbildet und den von der Zeugin geschilderten Platz in diesem zeigt.
140dd) Dass der Angeklagte zwei Cuttermesser griffbereit bei sich führte, entnimmt die Kammer den in Augenschein genommenen Fotos der Tatortsicherung nach dem Komplex in der Innenstadt (s. sogleich Ziff. (2)) in Zusammenschau mit den in Augenschein genommenen Videoaufnahmen vom Busbahnhof in M.. Nachdem der Angeklagte aufgrund seiner erlittenen Schussverletzungen handlungsunfähig war, konnte ein Cuttermesser auf dem Boden in unmittelbarer Nähe zu ihm aufgefunden werden, wie auch die Zeugen PP. und QP. geschildert haben. Hierzu haben zudem die Zeugen QM., WT. und FF. sowie die Zeugin LT. übereinstimmend geschildert, dass der Angeklagte dieses zuvor in der Hand gehalten hat. Hiervon ist die Kammer auch aufgrund der festgestellten Verletzung beim Zeugen QM. überzeugt. In dem kleineren Fach des Rucksacks wurde zudem ein weiteres kleineres Cuttermesser aufgefunden, wie die Kammer den in Augenschein genommenen Lichtbildern des Tatorts entnimmt. Die Kammer geht davon aus, dass der Angeklagte auch schon zum Zeitpunkt der hiesigen Tat die Cuttermesser bei sich trug. Diese Feststellung folgt für die Kammer aus den in Augenschein genommenen Videoaufnahmen vom Busbahnhof mit dem verlesenen Zeitstempel. Aufgrund der zeitlichen Nähe ist die Kammer auch davon überzeugt, dass sich der Angeklagte nach der Tat ohne wesentliche weitere Zwischenschritte über das Parkhaus zur Sitzecke am Busbahnhof begeben hat, wo er um ca. 12:02 Uhr ersichtlich ist. Ein zwischenzeitlicher Erwerb der Messer kommt daher zeitlich nicht in Betracht. Für das sichergestellte und in Augenschein genommene größere Messer scheidet dies auch bereits wegen des augenscheinlich nicht neuwertigen Zustandes aus. Die Kammer ist aufgrund des zeitlichen Ablaufs auch davon überzeugt, dass der Angeklagte die Messer nicht erst nach der Tat eingesammelt (bspw. aus einem Versteck) und eingesteckt hat. Weitere Feststellungen zum genauen Ort der Verwahrung im Zeitpunkt der Tat im Markt „UD.“ konnte die Kammer indes nicht treffen. Insbesondere ist auf den in Augenschein genommenen Videoaufnahmen vom Busbahnhof ersichtlich, dass der Angeklagte das größere Cuttermesser aus seiner Jackentasche heraus- und in die Hand nimmt. Außerdem macht er sich am Rucksack zu schaffen und packt mehrere Steine aus. Jedoch konnte nicht ausgeschlossen werden, dass hierbei auch das kleinere Messer ein- oder umgepackt wurde. Auch konnte nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte nach der Tat bereits den Verwahrort der Messer änderte.
141ee) Die Folgen für die Zeugin FG. entnimmt die Kammer deren Schilderungen sowie den verlesenen Arztberichten. Auch die von der Zeugin beschriebenen andauernden Angstzustände und sonstigen psychischen Folgen erachtet die Kammer als glaubhaft. Insbesondere war eine Belastungstendenz nicht gegeben. Die Zeugin hat beispielsweise angegeben, nicht wegen der Wucht des Schlages zu Boden gegangen zu sein, sondern als eine Art Schutzreaktion.
142ff) Die Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit entnimmt die Kammer dem verlesenen Alkohol-Befund des Instituts für Rechtsmedizin. Demnach wurde die Blutprobe um 13:58 Uhr entnommen und ergab einen Mittelwert von 0,92 Promille. Bei für den Angeklagten günstiger Rückrechnung auf den Tatzeitpunkt mit einem geschätzten Abbauwert von 0,2 Promille pro Stunde zzgl. eines Sicherheitszuschlags von 0,2 Promille (hierzu Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Auflage 2024, Rn. 1422 ff.) ergibt sich eine Maximalkonzentration von 1,52 Promille. Zudem ergibt sich nach den Feststellungen ein Nachtrunk durch das im Laden verzehrte Bier-Mix-Getränk und weiteres Bier (wobei sich die genaue Menge nicht feststellen ließ), wie sich aus den Aufnahmen vom Busbahnhof ergibt. Diese lässt die Kammer zugunsten des Angeklagten bei der Rückrechnung unberücksichtigt.
143Die Feststellung, dass der Angeklagte nicht durch andere körperfremde Substanzen beeinträchtigt war, folgt die Kammer aus dem verlesenen toxikologischen Bericht und den überzeugenden Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. IS.. Demnach konnten im Blut des Angeklagten zwar Spuren von Cannabis nachgewiesen werden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen lagen diese aber auch bei Zurückrechnung auf den Tatzeitpunkt allein in nicht relevanter Konzentration vor, sodass eine Beeinträchtigung ausgeschlossen werden konnte. Da es sich um die Bewertung von objektiv festgestellten Konzentrationen handelt, hat die Kammer keinerlei Zweifel an den Schlussfolgerungen des Sachverständigen.
144Die übrigen ebenfalls im Blut aufgefundenen Wirkstoffe (Midazolam, Ketamin, Propofol, Cafedrin-Theodrenalin) hat der Sachverständige schlüssig dem notärztlichen Einsatz zugeordnet. Die Kammer geht in Übereinstimmung damit davon aus, dass diese dem Angeklagten somit erst nach der Tat verabreicht wurden und allein aus zeitlicher Sicht eine Beeinträchtigung zum Tatzeitpunkt ausscheidet. Für den Wirkstoff Midazolam lag die Konzentration zudem außerhalb des therapeutischen Bereichs, sodass eine relevante Wirkung auch aus diesem Grund nicht angenommen werden kann.
145gg) Die Feststellungen zur Persönlichkeitsstörung und deren Einfluss auf die Tat (nur Fall 5) entnimmt die Kammer wiederum in eigener Überzeugung ausgehend von den Ausführungen der Sachverständigen Dr. KG..
146Auf die obigen Darstellungen auch zum subjektiven Tatbestand (cc) wird zunächst verwiesen.
147Es war wiederum nicht von einer Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit auszugehen: Insbesondere lagen auch hier keine Anzeichen für ein wahnhaftes Erleben des Angeklagten vor. Vielmehr war ein zielgerichtetes und reaktives Verhalten im Tatablauf festzustellen. Auch wusste der Angeklagte, dass er nicht stehlen darf.
148Für die Tatbegehung im Fall 5 war aber von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) auszugehen. Diese folgte aus der durch die Zurechtweisung der Zeugin FG. erlittene Kränkung. Da diese erst den Trigger für den Angeklagten setzte, wovon die Kammer in Anschluss an die Ausführungen der Sachverständigen überzeugt ist, kann von einer verminderten Steuerungsfähigkeit bei der davorliegenden Tat Fall 4 gerade nicht ausgegangen werden. Diese erlebte Kränkung führte wiederum dazu, dass der Angeklagte die Gewalt anwendete, um sein Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Hierbei liegt eine erhöhte Impulsivität durch die Persönlichkeitsstörung vor. Der Angeklagte greift dann auf ein Muster zur Stabilisierung zurück und reagiert dabei unangemessen aggressiv.
149Dabei besteht für den Angeklagten gerade krankheitsbedingt nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit anders zu reagieren. Auch bei den anderen hier verfahrensgegenständlichen Taten kam es zu unangemessen aggressivem Verhalten, worauf auch die Sachverständige Bezug genommen hat. Zudem hat die Sachverständige auf den Tathergang bei der einbezogenen Vorstrafe abgestellt, woran sich die Kammer anschließt. Durch das zunächst passive Verhalten am Busbahnhof (Fall 6) lässt sich jedoch auch erkennen, dass der Angeklagte teilweise anders reagieren kann, hierzu dort.
150Die Kammer ist wiederum in Übereinstimmung mit der Sachverständigen davon überzeugt, dass eine Sucht nur eine untergeordnete Rolle spielte, wie bereits ausgeführt. Auch hier konnte entzugssymptomatisches Verhalten nicht beobachtet werden; auch die Wahl des Getränkes in Fall 4 spricht gerade gegen einen akuten Suchtdruck.
151Aus der geschilderten Trigger-Wirkung der Ansprache durch die Zeugin FG. geht die Kammer auch davon aus, dass der Angeklagte in diesem Moment einen neuen Tatentschluss fasste. Herausgefordert durch die Ansprache der Zeugin entschied sich der Angeklagte zur Überzeugung der Kammer dann zur Behauptung seiner Dominanz zwei weitere Bierdosen zu nehmen und die Zeugin körperlich anzugreifen, um deren Machtlosigkeit darzustellen und sich selbst zu behaupten. Dies folgt aus der von der Sachverständigen überzeugend geschilderten Dynamik der Persönlichkeitsstörung im Zusammenhang zur festgestellten Delinquenz.
152(2) Komplex „Innenstadt“ (Fall 6)
153aa) Die Feststellungen zum Aufenthalt und dem Verhalten des Angeklagten am Busbahnhof trifft die Kammer ausgehend von den in Augenschein genommenen Videos der dortigen Überwachungskameras. Gleiches gilt für die Feststellungen zu den Zeugen QM. und WT. und der Zeugin LT. und dem Aufeinandertreffen mit dem Angeklagten. Auf den Videoaufnahmen ist auch ersichtlich, dass der Angeklagte im Zeitpunkt, als er vom Zeugen QM. erstmals angesprochen wurde, bereits ein Cuttermesser in der rechten Hand hielt. Auch die Armstellung kann dem Video entnommen werden.
154Die Angaben werden von den Schilderungen der Zeugen WT. und QM. und der Zeugin LT. ergänzt. Der Zeuge QM. hat angegeben, den Angeklagten aufgefordert zu haben, das Messer niederzulegen, was dem Video mangels Tonmitschnitt nicht entnommen werden kann, aber den ersichtlichen Gesten entspricht. Dort ist ersichtlich, dass der Zeuge QM. seine Waffe auf den Angeklagten richtet. Die Kammer erachtet es insoweit als plausibel und daher glaubhaft, dass auch eine entsprechende Aufforderung verbalisiert wurde. Den Videoaufnahmen kann wiederum der Laufweg des Angeklagten und der Zeugen QM. und WT. und deren Verhalten entnommen werden. Auch der Pfeffersprayeinsatz des Zeugen QM. ist dort ersichtlich, der sich außerdem – so wie auch die Abgabe des Warnschusses – aus dem in Augenschein genommenen Handyvideo mit Tonaufnahme der FK. TY. ergibt.
155Den weiteren Laufweg entnimmt die Kammer den übereinstimmenden Schilderungen der Zeugen WT. und QM. und der Zeugin LT. ebenso wie dem in Augenschein genommenen Satellitenbild des Geländes mit der verlesenen Beschriftung.
156Dass der Angeklagte die Zeugen und die Zeugin als Polizeibeamte bzw. -beamtin erkannt hat, entnimmt die Kammer den objektiven Umständen. Die Zeugen und die Zeugin waren, wie sich den Videoaufnahmen entnehmen lässt, uniformiert. Die Zeugen QM. und WT. richteten zudem ihre Waffen auf den Angeklagten.
157bb) Den Ablauf vor dem „BS.“ entnimmt die Kammer primär dem in Augenschein genommenen Video gefilmt aus dem Imbiss „FN.“, welches das Kerngeschehen um den Schlag mit dem Stuhl, die Stichbewegungen gegen den Zeugen QM., die Laufwege der Beteiligten und die anschließenden Schussabgaben ebenso wie das Zusammenbrechen des Angeklagten in Folge der Schüsse zeigt. Zudem haben die Zeugen QM., WT., FF., YZ. und P. und die Zeuginnen LT. und ZK. dies im Wesentlichen in Übereinstimmung hierzu geschildert.
158cc) Dass der Angeklagte gegenüber dem Zeugen FF. zudem geäußert hat: „Dann knall du mich doch ab“ [Betonung entsprechend der Angabe des Zeugen], folgt für die Kammer aus dessen Aussage. Zwar konnte kein anderer Zeuge oder Zeugin dies berichten. Dennoch hat die Kammer keine Zweifel an der Angabe. Wie auch aus dem Video ersichtlich ist, rennt der Angeklagte primär auf den Zeugen FF. zu, wie von diesem auch geschildert. Es ist daher plausibel, dass sich der Zeuge FF. – wie geschildert – direkt angesprochen fühlte, was zudem seinem geschilderten konkreten Empfinden der damaligen Situation entspricht. Auch hat der Zeuge die besondere Betonung mehrfach übereinstimmend angegeben und auch wiederum sein damaliges spontanes Verständnis, dass der Angeklagte damit zum Ausdruck bringen wolle, dass es seinen Kollegen bisher nicht gelungen sei, ihn zu treffen. Aus Sicht der Kammer spricht dies für eine erlebnisbasierte Erinnerung. Der Zeuge hat dazu angegeben, dass die Äußerung laut gewesen sei, aber kein Gebrüll, sondern aufgeregt. Es sei für ihn so gewesen als habe der Angeklagte zeigen wollen, wer der stärkere sei, dass er überheblich gewesen sei und über den Dingen stehe. Auch auf Nachfrage, ob der Angeklagte damit einen „suicide by cop“ habe provozieren wollen, gab der Zeuge an, dass er das so nie aufgefasst habe, sondern als Kampfansage. Die Kammer schätzt die Aussage des Zeugen FF. zudem als belastbar ein, da er detailreich, logisch plausibel und chronologisch berichten konnte. Zudem hat er den Eindruck vermittelt, trotz der Ausnahmesituation nicht überfordert gewesen zu sein und seine eigene Rolle und die der Kollegen kritisch zu hinterfragen. So hat er angegeben, dass der Vorfall bisher nicht intern aufgearbeitet worden sei, dies aber aus seiner Sicht erforderlich sei. Auch gab er an, dass er nicht verstanden habe, weshalb der Zeuge WT. mit dem Stuhl interveniert habe; aus seiner Sicht sei auch weiterhin eine Begleitung des Angeklagten in Betracht gekommen. Er hat daher gerade nicht den Eindruck vermittelt, dass er den Schusswaffengebrauch mit weiteren Umständen zu rechtfertigen versuchte. Auch auf entsprechende kritische Nachfragen reagierte er angemessen ruhig und sachlich, ohne sich persönlich angegriffen zu zeigen. Im Gegensatz zu den übrigen Beamten und der Beamtin ist er zudem erst beim „BS.“ hinzugetreten, sodass sich seine Erinnerung auf einen geringeren zeitlichen Abschnitt beschränkte.
159dd) Die Verletzungen des Zeugen QM. entnimmt die Kammer den Schilderungen der Zeugen QP., QM., WT. und FF. ebenso wie den in Augenschein genommenen Lichtbildern hierzu. Außerdem stützt sich die Kammer auf die verlesenen Angaben des Ambulanzberichts.
160Die weiteren Folgen und Auswirkungen auf den Dienst für die Zeugen WT. und QM. entnimmt die Kammer deren Angaben, die sie als nachvollziehbar bewertet.
161ee) Die Feststellungen zu den im einzelnen abgegebenen Schüssen entnimmt die Kammer der in Augenschein genommenen und verlesenen Lichtbildmappe, und dem verlesenen Vermerk zum Ladungszustand der Waffen. Beim Zeugen QM. war der am Busbahnhof abgegebene Warnschuss zu berücksichtigen, beim Zeugen WT. die – auf dem Video auch hörbaren – zwei Schüsse nach dem Geschehen mit dem Stuhl, bevor es zur hauptsächlichen Schussabgabe kam.
162ff) Bezüglich der Feststellungen zur Beeinträchtigung durch sonstige Substanzen und zur Blutalkoholkonzentration wird auf die obigen Ausführungen zum Komplex „UD.“ verwiesen, wobei ein Nachtrunk bezüglich des hiesigen Geschehens zudem nicht mehr stattgefunden hat.
163gg) Die Feststellungen zur Persönlichkeitsstörung und deren Einfluss auf die Tat entnimmt die Kammer wiederum in eigener Überzeugung ausgehend von den Ausführungen der Sachverständigen Dr. KG..
164Auf die obigen Darstellungen wird verwiesen.
165Auch im vorliegenden Fall war nicht von einer Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit auszugehen. Auch hier lagen insbesondere wiederum keine Anzeichen für einen Wahn oder ein wahnhaftes Erleben im Nachtat-Zeitraum vor. Die Kammer hat ein zielgerichtetes Verhalten des Angeklagten im Tatablauf festgestellt. Dieser konnte auf den Angriff mit dem Stuhl reagieren und als Reaktion zielgerichtete Verletzung(-sversuche) beim Zeugen QM. unternehmen. Bei den ersten Schüssen ist er außerdem situationsadäquat weggelaufen. Auch in der Folgezeit konnten in der Klinik keine Anzeichen für ein wahnhaftes Erleben beobachtet werden.
166Es war jedoch wiederum von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) auszugehen. Die Kammer stellt dies in diesem Fall entgegen der – § 20 nicht sicher ausschließenden – Ansicht der Sachverständigen fest. Ein Ausschluss der Steuerungsfähigkeit war zur Überzeugung der Kammer nicht gegeben:
167Der Angeklagte hat durch die Ansprache bzw. Aufforderung der Polizeibeamten am Busbahnhof wiederum eine Kränkung erlitten, die infolge der störungsbedingten grundsätzlichen Anspannung und erhöhten Impulsivität letztlich zu einer unangemessenen Gewaltanwendung führte. Schließlich ging es dem Angeklagten zur Stabilisierung darum, die Oberhand in der Situation zu gewinnen. Dies entspricht auch den Ausführungen der Sachverständigen, auch zu den übrigen Fällen. Diesem beschriebenen Muster steht nicht entgegen, dass der Angeklagte bis zu dem Angriff mit dem Stuhl nicht selbst aktiv aggressiv geworden ist. Bis dahin drückte sich die zu seiner Stabilisierung erstrebte und erforderliche Dominanz dadurch aus, dass er den Anweisungen der Beamten keine Folge leistete und diese sich dennoch rein reaktiv – von ihm bestimmt –verhielten. Hierin fügt sich auch der vom Zeugen QM. abgegebene Warnschuss zur Überzeugung der Kammer ein, da hieraus nichts weiter zu Lasten des Angeklagten folgte. Die Beamten sind schließlich einfach weiter hinter dem Angeklagten hergelaufen. Das Geschehen ab dem Vorgehen mit dem Stuhl war hingegen nicht mehr vom Angeklagten bestimmt, denn er war aufgrund der veränderten Dynamik zu einer Reaktion gezwungen, um die Situation weiter zu beherrschen. Der Fortgang des festgestellten Tathergangs stellt daher aus Sicht der Kammer gerade keine Abweichung zum sonstigen Gepräge und der Dynamik der Verhaltensweise des Angeklagten dar. Es bedurfte allein einer anderen Reaktion, um dies zu erreichen.
168Wie der Vergleich zu Fall 5 zeigt, ist die Hemmschwelle zudem in der hiesigen Situation bereits nachvollziehbar geringer. Im Fall 5 hat der Angeklagte allein wegen einer Ansprache durch die Zeugin FG. Gewalt angewendet. Nach dem Angriff mit dem Stuhl ist wegen der hierdurch eingebrachten Gewalteinwirkung schon eine geringere Impulsivität erforderlich für ein aktives, als „Wehren“ verstandenes Vorgehen. Aus diesem Vergleich wird für die Kammer aber gerade auch deutlich, dass eine gewisse Steuerungsfähigkeit gegeben war. Im Fall 5 hat der Angeklagte bei einem geringeren Anlass direkt Gewalt angewendet; im Fall 6 hingegen bei der Ansprache durch den Zeugen QM. am Busbahnhof erstmal nur passiv reagiert, was eine gewisse Varianz in dem Verhalten, das zur Stabilisierung erforderlich ist, gerade erkennen lässt. Aufgrund dessen liegen keine Anhaltspunkte vor, um bei dem Geschehen nach dem Stuhlangriff dann abweichend von einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit auszugehen; dies kann zur Überzeugung der Kammer vielmehr ausgeschlossen werden. An die rechtliche Wertung der Sachverständigen, dass § 20 StGB hier nicht ausgeschlossen werden könne, ist die Kammer nicht gebunden, da es sich hierbei um eine Rechtsfrage handelt. Nach wie vor handelte es sich der Tathandlung des Messerangriffs um ein Vorgehen, um die Oberhand zu gewinnen, wozu der Angeklagte aufgrund der Persönlichkeitsstörung nahezu keine andere Wahl hatte. Zur Überzeugungsbildung der Kammer trug außerdem bei, dass auch auf Grundlage der Ausführungen der Sachverständigen von einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit jedenfalls in dem Moment nicht mehr auszugehen war, in dem der Angeklagte auf die Schussabgabe durch den Zeugen WT. reagierte und zunächst vom Zeugen QM. abließ und wegrannte. Denn dieses passive Vorgehen widerspricht an sich dem Stabilisierungsmechanismus durch Dominanzergreifung. Dieses zeigte der Angeklagte dann wiederum, als er nach kurzem Innehalten wieder abdrehte und sich auf die bewaffneten Polizeibeamten zubewegte. Hier stimmt die Kammer mit der Sachverständigen überein, dass dies erneut Ausdruck des Dominanzstrebens des Angeklagten ist, der die Situation gewinnen wollte bzw. nahezu musste. Es stünde dann aber nur ein Zeitraum von wenigen Sekunden zur Verfügung, in dem nicht mehr die aufgehobene, sondern nur die verminderte Steuerungsfähigkeit gegeben wäre. Aus Sicht der Kammer ist dies gerade fernliegend und spricht besonders gegen ersteres.
169Nach der Sachverständigen ist der Angeklagte dann trotz der Gefahr der Schüsse zurückgerannt entweder, da er dachte, die Beamten würden (ähnlich wie beim Warnschuss) ohnehin letztlich nicht auf ihn schießen. Dies wäre trotz der bereits erfolgten Schussabgabe auf den Angeklagten denkbar, da nicht sicher festgestellt werden konnte, dass der Angeklagte dies so wahrgenommen hat bzw. getroffen wurde. Als zweite Variante hat die Sachverständige die Option genannt, dass sich der Angeklagte aus seiner Sicht ohnehin in einer schlechten Lebenssituation befunden habe. Zudem haben die prekären Lebensverhältnisse zu einer Labilisierung und damit einhergehenden erhöhten Impulsivität geführt. In Übereinstimmung mit der Sachverständigen und dem – nicht sachverständigen – Eindruck des Zeugen FF. geht die Kammer davon aus, dass der Angeklagte die Situation als Herausforderung aufgenommen hat. Hierfür spricht insbesondere die gegenüber dem Zeugen FF. geäußerte Ansprache („Dann knall du mich doch ab“). Auch hieraus wird plausibel, dass der Angeklagte dominanzergreifend gehandelt hat. Diese Annahme beruht aus Sicht der Kammer gerade darauf, dass diese Motivation dem beschriebenen durch die Persönlichkeitsstörung bedingten Verhaltensmuster entspricht.
170hh) Die Feststellungen zu den Verletzungen und Verletzungsfolgen des Angeklagten trifft die Kammer ausgehend von den verlesenen polizeilichen Telefonvermerken und den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. IS.. Zudem hat die Kammer die Grundlagen dessen sachverständigen Bewertung, der eine Exploration nicht zugrunde lag, eingeführt durch Inaugenscheinnahme der bildlich dokumentierten Verletzungen des Angeklagten und Verlesung der entsprechenden Beschreibungen. Die Kammer ist außerdem von den überzeugenden und übereinstimmenden Angaben des Gutachters Dr. GR. ausgegangen.
171Ausgehend von den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. IS. stellt die Kammer auch die konkrete Lebensgefahr des Angeklagten fest. Der Sachverständige hat die konkreten Gefahren und Wirkweisen der beiden lebensgefährdenden Verletzungen plausibel dargestellt und die drohende Letalität für die Kammer nachvollziehbar begründet.
172Die Verlegung ins Justizvollzugskrankenhaus CC. folgt aus dem verlesenen Vollstreckungsblatt; das Datum der Verlegung folgt aus dem verlesenen Telefonvermerk vom 21.11.2023 und den entsprechenden Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. IS..
173Dass der Angeklagte Rechtshänder ist, hat die Kammer dessen Angabe entnommen.
174IV.
175Rechtliche Würdigung
1761. Komplex „U.“ (921 Js 2934/23)
177a) Fall 1 (§ 303 StGB)
178Der Angeklagte hat sich der Sachbeschädigung strafbar gemacht, indem er Steine auf das Haus des Zeugen U. warf und dabei eine Fensterscheibe zerstörte, den Briefkasten zerbeulte und einen Fensterrahmen beschädigte.
179Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich und rechtswidrig.
180Die Staatsanwaltschaft hat zudem das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht, § 303c StGB.
181b) Fall 2 (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB)
182Der Angeklagte hat sich zudem der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, indem er dem Zeugen U. einen Stein an den Kopf warf, wovon dieser eine Platzwunde davontrug.
183Bei dem Stein handelte es sich auch um ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB. Ein gefährliches Werkzeug ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen auszuführen (BGH, Urteil vom 26. 4. 2012 - 4 StR 51/12). Bei dem Stein ist dies der festgestellten Größe und scharfkantigen Beschaffenheit nach gegeben.
184Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich, hier mit dolus directus ersten Grades.
185Er handelte weiter auch rechtswidrig. Insbesondere war er nicht durch Notwehr gerechtfertigt, § 32 StGB. Ein gegenwärtiger Angriff des Zeugen U. lag nicht vor. Im Zeitpunkt der Körperverletzungshandlung telefonierte dieser und hielt die Schreckschusswaffe nach unten gerichtet. Es kam daher auch nicht darauf an, ob der Angeklagte irrig davon ausging, dass es sich um eine echte Waffe handelte. Ein Angriff ist zwar gegenwärtig im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB nicht nur, wenn er beginnt, sondern schon dann, wenn er unmittelbar bevorsteht. Zu den erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen berechtigt nicht erst die Verletzungshandlung selbst, sondern bereits ein Verhalten des Gegners, das unmittelbar in eine Rechtsgutsverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben der Abwehrhandlung entweder deren Erfolg gefährdet würde oder der Verteidiger das Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste. Für die Gegenwärtigkeit des Angriffs entscheidend ist nicht erst die Vornahme der Verletzungshandlung, sondern bereits der Zeitpunkt der durch den bevorstehenden Angriff geschaffenen bedrohlichen Lage (BGH (2. Strafsenat), Beschluss vom 25.09.2019 - 2 StR 177/19). Von einem bevorstehenden Angriff des Zeugen U. war indes zu dem Zeitpunkt der Tathandlung des Angeklagten gerade nicht auszugehen. Dieser hatte die Waffe zunächst auf den Angeklagten gerichtet, woraufhin der Angeklagte ein Messer auf den Zeugen gerichtet hatte. Nach entsprechender Aufforderung des Zeugen hat der Angeklagte dann aber das Messer weggesteckt und auch der Zeuge die Waffe abgesenkt. Damit war objektiv erkenntlich, dass der Zeuge U. keinen Angriff auf den Angeklagten plante. Auch ging der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen nicht irrig davon aus.
186c) Konkurrenzen
187Die Taten stehen in Tatmehrheit, § 53 StGB.
1882. Komplex „Y.“ (981 Js 2910/23) (Fall 3)
189a) § 113 Abs. 1 StGB
190Der Angeklagte hat sich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht, indem er beim Festhalten um sich schlug, versuchte den Zeugen SN. zu beißen und diesem mit dem Ellenbogen gegen die Nase stieß.
191Das Festhalten des Angeklagten stellt eine Vollstreckungshandlung dar. Dazu zählen alle Handlungen einer dazu berufenen Person, welche die Verwirklichung des die Regelung eines konkreten Falls anstrebenden, nach Umfang und Inhalt durch das Gesetz oder die von § 113 StGB erfassten Staatsorgane bestimmten und begrenzten, notfalls zwangsweise durchsetzbaren Staatswillens bezweckt (BGH, Beschluss vom 11.6.2020 – 5 StR 157/20). Das Festhalten durch den Zeugen SN. diente sowohl der Verhinderung weiterer Angriffe gegen die Zeugin IG., §§ 8, 50, 55, 57 ff. PolG NRW, als auch der Durchsetzung der Identitätsfeststellung, § 163b f. StPO.
192Der Angeklagte widersetzte sich dieser Vollstreckungshandlung sowohl mit Gewalt als auch mit Drohung solcher und erschwerte damit die Durchsetzung. Die vergeblichen Beiß- und Schlagversuche stellen zumindest eine konkludente Drohung mit der Anwendung von Gewalt dar (vgl. BGH, Beschluss vom 11.6.2020 – 5 StR 157/20). Der Treffer mit dem Ellenbogen auf die Nase des Zeugen SN. ist ein Widersetzen mit unmittelbarer körperlicher Einwirkung, also mit Gewalt.
193Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich, insbesondere wusste er, dass es sich um eine/n Polizeibeamten/Polizeibeamtin handelte.
194Die Strafbarkeit war auch nicht nach § 113 Abs. 3 S. 1 StGB ausgeschlossen. Die Vollstreckungsmaßnahme des/der Polizeibeamten/Polizeibeamtin war rechtmäßig. Im Rahmen der Strafbarkeit ist nicht von einem verwaltungsrechtlichen, sondern von einem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff auszugehen. Dieser ist erfüllt, wenn die formelle Rechtmäßigkeit der Diensthandlung gegeben ist (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 113 Rn. 11). Dies war vorliegend erfüllt. Insbesondere war die Maßnahme nach § 163b StPO rechtmäßig, da aufgrund der auf den Angeklagten zutreffenden Personenbeschreibung der Zeugin UJ. ein Anfangsverdacht gegen diesen vorlag.
195b) § 114 Abs. 1 StGB
196Der Angeklagte hat sich weiter des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht, indem er der Zeugin IG. mit der Faust ins Gesicht schlug, um sich schlug, versuchte den Zeugen SN. zu beißen und diesem mit dem Ellenbogen gegen die Nase schlug.
197Die geschilderten Handlungen sind tätliche Angriffe. Ein tätlicher Angriff im Sinne von § 114 Abs. 1 StGB setzt eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung voraus (BGH (4. Strafsenat), Beschluss vom 13.05.2020 – 4 StR 607/19). Der Eintritt eines Körperverletzungserfolgs wird nicht vorausgesetzt (MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 114 Rn. 6).
198Die geschilderten Handlungen beging der Angeklagte auch bei einer Diensthandlung der betroffenen Polizeibeamtin IG. und Polizeibeamten SN.. Anders als bei § 113 StGB ist hier auch der Faustschlag gegen die Zeugin IG. erfasst, da es bei § 114 StGB anders als bei § 113 StGB ausreicht, wenn ein/-e mit dienstlicher Tätigkeit befasste/-r Vollstreckungsbeamter/Vollstreckungsbeamtin angegriffen wird. Der Begriff der Diensthandlung ist damit weiter als der der Vollstreckungshandlung, weil er auch Handlungen umfasst, die als schlichte Ausübung des Dienstes nicht darauf abzielen, den staatlichen Willen notfalls mit Mitteln des hoheitlichen Zwangs gegenüber bestimmten oder bestimmbaren Personen durchzusetzen (MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 114 Rn. 7). Erfasst ist hierbei beispielsweise die hier zu diesem Zeitpunkt vorliegende Streifenfahrt (MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 114 Rn. 7). Es ist daher unschädlich, dass im Zeitpunkt des Schlages eine konkrete Vollstreckungshandlung noch nicht vorgenommen wurde oder unmittelbar bevorstand.
199Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich, insbesondere kam es ihm gerade darauf an (dolus directus ersten Grades) die Zeugin IG. mit dem Faustschlag zu verletzen.
200Auf die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme kommt es nach §§ 114 Abs. 3, 113 Abs. 3 S. 1 StGB schon nur an, wenn nicht nur eine Diensthandlung, sondern bereits eine Vollstreckungshandlung vorliegt. Dies ist jedenfalls ab dem Festhalten durch den Zeugen SN. der Fall. Insoweit wird zur – hier gegebenen – Rechtmäßigkeit der Maßnahme auf die obigen Ausführungen zu § 113 StGB verwiesen.
201c) § 223 Abs. 1 StGB
202Der Angeklagte hat sich der Körperverletzung schuldig gemacht.
203Dies betrifft sowohl den Schlag in das Gesicht der Zeugin IG., deren erlittene Schulterzerrung, als auch die Verletzungen des Zeugen SN. – Nasenbluten, eine Außenbandzerrung, eine Syndesmosenruptur und eine Volkmannfraktur mit Schmerzen am linken Fuß.
204Die Verletzungen sind dem Angeklagten auch sämtlich objektiv zurechenbar. Es kam hierbei nicht darauf an, wie sich genau im Zuge der Vollstreckungsmaßnahme der Zeuge SN. sich die Verletzung am linken Fuß zugezogen hat. Durch die Widerstandshandlung hat der Angeklagte den entsprechenden Einsatz des Zeugen zurechenbar erforderlich gemacht und ein objektives Verletzungsrisiko für diesen geschaffen, das sich verwirklicht hat.
205Der Angeklagte handelte absichtlich in Bezug auf den Schlag in das Gesicht der Zeugin IG., im Übrigen nahm er die Verletzungen jedenfalls billigend in Kauf.
206Er handelte auch rechtswidrig. Insbesondere lag eine Notwehrlage im Hinblick auf die Verletzungen des Zeugen SN. nicht vor; insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Maßnahme verwiesen.
207d) Konkurrenzen
208Die verwirklichten Delikte stehen in Tateinheit, § 52 StGB (vgl. MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 114 Rn. 13, 14). Keines der idealkonkurrierenden Delikte §§ 113, 114 und § 223 StGB tritt gesetzeskonkurrierend zurück (BGH, Beschluss vom 11.6.2020 – 5 StR 157/20).
2093. Komplex „M.“
210a) Komplex „UD. (Fall 4 und 5)
211(1) §§ 242, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2 StGB (Fall 4)
212Der Angeklagte hat sich des schweren Diebstahls schuldig gemacht, indem er ein Biermix-Getränk im Laden trank, wobei er von Anfang an nicht vorhatte dieses zu bezahlen.
213aa) Bei dem Biermix-Getränk handelt es sich um eine fremde, bewegliche Sache.
214bb) Diese hat der Angeklagte auch weggenommen, indem er den Inhalt der Dose austrank.
215In dem Augenblick des Trinkens wurde der bisherige Gewahrsamsinhaber von jedem Einfluss auf diesen Teil seiner Ware ausgeschlossen. In jenem Augenblick war dieser Teil der Ware nach der Lebensauffassung eindeutig der Herrschaftssphäre des Angeklagten zuzuordnen. Dass alsbald nach der Begründung dieses Gewahrsams das Getränk heruntergeschluckt wurde und dadurch seine Eigenschaft als selbständige Sache verlor, ist unschädlich. Insoweit kommt es aber auf die Dauer des neuen Gewahrsams nicht an. Auch eine nur ganz vorübergehende Sachherrschaft ist Gewahrsam (OLG Köln, Urteil vom 21-05-1985 - Ss 103/85).
216cc) Der Angeklagte führte auch während der Tat ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich, § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2 StGB.
217Bei einem Cuttermesser handelt es sich um ein anderes gefährliches Werkzeug (OLG Schleswig, Urteil vom 16. 6. 2003 - 1 Ss 41/03).
218Für das Beisichführen i.S.d. Norm genügt bei einem mitgebrachten Werkzeug, dass es sich für den Täter in Griffweite befand oder er sich seiner jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen konnte (BGH, Urt. v. 20.6.2023 − 5 StR 67/23 m.w.N.). Im vorliegenden Fall war dies gegeben. Die Kammer verkennt nicht, dass in der überwiegenden Literatur die Entscheidung des Bayerischen Oberlandesgericht (Urteil vom 25. 2. 1999 - 5 St RR 240–98) zitiert wird, die dies in einem vergleichbaren Fall mit der Begründung ablehnt, der Angeklagte hätte zum Einsatz des Tatmittels den Rucksack vom Rücken nehmen und den Rucksack erst öffnen müssen, um an das Messer zu gelangen. Mit dieser notwendigen Handhabung sei ein Zeitaufwand verbunden, der in diesem Fall die objektive Gefährlichkeit ausschließe. Angesichts der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 24. 6. 2003 - 1 StR 25/03) zum Mitsichführen nach § 30a BtMG, dessen Ausführungen übertragbar sind (U., StGB 71. Aufl. 2024, § 244 Rn. 27), die dies für den Fall einer im Kofferraum gelagerten Waffe bei Lagerung der Betäubungsmittel im Fußraum der Beifahrerseite bejaht, schließt sich die Kammer der dargestellten Rechtsauffassung des Bayerischen Oberlandesgerichts nicht an. Bei der Qualifikation des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das die latente Gefahr des Einsatzes durch den Täter bestraft (Vogel/Brodowski in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 244 StGB). Ein entsprechendes Gefährdungspotenzial ist im konkreten Fall gegeben. Für die Kammer stand der Annahme der Qualifikation nicht entgegen, dass nicht genauer festgestellt werden konnte, wo der Angeklagte die Messer im Zeitpunkt der Tat genau verwahrte. Jedenfalls trug er diese am Körper bzw. in der Kleidung oder in dem mit sich geführten Rucksack bei sich. In jedem Fall wäre der Zugriff schnell genug möglich gewesen, um als griffbereit i.S.d. Norm zu gelten. Die Kammer nimmt hierbei an, dass ein Herausnehmen aus dem Hauptfach des Rucksacks den höchsten zeitlichen Aufwand erfordern würde. Doch auch hiermit wäre ein nennenswerter Zeitaufwand nicht verbunden gewesen. Anders als bei der Körperverletzung, bei der ein Mitsichführen eines gefährlichen Werkzeuges den Strafrahmen gerade nicht erhöht, sondern nur eine Verwendung, geht der Gesetzgeber bei § 244 StGB oder auch § 250 StGB davon aus, dass die abstrakte Gefährlichkeit allein durch das Mitsichführen signifikant erhöht wird. Diese Unterscheidung erklärt sich allein, wenn für die Möglichkeit des Einsatzes eines Werkzeuges angenommen wird, dass hierfür grundsätzlich mehr Zeit zur Verfügung steht als bei der Körperverletzung. Eingedenk dieser Wertung kann „ohne nennenswerte Zeitaufwand“ nicht lediglich das Vorhalten in der ohne Weiteres zugänglichen Jacken- oder Hosentasche sein. Die Aufbewahrung auch in mit einem Reißverschluss verschlossenen Taschen, die unmittelbar am Körper getragen werden, ist daher nach Auffassung der Kammer umfasst.
219dd) Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich und rechtswidrig.
220(2) §§ 242, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2 StGB (Fall 5: bzgl. zwei Bierdosen)
221Weiterhin hat sich der Angeklagte des Diebstahls schuldig gemacht, indem er zwei Bierdosen aus dem Regal entnahm und mit diesen den Laden verließ, ohne diese zu bezahlen.
222Auf die obigen Ausführungen wird auch im Hinblick auf die Qualifikation nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2 StGB verwiesen.
223(3) § 223 Abs. 1 StGB (Fall 5)
224Der Angeklagte hat sich der Körperverletzung schuldig gemacht, indem er der Zeugin FG. mit der Faust auf die Nase schlug.
225Insoweit handelte er absichtlich und rechtswidrig.
226Das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung hat die Staatsanwaltschaft bejaht.
227(4) §§ 252, 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2 StGB
228Der Angeklagte hat sich nicht wie die Anklage annimmt des schweren räuberischen Diebstahls schuldig gemacht.
229aa) Bezogen auf die beiden entwendeten Bierdosen kann dies nicht angenommen werden.
230Erforderlich hierfür wäre, dass er in der Beendigungsphase des Diebstahls (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 252 Rn. 3) den Faustschlag eingesetzt hätte, um sich im Besitz der gestohlenen Bierdosen zu erhalten.
231In dem Moment der Gewaltausübung war der Diebstahl indes noch nicht vollendet. Die Wegnahme i. S. des § 242 Abs. 1 StGB ist erst dann vollendet, wenn der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt hat, dass er sie unbehindert durch den bisherigen Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser seinerseits über die Sache nicht mehr verfügen kann. Im Selbstbedienungsladen liegt eine vollendete Wegnahme durch einen Täter, der die Kassenzone mit der Ware noch nicht passiert hat, insbesondere vor, wenn der Täter Sachen geringen Umfangs einsteckt oder sie sonst verbirgt (BGH, Beschl. v. 18. 6. 2013 – 2 StR 145/13; BeckOK StGB/Wittig, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 242 Rn. 26.2). Eine solche sogenannte Gewahrsamsenklave hat der Angeklagte vorliegend allerdings nicht begründet, da er die Bierdosen offen in der Hand trug. Das offene Wegtragen von Sachen ist dann eine Wegnahme, wenn nach den äußeren Umständen und der Verkehrsauffassung mit einem Zugriff der Berechtigten nicht mehr gerechnet werden muss (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 242 Rn. 18). Auch das kann vorliegend nicht angenommen werden, da sich der Angeklagte noch vor dem Kassenbereich befand und nach der Verkehrsauffassung zu diesem Zeitpunkt noch ein Gewahrsam und damit ein Zugriff des ursprünglichen Gewahrsaminhabers gegeben ist. Bei leicht beweglichen Gegenständen wird eine Vollendung zwar bejaht, wenn der Täter diese ergriffen hat und festhält (vgl. Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 242 Rn. 18). Die hierzu zitierten Fälle beziehen sich aber auf Gegenstände, die bestimmungsgemäß angezogen wurden so z. B. Schmuck oder Kleidung (s. das dazu zitierte Urteil des BGH vom 21.04.1970 - 1 StR 45/70). Die hierdurch hergestellte nähere körperliche Beziehung ist mit dem reinen Halten in der Hand nicht vergleichbar.
232bb) Auch im Hinblick auf das bereits ausgetrunkene Biermix-Getränk lag ein räuberischer Diebstahl nicht vor.
233Insoweit ist die erforderliche Besitzerhaltungsabsicht nicht anzunehmen. Da das Getränk im Zeitpunkt der Gewaltanwendung bereits ausgetrunken war, kann von einer darauf gerichteten Erhaltung nicht ausgegangen werden. Der Besitz war dem Angeklagten insoweit nicht mehr entziehbar.
234(5) §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2 StGB
235Der Angeklagte hat sich auch nicht des schweren Raubes strafbar gemacht, indem er die zwei Bierdosen entwendete und der Zeugin FG. mit der Faust ins Gesicht schlug.
236Die Kammer konnte nicht feststellen, dass der hierfür erforderliche Finalzusammenhang vorlag. Dieser ist gegeben, wenn jedenfalls aus Sicht des Täters das Nötigungsmittel geeignet ist, die Wegnahme zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 21.05.1953 - 4 StR 787/52). Die Erzwingung (der Duldung) der Wegnahme muss nicht alleiniger oder bestimmender Zweck der Nötigungshandlung sein. Es genügt, wenn der Täter das Nötigungsmittel neben anderen Zwecken auch zur Wegnahme einsetzt (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 249 Rn. 7).
237Das war hier indes nicht der Fall. Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass der Angeklagte die Gewalt aufgrund der unten näher beschriebenen kombinierten Persönlichkeitsstörung (insoweit wird auf die Ausführungen im Rahmen der Strafzumessung verwiesen) einsetzte, um eine Stabilisierung seiner Persönlichkeit zu erreichen und die Absicherung der Wegnahme hierbei allenfalls eine lediglich völlig untergeordnete Rolle spielte.
238(6) Konkurrenzen
239Der Diebstahl an dem Biermix-Getränk steht in Tatmehrheit, § 53 StGB, zu dem nachfolgend begangenen Diebstahl an den zwei Bierdosen, der wiederum in Tateinheit zur Körperverletzung steht. Insoweit geht die Kammer von einer natürlichen Handlungseinheit aus.
240Die Tatmehrheit begründet sich für die Kammer ausgehend von dem angenommenen neuen Tatentschluss, hervorgerufen von der Ansprache der Zeugin FG..
241b) Komplex „Innenstadt“ (Fall 6)
242(1) § 113 Abs. 1 StGB
243Der Angeklagte hat sich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht, indem er ein Cuttermesser in der Hand hielt und den Anweisungen der Polizeibeamten, dieses wegzulegen, nicht Folge leistete, und beim Versuch der Festnahme den Zeugen QM. mit dem Messer verletzte.
244aa) Bei dem Geschehen ab dem Busbahnhof handelte es sich um eine Vollstreckungshandlung, die sich konkret gegen den Angeklagten richtete und sowohl auf die allgemeine Gefahrenabwehr (§§ 8, 50, 55, 57 ff. PolG NRW) wegen des vom Angeklagten geführten Messers gerichtet war, als auch um eine repressive Maßnahme zur Identitätsfeststellung (§ 163b f. StPO) nachdem gegen den Angeklagten ein Anfangsverdacht wegen der Tat im „UD.“ vorlag.
245bb) Gegen diese Vollstreckungshandlungen hat der Angeklagte Widerstand geleistet. Das Führen des Messers trotz Ansprache der Beamten, dieses niederzulegen, stellt eine konkludente Drohung dar. Diese war jedenfalls gegeben, nachdem der Angeklagte sich am Busbahnhof nach dem Pfeffersprayeinsatz des Zeugen QM. auf diesen zubewegt hat, was diesen zu einem Warnschuss veranlasste. Als der Angeklagte den Zeugen PK QM. mit dem Messer im Gesicht verletzte, hat er sich zudem mit Gewalt erwehrt.
246cc) Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich, insbesondere war ihm bewusst, dass es sich um Polizeibeamte handelte.
247dd) Die Strafbarkeit war auch nicht nach § 113 Abs. 3 S. 1 StGB ausgeschlossen. Die Vollstreckungsmaßnahme war rechtmäßig i.S.d. Norm.
248Es lag für den Angeklagten keine Notwehrlage vor (vgl. BeckOK StGB/Momsen/Savić, 62. Ed. 1.8.2024, StGB § 32 Rn. 22). Zwar stellt das Vorgehen des Zeugen PK WT. mit dem Stuhl einen Angriff auf den Angeklagten dar. Dieser war indes nicht rechtswidrig, sondern eine rechtmäßige Zwangsvollstreckung der Maßnahme zur allgemeinen Gefahrenabwehr. Die Handlung diente auch der Durchsetzung der Identitätsfeststellung, § 163b f. StPO, da gegen den Angeklagten ein Anfangsverdacht im Hinblick auf die Tat im Supermarkt „UD.“ vorlag (s. hierzu Fall 4).
249Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestimmt sich die Rechtmäßigkeit des Handelns von staatlichen Hoheitsträgern bei der Ausübung von Hoheitsgewalt – sowohl bezüglich § 32 Abs. 2 StGB als auch § 113 Abs. 3 StGB – weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen Vollstreckungsrecht (BGH, Urt. v. 9.6.2015 − 1 StR 606/14 m.w.N.). Die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne hängt vielmehr lediglich davon ab, dass die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten gegeben sind, er also örtlich und sachlich zuständig ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und der Hoheitsträger sein – ihm ggf. eingeräumtes – Ermessen pflichtgemäß ausübt (BGH, Urt. v. 9.6.2015 − 1 StR 606/14 m.w.N.). Auch verfassungsrechtlich ist es nicht zu beanstanden, wenn solche Rechtsfehler der handelnden Hoheitsträger bei der Festsetzung einer Sanktion nach § 113 StGB außer Acht bleiben, die den Besonderheiten der Situation der konkreten Diensthandlungen, etwa einer erheblichen Unübersichtlichkeit oder einer spannungsreichen Lage, geschuldet sind und in der Folge in einer fehlerhaften Beurteilung der Tatsachenlage und darauf aufbauend in einer Fehleinschätzung etwa der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme bestehen (BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 30. 4. 2007 - 1 BvR 1090/06). Es kommt vielmehr nur darauf an, ob sich die Maßnahme als Ergebnis sorgsamer Prüfung des Amtsträgers ex ante innerhalb eines in der konkreten Vollstreckungssituation noch vertretbaren Beurteilungsrahmens gehalten hat (Rosenau in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13., neu bearbeitete Auflage, § 113 StGB).
250Unter Beachtung der dargestellten Grundsätze ist das Vorgehen mit dem Stuhl als rechtmäßig anzusehen. Nachdem die Beamten den Angeklagten über mehrere Minuten unter vorgehaltener Waffe zum Stehenbleiben und Weglegen des Messers fruchtlos ausgefordert hatten, sind im Hinblick auf das geänderte, aktive Vorgehen solche Ermessensfehler, die die strafrechtliche Rechtmäßigkeit in Frage stellen würden, nicht erkennbar. Der Versuch, den Angeklagten mit dem Stuhl zu überwältigen, stellte sich vor dem Hintergrund, dass sich die Lage mittlerweile in die belebte Innenstadt verlegt hatte und der Angeklagte auf die mehrfachen Aufforderungen der Beamten keine Reaktion gezeigt hatte, als vertretbar dar. Da hiermit zudem nur ein geringer körperlicher Schaden beim Angeklagten einhergegangen wäre, liegt das Vorgehen auch im Rahmen des gegebenen Ermessens. Rein klarstellend weist die Kammer daraufhin, dass die zeitlich nachgelagerte Schussabgabe der Polizeibeamten insoweit hier nicht zu betrachten ist.
251(2) §§ 114 Abs. 1 StGB
252Durch die Verletzung des Zeugen QM. mit dem Cuttermesser hat sich der Angeklagte zudem des tätlichen Angriffs auf einen Vollstreckungsbeamten strafbar gemacht.
253Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich und rechtswidrig, §§ 114 Abs. 3, 113 Abs. 3 StGB. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit verwiesen.
254(3) §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB
255Der Angeklagte hat sich zudem der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, indem er dem Zeugen QM. mit einem Cuttermesser eine Wunde im Gesicht zufügte.
256Bei dem Messer handelte es sich auch um ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB.
257Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich und rechtswidrig. Insbesondere lag mangels rechtswidrigen Angriffs des Zeugen QM. keine Notwehrlage vor. Auf die obigen Ausführungen wird erneut verwiesen.
258(4) Konkurrenzen
259Die Delikte stehen in Tateinheit, § 52 StGB. Insoweit war von einer natürlichen Handlungseinheit auszugehen. Auch treten die §§ 224, 113 StGB nicht hinter § 114 StGB zurück (MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl. 2021, StGB § 114 Rn. 13, 14).
260c) Konkurrenzen
261Die im Komplex „Innenstadt“ verwirklichten Delikte stehen in Tatmehrheit, § 53 StGB, zu Fall 4 und 5 (Komplex „UD.“). Die Kammer bezieht sich hierbei insbesondere auf das andere Gepräge der Komplexe und die dazwischenliegende zeitliche Zäsur.
262V.
263Strafzumessung / Maßregel
264Bei der Strafzumessung hat sich die Kammer von folgenden Erwägungen leiten lassen:
2651. Strafzumessung bzgl. der ersten zu bildenden Gesamtstrafe
266a) Komplex „U.“
267(1) Sachbeschädigung (Fall 1)
268Die Kammer hat bei der Bemessung der Strafe nach § 303 StGB von der Strafrahmenverschiebung des §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Ausübung ihres Ermessens Gebrauch gemacht. Hierbei war für die Kammer maßgeblich, dass die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten wesentlich zur konkreten Tatbegehung beigetragen hat.
269Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass ein Schaden von eher geringem Umfang (Geldschaden 150 EUR) eingetreten ist. Außerdem hat die Kammer – wenn auch mit geringerem Gewicht – erneut eingestellt, dass die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten wesentlich zur Tatbegehung beigetragen hat. Die Kammer hat weiter berücksichtigt, dass die Wohnsituation aufgrund der erfolgten Kündigung für den Angeklagten angespannt war und der Tat ein Konflikt zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen U. vorausgegangen war. Außerdem war der Angeklagte nicht vorbestraft.
270Zu seinen Lasten hat die Kammer eingestellt, dass der Angeklagte mehrfach mit Steinen geworfen hat.
271Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer daher eine Geldstrafe von
27230 Tagessätzen à 15 EUR
273als tat- und schuldangemessen.
274(2) Gefährliche Körperverletzung (Fall 2)
275Der Regelstrafrahmen der gefährlichen Körperverletzung beträgt Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahre.
276aa) Ein minder schwerer Fall war nicht anzunehmen.
277Ob ein minder schwerer Fall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu prüfen (BGH NStZ-RR 2006, 140). Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr. vgl. BGH, Beschl. v. 13.9.2022 − 2 StR 236/22).
278Unter Einbeziehung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen ist von einem minder schweren Fall nicht auszugehen. Zwar spricht für den Angeklagten, dass die Situation mit dem Geschädigten U. grundsätzlich emotional aufgeladen war und dass dieser durch das Heraustreten aus dem Haus unter Vorhalt der Schreckschusswaffe auch eine Bedrohungslage für den Angeklagten geschaffen hat – wobei sich die Kammer zu deren Rechtfertigung nicht verhalten muss. Auch war der Angeklagte nicht vorbestraft. Dennoch überwiegen diese mildernden Umstände die strafschärfenden Strafzumessungsgesichtspunkte nicht. Zulasten des Angeklagten war insbesondere zu berücksichtigen, dass er aus geringer Distanz auf den Kopf des Geschädigten und damit einen besonders sensiblen Bereich gezielt hat.
279Die Kammer hat auch davon abgesehen einen minder schweren Fall unter Berücksichtigung der hier erfüllten vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB zu bejahen, was möglich gewesen wäre. Der Strafrahmen des minder schweren Falles betrüge drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe. Die Kammer erachtet es insoweit als angemessen statt des minder schweren Falls unter Verbrauch des Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB eine für den Angeklagten günstigere Verschiebung des Regelstrafrahmens nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen. Dies führt zu einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe von einem Monat bis sieben Jahre und sechs Monate. Hierfür, ebenso wie für die fakultative Verschiebung, spricht nach Auffassung der Kammer der gewichtige Anteil der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten auf die konkrete Tatausführung. Diese beruht nach den Feststellungen sowohl im Entschluss zur Tatbegehung als auch der konkreten Ausübung wesentlich auf der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten. Dies ermöglicht eine Strafzumessung ausgehend von einer Untergrenze von Freiheitsstrafe von einem Monat statt der sonst anzusetzenden drei Monate.
280bb) Ausgehend von dem genannten verschobenen Strafrahmen hat die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser nicht vorbestraft war. Auch hat die Kammer erneut – mit geringerem Gewicht – beachtet, dass die Persönlichkeitsstörung besonders zur Tatbegehung beigetragen hat.
281Zulasten des Angeklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass die Verletzung am Kopf und damit einem besonders sensiblen Bereich herbeigeführt wurde und dass dies mit einer besonderen Gefährlichkeit einhergeht, die hier, da das Handy des Zeugen den Steinwurf abgefangen hat, nicht vollständig eingetreten ist.
282Die Kammer erachtet daher eine Freiheitsstrafe von
283sechs Monaten
284als tat- und schuldangemessen.
285b) Komplex „Y.“ (Fall 3)
286Nach § 52 Abs. 2 StGB wird bei Tateinheit die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen. Hierbei sind Strafrahmenverschiebungen zu berücksichtigen.
287Die Strafen der verwirklichten Delikte hat die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB jeweils verschoben. Hierbei war insbesondere maßgeblich, dass die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten maßgeblich zur konkreten Tatbegehung beigetragen hat.
288Die Strafe bemisst sich daher ausgehend von dem sowohl von der Unter- als auch der Obergrenze höchsten Strafrahmen des § 114 Abs. 1 StGB.
289Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer eine Enthemmung durch Cannabiskonsum angenommen. Auch hat die Kammer erneut dessen verminderte Schuldfähigkeit und damit den Einfluss der bestehenden Persönlichkeitsstörung auf die Tatbegehung berücksichtigt. Zudem war der Angeklagte nicht vorbestraft.
290Zulasten des Angeklagten hat die Kammer die tateinheitliche Begehung berücksichtigt. Außerdem hat die Kammer eingestellt, dass der Angeklagte die Körperverletzung bzw. tätlichen Angriff besonders überraschend (wenn auch nicht hinterlistig) und gegen den sensiblen Kopfbereich der Zeugin IG. gerichtet begangen hat.
291Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer daher eine Freiheitsstrafe von
292einem Jahr und zwei Monaten
293als tat- und schuldangemessen.
294c) Nachträgliche Gesamtstrafe mit Zäsurwirkung
295Die Kammer hatte sodann diese Einzelstrafen unter nochmaliger zusammenfassender Würdigung der Person des Angeklagten und der einzelnen Straftaten und unter erneuter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände durch angemessene Erhöhung der höchsten Einzelstrafe auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen, § 54 StGB.
296Die Kammer hat hierbei die Vorstrafe des Angeklagten aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gummersbach vom 20.10.2023, Az. 83 Ds 68/23 (981 Js 390/23), wegen vorsätzlicher Körperverletzung tateinheitlich mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung sowie Bedrohung jeweils im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit, begangen am 22.12.2022, nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen einzubeziehen, § 55 StGB. Das Amtsgericht hat für die erste Tat 70 Tagessätze und für die zweite Tat 40 Tagessätze zu je 10 EUR festgesetzt. Die Strafe war weder (anteilig) vollstreckt, noch verjährt oder erlassen.
297Die Gesamtgeldstrafe der Vorverurteilung war insoweit gesamtstrafenfähig mit den hier betroffenen am 07.10.2022 begangenen Taten (Fall 1 und 2 –Komplex „U.“) und der am 24.06.2023 begangenen Tat (Fall 3 – Komplex „Y.“). Der Strafbefehl, der wiederum vor den übrigen hier abzuurteilenden Taten ergangen ist, bildet insoweit eine Zäsur, die zum Auswurf von zwei Gesamtstrafen führt (hierzu MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg, 4. Aufl. 2020, StGB § 55 Rn. 12-15).
298Die Kammer hat die Strafe ausgehend von der Einsatzstrafe im Fall 3 von einem Jahr und zwei Monaten bemessen.
299Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer wiederum berücksichtigt, dass dieser nicht vorbestraft war. Außerdem hat die Kammer beachtet, dass die Taten wesentlich von der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten beeinflusst waren.
300Zulasten des Angeklagten hat die Kammer eingestellt, dass es im Hinblick auf die Körperverletzungstaten der Vorstrafe und der Beamtin und dem Beamten im Fall 3 zu einer völlig überraschenden und überzogen aggressiven Tathandlung kam. In allen Fällen der Körperverletzungen (auch der einzubeziehenden Vorstrafe) hat der Angeklagte außerdem auf den Kopf gezielt, was ein besonders sensibler Bereich ist.
301Unter erneuter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer daher eine Gesamtfreiheitsstrafe von
302einem Jahr und vier Monaten
303als tat- und schuldangemessen.
304Die Kammer hat unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen davon abgesehen eine Gesamtgeldstrafe neben einer Gesamtfreiheitsstrafe zu verhängen, §§ 55, 54, 53 Abs. 2 StGB.
305Außerdem hat sie davon abgesehen die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, § 56 StGB. Die hierfür nach § 56 Abs. 1 StGB erforderliche positive Legalprognose ist nicht gegeben. Hierfür wird eine durch Tatsachen begründete überwiegende Wahrscheinlichkeit künftiger Straflosigkeit gefordert (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 56 Rn. 4, 4a). Auf die nachfolgenden Ausführungen zur Unterbringung nach § 63 StGB wird verwiesen (dort lit. a)), da sich die Prognose insoweit überschneidet (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 56 Rn. 2).
3062. Strafzumessung bzgl. der weiteren zu bildenden Gesamtstrafe (Komplex M., Fälle 4-6)
307a) Komplex „UD.“ (Fall 4 und 5)
308(1) Fall 4
309Die Strafe bestimmt sich nach §§ 242, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Var. 2, Abs. 3 StGB.
310Die Kammer ist vom Vorliegen eines minder schweren Falles nach § 244 Abs. 3 StGB ausgegangen. Hierbei hat sie herangezogen, dass es sich um ein lediglich geringwertiges Diebesgut handelte und der Angeklagte bei der Tatausübung ohne besondere kriminelle Energie, z. B. planvoll, vorgegangen ist.
311Die Voraussetzungen von § 21 StGB lagen hier nicht vor, sodass eine (weitere) Verschiebung des Strafrahmens hier ausscheidet.
312Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer erneut den geringen Wert und die spontane Tatbegehung berücksichtigt.
313Zulasten des Angeklagten hat die Kammer eingestellt, dass der Angeklagte vorbestraft war, wenn auch nicht einschlägig und nur in Form eines Strafausspruchs per Strafbefehl, dafür aber die Strafe zeitlich nur kurz vor der Tat ausgesprochen worden war.
314Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer daher eine Geldstrafe von
31590 Tagessätzen à 15 EUR
316als tat- und schuldangemessen.
317(2) Fall 5
318Nach § 52 Abs. 2 StGB wird die Strafe bei Tateinheit nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen. Hierbei sind Strafrahmenverschiebungen zu berücksichtigen.
319Die Kammer hat im Hinblick auf den Diebstahl mit Waffen wiederum einen minder schweren Fall nach § 244 Abs. 3 StGB angenommen, da es sich wie im Fall 4 um eine Ware von sehr geringem Wert handelte und der Angeklagte nicht planvoll vorgegangen ist.
320Zudem hat die Kammer in Ausübung ihres Ermessens eine Strafrahmenverschiebung sowohl des minder schweren Falls des Diebstahls mit Waffen als auch der Körperverletzung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen. Hierbei hat die Kammer maßgeblich bemessen, dass der Tatentschluss wesentlich von der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten herbeigeführt wurde.
321Die Strafe bestimmt sich daher nach dem verschobenen Strafrahmen der Körperverletzung unter Berücksichtigung des höheren Mindeststrafrahmens des (doppelt gemilderten) Diebstahls mit Waffen von einem Monat.
322Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer die alkoholbedingte Enthemmung beachtet. Außerdem hat die Kammer erneut berücksichtigt, dass es sich bei den gestohlenen Bierdosen um Gegenstände von geringem Wert handelte und die Tatausführung maßgeblich von der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten beeinflusst war, was mit geringerem Wert zu beachten war.
323Zulasten des Angeklagten hat die Kammer die tateinheitliche Begehung berücksichtigt. Die Tatfolgen der Körperverletzung bei der Zeugin FG. waren zudem enorm und beeinträchtigen diese noch heute gewichtig in ihrer Lebensführung und Arbeit. Gegen den Angeklagten sprach weiter auch, dass die Tatausführung auch unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsstörung angesichts der Situation überraschend und überzogen aggressiv erfolgte. Außerdem war der Angeklagte durch Strafbefehl, der zudem erst kurz vorher ergangen war, vorbestraft.
324Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer daher eine Freiheitsstrafe von
325einem Jahr und vier Monaten
326als tat- und schuldangemessen.
327b) Komplex „Innenstadt“ (Fall 6)
328Nach § 52 Abs. 2 StGB wird die Strafe bei Tateinheit nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen. Hierbei sind Strafrahmenverschiebungen zu berücksichtigen.
329(1) Der Angeklagte hat im Hinblick auf den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) und den tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) an sich jeweils das Regelbeispiel des besonders schweren Falls verwirklicht, da er ein Cuttermesser und damit ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führte, § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB bzw. i.V.m. § 114 Abs. 2 StGB. Der Strafrahmen beträgt Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
330Die Indizwirkung des Regelbeispiels wird nach Auffassung der Kammer hier zwar nicht durch andere allgemeine Strafzumessungsfaktoren kompensiert. Eine solche Kompensation kann angenommen werden, wenn strafmildernde Umstände vorliegen, die jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung aller Faktoren die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften und die Anwendung des Strafrahmens des besonders schweren Falles unangemessen erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 09.05.2001 – 3 StR 36/01 –, Rn. 5 (juris)). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die – im Rahmen der konkreten Strafzumessung näher erörterten – strafmildernden Umstände die strafschärfenden nicht erheblich überwiegen.
331Allerdings geht die Kammer unter Einbeziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB von einer Widerlegung der Indizwirkung aus. Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und deren Auswirkungen auf die Taten ist aus Sicht der Kammer die Vorwerfbarkeit für den Angeklagten so gemildert, dass die Anwendung des Regelbeispiels unangemessen erscheint.
332In dem Fall, in dem erst die Einbeziehung des vertypten Milderungsgrundes zur Annahme eines minder schweren Falls führt, ist zu prüfen, ob dies für den Angeklagten günstiger ist als die Ablehnung des minder schweren Falls und nachträgliche Anwendung des vertypten Milderungsgrundes (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 50 Rn. 5). Eine doppelte Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes kann nach § 50 StGB dann nämlich nicht stattfinden. Doch auch bei dem Vorliegen eines Regelbeispiels tritt ein Verbrauch des vertypten Milderungsgrundes unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 50 StGB ein, wenn erst unter dessen Heranziehung die Indizwirkung widerlegt ist (BGH NJW 1986, 1699; BGH NStZ 2004, 200 Rn. 8; BGH NStZ 2015, 218). Die Kammer hatte daher zu prüfen, was für den Angeklagten günstiger ist.
333Für den Strafrahmen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB ist es demnach günstiger für den Angeklagten, wenn die Indizwirkung des Regelbeispiels unter Verbrauch des vertypten Milderungsgrundes als widerlegt angenommen wird und es beim Regelstrafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verbleibt. Der ungünstigere Strafrahmen des nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschobenen besonders schweren Falles hingegen betrüge Freiheitstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren und neun Monaten.
334Für die Strafbarkeit nach § 114 StGB ist es hingegen günstiger für den Angeklagten, wenn der besonders schwere Fall nicht unter Verbrauch des § 21 StGB als widerlegt bewertet wird (und es damit beim Regelstrafrahmen des § 114 Abs. 1 StGB von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bliebe), sondern es erst anschließend zu einer Strafrahmenverschiebung (des Strafrahmens des besonders schweren Falls) nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB kommt, der dann Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren und neun Monaten beträgt. Dieses Vorgehen erachtet die Kammer auch unter Berücksichtigung der Tatumstände und der Persönlichkeit des Angeklagten als angezeigt.
335Die Kammer ist demnach von der jeweils dem Angeklagten günstigeren Möglichkeit ausgegangen.
336(2) Auch bei der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 StGB hat die Kammer zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Dies ist bei alleiniger Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen nicht der Fall. Die mildernden Umstände überwiegen nicht derart, dass der Regelstrafrahmen nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Hierbei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass der Angeklagte einschlägig per kurz zuvor ergangenem Strafbefehl vorbestraft war (§ 223 StGB) und die Verletzung im besonders sensiblen Gesichtsbereich, nahe dem Auge erfolgte. Unter Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrund des § 21 StGB wäre aus Sicht der Kammer ein minder schwerer Fall anzunehmen, doch ist auch hier der Verbrauch, § 50 StGB, im konkreten Fall ungünstiger für den Angeklagten. Zwar ist das Höchstmaß geringer (fünf Jahre Freiheitsstrafe statt sieben Jahre sechs Monate). Das Mindestmaß ist indes geringer (ein Monat Freiheitsstrafe statt drei Monate). Unter Gesamtabwägung der Tatumstände und der Persönlichkeit des Angeklagten geht die Kammer davon aus, dass die Strafe, wie in der konkreten Strafzumessung genauer begründet, sich eher in der unteren Hälfte der Strafrahmen halten wird und daher die durch die geringere Untergrenze geschaffene Möglichkeit für die Strafzumessung von größerer Relevanz ist.
337Die Kammer hat es daher beim Regelstrafrahmen belassen und diesen in Ausübung ihres Ermessens nach §§ 21, 49 Abs.1 StGB verschoben. Hierbei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass auch bei der Körperverletzung die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten wesentlich zur Tat beigetragen hat.
338(3) Nach den obigen Ausführungen ist die Kammer daher vom demnach schwersten verschobenen Strafrahmen der gefährlichen Körperverletzung ausgegangen.
339Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer eine alkoholbedingte Enthemmung einbezogen. Mit besonderem Gewicht hat die Kammer außerdem beachtet, dass der Angeklagte in Folge des Vorfalls schwerste, dauerhafte Verletzungen durch den Schusswaffeneinsatz der Beamten davongetragen hat und sich kurzzeitig sogar in Lebensgefahr befand. Die Kammer ist sich bewusst, dass der Angeklagte aufgrund der erheblichen Verletzungen dauerhaft in seiner Lebensführung immens beeinträchtigt sein wird und insbesondere der Gebrauch der dominanten rechten Hand nahezu aufgehoben ist und eine Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erwartet werden kann. Auch die operativ vorgenommene Handverschmälerung und Teilamputation und die nach wie vor erlebten Schmerzen in der rechten Hand hat die Kammer einbezogen. Darüber hinaus hat die Kammer auch einbezogen, dass der Angeklagte zudem aufgrund einer schussbedingt eingetretenen Nervenverletzung unter einer Fußhebeschwäche leidet und auf eine Orthese angewiesen ist. Zudem hat die Kammer erneut – wenn auch mit geringerem Gewicht – die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und deren Einfluss auf die Tat berücksichtigt.
340Zulasten des Angeklagten hat die Kammer die tateinheitliche Verwirklichung berücksichtigt und dass er zum Zeitpunkt der Tat einschlägig per Strafbefehl vorbestraft war. Der Strafbefehl ist zudem erst kurz vorher ergangen, sodass eine hohe Rückfallgeschwindigkeit vorlag. Auch hat die Kammer die lange Dauer des Geschehensablaufs berücksichtigt, in der sich der Angeklagte den Weisungen der Polizeibeamten widersetzte. Im Hinblick auf die gefährliche Körperverletzung hat die Kammer – wie bereits ausgeführt – außerdem berücksichtigt, dass diese im sensiblen Gesichtsbereich erfolgte.
341Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer daher eine Freiheitsstrafe von
342zwei Jahren
343als tat- und schuldangemessen.
344c) Gesamtstrafe
345Die Kammer hatte sodann diese Einzelstrafen unter nochmaliger zusammenfassender Würdigung der Person des Angeklagten und der einzelnen Straftaten und unter erneuter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände durch angemessene Erhöhung der höchsten Einzelstrafe auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen, § 54 StGB:
346Die Einsatzstrafe bildet die hier schwerste verwirklichte Strafe des Falls 6.
347Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer den für die Fälle 4 und 5 vorliegenden sehr engen und für den hieran anschließenden Fall 6 engen zeitlichen und situativen Zusammenhang berücksichtigt. Auch hat die Kammer wiederum mit geringerem Gewicht berücksichtigt, dass die Taten 5 und 6 wesentlich von der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten beeinflusst waren. Außerdem war von einer alkoholbedingten Enthemmung auszugehen. Erneut hat die Kammer aber insbesondere die bereits dargestellten schwerwiegenden Verletzungen und dauerhaften Folgen für den Angeklagten aus den Schussverletzungen im Fall 6 zu seinen Gunsten berücksichtigt, was die konkrete Strafzumessung der Kammer wesentlich geleitet hat.
348Zulasten des Angeklagten hat die Kammer bemessen, dass dieser einschlägig und erst kurz vor der Tat mit einem Strafbefehl vorbestraft war. Auch hat die Kammer erneut insbesondere die bei der Zeugin FG. schweren eingetretenen Folgen der Tat berücksichtigt.
349Unter erneuter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer daher eine Gesamtfreiheitsstrafe von
350zwei Jahren und fünf Monaten
351als tat- und schuldangemessen.
3523. § 63 StGB
353Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus war gem. § 63 StGB anzuordnen. Der Angeklagte hat rechtswidrige Taten im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit begangen. Im Zeitpunkt der Taten war seine Steuerungsfähigkeit aufgrund der nach wie vor bestehenden schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung erheblich vermindert. Infolge dieser schweren seelischen Störung besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte ähnliche Straftaten begehen würde, wenn nicht seine Unterbringung angeordnet wird.
354a) Wahrscheinlichkeit zukünftiger Taten
355Nach der Rechtsprechung ist erforderlich, dass zukünftig Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten sind (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 63 Rn. 35).
356Dies ist der Fall. Die insoweit erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und muss sich darauf erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands in Zukunft drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung; auch lange zurückliegenden Taten kann eine indizielle Bedeutung zukommen (BGH, Urt. v. 17.2.2022 – 4 StR 380/21).
357(1) Die Kammer schließt sich in eigener Überzeugung den entsprechenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. KG. an. Diese hat ausgeführt, dass unbehandelt Taten ähnlicher Art vom Angeklagten zu erwarten sind, wenn entsprechende Konfrontationssituation aufträten. Dass der Angeklagte in solche Situation gerate, sei durch das erlernte Verhaltensmuster von diesem mittlerweile billigend in Kauf genommen. Außerdem könne es dazu kommen, dass er sich in Phasen geringen Selbstwertgefühls entsprechende Situation suche, um ein Machtgefühl erreichen zu können. Statistisch liege bei den begangenen Taten zudem eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit vor. Ebenfalls wirke sich negativ aus, dass mehrere Delikte des gleichen Musters begangen worden seien. Auch der Substanzkonsum wirke sich ungünstig auf die Legalprognose aus. Bisherige Therapieversuche oder -ansätze hätten zudem nicht zu einer Verbesserung geführt. Im Gegenteil habe sich der Angeklagte mit Zuspitzung auf die letzte Tat (Fall 6) zunehmend destabilisiert und in seinen Lebensumständen labil gezeigt. Auch sei kein Empathieempfinden beim Angeklagten festgestellt werden können, stattdessen begebe sich dieser in eine Opferrolle. Die Sachverständige nahm hierzu Bezug auf ihren ersten Termin mit dem Angeklagten, bei dem ein kurzes Gespräch stattfinden konnte und er sich im Hinblick auf die Tat Fall 6 entsprechend geäußert habe. Zudem sei die Persönlichkeitsstörung generell schwer behandelbar.
358Es war auch von einem Fortbestehen der Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und einem bedeutenden Gewicht dieser Faktoren in künftigen Risikosituationen auszugehen (BGH, Urt. v. 17.2.2022 – 4 StR 380/219. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass eine Krankheitseinsicht derzeit gerade nicht bestehe, obwohl der Angeklagte unbehandelt hohe Einschränkungen in Kauf nehmen müsse, z. B. keinen Beruf und keine Partnerschaft habe. Bei Persönlichkeitsstörungen sei dennoch das Problem, dass die Nachteile nicht als Leidensdruck empfunden würden und die Therapiebereitschaft ebenso wie die Krankheitseinsicht daher benachteiligt würden. Auch der Angeklagte sehe sich in einer Opferrolle und grenze sich von den schuldigen Anderen ab. Der angenommenen fehlenden Krankheitseinsicht stehe auch nicht entgegen, dass der Angeklagte zuletzt ein Gespräch mit der Therapeutin in der vorläufigen Unterbringung in Anspruch genommen habe, da dahingehend ein schwankendes Verhalten des Angeklagten bekannt sei. Die Kammer stützt sich in Bestätigung hierzu auch darauf, dass der Angeklagte zunächst eine orthopädische Begutachtung abgelehnt, nach Erstattung des Gutachtens dann aber einer Exploration zugestimmt hat. Die Sachverständige konnte auch nicht ausschließen, dass die spontane Teilnahme an dem Gespräch mit der Therapeutin aufgrund der laufenden Hauptverhandlung strategisch in Anspruch genommen wurde.
359Auch ergaben sich keine stabilisierenden Faktoren, die bei einer Gefährlichkeitsprognose günstig Beachtung finden können. Der Angeklagte kann nicht auf einen geeigneten sozialen Empfangsraum zurückgreifen, hat keine Arbeitsstelle oder Berufsausbildung, keinen Freundeskreis und keine Bleibe. Eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt ist nicht zu erwarten, da diese auch in den letzten Jahren allenfalls übergangsweise erfolgte.
360Es war auch nicht davon auszugehen, dass aufgrund der lang andauernden Freiheitsentziehung, zunächst in Form der Untersuchungshaft und dann in Form der vorläufigen Unterbringung bereits eine ausreichende Verhaltensänderung des Angeklagten anzunehmen wäre, die sich auf die Prognoseentscheidung im Rahmen des § 63 StGB positiv auswirkt. Dem steht schon entgegen, dass der Angeklagte nach wie vor unbehandelt ist und von einer weitgehend krankheitsbedingten Tatbegehung ausgegangen wird.
361(2) Der Prognose der Kammer steht die aufgrund der erlittenen Verletzungen erheblich eingeschränkte körperliche Konstitution des Angeklagten nicht (ausreichend) entgegen.
362Unter Berücksichtigung der Ausführungen der hierzu herangezogenen Sachverständigen Dr. GR., Dr. IM. und Prof. Dr. KF. kommt die Kammer zu der Überzeugung, dass der Angeklagte dennoch über körperliche Fähigkeiten verfügt, um ausreichend gefährliche insbesondere Körperverletzungstaten zu begehen.
363Zu den einzelnen Beeinträchtigungen:
364aa) Zur rechten Hand haben die orthopädischen Sachverständigen Dr. GR. (nach Aktenlage) und insbesondere Dr. IM. (nach Exploration des Angeklagten) ausgeführt:
365Die rechte Hand des Angeklagten sei operativ aufgrund der knöchernen Verletzungen im vierten und fünften Strahl (Ring- und kleiner Finger) verschmälert worden. Die Greiffunktion sei hierdurch erheblich eingeschränkt. Größere Gegenstände seien vermutlich nicht greifbar. Der Sachverständige Dr. IM. ergänzte hierzu nach der Begutachtung des Angeklagten, dass die Gelenke bis zur Kuppe angesteuert werden konnten, ein Pinzettengriff aber nicht wirklich möglich gewesen sei.
366Der neurologische Gutachter hat angegeben, dass alle drei Nerven, die zur rechten Hand führten, nach seiner Testung funktionsfähig seien. Eine Einschränkung sei daher weniger aus neurologischer Sicht gegeben als aufgrund der anatomischen Veränderung. Die Hand könne aber keine messbare Kraft mehr aufbauen; bei dem Test habe der Angeklagte den hierzu bestimmten Ball nicht festhalten können, was er auch auf die nur noch erhaltene dreistrahlige Hand zurückführe; für einen Kraftaufbau hätte er ihn weiter umgreifen müssen, was ihm nicht möglich gewesen sei. Dies deckte sich mit den Ergebnissen der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. IM.. Der Angeklagte selbst habe gegenüber ihm, Prof. Dr. KF., angegeben, dass die rechte Hand im Alltag funktionslos sei, er gehe aber davon aus, dass diese jedenfalls unterstützend zur einfachen Fixierung eingesetzt werden könne. Auch der Neurologe kam – wie die Orthopäden – zu dem Schluss, dass ein Festhalten größerer oder schwerere Gegenstände mit der rechten Hand nicht mehr möglich sein dürfte.
367Übereinstimmend gaben die Sachverständigen an, dass eine reine Führungsfunktion mit der rechten Hand indes ausführbar sei.
368bb) Zu den Beeinträchtigungen der linken Hand gaben die orthopädischen Sachverständigen an, dass aus medizinischer Sicht eine nur geringe Einschränkung gegeben sei. Hier sei davon auszugehen, dass die Grifffunktion zwar reduziert, aber grundsätzlich erhalten sei. Es sei davon auszugehen, dass der Angeklagte auch größere Gegenstände halten könne, insbesondere da – anders als rechtsseitig – keine Handverschmälerung vorliege. Da die Feinmotorik weitestgehend über die nicht betroffenen Daumen und Zeigefinger bewältigt werde, sei auch diese weitgehend erhalten. Nach der Exploration hat der Gutachter Dr. IM. angeben, dass die einzelnen Gelenke der Finger angesteuert werden konnten. Eine Faust sei nicht vollständig schließbar gewesen, was an dem Implantat am dritten Mittelstrahl liegen könne.
369Der neurologische Gutachter hat ebenfalls angegeben, dass die linke Hand weniger beeinträchtigt sei, insbesondere, dass mangels Verschmälerung der Hand ein Umgreifen von Gegenständen besser möglich sei. Auch eine Faust könne der Angeklagte formen. Zur Kraftentwicklung hat der Sachverständige angegeben, dass diese mit 0,3 bar im Mittel gemessen werden konnte, was der unteren Norm einer – ebenfalls rechtshändigen – Frau entspreche. Dies deckte sich mit den Testergebnissen des Gutachters Dr. IM.. Die Fingerspreizung sei mittel- bis höhergradig eingeschränkt. Der Angeklagte könne die einzelnen Finger zum Daumen zum Pinzettengriff führen. Es sei auch eine Gefühlsstörung mit Einschränkung der Feinmotorik gegeben.
370Er habe bei der sogenannten Neurografie, die sich die Kammer im Einzelnen hat erläutern lassen, feststellen können, dass eine Schädigung eines außenseitigen Nervs am Unterarm vorgelegen habe, die zeitlich mit den Schussverletzungen in Einklang zu bringen sei. Es sei auch feststellbar gewesen, dass eine Nerverholung bereits stattgefunden habe, sodass nicht von einer höhergradigen Schädigung auszugehen sei. Auch bei der Elektromyografie, die er nach der Methodik ebenfalls erläutert hat, sei keine hochgradige Nervenschädigung feststellbar gewesen.
371cc) Zur Verletzung des am linken Knie verlaufenden Nervs, der zu der Fußhebeschwäche führt, haben die orthopädischen und der neurologische Sachverständigen übereinstimmend angegeben, dass dies zu einer Beeinträchtigung in der dynamischen Bewegung, nicht aber des zweibeinigen Stands führt. Bei einem einbeinigen Stand sei von einer verminderten Standfestigkeit auszugehen; dennoch sei aus medizinischer Sicht nach dem Gutachter Dr. GR. davon auszugehen, dass dem Angeklagten Tritte weiter möglich seien. Bei Schlägen sei von einer Kraftminderung auszugehen, da die Kraft auch aus dem Rumpf erfolge.
372dd) Zu dem Ergebnis der nach wie vor bestehenden Gefährlichkeit kommt die Kammer im Wesentlichen in Anschluss an die folgenden gutachterlichen Erwägungen, denen sich die Kammer in eigener Bewertung anschließt:
373Weder der Gutachter Dr. IM. noch der Gutachter Prof. Dr. KF. konnten in ihrer Exploration Anhaltspunkte dafür finden, dass der Schultergürtel oder die Ellenbogen in ihrer Funktion eingeschränkt sind. Im Gegenteil ergab sich hier nach der Exploration eine vollständige Beweglichkeit und Kraftentwicklung. Der Sachverständige Dr. IM. hat hierzu angegeben, dass auf der üblichen Skala von 0-5 Janda eine 5 (Maximalwert) erreicht werden konnte, was einem Kraftaufbau gegen Widerstand entspräche. Der Gutachter Prof. Dr. KF. hat bezugnehmend auf seine Erfahrung aus der Rehabilitationsklinik angegeben, dass Patientinnen und Patienten mit stark beeinträchtigten Händen, z. B. nach einem Schlaganfall, leicht Strategien entwickeln können dies auszugleichen, wenn die Kraft in den Schultern und dem Rumpf vorhanden ist. Auch sei für einen Schlag allein eine Kraftentwicklung aus der Schulter und dem Ellenbogen denkbar. Dies gelte auch trotz der Beeinträchtigung am linken Bein. Auch der Sachverständige Dr. IM. hat angegeben, dass für eine Schlagausführung die Kraft und Bewegung wesentlich aus dem Ellenbogen und der Schulter erzeugt werde, sodass der Nervenschaden am Bein keine Relevanz habe. Insoweit sei eine Beeinträchtigung des Angeklagten nicht gegeben und die Bewegungsausführung möglich, sowie die Kraftentwicklung nicht eingeschränkt.
374Im Anschluss daran geht die Kammer davon aus, dass dem Angeklagten Ellenbogenstöße und auch Schläge mit der – nicht angespannten – Hand weiterhin möglich sind, wobei sie sich hierbei insbesondere auf den Einsatz der linken Hand bezieht, mit der der Angeklagte eine Kraftentwicklung im – wenn auch unteren – Normbereich aufbauen konnte. Die orthopädischen Gutachter haben zudem angegeben, dass ein Schlag mit der rechten Hand trotz der Einschränkungen aus medizinischer Sicht denkbar sei, wenn dieser auch nicht mit einer geschlossenen Faust erfolgen könne. Die Kammer hat hierbei auch berücksichtigt, dass nach der Angeklagte in den Fällen 2 und 4 und der einbezogenen Vorstrafe die Faustschläge bzw. den Steinwurf ins Gesicht unter Ausnutzung eines Überraschungsmoments ausgeübt hat und auch bisher nicht feststellbar war, dass der Angeklagte bei der Wahl seiner Opfer darauf bedacht war objektiv überlegen zu sein. Unter Einbeziehung der Annahme, dass eine ähnliche Vorgehensweise nach den obigen Ausführungen weiter zu erwarten ist, geht die Kammer davon aus, dass die dem Angeklagten erhaltenen körperlichen Möglichkeiten zu ausreichend gefährlichen Verletzungen führen können, insbesondere Ellenbogenhiebe, Unterarmschläge, Schläge mit der offenen oder teilgeschlossenen Hand. Weiter war im Hinblick auf die Gefährlichkeit zu beachten, dass der Angeklagte in den genannten Fällen auf den Kopf der oder des jeweils Geschädigten gezielt hat, woraus sich eine besondere Gefahr der sensiblen Kopf- oder Augenbereiche ergibt. Die Zeugin OM. hat außerdem glaubhaft berichtet, dass der Angeklagte in der vorläufigen Unterbringung Pflegepersonal geschlagen und gebissen hat.
375Auch geht die Kammer davon aus, dass eine Gefährlichkeit sich weiter aus der Zuhilfenahme von gefährlichen Gegenständen ergibt, von denen der Angeklagte auch bisher – wie festgestellt – Gebrauch gemacht hat. Die Ausführungen der Sachverständigen ergaben insoweit, dass dem Angeklagten jedenfalls mit der linken Hand eine ausreichende Kraft und Motorik verblieben ist, um einen für Verletzungen geeigneten Gegenstand zu führen, was nicht nur für kleinere (Messer o. ä.), sondern auch größere Gegenstände gilt. Dass der Angeklagte Rechtshänder ist, führt nach Auffassung der Kammer nicht zu einer anderen Bewertung. Bei den vom Angeklagten zu erwartenden Tatbegehungen kommt es auf eine besondere feinmotorische Führung der Hand nicht an. Für eine grobe gezielte Stich- oder Schnittverletzung sind die Fähigkeiten der nicht dominanten Hand ohne weiteres ausreichend.
376Die Kammer hat außerdem Fotos einer Zahnbürste in Augenschein genommen, die der Angeklagte in der LVR-Klinik in der vorläufigen Unterbringung angespitzt hat. Die Zeugin OM. hat hierzu angegeben, dass der Angeklagte behauptet habe sich von einem Mitpatienten bedroht zu fühlen und dies zur Verteidigung angefertigt habe. Ein Kontakt zu dem Mitpatienten sei indes nicht feststellbar gewesen, sodass die Bedrohungslage nicht nachvollziehbar sei. Auf den Fotos war ersichtlich, dass der Bürstenkopf entfernt wurde und an beiden Enden eine der Bürstengriff angespitzt wurde, was entgegen der Angabe des Angeklagten nach Überzeugung der Kammer nicht mit den Zähnen erfolgt sein kann, da die Kanten gleichmäßig sind und Bisspuren oder einer Zerfaserung nicht erkennen lassen. Der Sachverständige Prof. Dr. KF. hat hierzu angegeben, dass er es für machbar halte, dass der Angeklagte dies könne, es aber einer gewissen Beharrlichkeit bedurft habe. Die Kammer schließt hieraus, dass der Angeklagte bereits Strategien entwickelt hat, um auch feinmotorische Anforderungen erfüllen zu können, wenn sie ihn auch mehr Kraft, Mühe und Zeit kosten. Aus den geschilderten Vorfällen schließt die Kammer zudem ergänzend, dass der Angeklagte nach wie vor bereit ist aktiv aggressiv zu reagieren.
377b) Erheblichkeit
378Es muss sich weiter um zu erwartende Taten handeln, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Angesichts des äußerst belastenden Charakters der Maßregel nach § 63 StGB und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) ist die Anordnung nur bei solchen Störungen des Rechtsfriedens verhältnismäßig, die mindestens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 63 Rn. 26 f.). Straftaten, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, können dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden; insbesondere Gewalt- und Aggressionsdelikte zählen, soweit es sich nicht um bloße Bagatellen handelt, regelmäßig zu den erheblichen Straftaten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB (BGH (2. Strafsenat), Urteil vom 06.12.2023 – 2 StR 276/23).
379Dies ist vorliegend gegeben. Nach den Feststellungen sind sowohl die begangenen Taten als auch die zu erwartenden gleichgelagerten Taten dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen.
380Die begangenen und zu befürchtenden gefährlichen Körperverletzungen (Fall 2, 6) sind dem Bereich aufgrund der Straferwartung ohne Weiteres zuzurechnen. Gleiches gilt aber auch für die einfache Körperverletzung (Fall 5), die sich wie in Fall 2 und 6 gegen den besonders sensiblen Kopfbereich richtete. Faustschläge ins Gesicht sind in der Regel bereits der mittleren Kriminalität zuzurechnen, insbesondere dann, wenn sie – wie vorliegend – Verletzungen zur Folge haben, die ärztlich versorgt werden müssen (hierzu BGH (2. Strafsenat), Urteil vom 06.12.2023 – 2 StR 276/23; BGH, Urt. v. 17.2.2022 – 4 StR 380/21). Die Kammer zieht hierbei außerdem den nachträglich in die Gesamtstrafe einbezogenen Fall der Vorstrafe heran; auch in diesem Fall richtete sich der Faustschlag des Angeklagten gegen den Kopf des Zeugen R..
381Im Rahmen der Erheblichkeit war außerdem zu beachten, dass vom Angeklagten entsprechend der begangenen Taten und der geschilderten Einwirkung der Persönlichkeitsstörung Taten zu erwarten sind, die Zufallsopfer im öffentliche Raum treffen können. Denn erheblich können insbesondere Taten sein, die Zufallsopfer im öffentlichen Raum treffen und zu erheblichen Einschränkungen in der Lebensführung des Opfers oder sonst schwerwiegenden Folgen führen; denn derartige Taten sind in hohem Maße geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (BGH, Urt. v. 17.2.2022 – 4 StR 380/21). Hierzu wird insbesondere Bezug auf die Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin FG. genommen, die – anders als die Ordnungs- und Polizeibeamten – nicht auf ihr begegnende Gewalt im Rahmen ihrer Berufsausübung grundsätzlich eingestellt war. Da als krankheitsbedingter Anlass einer zu erwartenden Tat eine erlebte Kränkung des Angeklagten anzunehmen ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese auch zufällige Opfer im öffentlichen Raum betreffen kann, die den Angeklagten zurechtgewiesen oder gemaßregelt haben.
382c) Symptomatischer Zusammenhang
383Die weiteren Taten müssen vom Täter infolge seines Zustands zu erwarten sein. Die zu erwartenden Taten müssen auf derselben psychischen Störung beruhen wie die Anlasstat und sich als Folgewirkung dieses Zustands darstellen (Fischer, StGB 71. Aufl. 2024, § 63 Rn. 37).
384Dies ist nach Ansicht der Kammer in Anschluss an die Ausführungen der Sachverständigen Dr. KG. der Fall. Anlass und damit maßgeblicher Gesichtspunkt der zu erwartenden Taten ist demnach eine vom Angeklagten erlebte Kränkung bzw. Durchsetzung seines aufgrund der Persönlichkeitsstörung unkorrigierbaren eigenen Rechtesystems, die zur einer überzogenen aggressiven Reaktion führt, um sich in seiner Persönlichkeit stabilisieren zu können.
385VI.
386Einziehung
387Das bei der Tat Fall 4 mitgeführte und bei der Tat Fall 5 benutzte Teppichmesser hat die Kammer nach Ausübung des nach § 74 StGB gegebenen Ermessens eingezogen.
388Bei dem Messer handelt es sich um eine Tatmittel, das dem Angeklagten im Zeitpunkt der Entscheidung zustand. Bei der Ausübung des Ermessens hat die Kammer insbesondere beachtet, dass es sich bei dem Gegenstand um einen solche von lediglich geringem Wert handelt.
389VII.
390Kosten
391Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens, § 465 Abs. 1 StPO, sowie die Kosten der Nebenklage, § 472 StPO.