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Das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 23.03.2021, 107 C 55/20, wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten zu1) und 3) werden verurteilt, an den Kläger 1.172,98 € zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.01.2020 sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 €. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 56%, im Übrigen der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
2I.
3Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Von der Darstellung des Berufungsvorbringens wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.
4Das Gericht hat im Berufungsverfahren Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 10.02.2022. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. T. vom 01.10.2022, Bl. 223 der e-Akte.
5II.
6Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
7Dem Urteil lag ein zu berücksichtigender Sach- und Rechtsmangel zu Grunde. Die Tatsachengrundlage des Amtsgerichts war unvollständig i. S. d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Nach Erhebung der notwendigen Beweise i. S. d. § 538 Abs. 1 ZPO war das Urteil abzuändern.
8Dem Kläger steht ein Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2, 1 StVG i. V. m. §§ 249 ff. BGB, hinsichtlich der Beklagten zu 3) i. V. m. § 115 VVG, auf Erstattung der Kosten aus dem Unfallgeschehen am 03.03.2020 mit einer Haftungsquote von 30% zu.
9Das Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Unfallereignis durch die Beklagte zu 1), die bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist, geschädigt. Ein unabwendbares Ereignis i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG lag für keine der Parteien vor. Das Verhältnis der Verursachungsbeiträge zueinander ergab nach durchgeführter Beweisaufnahme eine anzunehmen Haftungsquote der Beklagtenseite in Höhe von 30%. Im Einzelnen:
101.
11Die Kollision der beiden Fahrzeuge des Klägers und der Beklagten zu 1) ist zwischen den Parteien unstreitig. Ein unabwendbares Ereignis zu seinen Gunsten hat der Kläger insoweit nicht geltend gemacht, als er hier lediglich eine Haftungsquote von 50% einfordert.
122.
13Das Gericht folgt hinsichtlich des genauen Hergangs des Unfalls, soweit nachstehend wiedergegeben, den Feststellungen des Sachverständigen Dr. T. .
14a. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. T. ist der Kläger über einen abgesenkten Bordstein in die G.-straße eingebogen. Es sei nicht denkbar, dass der Kläger nicht über den abgesenkten Bordstein in die G.-straße eingefahren ist. Eine andere Möglichkeit sei auszuschließen.
15Die Beklagte zu 1) hatte nach den Ausführungen des Sachverständigen gute Sicht bei Einfahrt über die K.-straße , der Kläger beschränkte Sicht. Auch konnte der Sachverständige klar und nachvollziehbar darlegen, dass sich die Beklagte im Zeitpunkt der Kollision mit einer Geschwindigkeit von maximal 7 km/h bewegte, der Kläger mit einer höheren Geschwindigkeit, wohl 18 – 24 km/h.
16Ob und wenn ja welches von beiden Fahrzeugen sich zuerst auf der G.-straße befunden hat, konnte der Sachverständige nicht ermitteln. Ob die Beklagte zu 1) im Zeitpunkt der Kollision mit ihrem Fahrzeug bereits zum Stehen gekommen war, konnte der Sachverständige ebenfalls nicht ermitteln. Insbesondere konnte der Sachverständige aber nicht ermitteln, ob die Beklagte zu 1) bei Beginn des Abbiegevorgangs des Klägers noch nicht angefahren war. Wohl konnte er jedoch angeben, dass wenn dies der Fall gewesen wäre, die Beklagte zu 1) den Unfall hätte verhindern können. Gleichermaßen ließ sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu 1) bereits abgebogen gewesen wäre, als der Kläger seinen Abbiegevorgang einleitete. Dies unterstellt, hätte indes der Kläger den Unfall vermeiden können.
17Ursache der Nichtermittelbarkeit sei die fehlende Vorlage von Lichtbildern des geschädigten Pkw der Beklagten zu 1) durch die Beklagtenseite. Die Beklagte hat trotz mehrfacher Aufforderung durch den Sachverständigen und Setzens einer Ausschlussfrist durch das Gericht Fotos vom Fahrzeug nicht vorgelegt. Der Sachverständige war darum durch das Gericht um Angabe gebeten worden, welche Feststellungen ihm aus diesem Grund nicht möglich waren. Nachvollziehbar hat der Sachverständige erläutert, dass er aufgrund der fehlenden Bilder den Anstoßbereich am Beklagtenfahrzeug nicht ermitteln konnte (entweder vorderer Eck- und Flankenbereich links oder Bereich des linken Vorderrads). Hinsichtlich der Kollisionsgeschwindigkeiten sei lediglich eine Schätzung möglich. Ob das Fahrzeug der Beklagten zu 1) bereits gestanden habe, könne nicht festgestellt werden; das Fahrzeug der Beklagten zu 1) sei jedenfalls langsamer als das des Klägers gewesen, s.o.. Auf S. 24 des Gutachtens führt der Sachverständige sodann abschließend aus, dass es aus technischer Sicht anhand der auswertbaren Spurenlage denkbar sei, dass der Kläger zuerst in die G.-straße eingebogen ist und die Beklagte zu 1) damit durch ein Zuwarten die Kollision hätte vermeiden können, stattdessen aber die Beklagte zu 1) ohne anzuhalten abgebogen sei, während der Kläger zunächst angehalten habe. Das Gegenteil sei aber genauso denkbar.
18b. Die vorstehend wiedergegebenen gutachterlichen Feststellungen konnte das Gericht der Entscheidung uneingeschränkt zugrunde legen. Der Sachverständige Dr. T. ist für Begutachtung hinreichend qualifiziert. Er hat seine schriftlichen Feststellungen nachvollziehbar und überzeugend zu begründen vermocht, wobei er die Grundlagen seiner Feststellungen kenntlich gemacht hat. Er hat verdeutlicht, aus welchem Grund die vorhandenen Anknüpfungstatsachen zu den gefundenen Ergebnissen geführt haben. Er hat ferner nachvollziehbar und plausibel deutlich gemacht, welche Feststellungen aufgrund des Fehlens welcher Unterlagen ihm nicht möglich waren.
193. Die rechtliche Würdigung der vorstehenden Feststellungen führt zu einer Haftungsquote der Beklagtenseite von 30%.
20a. Dem Kläger oblag aufgrund seiner Näherung über den abgesenkten Bordstein eine besonders hohe Sorgfaltspflicht. § 10 Satz 1 StVO legt dem aus einem Grundstück auf die Straße einfahrenden Fahrzeugführer in Hinblick auf das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gesteigerte Pflichten auf. Zutreffend hat weiter das Amtsgericht ausgeführt, dass angesichts der von § 10 StVO aufgestellten hohen Anforderungen an denjenigen, der aus einem Grundstück ausfährt (er muss eine Gefährdung anderer „ausschließen”), grundsätzlich zu dessen Alleinhaftung führt, sofern nur die einfache Betriebsgefahr des Gegners entgegensteht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2005 – 27 U 37/05 –, NZV 2006, 204 m. w. N.; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16. Aufl. 2020, Rn. 70). Die Verletzung des Vorfahrtsrechts durch den in die Straße Einfahrenden indiziert grundsätzlich sein Verschulden (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2011 – VI ZR 282/10 –, BeckRS 2011, 24668 m.w.N.; GVR/Stefan Bachmor/Matthias Quarch, 3. Aufl. 2021, StVO § 10 Rn. 4-6a).
21Die Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO gelten dabei entgegen des Vorbringens des Klägers in der Berufungsbegründung auch gegenüber der Beklagten zu 1), die aus einer wartepflichtigen Seitenstraße erst in die Straße eingebogen ist, in die auch der Kläger hineingefahren ist (vgl. OLG München, Endurteil vom 18.05.2018 - 10 U 3516/17 -, BeckRS 2018, 20377).
22Die Beklagte zu 1 befand sich nicht selbst auf einem anderen Straßenteil i. S. v. § 10 StVO. Ein „anderer Straßenteil“, von dem ein Fahrzeug ein- oder anfährt, ist dadurch gekennzeichnet, dass dieser Straßenteil – ähnlich einer Fußgängerzone oder einer Einfahrt, die über einen abgesenkten Bordstein erreicht wird – nicht dem fließenden Durchgangsverkehr dient (OLG Karlsruhe, Urt. v. 24. 6. 2015 – 9 U 18/14, Rn. 20, zitiert nach juris).
23Entgegen der Berufung und auch des erstinstanzlichen Vorbringens kann Kläger dabei nicht mit dem Einwand durchdringen, er habe den Abbiegevorgang im Zeitpunkt der Kollision bereits eingeleitet und habe sich bereits auf der G.-straße befunden – ungeachtet der Frage, ob dies tatsächlich zutrifft. Der Vorgang des Ausfahrens aus einem Grundstück auf die Fahrbahn dauert mit dem Erfordernis der höchsten Sorgfaltsstufe für den Fahrer nämlich solange an, bis er in zügiger Fahrt selbst zum fließenden Verkehr gehört oder sein Fahrzeug verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder an anderer Stelle abgestellt hat (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 02.01.2012 – 5 U 161/11 –, NVZ 2012, 540 m.w.N.; LG Hamburg Urt. v. 9.3.2018 – 319 O 91/17, BeckRS 2018, 5735, Rn. 16: „Der Eingliederungsvorgang ist erst beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig im fließenden Verkehr eingeordnet hat.“). Dies kann bereits nach den Angaben des Klägers in seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2021 nicht angenommen werden. Der Kläger hat dabei angegeben, dass die Fotografie auf Bl. 41 GA der Endposition entspricht. Hierauf und auf der seitens des Klägers erstellten Zeichnung (Bl. 97 GA) ist jedoch zu erkennen, dass das klägerische Fahrzeug sich noch nicht auf der G.-straße eingeordnet hatte, sondern quer auf der Straße stand. Da es daher auch unter Zugrundelegung des Beklagtenvortrags im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ein- und Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr gekommen ist, spräche der Beweis des ersten Anscheins grundsätzlich auch bei unterstellter Ersteinfahrt des Klägers in die G.-straße für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden, hier des Klägers.
24b. Als nicht zutreffend erachtet die Kammer jedoch die Annahme des Amtsgerichts, sämtliche eventuellen Verstöße der Beklagten zu 1) müssten hinter dem Verhalten des Klägers zurückstehen.
25Zwar muss dabei der Einfahrende grundsätzlich auch mit Verkehrsverstößen der anderen Verkehrsteilnehmer im fließenden Verkehr rechnen. Ein Fehlverhalten des Verkehrsteilnehmers im fließenden Verkehr kann aber zu dessen Mithaftung (zumindest in Höhe der normalen Betriebsgefahr) führen (vgl. Grüneberg, a.a.O., Rn. 72). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Vorfahrtsberechtigte bei gebotener Sorgfalt den Wartepflichtigen wahrgenommen hätte und so die Kollision zumindest hätte vermeiden können (OLG Celle NZV 2018, 189. (Haftungsquote 50/50); NK-GVR/Stefan Bachmor/Matthias Quarch, 3. Aufl. 2021, StVO § 10 Rn. 6a).
26Das Gericht hatte daher jedenfalls Beweis darüber zu erheben, ob der Beklagten zu 1) ein solches Fehlverhalten zur Last fällt – wie auch von Klägerseite bereits erstinstanzlich geltend gemacht.
27c. Nach Einholung des Sachverständigengutachtens ließ sich eine derartige Feststellung jedoch nicht treffen, s. o. . Gleichwohl sah sich die Kammer veranlasst, eine Haftungsquote zu Lasten der Beklagten zu 30% anzunehmen.
28Obgleich dem Kläger, der eigentlich die Beweislast für ein etwaiges Mitverschulden der Beklagten zu 1) trüge, damit seiner Beweislast nicht nachgekommen ist, kommt ihm wiederum eine Beweiserleichterung zu Gute, weil die Beklagte zu 1) schuldhaft seine Beweisführung vereitelt hat. Diese Unaufklärbarkeit geht zu Lasten der Beklagten.
29Von einer Beweisvereitelung kann (nur) gesprochen werden, wenn die nicht beweisbelastete Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet, vorenthält oder ihre Benutzung erschwert (BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 100/20, NJW 2022, 539, Rn. 12). Die Beklagten haben die Beweisführung dadurch vereitelt, dass sie – wie unter Ziffer 2 dargelegt – Lichtbilder des geschädigten Fahrzeugs des Pkw der Beklagten zu 1) nicht vorgelegt hat, was dazu geführt hat, dass dem Sachverständigen die Feststellung, ob die Beklagte zu 1) den Zusammenstoß durch erhöhte Achtsamkeit hätte vermeiden können, nicht möglich war.
30Die Beweisvereitelung führt zwar nicht dazu, dass eine Beweiserhebung gänzlich unterbleiben könnte und der Vortrag der beweisbelasteten Partei als bewiesen anzusehen wäre. Liegen die Voraussetzungen einer Beweisvereitelung durch den Gegner der beweisbelasteten Partei vor, können jedoch zugunsten der beweisbelasteten Partei Beweiserleichterungen in Betracht kommen, die unter Umständen bis zur Umkehr der Beweislast gehen können (BGH Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 100/20, NJW 2022, 539). Hier führt die Beweisvereitelung jedenfalls dazu, dass sich die Beklagte zu 1) gegenüber dem Kläger nicht auf den Anscheinsbeweis berufen kann (vgl. BGH NJW 1998, 79 (81)). Diese aus dem Institut der Beweisvereitelung folgende Sanktion hindert aber nicht die umfassende Würdigung aller Indizien und sonstigen Umstände der Lebenserfahrung im Rahmen einer Gesamtabwägung (MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 286 Rn. 67).
313.
32Von einem (Allein-)Verschulden des Klägers konnte das Gericht aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht ohne weiteres ausgehen. Auszugehen war – die unter Ziffer 2 dargelegten Feststellungen zu Grunde gelegt - von einer grundsätzlich ausgeglichenen Haftungsquote, bei der die Parteien die von ihnen geltend gemachten Verkehrsverstöße bzw. das Verschulden des jeweils anderen positiv belegen müssen. In rechtlicher Hinsicht führt der vorgeschilderte Unfallhergang bei angenommener Beweiserleichterung zu Gunsten des Klägers zu der Haftungsquote von 30%, ein unabwendbares Ereignis kann für keine der Parteien angenommen werden.
33aa. Zutreffend hat das Amtsgericht einen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 8 Abs. 1 StVO abgelehnt. Denn der Kläger als Grundstücksausfahrer war gegenüber der Beklagten zu 1) gerade nicht vorfahrtsberechtigt.
34bb. Dass der Beklagten zu 1) tatsächlich ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot gemäß § 1 Abs. 2 StVO anzulasten ist, konnte der Kläger nicht positiv belegen. Eine vollständige Beweislastumkehr findet nicht statt (s.o.).
35cc. Eine Geschwindigkeitsübertretung oder sonstiges Fehlverhalten der Beklagten zu 1) konnte der Kläger nicht belegen.
36dd. Von einem Verstoß des Klägers gegen die hohen Sorgfaltsanforderungen des § 10 StVO ist hingegen auszugehen. Der Kläger musste sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies war hier angesichts der Kollision mit der Beklagten zu 1), die gegenüber dem Kläger vorfahrtsberechtigt war, nicht der Fall.
37ee. In der Gesamtabwägung kann – wenn man den Anscheinsbeweis zu Lasten des Klägers hinwegdenkt – eine Haftungsverteilung nach der jeweiligen Betriebsgefahr unter Berücksichtigung der Verursachungsbeiträge zu erfolgen. Die Kammer erachtet es dabei unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall als angemessen, den Haftungsanteil der Beklagten zu 1) nicht in Höhe der geforderten 50%, sondern allein mit 30% anzunehmen.Hierbei hat die Kammer den Verstoß des Klägers berücksichtigt sowie den Umstand, dass der Sorgfaltspflicht nach § 10 StVO gleichwohl ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Die Beklagte zu 1) muss sich die allgemeine Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs entgegenhalten lassen.
38e. Keine der Parteien kann sich auf ein unabwendbares Ereignis i. S. v. § 17 Abs. 3 StVG berufen. Dem Kläger ist ein positiver Beweis nicht gelungen.
39Nach § 17 Abs. 3 S. 2 StVG gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Ein unabwendbares Ereignis liegt nur dann vor, wenn der Unfall auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Dies erfordert ein sachgemäßes, geistesgegenwärtige Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus und damit das Verhalten eines Idealfahrers (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 17 StVG Rn. 22). Insbesondere ist ein unabwendbares Ereignis zu verneinen, wenn ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr noch abgewandt oder jedenfalls einen weniger schweren Unfall verursacht hätte (BGH, NJW 1982, Seite 1149; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 15.4.2014 – 16 U 213/13, NJOZ 2015, 169 f.; Rn. 26). Den Beweis, dass ein solches Ereignis für ihn vorliege, hat der Kläger nicht geführt. Gleiches gilt für die Beklagte. An dieser Stelle ist die Frage der Beweisvereitelung insoweit nicht entscheidend, da die Beklagten den fehlenden Beweis diesbezüglich zu ihren Gunsten nicht führen konnten.
404 . Bei der Haftungshöhe sind Reparaturkosten in Höhe von 3.185,73 € zu Grunde zu legen sowie Gutachterkosten in Höhe von 724,23 €, wovon die Beklagten zu 1) und zu 3) 30% zu tragen haben.
41a. Der Kläger kann dem Grunde nach zunächst die volle Höhe der fiktiven Reparaturkosten geltend machen. Der Vortrag der Beklagten (sinngemäß) dahingehend, dass aufgrund eines Totalschadens der Kläger die vollen Reparaturkosten nicht – wie hier geltend gemacht – fiktiv abrechnen könne, geht dabei fehl. Auch nach Vortrag der Beklagtenseite läge ein Totalschaden (Reparaturkosten mehr als 130% des Wiederbeschaffungswerts) schon gar nicht vor, wenn man den höheren Restwert in Höhe von 1.450 € zu Grunde legen würde; den Wiederbeschaffungswert übersteigen die Reparaturkosten nicht. Mit Erfolg wendet auch der Kläger ein, dass das vorgelegte Angebot (dessen Bindungswirkung auch bei Klageerhebung bereits abgelaufen war) der Beklagten als nicht regionales Angebot für die Restwertermittlung nicht zu berücksichtigen ist. Macht der Versicherer geltend, der Geschädigte könne am regionalen Markt ein höheres Angebot erzielen, liegt die Darlegungs- und Beweislast bei ihm (vgl. BGH, U. v. 12.07.2005, VI ZR 132/04, r + s 2005, 482). Der Geschädigte muss sich dabei nicht auf solche Angebote verweisen lassen, die einem sog. Sondermarkt (z. B. Internet) entstammen und für den Geschädigten nicht ohne weiteren Aufwand realisieren lässt. Das Angebot der Beklagten ist ein Online-Angebot aus dem Bereich 76307 Karlsbad. Die Bindungswirkung des Angebots bis zum 09.04.2020 war bei Klageerhebung bereits abgelaufen.
42b. Sehr wohl aber hat sich der Kläger auf die günstigere freie Werkstatt zu verweisen lassen, wie von den Beklagten geltend gemacht. Ein solcher Verweis ist für den Kläger nicht unzumutbar. Die Beklagten haben substantiiert dargelegt, dass die Reparatur in der von ihnen angegebenen Werkstatt günstiger ist. Die Entfernung von 21 km zum Wohnort des Klägers ist dabei hinzunehmen, da zum einen die Beklagten dargelegt haben, dass die angegeben Werkstatt in R. über einen kostenlosen Hol- und Bringservice verfügt; ferner hat auch der Kläger gar nicht geltend gemacht, dass er die Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt, die näher an seinem Wohnort läge, durchführen könnte (wie BGH, Urteil vom 23. Februar 2010, VI ZR 91/09, Rn. 12, juris). Die seitens des Sachverständigen angegeben Werkstatt Autolackierung I. befindet sich in P. , der Wohnort des Klägers in D. , der Unfallort ebenfalls in D. .
43Die Qualifikation der seitens der Beklagten angegebenen Werkstatt steht trotz des Bestreitens des Klägers nicht in Frage. Die Beklagten haben angegeben, dass die von ihnen ausgewählte Karosserie L. & Co. GmbH über eine Eurogarantzertifzierung verfügt, was grundsätzlich ausreichend ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. 7. 2010 - VI ZR 259/09, DS 2011, 73). Soweit der Kläger die Qualifizierung in Abrede stellt, erscheint dies als Bestreiten ins Blaue hinein. Ebenso dringt der Kläger nicht durch mit dem Einwand, die Beklagte lege ein Angebot vor, das Sonderkonditionen zu Grunde lege. Auf diese müsste sich der Kläger nicht verweisen lassen; für solche gibt es jedoch auch keine Anhaltspunkte.
44c. Die Gutachterkosten erweisen sich als lediglich teilweise erstattungsfähig, nämlich in Höhe von 724,23 €, wovon die Beklagten 30% zu tragen habe. Eine Beweiserhebung war nicht erforderlich, da die Kammer die zu erstattenden Kosten der Höhe nach gem. § 287 ZPO schätzen konnte. Grundsätzlich stellt die eingereichte Rechnung des Sachverständigen ein Indiz für die Angemessenheit der Kosten dar. Widerlegt der Verpflichtete dieses Indiz durch geeigneten Sachvortrag, bleibt Raum für eine Schätzung nach § 287 ZPO (umfassend OLG Düsseldorf Urt. v. 17.9.2019 – 1 U 84/19, BeckRS 2019, 44915 m. w. Nw.). Als Schätzgrundlagen hat sich die Kammer an den Wertungen des § 12 JVEG orientiert sowie den Angaben im Rahmen der Mitgliederbefragung des BVSK. Danach ergeben sich folgende erstattungsfähige Kosten:
45Fahrtkosten 50 km zu je 70 Cent; 35,00 €
46Schreibgebühren 12 Seiten a 1,80 = 21,60
47Fotokosten 20 x 2 € = 40 €
48Kopien 24 x 0,50 € = 12,00 €
49Pauschale = 15 €Summe: 123,60 € zzgl. Arbeitskosten (485 €) = 608,60 € zzgl. MwSt. = 724,23 €.
505. Der geltend gemachte Zinsanspruch resultiert aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 17 Abs. 1, 2 StVG.
516. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO.
527. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
53III.
54Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zulassung der Revision ist auch nicht i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, da nicht über streitige oder zweifelhafte Rechtsfragen zu entscheiden war.
55Berufungsstreitwert: 2.093,36 €.