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1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:
Ist Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass es sich bei einem Mangel an Personal bei dem Flughafenbetreiber oder einem von dem Flughafenbetreiber beauftragten Unternehmen für die von diesem zu erbringende Gepäckverladung um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne dieser Vorschrift handelt, der von außen unbeherrschbar auf die normale Tätigkeit des diesen Dienst des Flughafenbetreibers/des von diesem beauftragen Unternehmens nutzenden Luftfahrtunternehmens einwirkt, oder ist die Gepäckverladung durch den Flughafenbetreiber/ein von diesem beauftragtes Unternehmen und ein bei diesem bestehender Mangel an Verladepersonal der normalen Ausübung der Tätigkeit dieses Luftfahrtunternehmens zuzurechnen, sodass eine Exkulpation nach Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nur dann in Betracht kommt, wenn der Grund für den Personalmangel einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne dieser Vorschrift darstellt?
I.
21. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht der Fluggäste N. (im Folgenden: Zedenten) auf Ausgleichszahlung in Höhe von insgesamt 800 € nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung EWG Nr. 295/91 (im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 261/2004) nebst Zinsen in Anspruch.
3Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4Die Zedenten waren am 04.07.2021 auf den von der Beklagten ausgeführten Flug XR 1092 von Köln/Bonn nach Kos gebucht, der planmäßig um 8:50 Uhr LT (6:50 Uhr UTC) vom Flughafen Köln/Bonn abfliegen und um 13:05 Uhr LT auf dem Flughafen in Kos ankommen sollte. Tatsächlich erreichte der Flug den Ankunftsflughafen mit einer Verspätung von rund dreieinhalb Stunden. Die nach der Methode der Großkreisentfernung berechnete Distanz zwischen Abflug- und Zielort beträgt 2230 Kilometer.
5Die Beklagte behauptet, dass die große Verspätung auf einen auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführenden Personalmangel beim Betreiber des Flughafens Köln/Bonn bei hohem Fluggastaufkommen dort zurückgehe und macht geltend, deshalb aufgrund außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 von der Ausgleichszahlungspflicht befreit zu sein; sie habe keine Möglichkeit gehabt, die große Verspätung zu verhindern. Schon der Vorflug habe eine Verspätung von 1 Stunde und 17 Minuten gehabt, weil Check-In-Personal gefehlt habe; von dieser Verspätung seien sämtliche folgenden Flüge betroffen gewesen. Desweiteren habe es an Personal für die Verladung des Gepäcks gefehlt, wodurch sich die Durchführung des streitgegenständlichen Fluges um weitere 2 Stunden 13 Minuten verzögert habe; hinzugekommen sei schließlich eine wetterbedingte Verzögerung nach Schließen der Türen um 19 Minuten. Die Beklagte nimmt insoweit Bezug auf den von ihr als Anlage B1 vorgelegten Irregularity Report vom 04.07.2021 betreffend den streitgegenständlichen Flug, den weiteren als Anlage B3 vorgelegten Report zu diesem Flug bzw. zu dem für diesen eingesetzten Fluggerät mit der Registration TC-CON, den Report Anlage B2 zu einer Verspätung dieses Fluggerätes auf dem Flug CAI-1076 am Vortag von 2 Stunden und 10 Minuten sowie die Mitteilung Anlage B4 über den Abflugslot für den streitgegenständlichen Flug XR 1092 für 10:39/10:47 Uhr UTC. Zur näheren Darlegung der Gründe des Personalmangels am Flughafen Köln/Bonn bezieht sich die Beklagte auf die Erläuterungen des Flughafenbetreibers Flughafen Köln/Bonn GmbH durch deren Präsidenten und R. in dem als Anlage B5 zur Akte gereichten Schreiben vom 08.07.2021, in dem dieser sich bei ihr für die ungewöhnliche Anzahl von Verspätungen in den letzten Tagen am Flughafen entschuldigt und ausführt, dass während der Pandemie es notwendig gewesen sei, das Personal mit allen Mitteln zu reduzieren, um eine finanzielle Katastrophe zu vermeiden, und jetzt, da die Pandemie abklinge und immer mehr Länder die Reisebeschränkungen aufgehoben hätten, damit begonnen worden sei, Leute zurückzuholen und die Einstellung von zusätzlichem Personal vorzubereiten. Der plötzliche und explosionsartige Anstieg der Passagier- und Flugzahlen seit Anfang Juli habe das Unternehmen jedoch überrascht, tatsächlich sei die Zahl der Flüge zu Spitzenzeiten so hoch wie vor der Krise und liege damit weit über den optimistischsten Prognosen. Infolgedessen sei es unmöglich, so kurzfristig neues Personal in ausreichender Zahl einzustellen und auszubilden. Auch die Überprüfung des neuen Personals durch die Behörden zur Erlangung eines Flughafen-Ausweises nehme aufgrund der geänderten EU-Gesetzgebung mehr Zeit in Anspruch. Darüber hinaus sei der Markt für Zeitarbeitskräfte, die normalerweise für die Sommermonate angeheuert werden würden, völlig ausgetrocknet. Da sie alle Zeitarbeitsverträge Anfang 2020 gekündigt hätte, hätten diese Arbeitnehmer inzwischen neue Jobs gefunden und stünden nicht mehr zur Verfügung; es herrsche nun ein allgemeiner Mangel an Zeitarbeitskräften auf dem Markt.
6Die Klägerin hat sich zu dem behaupteten Personalmangel, dessen Ursächlichkeit für die erhebliche Verspätung und der behaupteten Unvermeidbarkeit der großen Verspätung mit Nichtwissen erklärt. Darüber hinaus hat sie geltend gemacht, dass nicht erkennbar sei, dass die beschriebenen Umstände als außergewöhnlicher Umstand anzusehen sein könnten; insbesondere liege der Check-In im Verantwortungsbereich der Beklagten.
72. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat dahingestellt gelassen, ob die große Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen sei, weil sie jedenfalls von der Beklagten zu vermeiden gewesen sei, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Den daran zu stellenden Anforderungen sei die Beklagte vorliegend nicht gerecht geworden. Infolge der seitens der Beklagten vorgetragenen späteren Slotzuteilung für den Vorflug des streitgegenständlichen Fluges habe sie bereits ca. 3 Stunden vor Abflug des Fluges XR 1092 Kenntnis davon gehabt, dass es zu einer Verspätung kommen würde. An einem Vortrag, welche Maßnahmen von ihr zur Verhinderung bzw. Reduzierung der streitgegenständlichen Verspätung geprüft wurden, fehle es gänzlich. Dies werde ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht gerecht.
83. Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Sie rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs.
9Insoweit macht sie geltend, dass das Amtsgericht darauf hätte hinweisen müssen, wenn es Vortrag dazu erwartet habe, welche zumutbaren Maßnahmen sie geprüft habe. Bei einem entsprechenden Hinweis hätte sie ihrerseits darauf hingewiesen, dass sie bereits mit Schriftsatz vom 23.11.2021 vorgetragen habe, dass ihr der ursprünglich zur Landung am Flughafen Köln/Bonn zugewiesene Slot um 7:50 Uhr Ortszeit entzogen und ein neuer Slot für 9:01 Uhr zugewiesen worden sei. Woraus das Amtsgericht unter Berücksichtigung dessen gefolgert habe, die Beklagte habe bereits 3 Stunden vor dem geplanten Abflug des streitgegenständlichen Fluges, geplant um 8:50 Uhr, Kenntnis von der Verspätung gehabt, erschließe sich nicht. Denn bei Ankunft am Flughafen Köln/Bonn nur 11 Minuten nach dem für den streitgegenständlichen Flug vorgesehenen Abflug um 8:50 Uhr wäre - bei ordnungsgemäßer Abfertigung des Vorfluges und des streitgegenständlichen Fluges - schon keine erhebliche Verspätung im Sinne der Fluggastrechteverordnung von mehr als 3 Stunden zu erwarten gewesen. Denn es hätte lediglich der Ent- bzw. Beladung des Fluggerätes und eines Tankvorgangs bedurft, um sodann unverzüglich den Start des streitgegenständlichen Fluges einzuleiten. Nachdem sich das Fluggerät am Flughafen Köln/Bonn befunden habe und es lediglich noch der Abfertigung bedurfte, hätte es nach allgemeiner Lebenserfahrung wesentlich länger gedauert, sämtliche Passagiere des streitgegenständlichen Fluges auf andere Flüge vom Flughafen Köln/Bonn oder gar anderen Abflughäfen, zu denen die Passagiere noch hätten verbracht werden müssen umzubuchen, statt auf die Abfertigung zu warten. Vor dem Hintergrund, dass somit zumutbare Maßnahmen, einer großen Verspätung des streitgegenständlichen Fluges zu begegnen, nicht bestanden hätten, hätte das Amtsgericht darüber entscheiden müssen, dass der Personalmangel am Flughafen Köln/Bonn einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 darstellte. Auch diesbezüglich werde auf den erstinstanzlichen Vortrag, insbesondere auf die schriftliche Stellungnahme des Geschäftsführers der Flughafengesellschaft P. Bezug genommen. In dem Personalmangel liege kein zurechenbares Organisationsverschulden, da der Personalabbau am Flughafen nicht aus typischen wirtschaftlichen Erwägungen heraus erfolgt sei, sondern der Flughafenbetreiber durch die Pandemie gezwungen gewesen sei, Personal zu entlassen, nachdem es pandemiebedingt zu einer erheblichen Einschränkung des Luftverkehrs gekommen sei. Der touristische Luftverkehr habe aufgrund des weltweiten Lockdowns und vielerorts geltender Einreisebestimmungen in einem nie zuvor gekannten Ausmaß zurückgefahren werden müssen, weshalb es schlicht über einen erheblichen Zeitraum keine Einsatzmöglichkeiten für das vorhandene Personal gegeben habe, welches sich wiederum zwangsläufig zu einem Großteil andere Beschäftigungen gesucht habe, um seinen Lebensunterhalt finanzieren zu können. Durch temporäre Behördenschließungen und Personalausfälle aufgrund des Pandemiegeschehens seien zugleich verlängerte Bearbeitungszeiträume für neu zu erteilende Genehmigungen der entsprechenden Behörden für neues Personal entstanden, sodass nach erneutem Anlaufen der Passagierluftfahrt nicht in der regulären Zeit neues Personal habe eingesetzt werden können. Diese Entwicklungen in einer zuvor nie dagewesenen Situation könnten dem Flughafenbetreiber nicht als fahrlässiges Organisationsverschulden angelastet werden. Es handele sich also bei dem Entzug und der Neuvergabe der Slots sowohl für den Vorflug wie für den streitgegenständlichen Flug und den Verzögerungen bei der Bodenabfertigung nicht um einen Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Beklagten als ausführendes Luftfahrtunternehmen, sondern um auf das Pandemiegeschehen zurückzuführende Umstände, die von ihr keineswegs zu beherrschen gewesen seien und außerhalb dessen gelegen hätten, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden sein könne.
10Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung.
11II.
12Die Entscheidung über die Berufung hängt von der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) durch Beantwortung der im Tenor formulierten Vorlagefrage ab:
131. Die Frage ist entscheidungserheblich.
14a) Denn das Amtsgericht hat nach Beurteilung der Kammer die Klage zu Unrecht mit der Begründung abgewiesen, dass die Beklagte keinen Vortrag dazu gehalten habe, welche Maßnahmen im vorliegenden Fall von ihr zur Verhinderung bzw. Reduzierung der streitgegenständlichen Verspätung geprüft worden seien, obgleich sie aufgrund der Slotzuteilung für den Vorflug bereits ca. 3 Stunden vor Abflug des streitgegenständlichen Fluges gewusst habe, dass dieser nur mit einer Verspätung würde durchgeführt werden können.
15Nach der Rechtsprechung des EuGH ist nach den Erwägungsgründen 14 und 15 sowie Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 das Luftfahrtunternehmen von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste gemäß Art. 7 der Verordnung befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung des Fluges bzw. dessen um drei Stunden oder mehr verspätete Ankunft auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, und es bei Eintritt eines solchen Umstands die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser zur Annullierung oder zur großen Verspätung des betreffenden Fluges führt, ohne dass jedoch von ihm angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer verlangt werden könnten (EuGH, Urteil vom 04.04.2019, C-501/17, juris Rn. 19; Urteil vom 11.06.2020, C-74/19, juris Rn. 36). Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, C-549/07, juris Rn. 40, 42; Urteil vom 12.05.2011, C-294/10, juris Rn. 30).
16Hiervon ausgehend ergab sich aus der Slotzuteilung für den Vorflug keine Verpflichtung der Beklagten zur Prüfung und Ergreifung von Maßnahmen im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004.
17Es ist bereits nicht ersichtlich und von der Klägerin erstinstanzlich auch nicht behauptet worden, dass angesichts der Slotzuteilung, die für den streitgegenständlichen Flug eine Verzögerung von 1 Stunde 17 Minuten zur Folge hatte, eine große Verspätung für die Beklagte erkennbar einzutreten drohte. Nur dann aber wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, sogleich aufgrund der Slotzuteilung zur Abwendung der großen Verspätung in Betracht kommende Maßnahmen konkret zu prüfen und zu ergreifen. Die um 1 Stunde 17 Minuten verspätete Ankunft des streitgegenständlichen Fluges in Köln/Bonn als Teil der Gesamtverspätung von 3 Stunden 49 Minuten hatte ihren Grund nicht in dem Mangel an Verladepersonal des Flughafenbetreibers, was ggf. darauf hätte hinweisen können, dass sich hieraus weitere Verzögerungen hätten ergeben können, sondern ging gemäß den Eintragungen in dem von der Beklagten vorgelegten Report Anlage B3 auf eine ursprüngliche Verspätung des am Vortag, dem 03.07.2021 durchgeführten Fluges CAI 1076 CGN BJV von 2 Stunden 10 Minuten zurück, die aufgrund fehlenden Check-In-Personals entstanden war, was die eigene Zuständigkeit der Beklagten betraf.
18Darüber hinaus drängen sich Maßnahmen, die von der Beklagten bei dem von ihr dargelegten Mangel an Verladepersonal bei dem Betreiber des Flughafens Köln/Bonn als Grund für die nach Ankunft des Vorfluges auf dem Flughafen Köln/ Bonn entstandene weitere Verzögerung von 2 Stunden 13 Minuten zur Abwendung der großen Verspätung hätten ergriffen werden können, vorliegend nicht auf und sind von der Klägerin, die sich erstinstanzlich lediglich mit Nichtwissen dazu erklärt hat, dass der Beklagten keine Möglichkeit zur Verfügung gestanden habe, den streitgegenständlichen Flug ohne erhebliche Verspätung durchzuführen bzw. die Zedenten ohne erhebliche Verspätung zu ihrem Endziel zu befördern, auch nicht aufgezeigt worden. Auch das Amtsgericht hat in seiner Entscheidung keine Maßnahmen konkret benannt, die mit Aussicht auf Erfolg von der Beklagten hätte ergriffen werden können und ihr zumutbar gewesen wären. Soweit das Amtsgericht in den Urteilsgründen zur Darlegung der an die Fluggesellschaft bei der Prüfung der zu ergreifenden Maßnahmen gestellten Anforderungen auf die Entscheidung des EuGH vom 11.06.2020 - Az.: C-74/19 zurückgreift und dies darauf hinweisen könnte, dass aus Sicht des Amtsgerichts eine Umbuchung der Zedenten auf einen anderen Flug zu prüfen gewesen wäre, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Der Mangel an Personal bei dem Flughafenunternehmen für die Gepäckverladung betraf nicht nur den Flug der Zedenten, sondern eine Vielzahl von Flügen, bei denen es gleichfalls zu Verspätungen kam, dies bei zudem hohem Fluggastaufkommen, was für eine hohe bis vollständige Auslastung der Flüge sprach. Unter diesen Umständen war objektiv nicht zu erwarten, dass eine Umbuchung der Zedenten dazu hätte führen können, dass sie ihr Reiseziel maßgeblich schneller als tatsächlich erfolgt hätten erreichen können, zumal dann auch alle anderen Passagiere des streitgegenständlichen Fluges und der weiteren verspäteten Flüge, soweit bei diesen eine große Verspätung einzutreten drohte, umzubuchen gewesen wären. Der Einsatz eines etwa verfügbaren weiteren eigenen oder gecharterten Fluggerätes für den streitgegenständlichen Flug versprach keinen Zeitgewinn gegenüber der Durchführung des Fluges mit dem dafür eingeplanten Fluggerät des Vorfluges, da auch das Ersatzfluggerät bzw. der Subcharter von der Situation am Flughafen Köln/Bonn betroffen gewesen wäre; hinzu kommt der Zeitaufwand für die Organisation und Bereitstellung des anderen Fluggerätes.
19b) Das Amtsgericht hätte es daher nicht dahingestellt lassen dürfen, ob es sich bei dem als Grund für die große Verspätung genannten Mangel an Abfertigungspersonal um einen außergewöhnlichen Umstand handelt oder nicht.
20Ist ein Personalmangel beim Flughafenbetreiber im Bereich der Verladetätigkeit als außergewöhnlicher Umstand zu qualifizieren, ist die Beklagte gemäß Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 von der sich aus der großen Ankunftsverspätung des Fluges XR1092 in Kos gegenüber den Fluggästen grundsätzlich bestehenden Ausgleichszahlungsverpflichtung befreit und die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen, weil die in diesem Fall zu ihren Lasten zu berücksichtigende, nicht exkulpierte Verspätung drei Stunden nicht erreicht. Ist die Gepäckverladung durch den Flughafenbetreiber und ein bei diesem entstandener Mangel an Verladepersonal dagegen der normalen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens zuzurechnen, unterliegt die Berufung der Zurückweisung, da in diesem Fall allein die wetterbedingte Verzögerung nach Schließen der Türen um 19 Minuten exkulpiert sein könnte und damit eine große Verspätung von 3 Stunden 30 Minuten verbliebe. Denn der von der Beklagten vorgetragene Mangel an Verladepersonal am 04.07.2021 am Flughafen Köln/Bonn ist nicht im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen.
21aa) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH werden als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 261/2004 Vorkommnisse angesehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der Ausübung der normalen Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind und ihr Vorliegen von Fall zu Fall zu beurteilen ist (vergl. EuGH, Urteil vom 31.01.2013, C-12/11, juris Rn. 29; Urteil vom 23.03.2021, C-28/20, juris Rn. 23). In seiner Entscheidung vom 23.03.2021, Az.: C-28/20- Rn. 23ff., hat der EuGH ausgeführt, dass sich aus seiner Rechtsprechung zum Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 261/2004 ergebe, dass Vorkommnisse mit im Hinblick auf das ausführende Unternehmen „interner“ Ursache von solchen mit „externer“ Ursache zu unterscheiden sind, wie etwa die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel, die Beschädigung eines Reifens eines Flugzeuges durch einen Fremdkörper, wie einen umherliegenden Gegenstand auf dem Rollfeld eines Flughafens, Vorhandensein von Treibstoff auf einer Flughafenrollbahn, das zu deren Schließung geführt hatte, eine Kollision zwischen dem Höhenruder eines Flugzeugs in Parkposition und dem Winglet eines Flugzeugs einer anderen Fluggesellschaft, die durch die Bewegung des zweiten Flugzeugs verursacht wurde, ein versteckter Fabrikationsfehler oder auch Sabotageakte oder terroristische Handlungen. Allen diesen „externen“ Ereignissen sei gemein, dass sie auf die Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und auf äußere Umstände zurückzuführen sind, die in der Praxis mehr oder weniger häufig vorkommen, aber vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf ein Naturereignis oder die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreifen. „Externe“ Ereignisse seien auch außerhalb der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens liegende Streiks; folglich könnten „außergewöhnliche Umstände“ bei Streikmaßnahmen der Fluglotsen oder des Flughafenpersonals vorliegen. Dagegen handele es sich bei einem von den eigenen Beschäftigten des betroffenen Unternehmens ausgelösten und befolgten Streik um ein „internes“ Ereignis dieses Unternehmens; dies schließe auch einen durch den Streikaufruf von Gewerkschaften ausgelösten Streik ein, da diese im Interesse der Arbeitnehmer des Unternehmens auftreten. Auch bei „internen“ Streiks könne jedoch dann ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen, wenn die zugrundeliegenden Forderungen nur von staatlichen Stellen erfüllt werden könnten und daher für das betroffene Luftfahrtunternehmen nicht tatsächlich beherrschbar seien. In der Rechtssache F. hat der EuGH zu einem auf die Kollision eines Treppenfahrzeugs eines Flughafens mit einem Flugzeug zurückzuführenden technischen Problem bemerkt, dass Treppenfahrzeuge oder Gangways, die es den Fluggästen ermöglichen, aus dem Flugzeug ein- und auszusteigen, bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt werden, so dass die Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sich aus dem Einsatz solcher Treppenfahrzeuge ergeben. Deshalb sei die Kollision eines Flugzeugs mit einem Treppenfahrzeug als ein Vorkommnis anzusehen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens ist (EuGH, Beschluss vom 14.11.2014, C-394/14, juris Rn. 19).
22Hiervon ausgehend könnte vorliegend die Verladetätigkeit unabhängig davon, dass sie dem Flughafenunternehmen oblag, der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens der Beklagten zuzuordnen sein, weil die Gepäckverladung mit dem Transport des Gepäcks zwischen Flugzeug und Abfertigungsgebäude und dem Be- und Entladen des Flugzeugs unmittelbar der Erfüllung der den Fluggästen von dem Luftfahrtunternehmen geschuldeten Beförderungsleistung dient. Ein Mangel an Verladepersonal wäre dann seinerseits der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens zuzurechnen, mit der Folge, dass ein außergewöhnlicher Umstand zu verneinen wäre.
23Demgegenüber könnte sich gerade aus dem Umstand, dass die Gepäckverladung betreffend die Flugzeuge der Beklagten auf dem Flughafen Köln/Bonn durch den Flughafenbetreiber erfolgt und nicht durch die Beklagte selbst oder durch einen von ihr beauftragten Dienstleister, ergeben, dass der Mangel an Verladepersonal eine externe Ursache darstellt, die von außen unbeherrschbar für die Beklagte - ohne dass sie auf die Personalplanung und –entwicklung beim Flughafenbetreiber hätte Einfluss nehmen können - auf die normale Tätigkeit ihres Luftfahrtunternehmens eingewirkt hat.
24Nach Auffassung der Kammer ist ein außergewöhnlicher Umstand gegeben. Diese Annahme stützt sich maßgeblich darauf, dass die Gepäckverladung Teil der in Deutschland originär von den Flughafenbetreibern selbst oder deren Tochtergesellschaften wahrgenommenen luftseitigen Bodenabfertigungsdienste ist (vergl. Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, Ausarbeitung WD 5 – 3000 – 165/22, Ziffer 2 Historische Marktlage der Bodenabfertigungsdienste) und als solche auch nach der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs durch die Richtlinie 96/67/EG und deren Umsetzung durch die Regelungen des Bundesgesetzes über die Öffnung des Zugangs zum Markt der Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen, Flughafen-Abfertigungsgesetz (im Folgenden: FBG) im Ausgangspunkt weiter in der Hand des Flughafenunternehmens liegt, wenn unter § 3 FBG auch vorgesehen ist, dass die Nutzer eines Flughafens die Bodenabfertigungsdienste entweder selbst durchführen oder von einem Dienstleister ihrer Wahl durchführen lassen. Für die Gepäckabfertigung sowie für die Vorfelddienste und die Fracht- und Postabfertigung, soweit dies die Beförderung von Fracht und Post zwischen Flughafen und Flugzeug nach Ankunft, vor Abflug oder beim Transit betrifft, sieht § 4 FBG dabei vor, dass die Zahl der Dienstleister und Selbstabfertiger auf jeweils zwei beschränkt ist. Hiernach dürfte die Frage, ob ein Mangel an Personal für die Gepäckverladung einen außergewöhnlichen Umstand darstellt, in Abhängigkeit davon zu beantworten sein, ob – wie hier - die Gepäckverladung von dem Flughafenunternehmen durchgeführt wurde, mit dem Ergebnis, dass ein außergewöhnlicher Umstand zu bejahen wäre, oder ob das betroffene Luftfahrtunternehmen für die Gepäckverladung als Selbstabfertiger zuständig war oder einen zugelassenen Dienstleister mit dieser Aufgabe betraut hatte, so dass die Gepäckverladung zur normalen Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens gehörte, mit dem Ergebnis, dass in einem solchen Fall ein außergewöhnlicher Umstand zu verneinen wäre.
25Vorliegend würde dann aufgrund der Exkulpation hinsichtlich der am Flughafen Köln/Bonn eingetretenen weiteren Verspätung von 2 Stunden 13 wegen Fehlens von Verladepersonal die von der Beklagten zu vertretende Verspätung unter drei Stunden liegen und somit die Beklagte nicht zur Ausgleichszahlung verpflichtet sein. Der Vortrag der Beklagten, dass es zu der weiteren Verspätung von 2 Stunden 13 Minuten aufgrund des dargelegten Personalmangels gekommen ist, wird durch die vorgelegten Unterlagen belegt, die durch das pauschale Bestreiten der Klägerin nicht entkräftet werden.
26bb) Sollte die Auslegung dagegen zu dem Ergebnis führen, dass auch die durch den Flughafenbetreiber erfolgte Gepäckverladung der normalen Ausübung der Tätigkeit der diesen Dienst des Flughafenunternehmens nutzenden Luftfahrtunternehmen zuzurechnen ist, käme eine Exkulpation der Beklagten nach Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nur dann in Betracht, wenn der Personalmangel als Grund für die Verspätung des Fluges XR 1092 am 04.07.2021 im Sinne dieser Vorschrift auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückgegangen wäre. Dies indes vermag die Kammer nach dem Vortrag der Beklagten nicht festzustellen. Die Beklagte beruft sich auf die Covid-19-Pandemie. Hierzu behauptet sie aber nicht, dass Personal deshalb nicht ausreichend zur Verfügung gestanden habe, weil Mitarbeiter an Corona erkrankt gewesen seien. Geltend gemacht wird von ihr, dass Beschäftigte während der Pandemie selbst gekündigt hätten und nunmehr einer anderen Arbeit nachgehen würden und insbesondere der Flughafenbetreiber aus wirtschaftlichen Gründen Entlassungen vorgenommen habe, nachdem es pandemiebedingt zu einer erheblichen Einschränkung des Luftverkehrs gekommen sei. Danach aber stellt sich der Personalmangel lediglich als mittelbare Folge der Pandemie dar, was nicht genügt, um ein Beruhen der großen Verspätung des streitgegenständlichen Fluges auf einem außergewöhnlichen Umstand zu begründen. Zwar will die Kammer nicht von vornherein ausschließen, dass in besonderen Ausnahmefällen auch wirtschaftliche Zwänge gegebenenfalls zu einer Exkulpation im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 führen können. Dass hier jedoch der Mangel an Verladepersonal bei der Durchführung des streitgegenständlichen Fluges eine zwingende und von der Beklagten nicht zu vermeidende Folge der Corona-Pandemie gewesen wäre, lässt sich aus dem allgemein gehaltenen Vortrag der Beklagten nicht nachvollziehen. Den Ausführungen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass der Flughafenbetreiber ohne den erfolgten Personalabbau nicht hätte fortbestehen können. Ebenso wenig ergibt sich daraus, dass er seine Unternehmenstätigkeit und Personalplanung nicht so hätte ausrichten können, dass er bei einem Wiederhochfahren des Flugbetriebes die Abläufe nicht so hätte gestalten können, dass erhebliche Flugverspätungen zu vermeiden gewesen wären. Stattdessen wird eingeräumt, dass der Flughafenbetreiber, überrascht von dem plötzlichen und explosionsartigen Anstieg der Passagier- und Flugzahlen seit Anfang Juli 2021, das Personal nicht frühzeitig wieder aufgestockt habe.
272. Nach alldem hängt der Erfolg der Berufung von der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ab. Dabei ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht so offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe (vgl. EuGH, Rechtssache C-283/81, Slg. 1982, 3415, NJW 1983, 1257, 1258 - Cilfit). Nach der hier bekannten Instanzrechtsprechung wird die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage auch unterschiedlich bewertet. Das Berufungsverfahren ist deshalb auszusetzen und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu der im Beschlusstenor gestellten Frage einzuholen.
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