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Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Gründe:
2I.
3Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Strafverfahren wegen Körperverletzung geführt. Mit Beschluss vom 09.02.2023 ordnete das Amtsgericht Köln dem Beschwerdeführer Herrn Rechtsanwalt Dr. W. als Pflichtverteidiger bei, nachdem es den Beschwerdeführer zuvor binnen einer Wochenfrist zur Benennung eines Rechtsanwaltes aufgefordert hatte. Den offenbar vor Fristablauf, aber erst nach Beschlussfassung per Fax beim Amtsgericht Köln am 09.02.2023 um 15:44 Uhr eingegangenen Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts P. lehnte das Amtsgericht Köln mit Beschluss vom 03.03.2023 unter Hinweis auf die zwischenzeitlich erfolgte Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. W. ab.
4Mit Urteil vom 13.03.2023 verurteilte das Amtsgericht Köln den Beschwerdeführer wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe vier Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil wurde noch am selben Tag rechtskräftig, nachdem der Beschwerdeführer, sein Pflichtverteidiger Dr. W. und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf die Einlegung eines Rechtsmittels jeweils verzichteten (vgl. Hauptverhandlungsprotokoll, Bl. 55).
5Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer unter Berufung auf § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO gegen die Ablehnung der Beiordnung des Rechtsanwalts P..
6II.
7Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.
8Die Voraussetzungen für eine – hier rückwirkende – Pflichtverteidigerbeiordnung liegen nicht vor. Ob die Voraussetzung für eine Beiordnung von Rechtsanwalt P. gemäß §§ 140, 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO vorlagen, kann dahingestellt bleiben. Da das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen worden ist, besteht mangels Verteidigungserfordernis für eine rückwirkende Beiordnung kein Bedürfnis.
9Zwar vertritt die Kammer die Auffassung, dass eine rückwirkende Bestellung bei zwischenzeitlichem Wegfall des konkreten Verteidigungsbedürfnisses ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat. Denn mit der Reform der §§ 141, 142 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 aufgrund der dieser Gesetzesänderung zugrundeliegenden RL 2016/1919/EU ist die Annahme eines zwingenden Rückwirkungsverbotes nicht mehr überzeugend. Gemäß Art. 4 Abs. 1 der RL 2016/1919/EU haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Verdächtige und beschuldigte Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Über den rechtzeitigen und praktisch wirksamen Zugang zur Wahrnehmung der Verteidigerrechte hinaus (Art. 3 Abs. 1 der RL 2013/48/EU) regelt die RL 2016/1919/EU nunmehr also auch die finanziellen Grundlagen und zwar in der Weise, dass nicht nur die tatsächliche Verteidigung, sondern auch die Bezahlung des Rechtsbeistandes gesichert werden soll. Die effektive Absicherung der Verfahrensbeteiligten würde aber unterlaufen, wenn eine Pflichtverteidigerbestellung nur deswegen versagt werden könnte, weil die Entscheidung hierüber zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, an dem die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers obsolet geworden war und zwar unabhängig davon ob die Entscheidung verzögert getroffen wurde oder nicht (OLG Bamberg Beschl. v. 29.4.2021 - 1 Ws 260/21, BeckRS 2021, 14711; OLG Nürnberg Beschl. v. 6.11.2020 - Ws962/20, Ws963/20, BeckRS 2020, 35193; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Auflage 2023, § 142 Rn. 20; LG Mainz Beschl. v. 11.10.2022 – 1 Qs 39/22, BeckRS 2022, 27767 Rn. 22, beck-online). Durch die Schaffung des Unverzüglichkeitsgebots in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO hat der Gesetzgeber zudem deutlich gemacht, dass es seine Absicht war, jedem Beschuldigten ab der Eröffnung des Tatvorwurfs unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen die Möglichkeit der Einholung kompetenten, d.h. anwaltlichen Rats zwecks bestmöglicher Wahrnehmung seiner Interessen zur Verfügung zu stellen. Auch wenn es die Pflicht eines Verteidigers ist, ab dem Moment der Mandatsübernahme bestmöglich im Sinne des Mandanten tätig zu werden, so liegt doch die Befürchtung nicht fern, dass einzelne Verteidiger trotz Vorliegens der Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung und rechtzeitiger Antragsstellung bis zu Ihrer Bestellung nicht im gleichen Maße für ihren Mandanten tätig werden, wie dies bei einem Wahlverteidiger mit einem solventen Mandanten der Fall wäre, wenn sie befürchten müssten, letztlich keine Vergütung zu erhalten. Die Möglichkeit der rückwirkenden Beiordnung eines Pflichtverteidigers stellt sich somit als Instrument dar, um dem oder auch nur dem Verdacht eines solchen Verhaltens entgegenzuwirken (OLG Bamberg Beschl. v. 29.4.2021 – 1 Ws 260/21, BeckRS 2021, 14711 Rn. 16, beck-online m.w.N.).
10Diese Erwägungen kommen in der vorliegenden Konstellation gerade nicht zum Tragen, da der Beschwerdeführer bereits durch einen Pflichtverteidiger anwaltlich vertreten war. Auch gilt das in § 141 Abs. 1 S. 1 StPO vorgesehene „Unverzüglichkeitsgebot“ nicht für die vorliegende Konstellation, da sich die Norm auf einen noch nicht vertretenen Beschuldigten bezieht.
11Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.
12Köln, 16.06.2023Landgericht, 11. große Strafkammer