Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand:
2Die Klägerin betreibt ein Handelsunternehmen in S.. Die Beklagte ist 17 Jahre alt und betätigt sich als Influencerin. Ihr Account auf der Betreiberplattform W. (Nutzername: A.) verfügt über mehr als 76.000 Follower; auf der Betreiberplattform K. folgten ihr zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Handlung mehr als 641.000 Accounts (Nutzername: A.).
3Im Jahr 2020 schlossen die Parteien einen Kooperationsvertrag (Bl. 108 GA). Die Beklagte erhielt von der Klägerin eine Halskette, die sie bewerben sollte. Sie kam aber ihren Verpflichtungen nicht nach, woraufhin die Klägerin der Beklagten eine Vertragsstrafe androhte. Auf die Äußerung der Klägerin schaltete sich lediglich die Mutter der Beklagten ein, welche der Beklagten zwar grundsätzlich die Tätigkeit erlaubte, aber die Vertragsstrafe in Abrede stellte. Die Klägerin sah sodann davon ab, weitere rechtliche Schritte in Angriff zu nehmen.
4Mitte Juli 2022 stellte die Klägerin fest, dass die Beklagte im Rahmen eines ihrer Inhalte, der andauernd unter der URL URL. entf. abrufbar war, von einem Dritten mit dem Nutzernamen ,H.` markiert wurde. Der Kommentartext des Nutzers war: „An alle Ring von Link entf. gönnt euch!“. Diesen Nutzerkommentar kommentierte wiederum die Beklagte mit ihrem eigenen Account wie folgt:
5„Bilddarstellung wurde entfernt“
6Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 19.07.2022 mahnte die Klägerin die Beklagte ab und machte Schadensersatzansprüche geltend. Die Beklagte entfernte darauf den Beitrag, kam der Aufforderung der Klägerin ansonsten aber nicht nach.
7Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Äußerung eine unwahre Tatsachenbehauptung und eine Verleumdung bzw. üble Nachrede zu Lasten der Klägerin darstelle. Abzocke sei ein anderes Wort für Betrug. Die Beklagte behaupte damit, die Klägerin begehe Betrugsstraftaten. Hierzu fehle es an einem hinreichenden Tatsachenbestand. Die Äußerung greife nicht nur in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin ein, sondern auch in deren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und sei geeignet, den Kredit der Klägerin zu gefährden. Aus diesem Grund stünde der Klägerin auch eine Geldentschädigung zu, die mit 500 Euro gerade noch als angemessen zu betrachten sein dürfte.
8Die Klägerin beantragt,
91. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, nachfolgende Äußerungen bezüglich der Klägerin zu verbreiten:
10„J. ist die grösste abzocke aufjedenfall"
11wie erfolgt im Rahmen der nachstehenden Kommentierung
12„Bilddarstellung wurde entfernt“
13unter der URL:
14URL entf.
152. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, das in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 500 Euro allerdings nicht unterschreiten soll.
163. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 689,00 EUR für die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung zu zahlen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagte behauptet, die Halskette habe nach zwei Tagen stark auf die Haut der Beklagten abgefärbt und eine deutliche Rötung verursacht. Die Äußerung stelle nach ihrer Ansicht nur eine Meinungsäußerung dar, mit der sie ihre Unzufriedenheit mit dem Produkt der Klägerin ausdrücken wolle. Die Äußerung der Beklagten enthalte keine tatsächlichen Angaben über das Produkt, welche dem Beweis zugänglich wären, sondern für jeden erkennbar allein eine Äußerung über die mangelnde Zufriedenheit mit dem Produkt. Dies ergebe sich auch aus dem Kontext, nämlich der Tatsache, dass die Kommentierung auf einen werbenden Text für Produkte der Klägerin erfolgte. Schließlich kann aufgrund der Rechtsschreibfehler und der Art der Formulierung ein objektiver Dritter davon ausgehen, dass es sich um einen flüchtig formulierten Text handle, was typisch für Werturteile sei.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Die zulässige Klage ist unbegründet.
23Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 17 jährigen Beklagte ordnungsgemäß durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin vertreten worden und damit prozessfähig, §§ 51, 52 ZPO.
24Der Klägerin steht gegen die Beklagte wegen der streitgegenständlichen Äußerung kein Unterlassungsanspruch zu. Ein Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus den §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG. Die Äußerung greift zwar in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin ein, verletzt dieses aber nicht.
25Bei der Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts wie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich um einen sogenannten offenen Tatbestand, d. h. die Rechtswidrigkeit ist nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern im Rahmen einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (Sprau in: Grüneberg, Kommentar zum BGB, 81. Auflage 2022, § 823 BGB, Rn. 95 m. w. N.). Stehen sich als widerstreitende Interessen - wie vorliegend - die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und das Unternehmenspersönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG) gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt. Tatsachen sind innere und äußere Vorgänge, die zumindest theoretisch dem Beweis zugänglich sind und sich damit als wahr oder unwahr feststellen lassen, während Meinungsäußerungen durch das Element der Stellungnahme, des Meines und Dafürhaltens geprägt sind. Unabdingbare Voraussetzung für eine zutreffende Einordnung einer Äußerung ist die Ermittlung des Aussagegehalts. Dabei darf nicht isoliert auf den durch den Antrag herausgehobenen Text abgestellt werden. Vielmehr ist dieser im Zusammenhang mit dem gesamten Aussagetext zu deuten. Dabei ist auf den objektiven Sinn der Äußerung aus der Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittslesers abzustellen (vgl. BGH, NJW 1998, 3047).
26Auch wenn sich wertende und tatsächliche Elemente in einer Äußerung so vermengen, dass diese insgesamt als Werturteil anzusehen ist, kann die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile im Rahmen einer Abwägung der Rechte eine Rolle spielen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen falsche oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, so wird regelmäßig das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter dem durch das grundrechtsbeschränkende Gesetz geschützten Rechtsgut zurücktreten. Jedenfalls fällt die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, regelmäßig bei der Abwägung Gewicht. Anders liegt es nur, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm ist, dass er gegenüber der subjektiven Wertung in den Hintergrund tritt. Wenn sich einer Äußerung die Behauptung einer konkret greifbaren Tatsache nicht entnehmen lässt und sie bloß ein pauschales Urteil enthält, tritt der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung. zurück und beeinflusst die Abwägung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2008 - VI ZR 189/06).
27Sofern es sich um Tatsachenbehauptungen handelt, kommt es im Rahmen der an-zustellenden Abwägung für die Zulässigkeit ihrer Äußerung entscheidend auf den Wahrheitsgehalt der Tatsachenbehauptung an. Bewusst unwahre Tatsachen oder Tatsachen, deren Unwahrheit im Zeitpunkt der Äußerung zweifelsfrei feststeht, fallen nicht unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Ihre Äußerung ist daher grundsätzlich unzulässig. Die Verbreitung ehrenrühriger wahrer Tatsachenbehauptungen hingegen ist grundsätzlich zulässig, sofern sie nicht die Intim- oder Privatsphäre des Betroffenen betreffen. In letzterem Fall ist jedoch weiter zu prüfen und abzuwägen, ob ihre Äußerung durch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit gedeckt ist. Betrifft die wahre Tatsachenbehauptung die Sozial- oder gar Öffentlichkeitssphäre, ist die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung erst dann überschritten, wenn die Mitteilung der wahren Tatsache einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2012 — VI ZR 217/08, Tz. 37).
28Auch wenn grundsätzlich keine unwahren Tatsachen verbreitet werden dürfen, kommt es für einen Unterlassungsanspruch darauf an, ob in der Äußerung inhaltlich eine Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts liegt (vgl. BGH, NJW-RR, 2008, 913, m.w.N. aus der Rspr.). Maßgeblich ist dabei, ob gerade die Abweichung von der Wahrheit den Betroffenen in seinem — von ihm selbst definierten — sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigt. Zur Abwehr von Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen einer Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken, schützt das Unternehmenspersönlichkeitsrecht vor verfälschenden oder entstellenden. Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N. aus der Rspr.). Dagegen gebietet es das Unternehmenspersönlichkeitsrecht nicht, dem Betroffenen einen Abwehranspruch zuzubilligen, soweit es um Tatsachenbehauptungen geht, die sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persönlichkeitsbild des Betroffenen auswirken können (vgl. BVerfG, NJW 2008, 747, m.w.N.).
29Im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung misst eine Meinungsäußerung einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab. Es kommt darauf an, ob die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens geprägt ist. Auf den Wert, die Richtigkeit oder die Vernünftigkeit der Äußerung kommt es nicht an (vgl. BVerfG, NJW 1983, 1415, 1416). Mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit ist der Begriff der Meinung in Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des Grundrechts. Das muss auch dann gelten, wenn sich diese Elemente - wie häufig mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt (vgl. BVerfG, a.a.O.).
30Nach diesen Maßstäben gilt Folgendes:
31Der durchschnittliche Leser versteht die streitgegenständliche Äußerung als Meinungsäußerung. Das von der Klägerin angeführte Verständnis, dass die Beklagte der Klägerin strafbares Verhalten vorwerfe, ist fernliegend. Der in die Umgangssprache eingegangene Begriff „Abzocken' bedeutet nach dem durchschnittlichen Verständnis in diesem Kontext nichts weiter, als dass jemand ein Produkt bewirbt und vertreibt, das nach Auffassung des Äußernden sein Geld nicht wert ist und nicht hält, was der Bewerbende verspricht. Auf Grund der in dieser Aussage enthaltenden wertenden Elemente handelt es sich um eine Meinungsäußerung, die den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießt. Bei einem derart allgemein gehaltenen Kommentar versteht der durchschnittliche Rezipient den Beitrag gerade nicht so, dass die Begehung strafbarer Taten im Sinne des § 263 StGB behauptet werden. Der Kommentar ist zu substanzarm, als dass sich der Rezipient irgendein konkretes, strafwürdiges Verhalten vorstellen könnte. Auch wegen der Rechtschreibfehler des Kommentars und des hinzugefügten Smileys ist erkennbar, dass es sich um eine spontan geäußerte Bewertung handelt.
32Diese Meinungsäußerung hat die lediglich in ihrer Sozialsphäre betroffene Klägerin hinzunehmen. Die Klägerin hat im Geschäftsverkehr auch harte, übertriebene, polemische und aus ihrer Sicht unangemessene Kritik an ihrem professionellen Auftreten und ihren Produkten hinzunehmen. Da der Kommentar, wie ausgeführt, oberflächlich und substanzarm gehalten ist, wiegt der Eingriff nicht sonderlich schwer. Die Beklagte hatte unstreitig Produkte der Klägerin bestellt. Die Bewertung ihrer Zufriedenheit ist ihr selbst überlassen.
33Nicht entscheidungsbedürftig ist daher auch die Frage, ob die Kette tatsächlich Hautrötungen bei der Beklagten hervorgerufen hat und abgefärbt hat. Da die Beklagte in ihrem Beitrag ihre Meinungsäußerung nicht begründet und keinen Tatsachenkern mitgeteilt hat, muss sie im Klageverfahren keine Begründung dafür nachliefern, warum sie tatsächlich mit dem Produkt, das sie unstreitig erhalten hat, unzufrieden war.
34Der Geldentschädigungsanspruch teilt das Schicksal des Unterlassungsanspruchs ebenso wie die Nebenforderungen.
35Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
36