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Das Versäumnisurteil des Landgerichts Köln vom 16.06.2020 wird mit folgenden Maßgaben aufrechterhalten:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2019 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 2.380,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2019 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden und sämtliche weiteren zukünftigen, derzeit noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden, die ihr aus der Operation bei dem Beklagten vom 11.10.2018 entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Im Übrigen werden das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der potentiellen Kosten der Säumnis tragen die Klägerin zu 77% und der Beklagte zu 23%. Der Beklagte trägt die potentiellen Kosten der Säumnis.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
Tatbestand:
2Die am 00.00.0000 geborene Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz nach zwei kosmetischen Operationen wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler und Aufklärungsmängel. Der Beklagte ist als niedergelassener plastischer Chirurg tätig.
3Die Klägerin stellte sich in der schönheitschirurgischen Praxisklinik des Beklagten mit dem Wunsch einer Brustvergrößerung vor. Zu dem geplanten operativen Eingriff klärte sie der Beklagte mittels eines kommerziell erhältlichen Aufklärungsbogens („Diomed PO 8 Brustvergrößerung (Mamma-Augmentationsplastik)“) auf. Der Aufklärungsbogen wurde vom Beklagten mit handschriftlichen Angaben zum Eingriff ergänzt, wobei streitig ist, ob dies während des Gespräches oder erst im Nachgang geschah, und von den Parteien unterzeichnet. In der Folge unterzog sich die Klägerin am 20.02.2018 einer vom Beklagten durchgeführten Brustvergrößerungsoperation mittels Implantaten links wie rechts.
4Neben dem bereits erwähnten Aufklärungsbogen liegen im Hinblick auf diese erste Operation als Dokumentation Laborbefunde vom 05.02. und 14.02.2018, eine OP-Checkliste vom 20.02.2018, eine OP-Dokumentation vom 20.02.2018 in Form eines handschriftlich ergänzten Vordrucks sowie ein postoperativer Überwachungsbogen vom 20.02.2018 vor. Weitergehende Dokumentation fertigte der Beklagte nicht an.
5Postoperativ traten bei der Klägerin auf der linken Brustseite Schmerzen sowie große und tiefe Blutergüsse auf. Sowohl Schmerzen als auch Blutergüsse waren auch nach acht Wochen noch vorhanden. Da die Klägerin auch mit dem optischen Ergebnis unzufrieden war, bot der Beklagte ihr eine Revisionsoperation an.
6Die Klägerin erhielt am 01.10.2018 eine schriftlich dokumentierte Aufklärung mittels eines weiteren kommerziell erhältlichen Aufklärungsbogens („ProCompliance PIOp 7a Brustimplantatwechsel nach früherer operativer Brustvergrößerung“). Auch hierzu notierte der Beklagte – der Zeitpunkt ist abermals streitig – handschriftliche Anmerkungen in dem dafür vorgesehenen Feld des Aufklärungsbogens.
7Am 11.10.2018 kam es zur einer Revisionsoperation durch den Beklagten, bei der die Implantate beiderseits entfernt und durch neue, größere Implantate ersetzt wurden.
8In Bezug auf die zweite Operation liegen neben dem Aufklärungsbogen die OP-Dokumentation vom 11.10.2018, ein postoperativer Überwachungsbogen ohne Datumsangabe sowie eine postoperative Fotodokumentation vom 18.10.2018 vor.
9Nach der Entlassung der Klägerin am Folgetag der Operation gestaltete sich der weitere Heilungsverlauf unauffällig. Bei fortbestehenden Schmerzen war die Klägerin jedoch erneut unzufrieden mit dem erreichten kosmetischen Ergebnis. Es bestand eine Asymmetrie der Brustwarzen. Ein erneutes Angebot eines Revisionseingriffes durch den Beklagten lehnte die Klägerin ab.
10Zur medizinischen Beurteilung der Behandlung holte die Klägerin unter dem 15.11.2019 ein privates Sachverständigengutachten des Herrn Prof. Dr. med. H. C. ein, wodurch ihr Kosten in Höhe von 2.380,00 EUR entstanden.
11Per anwaltlichem Schreiben vom 30.05.2019 machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihre Schadensersatzansprüche geltend und forderte den Beklagen auf, die Ansprüche bis zum 13.06.2019 auszugleichen. Eine Zahlung erfolgte nicht.
12Die Klägerin behauptet, dass beide Operationen nicht lege artis, sondern behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden seien. So habe der Beklagte während der ersten Operation die Implantattasche auf der linken Seite zu klein ausgeführt und das Implantat zu hoch eingesetzt. Die Folge seien Schmerzen und Beschwerden sowie die Brustwarzenasymmetrie als ein optisch unerfreuliches Ergebnis. Die Brustprothese links sei auch weiterhin zu hoch eingebracht. Durch die zu hohe Prothesenlage komme es zu einer sog. „Wasserfall-Deformität“, d.h. zu einem Überhang des Weichteilmantels, was eine weitere Korrektur-Operation erforderlich mache. Sie leide sowohl unter physischen (permanente Schmerzen im Bereich der linken Brust zwischen linkem Schlüsselbein, linker Achselhöhle und linker Brustwarze, permanentes Kältegefühl, ungenügendes ästhetisches Ergebnis) also auch unter psychischen (depressive Zustände) Beeinträchtigungen.
13Sie erhebt darüber hinaus die Aufklärungsrüge und behauptet, vor beiden Eingriffen nicht über die schweren und gravierenden Schadensfolgen aufgeklärt worden zu sein. Ebenso wenig sei ihr erklärt worden, dass es aufgrund der Eingriffe zu dauerhaften und maximal belastenden Schmerzzuständen kommen könnte. Bei ordnungsgemäßer und umfassender Aufklärung hätte sie die Eingriffe nicht vorgenommen.
14Die Klage ist dem Beklagten am 22.05.2020 zugestellt worden mit der Aufforderung, binnen zwei Wochen nach Zustellung seine Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen. Nach Ablauf der Frist hat das Landgericht Köln den Beklagten mit Versäumnisurteil vom 16.06.2020 antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 35.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2019 zu zahlen, an die Klägerin weitere 2.380,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2019 zu zahlen, sowie festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden und sämtliche weiteren zukünftigen, derzeit noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden, die ihr aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Gegen dieses Versäumnisurteil, sowohl der Klägerin als auch dem Beklagten am 25.06.2020 zugestellt, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 01.07.2020, eingegangen am 02.07.2020, Einspruch eingelegt.
15Die Klägerin beantragt nunmehr,
16den Einspruch unter Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils vom 16.06.2020 zurückzuweisen.
17Der Beklagte beantragt,
18das Versäumnisurteil vom 16.06.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
19Der Beklagte behauptet, die Behandlung sei insgesamt lege artis gewesen, insbesondere seien die Implantate korrekt platziert worden. Dass das rechte Implantat nach der Operation etwas nach unten gewandert ist, sei nicht unüblich und ihm nicht anzulasten. Zudem sei die Klägerin über sämtliche Risiken, die sich aus der Behandlung ergeben konnten, hinreichend aufgeklärt worden. Im Hinblick auf die erste Operation seien Aufklärungsgespräche am 17.10.2017, am 07.11.2017, am 29.12.2017, am 01.02.2018, am 13.02.2018 und am 16.02.2018 durchgeführt worden. Außerdem hätten drei dokumentierte Telefonate stattgefunden. Die handschriftlichen Eintragungen auf dem Aufklärungsbogen vom 01.10.2018 in Bezug auf die zweite Operation habe er allesamt während des Gespräches mit der Klägerin vorgenommen.
20Das Gericht hat auf Grundlage der beigezogenen Behandlungsunterlagen Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 22.12.2020 (Bl. 60 ff. d.A.) durch Einholung eines schriftlichen, plastisch-chirurgischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. O. D.-U., Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie, K., sowie durch Anhörung des Sachverständigen im Termin am 08.03.2023. Für das Beweisergebnis wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. O. D.-U. vom 25.03.2022 (Bl. 91 ff. GA) ebenso Bezug genommen wie auf das Sitzungsprotokoll vom 08.03.2023 (Bl. 180 ff. GA).
21Entscheidungsgründe:
22Der nach § 338 ZPO statthafte und auch im Übrigen gemäß §§ 339, 340 ZPO zulässige Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil hat den Prozess gemäß § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er vor der Säumnis des Beklagten war.
23Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
24I.
25Die Klägerin kann vom Beklagten Schmerzensgeld in einer Höhe von 5.000,00 Euro und materiellen Schadensersatz in Höhe von 2.380,00 Euro aufgrund eines Aufklärungsfehlers im Hinblick auf die zweite Operation vom 11.10.2018 nach §§ 630a, 630e, 280, 253, 823 BGB verlangen.
261.
27Das Gericht ist nach Anhörung der Parteien sowie im Hinblick auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr. D.-U. zu den möglichen Risiken und Komplikationen davon überzeugt, dass der zweiten Operation keine ausreichende ärztliche Risikoaufklärung durch den Beklagten vorangegangen ist, die Grundlage einer wirksamen Operationseinwilligung der Klägerin hätte sein können.
28Ein Patient muss gerade vor einer elektiven, medizinisch nicht gebotenen Operation, wie sie eine Schönheitsoperation der Brust darstellt, so über den Umfang des Eingriffs und die damit verbundenen Risiken aufgeklärt werden, dass er in der Lage ist, eine eigenständige Entscheidung über das Für und Wider der Operation zu treffen. Ihm sind deshalb Risiken der Operation deutlich vor Augen zu führen, damit er genau abwägen kann, ob er einen etwaigen Misserfolg oder möglicherweise bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.1971 – VI ZR 76/20 –, NJW 1972, 335, 337). Dies gilt auch im Vorfeld einer Revisionsoperation. Selbst wenn bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, muss im Vorfeld einer Revisionsoperation sichergestellt werden, dass dem Patienten die Risiken des (Revisions-)Eingriffes bewusst sind. Beweisbelastet für die Durchführung einer ordnungsgemäßen Aufklärung ist grundsätzlich der aufklärende Arzt, hier der Beklagte (§ 630h Abs. 2 Satz 1 BGB).
29Persönlich angehört zum Aufklärungsgespräch bezüglich der Revisionsoperation am 11.10.2018 hat die Klägerin ausgesagt, den Aufklärungsbogen „ProCompliance PIOp 7a Brustimplantatwechsel nach früherer operativer Brustvergrößerung“, datiert vom 01.10.2018, zwar unterschrieben zu haben. Im Zeitpunkt ihrer Unterschrift hätten sich auf der letzten Seite des Bogens, auf der sich auch ihre Unterschrift befindet, allerdings keine handschriftlichen Eintragungen befunden. Dass die Antwortkästchen der Rubrik „Wichtige Fragen“ im Zeitpunkt ihrer Unterschrift angekreuzt waren, könne sie nicht ausschließen.
30Der auch zum Komplex der Aufklärung angehörte plastisch-chirurgische Sachverständige Dr. O. D.-U. hat festgestellt, dass, wenn er unterstelle, dass die Aufklärung so erfolgt sei, wie die Klägerin sage, dies nicht probat und nicht zulässig wäre. Die Themen müssten so besprochen werden, wie sie im Aufklärungsformular stehen. Dieses müsse Gesprächsgegenstand sein, es dürften keine nachträglichen handschriftlichen Ergänzungen nach dem Leisten der Unterschriften hinzugefügt werden. Anderenfalls sei eine Aufklärung fehlerhaft. Vor dem Hintergrund, dass bereits vor der ersten Operation am 20.02.2018 ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, hat der Sachverständige ausgeführt, dass im Vorfeld einer Revisionsoperation dennoch hätte abgeklärt werden müssen, ob der Patientin die mit dem Eingriff verbundenen Risiken noch bekannt sind. Dies gelte insbesondere aufgrund der Tatsache, dass der Ersteingriff bereits acht Monate zurücklag.
31Es ist dem Beklagten nicht gelungen, die Ordnungsgemäßheit seiner Aufklärung zu beweisen. Persönlich angehört hat der Beklagte angegeben, dass er immer so vorgehe, dass er im Vorfeld einer Operation zwei Gespräche mit einem Patienten führe. Das erste Gespräch, welches die eigentliche Aufklärung darstelle, werde zwei bis drei Wochen vor der Operation durchgeführt, an diesem Tag finde auch die Blutabnahme statt. Beim zweiten Gespräch bespreche man mit dem Patienten den Befund und überprüfe, ob sich Änderungen zum ersten Gespräch ergeben haben, etwa eine Gewichtsveränderung. Zum Verlauf der Aufklärungsgespräche hat der Beklagte geschildert, dass der Aufklärungsbogen nicht komplett vorgelesen werde. Erwähnenswerte Dinge würden allerdings angesprochen. Der Patient habe dann die Möglichkeit, eine Mappe mit Informationsmaterial mit nach Hause zu nehmen, wovon aber nicht jeder Gebrauch mache. Auf Nachfrage des Gerichts, wie er sicherstelle, dass der Patient über alle Risiken aufgeklärt wird, hat der Beklagte betont, dass es sich bei seinen Patienten zunächst einmal um erwachsene Menschen handele, die selber lesen könnten. Darüber hinaus versuche er alles zu erwähnen, was wichtig sei. Jedenfalls habe er über die Themen gesondert aufklärt, die den Patienten besonders bewegen. Hierzu zählten die folgenden: Kapselfibrose, Form und Größe der Implantate, Unzufriedenheit mit dem Ergebnis, Asymmetrien, Narbenbildungen, Infektionen des Brustimplantates, Blutungen mit Revisionspflicht und die Kostenpflicht eventueller Revisionsoperationen. Die handschriftlichen Eintragungen auf der letzten Seite des Aufklärungsbogens vom 01.10.2018, auf dem sich auch die Unterschriften befinden, habe er während des Gesprächs mit der Klägerin vorgenommen. Warum sich seine Unterschrift auf der rechten Seite zwischen den handschriftlichen Eintragungen befindet, vermochte der Beklagte im Nachhinein nicht mehr zu sagen.
32Dieser Behauptung des Beklagten, er habe die handschriftlichen Ergänzungen im Laufe des Gesprächs vorgenommen, bevor die Klägerin den Bogen unterschrieb, folgt das Gericht nicht. Die Klägerin hat dem glaubhaft widersprochen, indem sie geschildert hat, dass sich die Ergänzungen im Zeitpunkt ihrer Unterschrift noch nicht auf der letzten Seite des Formulars befunden hätten. Das Gericht ist von der Behauptung des Beklagten nicht überzeugt. Denn zum einen widerspricht der erhebliche Umfang und Detailgrad der handschriftlichen Ergänzungen der Aussage des Beklagten, diese während des Gesprächs im Beisein der Klägerin hinzugefügt zu haben. Die Ergänzungen erstrecken sich über 34 eng und gut lesbar beschriebene Zeilen. Dabei fällt auf, dass die Ergänzungen, anders als etwa im Aufklärungsbogen vor der ersten Operation, nicht nur stichpunktartig, sondern in nahezu vollständigen Sätzen abgefasst sind, die Nebensätze und Begründungen enthalten. Die Anfertigung von Ergänzungen dieses Umfangs dürfte mindestens fünf Minuten in Anspruch nehmen; dass dies während des Gesprächs mit der Klägerin geschehen sein soll, erachtet die Kammer für nicht plausibel. Hinzukommt, dass sich inmitten der handschriftlichen Hinzufügungen die Unterschrift des Beklagten findet, im Anschluss gehen die Ergänzungen weiter. Dieser Umstand, den der Beklagten nicht zu erklären vermag, spricht ebenfalls nicht dafür, dass der Beklagte die Ergänzungen während des Gesprächs mit der Klägerin hinzugefügt hat, sondern lässt eine nachträgliche Bearbeitung vermuten. Darüber hinaus findet sich im Zusammenhang mit der Aufklärung vor der zweiten Operation keine Dokumentation über eine Erklärung der Klägerin, das Aufklärungsformular gelesen und verstanden zu haben. Seitens des Beklagten besteht zwar keine rechtliche Pflicht, eine entsprechende Unterschrift einzuholen. Eine solche würde dem Beklagten den Nachweis nach § 630h Abs. 2 Satz 1 BGB, die Klägerin ordnungsgemäß aufklärt zu haben, jedoch deutlich erleichtern. Diesen Nachweis sieht das Gericht vorliegend im Hinblick auf die zweite Operation als nicht erbracht an.
33Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 31.05.2023 (Bl. 220 f. GA) für den Fall des Nichtzustandekommens eines Vergleiches die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt, ist diesem Antrag nicht zu folgen. Denn die Voraussetzungen des § 156 ZPO liegen nicht vor. Dieses Vorbringen ist verspätet und würde bei Berücksichtigung und Wiedereröffnung zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen. Der Beklagte hatte ausreichend Gelegenheit, zuletzt im Termin, seinen Vortrag zur Aufklärung, die bereits in der Klageschrift gerügt wurde, zu stützen.
34Mangels hinreichender Aufklärung fehlt es daher an einer rechtswirksamen Einwilligung der Klägerin in die Durchführung der zweiten Operation am 11.10.2018 und der Beklagte haftet der Klägerin daher auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Kosten der Operation sind der Klägerin nicht entstanden. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Revisionsoperation hat die Klägerin jedoch einen materiellen Schadensersatzanspruch auf Erstattung der ihr für die Beauftragung des Privatgutachtens durch Herrn Prof. Dr. med. H. C. in Höhe von 2.380,00 Euro. Zudem schuldet der Beklagte der Klägerin insoweit ein angemessenes Schmerzensgeld. Im Hinblick auf die rechtswidrige Operation setzt das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 Euro fest. Dies erscheint erforderlich, aber auch hinreichend, um der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes gerecht zu werden.
352.
36Die Aufklärung vor der ersten Operation am 20.02.2018 erfolgte hingegen ordnungsgemäß, weshalb eine Haftung des Beklagten wegen Aufklärungsfehlern diesbezüglich ausscheidet. Der insofern beweisbelastete (§ 630h Abs. 2 Satz 1 BGB) Beklagte konnte zur Überzeugung des Gerichts beweisen, dass er die Klägerin anhand des Aufklärungsbogens „Diomed PO 8 Brustvergrößerung (Mamma-Augmentationsplastik)“, ausreichend über Risiken und eventuelle Folgen der Operation aufklärt hat. Die Klägerin hat den Bogen am 01.02.2018 unterschrieben und mit ihrer Unterschrift und dem Ankreuzen des entsprechenden Kästchens auf der letzten Seite des Bogens bestätigt, die Aufklärungsbogen gelesen und verstanden zu haben.
37Der auch zum Komplex der Aufklärung angehörte plastisch-chirurgische Sachverständige Dr. D.-U. hat festgestellt, dass die Aufklärung durch den bereits erwähnten Aufklärungsbogen grundsätzlich den formellen Anforderungen an eine schriftliche Aufklärung vor einem derartigen Eingriff genüge.
38Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der Behauptung der Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung, die handschriftlichen Ergänzungen des Beklagten auf der letzten Seite des Bogen seien im Zeitpunkt ihrer Unterschrift noch nicht vorhanden gewesen. Im Gegensatz zur Aufklärung vor der zweiten Operation vermag die Behauptung der Klägerin den vom Beklagten erbrachten Beweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung hier nicht zu erschüttern. Denn erstens wiederholen die handschriftlichen Ergänzungen auf der letzten Seite des Aufklärungsbogens vom 01.02.2018 im Wesentlichen die bereits im Bogen erwähnten (und an mehreren Stellen unterstrichenen und umkringelten) Risiken. Hinzukommt, dass die stichpunktartigen Anmerkungen weit weniger umfangreich sind als im Bogen vom 01.10.2018. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussage des Beklagten, er habe die Ergänzungen bereits während des Gesprächs vorgenommen, plausibel und kann durch die gegenteilige Behauptung der Klägerin nicht widerlegt werden. Schließlich ist unstreitig, dass die Parteien auf Bitten der Klägerin vor der ersten Operation bis zu sieben Informationsgespräche geführt haben, was ebenfalls für eine ausreichende Aufklärung spricht.
393.
40Darüber hinaus scheidet eine Haftung des Beklagten wegen Behandlungsfehlern im Zusammenhang mit beiden streitgegenständlichen Operationen aus.
41Behandlungsfehler des Beklagten hat die Klägerin weder im Hinblick auf die erste Operation vom 20.02.2018 noch im Hinblick auf die zweite Operation vom 11.10.2018 (Revisions-Operation) beweisen können. Der Sachverständige Dr. O. D.-U. hat in seinen schriftlich und mündlich erstatteten plastisch-chirurgischen Gutachten überzeugend dargelegt, dass dem Beklagten weder im Hinblick auf die erste Operation vom 20.02.2018 noch im Hinblick auf die zweite Operation vom 11.10.2018 ein Behandlungsfehler zur Last falle.
42Insbesondere konnte der Sachverständige nicht feststellen, dass der Beklagte bereits während der ersten Operation die Implantattasche auf der linken Brustseite zu klein ausgeführt und das Implantat zu hoch eingesetzt habe. Aus den Unterlagen und der Dokumentation kann der Sachverständige keinen Anhalt für einen Fehler im Zuge der Operation entnehmen. Zwar bemängelt der Sachverständige die Dokumentation des Beklagten als oberflächlich und lückenhaft. Dennoch könnten seiner Auffassung nach die rudimentären Anforderungen an eine Operation noch bejaht werden. So sei es vertretbar und aus medizinischer Sicht nicht beanstandungswürdig, dass der Beklagte es unterlassen hat, die konkrete Lage, in der er das Implantat eingebracht hat, näher zu bezeichnen. Die Dokumentation der konkreten Implantatlage sei medizinisch nicht zwingend erforderlich, weshalb eine entsprechende Dokumentationspflicht nicht bestehe. Auch sei ein Operateur nicht gezwungen, im Vorfeld der Operation präoperative Markierungen, etwa im Hinblick auf die zu erfolgenden Schnitte, vorzunehmen. Auch hier gelte keine Dokumentationspflicht in medizinischer Sicht, die präoperative Planung und deren Dokumentation stehe im Ermessen des Operateurs und sei üblicherweise abhängig von dessen Erfahrung. Die konkrete Einbringung des Implantates hänge maßgeblich von dessen Größe, dessen Durchmesser sowie der vorgenommenen Auswölbung ab und sei Sache des behandelnden Operateurs. Nähere Angaben hierzu seien nicht dokumentationspflichtig, da dies aus medizinischer Sicht für einen etwaigen Nachbehandler nicht erforderlich sei. Ein fehlerhaftes Vorgehen während der Operation sei auch nicht aufgrund einer eventuell fehlenden Überprüfung der Implanttatlage während der Operation festzustellen. Für den Operateur sei es nicht verpflichtend, die Position eines Implantates während der Operation zu überprüfen. Ein solches Vorgehen könne sich vielmehr erübrigen, wenn zuvor eine exakte Planung vorgenommen wurde, die ihrerseits jedoch nicht dokumentationspflichtig sei. Für das genaue Vorgehen sei die individuelle Strategie des Operateurs maßgeblich, die in seinem Ermessen stehe.
43Im Hinblick auf das kosmetische Ergebnis teilt der Sachverständige die Einschätzung der Klägerin zudem nicht. Anhand der ihm vorgelegten Dokumentation kommt er nicht zu dem Ergebnis, dass eine sog. „Wasserfall-Deformität“, d.h. ein Überhang des Weichteilmantels durch eine etwaige zu hohe Prothesenlage, eingetreten sei. Hinreichende Anhaltspunkte, dass eine solche bei der Klägerin vorläge, bestünden seiner Ansicht nach nicht.
44Auch aufgrund des übrigen Beschwerdebildes, welches die Klägerin im Anschluss an die erste Operation beschreibt, kann der Sachverständige nicht darauf schließen, dass während der Operation nicht dem erforderlichen medizinischen Standard entsprechend vorgegangen wurde. So hat der Sachverständige ausgeführt, dass die von der Klägerin geschilderten Schmerzen verschiedene Ursachen haben könnten. Sie könnten einerseits mit der Wundabheilung im Zusammenhang mit dem Einbringen der Implantate zusammenhängen, es könnten andererseits aber auch Irritationen im Bereich der Nerven im Zusammenhang mit der Brustmuskulatur oder auch an den Faszien ursächlich sein. Hinzu komme die Möglichkeit, dass durch das Einkapseln des Implantates Schmerzen verursacht werden. Der Sachverständige hat deutlich gemacht, dass bei jedem Einbringen eines Fremdkörpers, wie sie die Implantate darstellen, eine Bindegewebsreaktion erfolge. Aus seiner Sicht sei aufgrund des Beschwerdebildes und der geschilderten Folgen ein Rückschluss auf ein fehlerhaftes Vorgehen des Beklagten nicht möglich.
45Das gleiche gelte im Übrigen auch für von der Klägerin geltend gemachte Übelkeit und Schlafstörungen: Auch hier sieht der Sachverständige keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einbringen der Implantate. Es handele sich vielmehr um psychosomatische Effekte, die unter dem Begriff „Breast Implant Illness“ durchaus bekannt und ernst zu nehmen seien, allerdings nicht unmittelbar auf die Implantate zurückgeführt werden könnten.
46Auch im Hinblick auf die Revisions-Operation vom 11.10.2018 kann der Sachverständige keinen Behandlungsfehler durch den Beklagten feststellen. Zwar erkennt der Sachverständige ausweislich seines Gutachtens einen moderaten „Bottoming-Out-Effekt“ auf der rechten Brustseite, der seine Ursache in der Implantatposition in Relation zur Brustwarzenhöhe habe. Durch Herabrutschen des Implantates werde die idealerweise in der Mitte befindliche Brustwarze etwas nach oben verschoben, wodurch die untere Rundung der Brust mehr betont werde. Die Unterbrustfalte trete dann höher und werde auffälliger. Dennoch sei das optische Ergebnis auch nach der zweiten Operation aus Sicht des Sachverständigen nicht zu beanstanden und lasse keine Rückschlüsse auf einen Behandlungsfehler zu.
47Hinzu kommt, dass ein solcher „Bottoming-Out-Effekt“ nach dem Gutachten des Sachverständigen als schicksalshaft einzuordnen ist. Er sei nicht zu verhindern und lasse keine Rückschlüsse auf ein medizinisch fehlerhaftes Vorgehen während der Operation zu. Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass ein solches Herabrutschen des Implantates multifaktorielle Ursachen haben könne. Schlüsse auf eine zu tiefe Positionierung des Implantates während der Operation seien nicht zulässig, da das Absacken des Implantates am häufigsten auf eine postoperativ eintretende Gewebeerschlaffung zurückzuführen sei, die ohne Weiteres auch nur auf einer Seite auftreten könne und vom Gewebezustand der Patientin abhängig sei. Maßgeblich sei eine ausreichende Stabilisierung der Unterbrustfalte, die durch die Verwendung des richtigen Nahtmaterials erreicht werden könne. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ein falsches Nahtmaterial verwendet wurde, bestehen aus Sicht des Sachverständigen jedoch nicht, auch wenn es hierfür an der – medizinisch gebotenen – Dokumentation durch den Beklagten fehle und diese, auch aus Sicht eines Nachbehandlers, wünschenswert gewesen wäre. Gegen die Verwendung des falschen Nahtmaterials spricht nach Auffassung der Kammer auch, dass der – nach Beurteilung des Sachverständigen – „moderate Bottoming-Out-Effekt“ nur auf der rechten Brustseite aufgetreten ist.
48Doch selbst wenn im Rahmen der Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 3 BGB zu vermuten wäre, dass der Beklagte es unterlassen hat, korrektes Nahtmaterial zu verwenden, führe dies nicht zu dessen Haftung: Denn diese setzt auch im Fall einer fehlerhaften Dokumentation jedoch voraus, dass das Herabrutschen des Implantats auf die – unterstellte – Verwendung der falschen Nähte zurückzuführen ist, wofür die Klägerin beweisbelastet bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 03.11.1998 – VI ZR 253/97 –, juris, Rn. 16). Der entsprechende Kausalitätsnachweis gelingt der Klägerin jedoch nicht, da das Herabsacken des Implantates nach überzeugender Schilderung des Sachverständigen verschiedene Ursachen haben kann. Es sei nicht möglich, auf der Basis von Statistiken seriös Wahrscheinlichkeiten zu benennen.
49Die vorstehend wiedergegebenen gutachterlichen Feststellungen konnte die Kammer ihrer Entscheidung uneingeschränkt zu Grunde legen. Hierbei hat sie berücksichtigt, dass die fachliche Kompetenz des Sachverständigen Dr. D.-U. unter keinem Gesichtspunkt in Zweifel gezogen werden kann und von den Parteien auch nicht angegriffen wird. Der Sachverständige bezieht seine Fachkunde aus seiner langjährigen Tätigkeit im Bereich der plastischen Chirurgie. Der Sachverständige hat das von ihm Festgestellte überzeugend und nachvollziehbar zu erläutern vermocht. Hierbei hat er alle an ihn gerichteten Rückfragen erschöpfend und präzise beantworten können. Die Grundlagen seiner Erkenntnisse, insbesondere die von ihm eingesehenen, vollständigen ärztlichen Behandlungsunterlagen, hat er durchgängig kenntlich gemacht und im Einzelnen verdeutlicht, aus welchem Grund die vorhandenen Anknüpfungstatsachen zu den gefundenen Ergebnissen geführt haben. Mängel der Begutachtung sind hiernach unter keinem Aspekt erkennbar, so dass sich das Gericht den gutachterlichen Ausführungen in vollem Umfang anschließt.
50Ein Behandlungsfehler des Beklagten ergibt sich – im Hinblick auf beide Operationen – auch nicht vor dem Hintergrund des von der Klägerin in Auftrag gegebenen Privatgutachtens von Herrn Prof. Dr. med. H. C.. Die darin vertretene Auffassung, dass beide Operationen behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden seien, da die linke Brustprothese zu hoch eingesetzt worden sei, sieht die Kammer nicht als erwiesen an.
51Der Sachverständige Dr. D.-U. hat sich auch mit dem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten auseinandergesetzt – und insbesondere auch die im Privatgutachten vorliegende Fotodokumentation im Rahmen seiner Gutachtenerstellung zur Beurteilung verwendet – und wurde in der mündlichen Verhandlung von der Kammer hierzu angehört. Wie er auch in diesem Zusammenhang überzeugend ausgeführt hat, ist die Positionierung der Implantate nicht fehlerhaft. Dies ergebe sich bereits aus der metrischen Ermittlung von Prof. Dr. C., anhand derer feststellbar sei, dass die Situation im Wesentlichen symmetrisch ist. So liege lediglich eine einseitig etwas höhere Brustwarze vor, was allerdings eine Situation im anatomischen Normbereich sei. Unter Vorhalt der Ergebnisse des Privatgutachtens hat der Sachverständige Dr. D.-U. überzeugend bekräftigt, dass das Ergebnis in ästhetischer Hinsicht zu vertreten sei.
52Auch diese gutachterlichen Feststellungen konnte die Kammer ihrer Entscheidung unter Berücksichtigung der fachlichen Kompetenz des Sachverständigen Dr. D.-U. uneingeschränkt zu Grunde legen. Die Ausführungen des Herrn Prof. Dr. C. in seinem Privatgutachten vom 15.11.2019 lassen nicht erkennen, dass ihm eine höhere Sachkunde zukäme als dem gerichtlich bestellten Sachverständigen. Es kommt hinzu, dass der Privatgutachter seine These, die Brustprothese links sei zu hoch eingebracht, nicht hinreichend begründet. Soweit ersichtlich, stützt er sie auf die auf S. 32 des Privatgutachtens abgedruckte Fotodokumentation (Abb. 8), die den klinischen Befund nach der ersten Operation vom 20.02.2018 darstellen soll. Dabei handelt es sich scheinbar um von der Klägerin selbst angefertigtes Bildmaterial. Wie der gerichtliche Sachverständige Dr. D.-U. überzeugend ausgeführt hat, lässt sich auf Basis dieser zu Dokumentationszwecken ungeeigneten Selbstaufnahme der Patientin jedoch nicht beurteilen, inwieweit eine Implantatfehlpositionierung vorlag. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Brust auf der linken Seite stark geschwollen ist, sodass eine Beurteilung der Implantatposition schon alleine aus diesem Grund nicht möglich ist.
53II.
54Aufgrund der Rechtswidrigkeit der zweiten Operation vom 11.10.2018 besteht auch insoweit der eingeklagte Feststellungsanspruch.
55III.
56Die Zinsforderung ist begründet gemäß §§ 286, 288 BGB.
57IV.
58Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 344 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus 709 ZPO.
59Der Streitwert wird auf 42.380,00 EUR festgesetzt (Feststellungsantrag: 5.000,00 EUR).