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1. Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Sandalen als Werke angewandter Kunst.
2. Mit der Geburtstagszug-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR 2014, 175 [177, Rn. 26] - Geburtstagszug) geht eine Absenkung der Schutzuntergrenze bei Werken der angewandten Kunst jedenfalls dergestalt einher, dass keine überdurchschnittliche Gestaltungshöhe mehr verlangt wird.
3. Nicht jegliche funktional oder sachzweckbezogen determinierten Gestaltungsentscheidungen sind vom Urheberrechtsschutz auszuklammern. Der Ausschluss vom Urheberrechtsschutz beschränkt sich auf ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingte Formen.
4. Sachzweckbezogene Erwägungen im Gestaltungsprozess stehen dem Erreichen der relevanten Schutzschwelle nicht entgegen. Funktionale Sachzweckbezogenheit kann technischer Bedingheit von Gestaltungsmerkmalen nicht gleichgesetzt werden. Vom Schöpfer ausgewählten Gestaltungselementen ist in der Konsequenz der urheberrechtliche Schutz nicht zu versagen, wenn deren Auswahl auch von der rationellen Umsetzung einer funktionalen Zielsetzung geprägt ist.
5. Eine subjektive Absicht des Urhebers, künstlerisch tätig zu werden, ist nicht notwendig. Selbst ein Schöpfer, der explizit erklärte, keine Kunst erschaffen zu wollen, kann bei Vorliegen der objektiven Kriterien den urheberrechtlichen Schutz seines Werks nicht verhindern. Die Motivation des Gestalters ist insoweit nicht entscheidend.
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern, (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,
Vervielfältigungsstücke des Schuhmodells „E. IA.“ wie nachfolgend eingeblendet:
anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, insbesondere, wenn dies geschieht wie mit den Vervielfältigungsstücken des Schuhmodells „Komfortsandalen in Lackoptik“, wenn sie gestaltet sind wie folgt:
II. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern, (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,
Vervielfältigungsstücke des Schuhmodells „E. PC.“ wie nachfolgend eingeblendet:
anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, insbesondere, wenn dies geschieht wie mit den Vervielfältigungsstücken des Schuhmodells „Hausschuhe“, wenn sie gestaltet sind wie folgt:
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über die Herkunft und die Vertriebswege der angebotenen Vervielfältigungsstücke zu erteilen durch Vorlage eines vollständigen Verzeichnisses über:
- Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Vervielfältigungsstücke sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren,
- die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Vervielfältigungsstücke sowie
- die Preise, die für die Vervielfältigungsstücke bezahlt wurden sowie den erzielten Umsatz und Gewinn, der durch die Verbreitung der Vervielfältigungsstücke erzielt wurde.
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin den Schaden zu ersetzen hat, der der Klägerin aus der Verbreitung der Vervielfältigungsstücke entstanden ist und entstehen wird.
V. Die Beklagte wird verurteilt, alle in ihrem Besitz oder Eigentum stehenden Vervielfältigungsstücke zu vernichten und alle hergestellten und verbreiteten Vervielfältigungsstücke zurückzurufen.
VI. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.456,59 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. November 2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; hinsichtlich des Urteilstenors zu I.) und hinsichtlich des Urteilstenors zu II.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 110.000,00 EUR; hinsichtlich des Urteilstenors zu III.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 11.000,00 EUR; hinsichtlich des Urteilstenors zu V.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 44.000,00 EUR; im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um Urheberrechtsschutz für ein Sandalen- und ein Pantoffelmodell der Klägerin.
3Die Klägerin ist Teil der E.-Gruppe, eines international tätigen Schuhherstellers. Die Klägerin vertreibt unter anderem das Sandalenmodell
4a) „IA.“
5aa) Aktuell vertrieben
6bb) Bei Markteinführung
8b) und das Pantoffelmodell „PC.“
10aa) Aktuell vertrieben
11bb) Bei Markteinführung
13Die Beklagte ist Betreiberin der Webseite www.C..de, über welche sie in der Bundesrepublik Deutschland Schuhe, Bekleidung, Wohnaccessoires etc. im Wege des Online-Versandhandels vertreibt.
15Die Beklagte bietet Schuhmodelle mit den Bezeichnungen „Komfortsandalen in Lackoptik“ und „Hausschuhe“ u.a. auf ihrer Webseite www.C..de wie folgt zum Verkauf an:
16„Komfortsandalen in Lackoptik“:
17und
19„Hausschuhe“:
20Die Klägerin ließ die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 29.10.2021 wegen Verletzung urheberrechtlicher Nutzungsrechte durch die vorbezeichneten Schuhmodelle abmahnen und erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 04.11.2021 sowie zur Zahlung von Aufwendungsersatz und Auskunft bis zum 09.11.2021 auffordern.
22Die Klägerin hat am 19.11.2021 einstweilige Unterlassungsverfügungen der Kammer in den Verfahren 14 O 388/21 betreffend das Sandalenmodell „IA.“ und 14 O 389/21 betreffend das Sandalenmodell „PC.“ gegen die Beklagte erwirkt. Auf Antrag der Beklagten hat das Gericht der Klägerin gemäß § 926 ZPO Frist zur Klageerhebung gesetzt.
23Mit ihrer Klage beantragt die Klägerin, die Beklagte zu Unterlassung, Auskunft, Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, Rückruf, Vernichtung und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu verurteilen sowie die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten festzustellen.
24Die Klägerin behauptet, A. E. sei alleiniger Schöpfer der streitgegenständlichen Schuhmodelle „IA.“ und „PC.“, einschließlich der Knochenmustersohle. Im maßgeblichen Zeitraum der Entwicklung der streitgegenständlichen Sandalenmodelle habe es keine andere Person neben A. E. gegeben, die für die Schaffung der Sandalenmodelle in Betracht komme. A. E. habe die streitgegenständlichen Schuhmodelle alleine geschaffen. Es habe kein Team an Entwicklern gegeben und somit seien auch keine anderen Personen am Schöpfungsprozess beteiligt gewesen. Weitergehende Ausführungen zur damaligen Unternehmensstruktur von E. seien nicht erforderlich. Zum Zeitpunkt der Schöpfung der streitgegenständlichen Schuhmodelle („IA.“ im Jahr 1983; „PC.“ im Jahr 1977) sei lediglich eine einzige Gesellschaft, nämlich die E. Orthopädie GmbH (bis 1970 firmierend unter C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung [I. E.]) verantwortlich gewesen. Dieses Unternehmen sei allein für die gesamte Entwicklung, Produktion und den weltweiten Verkauf/Vertrieb aller E. Schuhmodelle verantwortlich gewesen. Daneben habe noch die E. GmbH, Friedberg (Gesellschafter L. E., P. E. jun. und H. S.) existiert, die mit den E.-Sandalenmodellen jedoch in keiner Verbindung gestanden habe. Erst 1985 habe der Gesellschafter und Geschäftsführer A. E. das Kapital der E. Orthopädie GmbH erhöht, um sie als Holding-Gesellschaft einsetzen zu können und Unternehmenszukäufe sowie -gründungen zu tätigen. Bei der C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) (bzw. firmierend unter E. Orthopädie GmbH) habe es sich in den 1960er bis Mitte der 1980er Jahre um ein kleines Familienunternehmen gehandelt, in dem kein Team an Designern oder Entwicklern beschäftigt gewesen sei. Die Unternehmenshistorie zeige, dass es zum Zeitpunkt der Schöpfung der streitgegenständlichen Schuhmodelle (Jahre 1963 bzw. 1973) keine Design- oder Entwicklungsabteilung und auch kein Entwicklerteam gegeben habe. Das Design der Sandalen sei auf höchster Ebene ausschließlich vom Geschäftsführer A. E. entwickelt und gestaltet worden. Es sei fest davon auszugehen, dass A. E. hierfür auch die erforderlichen zeitlichen Ressourcen gehabt habe: Weder sei er in anderen Unternehmen tätig gewesen, noch sei er in den (aufwändigen) Vertrieb der Sandalenmodelle involviert gewesen. Hierfür habe es bereits frühzeitig eine eigene Vertriebsleitung gegeben. A. E. habe sich daher auf den Kern seiner Tätigkeit, nämlich die strategische Ausrichtung seines Unternehmens und die Gestaltung der Sandalenmodelle als „Herzstück“ des Unternehmens, konzentrieren können. Auch zeige der Umstand, dass die fünf Klassiker-Modelle, einschließlich der streitgegenständlichen Modelle (d.h. KH.“ (1963), „OV.“ (1973), „PC.“ (1977) „MV.“ (1981) und „IA.“ (1983) über einen Zeitraum von ca. 20 Jahren (1963 bis 1983) geschaffen worden seien, dass damals keine Modellentwicklung „am Fließband“ betrieben worden sei, sondern sich A. E. für die Entwicklung und Gestaltung der Modelle jeweils mehrere Jahre Zeit genommen habe.
25Aufgrund der damaligen Mitarbeiterstruktur habe kein Raum für eine eigene Entwicklungsabteilung bestanden Das Unternehmen C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) (bzw. ab 1970 firmierend unter E. Orthopädie GmbH) habe nur eine verhältnismäßig (sehr) geringe Anzahl an Mitarbeitern gehabt (im Jahr 1970: 57 Mitarbeiter, im Jahr 1980: 147 Mitarbeiter, im Jahr 1982: 200 Mitarbeiter). Bei Einordnung dieser Mitarbeiterzahlen sei zu vergegenwärtigen, dass diese Mitarbeiter die gesamte Unternehmenstätigkeit übernommen hätten, d.h. beginnend mit dem Einkauf der zu verwendenden Materialien, über die physische Herstellung der Sandalenprodukte, die Verpackung und den nationalen und internationalen Vertrieb (mitsamt Marketing) bis hin zur Buchhaltung. Im damaligen Zeitraum habe das Unternehmen daher neben der eigentlichen Produktion vor allem aus Vertriebsexperten (mitsamt Außendienst) und der Verkaufs-/Vertriebsabteilung bestanden. Für den Aufbau einer eigenen Design- oder Entwicklungsabteilung hätten daher weder Notwendigkeiten noch (insbesondere finanzielle) Ressourcen bestanden.
26Gerade auch der Herstellungsprozess betreffend die im Zeitraum der Entwicklung der streitgegenständlichen Sandalenmodelle (1977 bis 1983) verkauften Sandalenmodelle zeige, dass es sich bei der C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) damals noch um ein kleineres Familienunternehmen gehandelt habe. Die Schuhmodelle ab dem Zeitpunkt der Markteinführung des ersten Modells „KH.“ im Jahr 1963 seien ausschließlich von den Mitarbeitern der C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) hergestellt worden (lediglich 5.000 Schuhe seien laut Aufzeichnungen einmalig 1963 in einer externen süddeutschen Schuhfabrik produziert worden). Erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt habe sich die E. Orthopädie GmbH eines Dienstleisters im Produktionsprozess bedient, der Teile der Sandalen hergestellt und an E. zugeliefert habe.
27Die beiden Söhne von A. E., G. und U. E., hätten nicht an der Entwicklung der streitgegenständlichen Schuhmodelle mitgewirkt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Bestätigungs-/Verzichts-Erklärung (Anlage K 7). Beide Söhne seien entweder noch nicht geboren oder im Kleinkindalter gewesen und hätten nicht schöpferisch tätig gewesen sein können. Im Übrigen beziehe sich die betreffende vertragliche Regelung der Anlage K 7 ausdrücklich auf „alle E.-Produkte“, d.h. auch auf später geschaffene Produkte. Hieraus könne daher in keiner Weise der Schluss gezogen werden, es wären auch andere Personen bei der Entwicklung der streitgegenständlichen Modelle mit involviert gewesen.
28Die Klägerin sei Inhaber der ausschließlichen Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Sandalenmodellen. Die Nutzungsrechte seien von A. E. an die C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) bzw. E. Orthopädie GmbH übertragen worden. Schon die unstreitige Stellung A. E. als Geschäftsführer der C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) (bzw. nach späterer Umfirmierung der E. Orthopädie GmbH) während der Schaffung der streitgegenständlichen Schuhmodelle führe gemäß § 43 UrhG zur Übertragung der exklusiven Nutzungsrechte von A. E. als Geschäftsführer an die C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) (bzw. nach späterer Umfirmierung E. Orthopädie GmbH).
29Dazu legt die Klägerin eine undatierte eidesstattliche Versicherung des A. E. vor:
30
sowie eine von A. E. und seinen Söhnen von G. E. und U. E. unterzeichnete Erklärung „Bestätigung/Verzicht“ datierend auf den 06.11.2020:
33
Die Klägerin ist der Auffassung, ob A. E. zusätzlich auch Gesellschafter war bzw. als angestellter Geschäftsführer weisungsgebunden gewesen sei oder nicht, sei für die Anwendbarkeit des § 43 UrhG irrelevant. Entscheidend für die Anwendbarkeit von § 43 UrhG sei vielmehr, dass der Geschäftsführer ebenfalls aus gesicherten Einkommensverhältnissen heraus schöpferisch tätig wurde, und zwar gegebenenfalls mit erheblich höherem Einkommen als andere Arbeitnehmer, sodass erst Recht eine Anwendbarkeit von § 43 UrhG auf Geschäftsführer anzunehmen sei.
36Die E. Orthopädie GmbH sei am 19. Dezember 2001 auf die N. & Söhne GmbH Co. KG zur N. & Söhne GmbH & Co. KG verschmolzen worden (mitsamt Übertragung des gesamten Vermögens der E. Orthopädie GmbH auf die N. & Söhne GmbH Co. KG) Dies gehe aus dem Verschmelzungsvertrag und den Handelsregisterauszügen sowie einem Jahresabschluss hervor, in denen die Verschmelzung ausdrücklich erwähnt werde.
37Durch Auflösung der E. Orthopädie GmbH & Co. KG sei diese an die E. F. GmbH im Jahr 2013 im Wege der Gesamtrechtsnachfolge angewachsen. Die Nutzungsrechte seien schließlich von der E. F. GmbH, die ausweislich Anlage K 20 ab dem 02.02.2022 als B. O. GmbH firmiert habe, an die klägerische E. IP GmbH übertragen worden. Die Übertragung aller urheberrechtlichen Nutzungsrechte ergebe sich aus dem als Anlage K 21 vorgelegten Vertrag vom 01.05.2021, zudem aus der als Anlage K 42 vorgelegten Bestätigungserklärung sowie aus einer weiteren Kurzvereinbarung zwischen der B. O. GmbH und der Klägerin. Soweit nach Anlage K 7 urheberrechtliche Nutzungsrechte gegebenenfalls bei der E. GmbH & Co. KG gelegen haben sollten, seien diese, (unternehmensintern) vollumfänglich und exklusiv weiter an die Klägerin übertragen worden.
38Ob hinsichtlich der für den Urheberrechtschutz der streitgegenständlichen Sandalenmodelle wesentlichen Gestaltungsmerkmale technische Zwänge bestünden, sei zwingend aus objektiver Sicht zu beurteilen. Ob der Schöpfer A. E. das Ziel verfolgt habe, fußorthopädisch wertvolle Schuhe zu schaffen, sei irrelevant. Andernfalls ließe sich durch subjektive Vorgaben oder Vorhaben in Bezug auf den Zweck einer Gestaltung jeder Gestaltungsspielraum auf Null reduzieren. Eine „enge“ subjektive Zwecksetzung als Schutzausschlussgrund sei verfehlt und auch nicht von der einschlägigen Rechtsprechung gedeckt, da dies in der Konsequenz jeglichen Urheberrechtsschutz von angewandter Kunst ausschlösse.
39A. E. habe im Hinblick auf die streitgegenständlichen Sandalenmodelle auch die bestehenden Gestaltungsspielräume kreativ ausgenutzt. Außer dem Fußbett, orientiert an dem natürlichen Fußabdruck im Sand, gebe es auch diverse andere Philosophien zur „Fußgesundheit“. Andere Zugänge zur „Fußgesundheit“ müssten zwangsläufig auch zu unterschiedlichen, völlig anderen Gestaltungen der Schuhe führen. Bei der Gestaltung seines Fußbettes habe A. E. den Eindruck eines beliebigen, aber äußerst ästhetischen Fußes als Modell vor Augen gehabt und habe die individuelle Form generalisiert, vereinfacht und betont, genau wie ein Künstler sein Modell vereinfache und pointiert abbilde. Auch im Hinblick auf die Materialwahl habe A. E. freie und kreative Gestaltungsentscheidungen getroffen. Meist seien neben möglichen Textilien wie Kalbfutter oder Lebri andere Textilien wie Alcantara bevorzugt worden. Angesichts dieser enormen Materialvielfalt – sowohl im Hinblick auf den Sohlenüberzug als auch auf das Sohlenmaterial – habe A. E. mit der Wahl bestimmter Materialien freie, kreative Gestaltungsentscheidungen getroffen. Der Umstand, dass bestimmte Materialien, wie etwa Veloursleder, eine bestimmte physische bzw. physiologische Wirkung aufwiesen, ändere nichts daran, dass die konkrete Gestaltung der Mittelsohle und die Materialauswahl hierfür Ausdruck einer kreativen Schöpfung seien. Besonders eindeutig zeigt sich der von A. E. kreativ ausgenutzte Gestaltungsspielraum im Hinblick auf den unverkleideten Sohlenschnitt. Ein verblendeter Sohlenschnitt hätte demgegenüber erhebliche funktionale Vorteile geboten, nämlich das Ausbröckeln des Korkschrotgemischs zu verhindern. Die Entscheidung für einen unverkleideten Sohlenschnitt sei gerade nicht technisch bedingt, sondern habe sogar technische Nachteile mit sich gebracht. Bei der Entscheidung für einen unverkleideten Sohlenschnitt handele es sich ersichtlich um eine rein künstlerisch-gestalterische Entscheidung. Die Verarbeitung der Materialien und die Konstruktion des Schuhs würden hier radikal ehrlich offengelegt und auf jegliche Verkleidungen, Verzierungen etc. verzichtet, um das ikonische, brutalistische, E.-typische Design zu schaffen.
40Die Klägerin legt unter anderem private Fachgutachten von Frau X. U. Q. (M.A. Kulturanthropologie/Neuere Geschichte; DipI.-Modedesignerin; Damenschneidergesellin), Frau Y.-M. K. und Herrn R.-D. W. sowie ein Gutachten der Herren J. T. und Z. CO. (E. Product GmbH) vor; außerdem Rechtsgutachten von Herrn Professor Dr. GT. SM. (Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D.) und Herrn Professor Dr. Dr. h.c. DJ. PV. (VV.-Universität EK. am AG.).
41Die Klägerin beantragt:
42I. Der Beklagten wird es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern, (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) untersagt,
43Vervielfältigungsstücke des Schuhmodells „E. IA.“ wie nachfolgend eingeblendet
44anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, insbesondere, wenn dies geschieht wie mit den Vervielfältigungsstücken des Schuhmodells „Komfortsandalen in Lackoptik“, wenn sie gestaltet sind wie folgt:
46II. Der Beklagten wird es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern, (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) untersagt,
48Vervielfältigungsstücke des Schuhmodells „E. PC.“ wie nachfolgend eingeblendet
49anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, insbesondere, wenn dies geschieht wie mit den Vervielfältigungsstücken des Schuhmodells „Hausschuhe“, wenn sie gestaltet sind wie folgt:
51III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über die Herkunft und die Vertriebswege der angebotenen Vervielfältigungsstücke zu erteilen durch Vorlage eines vollständigen Verzeichnisses über:
53- Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Vervielfältigungsstücke sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren,
54- die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Vervielfältigungsstücke sowie
55- die Preise, die für die Vervielfältigungsstücke bezahlt wurden sowie den erzielten Umsatz und Gewinn, der durch die Verbreitung der Vervielfältigungsstücke erzielt wurde.
56IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben nach Ziff. III an Eides statt zu versichern.
57V. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin den Schaden zu ersetzen hat, der der Klägerin aus der Verbreitung der Vervielfältigungsstücke entstanden ist und entstehen wird.
58VI. Die Beklagte wird verurteilt, alle in ihrem Besitz oder Eigentum stehenden Vervielfältigungsstücke zu vernichten und alle hergestellten und verbreiteten Vervielfältigungsstücke zurückzurufen.
59VII. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.456,59 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. November 2021 zu zahlen.
60Die Beklagte beantragt:
61Die Klage wird abgewiesen.
62Die Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin sei nicht gelungen, nachzuweisen, dass sie die Nutzungsrechte an den behaupteten Urheberrechten der streitgegenständlichen Modelle innehabe. Die vermeintliche Urheberschaft A. E. an den streitgegenständlichen Modellen sei nicht nachgewiesen. Die vorgelegte eidesstattliche Versicherung von A. E. sei nicht ausreichend. Es sei ferner nicht ausreichend, dass die gesamte E. Gruppe A. E. als Entwickler der Modelle darstelle. Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass kein anderer außer A. E. für die Schaffung der Modelle in Frage komme. Die Klägerin sei ihrer Beweislast für die (alleinige) Entwicklung der Modelle durch A. E. nicht nachgekommen.
63Sehr wohl kämen andere Personen, welche die Beklagte allerdings nicht in der Lage zu benennen sei, als Entwickler oder an der Entwicklung Beteiligte in Betracht. Es liege sogar nahe, dass A. E. die Modelle nicht allein „im stillen Kämmerlein“ entwickelt habe, sondern dass ein Team von Entwicklern im Hause des damaligen Unternehmens E. gemeinsam die Schuhe erdacht und vollendet habe. Der Umstand, dass die Klägerin A. E. nicht als Zeugen benannt habe, verstärke die Zweifel daran, dass er tatsächlich (alleiniger) Entwickler der Modelle gewesen sei. Aus der als Anlage K 7 vorgelegten Erklärung ergebe sich, dass auch die Herren G. und U. E. an Entwicklung und Gestaltung von „E.-Produkten“ mitgewirkt hätten.
64Die Klägerin habe auch nicht hinreichend nachgewiesen, wie die Modelle, für die sie Urheberrechtsschutz beansprucht, im Zeitpunkt ihrer Schaffung ausgesehen hätten. Die Beklagte bestreitet, dass die streitgegenständlichen Modelle bei ihrer Entwicklung bereits so ausgesehen hätten, wie die Modelle, die heute auf dem Markt seien.
65Auch in Bezug auf die einzelnen, von der Klägerin vorgetragenen und von der Beklagten bestrittenen, Übertragungsvorgänge, durch die Nutzungsrechte in Bezug auf das behauptete Urheberrecht von A. E. über verschiedene Gesellschaften auf die Klägerin übertragen worden sein sollen, verblieben erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der einzelnen, behaupteten Übertragungsvorgänge. Insbesondere habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass der behauptete Urheber A. E. urheberrechtliche Nutzungsrechte an eine E. Gesellschaft übertragen habe, von der aus dann diese Rechte immer weiter bis zur hiesigen Klägerin übertragen worden seien. Die vorgelegten Dokumente seien als Beweismittel nicht geeignet und zu unbestimmt. Aus der vorgelegten „Bestätigung“ gehe nicht zweifelsfrei hervor, auf welche Rechte an welchen Produkten sich diese beziehe und an welche E. Gesellschaft die Rechte übertragen worden sein sollen. Das Dokument sei auch zu unbestimmt, da es die Rechte, deren Übertragung bestätigt werden solle, nicht explizit ausweise. Eine solche, pauschale, einseitige „Bestätigung“ einer in der Vergangenheit liegenden Übertragung von diversen, nicht näher bezeichneten Rechten an verschiedenen Erzeugnissen könne eine wirksame Rechteübertragung bezüglich etwaiger Urheberrechte an den Sandalenmodellen nicht glaubhaft machen.
66Die Gesellschaft, auf welche nicht näher bezeichnete „Rechte“ übertragen worden sein sollen, werde nicht zweifelsfrei benannt. Eine Rechteübertragung nach § 43 UrhG komme ebenfalls nicht in Betracht, da diese Vorschrift auf Gesellschafter keine Anwendung finde, A. E. aber Gesellschafter der damaligen E. Gesellschaft gewesen sein und als solcher wohl kaum weisungsgebunden gewesen sein dürfte, sodass fernliegend sei, anzunehmen, er habe das „Werk“ in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschaffen.
67Auch die weitere Übertragung etwaiger Nutzungsrechte auf die Klägerin sei nicht schlüssig dargelegt und nachgewiesen. Die vorgelegten Auszüge aus dem Übertragungsvertrag belegten dies nicht. Die Überlegungen „Wer soll die Schuhe denn sonst geschaffen haben“ und „Wer, wenn nicht die Klägerin, soll denn sonst die Rechte innehaben“ reichten in urheberrechtlichen Konstellationen aufgrund der hohen Anforderungen an den Nachweis der Inhaberschaft von urheberrechtlichen Nutzungsrechten nicht aus, um die Aktivlegitimation der Klägerin zu bejahen. Verbleibende Zweifel an der wirksamen Übertragung von Nutzungsrechten auf die Klägerin gingen zu Lasten der Klägerin.
68Individualität sei das zentrale Kriterium des Werksbegriffs. Entscheidend sei, dass ein Gestaltungsspielraum für freie, kreative Entscheidungen genutzt werde, so dass sich die Persönlichkeit des Urhebers ausdrücken könne, wobei rein technisch oder funktional geprägte Gestaltungen nicht als Grundlage urheberrechtlichen Schutzes in Betracht kämen. Einem Erzeugnis sei der urheberrechtliche Schutz zu versagen, wenn die Auswahl seiner Gestaltungselemente ausschließlich der optimalen Umsetzung einer technisch funktionalen Idee geschuldet war. Demselben Erzeugnis könne Urheberschutz zukommen, wenn die Auswahl seiner Gestaltungselemente ursprünglich auf freien, kreativen persönlich künstlerischen Entscheidungen beruhe (vgl. auch RW. Gutachten, S. 22). Allein durch die Ausnutzung eines handwerklich-konstruktiven Gestaltungsspielraums oder durch den Austausch eines technischen Merkmals durch ein anderes entstehe noch kein eigenschöpferisches Kunstwerk (BGH GRUR 2012, 58 Rn. 30 – Seilzirkus). Die Gestaltung der klägerischen Sandalenmodelle beruhe auf rein technisch-funktionalen Überlegungen. Der Entwickler habe im Gestaltungsvorgang keine künstlerisch-kreativen Entscheidungen getroffen, in denen er eine schöpferische, gestaltende Phantasie betätigt habe.
69Auch wenn die einzelnen Gestaltungselemente nicht technisch zwingend, sondern nur technisch bedingt sein sollten, so sei der dann gegebenenfalls noch verbleibende eingeschränkte Gestaltungsspielraum nicht im Sinne von freien kreativ-künstlerischen Entscheidungen genutzt worden. Denn sämtliche Gestaltungselemente der Sandalen seien vor ihrer Schöpfung im Markt bereits vorhanden gewesen, sodass sie keinen urheberrechtlichen Schutz begründen könnten. Die Gestaltungen der klägerischen Sandalen höben sich vom vorbekannten Formenschatz nicht weit genug ab, um urheberrechtlich geschützt zu sein.
70Der Vortrag der Klägerin sowie die von ihr vorgelegten Gutachten trügen die Annahme einer künstlerisch-kreativen Leistung des Schöpfers nicht. Die Klägerin argumentiere dabei vorwiegend damit, dass beide Modelle im Vergleich mit dem jeweiligen Marktumfeld zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung vorher unbekannte Gestaltungsmerkmale aufwiesen. Diese Behauptung sei zum einen bereits unzutreffend, da im Markumfeld alle Merkmale der in Rede stehenden Sandalenmodelle bereits vorhanden gewesen seien. Zum anderen könne auch eine völlige „Neuheit“ im Vergleich zum Marktumfeld allein das Vorliegen einer urheberrechtlich schützenswerten persönlichen geistigen Schöpfung nicht belegen, wenn diese „Neuheit“ allein aus der Ausformung technisch-funktionaler Gedanken resultiere und nicht aus der Betätigung künstlerischer, persönlicher Phantasie des Entwicklers. Sämtliche Gestaltungsmerkmale der klägerischen Sandalen seien Materialisierung technisch-funktionaler Entscheidungen des Entwerfers. Die Gestaltung sei allein aus funktionalen Gesichtspunkten zur Fußgesundheit und zum Tragekomfort erfolgt, was sowohl die Aspekte der nach dem Fuß geformten „Sohlenplastik“, inklusive der Zehengreifer, der Längs- und Quergewölbestützen sowie der Fersenschale, die am Rand hochgezogene Sohle, die das Tieffußbett forme, als auch die gleichfalls aus technisch-funktionalen Überlegungen heraus erfolgte Materialwahl Korkschrotgemisch mit Velourlederüberzug betreffe.
71Dass sich der Entwickler der klägerischen Sandalenmodelle ausschließlich von technisch-funktionalen Aspekten bei der Entwicklung der Sandalen habe leiten lassen, gehe aus den Selbstzeugnissen A. E. und der E. Unternehmensgruppe sowie den vorgelegten Gutachten hervor. Die Eigendarstellungen der Unternehmensgruppe der Klägerin zeigten deutlich die funktionale Bedingtheit der Ausgestaltung des Fußbetts und seiner spezifischen Merkmale sowie der Sandale im Übrigen. Alle Elemente seien gewählt worden, um dem Anspruch einer „Gymnastiksandale“ gerecht zu werden – nämlich um die Fußgesundheit zu unterstützen, indem der Fuß stabilisiert und gestützt werde.
72Der Gebrauchszweck (Funktion) spiele für die Frage, ob einem Gebrauchsgegenstand als Werk der angewandten Kunst Urheberrechtsschutz zukomme oder nicht, eine ganz entscheidende Rolle. Denn sei ein Merkmal dem Gebrauchszweck oder der Funktion des Gegenstandes geschuldet, werde es also für das Objekt gewählt, damit das Objekt seinen Gebrauchszweck bzw. seine Funktion erfüllen könne und leite sich eine vermeintliche ästhetische Wirkung des Gegenstandes allein aus dieser dem Gebrauchszweck geschuldeten Gestaltung ab, scheide Urheberrechtsschutz aus. Denn bei Gebrauchsgegenständen könne der Gestalter gerade nicht einfach den Zweck bzw. die Funktion des Gegenstandes ändern – nicht, wenn er diesen einen Gebrauchsgegenstand mit eben der diesem Gegenstand eigenen Funktion (z.B. eine Gymnastiksandale) entwickeln wolle. Der Zweck/die Funktion sei bei einem Gebrauchsgegenstand (Werk der angewandten Kunst) untrennbar mit ihm verbunden. Der Zweck könne nicht einfach geändert werden, ohne dass sich dadurch nicht auch das Objekt, das entstehen solle, verändere. Führe man sich diese Abhängigkeit von Zweck/Funktion und Gegenstand im Bereich der Werke angewandter Kunst vor Augen, könne der Gebrauchszweck gerade nicht bei der Frage der Urheberrechtsfähigkeit außen vor bleiben. Im Gegenteil, er sei zentral für deren Beurteilung, da er den Gestaltungsspielraum insofern einschränkte, dass Merkmale die ausschließlich dem Zweck/der Funktion geschuldet seien, keinen Urheberschutz beanspruchen könnten. Dies lasse sich auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs zweifelsfrei entnehmen. Eine Gestaltung genieße also keinen Urheberrechtsschutz, wenn sie allein aus zwar frei wählbaren oder austauschbaren, aber technisch bedingten Merkmalen bestehe und keine künstlerische Leistung erkennen lasse. Das Vorliegen von Gestaltungsalternativen allein begründe keinen urheberrechtlichen Schutz. Bei Gebrauchsgegenständen, die bestimmten technischen Anforderungen genügen müssten und technisch bedingte Gestaltungsmerkmale aufwiesen, führe dies dazu, dass die Möglichkeiten einer künstlerisch-ästhetischen Ausformung zwar nicht ausgeschlossen, aber regelmäßig eingeschränkt seien.
73Die beiden hier streitgegenständlichen Modelle – „IA.“ und „PC.“ – seien in einfacher und rationeller Umsetzung der Idee, eine Sandale mit einer der natürlichen Trittspur des Fußes im Sand nachempfundenen Sohle zu schaffen, entstanden. Die E. Sandalen seien entwickelt worden, um das zuvor bereits vermarktete „E. Fußbett“ nicht nur als Einlage, sondern auch als Sandale verkaufen zu können. Dabei habe – wie durch E. eigene Werbemaßnahmen der Zeit belegten – die Fußgesundheit im Vordergrund gestanden. Die Sohlengestaltung mit Zehengreifer, Fersenmulde und Erhöhungen und Vertiefungen sei daher sogar zwingend – insofern habe kein Gestaltungsspielraum bestanden. Die Gestaltung der Sohlenplastik mit Zehengreifer, Längs- und Quergewölbestützen sowie Fersenschale beruhe ausschließlich auf technisch-funktionalen Entscheidungen. Dies trage den anatomischen und biomechanischen Begebenheiten des Fußes Rechnung und sei einzig aufgrund medizinisch-orthopädischer Gesichtspunkte ausgewählt worden.
74Auch das Tieffußbett mit Fersenschale und hochgezogenen Seitenrändern sei einzig aufgrund medizinisch-orthopädischer Beweggründe so gestaltet worden. Die Gestaltung der Sohle samt Tieffußbett sei in den im Einzelnen thematisierten Elementen durch die anatomisch-ergonomische Zielsetzung vorgegeben. Da es bei der Entwicklung der klägerischen Sandalenmodelle um die Fußgesundheit und den Tragekomfort gegangen sei, existiere für die Gestaltung der Sandale kein nennenswerter Gestaltungsspielraum. Ein erhöhter Rand im vorderen Zehenbereich sei zwingend notwendig, um das Aufbiegeverhalten der Sohle zu verringern und Torsionen zu vermeiden. Sandalen mit Tieffußbett, bei denen die Sohle an den Rändern nach oben gezogen ist, seien bereits vor Markteinführung im Markt bekannt gewesen und von verschiedenen Herstellern angeboten worden. Die Gestaltung der Sohle samt Tieffußbett in den im Einzelnen thematisierten Elementen sei durch die anatomisch-ergonomische Zielsetzung vorgegeben. Und wenn man doch einen (beschränkten) Gestaltungsspielraum annehmen wollte, sei ein solcher bei der Entwicklung der Modelle „IA.“ und „PC.“ zumindest nicht genutzt, da bewusst die nach dem Stand der Wissenschaft optimale Form für Fußgesundheit und Tragekomfort gewählt wurde. Dies ergebe sich auch dann, wenn man berücksichtige, dass sämtliche der vorhandenen Gestaltungselemente im Markt bereits bekannt gewesen und von anderen Herstellern benutzt worden seien. Der Entwickler habe bei der Wahl der Sohle und des Tieffußbetts keinesfalls eigene freie kreative Entscheidungen getroffen, sondern sich, geleitet von dem Wunsch eine in Bezug auf die Fußgesundheit optimale Sandale zu schaffen, an dem orientiert, was am Markt bereits vorhanden gewesen sei.
75Für die Gestaltung einer Sohle, die der natürlichen Trittspur eines Fußes im Sand nachempfunden sei, gebe es keine andere Möglichkeit, als die der hier streitgegenständlichen Modelle. Der Entwickler der streitgegenständlichen Modelle hätte zwar auch eine andere Art von Schuh, nicht der natürlichen Trittspur im Sand nachempfunden, entwickeln können und habe insoweit Gestaltungspielraum in Bezug auf die Schuhart besessen. Offensichtlich habe sich der Entwickler aber gerade dafür entschieden, einen Schuh zu kreieren, dessen Charakteristikum die der natürlichen Trittspur des Fußes im Sand nachempfundene Sohle gewesen sei – nämliche eine Sandale, die das bereits zuvor existente E. „Fußbett“ mit einer Sandale verbindet. Die Bestimmung dieser Zielsetzung sei auch nicht subjektiv an der (vermeintlichen) Intention des Entwicklers festgemacht. Sie könne objektiv festgestellt werden, da sie sich aus der eigenen Werbekommunikation der E. Gruppe (einschließlich der Klägerin) ergebe. Im Rahmen dieser Zielsetzung sei der Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Sohlengestaltung faktisch auf Null reduziert.
76Die Materialien der Sohle (Velour, Kork) seien nicht aus künstlerischen, sondern aus technischen Erwägungen gewählt worden. Funktional-technische Aspekte hätten die Wahl von Korkschrot-Latex als Sohlenmaterial nahegelegt. Die Materialwahl sei ausschließlich funktionalen Gesichtspunkten gefolgt. Die einzelnen Materialschichten seien aufgrund ihrer Funktionalität zur Erreichung des Zwecks: eine mit Tragekomfort ausgestattete Sandale, die zur Fußgesundheit beiträgt, vom Entwickler ausgewählt worden. Aufgrund der dargelegten objektiven Indizien (Erklärung der Materialwahl auf der E. Webseite mit funktionalen Eigenschaften; übliche Wahl einer Latex-Kork-Mischung für Sohlen im relevanten Zeitraum) sei es fernliegend, dass der Schaffer der „KH.“ Sandale und der Folgemodelle die Auswahl des Materials aufgrund freier, kreativer, persönlich-künstlerischer Gründe getroffen habe. Die Entscheidung, die Seitenränder der Sohle unverkleidet zu lassen, sei Überlegungen zu Kosteneffizienz und Einfachheit der Herstellung geschuldet. Die unverkleidete Seiten- bzw. Sohlenansicht sei daher schon kein Element, dass der Entwickler der Modelle „IA.“ und „PC.“ selbst erdacht und neu erfunden habe. Die Flachheit der Sohle sei dem Zweck der Sandale als Gymnastik- Sandale, bei der die Fußgesundheit im Vordergrund stehe, geschuldet. Die Platzierung des offenkantigen Lederriemens und seiner außen breiteren, zur Mitte hin sich verjüngenden Form bei dem Modell „IA.“ seien allein aufgrund technisch-funktionaler Gesichtspunkte gewählt worden. Der an den Außenseiten breitere Riemen liege auf dem Außenfuß bzw. Innenfußballen auf. Um eine gute Passform bei möglichst vielen möglichen Ballenstellungen zu gewährleisten, sei der Riemen an der Außenseite breiter – er decke so unterschiedliche Fußformen ab. Gleichzeitig verringere die größere Fläche des Riemens an der Außenseite die Druckbelastung auf dem Ballen pro cm2, sodass der Tragekomfort erhöht werde.
77Die Schnalle sei zunächst einmal erforderlich, damit der Riemen verstellt werden könne und die Sandale so von Menschen mit unterschiedlich breiten bzw. dicken Füßen getragen werden könne. Die Schnalle sei in der äußeren Hälfte des Riemens platziert. Diese Platzierung sei der anatomischen Ausgestaltung des Fußes geschuldet: Die Platzierung der Schnalle ungefähr auf Höhe des vierten Fußstrahls führe dazu, dass nicht unnötig Druck auf den zweiten, höher gelegenen Fußstrahl ausgeübt werde. Eine Verschiebung der Schnalle weiter in Richtung Mitte könne dies nicht mehr gewährleisten.
78Das Weglassen jeglicher Ziernähte und Verzierungen zeige nur, dass es um die einfache schnörkellose Umsetzung einer sachzweckbezogenen Idee gegangen sei, die als solche urheberrechtlichen Schutz nicht begründen könne. Die Gymnastiksandale „KH.“ habe sich auch in der Kombination ihrer Merkmale nicht wesentlich vom bereits vorhandenen Formenschatz abgehoben, so dass hier bereits nicht von einem ausreichend andersartigen und sich abhebenden Gesamteindruck gesprochen werden könne.
79Eine etwaige ästhetische Wirkung der Modelle, die von der Beklagten bestritten wird, beruhe allein auf der einfachen, rationellen Umsetzung der Idee, Sandalen zu entwickeln, die das E.-Fußbett enthielten, also eine Sohle, die der natürlichen Trittspur des Fußes im Sand nachempfunden sei. Die Kombination der verschiedenen Lederoberteile mit der immer gleichen Sohle stelle die einfache, rationelle Umsetzung der Idee dar, das bewährte E. Fußbett in Form verschiedener Sandalenmodelle auf dem Markt anbieten zu können. Die Lederoberteile seien kontinuierlich und dabei naheliegend und in rein handwerklicher, rationeller Art und Weise weiterentwickelt worden. Die Beklagte bestreitet, dass die Modelle eine eigenständige „Designsprache“ innehätten. Im Zeitpunkt der Markteintritte der Sandalen hätte sich ihre Gestaltung nahtlos in das damalige Marktumfeld eingereiht, ohne hervorzustechen oder eine „bahnbrechende Neuheit“ darzustellen.
80Die jahrzehntelange Marktpräsenz der E. Sandalen, ihr „Ankommen“ im modischen „Mainstream“ und die mediale Berichterstattung dürfe nicht in die Frage ihrer Urheberrechtsschutzfähigkeit einbezogen werden. Zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung und Markteinführung hätten die Modelle rein gar nichts Besonderes gehabt, das sie vom Formenschatz der Zeit abgehoben hätte. Die „Clog“-Form des Modells „PC.“ sei vorbekannt. Bereits vor der Einführung des Modells „PC.“ im Jahr 1977 seien Clog-Modelle bekannt und in verschiedenen Formen verbreitet gewesen. Clogs seien zu Beginn der 1970er Jahre weithin beliebt und von zahlreichen Herstellern produziert worden. Auch die Gestaltung einer „Clog-artigen“ Pantolette mit Riemen und Schnalle zur Weitenkorrektur sei bereits vor Markteinführung des Modells „PC.“ bekannt gewesen. T-förmige Sandalenformen wie das Modell „IA.“ würden bereits seit Jahrhunderten wegen ihres guten Sitzes und Halts am Fuß verwendet. Diese Sandalenform sei bereits insbesondere im alten Ägypten sowie weiteren Kulturen gängig gewesen. Auch in den Jahren vor Markteinführung des Modells „IA.“ finde sich die T-förmige Riemenfassung bei Sandalen anderer Hersteller.
81Zur Klärung der Frage der technischen Bedingtheit der Merkmale der streitgegenständlichen Objekte sei angesichts der widerstreitenden Parteigutachten durch das Gericht ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, welche Merkmale der streitgegenständlichen Objekte technisch erforderlich oder bedingt seien und welcher Gestaltungsspielraum für die Gestaltung der hier streitgegenständlichen Objekte darüber hinaus noch verblieben sei. Die Birkenstocksandalen seien entwickelt worden, um das zuvor bereits vermarktete „E. Fußbett“ nicht nur als Einlage, sondern auch als Sandale verkaufen zu können. Dabei habe objektiv, nämlich durch E. eigene Werbemaßnahmen der Zeit belegt, die Fußgesundheit im Vordergrund gestanden, wie sich aus einer von der Klägerin selbst vorgelegten Werbeanzeige aus der Zeit der Markteinführung der ersten Sandale „KH.“ ergebe.
82Hilfsweise macht die Beklagte geltend, dass -- sollte man urheberrechtlichen Schutz der klägerischen Sandalen annehmen -- der Schutzbereich so minimal sei, dass die angegriffenen Sandalen nicht mehr in diesen Schutzbereich fielen.
83Die Beklagte legt unter anderem private Fachgutachten von Frau Dr. CL. NV. (Kunsthistorikerin; Wissenschaftliche Autorin; Wissenschaftliche Mitarbeiterin a.D. Deutsches XE. UB. KP. am AG.), Herrn RT.-EH. IX. (Orthopädieschuhmachermeister; öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger im Orthopädie-Schuhmacher-Handwerk) und Herrn Dr. med. AH. DG. (Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Sportmedizin u.a.) sowie ein Rechtsgutachten von Herrn Professor Dr. DU. RW., LL.M., Cambridge (Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Recht des Geistigen Eigentums mit Informationsrecht und IT-Recht, IR.-FC.-Universität PF.) vor.
84Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
85E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
86Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
87A. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Köln gemäß § 32 ZPO örtlich und gemäß § 23 Nr. 1 GVG, § 105 UrhG i.V.m. § 1 der Verordnung über die Zusammenfassung von Designstreitsachen, Kennzeichenstreitsachen und Urheberrechtsstreitsachen sowie Streitigkeiten nach dem Olympiamarkenschutzgesetz. Die streitgegenständlichen Schuhmodelle „Komfortsandalen in Lackoptik“ und „Hausschuhe“ werden von der Beklagten über die bundesweit abrufbare Internetseite www.C..de zum Verkauf angeboten und damit auch im Kölner Gerichtssprengel.
88B. Die Klage ist – im tenorierten Umfang – auch begründet.
89I. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Unterlassungsansprüche gemäß § 97 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1 UrhG zu. Der Vertrieb der streitgegenständlichen Schuhmodelle „Komfortsandalen in Lackoptik“ und „Hausschuhe“ durch die Beklagte verletzt die ausschließlichen Verbreitungsrechte der Klägerin an den urheberrechtlich geschützten Schuhmodellen „IA.“ und „PC.“.
901. Die Sandalenmodelle „IA.“ und „PC.“ der Klägerin stellen persönliche geistige Schöpfungen dar und sind als Werke der angewandten Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt.
91a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann (BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Rn. 15 – Geburtstagszug; BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 57 = WRP 2021, 1461 – Zugangsrecht des Architekten, mwN). Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (BGH GRUR 2012, 58 Rn. 36 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Rn. 41 – Geburtstagszug; BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 57 – Zugangsrecht des Architekten; BGH, GRUR 2022, 899, 902 Rn. 28 – Porsche 911).
92b) In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werks im Sinne der RL 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 58 – Zugangsrecht des Architekten) entsprechen. Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden ist (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 33 = WRP 2019, 55 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 = WRP 2019, 1449 – Cofemel). Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 36 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 22 = WRP 2020, 1006 – Brompton Bicycle). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 30 f. – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 23 f. – Brompton Bicycle). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 37 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 22 – Brompton Bicycle). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 32 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 25 – Brompton Bicycle), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 40 – Levola Hengelo).
93c) Hiermit steht im Einklang, dass bei Werken der angewandten Kunst keine höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (BGH, Urteil vom 13. November 2013 - I ZR 143/12, BGHZ 199, 52 [juris Rn. 26] - Geburtstagszug).
94aa) Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen, ist lediglich der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung regelmäßig eingeschränkt. Deshalb stellt sich bei ihnen in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt (BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 15 – Vitrinenleuchte). Eine zwar Urheberrechtsschutz begründende, gleichwohl aber geringe Gestaltungshöhe führt zu einem entsprechend engen Schutzbereich des betreffenden Werkes (BGH, GRUR 2014, 175 [179, Rn. 41] – Geburtstagszug, mwN).
95bb) Die Kammer geht dabei davon aus, dass mit der Geburtstagszug-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR 2014, 175 [177, Rn. 26] – Geburtstagszug) jedenfalls eine Absenkung der Schutzuntergrenze bei Werken der angewandten Kunst dergestalt einhergeht, dass keine überdurchschnittliche Gestaltungshöhe mehr verlangt wird (in diesem Sinne Gutachten PV., S. 17; Gutachten SM., S. 45; RW./PV., in: Schricker/PV., Urheberrecht, 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 184; a.A. Gutachten RW., S. 29). Soweit angenommen wird, bei Gebrauchsgegenständen – namentlich Schuhen --, die in besonderem Maße vom funktionalen Gebrauchszweck geprägt seien, führe das Geburtstagszug-Urteil eher zu strengeren Maßstäben als zuvor, da in diesem Fall – auch trotz den Durchschnitt überragender Gestaltungsleistung – regelmäßig keine ausreichend erkennbare künstlerische Gestaltung vorliege; die Änderung führe eher im Bereich der dekorativen Gestaltungen, etwa im Rahmen der Gestaltung von Applikationen für Bekleidungsstücke oder auch bei Schmuck zu einer gewissen Absenkung der Maßstäbe (Gutachten RW., S. 30 unter Verweis auf A. Nordemann, in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 12. Aufl. 2018, § 2, Rn. 150), kann dem nicht gefolgt werden. Das Gutachten RW. erweist sich insoweit auch als widersprüchlich, als dort an anderer Stelle (S. 23) gerade verlangt wird, einfachere und klarere Designs dürften bei der Beurteilung urheberrechtlicher Schutzfähigkeit tendentiell gegenüber ornamentalen, gleichsam barock geschmückten Gestaltungen nicht benachteiligt werden. Der Bundesgerichtshof hat erhöhte Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst ausdrücklich aufgegeben (BGH, GRUR 2021, 1290 [1296, Rn. 60] – Zugangsrecht des Architekten). Für einen urheberrechtlichen Schutz von Werken der angewandten Kunst und der bildenden Kunst ist – ebenso wie für alle anderen Werkarten – lediglich eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern (vgl. BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 40 – Geburtstagszug; BGH, GRUR 2015, 1189, Rn. 44 – Goldrapper). Einer schutzaffirmativen Bewertung rein dekorativer oder ornamentaler Elemente hat jedenfalls der Gerichthof der Europäischen Union gerade eine Absage erteilt (EuGH, GRUR 2019, 1185, Rn. 54 f. – Cofemel).
96cc) Die Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Geburtstagszug“ finden dabei auch auf Werke der angewandten Kunst – wie die hier streitgegenständlichen Sandalenmodelle – Anwendung, die vor dem Inkrafttreten des Geschmacksmusterreformgesetzes vom 12.03.2004, nämlich vor dem 01.06.2004, geschaffen worden sind (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 24 – Geburtstagszug). Eine Änderung der Rechtsprechung erfasst auch vor dem Zeitpunkt der Änderung liegende, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte. Eine Rechtsprechungsänderung ist insoweit nicht mit einer Gesetzesänderung gleichzusetzen (BGH, NJW 2007, 2987, Rn. 28). Gründe des Vertrauensschutzes, die dem hier entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Die in Rede stehenden, angegriffenen Verwertungshandlungen sind nach diesem Zeitpunkt erfolgt.
97d) Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in der „Cofemel"-Entscheidung ausführt, der Umfang des Schutzes eines Werks der angewandten Kunst sei nicht geringer als bei anderen unter die Richtlinie 2001/29/EG fallenden Werken (EuGH, GRUR 2019, 1185 [juris Rn. 35] - Cofemel), ist damit allein gesagt, dass bei Werken der angewandten Kunst dieselben Ausschließlichkeitsrechte (umfassend die positiven Nutzungsrechte und die negativen Verbietungsrechte) gewährt werden müssen und hinsichtlich der Reichweite dieser Rechte dieselben Rechtsmaßstäbe anzulegen sind wie bei allen anderen Werkkategorien. Gegenstand der Vorlage in der Rechtssache „Cofemel" war allein die Frage, ob bestimmten Erzeugnissen (Werken der angewandten Kunst, Modellen und Designs) der urheberrechtliche Schutz in gleicher Weise zugutekomme wie Werken der Literatur und Kunst (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1185 [juris Rn. 24] - Cofemel). Die Aussage des Gerichtshofs der Europäischen Union bedeutet vor diesem Hintergrund, dass der urheberrechtliche Schutz für alle Kategorien von Werken, die den unionsrechtlichen Werkbegriff erfüllen (dazu EuGH, GRUR 2019, 1185 [juris Rn. 29 und 48] - Cofemel), nach demselben rechtlichen Maßstab zu bestimmen ist (vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - C-145/10, Slg. 2011, I-12533 = GRUR 2012, 166 [juris Rn. 97 f.] - Painer; ferner auch Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-683/17 vom 2. Mai 2019 Rn. 31). Auf die im Einzelfall vorzunehmende Bestimmung des konkreten urheberrechtlichen Schutzbereichs eines Werks, der sich aus seiner Gestaltungshöhe ergibt, bezieht sich diese Aussage hingegen nicht (BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 17 – Vitrinenleuchte).
98e) Für den vorliegend relevanten Schutz von Werken der angewandten Kunst ist zudem Art. 17 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen zu berücksichtigen, der das Verhältnis zum Urheberrecht regelt:
99„Das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützte Muster ist auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig, an dem das Muster geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt.“
100Folglich sind die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Jedenfalls steht den nationalen Gerichten – auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt – bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten ein umfassender Beurteilungsspielraum zu. Denn mit der autonomen Auslegung des unionsrechtlichen Werkbegriffs steht es im Einklang, wenn ein Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten anerkannt wird (vgl. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273). Wann Spielräume im Einzelfall in individueller Weise genutzt werden, überlässt der EuGH den nationalen Gerichten (EuGH, GRUR 2020, 736, Rn. 38 – Brompton). Der Umstand, dass mit den Verfassern der vorgelegten Rechtsgutachten SM., RW. und PV. drei ausgewiesene urheberrechtliche Experten auf Basis des unionsrechtlichen Werkbegriffs zu teils diametral entgegengesetzten Ergebnissen im Einzelfall gelangen, zeigt ohnehin, dass die übergeordneten Kriterien des EuGH lediglich als weitgefasste Leitlinien gelten können, deren Gewinn für die konkrete Betrachtung nicht zu hoch eingeschätzt werden darf.
101Ausweislich des Vorschlags für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über den rechtlichen Schutz von Designs (Neufassung) vom 28.11.2022, COM(2022) 667 final 2022/0392 (COD), soll der Grundsatz des kumulierten Designschutzes und des Schutzes des Urheberrechts in Art. 23 Designrichtlinie ausdrücklich beibehalten werden. Nach Erwägungsgrund 12 des Entwurfs sollen Designs, die durch Rechte an Designs geschützt sind, ebenfalls als urheberrechtlich geschützte Werke geschützt werden können, sofern die Anforderungen der „Urheberrechtsvorschriften der Union“ erfüllt sind.
102f) Ob den Anforderungen, die an schutzfähige Werke zu stellen sind, im Einzelfall genügt ist, bleibt weitgehend eine Frage tatrichterlicher Würdigung (BGH, Urteil vom 27. Januar 1983 - I ZR 177/80, GRUR 1983, 377 [juris Rn. 15] = WRP 1983, 484 - Brombeer-Muster; Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 [juris Rn. 27] - Le Corbusier-Möbel; Urteil vom 22. Juni 1995 - I ZR 119/93, GRUR 1995, 581 [juris Rn. 13] = WRP 1995, 908 - Silberdistel).
103Dabei sind sämtliche Einzelfallumstände zu berücksichtigen, wobei die Klägerseite die Darlegungslast dafür trägt, dass die Sandalenmodelle „IA.“ und „PC.“ über individuelle Gestaltungsmerkmale verfügen, die über die Verwirklichung einer technischen Lösung hinausgehen und dadurch den Schutz des Urheberrechts begründen können. Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll (BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - I ZR 53/10, GRUR 2012, 58 [juris Rn. 23 f.] – Seilzirkus; BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 21 – Vitrinenleuchte).
104g) Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden (grundlegend Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1251; Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 32 f.). Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Erst dann, wenn die bestehenden Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist, selbst wenn ein handwerklich in Perfektion gefertigtes Produkt neu und eigenartig ist, also durchaus Designschutz beanspruchen könnte. Die rein handwerkliche oder routinemäßige Leistung trägt nicht den Stempel der Individualität, mag sie auch noch so solide und fachmännisch erbracht sein (RW., in: Schricker/PV., 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 53). Der Hersteller muss den bestehenden Gestaltungsspielraum indes auch durch eigene kreative Entscheidungen ausfüllen, um zum Urheber zu werden (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 41 – Geburtstagszug). Dies bedeutet, dass das schöpferische Individuum kein Produkt aus Regeln ist, sondern selbst eine Regel für das Urteil über andere Produkte, also exemplarisch sein muss.
105Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht (vgl. Zech, ZUM 2020, 801, 803). Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1253). So kann beispielsweise die Licht- und Farbwirkung von geschliffenem Kristallglas dazu beitragen, Tierfiguren als schutzfähig anzusehen (BGH, GRUR, 1988, 690, 692 f.).
106h) Technische Regeln und Gesetzmäßigkeiten stehen einer schöpferischen Gestaltung also nur dann entgegen, wenn sie zwingende Wirkung entfalten, indem der Gestalter sich an bestehende Konventionen hält und diese befolgt, ohne von ihnen abzuweichen, sie zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. Der Gestalter eines Produkts nutzt die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume nicht, wenn er sich an vorgegebenen Techniken und Regeln orientiert. Zu einem schöpferischen Werk wird sein Produkt erst dann, wenn er von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln in das jeweils in Anspruch genommene Kommunikationssystem explizit oder implizit einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1256). Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt (OLG Hamburg, GRUR 2002, 419, 420).
107Soweit postuliert wird, über technische Erwägungen (im engeren Sinne) hinaus seien auch jegliche funktional oder sachzweckbezogen determinierten Gestaltungsentscheidungen vom Urheberrechtsschutz auszuklammern (so Gutachten RW., S. 9 f., Fn. 18; Grünberger, ZUM 2020, 175, 180 f.), kann dem nicht gefolgt werden. Diese Interpretation lässt sich der Rechtsprechung des EuGH gerade nicht entnehmen. Vielmehr ist der Ausschluss vom Urheberrechtsschutz auf ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingte Formen beschränkt (EuGH, GRUR2020, 736, 738, Rn. 33 -- Brompton Bicycle):
108„Ist die Form des Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt, wäre dieses Erzeugnis nicht nach dem Urheberrecht schutzfähig.“
109Gestützt wird dieses enge Verständnis, wonach Urheberrechtsschutz lediglich dann ausgeschlossen ist, wenn ausschließlich technische Funktionen für die Gestaltung maßgeblich waren, durch den Vergleich mit der englischen und französischen Sprachfassung:
110„Where the shape of the product is solely dictated by its technical function, that product cannot be covered by copyright protection.“
111„Dans le cas où la forme du produit est uniquement dictée par sa fonction technique, ledit produit ne pourrait relever de la protection au titre du droit d’auteur.“
112Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Gebrauchszweck nicht vollkommen ausgeschlossen sein, der ästhetische Gehalt noch nicht einmal überwiegen muss (vgl. Kreile, ZUM 2023, 1, 4). Die Urheberrechtsschutzfähigkeit besteht vielmehr auch bei einem überwiegenden Gebrauchszweck und kann auch etwa dann gegeben sein, wenn der ästhetische Gehalt in die ihrem Zwecke gemäß – in klarer Linienführung ohne schmückendes Beiwerk – gestaltete Gebrauchsform eingegangen ist (BGH, GRUR 2012, 58, 60, Rn. 22 – Seilzirkus). So hat auch bereits das Reichsgericht dafürgehalten, dass Schöpfungen zu praktischen Zwecken nicht vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen sind (RG, Urteil vom 30. Juni 1928 – I 29/28 –, RGZ 121, 357, 358). Zu den Werken der bildenden Kunst zählt jede Gestaltung, in der eine eigenpersönliche geistige Schöpfung sichtbar wird, ohne Rücksicht darauf, ob das Werk neben dem ästhetischen Zweck noch einem praktischen Gebrauchszweck dient (RGZ 124, 68, 72 – Besteckmuster). Sachzweckbezogene Erwägungen im Gestaltungsprozess stehen dem Erreichen der relevanten Schutzschwelle daher nicht entgegen. Funktionale Sachzweckbezogenheit kann technischer Bedingtheit von Gestaltungsmerkmalen nicht gleichgesetzt werden. Vom Schöpfer ausgewählten Gestaltungselementen ist in der Konsequenz auch dann der urheberrechtliche Schutz nicht zu versagen, wenn deren Auswahl von der rationellen Umsetzung einer funktionalen Zielsetzung geprägt ist. Die Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsmöglichkeit und der damit verbundene Ausschluss anderer Gestaltungsmöglichkeiten kann bereits eine schöpferische Leistung darstellen. Der Schöpfer besitzt nämlich die prinzipielle Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit, auch eine abweichende Gestaltung und Ausführung zu wählen. In einem solchen Fall besteht kein Zwang zu einer bestimmten Gestaltung und damit auch keine Einschränkung des Gestaltungsspielraums (vgl. Gutachten PV., S. 38). Dies gilt selbst dann, wenn mit einer abweichenden Ausführung eine Modifizierung eines selbstgewählten Gestaltungsziels verbunden wäre.
113Die Aussage des EuGH, „[…] dass der Umstand, dass Modelle […] über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen, es nicht rechtfertigen [könne], solche Modelle als ,Werke` [...] einzustufen" (EuGH, GRUR 2019, 1185, Rn. 54 f. - Cofemel), kann deshalb nur so verstanden werden, dass allein das Vorhandensein besonders markanter, visueller Effekte für sich genommen die Feststellung von Originalität nicht erlaubt (vgl. Gutachten RW., S. 11). Das Konzept der Gebrauchskunst beruht vielmehr gerade darauf, dass Dinge geschaffen werden, die gleichermaßen zweckgerichtet gebrauchstauglich und künstlerisch sind. Der künstlerische Aspekt schränkt die Zweckdienlichkeit dabei nicht ein. Eine Antithese zwischen der Nützlichkeit für einen bestimmten Gebrauchszweck und ästhetischer Schönheit ist daher nicht zielführend. Denn ein Werk der Gebrauchskunst verliert diesen Charakter nicht durch seine funktionellen Eigenschaften.
114i) Der Schöpfungsprozess ist daraufhin zu analysieren, ob der Urheber sich ausschließlich an Vorgegebenem orientiert und die Spielräume nicht durch eigene Entscheidungen ausgefüllt hat. Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Der Urheber als Anspruchsteller genügt danach seiner Obliegenheit, die Schutzfähigkeit seines Werkes darzulegen, regelmäßig dadurch, dass er ein Werkexemplar vorlegt und seine Besonderheiten – konkreten Gestaltungselemente – präsentiert (vgl. BGH, GRUR 1981, 820, 822 – Stahlrohrstuhl III; abweichend wohl Hartwig, GRUR 2022, 1023, 1025). Verteidigt sich der wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch Genommene mit dem Einwand, das streitgegenständliche Werk sei nicht schutzfähig oder der Schutzumfang sei eingeschränkt, weil der Urheber auf vorbekannte Gestaltungen zurückgegriffen habe, muss dieser die Existenz und das Aussehen solcher Gestaltungen darlegen und beweisen. Der Urheber trägt im vorliegenden Zusammenhang also die Darlegungs- und Beweislast nur für die grundsätzliche Behauptung, dass die Schöpfung neuartig war. Für Entgegenhaltungen aus dem allgemeinen Formenschatz trägt dann im Folgenden derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der behauptet, dass die Schöpfung keinen Urheberrechtsschutz beanspruchen kann.
115j) Eine subjektive Absicht des Urhebers, künstlerisch tätig zu werden, ist darüber hinaus nicht notwendig. Eine entsprechende Anforderung lässt sich auch den maßgeblichen höchstrichterlichen Entscheidungen nicht entnehmen. Vielmehr kommt es ausschließlich darauf an, ob sich auf Basis des fraglichen Werkes und bei Betrachtung von dessen Merkmalen – mithin bei objektiver Betrachtung – ergibt, dass bei der Schaffung trotz funktionaler und technischer Vorgaben ein Gestaltungsspielraum bestand, der vom Urheber eigenschöpferisch ausgefüllt wurde und dazu führt, dass das Werk selbst die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem es dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt – mithin eine künstlerische Leistung erkennen lässt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es nicht auf die subjektive Absicht des Schöpfers an, ein Kunstwerk zu schaffen, sondern allein darauf, ob und inwieweit künstlerisches Schaffen sich in dem Werk objektiviert hat (BGH GRUR 1961, 635, 638 – Stahlrohrstuhl). Selbst ein Schöpfer, der explizit erklärte, keine Kunst erschaffen zu wollen, kann bei Vorliegen der objektiven Kriterien den urheberrechtlichen Schutz seines Werks nicht verhindern (vgl. Kreile, ZUM 2023, 1, 6). Die Motivation des Gestalters ist insoweit nicht entscheidend (a.A. Gutachten RW., S. 25, wonach die innere Seite des Entstehungsvorgangs maßgeblich zu berücksichtigen sei). Ein zusätzlicher Nachweis einer bestimmten Motivation des Schöpfers würde zudem die Anforderungen an den Schutz eines Werkes der angewandten Kunst gegenüber einem solchen der bildenden Kunst eher erhöhen. Dies erscheint mit einem geforderten gleichen Bewertungsmaßstab kaum vereinbar (vgl. OLG Hamburg, GRUR 2022, 565, 568 -- Grand Step Shoes; a.A. LG Hamburg, ZUM-RD 2022, 306). Die subjektive Willensrichtung kann auch aus Gründen der Rechtssicherheit, Prozessökonomie und, um die Entscheidung über die Gewährung des urheberrechtlichen Schutzes nicht ins Belieben rein subjektiver Aussagen noch lebender Schöpfer zu legen, nicht maßgeblich sein (Hauck, EuZW 2020, 895, 898; Hartwig, GRUR 2022, 1023, 1027).
116Demnach ist auch der Gestaltungsspielraum des Schöpfers objektiv zu bestimmen und richtet sich nicht nach einer jederzeit abänderlichen Zielvorstellung oder Zwecksetzung. Die Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsform engt die schöpferische Leistung nicht ein, sondern kann jederzeit modifiziert werden. Aus der von A. E. bei der Gestaltung der streitgegenständlichen Sandalenmodelle verfolgten Konzeption einer der natürlichen Anatomie des menschlichen Fußes angepassten Fußbekleidung lässt sich daher kein Rückschluss auf die Absenz oder weitgehende Restriktion des ihm zur Verfügung stehenden und von ihm genutzten Gestaltungsspielraums ziehen. Seine subjektive Zielsetzung ließ vielmehr – wie die verschiedenen weiteren, dem gleichen Zwecke folgenden, aber markant abweichend gestalteten über Jahrzehnte entwickelten Sandalenmodelle gleicher Provenienz zeigen – ausreichend Raum für eine künstlerische Gestaltung.
117k) Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind die streitgegenständlichen Sandalenmodelle „IA.“ und „PC.“ urheberrechtlich geschützt. Die E.-Sandalenmodelle „IA." und „PC." erfüllen die Voraussetzungen urheberrechtlichen Schutzes, da ihrer Entwicklung eine eigene geistige Schöpfung zugrundeliegt.
118aa) Die Einwände der Beklagten aus ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sowie den verschiedenen vorgelegten privaten Fachgutachten und dem Rechtsgutachten vermögen dies im Ergebnis nicht in Zweifel zu ziehen.
119Ein Produkt wird erst dann zu einem schöpferischen Werk, wenn der Schöpfer von vorhandenen Vorbildern abweichende Regeln einführt und danach handelt, indem er ein Produkt erzeugt, dass als Beispiel oder Muster für seine selbst entwickelten Regeln dienen kann, also exemplarisch ist (vgl. Matras/Holzbach, GRUR-Prax 2023, 78). Lässt sich ausschließen, dass vorgegebenen Regeln zur Fertigung des Werkes geführt haben, führt dies zu dem Schluss, dass der Urheber jedenfalls in gewisser Weise einen bestehenden Gestaltungsspielraum tatsächlich durch eine kreative Entscheidung genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen.
120Dies ist hier der Fall. A. E. hat mit bestimmten Materialien und Gestaltungselementen derart experimentiert und diese miteinander kombiniert, dass sein jeweiliges Ergebnis schöpferischen Charakter besitzt. Die gilt unabhängig davon, dass einzelne dieser Gestaltungselemente bereits vorbekannt waren und sich in Sandalenmodellen anderer Hersteller wiederfanden. Denn in ihrer einheitlichen Zusammenführung liegt die Originalität der von A. E. ersonnenen Gestaltung (zur Schöpfereigenschaft siehe unten). Er hat sich dabei individuell hinreichend von den auf seinem Schaffensgebiet bestehenden, üblichen und bekannten Darstellungsformen für Sandalenmodelle entfernt und über die von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerische Gestaltungen vorgenommen. Die von der Verfügungsbeklagten eingewandten anderweitigen Sandalenmodelle, die der Schutzfähigkeit der Modelle „IA.“ und „PC.“ entgegenstehen sollen, illustrieren vielmehr, dass es im Bereich der Sandalen vielfältige Gestaltungsspielräume und zahlreiche Möglichkeiten zu deren Ausfüllung gibt. A. E. hat nach Auffassung der Kammer unter Berücksichtigung des gesamten Parteivorbringens und insbesondere der umfangreichen Fachgutachten zu unterschiedlichen Aspekten der Geschichte und modischen, wie fertigungstechnischen Entwicklung von Schuhen und insbesondere Sandalenmodellen künstlerisch geprägte Entscheidungen getroffen, die dem Bereich der gestaltenden Phantasie zuzuordnen sind und nicht lediglich eine neue Funktion oder ein neues Verfahren einfach und rationell angewandt haben. Ausschließlich technische Bedingtheit liegt nur dann vor, wenn es für den Urheber keinerlei Gestaltungsfreiheit gab – dann fallen Idee und Ausdruck zusammen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
121A. E. hat eigenständige Regeln der Sandalengestaltung gefunden und sie u.a. in seinen hier streitgegenständlichen Sandalenmodellen „IA.“ und „PC.“ umgesetzt. Er folgte damit nicht lediglich den technischen Regeln des Schuhmacherhandwerks oder den Zwängen natürlicher Gegebenheiten des menschlichen Fußes, sondern brachte in der spezifischen Gestaltung seiner anatomiegerechten Sandalenmodelle freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck, in denen sich seine individuelle Persönlichkeit widerspiegelt.
122bb) Bei der Frage, ob ein Gestaltungsspielraum bestand und im Rahmen einer künstlerischen Urheberrechtsschutz rechtfertigenden Weise genutzt worden ist, handelt es sich auch nach Auffassung der Beklagten selbst um eine Rechtsfrage, deren Beurteilung nicht einem Fachgutachter, sondern der Kammer vorbehalten ist.
123Bei der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit handelt es sich um eine Frage der Rechtsanwendung. Ob den Anforderungen, die an schutzfähige Werke zu stellen sind, im Einzelfall genügt ist, bleibt weitgehend eine Frage tatrichterlicher Würdigung (BGH GRUR 1983, 377 – Brombeer-Muster; BGH GRUR 1987, 903 – Le Corbusier-Möbel; BGH GRUR 1995, 581 – Silberdistel; BGH, GRUR 2023, 571 [574, Rn. 19 -- Vitrinenleuchte). Für die Feststellung der dieser rechtlichen Beurteilung zugrunde liegenden tatsächlichen Voraussetzungen gelten die allgemeinen Regeln gemäß § 286 ZPO (BGH, GRUR 2015, 1189, Rn. 62 – Goldrapper, mwN). Dabei ist davon auszugehen, dass Mitglieder eines fachspezifischen Spruchkörpers regelmäßig hinreichenden Sachverstand haben, um die Schutzfähigkeit und Eigentümlichkeit eines Werkes der bildenden Kunst zu beurteilen (BGH, GRUR 2021, 1290 [1295, Rn. 51] – Zugangsrecht des Architekten). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anspruchsteller sich – wie vorliegend – für den behaupteten Rang des Werkes auf dessen Eindruck und Form und nicht auf die Beurteilung in der Kunstwelt stützt (vgl. in diesem Sinn zu Bauwerken: BGHZ 221, 181 = GRUR 2019, 609 Rn. 52 – HHole [for Mannheim], mwN; anders bei Musikwerken, wenn es um die Beurteilung der Lehren von Harmonik, Rhythmik, Melodik und die Feststellung der Üblichkeit der Verwendung von Gestaltungsmitteln einer bestimmten Musikrichtung geht: BGH, GRUR 2015, 1189, Rn. 64 u. 66 – Goldrapper).
124Die Klägerin rechtfertigt die ihrer Ansicht nach zu bejahende Werkqualität der nach ihrem Vortrag von A. E. geschaffenen Sandalenmodelle im Streitfall insbesondere mit der Anordnung und Gestaltung des Fußbettes und des Befestigungssystems sowie der Konzeption der Verbindung dieser beiden Hauptelemente. Die Schutzfähigkeit solcher Gestaltungen von Schuhmodellen können Mitglieder eines für Urheberrecht zuständigen Spruchkörpers regelmäßig aus eigener Anschauung beurteilen. Die 14. Zivilkammer des Landgerichts Köln ist ausweislich des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Köln für Rechtssachen auf dem Gebiet des Urheberrechts zuständig und damit ein solcher fachspezifischer Spruchkörper. Die vorgelegten sieben fachlichen Privatgutachten (teils in mehrfach überarbeiteten Fassungen) geben der Kammer eine umfassende faktische und multiperspektivische Aufarbeitung aus den Blickwinkeln unterschiedlicher Fachbereiche als Basis ihrer Entscheidungsfindung, so dass von der Einholung weiterer Fachgutachten kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten ist.
125cc) Als Grundlage für das Sandalen-Konzept der Klägerin und damit auch für die hier streitgegenständlichen Modelle „IA.“ und „PC.“ können folgende Elemente gelten:
1261) Das Fußbett
127a. Eine gerade innere Sohlenkante
128b. Eine Laufsohle aus Kunststoff mit E.-Linienprofil
129c. Veloursleder-bezogene Sohlenbahn
130d. Zehengreifer / Bestandteil der Sohlenplastik
131e. Fersenmulde / Bestandteil der Sohlenplastik
132f. Tieffußbett aus Korkschrotmischung / unverkleideter Sohlenschnitt
1332) Das Befestigungssystem
134a. Offenkantige, ungefütterte Schaft-Verarbeitung
135b. Schaft im Cutout-Schnitt / aus einem Stück Leder geschnitten
136c. Zwischen Tieffußbett und Laufsohle gefasster Zwickeinschlag des Oberleders
137d. Eckige Schnalle mit geprägtem E.-Schriftzug sowie
138e. Oberteil mit einem respektive zwei breiten Riemen in Cut-out-Schnittführung
139(1) Schuhtechnisch lassen sich bei dem Sandalenmodell „KH.“ als Ausgangs- und Basismodell auch für alle folgenden Sandalenmodelle der Typen „OV.“, „PC.“, IA.“ und MV.“ zwei Bauteilgruppen unterscheiden: der Schuhboden/ die Sohle/ das Fußbett und das Befestigungssystem/ Kopplungselement von Sohle und Fuß: der Zehenriemen/ die Zehenbandage. Die späteren E.-Sandalenmodelle, wie die hier streitgegenständlichen Modelle „IA.“ und „PC.“ sind mit identischem Schuhboden wie das Modell „KH.“, der bei allen Modellen eine leichte Aufbiegung im Bereich der Zehen aufweist, jedoch mit verschiedenen Riemengestaltungen bzw. beim Modell „PC.“ mit einem den gesamten Vorfuß, einschließlich der Zehen umschließenden Oberteil aus einem Stück Leder, durch das der Riemen geführt wird, versehen. Dass gerade diese hervorgehobenen Gestaltungsmerkmale ausschließlich technisch bedingt oder sonst durch handwerkliche Regeln und Konventionen erzwungen sein sollten, ist nicht erkennbar und ergibt sich insbesondere nicht aus den vorgelegten Parteigutachten. Die Schöpfung trägt eine persönliche Handschrift, die sich auch bei weiteren – hier nicht streitgegenständlichen – von A. E. geschaffenen Sandalenmodellen wiederfindet.
140Soweit im Gutachten DG. festgehalten wird, dass die Gestaltung der Sandalen durch einen Gebrauchszweck vorgegeben sei (Gutachten DG., S. 35, 50 ff.), vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Denn das Gutachten DG. lässt den Umstand unberücksichtigt, dass A. E. nach allen gutachterlichen Stellungnahmen bei der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Konstruktionselemente, etwa bei der Ausgestaltung der Riemen, welche den Fuß auf der Sohle halten, sehr wohl ein maßgeblicher Gestaltungsspielraum anheimstand, den er schöpferisch ausfüllte. Die perspektivische Verengung des Gutachtens DG. auf konstruktive Elemente der Schuhe blendet damit wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten aus, wie sie etwa durch das Gutachten W. nach Auffassung der Kammer in überzeugender und nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Demnach kann nicht unterstellt werden, dass alle Komponenten eines Schuhes technischer Natur sein müssen, weil dieser immer um den Fuß entsprechend der anatomischen Gegebenheiten herum gebaut werde. Schuhe müssen nämlich nicht zwangsläufig – über die Funktion, den Fuß vor Kälte, Steinen oder spitzen Gegenständen zu schützen, hinaus – stets die normalen Beanspruchungen und Funktionen des Fußes, etwa durch Gehen und Stehen erleichtern (Gutachten W., S. 13).
141Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Gutachtens RW. ist die Umsetzung einer anatomischen Konzeption nicht mit der Beschränkung des Gestaltungsspielraums für eine schöpferische Entwicklung durch zwingende technische Erfordernisse und Vorgaben im Sinn der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt Form eines Erzeugnisses, s.o.) gleichzusetzen. Der intendierte Gebrauchszweck eines Gebrauchsgegenstandes entspricht nicht dessen technisch-funktionaler Notwendigkeit. Der Sachverhalt unterscheidet sich daher – anders als im Gutachten RW. (S. 46) angenommen – grundlegend von dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Seilzirkus“ (BGH, GRUR 2012, 58, Rn. 27) zugrundelag. Während in „Seilzirkus“ die Umsetzung der technischen Idee eines als Netz aus Mast und Seilen konstruierten Gerätes in Rede stand, dessen Teile essentieller Bestandteil der technischen Konstruktion waren, verwirklicht sich in den streitgegenständlichen Sandalenmodellen nicht lediglich ein technischer, handwerklich-konstruktiver Spielraum. Nach der überzeugenden Darstellung des Gutachtens W., das insoweit weder von den übrigen Privatgutachten noch durch sonstigen Parteivortrag der Beklagtenseite in Zweifel gezogen wird, bestehen keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass die E.-Sandalen tatsächlich eine medizinisch-orthopädische Wirkung – also im vorgenannten Sinne technische Wirkung – zeigen (Gutachten W., S. 7 ff.). Orthopädisch korrigierende Effekte und medizinische Funktionen in die E.-Sandalen zu integrieren war offensichtlich auch nie Gegenstand der Entwicklung. Dies gilt auch eingedenk der etwaigen Tätigung bloßer Werbeaussagen, die man in diese Richtung deuten könnte. Ein präventiver Effekt gegen Beschwerden oder Verletzungen des Fußes dürfte sich denn auch erst erreichen lassen, wenn der Fuß technisch vermessen und orthopädische Einlagen individualisiert entsprechend gefertigt werden. A. E. stand hingegen nach vielfachen Zeugnissen vor Augen, die natürliche Trittspur des Fußes im Sand nachzuempfinden, also die Gestaltung eines generalisierenden Fußbettes anhand eines ästhetischen Fußes als Modell, dessen Form er vereinfachte, generalisierte und betonte. Eine große Variabilität war damit angesichts der Vielgestaltigkeit unterschiedlicher Fußformen und ihrer Anatomie bereits bei der Auswahl des modellhaften Fußabdrucks gegeben.
142Mit dem Sandalenkonzept sollte das Barfußgehen auf einem natürlichen und verformbaren Untergrund auch bei steifen und oder künstlichen Untergründen simuliert und gleichzeitig der Schutz gegen Umgebungseinflüsse gewährleistet werden, um ein natürliches oder naturgewolltes Gehen zu abzubilden. Die einzige technische Rand- und Rahmenbedingung bildete dabei die Möglichkeit, den Fuß auf der Sohle zu positionieren und diese Position bei der Fortbewegung zu sichern. Der Zugang zur „Fußgesundheit“ konnte aber auch durch gänzlich andere Konzepte eröffnet werden, etwa durch die Reduktion der Belastung des Fußes durch Stützen und Dämpfen unter Verwendung orthopädischer Hilfsmittel (vgl. dazu auch Gutachten DG.) oder durch die Vergrößerung der Belastung biologischer Strukturen von Fuß und Unterschenkel als Trainingsanreiz für Muskeln und Sehnen, was völlig andere Gestaltungen der Schuhe bedingt. Die klägerischen Sandalenmodelle stellen eine Produktfamilie dar, die sich durch eine eigenständige schöpferische Sprache auszeichnet. Allen Modellen ist ein offenkantig verarbeitetes, ungefüttertes Schaftmaterial gemein, der unverblendete Sohlenschnitt des Tieffußbettes mit sichtbarer Korkschrotmasse sowie der Verzicht auf Ziernähte; die ca. 2cm dicke, naturfarbige, mit hellem, farblich auf den Schaft abgestimmten Velourleder gefütterte Korkschrot-Sohle und die 1 cm dicke Kunststoff-Laufsohle mit flächigem Profil sowie das eingeprägt, diskret an der Innenseite platzierte Logo. Bei allen Modellen wird der gleiche Typ Dornschnalle verwendet; je nach Modell variieren Größe, Material und Farbe. Riemenbreite und Form variieren ebenfalls, wodurch jedes Modell einen eigenen Charakter erhält, ohne den Kreis der prägnanten, schnörkellosen und klaren Formensprache zu verlassen. Das Zusammenspiel und die Gesamtheit der vorbezeichneten Merkmale führen zu einer ausdrucksstarken und wiedererkennbaren Konzeption der Formgebung und einer ästhetischen Konzeption, die sich gerade durch die gezielte Auswahl und Kombination des wiederkehrenden Korkschrot-Tieffußbettes und der gleichbleibenden Verarbeitung durch offenkantige, geklebte Ausführung mit Ausschnitten, ohne Ziernähte sowie des Ensembles von Velours- und Glattleder einerseits mit den übrigen Komponenten wie der Form und Anzahl der Riemen, der Form des „Cutouts“, die Schnallen und Nieten; der Form, Ausführung und Platzierung des Logos andererseits, die gezielt aus einer Fülle von Möglichkeiten ausgewählt wurden, auszeichnet. Gerade in diesen vielfältigen, aber nicht willkürlichen, sondern stringenten Variationen manifestiert sich eine schöpferische Originalität und Unverwechselbarkeit, welche die klägerischen Sandalenmodelle aus der Masse des rein technisch-handwerklichen Schaffens heraushebt und ihnen eine eigene künstlerische Handschrift verleiht.
143(2) Diese konkrete Kombination von Merkmalen war nach Überzeugung der Kammer auch Ausdruck einer kreativen Entscheidung des Schöpfers. Dies steht nicht im Widerspruch zu vorgelegten Selbstzeugnissen, aus denen hervorgeht, dass A. E. äußerte, ihn habe Mode nicht interessiert und er sei ein „Quertreiber“ gewesen, der die Mode habe „unterlaufen“ wollen, weil alle modischen Schuhe „spitz“ gewesen seien, die hier maßgebliche Sandale jedoch nicht. Daraus folgt nämlich gerade, dass sich der Schöpfer durchaus bewusst war, mit vorgegebenen Regeln und Konventionen entgegen vorhandener ästhetischer und modischer Gepflogenheiten zu brechen und dies konsequent beabsichtigte. Dies spricht nicht gegen, sondern für die Umsetzung eines vorhandenen, kreativen Gestaltungsspielraums. Subjektive Verlautbarungen der Klägerin oder ihrer Rechtsvorgänger sind für die Beurteilung der eigenschöpferischen Qualität – wie aufgezeigt – unbeachtlich, wenn gleichwohl ein künstlerischer Gestaltungsspielraum bestand und im Rahmen des Schaffensprozesses genutzt wurde, auch wenn dies möglicherweise zunächst als rein handwerklich wahrgenommen wurde. Ein zusätzlicher Nachweis einer bestimmten Motivation des Schöpfers würde die Anforderungen an den Schutz eines Werkes der angewandten Kunst gegenüber einem solchen der bildenden Kunst erhöhen. Dies erscheint mit einem gleichrangigen Beurteilungsmaßstab kaum vereinbar.
144dd) für das Sandalenmodell „IA.“ sind folgende Gestaltungsmerkmale prägend:
1451) Das Lederriemen-Oberteil zeigt eine aerodynamisch geschwungene T-Form, ist offenkantig und ungefüttert aus einem Stück Leder verarbeitet, wird zwischen Laufsohle und Sohlenbahn geführt und kann seitlich außen mit einer Schnalle an die Spannhöhe des Trägerfußes angepasst werden.
1462) Zwischen Großzeh und zweitem Zeh verläuft ein schmaler Steg aus gegossenem Kunststoff, der mit einem dekorativen Knopf beweglich über dem Lederriemen fixiert ist. Beides zusammen hält die Sandale sicher am Fuß. Bis auf den T-förmigen Riemen bleiben die Zehen und der Vorfuß unbedeckt. Die sich überlappenden Riemen werden durch eine außen platzierte, dezente rechteckige Dornschnalle verbunden.
1473) Die Sohlenplastik aus mit Jute stabilisierter Korkschrot-Latex-Mischung ist rundherum am Sohlenrand hochgezogen und formt ein Tieffußbett, das fußseitig mit Veloursleder überzogen ist. Dieses zeigt den Zehengreifer und eine Fersenschale und ist der Trittspur (Negativform einer Fußsohle) eines gesunden Normalfußes nachempfunden.
1484) Die Laufsohle aus Kunststoff weist ein flächiges die ganze Sohle bedeckendes Linienprofil auf.
1495) Der seitliche Sohlenschnitt ist unverkleidet, sodass die Laufsohle, die Korkschrot-Latex-Mischung und die Velourlederschicht sichtbar bleiben.
1506) Es fehlen jegliche Ziernähte oder andere Verzierungen.
151Den Gesamteindruck wesentlich mit bestimmen zudem: der bis zum Fersenansatz geführte Schaft; der tropfenförmige, leicht asymmetrische Zehenriemen; die verlängerte Führung des gegossenen Zehensteg durch eine Öffnung im Riemen und Befestigung mit einer Niete mit eingeprägtem Logo.
152(1) In der Kombination dieser Elemente ist eine hinreichende persönliche Schöpfung A. Birkenstocks dargetan. Die klägerische Sandale „IA.“ verfügt damit über individuelle Gestaltungsmerkmale, die über die Verwirklichung einer technischen Lösung hinausgehen und dadurch den Schutz des Urheberrechts begründen. Der asymmetrisch geformte Y-Schaft erzeugt eine optische Spannung. Im Zusammenspiel mit dem geschwungenen Außenrand des Tieffußbetts wird eine organische, skulpturelle Form mit der ästhetischen Anmutung einer raffinierten Brückenkonstruktion suggeriert. Die Kante des Oberteils ist beidseitig durch die geschwungene Y-Form optisch bewegt gestaltet. Die unversäuberte, bewusst „rohe“ Verarbeitung fällt hierdurch besonders ins Auge und entfaltet eine minimalistische Wirkung. Die ergonomisch ausgearbeitete Form des Zehenstegs mit Niete zeigt zu-gleich auch optisch eine dynamische Volumenverteilung und unterstreicht damit den deutlich skulpturalen Gesamtcharakter der Sandale.
153(2) Der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des Sandalenmodells „IA.“ steht nicht entgegen, dass es sich um eine Weiterentwicklung des vorbekannten Modells „KH.“ handelt und die vorgenannten Übereinstimmungen mit diesem aufweist. Auch beschränkt sich der urheberrechtliche Schutz des Modells „IA.“ – entgegen der im Gutachten RW. geäußerten Auffassung (Gutachten RW., S. 68 ff.) – nicht aus Rechtsgründen auf die gegenüber dem Modell „KH.“ neuen, kreativen Merkmale des T-förmig geschwungenen Lederschafts und des Zehenstegs mit Niete oder den aufgrund der Kombination dieser Oberteilkonzeption mit dem Tieffußbett und einem dadurch hervorgerufenen neuen Gesamteindruck. Während im Designrecht Muster oder Modelle, die vom selben Entwerfer früher geschaffen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 DesignG neuheitsschädlich sein oder den Schutzumfang des Klagedesigns begrenzen können, gelten diese Grundsätze nach Auffassung der Kammer im Urheberrecht nicht (vgl. Gutachten PV., S. 68; Gutachten SM., S. 59; a.A. Gutachten RW., S. 69). Im Urheberrecht ist die objektive Neuheit des Werks keine Schutzvoraussetzung. Es besteht allerdings insoweit eine gewisse Relation zwischen Neuheit und urheberrechtlichem Schutz, als eine objektiv vorbekannte Form keine schöpferische Leistung darstellt (BGH, GRUR 1982, 305, 308 – Büromöbelprogramm). Die Annahme, die Modelle „IA.“ und „PC.“ stellten Bearbeitungen im Sinne von § 3 UrhG des Models „KH.“ dar und könnten folglich nur Schutz erlangen, wenn sie ihrerseits eine eigene schöpferische Qualität aufwiesen, die über die vorbekannte Gestaltung des Originalwerks hinausginge, geht fehl. Der Grundsatz der Vorbekanntheit zielt darauf ab, Gemeingut oder von Dritten stammende Gestaltungen nicht als eigene Schöpfungen zu beanspruchen. Diese Situation liegt in casu nicht vor. Auch nach dem Regelungszusammenhang von § 3 und § 23 UrhG dienen diese Vorschriften dem Schutz desjenigen, der ein fremdes Werk bearbeitet. Auf denjenigen, der sein eigenes Werk bearbeitet respektive weiterentwickelt, passt dies jedoch nicht. Es wäre widersinnig, in diesem Fall eine Zustimmung im Sinne von § 23 UrhG zur Bearbeitung des eigenen Werks zu verlangen. Ratio legis kann § 3 UrhG daher nur einschlägig sein, wenn es sich um die Bearbeitung vorhandener fremder Werke handelt.
154(3) Das Fußteil des Modells „IA.“ ist mit dem des Modells „KH.“ identisch. Die Gestaltung des Fußteils der klägerischen Sandale „IA.“ ist nach Auffassung der Kammer nicht durch technische, ergonomische oder sonstige Zwänge vorgegeben. Eine gegenteilige Wertung lässt sich auch den von der Beklagtenseite vorgelegten Privatgutachten nicht entnehmen. Das von der Beklagtenseite vorgelegte Gutachten IX. betont, dass es bei der Erstellung von Gymnastiksandalen zwei grundlegende Strömungen gab (Gutachten IX., S. 19): einmal eine Variante aus Holz und eine flexible Variante. Die Versteifung der Holzvariante widerspreche aber einem natürlichen Gangbild und beraube die Zehengrundgelenke ihrer Aufgabe. Ein Vorteil der Holzvariante liege indes darin, dass der Fuß hier eine deutlich größere Arbeit verrichten müsse, um die Sandale „mitzunehmen“ als dies bei der elastischen Variante notwendig sei. Der Trainingseffekt dürfte damit größer sein. Dadurch wird bereits im Hinblick auf das Ziel der Fußgesundheit als potentieller Gebrauchszweck einer Sandale unstreitig eine Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen medizinisch-orthopädisch denkbaren Alternativmöglichkeiten, um dieses Ziel zu verwirklichen, aufgezeigt. Eine zwingende technische Notwendigkeit, gerade eine dieser grundlegenden Strömungen wählen zu müssen, ist damit ausgeschlossen. Der Aspekt der Fußgesundheit diktierte also gerade nicht die Auswahlentscheidung für eine flexible Mittelsohle aus einer Korkschrot-Latex-Mischung und das Tieffußbett. Die Gestaltung des E.-Fußbetts stellt sich vielmehr als eine kreative, ästhetische Möglichkeit von vielen dar, eine Ausarbeitung der Anatomie eines Fußes darzustellen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Standardanatomie des menschlichen Fußes nicht existiert. A. E. hat sich daher in generalisierender Simplifikation für eine Variante entschieden, die aus seiner Sicht einen beliebigen Fußabdruck im Sand am signifikantesten wiedergab. Eine relevante Einschränkung der Gestaltungsformen mit Blick auf die inneren und äußeren Längsgewölbestütze und die Quergewölbestütze geht aus dem Gutachten IX. (Gutachten IX., S. 12) nicht hervor. Wie das Privatgutachten T./CO. illustriert (Gutachten T./CO., S. 122 ff.), war und ist die Fußbettgestaltung äußerst vielgestaltig möglich:
155Ebenso sind und waren auch bereits zum Zeitpunkt der Markteinführung des klägerischen Sandalenmodells „KH.“ Sandalenfußbetten in Gebrauch, die kein Fußbett aufweisen und aus anderen Materialien gefertigt sind:
157
Der für das Fußbett gewählte Materialmix, bestehend aus der Kork-Latex-Mischung und Jute, stellt sich aus Sicht der Kammer unter Berücksichtigung des wechselseitigen Parteivorbringens nicht als zwingend für ein leichtes und gleichzeitig flexibles Fußbett dar. Bereits in den 1950er-Jahren wurden etwa Schuhsohlen aus flexiblen und leichten Materialien an Gummispritzgießmaschinen und mit Hilfe von Schaumtechnologien produziert, beispielsweise durch das Unternehmen Desma (vgl. Gutachten T./CO., S. 15).
160Die Wahl von Veloursleder als Material der Decksohle für das Fußbett erscheint gleichermaßen nicht als einzige Möglichkeit der Wahl. Vielmehr erscheinen unterschiedlichste Bezugsmaterialien für das Fußbett denkbar. Unterschiedlich gestaltet werden kann nach den vorliegenden Unterlagen auch der Seitenrand des Fußbetts. Hier besteht alternativ etwa eine Vielzahl von Verdeckungsmöglichkeiten. Soweit die Entscheidung, den Seitenrand der Sandalen unverblendet zu lassen, mit Kostengründen erklärt wird, da eine Verblendung des Seitenrandes höhere Produktionskosten zur Folge gehabt hätte (Gutachten IX., S. 19; Gutachten RW., S. 58), kann dem nicht gefolgt werden. Zunächst bestehen keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für den Einfluss etwaiger Produktionskosten; es handelt sich hierbei um rein spekulative Erwägungen, die von der Klägerseite in Abrede gestellt wird (vgl. Gutachten T./CO., S. 16). Etwaige Produktionskosten sind zudem schon kein Kriterium, um einen tatsächlich gegebenen Gestaltungsspielraum und dessen Nutzen zu bestimmen (OLG Hamburg, GRUR 2022, 565, Rn. 27 – Grand Step Shoes). Die klägerischen Sandalen-Modelle dienen erkennbar nicht der Korrektur von Fehlstellungen des Fußes. Solche Produkte werden grundsätzlich nur über den orthopädischen und medizinischen Fachhandel angeboten. Die von der Beklagtenseite vorgelegte Werbeaussage:
161„Die Original E. Fußbett-Sandale wurde geschaffen zur Erhaltung schöner, gesunder Füße und zur Verbesserung einer fehlerhaften Fußstellung. Diese Sandale ist in ihrem Typ völlig neuartig u. vereinigt ein Höchstmaß an Vorteilen in sich.
162SIE IST AUFFALLEND FLEXIBEL FÜR DIE RICHTIGE SCHRITT-“
163steht dieser objektiven Beurteilung als subjektive, werbemäßige Anpreisung nicht entgegen. Beabsichtigt war im Kern vielmehr lediglich die Nachempfindung eines natürlichen Fußabdrucks. Um eine Fußsohlenanatomie zu unterfangen, zu stützen und zu betten etc., bestehen wiederum verschiedene Möglichkeiten und Ausarbeitungen. Die Fußbettinnenkante/Sohleninnenkante könnte auch unterzogen werden, um den entstehenden Raum beispielsweise mit einer Formsohle zu füllen. Die Fersenschale kann im Grundsatz hoch oder flach ausgestaltet werden. Gleiches gilt für den Mittelteil. Der im Fußbett angelegte Zehengreifer erscheint nicht zwingend notwendig, sondern stellt lediglich eine Möglichkeit dar, die Greiffunktion der Zehen zu aktivieren.
164Eine biomechanische Funktion kommt der Laufsohle in ihrer Ausprägung als sogenannte „Knochenmustersohle“, wie sie nach Markteinführung des Modells „KH.“ entwickelt wurde, durch die geometrische Anordnung von knochenförmigen Abschnitten nicht zu. Die Längsachse der „Knochen“ im Winkel von 45° zur Fußlängsachse erhöht den Reibewert nicht wesentlich gegenüber einer planen und nicht strukturierten Laufsohle (Gutachten W., S 20). Der Gestaltungsspielraum bei der geometrischen Gestaltung der Laufsohle ist äußerst vielfältig, wie Beispiele von Sandalen mit abweichender Laufsohlengestaltung zeigen:
165Eine Einschränkung des Gestaltungsspielraums bei der Laufsohlengestaltung aus funktionellen Gründen – etwa aufgrund der Belastungsrichtung der der Nutzform des jeweiligen Schuhs – ist hier nicht ersichtlich. Auch die Wahl eines flachen Bodens ist nicht rein funktional bedingt. Die Sandale „IA." hätte beispielsweise – ebenso wie das Ausgangsmodell „KH.“ – auch mit einer Absatzsprengung produziert werden können (vgl. Gutachten T./CO. , S. 18).
169Die als Beleg für eine vorbekannte gerade Sohleninnenkantenlinie angeführten antiken und traditionellen Sandalen:
170verfügen jedenfalls nicht über ein Tieffußbett und zeichnen sich durch teils überbordende Ornamentik und Zierelemente aus, die schon dem schlichten, schnörkellosen Eindruck der Modelle der Verfügungsklägerin diametral entgegenstehen.
173Die „GX. des VJ.-Sandale:
174verfügt zwar über eine mit Velourleder ummantelte Sohlenbahn, die aber bereits optisch deutlich breiter und markanter ausfällt als bei „KH.“, wo der bezogene Sohlenteil deutlich schmaler ausfällt als der unverkleidete Sohlenschnitt aus der Korkschrotmischung.
176Die ornamentalistisch verzierten und an der Ferse geschlossenen WeekendSneaker:
177und die kreuzriemengeschnürten Plastikfußbettsandalen:
179weichen deutlich vom Basismodell der hier streitgegenständlichen Schuhmodelle, der Sandale „KH.“ ab. Auch wenn diese Entgegenhaltungen über ein Naturkork-Fußbett oder eine Plastiksohle aus Korkschrot verfügen, haben die jeweiligen Gestalter völlig unterschiedliche Befestigungs- und Riemenkonstruktionen im Vergleich zu den Modellen der Klägerin gewählt.
182Der Umstand, dass sowohl die Sohlenschnitte den Sohlen antiker Sandalen entsprächen als auch der Velourlederbezug von Fußbrandsohlen sowie die Merkmale der Tieffußbettsohle aus Korkschrot mit Zehengreifer jeweils als Einzelelemente vorbekannt gewesen sein sollen, belegt nicht, dass die Kombination dieser Elemente, für deren Vorbekanntheit die Beklagte keine Anhaltspunkte liefert, bereits vorgegebenen Konventionen oder Regeln technischer respektive ästhetischer Art entsprochen hätte.
183Gleichermaßen ist der von der Beklagten hervorgehobene Umstand, dass das Material Kork bereits für Schuhsohlen:
184Verwendung fand und auch bei Sandalen eingesetzt wurde:
186per se unbehelflich, da die angeführten Schuhmodelle sich in ihrem durch die Verwendung von Block- und Keilabsätzen geprägten Gesamteindruck deutlich von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen unterscheiden.
188Die technischen Darstellungen aus den eingewandten Patentschriften
189illustrieren ein von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen deutlich abweichendes Fußbett. Ausweislich der Patentansprüche handelt es sich um eine Sandale zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Fußes mit nach den Rändern zu abfallender Sohlenoberfläche und einem von dem Fersenende aus bis etwa zur Fußmitte parallel zur Sohlenunterseite verlaufenden Einschnitt oder entsprechenden Abstufungen, und ist dadurch gekennzeichnet, dass für die Zehen ein vertieftes Bett in der Oberfläche der Sohle vorgesehen ist, welches, an der Zehenwurzel beginnend, eine steil nach unten abfallende Fläche aufweist. Die Sandale der Patentschrift sollte dadurch gekennzeichnet sein, dass für die Großzehe, den Ballen und die Ferse ein besonderes Bett vorgesehen ist. Weiterhin sollte die Sandale dadurch gekennzeichnet sein, dass die Sohlenoberfläche mit quer zur Fußrichtung verlaufenden Aufrauhungen versehen ist. Diese Betten sollten zwar in einem besonderen weichen Stoff, beispielsweise Kork, angebracht sein, welcher in die Sohle eingelassen ist. Die vorangegangene Beschreibung und die Zeichnung zeigen aber, dass es sich um eine gänzlich andere Ausformung der Sohle handelt als das typische E.-Tieffußbett, dass bei den streitgegenständlichen Sandalen der Klägerin Verwendung findet. Die innere Sohlenkannte ist zudem nicht gerade gehalten, sondern weist eine deutliche Krümmung auf. Eine Fersenmulde scheint nicht vorgesehen.
191Für die folgende skizzierte Darstellung (vgl. Gutachten IX., S. 15):
192gelten vergleichbare Erwägungen. Die Neuerung sollte hier einen Zehengreifwulst für das Fußbett von Gymnastik-Sandalen betreffen, die aus einem einstückigen Schuhboden aus Holz, Kunststoff oder ähnlichem Material und einem einzigen Halteriemen etwa in der Gegend der Zehengrundgelenke des Fußes bestehen. Das Halten der Sandale am Fuß sollte hierbei nicht allein durch den einzigen, in der Gegend der Grundgelenke vorgesehenen Riemen gewährleistet werden, sondern vielmehr sollte es dazu einer zusätzlichen Greifbewegung und Greifkraft der Zehen gegen den vorderen Teil des Schuhbodens bedürfen. Durch das Greifen und Entspannen beim Aufsetzen des Fußes sollte eine ständige gymnastische Übung und daher eine günstige therapeutische Wirkung erzielt werden. Einen vergleichbaren Zehengreifwulst weisen die streitgegenständlichen Sandalen schon nicht auf und unterscheiden sich optisch deutlich von der Skizze.
194Auch hinsichtlich des Befestigungssystems zeigt die Beklagte nicht auf, dass vorbekannte Gestaltungsmuster der Schutzfähigkeit des Sandalenmodells „KH.“ entgegenstehen würden.
195Die von der Beklagten angeführten Drei- und Mehrbandsandalen weichen von den hier streitgegenständlichen Modellen deutlich ab:
196Soweit E. selbst Dreibandmodelle hergestellt hat, sind diese hier nicht streitgegenständlich.
198(4) Die Kammer geht davon aus, dass auch bei der Gestaltung des Zehenstegs und -riemens ein hinreichender Gestaltungsspielraum für A. E. bestand und von diesem im Sinne einer persönlichen geistigen Schöpfung genutzt wurde.
199Das Oberteil des Modells „IA.“ zeichnet sich aus durch einen elegant geschwun-genen, asymmetrisch gestalteten Schaft in T-Form, der in der typischen Optik der Produktfamilie der Birkenstocksandalen offenkantig, ungefüttert und ohne Ziernaht verarbeitet ist. An seiner Vorderseite ist der Riemen mit einem flexiblen Zehensteg am Fußteil befestigt. Das Seitenteil auf der Schuhinnenseite wird nach unten in elegant geschwungener Form breiter und setzt zwischen Tieffußbett und Sohle an. Dabei verläuft das Seitenteil der Schuhaußenseite in einen Riemen, der durch eine rechteckig geformte Schnalle mit einem Schaft verbunden ist, der in seiner Form dem Seitenteil an der Schuhinnenseite entspricht und gleichfalls zwischen Tieffußbett und Sohle ansetzt (vgl. Gutachten PV., S. 86).
200Aufgrund der beiderseitigen fachlichen Stellungnahmen ist davon auszugehen, dass auch eine Sandale mit T-förmig geschwungenem Schaft und Zehensteg mit Niete, wie das Modell „IA.", verschieden aussehen und aufgebaut sein kann. Die Gestaltung des von Schaft, Steg und Riemen beim klägerischen Sandalenmodell „IA." erscheint dabei als eine von vielen denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten, die auch zum Zeitpunkt der Schaffung des Modells bestanden, wie durch zur Akte gereichte bildliche Illustrationen belegt wird:
201Der T-förmige Schaft, der Zehensteg und die fersenfreie Ausgestaltung mögen danach zwar generell als technisch-ergonomische Gestaltungsmöglichkeiten bekannt gewesen sein, maßgeblich erscheint aber, in welcher Art und Weise A. E. sie beim Modell „IA.“ eingesetzt, ausgestaltet und kombiniert hat. Hierin kommt zum Ausdruck, dass er den ihm verfügbaren Gestaltungsspielraum auch schöpferisch ausgefüllt hat.
204Bei Platzierung und Gestaltung des Befestigungs- und Regulierungsmechanismus in Form einer Dornschnalle bestand nach Auffassung der Kammer ebenfalls ein großer Gestaltungsspielraum und keine technisch-konstruktive Determiniertheit. Soweit das Gutachten IX. darauf abstellt, dass die seitliche Lage der Dornschnallen funktionsnotwendig sei, da es zwingend sei, die Dornschnalle im Bereich des vierten Fußstrahls zu positionieren, da man hier die geringste Gefahr laufe, den ersten, zweiten oder fünften Fußstrahl zu berühren, was den Tragekomfort erheblich beeinträchtige (Gutachten IX., S. 24), hält die Kammer diese Annahme nicht für ausreichend belegt und durch weitere Stellungnahmen falsifiziert, da im zeitgenössischen Marktumfeld von Sandalen durchaus unterschiedliche Varianten der Platzierung und Gestaltung von Dornschnallen existieren:
205
Eine seitliche Platzierung der Dornenschnalle erscheint danach nicht funktionsnotwendig; vielmehr existieren offensichtlich auch Platzierungen der Schnalle am fünften Fußstrahl. Überdies steht für die Verstellung des Riemens zur Anpassung an das individuelle Vorfußvolumen respektive den Ballenumfang grundsätzlich eine große Vielfalt von Lösungen zur Verfügung. Neben einer Dornenschnalle kommen etwa Schnürsysteme, Klettverschlüsse, Hakenverschlüsse oder Druckknöpfe in Betracht, was von anderen Marktanbietern auch umgesetzt wird (Gutachten W., S. 26; Gutachten T./CO., S. 10). Bereits die Entscheidung für den Schlussmechanismus Dornenschnalle stellt damit eine freie, gestalterische Auswahlentscheidung dar.
208(5) Schließlich vermag auch die vermeintliche Vorbekanntheit der T- respektive Y-Gestaltung des Sandalenmodells „IA.“ nicht zu belegen, dass hier kein Gestaltungsspielraum bestanden und von A. E. individuell-schöpferisch ausgefüllt worden wäre. Keines der von der Beklagten als vorbekannt angeführten Sandalenmodelle Dritter entspricht in der konkreten Kombination der Gestaltungsmerkmale den Sandalenmodellen der Klägerin. Das klägerische Sandalenmodell „IA.“ hebt sich demgegenüber von der Formensprache des Gesamtformenschatzes der am Markt vorhandenen Sandalenmodelle – auch bereits zum Zeitpunkt seiner Markteinführung – ab.
209Die entgegengehaltenen altägyptischen Sandalentypen:
210weisen zwar bereits die Typik auf, dass die Sandale hoch auf dem Rist durch eine Querbandage fest am Fuß gehalten wird. Keines der Beispiele vereint aber die Charakteristika der streitgegenständlichen Sandale „IA.“, da zumeist bereits das Fußbett, aber auch die Schnallenbindung abweichend gestaltet ist.
212Nicht anders verhält es sich mit den moderneren Varianten, die zwar durchaus im Grundsatz vergleichbare Bindungsriemen, aber im Übrigen stark unterschiedliche Sohlenplastiken und Fußbettgestaltungen aufweisen:
213oder aber eine abweichende Gestaltung mit Fersenriemen:
215(6) Bedenken dahingehend, dass das im Tenor dargestellte aktuelle Sandalenmodell „IA.“ mit dem schöpferischen „RD.“ von 1933 in ausreichenden Maße übereinstimmt, bestehen nicht. A. E. hat schriftlich – und insoweit von der Beklagten nicht bestritten – erklärt, dass die Urmodelle der streitgegenständlichen Sandalen einschließlich späterer Anpassungen der Schnallen und der Oberteile sowie die „Knochenmuster“-Sohle von ihm stammen. Der Erklärung sind die unten eingeblendeten bildlichen Darstellungen beigefügt. Maßgebliche beurteilungsrelevante Unterschiede zwischen den Modellen bei Markteinführung und den aktuell vertriebenen Modellen ergeben sich insoweit nicht und werden von der Beklagten auch nicht eingewandt:
217Aktuell vertrieben
218Bei Markteinführung 1983
220Maßgebliche beurteilungsrelevante Unterschiede zwischen dem Modell bei Markteinführung und dem aktuell vertriebenen Modell „IA.“ ergeben sich insoweit nicht in erheblichem Umfang. Die Kammer vermag insoweit keine für den Gesamteindruck erheblichen Unterschiede bei der Form der Schnallen, der Breite und dem Abstand der Riemen und der Schnitte der hinteren Riemen zu erkennen, zumal nach dem Bekunden von A. E. auch diese minimalen Anpassungen von ihm selbst vorgenommen wurden. Dass jemand anderes dafür verantwortlich sei, wird nicht eingewandt.
222ee) Für das Pantoffelmodell „PC.“ sind folgende Gestaltungsmerkmale prägend:
2231) Ein offenkantiges, aus einem Lederstück bestehendes Oberteil, das den gesamten Vorfuß, einschließlich der Zehen, vollständig und nach hinten abfallend umschließt.
2242) Dabei ist der Zwickeinschlag des Oberteils um den Rand des Tieffußbetts herum nach innen gelegt und zwischen Tieffußbett und Laufsohle fixiert.
2253) Beidseitig des Fußspanns ist das ungefütterte Schaftmaterial rechtwinkelig eingeschnitten. Parallel zum Schaftrand ist ein Lederriemen durch zwei Schlitze über den Spann gezogen und führt über die Einschnitte hinweg.
2264) An der Pantoffelaußenseite ist der Riemen durch eine Schnalle verschlossen, an der Innenseite durch eine Niete befestigt. Dadurch kann das Oberteil passend zu den Fußmaßen fester oder lockererer eingestellt werden.
2275) Der Sohlenschnitt ist unverkleidet, sodass die Laufsohle vollständig, die Korkschrot-Latex-Mischung und die Velourlederschicht im hinteren Teil des Schuhs sichtbar bleiben.
228(6) Es fehlen jegliche Ziernähte oder andere Verzierungen.
229Den Gesamteindruck wesentlich mit bestimmen zudem: der bis zum Fersenansatz geführte Schaft; als Gegenstück zur Dornschnalle ist der Riemen mit einer metallenen Niete befestigt; die abgerundete Form der beiden Einschnitte auf der Oberseite; an der Innenseite ist der Riemen halbrund, an der Außenseite schräg abgerundet; die im Vergleich zu den anderen E.modellen etwas stärkere Lederqualität (+ ca. 2 mm), die zu einer etwas «schwereren» und robusteren Optik beiträgt.
230(1) Auch in der Kombination dieser Elemente ist eine hinreichende persönliche Schöpfung A. E. dargetan. Der klägerische Pantoffel „PC.“ verfügt damit ebenfalls über individuelle Gestaltungsmerkmale, die über die Verwirklichung einer technischen Lösung hinausgehen und dadurch den Schutz des Urheberrechts begründen. Fußteil und Verarbeitungsstil des Pantoffelmodells „PC.“ entsprechen dem Modell „KH.“ und den Nachfolgemodellen wie auch dem Modell „IA.“. Die vorgemachten dortigen Ausführungen gelten daher für das Modell „PC.“ entsprechend. Auch hier ist die Gestaltung des Fußbetts und des Befestigungssystems nach Auffassung der Kammer nicht durch technische, ergonomische oder sonstige Gebrauchszwecke vorgegeben und der Gestaltungsspielraum nicht eingeschränkt. Dies gilt zumal für die Kombination der einzelnen Gestaltungsmerkmale.
231(2) Der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des Pantoffelmodells „PC.“ steht nicht entgegen, dass es sich um eine Weiterentwicklung des vorbekannten Modells „KH.“ handelt und die vorgenannten Übereinstimmungen mit diesem aufweist (s.o.).
232(3) A. E. hat die Idee des traditionellen Holzpantoffels/Clogs aus Holz aufgegriffen, sich indes gleichzeitig vollständig von der traditionellen Optik und Funktion gelöst und das Bäuerlich-Rustikale des traditionellen Klotschens in eine eigene Ästhetik mit skulpturalen Anleihen verwandelt. Die historischen Anleihen beim Modell „PC.“ kontrastieren mit der moderneren und urbaneren Konzeption, was eine formale Spannung und Rafinesse verleiht (vgl. Gutachten Q., S. 16 ff.). Das um das Tieffußbett herum eingeschlagene Oberteil der Sandale addiert optisch Volumen, unterstreicht den skulpturalen Charakter der Sandale, reduziert aber zugleich die Wuchtigkeit. Die Kante des Oberteiles ist durch je zwei Schlitze und Einschnitte funktionell und damit auch optisch bewegt gestaltet. Dadurch fällt die unversäuberte, bewusst „rohe“ Verarbeitung besonders ins Auge, was den minimalistischen Charakter betont.
233Das Modell „PC.“ unterscheidet sich auch wiederum von dem zur Zeit der Schöpfung im Jahr 1977 vorbestehenden Gesamtformenschatz und Marktumfeld der am Markt vorhandenen Pantoffel- und Clogmodelle. Die von der Beklagten bemühten Clogmodelle (vgl. Gutachten NV. „KH.“, „OV.“, „PC.“, „IA.“, S. 56 ff.) sind in ihrem maßgeblichen Gesamteindruck weitestgehend gänzlich abweichend von dem E.-Modell „PC. gestaltet, wenn sie auch einzelne Gestaltungselemente aufweisen mögen:
234Der „Woody“ weist durch den gespaltenen erhöhten Absatz, die Vielzahl der Nieten, die Holzsohlenbahn und das wellenförmige, nicht vollständig geschlossene Oberleder eine völlig andere Gesamtanmutung auf.
236Eine Vielzahl von am Markt befindlichen Modellen verfügt über einen erhöhten Absatz respektive einen keilförmigen Zuschnitt und kommt ohne Riemen aus, was auch hier die deutlich bestehenden, abweichenden Gestaltungsmöglichkeiten illustriert:
237Andere Modelle verfügen über einen (zusätzlichen Fersenriemen und weisen kein Tieffußbett auf:
239
Gerade in Anbetracht des seit Jahrhunderten sehr breit und vielfältig vorhandenen Formenschatzes im Bereich der Pantoffeln und Klotschen, wie er durch die vorliegenden Materialien über das Marktumfeld veranschaulicht wird, fällt der eigenständige, freie und kreative Charakter der persönlich-künstlerischen Leistung A. E. besonders ins Gewicht.
243(4) Die Kammer hegt auch hier keine Bedenken, dass das im Urteilstenor dargestellte aktuelle Pantoffelmodell „PC.“ mit dem im Jahr 1977 in den Markt eingeführten Modell „PC.“ im ausreichenden Maße übereinstimmt. Nach der schriftlichen – insoweit unbestrittenen – Erklärung des A. E. stammt auch das „Urmodell“ „PC.“ einschließlich späterer Anpassungen der Schnallen, Riemen und der Oberteile sowie der „Knochenmuster“-Sohle von ihm. Der Erklärung sind auch insoweit die unten eingeblendeten bildlichen Darstellungen beigefügt:
244Aktuell vertrieben
245Bei Markteinführung 1977
2472. Die Klägerin ist als Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte zur Geltendmachung der hier streitgegenständlichen urheberrechtlichen Ansprüche aus den Sandalenmodellen „IA.“ und „PC.“ aktivlegitimiert.
249a) Bei den ausschließlichen Nutzungsrechten ist der jeweilige Rechtsinhaber aktivlegitimiert. Das ist zunächst der Urheber. Aktivlegitimiert ist weiterhin, wer Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts am verletzten Werk ist, sei es aufgrund Einräumung durch den Urheber selbst, sei es im Wege der Übertragung eines Nutzungsrechts, das der Urheber zuvor einem Dritten eingeräumt hat. Bei Rechteketten ist derjenige aktivlegitimiert, der sich auf eine ununterbrochene Kette von Übertragungen berufen kann.
250Dazu hat die Klägerin durch Vorlage von Dokumenten und Unterlagen dargelegt und zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen, dass der ehemalige Geschäftsführer und Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Klägerin, Herr A. E., allein verantwortlicher Gestalter und damit alleiniger Schöpfer der hier gegenständlichen Sandalenmodelle war und alle damit zusammenhängenden Immaterialgüterrechte an die E. F. GmbH respektive ihre Vorgängergesellschaften übertragen hat. Die weitere Übertragung von der E. F. GmbH auf die Klägerin ist ebenfalls durch Vorlage von Dokumenten und Unterlagen dargelegt und bewiesen. Soweit die Beklagte bereits bestreitet, dass A. E. der Entwickler der klägerischen Sandalenmodelle sei und, dass sodann eine wirksame Rechteübertragung auf die Klägerin erfolgt sei, dringt sie damit nicht durch. Angesichts der Fülle und des Aussagegehalts der von Klägerseite vorgelegten Dokumentation ist das Bestreiten der Beklagten nicht erheblich.
251b) Die Kammer ist in Würdigung des gesamten Parteivortrags und aller von beiden Parteien vorgetragenen Tatsachenelemente davon überzeugt, dass Herr A. E. der Schöpfer der streitgegenständlichen Sandalenmodelle ist.
252aa) Nach § 286 ZPO muss der Richter entscheiden, ob er eine Behauptung für wahr oder nicht für wahr hält, er darf sich im Hauptsacheverfahren also nicht mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit begnügen. Im Übrigen stellt § 286 ZPO nur darauf ab, ob der Richter selbst die Überzeugung von der Wahrheit einer Behauptung gewonnen hat. Diese persönliche Gewissheit ist für die Entscheidung notwendig, und allein der Tatrichter hat ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Eine von allen Zweifeln freie Überzeugung setzt das Gesetz dabei nicht voraus. Auf diese eigene Überzeugung des entscheidenden Richters kommt es an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, NJW 1970, 946 [948] -- Anastasia).
253Eine entsprechende Überzeugung der Kammer lässt sich jedenfalls aus den von der Klägerseite vorgelegten Indiztatsachen gewinnen, welche die Beklagte nicht zu entkräften vermag. Soweit die Vermutungswirkungen des § 10 Abs. 3 UrhG nicht greifen, ist in jedem Fall ein Indizienbeweis zulässig, bei dem mittelbare Tatsachen die Grundlage für die Annahme der Rechtsinhaberschaft liefern (vgl. BGHZ 153, 69 [79 f.] = GRUR 2003, 228 – P-Vermerk; BGH, GRUR 2016, 176 [177, Rn. 20] – Tauschbörse I). Der Indizienbeweis bezieht sich auf andere tatbestandsfremde Tatsachen, die erst durch ihr Zusammenwirken mit anderen Tatsachen den Schluss auf das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals selbst rechtfertigen sollen. Diese Hilfstatsachen - meist Indiz oder Indizientatsachen, aber auch Anzeichen genannt - sind also Tatsachen, aus denen auf andere erhebliche Tatsachen geschlossen wird. Ein Indizienbeweis ist überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen. Hauptstück des Indizienbeweises ist also nicht die eigentliche Indiztatsache, sondern der daran anknüpfende weitere Denkprozess, kraft dessen auf das Gegebensein der rechtserheblichen weiteren Tatsache geschlossen wird ((vgl. BGH, NJW 1970, 946 [950] – Anastasia).
254bb) Die Kammer hält nach Maßgabe dieser Grundsätze für ausgeschlossen, dass eine andere Person als A. E. als alleiniger Entwickler und Schöpfer der streitgegenständlichen Sandalenmodelle „IA.“ und „PC.“ in Betracht kommt.
255Die Klägerin hat zunächst eine undatierte von A. E. unterzeichnete eidesstattliche Versicherung folgenden Inhalts vorgelegt:
256„Ich, A. E., trat 1954 in das Familienunternehmen E. ein und war darin bis 1999 als Geschäftsführer tätig. Die Entwicklung und Gestaltung der E.-Klassikermodelle (heute unter den Bezeichnungen ,,KH.“; ,,OV.“; ,,PC.“; „MV.“ und ,,IA.“ bekannt) war mir von jeher ein wichtiges Anliegen. Nach meinem Eindruck war für den Erfolg dieser Klassikermodelle auch ihre ästhetische Gestaltung mitentscheidend.
257Ich erkläre und bestätige hiermit, dass ich die E.-Modelle ,,KH.“;, ,,OV.“; ,,PC.“; „MV.“ und ,,IA.“ (siehe Anlage - einschließlich aller dazugehörigen Entwürfe und Modelle, auch solche mit ursprünglich anderer Bezeichnung) etc. alleine entworfen, kreiert und gestaltet habe. Vorstehendes gilt auch im Hinblick auf die ,,Knochenmuster-Sohle“ und die minimale Anpassung der Schnallen/ Riemen/Oberteile Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre (siehe Anlage).
258Diese E.-Modelle sind meine alleinigen geistigen Kinder, in deren Gestaltung, die für mich immer auch unter ästhetischen Gesichtspunkten ein sehr wichtiges Anliegen war, mir niemand hineingeredet und auf die niemand Einfluss genommen hat. Ich hatte dabei Gestaltungsoptionen und -spielräume, die ich bewusst ausgenutzt habe (was sich im Übrigen aus meiner Sicht auch daran zeigt, dass es bei Markteinführung durchaus unterschiedliche Bewertungen im Hinblick auf die Ästhetik dieser Klassiker-Modelle gab). Wie bereits von mir bestätigt, habe ich alle diesbezüglichen Rechte, insbesondere urheberrechtlichen Nutzungsrechte, mit ihrer Entstehung exklusiv, unbeschränkt und weiterübertragbar auf die E.-Gruppe (bzw. die entsprechenden Vorgänger-Gesellschaften) übertragen.“
259Nach der Beweisregel des § 416 ZPO begründet diese Erklärung als Privaturkunde – ohne Rücksicht auf die Überzeugung des Gerichts – vollen Beweis dafür, dass die in ihr enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben worden ist. Die Echtheit der eidesstattlichen Versicherung oder der Unterschrift von A. E. ist nicht angezweifelt worden. Die inhaltliche Richtigkeit, ob die in der Privaturkunde enthaltenen Angaben zutreffen, ob die darin bestätigten tatsächlichen Vorgänge wirklich so geschehen sind oder nicht, ob insbesondere ein Rechtsgeschäft zu Stande gekommen ist und welchen Inhalt es hat, unterliegt dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO.
260Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass nicht A. E., sondern jemand anderes die streitgegenständlichen Sandalenmodelle entworfen hat, sind nicht ersichtlich und werden von den Beklagten auch nicht vorgetragen. Die Beklagten berufen sich vielmehr auch selbst auf Zeitungsartikel und Aussagen, die A. E. als Ersteller der Sandalenmodelle getätigt hat. Entgegen der Darstellung der Beklagten sind es keineswegs lediglich Verlautbarungen der E.-Gruppe, die A. E. als Entwickler der Sandalenmodelle darstellen. Soweit die Beklagte geltend macht, es sei fraglich, ob es sich bei den streitgegenständlichen Modellen um die Sandalen handele, die von Herrn A. E. ursprünglich entworfen worden seien; es fehle an einer Darstellung der „Ur-Werke“, vermag dies keine erheblichen Zweifel an Schöpferstellung des Herrn A. E. zu begründen. Nach den von der Beklagten selbst vorgelegten und zum Gegenstand ihres Sachvortrags gemachten Gutachten NV. wurde das streitgegenständliche Sandalenmodell „IA.“ im Jahr 1983 von der Fa. E. in den Markt eingeführt sowie das Modell „PC.“ im Jahr 1977 (Gutachten NV. „KH.“, „OV.“, „PC.“, „IA.“, S. 21, 55, 84). Die Privatgutachterin NV. hegt im benannten Gutachten keinerlei Zweifel daran, dass A. E. die streitgegenständlichen Sandalenmodelle selbst entworfen hat (Gutachten NV., „KH.“, „OV.“, „PC.“, „IA.“, S. 85).
261Das von der Beklagten vorgelegte Gutachten des Privatgutachters IX. geht ebenfalls davon aus, dass A. E. der Entwickler der streitgegenständlichen Sandalenmodelle ist, indem er auf dessen Kenntnisstand abstellt (Gutachten IX., S. 5) und Erwägungen dazu anstellt, welche Merkmale A. E. „als Erfinder“ zugerechnet werden könnten (Gutachten IX., S. 10). Ebenso geht das von der Beklagten vorgelegte Gutachten des Privatgutachters DG. davon aus, dass A. E. „eine Sandale entsprechend der anatomischen Gegebenheiten des Fußes gebaut“ habe (Gutachten DG., S. 34).
262Soweit die Beklagte geltend macht, es liege nahe, dass ein Team von Entwicklern im Hause des damaligen Unternehmens E. gemeinsam die Schuhe erdacht und vollendet habe, bleibt dies reine Spekulation. Die Klägerin hat plausibel geschildert, dass es angesichts der seinerzeitigen Unternehmensstruktur und begrenzter finanzieller wie personeller Ressourcen gerade keine eigenständige Entwicklungsabteilung gegeben hat. Dem ist die Beklagte nicht mehr erheblich entgegengetreten. Aus der als Anlage K 7 vorgelegten Erklärung ergibt sich ersichtlich nichts anderes. Die Herren G. und LY. E. kommen schon deshalb – unter Berücksichtigung der gegebenen Zeitabläufe -- nicht als an der Entwicklung Beteiligte in Betracht, da sie ausweislich des als Anlage K 41 vorgelegten Handelsregisterauszugs erst am 21.09.1972 respektive am 18.11.1968 geboren sind.
263cc) Eine Grundlage für die weiteren später entwickelten Modelle bildet auch nach den von der Beklagten vorgelegten Privatgutachten die kurz nach 1945 durch I. E. entwickelte und seit 1963 – mit der Einbandsandale „KH.“ auf den Markt gebrachte – in Schuhen fest verbaute Korkinnensohle. Danach ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die ursprünglich hergestellten Sandalenmodelle in streiterheblichem Umfang von den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Modellen abweichen, und solche Anhaltspunkte werden von der Verfügungsbeklagten auch im Übrigen nicht aufgezeigt. Der Vortrag der Klägerin deckt sich insoweit mit den Aussagen in den beiderseits vorgelegten Privatgutachten.
264c) Die Übertragung der Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Sandalenmodellen auf die Klägerin ist hinreichend dargelegt und nicht erheblich bestritten worden.
265A. E. hat in der vorzitierten eidesstattlichen Versicherung ausdrücklich erklärt, dass er sämtliche Rechte an den streitgegenständlichen Sandalenmodellen, insbesondere urheberrechtliche Nutzungsrechte, mit ihrer Entstehung exklusiv, unbeschränkt und weiterübertragbar auf die E.-Gruppe (bzw. die entsprechenden Vorgänger-Gesellschaften) übertragen hat. Mit der Erklärung vom 05.11.2020 (Anlage ASt 8) bestätigt A. E. zudem, dass er die Nutzungsrechte ursprünglich an die Gesellschaft C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) bzw. die E. Orthopädie GmbH übertragen hatte. Die Erklärung ist entgegen der Auffassung der Beklagten hinreichend bestimmt und eindeutig. Ausdrücklich wird bestätigt, dass alle etwaigen Rechte des geistigen Eigentums an allen E.-Produkten von jeher exklusiv der E. F. GmbH bzw. deren Vorgängergesellschaften, wie der C.B. Orthopädie GmbH und der E. Orthopädie GmbH zugestanden hätten. Diese begriffliche Allumfasstheit lässt gerade nicht offen, welche spezifischen Rechte und Produkte erfasst sind; diese sind vielmehr sämtlich erfasst.
266Die C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) firmierte ausweislich der vorgelegten Handelsregisterauszüge (vgl. Anlage K 17) am 27.02.1970 zur E. Orthopädie GmbH um. A. E. war seit der Gründung im Jahr 1951/1952 und somit während der Schaffung der streitgegenständlichen Sandalenmodelle auch Geschäftsführer der C.B. Orthopädie, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (I. E.) (bzw. nach späterer Umfirmierung der E. Orthopädie GmbH). Für eine Rechteübertragung in dieser Funktion spricht daher auch die Regelung des § 43 UrhG.
267Durch Gesellschafterbeschluss vom 19.12.2001 der E. Orthopädie GmbH und durch Gesellschafterbeschluss der N. & Söhne GmbH & Co. KG sind die Gesellschaften aufgrund des Verschmelzungsvertrags vom gleichen Tag durch Übertragung des Vermögens als Ganzes auf die übernehmende Gesellschaft N. & Söhne GmbH & Co. KG mit allen Rechten und Pflichten unter Auflösung der übertragenden Gesellschaft ohne Abwicklung gemäß § 2 Nr. 1 i.V.m. §§ 46 ff. UmwG verschmolzen (Verschmelzung durch Aufnahme). Hierdurch wurden auch die Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Sandalenmodellen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die N. & Söhne GmbH & Co. KG übertragen. Die Verschmelzung wurde am 29. Mai 2002 in das Handelsregister eingetragen (vgl. Anlage Ast 20). Der mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 13.04.2023 weiterhin vorgelegte Verschmelzungsvertrag (Anlage K 56) und weitere Handelsregisterauszügen sowie ein Jahresabschluss, in denen die Verschmelzung ausdrücklich erwähnt wird, bestätigen dies. Auf diese Dokumente, die mit nicht nachgelassenem Schriftsatz der Klägerseite vorgelegt wurden, kommt es aber nicht mehr in entscheidungserheblicher Weise an.
268Die Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Sandalenmodellen gingen im Jahr 2013 in Folge der Auflösung der E. Orthopädie GmbH & Co. KG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge durch Anwachsung an den einzigen persönlich haftenden Gesellschafter, nämlich an die E. F. GmbH über. Die E. F. GmbH (vormals N. Beteiligungs-GmbH, am 13.07.2009 umfirmiert in die E. Orthopäde Beteiligungs GmbH und am 11.09.2013 in die E. F. GmbH), war bereits seit dem 22.10.2002 die einzige persönlich haftende Gesellschafterin der E. Orthopädie GmbH & Co. KG. Als die E. Orthopädie GmbH & Co. KG am 22.10.2013 ohne Liquidation aufgelöst wurde und sämtliche Kommanditisten ausschieden, wie sich ebenfalls aus dem Handelsregisterauszug ergibt, wuchs im Wege der Gesamtrechtsnachfolge automatisch sämtliches Vermögen der Kommanditgesellschaft bei der E. F. GmbH an. Dies galt auch für die Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Sandalenmodellen. Konsequenterweise wurde auch der Gegenstand des Unternehmens der E. F. GmbH von einer bloßen Holdingfunktion um den Betrieb des operativen Geschäfts erweitert (vgl. Anlage K 41).
269Die E. F. GmbH hat mit Vertrag vom 01.05.2021 (vgl. Anlage K 21) die streitgegenständlichen Nutzungsrechte an die E. IP GmbH übertragen (vgl. Bestätigungserklärung vom 13.01.2022, Anlage K 8, K 42):
270„Die E. F. GmbH bestätigt hiermit, dass sie zum 1. Mai 2021 alle bei ihr liegenden in Deutschland bestehenden bzw. geschützten urheberrechtlichen Nutzungsrechte und zugehörigen Ansprüche in Bezug auf die E.-Schuhmodelle „KH.“, OV.“, „IA.“, „PC.“ und „MV.“ auf die E. lP GmbH übertragen hat und die E. IP GmbH daher ab dem 1. Mai 2021 ausschließlich legitimiert ist, in Deutschland bestehende urheberrechtliche Nutzungsrechte zugehörige Ansprüche in Bezug auf die E.-Schuhmodelle „KH.“, „OV.“, „IA.“, „PC.“ und „MV.“ auszuüben und zu verwerten. Dies umfasst die (weiter)übertragbaren‘ ausschließlichen sowie zeitlich, inhaltlich und räumlich unbeschränkten Rechte, die E. Schuhmodelle „KH.“, „OV.“, „IA.“, „PC.“ und „MV.“ herzustellen, zu vervielfältigen, zu vertreiben, zu vermarkten sowie weiterzuentwickeln und zu bearbeiten.“
271Durchgreifende Einwände gegen die detailliert dargelegte Rechtekette hat die Beklagte insgesamt nicht erhoben.
2723. Der Vertrieb des angegriffenen, streitgegenständlichen Sandalenmodells „Komfortsandalen in Lackoptik“
273und des Pantoffelmodells „Hausschuhe“:
279durch die Beklagte verletzt die ausschließlichen Verbreitungsrechte der Klägerin aus § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1 UrhG an den urheberrechtlich geschützten Modellen:
284a) „IA.“
285aa) Aktuell vertrieben
286bb) Bei Markteinführung
288b) und das Pantoffelmodell „PC.“
290aa) Aktuell vertrieben
291bb) Bei Markteinführung
293Die angegriffenen, von der Beklagten unter der Bezeichnung „Komfortsandalen in Lackoptik“ angebotene Sandale und der unter der Bezeichnung „Hausschuhe“ angebotene Pantoffel übernehmen sämtliche relevanten Gestaltungsmerkmale des klägerischen Modelle „IA.“ und „PC.“.
295a) Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 55] - Porsche 911, mwN; BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 27 – Vitrinenleuchte).
296Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN). Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN).
297Aus diesen Grundsätzen ergibt sich folgende Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 57] - Porsche 911, mwN). Weicht hingegen der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, greift die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks ein (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 58] - Porsche 911, mwN). Bei der Feststellung des Gesamteindrucks sowie der Feststellung, in welchem Umfang eigenschöpferische Züge eines Werks übernommen worden sind, handelt es sich um Tatfragen (BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 31 – Vitrinenleuchte). Die Grundsätze, nach denen der Schutzbereich urheberrechtlicher Verwertungsrechte bestimmt wird, hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen “Infopaq International" (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-5/08, Slg. 2009, 6569 = GRUR 2009, 1041) sowie "Pelham u.a." (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-476/17, GRUR 36 37 - 19 - 2019, 929 = WRP 2019, 1156) geklärt (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 100] - Porsche 911).
298Eine neue Gestaltung greift allerdings schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist (EuGH GRUR 2019, 929 Rn. 56–65 – Pelham ua).
299b) In Bezug auf das Sandalenmodell der Beklagten „Komfortsandalen in Lackoptik““ umfassen die Übereinstimmungen mit den Modell „IA.“ der Klägerin insbesondere die folgenden Merkmale:
3001) Identisches Riemen-Oberteil mit geschwungener T-Form, das offenkantig und ungefüttert aus je einem Stück verarbeitet und zwischen Laufsohle und Sohlenbahn geführt wird;
3012) außen platzierte, dezente rechteckige Dornschnallen, mit denen die sich überlappenden Riemen verbunden werden;
3023) eine Sohlenplastik aus Korkschrotgemisch, die rundherum am Sohlenrand hochgezogen ist und ein Tieffußbett formt, das fußseitig mit Veloursleder überzogen ist und einen Zehengreifer zeigt;
3034) eine Laufsohle aus Kunststoff, die ein flächiges Allover-Linienprofil aufweist;
3045) einen seitlich unverkleideten Sohlenschnitt, durch den die Laufsohle, die Korkschrot-Latex-Mischung und die Velourlederschicht sichtbar bleiben;
305(6) ein Fehlen jegliche Ziernähte oder andere Verzierungen.
306In Bezug auf das Pantoffelmodell „Hausschuhe“ umfassen die Übereinstimmungen mit den Modell „PC.“ der Klägerin insbesondere die folgenden Merkmale:
3071) Ein unverblendeter Sohlenschnitt, der die Laufsohle, die Korkschrot-Latex-Mischung und die Velourlederschicht sichtbar lässt;
3082) eine am Sohlenrand hochgezogene Sohlenplastik;
3093) ein offenkantiges, aus einem Stück bestehendes Oberteil mit einem zusätzlichen Lederriemen;
3104) ein Zwickeleinschlag des Oberteils um den Rand des Tieffußbetts zwischen Korkschrot-Latex-Mischung und Laufsohle;
3115) rechtwinklige Einschnitte des Oberteils;
3126) das Fehlen jeglicher Verzierungen.
313Die Abweichung zwischen dem Sandalenmodell der Klägerin „IA.“ und dem Pantoffelmodell „PC.“ und den angegriffenen Modellen der Beklagten im Laufsohlenprofil und in der Struktur des Oberflächenmaterials: Lackoptik bei der Sandale; Filzbezug beim „Hausschuh“ führt nicht schon aus deren Schutzbereich heraus. Der Gesamteindruck der streitgegenständlichen, klägerischen Schuhmodelle „IA.“ und „PC.“ wird nach dem Vorgesagten nicht in einem Maße durch die Sohlengestaltung und die Struktur des Oberflächenmaterial mitgeprägt, dass die Abweichung hiervon bei den angegriffenen Schuhmodellen allein die im Wesentlichen fast identische Übereinstimmung in den übrigen, den Gesamteindruck maßgeblich prägenden Gestaltungsmerkmalen ausgleichen könnte. Dies gilt zumal, als auch die klägerischen Schuhmodelle „IA.“ und „PC.“ in unterschiedlichen Ausführungen und Oberflächenmaterialien angeboten werden.
314Gleiches gilt für abweichende Bild-Marken-Aufdrucke/Prägungen auf der Innensohle sowie als Prägung auf der unteren Kante der Schnallen bei den klägerischen Schuhmodellen, während die Schnallen der angegriffenen Schuhmodelle glatt, ohne Prägung gehalten sind. Diese Abweichungen führen nicht zu einem abweichenden Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Schuhmodelle. Unterschiedliche Markenzeichen stehen einer urheberrechtsverletzenden Übernahme grundsätzlich nicht entgegen, da – anders als im Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht – Herkunftshinweise und weitere Zeichenfunktionen keine Rolle spielen. Die Schuhmodelle beider Parteien werden in unterschiedlichen Farbgebungen und teils auch unter Verwendung verschiedener Materialien (z.B. Riemen aus Leder oder Kunststoff) angeboten. Mit diesem Farb- und Materialwechsel geht folglich keine Änderung der maßgeblichen Gestaltungsmerkmale einher. Solche Unterschiede sind grundsätzlich unbeachtlich.
315Soweit die Beklagte ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass der Schutzbereich der klägerischen Schuhe so minimal wäre, dass die angegriffenen Schuhe nicht mehr in diesen Schutzbereich fielen, vermag die Kammer dem in Ansehung der oben getroffenen Feststellungen nicht zu folgen. Die vorhandenen minimalen Abweichungen ändern nichts am Vorliegen einer Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG. Es handelt sich bei den von der Beklagten angebotenen Exemplaren des Sandalenmodells „Komfortsandale in Lackoptik“ und des Pantoffelmodells „Hausschuhe“ mithin um Vervielfältigungsstücke, jedenfalls aber um unzulässige Bearbeitungen urheberrechtlich geschützter Werke, an welchen die Klägerin die ausschließlichen Rechte hält. Das Angebot und Inverkehrbringen dieser rechtsverletzenden Vervielfältigungsstücke durch die Beklagte verletzt das ausschließliche Verbreitungsrecht der Klägerin gemäß § 17 UrhG. Dabei stellt auch das bloße Anbieten der Exemplare bereits eine eigene Verbreitungshandlung im Sinne von § 17 Abs. 1 UrhG dar (BGH, GRUR 2007, 871 [872] – Wagenfeld-Leuchte).
3164. Die für die geltend gemachten Unterlassungsansprüche erforderliche Wiederholungsgefahr ist vorliegend gegeben.
317Die für das Bestehen des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert (BGHZ 14, 163 (167) – Constanze II; BGH, GRUR 1961, 138, 140 – Familie Schölermann; Lampmann, in: Lampmann/Pustovalov [Hrsg.], Anspruchsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2022, Rn. 193). Die Verletzungshandlung begründet die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform, sondern für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen (BGH, GRUR 2013, 1235 Rn. 18 – Restwertbörse II). Nur unter ganz besonderen Umständen ist die Wiederholungsgefahr zu verneinen, weil eine weitere Rechtsverletzung nur theoretisch möglich erscheint (BGH, GRUR 1957, 348, 349 – Klasen-Möbel – zum Wettbewerbsrecht; KG, GRUR 1957, 45, 46 – Karpfhamer Fest). Diese Gefahr kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeigneten, strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung ausgeräumt werden.
318Eine solche hat die Beklagte nicht abgegeben. Nach Erlass der gerichtlichen Unterlassungsverfügungen in den Verfahren 14 O 388/21 und 14 O 389/21 hat die Beklagte keine Abschlusserklärungen abgegeben, sondern Anträge auf Anordnung der Klageerhebung nach § 926 ZPO gestellt.
319II. Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Auskunft ergibt sich im Hinblick auf die vorbezeichneten Rechtsverletzungen im gesetzlich vorgesehenen Umfang aus § 101 Abs. 1, 3 Nr. 2 UrhG respektive § 242 BGB. Die Beklagte verletzt in gewerblichem Ausmaß widerrechtlich Urheberrechte der Klägerin, indem sie die Vervielfältigungsstücke der angegriffenen Sandalenmodelle über ihren Versandhandel vertreibt.
320III. Einen eigenständigen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über die Vollständigkeit und Richtigkeit der mit dem Klageantrag zu III.) begehrten Auskunft hat die Klägerin hingegen nicht dargetan. Insoweit war die Klage abzuweisen.
321Die Klägerin hat die Klageanträge zu III. und zu IV. nicht im Wege der Stufenklage nach § 254 ZPO gestellt. Der Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Rahmen von § 254 ZPO setzt voraus, dass Auskunft erteilt worden ist. Bei unvollständiger Erfüllung der Auskunftspflicht hat der Kläger keinen Nachbesserungsanspruch; er bleibt darauf beschränkt, die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu verlangen. Vorliegend bestehen allerdings keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin mit dem Klageantrag zu II.) begehrte Auskunft von vornherein unvollständig erfolgen wird.
322IV. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG auf Ersatz des Schadens, der ihr durch die widerrechtliche Rechtsverletzung entstanden ist respektive noch entstehen wird.
3231. Indem die Beklagte die streitgegenständlichen, angegriffenen Sandalenmodelle angeboten und in Verkehr gebracht hat, handelte sie vorsätzlich in Bezug auf die Verletzungshandlung. Denn die Beklagte traf im Rahmen des Anbietens und Inverkehrbringen der Vervielfältigungsstücke eine umfassende Prüfungspflicht hinsichtlich vorbestehender Rechte. Entsprechend ist davon auszugehen, dass der Beklagten bewusst sein musste, Vervielfältigungsstücke der klägerischen Sandalenmodelle anzubieten und in den Verkehr zu bringen. Insoweit ist jedenfalls von einem fahrlässigen Handeln im Sinne von § 276 Abs. 1, Abs. 2 BGB auszugehen. Nach Erhalt der Abmahnung handelte die Beklagte zudem jedenfalls vorsätzlich.
3242. Die Klägerin hat ein Interesse an der Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des Schadens im Sinne von § 256 ZPO, da die Höhe des der Klägerin entstandenen und künftig entstehenden Schadens noch nicht feststeht.
325V. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Vernichtung der in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Vervielfältigungsstücke aufgrund der rechtswidrigen Verletzungshandlung gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 UrhG zu. Gemäß § 98 Abs. 2 UrhG besteht auch ein Anspruch auf Rückruf der Vervielfältigungsstücke. Die Maßnahmen der Vernichtung und des Rückrufs erscheinen im vorliegenden Fall nicht als unverhältnismäßig. Entsprechende Einwände sind von der Beklagten auch nicht erhoben worden.
326VI. Zugunsten der Klägerin besteht zudem ein Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten, die durch das außergerichtliche Tätigwerden durch das Verfassen einer Abmahnung entstanden sind gemäß § 97a Abs. 3 UrhG. Die Abmahnung vom 29.10.2021 erfüllt die Voraussetzungen des § 97a Abs. 2 UrhG. Die angefallenen Abmahnkosten berechnete die Klägerin selbst aus einem Streitwert von 200.000,00 EUR. Danach belaufen sich die ersatzfähigen Kosten auf 3.456,59 EUR (1,3 Geschäftsgebühr gemäß §§ 11, 13 Nr. 2300 VV RVG zzgl. Auslagenpauschale gem. § 13 Nr. 7002 VV nebst Umsatzsteuer).
327Daneben hat die Klägerin gem. §§ 288 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, 286 BGB ab Beginn des Verzugs am 10.11.2021 einen Anspruch auf die Zahlung von Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Der Höhe nach besteht der Anspruch mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Ein Fall des § 288 Abs. 2 BGB ist indes nicht gegeben. Der in § 288 Abs. 2 BGB geregelte Zinssatz von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gilt nur für Entgeltforderungen. Entgeltforderungen sind jedoch nur solche, die auf Zahlung eines Entgelts als Gegenleistung für die Lieferung von Gütern oder die Erbringung von Dienstleistungen gerichtet sind. Darunter fallen die streitgegenständlichen Forderungen nicht. Auch der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist keine Entgeltforderung in diesem Sinne (vgl. OLG Celle, NJW-RR 2007, 393; Ernst, in: Münchener Kommentar zum BGB 9. Aufl. 2022, § 286, Rn. 99).
328C.
329Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
330Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.
331Der Streitwert wird auf 300.000,00 EUR festgesetzt.
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