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1. Die Verfügungsbeklagte hat es vorläufig zu dulden, dass die Verfügungsklägerin ab dem 01.04.2023 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache als Geschäftsführerin bei der Firma D. G. E. GmbH tätig wird.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsbeklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Verfügungsklägerin war bis zur ihrer Abberufung am 11.08.2022 die Geschäftsführerin der Verfügungsbeklagten.
3Die Verfügungsbeklagte stellt als TV-Produktionsunternehmen überwiegend Dokumentationen, Reportagen und Formate aus dem Bereich „K. O.“ für nahezu alle größeren deutschsprachigen Fernsehsender her.
4In Ziff. 9 des zwischen den Parteien am 07.06.2019 geschlossenen Anstellungsvertrages ist folgendes geregelt:
5„NACHVERTRAGLICHES WETTBEWERBSVERBOT
69.1 Ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Gesellschafterversammlung darf Frau U.-Z. während der Sperrfrist (wie in Ziffer 9.6 (b) definiert) keine der in lit. (a) bis lit. (e) dieses Ziffer 9.1. aufgeführten Handlungen oder Maßnahmen vornehmen
7(a) direkte oder indirekte Ausübung von Geschäftsaktivitäten, die mit den Geschäftstätigkeiten der Gesellschaft im Tätigkeits-Gebiet am Kündigungstag (jeweils wie in Ziffer 9.6 definiert) konkurrieren (eine solche Geschäftstätigkeit ist eine "Konkurrenztätigkeit');
8(b) als Mitglied der Geschäftsführung oder als Angestellter oder Berater oder Vertreter oder auf sonstige Weise für ein Unternehmen oder eine Person direkt oder indirekt tätig sein, die eine Konkurrenztätigkeit ausführt;
9(c) […]
109.2 Die Gesellschaft kann von Frau U.-Z. für jeden Einzelfall eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot und / oder das Verbot der Abwerbung nach Ziffer 9.1 eine Vertragsstrafe in Höhe von EUR 50.000,00 verlangen, wenn die Situation oder der Umstand, aus dem sich der Verstoß ergibt, länger als ein (1) Monat andauert – gilt jeder angefangene Monat als neuer und unabhängiger Fall eines Verstoßes; Die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs ist ausgeschlossen. Alle anderen Rechte und Rechtsmittel, die die Gesellschaft möglicherweise im Zusammenhang mit dem entsprechenden Verstoß hat, bleiben unberührt.
119.3 Als Gegenleistung für die Verpflichtung von Frau U.-Z. gemäß Ziffer 9.1 zahlt die Gesellschaft Frau U.-Z. für jedes Jahr des nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes gemäß Ziffer 9.1 eine Entschädigung in Höhe von 75% ihrer zuletzt erhaltenen vertraglichen Vergütung nach § 74 abs. 2 HGB (die "Entschädigung"). Die Gesellschaft kann während der Sperrfrist alle Einkünfte von Frau U.-Z. von der Entschädigung abziehen, sofern diese Einkünfte und die Entschädigung zusammen den Betrag der zuletzt erhaltenen vertraglichen Vergütung von Frau U.-Z. übersteigen. Frau U.-Z. verpflichtet sich, die Gesellschaft unverzüglich über solche Erträge zu informieren. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eigener Immobilien stellen keine Einkünfte im Sinne dieser Regelung dar. Im Übrigen gilt § 74a, 74b, 74c und 75a HGB entsprechend.
129.4 Die Gesellschaft kann jederzeit und nach eigenem Ermessen mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines jeden Kalendermonats auf ihre Rechte aus diesem Abschnitt 9 verzichten. In diesem Fall erlischt die Verpflichtung der Gesellschaft zur Zahlung der Entschädigung oder verringert sich zeitanteilig (je nach Fall).
139.5 […]
149.6 Für die Zwecke dieser Ziffer 9 bedeuten
15„Sperrfrist" ist ein Zeitraum von 24 Monaten beginnend mit dem Beendigungszeitpunkt;
16„Tätigkeits-Gebiet" sind alle Gebiete, in denen die Gesellschaft zum Beendigungszeitpunkt geschäftlich tätig ist und
17„Beendigungszeitpunkt“ ist das Datum zu dem dieser Vertrag aus welchem Grund auch immer endet.“
18Ferner ist Ziff. 10 Folgendes festgehalten:
19„Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages ganz oder teilweise ungültig oder undurchsetzbar sein oder werden, ist die Gültigkeit oder Durchsetzbarkeit der anderen Bestimmungen dieses Vertrages (oder des jeweils gültigen und durchsetzbaren Teils der betreffenden Bestimmung) hiervon nicht berührt. Die ungültige oder nicht durchsetzbare Bestimmung (oder der ungültige oder nicht durchsetzbare Teil der betreffenden Bestimmung) soll durch eine gültige und durchsetzbare Bestimmung ersetzt werden, die dem wirtschaftlichen Ziel und Zweck der ungültigen oder nicht durchsetzbaren Bestimmung so nahe wie möglich kommt (oder des nicht durchsetzbaren Teils der betreffenden Bestimmung). Insbesondere wenn eine Bestimmung dieses Vertrages aufgrund des Umfangs einer darin festgelegten Frist oder Leistung ungültig oder nicht durchsetzbar ist, soll eine gesetzlich zulässige Frist oder Leistung vereinbart werden, die der festgelegten Frist oder Leistung so nahe wie möglich kommt.“
20Für die weiteren Einzelheiten des Anstellungsvertrags wird auf Anlage AS 1 (Bl. 13ff. d.A.) verwiesen.
21Einzelne Punkte der Regelung des von der Verfügungsbeklagten vorformulierten Wettbewerbsverbots wurden, wie aus Anlage AG 17 Bl. 189ff. ersichtlich, von der Verfügungsbeklagten gestrichen oder geändert, als dieses zwischen den Parteien vereinbart wurde. Zuvor hatte die Verfügungsbeklagte erklärt, dass sie auf das Wettbewerbsverbot nicht verzichten werde, nachdem der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin sich dafür ausgesprochen hatte, dass in dem dem Geschäftsführeranstellungsvertrag vorangegangenen Kaufvertrag zwischen der Verfügungsklägerin und alleinigen Gesellschafterin der Verfügungsbeklagten auf ein Wettbewerbsverbot verzichtet werden könne, da eine ausreichende Regelung im Geschäftsführeranstellungsvertrag getroffen werde (siehe Anlage AG 2, Bl. 113 und 115).
22Zum 01.07.2022 wurde neben der Verfügungsklägerin Frau T. M. zur weiteren Geschäftsführerin bestellt. Nachdem die Zusammenarbeit der Geschäftsführerinnen samt der mit der Verfügungsklägerin verbundenen Stellvertreterin Frau W. nicht wie gewünscht funktionierte, wurde in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 11.08.2022 die Geschäftsführerbestellung der Verfügungsklägerin widerrufen. Der Beschluss wurde ihr mitgeteilt und sie wurde mit sofortiger Wirkung freigestellt.
23In der außerordentlichen Gesellschafterversammlung wurde des Weiteren folgender Beschluss gefasst:
24„Der Anstellungsvertrag (Geschäftsführer-Dienstvertrag) vom 07.06.2019 mit Frau F. U.-Z. sieht vor, dass Frau U.-Z. bis mindestens Ende Oktober 2023 als Geschäftsführerin tätig sein soll und mithin eine (ordentliche) Kündigung seitens der GmbH nicht vor Ablauf des April 2023 erklärt werden darf. Insofern wird die GmbH ermächtigt und bevollmächtigt, entweder Frau U.-Z. unwiderruflich von der Erbringung ihrer vertraglich geschuldeten Leistungen freizustellen und sobald zulässig die ordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages zu erklären, oder einen Aufhebungsvertrag über den vorgenannten Geschäftsführer-Dienstvertrag mit der Geschäftsführerin F. U.-Z. zu schließen und alle hierzu erforderlichen Rechtshandlungen vorzunehmen, Maßnahmen zu treffen und Willenserklärungen abzugeben.
25Gem. Ziffer 9.4 des Anstellungsvertrages (Geschäftsführer-Dienstvertrag) soll auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verzichtet werden.“
26Noch am 11.08.2022 ließ die Verfügungsklägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mitteilen, welche Bedingungen sie an eine Abfindungslösung stelle. Diese beinhaltete den Verzicht auf das Wettbewerbsverbot.
27Am 15.08.2022 folgte die Antwort seitens der Verfügungsbeklagten, dass sie sich als „frühestmöglichen Beendigungstermin Ende Oktober 2023“ vorstelle. Der Hintergrund sei, „dass wir [die Beklagte] vor allem nicht auf das vertragliche Wettbewerbsverbot verzichten möchten“. In dem beigefügten Entwurf einer Aufhebungsvereinbarung war ein Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot in Ziff. 9.4. des Anstellungsvertrags mit Wirkung zum 28.02.2023 genannt.
28Die Verfügungsklägerin lehnte die vorgeschlagene Aufhebungsvereinbarung am 17.08.2022 ab.
29Am 26.09.2022 wandte sich die Verfügungsklägerin wie folgt per E-Mail an Herrn N. R., den Geschäftsführer der alleinigen Gesellschafterin (J. C. GmbH) der Verfügungsbeklagten: „ […] Ich möchte deshalb gern eine vollständige „Scheidung" vollziehen und denke darüber nach, meinen Vertrag vorzeitig zu kündigen. Anbieten würde sich eine Kündigung zum April, weil da auch die letzte Zahlung für die GT fällig ist. Sinn macht das allerdings nur, wenn Du dann auch auf die Wettbewerbsklausel verzichtest. […]“, Anlage AS 4, Bl. 38 d.A.
30Noch am selben Tag antwortete Herr R.: „ […] Es gab etliche Möglichkeiten nach dieser Entscheidung vernünftig, partnerschaftlich oder wenigstens wie Erwachsene (im Sinne und zum Wohle der Firma und ihrer Mitarbeitenden) zu kommunizieren oder zu reagieren. Auch Deinen Abschied hätten wir gerne „schön" gestaltet. Das hast all das abgelehnt. Nun bittest Du mich in Deiner Mail (Let‘s face it) Dein Wettbewerbsverbot aufzulösen um die Chance zu bekommen der GT Konkurrenz zu machen. Was glaubst Du werde ich (im Sinne der Firma) entscheiden? Wenn die P. H. wieder stabil steht und alle Beteiligten ein konstruktives Verhalten pflegen, können wir diese Gespräche aufnehmen. Dies ist im Moment nicht der Fall. […]“, Anlage AS5.1, Bl. 39 d.A.
31Die Verfügungsklägerin kündigte den Anstellungsvertrag am 29.09.2022 zum 31.03.2023.
32Am 04.10.2022 erreichte die Verfügungsklägerin ein konkretes Vertragsangebot der D. G. E. GmbH, nach dem die Antragstellerin dort die Geschäftsführung ab dem 01.04.2023 übernehmen sollte. Dieses Angebot nahm die Verfügungsklägerin am 05.10.2022 an. Der Geschäftsführeranstellungsvertrag mit der D. G. E. GmbH steht gemäß dessen Ziffer 12.2 unter der auflösenden Bedingung, dass die Verfügungsklägerin an der Ausübung der Tätigkeit nicht aufgrund eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes gehindert ist. Die D. G. E. GmbH ist Wettbewerberin der Verfügungsbeklagten.
33Während eines Spaziergangs am 06.10.2022 fand ein weiteres Gespräch zwischen Herrn R. und der Verfügungsklägerin statt, in dem erneut u.a. ein Verzicht auf das Wettbewerbsverbot Thema war.
34Auf Nachfrage der Verfügungsklägerin vom 22.11.2022 antwortete Herr R. am selben Tag, dass „derzeit“ das Wettbewerbsverbot „definitiv“ nicht aufgehoben werde.
35Mit E-Mail vom 28.11.2022 forderte sie Herrn R. nochmals (Anlage AS 9, Bl. 43 d.A.) zu einer deutliche Stellungnahme zu ihrer beabsichtigten Tätigkeit ab dem 01.04.2023 auf. Dieser antwortete am selben Tag, dass er beabsichtige, den Vertrag anzuwenden und nur bei künftigen Tätigkeiten oder Plänen außerhalb direkter Konkurrenz, die der Beklagten nicht schaden, dass Thema neu besprochen werden könne (Anlage AS 10, Bl. 44 d.A.).
36Die Verfügungsklägerin beantragt mit dem bei Gericht am 13.12.2022 eingegangenen Antrag,
37es der Antragstellerin vorläufig zu gestatten, ab dem 01.04.2023 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache als Geschäftsführerin der Firma D. G. E. GmbH tätig zu werden.
38Die Verfügungsbeklagte beantragt,
39den Antrag zurückzuweisen.
40Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
41Entscheidungsgründe:
42Der zulässige Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist begründet.
43I. Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Verfügungsanspruch auf vorläufige Duldung ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Firma D. G. E. GmbH ab dem 01.04.2023 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache.
441. Der Verfügungsanspruch folgt allerdings nicht aus einem Verzicht der Verfügungsbeklagten auf das Wettbewerbsverbot. Ein Aufhebungsvertrag mit Verzicht auf das Wettbewerbsverbot, wie mit dem Gesellschafterbeschluss vom 11.08.2022 beabsichtigt („soll“ und nicht „wird“), ist gerade nicht zustande gekommen. Nach beiderseitigem Verständnis der Parteien verzichtete die Verfügungsbeklagte nicht unabhängig hiervon, wie die zwischen der Klägerin und Herrn R. geführte Kommunikation zeigt, da die Verfügungsklägerin ansonsten nicht auf den Verzicht hätte drängen müssen und auch kein Anlass bestanden hätte, diesen Punkt im Rahmen der Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag einzubeziehen.
452. Das Wettbewerbsverbot unterliegt nicht der AGB-Kontrolle, da es – wie aus Anlage AG17 (Bl. 189ff. d.A.) ersichtlich – zwischen den Partien inhaltlich individuell ausgehandelt wurde und die Änderungen der Verfügungsklägerin übernommen wurden. Dass die Verfügungsbeklagte etwa im Rahmen dieser Verhandlungen auf einem Wettbewerbsverbot bestand, widerspricht dem inhaltlichen Aushandeln des Wettbewerbsverbots im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB nicht.
463. Ein Verfügungsanspruch ist gegeben, weil das Wettbewerbsverbot nach § 138 BGB i. V. m. Art. 2, 12 GG insgesamt nichtig ist und nicht geltungserhaltend reduziert werden kann.
47Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH mit Rücksicht auf die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit nur dann gerechtfertigt und nicht gemäß § 138 BGB sittenwidrig, wenn es den berechtigten Interessen der Gesellschaft dient und in gegenständlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht das notwendige Maß nicht überschreitet (BGH, NZG 2008, 753; NJW 2005, 3061, 3062; NZG 2002, 475, 476; NJW 1984, 2366, 2367). Dies ist hier in gegenständlicher Hinsicht nicht der Fall.
48Berechtigte Interessen der Verfügungsbeklagten bestehen zwar. Der Schutz von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen kann auf dem Markt für TV-Produktionen – in gegenständlicher Hinsicht – ein Wettbewerbsverbot begründen. In Bezug auf die Auftraggeber / Kunden selbst ist der Markt zwar transparent, da es nur wenige TV-Sender gibt. Ebenso ist er mit Blick auf die Budgets für die Auftragsproduktionen und Lieferantenkosten transparent, so wie von der Verfügungsklägerin beschrieben. Darüber hinausgehende Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, wie die genaue Kalkulation der gesamten Produktionskosten, Rahmenverträge, in der Entwicklungsphase befindliche Formate, sind den Wettbewerbern jedoch nicht bekannt. Hier mag die Verfügungsbeklagte also ein Interesse daran haben, dass die Verfügungsklägerin nicht ihre bisherigen Kontakte und das Wissen aus ihrer Zeit als Geschäftsführerin bei der Verfügungsbeklagten bzw. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nutzt, um Wettbewerbsvorteile bei der Auftragsvergabe für die D. G. E. GmbH zu erhalten.
49Das in Ziff. 9.1. (b) geregelte Verbot der sog. „Konkurrenztätigkeit“, mit welchem es der Verfügungsklägerin verboten wird, „als Mitglied der Geschäftsführung oder als Angestellter oder Berater oder Vertreter oder auf sonstige Weise für ein Unternehmen oder eine Person direkt oder indirekt“ tätig zu sein, die eine solche Konkurrenztätigkeit ausführt, überschreitet jedoch in gegenständlicher Hinsicht das notwendige Maß (vgl. auch OLG Brandenburg, Urteil v. 15.12.2020, Az. 6 U 172/18, BeckRS 2020, 40116 Rn. 52; OLG Hamm, Urteil v. 08.08.2016, Az. 8 U 23/16, BeckRS 2016, 20914, Rn. 23f.; OLG München, NZA-RR 2019, 82 Rn. 9ff.). Durch die Formulierung wird der Verfügungsklägerin jegliche Tätigkeit bei einem konkurrierenden Unternehmen verboten, gleich ob sie bei der Tätigkeit Kundenkontakt hat oder nicht, ein Bezug zu ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin bei der Verfügungsbeklagten gegeben ist oder sie überhaupt in einer Position arbeitet, in welcher sie die berechtigten Interessen der Verfügungsbeklagten beeinträchtigen kann.
50Dies fällt umso schwerer ins Gewicht, als dass hier für den Fall des Verstoßes eine (monatlich zu zahlende) Vertragsstrafe von 50.000,00 € genannt ist (Ziff. 9.2.).
51Nicht entscheidend relativiert wird das in gegenständlicher Hinsicht zu weit reichende Wettbewerbsverbot über die in Ziff. 9.3. genannte Karenzentschädigung. Denn ein Wettbewerbsverbot kann zum einen grundsätzlich auch ohne eine solche vereinbart werden (BGH, NZG 2008, 664 Rn. 6 m.w.N.; OLG Hamm, Urteil v. 08.08.2016, Az. 8 U 23/16, BeckRS 2016, 20914, Rn. 25). Zum anderen müsste die gegenständliche Reichweite dann bei der Bestimmung der Karenzentschädigung ausreichend berücksichtigt sein.
52Es kommt nicht darauf an, ob mit der Verfügungsbeklagten wirksam ein Wettbewerbsverbot hinsichtlich der beabsichtigten Tätigkeit als Geschäftsführerin bei Wettbewerbern wie der D. G. E. GmbH hätte vereinbart werden können. Die Verfügungsbeklagte kann sich nicht nur auf den etwaig wirksamen Teil berufen und insoweit Unterlassung begehren sowie bei Verstößen weitere Ansprüche geltend machen (so aber im Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis bei teilweise unverbindlichen Wettbewerbsverboten, siehe BAG, NZA 2010, 1175, 1177 Rn. 23).
53Eine geltungserhaltende Reduktion ist vorliegend nicht durchzuführen. Bei einem Verstoß gegen § 138 BGB verneint der BGH bei einem – wie hier in Ziff. 9.1. (b) – in gegenständlicher Hinsicht zu weit gefassten Wettbewerbsverbot grundsätzlich dessen geltungserhaltende Reduktion (BGH, NJW 2005, 3061, 3062; NJW 1997, 3089, 3090). Dass die geltungserhaltende Reduktion nicht durchzuführen ist, beruht auf zwei Gründen. Zum einen wegen der Überschreitung des den Gerichten eingeräumten Gestaltungsspielraums, weil es auf den übrigen Inhalt des sittenwidrigen Geschäfts rechtsgestaltend einwirken müsste (BGH, NJW 1997, 3089, 3090). Denn es sind die unterschiedlichsten Regelungen denkbar, um z.B. einen sachgerechten, die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen berücksichtigenden Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien herbeizuführen (BGH a.a.O.). Zum anderen wegen des mit § 138 BGB verfolgten Zwecks, den Betroffenen das Risiko zuzuweisen, dass eine zwischen ihnen getroffene Vereinbarung sittenwidrig und nichtig ist (BGH a.a.O.).
54Die Parteien können durch die Vereinbarung einer salvatorischen Klausel – wie hier in Ziff. 10.1. – oder den Verweis auf § 74a HGB – wie hier in Ziff. 9.3. – auch keine geltungserhaltende Reduktion quasi zulassen und herbeiführen (siehe dazu OLG Nürnberg, Urteil v. 25.02.2009, Az. 12 U 681/09, BeckRS 2010, 1746; Neumann / Meißner, GWR 2019, 146; von Westphalen / Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 48. EL März 2022, Rn. 223; befürwortend OLG Köln, NZG 2001, 165, 167 mit Anmerkungen von Gitter, der die geltungserhaltende Reduktion ablehnt). Selbst wenn man über die salvatorische Klausel und / oder den Verweis auf § 74a ff HGB den Gerichten einen gewissen Gestaltungsspielraum einräumt, so bleibt es dabei, dass bei der Reduktion der gegenständlichen Reichweite unterschiedliche Regelungen denkbar sind, um den gebotenen Interessenausgleich herbeizuführen, d.h. hier vor allem in der Abhängigkeit zur Vertragsstrafe und zur Karenzentschädigung. Insoweit fehlt es an einem abtrennbaren Teil i.S. des § 139 BGB, da das Äquivalenzverhältnis betroffen ist (so im Ergebnis auch OLG Nürnberg, Urteil v. 25.22.2009, Az. 12 U 681/09, BeckRS 2010, 1746, vgl. hierzu BGH, NJW 2009, 1135 Rn. 14ff.; Ellenberger, in: Grüneberg, BGB 82. Auflage 2023, § 139 Rn. 10, 12, § 266 Rn. 3). Letztlich muss es also dabei bleiben, dass bei gegenständlich zu weit gefassten Wettbewerbsverboten das Risiko der Nichtigkeit nach § 138 BGB gerade den Betroffenen zuzuweisen ist und diese sich nicht darauf verlassen können, schlimmstenfalls durch gerichtliche Festsetzung das zu bekommen, was die Parteien nach Auffassung des Gerichts bei redlicher Denkweise als gerechten Interessenausgleich hätten akzeptieren sollen (BGH, NJW 2009, 1135 Rn. 14).
55Die Gegenansicht führt zwar aus, dass die bei einem Arbeitnehmer mögliche geltungserhaltende Reduktion gerade bei einem Geschäftsführer ebenso möglich sein müsse, dessen nachvertragliche Tätigkeit im Vergleich zu einem Arbeitnehmer als schädlicher erachtet wird (so z.B. Borgmann, in: Hümmerich/Reufels, Gestaltung von Arbeitsverträgen, 4. Auflage 2019, § 2 Rn. 1171f.). Jedoch kennt die Prüfung des § 138 BGB weder den Unterschied zwischen „unverbindlich“ und „nichtig“ noch das zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Wahlrecht, sich bei einem insgesamt unverbindlichen Wettbewerbsverbot dennoch auf dieses zu berufen, um die Karenzentschädigung zu erhalten (siehe zu letzterem BAG, NZA 2010, 1175, 1177 Rn. 25). Rechte aus einem unverbindlichen Wettbewerbsverbot soll nur der Arbeitnehmer herleiten können (BAG, Urteil v. 18.1.2000, Az. 9 AZR 929/98, BeckRS 2010, 71640 Rn. 11). Der Geschäftsführer hat dagegen, wenn das Wettbewerbsverbot nichtig ist, kein Wahlrecht und er kann keine Karenzentschädigung verlangen (OLG Hamm, Urteil v. 08.08.2016, Az. 8 U 23/16, BeckRS 2016, 20914, Rn. 21). Dies wird nicht als unbillig empfunden, da ein Wettbewerbsverbot mit einem Geschäftsführer gerade ohne Karenzentschädigung vereinbart werden kann (BGH, DStR 2008, 1842). Die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber sich auf den verbindlichen Teil eines teilweise unverbindlichen Wettbewerbsverbots berufen kann, ohne dass der Arbeitnehmer ein Wahlrecht ausüben muss, wird alleine aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt (BAG, NZA 2010, 1175, 1177 Rn. 26ff.), nicht also zugunsten des Arbeitgebers – oder, wenn man die Rechtsprechung auf den Geschäftsführeranstellungsvertrag übertragen wollte – zugunsten des Dienstherrn des Geschäftsführers.
56Das BAG spricht vor allem dem Arbeitnehmer bei einer teilweisen Unverbindlichkeit die Karenzentschädigung in voller Höhe zu (BAG, NZA 2010, 1175, 1177 Rn. 26, 30). Es führt die geltungserhaltende Reduktion damit nicht in Abhängigkeit der Karenzentschädigung oder etwa Vertragsstrafe durch, wie dies vorliegend geboten wäre. Der gebotene Interessenausgleich ist nicht vergleichbar, da der Geschäftsführer einen nicht vergleichbaren, weit größeren Verhandlungsspielraum beim Aushandeln der Bedingungen für das Wettbewerbsverbot als der Arbeitnehmer hat. Das Ergebnis der Rechtsprechung des BAG kann so bei einer geltungserhaltenden Reduktion eines Wettbewerbsverbotes in einem Geschäftsführeranstellungsvertrag nicht einfach unterstellt werden, wenn ein sachgerechter, die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen berücksichtigender Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien herbeizuführen ist.
57II. Indem die beabsichtigte Tätigkeit der Verfügungsklägerin nur vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache geduldet werden muss, wird dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache Rechnung getragen. Die Duldungsverpflichtung der Beklagten führt für den Zeitraum bis zur endgültigen Klärung in der Hauptsache nur zu einer teil- bzw. zeitweisen Vorwegnahme der Hauptsache. Diese ist hier bei Abwägung der Interessen der Parteien ausnahmsweise zulässig.
58Eine auf (teil- bzw. zweitweise) Befriedigung gerichtete einstweilige Verfügung ist zulässig, wenn der Antragsteller auf die sofortige Erfüllung dringend angewiesen ist und die geschuldete Handlung, soll sie ihren Sinn nicht verlieren, so kurzfristig zu erbringen ist, dass das Abwarten eines Titels in der Hauptsache nicht mehr möglich erscheint (OLG Frankfurt a.M., Beschluss v. 02.12.2015, Az. 5 W 35/15, BeckRS 2016, 4038 Rn. 15; OLG Köln, NJW-RR 1995, 1088; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 940 Rn. 6).
59Ohne die zweitweise Duldung der neuen Tätigkeit der Verfügungsklägerin kann diese die Stelle bei der D. G. E. GmbH nicht antreten. Denn insofern steht der Geschäftsführeranstellungsvertrag mit dieser unter der auflösenden Bedingung, dass die Verfügungsklägerin an der Ausübung der Tätigkeit nicht aufgrund eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes gehindert ist. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Parteien den Vertrag zu irgendeinem beliebigen oder bestimmten späteren Zeitpunkt abgeschlossen hätten. Dies ergibt sich bereits aus dem vereinbarten Vertrag. Ansonsten hätte die Bedingung gelautet, dass der Vertrag erst (spätestens jedoch bis zum … ) zustande kommt, wenn die Verfügungsklägerin nicht mehr aufgrund eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots an der Ausübung der Tätigkeit gehindert ist. Sie ist damit auf die Duldung durch die Verfügungsbeklagte angewiesen, so dass der Vertrag zustande kommt und sie ihre Tätigkeit aufnehmen kann. Eine erst nach dem 01.04.2023 zu erwartende Entscheidung im Hauptsacheverfahren kann diese Bedingung nicht mehr herbeiführen.
60Es liegt schließlich nicht nur in der Hand der Klägerin, sondern auch der Verfügungsbeklagten, die rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren herbeizuführen, da beide eine entsprechende Klage erheben oder herbeiführen können.
61III. Ein Verfügungsgrund i. S. der §§ 935, 940 ZPO, der eine vorläufige Sicherung oder Regelung im Eilverfahren zu rechtfertigen vermag, besteht anerkanntermaßen im Falle der Dringlichkeit. Diese besteht hier grundsätzlich, da die Verfügungsklägerin zum 01.04.2023 ihre neue Stelle antreten will und bis dahin nicht mit einer Entscheidung in der Hauptsache zu rechnen ist.
62Die Dringlichkeit ist zwar in den Fällen zu verneinen, in denen der Antragsteller / Verfügungskläger in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände zunächst eine längere Zeit untätig bleibt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erst nach längerer Zeit stellt und somit diese durch sein eigenes Verhalten selbst widerlegt (OLG Köln, Beschluss v. 22.1.2010, Az. 6 W 149/09, BeckRS 2010, 5153 Rn. 4; Urteil v. 05.07.1999, Az. 16 U 3/99, BeckRS 1999, 30065637; LG Köln Urteil v. 01.06.2016, Az. 28 O 84/16, BeckRS 2016, 16347 Rn. 33; G. Vollkommer in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 34. Auflage 2022, § 940 ZPO, Rn. 4).
63Die Verfügungsklägerin hat hier aber nicht zu erkennen gegeben, dass für sie die Entscheidung des Rechtsstreits nicht besonders dringlich erscheint. Für sie bestand vor Beendigung der Verhandlungen über das Wettbewerbsverbot, Kündigung und Konkretisierung der neuen Tätigkeit kein Anlass, gerichtliche Hilfe, sei es über ein Eil- oder Hauptverfahren, einzuholen.
64Sie wusste erst nach ihrer Ablehnung des von der Verfügungsbeklagten vorgeschlagenen Aufhebungsvertrags, dass auf das Wettbewerbsverbot nicht verzichtet wird. Einen Eilantrag in Bezug auf eine neue Tätigkeit konnte sie erst stellen, als sie gekündigt hatte und diese zu erwarten war.
65Dem entsprechend hat sie kurz vor ihrer Kündigung, als sich die Verhandlungen mit der D. G. E. GmbH offenbar konkretisierten, erneut versucht, über das Wettbewerbsverbot mit der Verfügungsbeklagten zu verhandeln. Diese hat zwar am 26.09.2022 zunächst geantwortet, dass dies nicht geschehen werde. Jedoch hat Herr R. – nach der Kündigung am 29.09.2022 – der Verfügungsklägerin nur wenige Tage später, während des Spaziergangs am 06.10.2022, in Aussicht gestellt, das Wettbewerbsverbot "bei Wohlverhalten" aufzuheben. Die Verfügungsbeklagte ist diesem Vorbringen der Verfügungsklägerin nicht in erheblicher Weise entgegengetreten, so dass davon auszugehen ist, dass die berechtigte Aussicht bestand, über das Wettbewerbsverbot auch ohne die Inanspruchnahme der Gerichte eine Einigung zu erreichen.
66Nachdem dann am 22.11. und 28.11.2022 die endgültige Entscheidung der Verfügungsbeklagten, auf das Wettbewerbsverbot nicht zu verzichten, kommuniziert worden war, hat die Verfügungsklägerin mit der gebotenen Dringlichkeit reagiert und den Eilantrag bei Gericht eingereicht.
67IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung ist der Natur der Sache nach vorläufig vollstreckbar.
68Der Streitwert wird auf 300.000,00 EUR festgesetzt.