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I. Die Beklagte wird verurteilt, unter Vorlage schriftlicher Belege über Art und Umfang der nachfolgend bezeichneten Handlungen, soweit diese im Zeitraum bis zum 09.06.2018 erfolgt sind, Auskunft zu erteilen
Das Anbieten oder Inverkehrbringen von Antikörpern, auch soweit die Beklagte diese Handlungen durch Dritte vornehmen gelassen hat, wenn die Antikörper auf der Grundlage von Informationen über die Aminosäuresequenzen der variablen Regionen von Antikörpern der Klägerin hergestellt wurden und die Beklagte diese Informationen durch ein Reverse WD. vor 09.06.2018 erlangt hat, wenn dies geschehen ist wie nachfolgend abgebildet
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II. Die Beklagte wird ferner verurteilt, in Bezug auf die vorgenannten Handlungen Rechnung zu legen über
1. sämtliche Personen und Unternehmen, denen die Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin weitergegeben wurden;
2. Zeitpunkte der Weitergabe der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin;
3. Angaben über die Verwertung der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin, insbesondere Angaben darüber, welche Antikörper die Beklagte auf der Grundlage der Informationen hergestellt hat oder hat herstellen lassen;
4. Umsatz und Gewinn, den die Beklagte mit den Antikörpern sowie mit Produkten, die die Antikörper enthalten, erzielt hat, die sie auf der Grundlage der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin hergestellt hat oder hat herstellen lassen, aufgegliedert nach einzelnen Antikörpern, Zeiträumen und Regionen;
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr aufgrund der in Ziff. I. genannten Handlungen, soweit diese im Zeitraum bis zum 09.06.2018 erfolgt sind, entstanden sind und/oder zukünftig entstehen werden.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
V. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 90 %, die Beklagte zu 10 %.
VI. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Höhe der Sicherheit beträgt für die Vollstreckung aus dem Tenor zu Ziffer I. und II. 15.000 EUR, im Übrigen 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
Tatbestand
2Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich Biotechnologie. Die Klägerin, die ihren Geschäftssitz in den USA hat, entwickelt, produziert und vertreibt Antikörper an Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen weltweit. Die Beklagte stellt Reagenzien und Geräte für die zellbiologische und immunologische Forschung her.
3Antikörper haben die Eigenschaft Krankheitserreger einzuhüllen, um sie so für das Immunsystem als Krankheitserreger zu markieren, oder an ihre Antigene anzudocken und sie so unschädlich zu machen. Antikörper werden üblicherweise zunächst aus Mäusen entwickelt und dann dahingehend modifiziert („humanisiert“), dass ihre Bestandteile durch Materialen (Aminosäuresequenzen) menschlicher Herkunft ersetzt werden, um sie auf den Menschen anwenden zu können.
4Die Beklagte erwarb die Antikörper T. und A.-SP (G.) der Klägerin u.a. durch Bestellungen vom 09.03.2016, 02.08.2016 und 18.08.2016 und im Jahr 2017 bei einer deutschen Vertriebsgesellschaft der Klägerin, der U.-W. GmbH. Außerdem erwarb die Beklagte die Antikörper S. und X.-100 (Q.) der Klägerin bei der benannten deutschen Vertriebsgesellschaft. Insgesamt erfolgten mindestens 28 Bestellungen der streitgegenständlichen Antikörper durch die Beklagte im Zeitraum von 2007 bis 2019.
5Die Beklagte bietet verschiedene Versionen des G. Antikörpers, der aus dem Klon E. hergestellt wird, und des Q. Antikörpers an. Ein Klon V. der Beklagten wird bereits in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung aus August 2014 erwähnt. Die Klägerin analysierte Antikörper der Beklagten der vorgenannten Typen im Rahmen eines „TZ. DM. Reports“ im November 2019. Daraufhin mahnte sie die Beklagte mit Schreiben vom 03.04.2020 ab und forderte sie unter Fristsetzung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.
6Die Klägerin behauptet, dass sie umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz ihrer Labors, in denen Antikörper entwickelt werden, in den USA treffe. Der Vertrieb der Antikörper der Klägerin erfolge nur stark reglementiert. Der Käufer müsse ein Nutzerkonto anlegen; unter anderem müsse der Käufer angeben, bei welcher Forschungsinstitution er aktiv sei. In Deutschland habe sich die Klägerin jedoch vornehmlich auf den nach alter Rechtslage durch den Gesetzgeber gewährten Schutz verlassen. Nach Inkrafttreten neuer europäischer Vorschriften habe sie bezüglich ihrer deutschen Vertriebsgesellschaft eine allgemeine Geschäftsbedingung aufgenommen, die Reverse WD. verbiete und weitere Schutzmaßnahmen getroffen. Jedenfalls habe sie Erwerber aber schon vor diesem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass ihre Antikörper nur zu Forschungszwecken erworben werden dürften – „for research purposes only“. Ihre Antikörper mit einem technischen Kopierschutz („zusätzliche Proteinsequenzen“) zu versehen, sei nicht möglich, weil diese dann nicht mehr zu Forschungszwecken verwendet werden könnten.
7Als die Beklagte sich die Antikörper T. und A.-SP (G.) der Klägerin anlässlich Bestellungen u.a. vom 09.03.2016, 02.08.2016 und 18.08.2016 bei der deutschen Vertriebsgesellschaft der Klägerin beschafft habe, seien auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin einbezogen worden. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, die der Käufer akzeptieren müsse, beinhalteten seit 2016 eine Klausel, die ein sogenanntes „Reverse WD.“ verbiete. Zum näheren Inhalt der Klausel wird auf Bl. 15 d. A. verwiesen.
8Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte ihre Antikörper, die Klone V. (Q.) und E. (G.), durch Reverse WD. kopiert habe. Es handele sich um eine, zumindest in Teilen des Antikörpers, nämlich den entscheidenden sogenannten variablen Sequenzen, identische Kopie des Antikörpers T. und A.-SP und des Antikörpers S. und X.-100 der Klägerin. Schon bei dem in der Publikation aus 2014 erwähnten Klon V. der Beklagte handele es sich schließlich die Kopie des klägerischen Antikörpers. Die Beklagte müsse die Kopien der Antikörper daher bereits 2014 durch Reverse WD. erlangt haben.
9Die Klägerin behauptet weiter, der Vorgang des Kopierens von Antikörpern durch Reverse WD. sei komplex. Die Antikörper müssten mittels eines Massenspektrometers in einem Speziallabor analysiert werden. Hierfür seien schätzungsweise Kosten in Höhe von 50.000 USD pro Antikörper erforderlich. Erst in jüngster Zeit seien die Kosten erheblich verringert worden. Seit 2017/2018 seien 10.000 bis 20.000 USD pro Antikörper realistisch.
10Ferner behauptet die Klägerin, aus dem Veröffentlichungszeitpunkt der o.g. Publikation sowie den Zeitpunkten des Erwerbs ihrer Antikörper durch die Beklagte ergebe sich einen Vertrieb der streitgegenständlichen Antikörper durch die Beklagte vor dem Inkrafttreten des GeschGehG bzw. dem 09.06.2018, dem spätesten Umsetzungszeitpunkt für die Richtlinie (EU) 2016/943. Sie ist der Auffassung, die Beklagte treffe insoweit jedenfalls eine sekundäre Darlegungslast zum Zeitpunkt des erstmaligen Vertriebs.
11Ursprünglich hat die Klägerin folgende Klageanträge angekündigt:
12I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
13Antikörper anzubieten oder in den Verkehr zu bringen oder diese Handlungen durch Dritte vorzunehmen zu lassen, wenn die Antikörper auf der Grundlage von durch Reverse WD. gewonnenen Informationen über die Aminosäuresequenzen von Antikörpern der Klägerin hergestellt wurden, insbesondere wenn dies geschieht wie nachfolgend abgebildet:
14(Es folgt die aus dem Tenor ersichtliche Einblendung.)
15II. Die Beklagte wird verurteilt, unter Vorlage schriftlicher Belege über Art und Umfang der in Ziff. I. bezeichneten Handlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über
161. Anzahl und konkrete Bezeichnung der Antikörper der Klägerin, einschließlich Angabe der Bestellnummer, von denen die Beklagte Informationen über die Aminosäuresequenzen durch Reverse WD. erlangt hat;
172. Zeiträume, in denen das Reverse WD. stattgefunden hat, aufgegliedert nach einzelnen Antikörpern der Klägerin;
183. Angaben über sämtliche Personen und Unternehmen, denen die Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin weitergegeben wurden;
194. Zeitpunkte der Weitergabe der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin;
205. Angaben über die Verwertung der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin, insbesondere Angaben darüber, welche Antikörper die Beklagte auf der Grundlage der Informationen hergestellt hat oder hat herstellen lassen;
216. Umsatz und Gewinn, den die Beklagte mit den Antikörpern sowie mit Produkten, die die Antikörper enthalten, erzielt hat, die sie auf der Grundlage der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin hergestellt hat oder hat herstellen lassen, aufgegliedert nach einzelnen Antikörpern, Zeiträumen und Regionen;
227. Anzahl und Umfang der Lagerbestände der Antikörper und der Produkte, die die Antikörper enthalten, welche die Beklagte auf der Grundlage der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin hergestellt hat oder hat herstellen lassen, aufgegliedert nach einzelnen Antikörpern.
23III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr aufgrund der in Ziff. I. genannten Handlungen entstanden sind und/oder zukünftig entstehen werden.
24IV. Die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziff. I. bezeichneten, im Besitz Dritter befindlichen Antikörper und Produkte, die die Antikörper enthalten, aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit Zustimmung der Beklagten Besitz an den Antikörpern und Produkten eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung von Geschäftsgeheimnissen der Klägerin erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Antikörper und Produkte an die Beklagte zurückzugeben, und den Dritten, für den Fall der Rückgabe der Antikörper und Produkte eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zuzusagen, und die Antikörper und Produkte endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, indem die Beklagte diese wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst.
25V. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter Ziff. I. bezeichneten Antikörper und Produkte, die die Antikörper enthalten, sowie die in ihrem Besitz und/oder Eigentum befindlichen Werbemittel mit Abbildungen und/oder Beschreibungen der genannten Antikörper und Produkte auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu beauftragenden und zur Vernichtung bereiten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
26VI. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 4.196,90 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
27VII. Der Klägerin wird gestattet, nach Rechtskraft des Urteils die Bezeichnung der Parteien und den Tenor (soweit er die Sachentscheidung enthält) sowie den erläuternden Hinweis, dass nach diesem Urteil die vorstehend unter Ziff. I. bezeichneten Handlungen die Geschäftsgeheimnisse der Klägerin verletzen, in einer Größe von 215mm x 285mm in der Rubrik „News“ der OW. WD. & MA. News (https://www.entfernt), hilfsweise in einer von der Klägerin zu bestimmenden vergleichbaren Fachpublikation auf Kosten der Beklagten öffentlich bekannt zu machen.
28Mit Schriftsatz vom 15.12.2020 hat die Klägerin einen neuen Klageantrag zu Ziff. VI hinzugefügt und den Klageantrag zu Ziff. I konkretisiert. Sie hat in der mündlichen Verhandlung folgende Anträge gestellt:
29I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
30Antikörper anzubieten oder in den Verkehr zu bringen oder diese Handlungen durch Dritte vorzunehmen zu lassen, wenn die Antikörper auf der Grundlage von Informationen über die Aminosäuresequenzen der variablen Regionen von Antikörpern der Klägerin hergestellt wurden und die Beklagte diese Informationen durch ein Reverse WD. vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen am 26.04.2019 erlangt hat, wenn dies geschieht wie nachfolgend abgebildet:
31(Es folgt die aus dem Tenor ersichtliche Einblendung.)
32II. Die Beklagte wird verurteilt, unter Vorlage schriftlicher Belege über Art und Umfang der in Ziff. I. bezeichneten Handlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über
331. Anzahl und konkrete Bezeichnung der Antikörper der Klägerin, einschließlichAngabe der Bestellnummer, von denen die Beklagte Informationen über die Aminosäuresequenzen durch Reverse WD. erlangt hat;
342. Zeiträume, in denen das Reverse WD. stattgefunden hat, aufgegliedert nach einzelnen Antikörpern der Klägerin;
353. Angaben über sämtliche Personen und Unternehmen, denen die Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin weitergegeben wurden;
364. Zeitpunkte der Weitergabe der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin;
375. Angaben über die Verwertung der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin, insbesondere Angaben darüber, welche Antikörper die Beklagte auf der Grundlage der Informationen hergestellt hat oder hat herstellen lassen;
386. Umsatz und Gewinn, den die Beklagte mit den Antikörpern sowie mit Produkten, die die Antikörper enthalten, erzielt hat, die sie auf der Grundlage der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin hergestellt hat oder hat herstellen lassen, aufgegliedert nach einzelnen Antikörpern, Zeiträumen und Regionen;
397. Anzahl und Umfang der Lagerbestände der Antikörper und der Produkte, die die Antikörper enthalten, welche die Beklagte auf der Grundlage der Informationen über die Aminosäuresequenzen der Antikörper der Klägerin hergestellt hat oder hat herstellen lassen, aufgegliedert nach einzelnen Antikörpern.
40III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihr aufgrund der in Ziff. I. genannten Handlungen entstanden sind und/oder zukünftig entstehen werden.
41IV. Die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziff. I. bezeichneten, im Besitz Dritter befindlichen Antikörper und Produkte, die die Antikörper enthalten, aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit Zustimmung der Beklagten Besitz an den Antikörpern und Produkten eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung von Geschäftsgeheimnissen der Klägerin erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Antikörper und Produkte an die Beklagte zurückzugeben, und den Dritten, für den Fall der Rückgabe der Antikörper und Produkte eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zuzusagen, und die Antikörper und Produkte endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, indem die Beklagte diese wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst.
42V. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter Ziff. I. bezeichneten Antikörper und Produkte, die die Antikörper enthalten, sowie die in ihrem Besitz und/oder Eigentum befindlichen Werbemittel mit Abbildungen und/oder Beschreibungen der genannten Antikörper und Produkte auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu beauftragenden und zur Vernichtung bereiten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
43VI. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen Dokumente, Gegenstände, Materialien, Stoffe und/oder elektronischen Dateien, die Informationen über die Aminosäuresequenzen der variablen Regionen derjenigen Antikörper der Klägerin enthalten, welche die Beklagte durch Reverse WD. entschlüsselt hat und auf deren Grundlage die Antikörper gemäß Ziff. I. hergestellt wurden, auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu beauftragenden und zur Vernichtung bereiten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
44VII. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 4.196,90 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
45VIII. Der Klägerin wird gestattet, nach Rechtskraft des Urteils die Bezeichnung der Parteien und den Tenor (soweit er die Sachentscheidung enthält) sowie den erläuternden Hinweis, dass nach diesem Urteil die vorstehend unter Ziff. I. bezeichneten Handlungen dieGeschäftsgeheimnisse der Klägerin verletzen, in einer Größe von 215mm x 285mm in der Rubrik „News“ der OW. WD. & MA. News (https://www.entfernt), hilfsweise in einer von der Klägerin zu bestimmenden vergleichbaren Fachpublikation auf Kosten der Beklagten öffentlich bekannt zu machen.
46Die Beklage beantragt,
47die Klage abzuweisen.
48Die Beklagte rügt die mangelnde Bestimmtheit der Klageanträge. Dies ergäbe sich u.a. daraus, dass „Reverse WD.“ mittlerweile legal sei und die Parteien auch eine Vereinbarung hierüber treffen könnten.
49Die Beklagte bestreitet die Sicherungsmaßnahmen der Klägerin in den USA mit Nichtwissen. Die deutsche Vertriebsgesellschaft habe keinerlei Sicherungsmaßnahmen getroffen, obwohl ihr dies in technischer Hinsicht, etwa durch Implementierung eines organischen Kopierschutzes möglich gewesen sei. Bei der Bestellung der Antikörper der Klägerin seien die AGB der Klägerin, entgegen der Darstellung der Klägerin nicht einbezogen worden. Sie seien auch nicht auf der Website der deutschen Vertriebsgesellschaft, sondern nur auf der Website der Klägerin abrufbar. Mit Nichtwissen bestreitet die Beklagte, dass die AGB der Klägerin seit Januar 2016 einen Ausschluss des Reverse WD. enthalten.
50Die Beklagte behauptet ferner, dass der Bezug der Antikörper bei der Vertriebsgesellschaft der Beklagten nicht stark reglementiert sei. Die Bestellung sei per Fax oder per Email unter Beifügung eines Bestellformulars erfolgt. Ein Kundenkonto sei nicht angelegt worden. Ferner habe die Beklagte den Bestellungen jeweils ihre eigenen Einkaufsbedingungen zugrunde gelegt und nicht die der Klägerin.
51Entgegen der klägerischen Darstellung handele es sich bei den von der Beklagten vertriebenen Antikörpern auch nicht um eine „absolut“ identische bzw. 1:1, also zu 100 Prozent identische, Kopie der Antikörper der Klägerin. Absolute Identität setze voraus, dass der gegenständliche Antikörper in der variablen und konstanten Domäne der beiden Ketten ohne Abweichung übereinstimme. Es sei vielmehr so, dass die Klägerin über ihre deutsche Vertriebsgesellschaft ausschließlich Antikörper vertreibe, die noch von Mäusen stammen. Die Antikörper der Beklagten seien hingegen bereits für die Verwendung bei Menschen („humanisiert“) worden, indem konstante Domänen des Antikörpers gegen humane Sequenzen ausgetauscht worden seien.
52Im Übrigen sei es möglich, eine identische Aminosäuresequenz herzustellen, ohne die Sequenzen der Klägerin zu kennen. Es gebe nämlich faktisch keine unendliche Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten zur Herstellung von Antikörpern. Durch ihre jeweilige Verwendung seien sehr ähnliche Kombinationen vorgegeben. Gegen die Darstellung der Klägerin eines sogenannten Reverse WD. spreche zudem, dass die Kopie nach Darstellung der Klägerin bereits 2014 fertiggestellt gewesen sei, die Beklagte aber nach Darstellung der Klägerin, bis 2019 den Antikörper von der Klägerin bezogen haben soll.
53Hinzu komme, dass entgegen der Darstellung der Klägerin der Nachbau von Antikörpern heutzutage nicht komplex sei, sondern auch von einfachen Fachkräften durchgeführt werden könne.
54Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. I. vom 03.01.2022 und eines Ergänzungsgutachtens vom 15.06.2022. Hinsichtlich des konkreten Inhalts der Begutachtung wird auf Bl. 514 ff. d. A. und Bl. 661 ff. d. A. Bezug genommen.
55Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Parteien wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
56Entscheidungsgründe
57Die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache überwiegend keinen Erfolg.
58A. Die Klage ist zulässig. Insbesondere sind die Klageanträge hinreichend bestimmt.
59Die Formulierung des Unterlassungsantrags
60Antikörper anzubieten oder in den Verkehr zu bringen (…), wenn die Antikörper auf der Grundlage von Informationen über die Aminosäuresequenzen der variablen Regionen von Antikörpern der Klägerin hergestellt wurden und die Beklagte diese Informationen durch ein Reverse WD. erlangt hat, (…)
61genügt den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Unterlassungsantrags. Soweit die Beklagte die Antikörper von einer Vertriebsgesellschaft der Klägerin bezogen hat und, wie sie geltend macht, nicht beurteilen kann, welche Antikörper vom Verbot umfasst sind, ist ihr zuzumuten zu prüfen, in welchen Fällen ihr ein Reverse WD. erlaubt ist und in welchen nicht. Hierfür ist nicht erforderlich, dass die Beklagte Kenntnis davon hat, von wem die Aminosäuresequenzen im Einzelfall stammen. Auf die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes von § 17 UWG a. F. kommt es bei Ansprüchen aus §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 17 UWG a. F. auch nicht an (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, 37. Aufl. 2019, § 17 Rn. 52). Was vom Antrag erfasst sein soll, ist zudem durch die Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform zu bestimmen.
62Dass Reverse WD. nach Inkrafttreten des GeschGehG nicht mehr verboten ist, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen, sondern ist eine Frage der Begründetheit.
63B. Die Klage ist nur hinsichtlich der mit den Klageanträgen zu II.6. und III. geltend gemachten Auskunfts- und Schadensersatzansprüche, soweit sie den Vertrieb der streitgegenständlichen Antikörper vor dem 09.06.2018 betreffen, begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
64I. Der mit dem Klageantrag zu I. geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Klägerin nicht zu. Er folgt insbesondere nicht aus § 6 GeschGehG.
65Die Kammer hat die Klägerin mit Beschluss vom 11.12.2020 auf die fehlende Erfolgsaussicht des Klageantrags zu I. hingewiesen und hierzu ausgeführt:
66„Nach derzeitiger Rechtsauffassung der Kammer dürfte der klägerische Antrag zu I. aus Rechtsgründen keine Aussicht auf Erfolg haben. Zur Begründung eines Unterlassungsanspruches dürfte es jedenfalls an der nötigen Wiederholungsgefahr der möglicherweise inkriminierten Handlung fehlen. Unterlassungsansprüche sind nach allgemeiner Auffassung auf ein (zu unterlassendes) Verhalten der Verletzer in der Zukunft gerichtet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes setzt das Bestehen eines Unterlassungsanspruches daher voraus, dass das Verhalten des Verletzers im Zeitpunkt der Verletzungshandlung und auch in der Zukunft rechtswidrig ist (siehe nur Urt. v. 07.04.2005 – I ZR 140/02, GRUR 2005, 603; Urt. v. 09.02.2006 – I ZR 73/02, NJW 2006, 1665 Rn. 13). Dies dürfte auch im Rahmen des in Rede stehenden Anspruches aus §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 17 UWG a. F. oder aus § 6 GeschGehG gelten (so ausdrücklich Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, GeschGehG, Vorb. Rn. 100; Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 6 Rn. 15).
67Soweit hiervon abweichend im Schrifttum eine differenzierende Auffassung vertreten wird (Hoppe/Oldekop, GRUR-Prax 2019, 324 (326)), kann die Kammer dem nicht folgen. Zutreffend ist, dass Unterlassungsanspruch aus § 6 GeschGehG, wie auch der Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 17 UWG a. F., soweit sie nicht mit einer Erstbegehungsgefahr begründet werden, auf einen abgeschlossenen geschichtlichen Vorgang in der Vergangenheit Bezug nehmen. Unrichtig ist aber, dass damit die Rechtswidrigkeit der Erlangung für die Zukunft perpetuiert wäre und daher per se vom Verletzter auch in der Zukunft verlangt werden könne, entsprechendes Verhalten zu unterlassen. Wie – soweit ersichtlich – jeder andere Unterlassungsanspruch setzt auch der Anspruch aus § 6 GeschGehG oder §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 17 UWG a. F. eine Wiederholungsgefahr (oder Erstbegehungsgefahr) voraus. Etwas anderes ist weder dem Wortlaut des Gesetzes, noch den Materialien zu entnehmen. Im Gegenteil lässt das Schweigen des Gesetzgebers nur den Schluss zu, dass es auch im Rahmen des GeschGehG bei anerkannten Grundsätzen bleiben soll. Etwas anderes vermag die Kammer auch nicht dem von der Klägerin angeführten Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16.11.2017 entnehmen (I ZR 161/16, GRUR 2018, 535 - Knochenzement I). Das von dem Grundsatz des Erfordernisses einer Wiederholungsgefahr bei auf § 6 GeschGehG oder §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 17 UWG a. F. gestützten Unterlassungsansprüchen abzusehen wäre, hat der Senat dort nicht zu erkennen gegeben. Soweit der Senat dort anführt, dass rechtswidrig erlangte Geschäftsgeheimnis dauerhaft mit dem Makel der Rechtswidrigkeit versehen sind, hat der Senat dies mit der Einschränkung "in der Regel" versehen.
68Demgemäß dürfte das Verhalten der Beklagten, selbst wenn sie die streitgegenständlichen Informationen durch, nach alter Rechtslage rechtswidriges, Reverse WD. erlangt hat, nunmehr nicht mehr rechtswidrig sein. § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG erlaubt Reverse WD. ausdrücklich. Dass der Beklagten Reverse WD., hiervon abweichend, durch entsprechende Abreden untersagt wurde, dürfte die Klägerin nicht hinreichend dargelegt haben. Der Kammer erschließt sich insoweit derzeit nicht, wie Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin, die ein Reverse WD. möglicherweise untersagen, Bestandteil der Verträge zwischen der Beklagten und der deutschen Vertriebsgesellschaft der Klägerin geworden sind.“
69An dieser Rechtsauffassung hält die Kammer auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Parteien fest. Zu ergänzen sind lediglich folgende Erwägungen:
701. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG sind erfüllt. Insbesondere liegt ein rechtmäßiger Besitz der Beklagten an den erworbenen Antikörpern der Klägerin vor und diese unterliegt keinen bestehenden Beschränkungen (§ 3 I Nr. 2 lit. b) GeschGehG).
71Der rechtmäßige Besitzer kann zwar im Umgang mit dem ihm überlassenen Produkt oder Gegenstand Einschränkungen unterworfen werden. Typischerweise wird es sich dabei um vertragliche Abreden handeln, die von den Parteien ausdrücklich getroffen werden (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander GeschGehG § 3 Rn. 37). Die Klägerin behauptet lediglich pauschal, dass das Reverse WD. durch ihre AGB ausgeschlossen worden sei. Sie trägt jedoch nicht hinreichend substantiiert zur Einbeziehung der AGB in die Verträge zwischen der Beklagten und der deutschen Vertriebsgesellschaft der Klägerin vor. Spätestens ab Juni 2018 wäre eine solche vertragliche Einschränkung notwendig gewesen, weil zum 09.06.2018 der Umsetzungszeitpunkt für die Richtlinie (EU) 2016/943 abgelaufen war, so dass § 17 UWG a.F. ab diesem Zeitpunkt bis zum Inkrafttreten des GeschGehG richtlinienkonform u.a. dahin auszulegen war, dass das Erlangen eines Geschäftsgeheimnisses durch Reverse WD. erlaubt war.
72Der behauptete Hinweis der Klägerin an Erwerber ihrer Antikörper „For Research Use Only“ reicht zur Annahme einer wirksamen vertraglichen Beschränkung nicht aus. Denn pauschale und unqualifizierte Geheimhaltungsklauseln genügen hierfür nicht (Leister GRUR-Prax 2019, 175 (177); Witz FS Harte-Bavendamm, 2020, 441 (446)). Vielmehr muss die vertragliche Abrede erkennen lassen, dass sie gerade die Informationsgewinnung durch ein Reverse WD. (in seiner Gesamtheit oder in Bezug auf einzelne Handlungsformen) unterbinden will (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander GeschGehG § 3 Rn. 37). Dies ist hier nicht vorgetragen.
732. Die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung steht der Rechtsauffassung der Kammer nicht entgegen.
74a) Die Entscheidung BGH GRUR 2018, 535 betrifft nicht die Frage, ob der „Makel“ der Rechtswidrigkeit nach alter Rechtslage nach einer Gesetzesänderung fortwirkt. Die in dieser Sache eingetretene Änderung der Rechtslage war für den Streitfall nicht relevant. Im Übrigen bestätigt der BGH die von der Kammer vertretene Rechtsauffassung (Rn. 15):
75„Da die Kl. die geltend gemachten Unterlassungsansprüche auf Wiederholungsgefahr stützt, ist die Klage nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten der Bekl. sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz rechtswidrig ist (stRspr; vgl. nur BGH, GRUR 2016, 403 Rn. 9 = WRP 2016, 450 – Fressnapf; GRUR 2017, 922 Rn. 13 = WRP 2017, 1081 – Komplettküchen).“
76b) Auch das Urteil des OLG Stuttgart GRUR-RS 2020, 35613 stützt die klägerische Auffassung nicht. Der amtliche Leitsatz 3. zu dieser Entscheidung
77„Wird ein Unterlassungsanspruch auf einen Erstverstoß gegen § UWG § 17 UWG a.F. gestützt, liegt eine Wiederholungsgefahr nur dann vor, wenn das beanstandete Verhalten auch seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen am 26. April 2019 durchgehend als rechtswidrig einzustufen ist. Ist dies nur deshalb nicht der Fall, weil der Geheimnisinhaber nicht schon vor diesem Zeitpunkt angemessene Schutzmaßnahmen getroffen hat, kann feststellbaren Verstößen gegen § 17 UWG a.F. indizielle Wirkung für das Bestehen einer Erstbegehungsgefahr für entsprechende Verstöße gegen § 4 GeschGehG zugemessen werden.“
78postuliert gerade keine fortwirkende Rechtswidrigkeit nach Inkraftreten des GeschGehG, sondern lediglich eine indizielle Wirkung von Verstößen gegen § 17 UWG a.F.. Das OLG bestätigt vielmehr die hier vertretene Auffassung (Rn. 154 f.):
79„6. Soweit die in die Zukunft gerichteten Unterlassungsansprüche auf eine Erstbegehungsgefahr gestützt werden, ist die Klage nur begründet, wenn das zu unterlassende Verhalten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am Maßstab des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen rechtswidrig ist. Werden die Unterlassungsansprüche auf Wiederholungsgefahr gestützt, ist zu prüfen, ob das beanstandete Verhalten nicht nur zum Zeitpunkt der Handlung gegen § 17 UWG a.F. verstieß, sondern auch seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen am 26. April 2019 durchgehend als rechtswidrig einzustufen ist. Ist dies nur deshalb nicht der Fall, weil die Klägerin nicht schon vor diesem Zeitpunkt angemessene Schutzmaßnahmen getroffen hat, kann feststellbaren Verstößen der Beklagten gegen § 17 UWG a.F. indizielle Wirkung für das Bestehen einer Erstbegehungsgefahr für entsprechende Verstöße gegen § 4 GeschGehG zugemessen werden.
80a) Dem Landgericht ist nicht darin zu folgen, dass für den Fortbestand der Unterlassungsansprüche ausschließlich die tatsächlichen Verhältnisse im Tatzeitpunkt von Bedeutung sein sollen. Da die Wiederholungsgefahr materielle Voraussetzung des auf sie gestützten Unterlassungsanspruchs ist, dieser daher mit ihrem Entfallen erlischt und eine einmal entfallene Wiederholungsgefahr auch nicht wieder auflebt, darf das beanstandete Wettbewerbsverhalten auch nicht zwischenzeitlich zulässig gewesen sein (BGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - I ZR 234/03, juris Rn. 14 - Warnhinweis II). Aus diesen Grundsätzen folgt, dass bei einem Verhalten, das nach altem Recht unzulässig war, nach neuem Recht aber erlaubt ist, der Unterlassungsanspruch mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts entfällt (Alexander in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, Kommentar zum UWG, 38. Aufl. 2020, Rn. 100 vor § 1 GeschGehG). Stellt das neue Recht zusätzliche Voraussetzungen für die Rechtswidrigkeit auf, müssen diese spätestens bei Inkrafttreten - und seither durchgehend - vorgelegen haben. So liegt es in der hiesigen Fallkonstellation mit den zusätzlichen Anforderungen an die vom Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses zu treffenden Geheimhaltungsmaßnahmen.“
81Letzteres ist hier wegen § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG nicht der Fall. Hinreichender Vortrag der Klägerin zu wirksamen Beschränkungen des Reverse WD. seit dem hier für relevant gehaltenen Stichtag, 09.06.2018, liegt nicht vor.
82III. Bezüglich der mit den Anträgen zu IV.-VI. geltend gemachten Beseitigungsansprüche gelten die gleichen Erwägungen. Die Kammer hat hierzu im vom Hinweisbeschluss vom 11.12.2020 ausgeführt:
83„Soweit die Klägerin mit ihrem Antrag zu IV. den Rückruf der streitgegenständlichen Antikörper und Produkte begehrt, dürfte auch dieser Antrag nach derzeitiger Auffassung der Kammer keinen Erfolg haben. Es dürfte hier offen bleiben können, ob § 7 Nr. 2 GeschGehG Anwendung finden kann, obwohl sich der Verletzungsvorgang vor Inkrafttreten des GeschGehG ereignet haben dürfte (verneinend Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, GeschGehG, Vorb. Rn. 98). Auch soweit sich die Klägerin auf §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 17 UWG a. F. stützt, dürfte nach derzeitiger Auffassung der geltend gemachte Anspruch nicht bestehen.
84Zwar wird – soweit ersichtlich – das Problem, ob Beseitigungsansprüche bestehen können, wenn ein Verhalten in der Vergangenheit rechtswidrig ist, in der Zukunft jedoch rechtmäßig ist, im Schrifttum noch nicht diskutiert. Der Beseitigungsanspruch setzt jedoch, insoweit ähnlich wie der Unterlassungsanspruch, einen fortdauernden Störungszustand und die (andauernde) Rechtswidrigkeit der Störung voraus (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, § 8 Rn. 1.111 und 1.112 jeweils m. w. N.). Denn auch der Beseitigungsanspruch ist ein in die Zukunft gerichteter Anspruch (Löffler, in: Teplitzky, 11. Aufl. 2016, 22. Kap. Rn. 3 m. w. N.).
85An beidem dürfte es hier fehlen. Zwar wäre bei Wahrunterstellung des Vortrages der Klägerin ein von der Beklagten möglicherweise vorgenommenes Reverse WD. nach alter Rechtslage möglicherweise rechtswidrig. Es ist jedenfalls nach derzeitiger Rechtslage nicht mehr rechtswidrig. Ein andauernder Störungszustand ist nicht ersichtlich. Auf obige Ausführungen kann verwiesen werden. Entsprechendes dürfte für die klägerischen Anträge zu V. und VI. gelten.“
86Hieran hält die Kammer fest.
87II. Die mit den Klageanträgen zu II.6. und III. geltend gemachten Auskunfts- und Schadensersatzansprüche folgen aus § 823 Abs. BGB in Verbindung mit § 17 UWG a. F., 242 BGB, soweit sie den Vertrieb der streitgegenständlichen Antikörper vor dem 09.06.2018 betreffen.
881. § 17 UWG a. F. handelt es sich um ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Die Vorschrift ist auf Sachverhalte, die vor dem 09.06.2018 liegen, weiterhin anzuwenden. Denn für den Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt des Schadenseintritts geltende Recht maßgeblich (vgl. BGH GRUR 2018, 832 Rn. 45 – Ballerinaschuh; OLG Düsseldorf BeckRS 2021, 17483 Rn. 79). Gleiches gilt für die Verpflichtung zur Auskunftserteilung (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander GeschGehG Vor § 1 Rn. 101, 101a; BGH GRUR 2018, 832 Rn. 45 – Ballerinaschuh; OLG Düsseldorf BeckRS 2021, 17483 Rn. 79). Eine Wiederholungsgefahr ist für diese Ansprüche nicht erforderlich.
892. Ein Geschäftsgeheimnis liegt vor. Nach § 17 UWG a. F. ist Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis jede im Zusammenhang mit einem Betrieb stehende Tatsache, die nicht offenkundig, sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und nach dem bekundeten, auf wirtschaftlichen Interessen beruhenden Willen des Betriebsinhabers geheim gehalten werden soll (BGH, Urt. v. 27.04.2006 – I ZR 126/03, GRUR 2006, 1044 rn. 19). Das Kriterium muss also im Zusammenhang mit einem Betrieb stehen und nicht offenkundig sein. Es muss zudem ein Geheimhaltungsinteresse und Geheimhaltungswille bestehen. Der Geheimnisträger muss keine Geheimhaltungsmaßnahmen treffen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, 37. Aufl. 2019, § 17 Rn. 10). Es genügt, wenn sich der Wille zur Geheimhaltung aus der Natur der Sache ergibt.
90Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die in den Antikörpern enthaltenen Informationen und deren knappe Verfügbarkeit sind bzw. waren das Geschäftsmodell der Klägerin, so dass schon hieraus das Geheimhaltungsinteresse der Klägerin folgt. Die Zusammensetzung der Antikörper war auch nicht offenkundig, ohne dass es darauf ankommt, mit welchem genauen Aufwand zu welchem Zeitpunkt eine Ermittlung durch Reverse WD. möglich war.
913. Dieses Geschäftsgeheimnis hat die Beklagte sich unter Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Nr. 1 a) UWG a.F., nämlich durch Reverse WD., das unter Geltung von § 17 UWG a.F. zumindest überwiegend unzulässig war (Leister, GRUR-Prax 2019, 175 m. w. N. in der Rspr.), verschafft.
92Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. I. ist bewiesen, dass die Antikörper G. und Q. der Beklagten das Ergebnis eines Reverse Engineerings der Antikörper der Klägerin sind.
93Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich, dass die in den TZ. DM. Reports untersuchten Antikörper der Beklagten in den variablen Sequenzen (den Aminosäuresequenzen VH und VL) vollständig identisch (G.) oder nahezu identisch (Q.) zu den Antikörpern der Klägerin sind. Der Sachverständige kommt zu dem Schluss, dass dieser Grad der Identität ausreicht, um ein Reverse WD. zu bejahen. Es sei vollkommen unwahrscheinlich, dass man in zwei unabhängigen Tierimmunisierungen unter Anwendung der sogenannten Hybridomatechnologie in beiden Fällen unabhängig voneinander Antikörper erhalte, die in der VL und in der VH Region vollständig oder nahezu identisch sind. Dies liege daran, dass der Prozess der Bereitstellung einer Grundsammlung von Antikörpern sowie deren weitere Veränderung durch eine Affinitätsreifung – wie hier – zu einer riesigen Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten führe. Die Wahrscheinlichkeit, unabhängig voneinander zwei Antikörper zu erhalten, die der VH und VL Domäne identisch sind, indem man unabhängig voneinander eine Immunisierung von zwei verschiedenen Versuchstieren zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten durchführe, sei verschwindend gering.
94Das Gericht folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Als Professor für Angewandte Biochemie an der Technischen Universität M. mit dem Fachgebiet der Identifizierung, Optimierung und Herstellung von Antikörpern für den Einsatz in Diagnostik und Therapie ist der Sachverständige für die vorliegende Begutachtung besonders qualifiziert. Er verfügt nach 30jähriger wissenschaftlicher Tätigkeit und mit 89 Publikationen zu dem einschlägigen Thema über einen außerordentlichen Erfahrungsschatz.
95Das Gutachten ist schlüssig und nachvollziehbar. Der Sachverständige erklärt insbesondere detailliert, was Reverse WD. ist, um dem Gericht zu ermöglichen, die Beantwortung der Frage, ob ein solches gegeben ist, logisch nachvollziehen zu können. Er erläutert ausführlich die Relevanz der variablen Regionen und weshalb die (nahezu) Identität der VH und VL Domänen nach aller Lebenswahrscheinlichkeit nach nur Ergebnis eines Reverse Engineerings sein können. Zusätzlich zeigt der Sachverständige überzeugend auf, weswegen Unterschiede in den konstanten Regionen für die Frage des REs nicht von Interesse sind. Vielmehr sind Veränderungen in diesen Regionen für die Bindefähigkeit der Antikörper nicht notwendig.
96Auch die Nachfragen der Beklagten werden durch den Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten hinreichend beantwortet. Insbesondere auf die Frage nach den Unterschieden von Antikörpern in den konstanten Regionen erläutert der Sachverständige erneut, weswegen diese für die Bindefähigkeit des Antikörpers an ein Zielprotein nicht entscheidend sind. Deswegen sind die Unterschiede der Antikörper G. und Q. in diesen Regionen für die Frage nach dem Reverse WD. nicht maßgeblich. Die Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten verfangen daher insgesamt nicht.
974. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Antikörper schon vor dem 09.06.2018 vertrieben hat. Insoweit kann allerdings der Vortrag der Klägerin in dem nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 22.03.2023, aus einem Eintrag in der „NU. RP.“ unter www.entfernt sei ein Vertrieb am 26.03.2018 zu entnehmen, keine Berücksichtigung finden. Da der Klägerin kein Schriftsatznachlass bewilligt worden ist, ist dieser Vortrag gemäß § 296a ZPO zurückzuweisen.
98Auch die von der Klägerin vorgetragenen Indizien, der Zeitpunkt der Veröffentlichung zum Klon V. aus dem Jahr 2014 sowie die Zeitpunkte des Erwerbs von Antikörpern durch die Beklagte im Jahr 2016, reichen nicht aus, um einen Vertrieb durch die Beklagte vor dem 09.06.2018 zu belegen. Denn aus dem Umstand, dass die Beklagten über die Antikörper verfügte, folgt nicht unbedingt, dass sie diese auch vertrieb. Die Beklagte traf unter Berücksichtigung dieser Indizien indes eine sekundäre Darlegungslast zum Zeitpunkt des Vertriebes der Antikörper, der sie trotz Hinweises der Kammer in der mündlichen Verhandlung in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 16.03.2023 nicht hinreichend nachgekommen ist. Der Vortrag der Klägerin, der Vertrieb sein vor dem 09.06.2018 erfolgt, ist gilt daher nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO als zugestanden.
99Eine sekundäre Darlegungslast trifft eine Partei nach der Rechtsprechung, wenn ihr zuzumuten ist, die ihrem Prozessgegner obliegenden Darlegungen durch nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen, in die dieser ansonsten keinen Einblick hat (BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 Rn. 37; BGH NJW-RR 2008, 1269 Rn. 19; 2006, 552 Rn. 11; NJW 1990, 3151 (3151 f.), jeweils mwN).
100Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Bei dem Beginn des Vertriebs der streitgegenständlichen Antikörper handelt es sich um einen Umstand aus der Sphäre der Beklagten, in den die Klägerin, die nicht Kundin der Beklagten war, erst dann Einblick hatte, als sie zur Prüfung der einer möglichen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen die streitgegenständlichen Antikörper der Beklagten erwarb. Eine Veranlassung, das Vertriebsangebot der Beklagten im Einzelnen wahrzunehmen, bestand für die Klägerin vor diesem Zeitpunkt nicht. Umstände, die entsprechenden Vortrags für die Beklagte als unzumutbar erscheinen lassen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
101Die sekundäre Darlegungslast der Beklagten entfällt auch nicht, weil die Klägerin, die Möglichkeit einer Recherche in Archiven wie der „NU. RP.“ vor der mündlichen Verhandlung nicht genutzt hat. Denn ob die „NU. RP.“ eine Version einer Internetseite zu einem bestimmten Zeitpunkt archiviert hat, hängt von Zufällen ab, zumal gerade bei verschachteltem Aufbau einer Internetpräsenz und Datenbankabfragen, wie sie die Beklagte für die Präsentation ihres Angebots nutzt, die „NU. RP.“ vielfach keine zuverlässigen Ergebnisse generiert. Dass es der Klägerin gleichwohl nach der mündlichen Verhandlung gelungen ist, über die „NU. RP.“ einen Nachweis für den Vertrieb der Antikörper vor dem 09.06.2018 zu generieren, ist gemäß § 296a ZPO auch nicht zu ihren Lasten zu berücksichtigen.
102Ihrer sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nicht hinreichend nachgekommen. Soweit sie hinsichtlich des Antikörpers G. vorgetragen hat, diesen erst ab August 2018 angeboten zu haben, reicht dieser pauschale Vortrag ohne genauere Datierung nicht aus. Zum Vertrieb des Antikörpers Q. fehlt jeglicher Vortrag der Beklagten.
1035. Ein Auskunftsanspruch der Klägerin aus § 242 BGB besteht allerdings nur, soweit er der Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen der Klägerin dient. Dies trifft allein auf die auf den Vertrieb der Antikörper durch die Beklagte oder Dritte bezogenen Auskünfte gemäß der Klageanträge zu II. 3., 4., 5. und 6. zu, während die übrigen begehrten Auskünfte allein der Konkretisierung der – unbegründeten – Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche dienen.
104III. Ein Anspruch auf Urteilsveröffentlichung besteht nicht. Ein Interesse, die Öffentlichkeit über eine frühere Rechtsverletzung durch die Beklage zu informieren, ist angesichts der geänderten Rechtslage nicht erkennbar.
105IV. Auch ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht, weil der mit der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht bestand.
106V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
107Streitwert: 500.000 EUR