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Der Angeklagte wird wegen gemeinschaftlichen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von
10 Jahren
verurteilt.
Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wird angeordnet.
Die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 116.107 € wird gegen den Angeklagten als Gesamtschuldner angeordnet.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner eigenen notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschriften:
§§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2, 66 StGB
Gründe:
2I.
31. Lebensweg des Angeklagten
4Der Angeklagte ist am 00.00.0000 in NO. PV. im Altai-Gebirge in Russland geboren. Dort wuchs er mit seinen Eltern und seiner Schwester Z. U.-L. auf und besuchte altersgerecht Kindergarten und Schule, in der er nach der 10. Klasse einen Schulabschluss erwarb, welcher einer Fachoberschulreife im deutschen Schulsystem entsprechen würde. Anschließend absolvierte er erfolgreich eine Ausbildung zum Maschinisten. In diesem Beruf – wie zuvor auch sein Vater – und als LKW-Fahrer arbeitete er nach der Ableistung eines zweijährigen Wehrdienstes, in dessen Rahmen er einen LKW-Führerschein erworben hatte, von 1993 bis zu seiner Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 1998.
5Erstmalig heiratete der Angeklagte am 07.01.1997, die Ehe wurde 1999 geschieden. Aus dieser Ehe stammt eine gemeinsame Tochter, die heute 28 Jahre alt ist und zu der der Angeklagte Kontakt hält. Die Ehefrau hatte mit dem Kind bereits 1996 Russland verlassen und war nach Deutschland übergesiedelt. Auch seine Mutter und seine Schwester verließen in diesem Jahr Russland und migrierten nach Deutschland. Der Angeklagte blieb mit seinem Vater zunächst alleine in Russland zurück, weil er Kampfpilot in der russischen Armee werden wollte, entschied sich aber 1998, seiner Familie nach Deutschland zu folgen. Am 01.09.1998 siedelte er in die Bundesrepublik über. Nach einem sechsmonatigen Sprachkurs war der Angeklagte zunächst in verschiedenen Unternehmen tätig, wobei er ungefähr drei Monate für die Firma S. arbeitete und vier Monate für einen Styroporbetrieb in H.. Darüber hinaus war er für diverse Unternehmen im D. Raum als Leiharbeiter tätig. Seine Ausbildung als Maschinist bzw. Schlosser war in Deutschland nicht anerkannt worden, so dass er in diesem Beruf nicht arbeiten konnte. In seiner Freizeit besuchte er in dieser Zeit ab und zu ein Casino, wenn er von einem Freund hierhin mitgenommen wurde.
62003 lernte der Angeklagte seine zweite Ehefrau kennen, mit der einen gemeinsamen Sohn hat, der heute 18 Jahre alt ist. Auch zu diesem hat er zwischenzeitlich wieder – nach einer achtjährigen Unterbrechung – regelmäßigen Kontakt, wobei dieser Kontakt nach der Haftentlassung des Angeklagten im November 2020 auch persönlich stattfand.
7Seine jetzige Lebensgefährtin I. P. lernte er 2011 kennen, während er sich in Haft befand. Mit ihr ist er noch heute liiert und aus der Beziehung stammen eine acht Jahre alte Tochter sowie ein vierjähriger Sohn.
8Erkrankungen hat der Angeklagte nicht. Er konsumiert keine Betäubungsmittel und trinkt nur gelegentlich zu gesellschaftlichen Anlässen hochprozentigen Alkohol, wobei er phasenweise über Wochen nichts trinkt, manchmal aber auch zweimal pro Woche.
92. Vorstrafen des Angeklagten
10Der Bundeszentralregisterauszug vom 20.05.2022 weist insgesamt 14 Eintragungen aus:
11BZR-Nr. 1
12Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 04.08.1999, rechtskräftig seit dem 12.08.1999, wurde der Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 DM verurteilt (Aktenzeichen 23 Cs 421 Js 375/99 (539/99)).
13BZR-Nr. 2
14Mit Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 10.10.2001, rechtskräftig seit dem 18.10.2001, wurde der Angeklagte wegen versuchten Diebstahls in besonders schwerem Fall zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Aktenzeichen 23A Ds 322 Js 642/00 (74/01)).
15Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte, der seinerzeit in Y. wohnte, am 03.12.2000 nach M. fahren wollte, um dort einen Bekannten zu besuchen, auf dem Hinweg aber in Paderborn bei der Firma Autohaus E. individuell anhielt, um sich die dort abgestellten Fahrzeuge anzuschauen. Er fasste den Plan, aus einem der abstellten Fahrzeuge das Autoradio zu stehlen und warf zu diesem Zwecke die Fahrzeugscheibe mit einem Stein ein. Als er abwartete, ob jemand sein Vorhaben bemerkt hatte, stand ihm plötzlich ein Mann gegenüber, woraufhin der Angeklagte sein Vorhaben aufgab und weglief.
16BZR-Nr. 3
17Mit Urteil vom 01.02.2002, rechtskräftig seit dem 09.02.2022, verurteilte das Amtsgericht Detmold den Angeklagten wegen versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 € (Aktenzeichnen 2 Ds 37 Js 868/01 – 37 VRS 88/02, BZR-Nr. 3). Nähere Feststellungen zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt konnte die Kammer nicht treffen, da die Verfahrensakte vernichtet ist.
18BZR-Nr. 4
19Mit Beschluss vom 05.08.2002, rechtskräftig seit dem 01.10.2002, bildete das Amtsgericht Paderborn unter dem Aktenzeichen 23A Ds 322 Js 642/00 (74/01) aus den Verurteilungen vom 10.10.2001 und 01.02.2002 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde zunächst bis zum 17.10.2005 verlängert. Später – zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt – wurde die Aussetzung der Strafe zur Bewährung widerrufen. Die Strafvollstreckung ist seit dem 19.03.2016 erledigt.
20BZR-Nr. 5
21Mit Urteil vom 04.02.2003, rechtskräftig seit dem 12.02.2003, verurteilte das Amtsgericht Minden den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 € (Aktenzeichen 34 Js 1665/02 V 13 Cs 705/02, BZR-Nr. 5). Nähere Feststellungen zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt konnte die Kammer nicht treffen, da die Verfahrensakte vernichtet ist.
22BZR-Nr. 6
23Mit Urteil vom 14.06.2004, rechtskräftig seit dem 19.01.2005, verurteilte das Landgericht Bielefeld den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall in drei Fällen in Tatmehrheit mit gemeinschaftlichem versuchten Diebstahl im besonders schweren Fall sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten (Aktenzeichen 3 Ns 65 Js 830/03 – L 2/04 III, BZR-Nr. 6). Das Amtsgericht Minden hatte den Angeklagten zuvor mit Urteil vom 15.01.2004 freigesprochen (Aktenzeichen 12 Ls 105/03), die Staatsanwaltschaft hatte hiergegen Berufung eingelegt.
24Der Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am Abend des 17.04.2003 hielten sich die gesondert Verurteilten W. J. und G. B. in der Wohnung des Angeklagten in YY. auf. Im Verlauf des Beisammenseins schlug der Angeklagte vor, mit seinem Fahrzeug, einem zu diesem Zeitpunkt nicht angemeldeten VW Golf, loszufahren und zu schauen, ob man nicht irgendwo Autoradios „abziehen“ könne. J. und B. willigten ein. Gemeinsam fuhren sie nach RO., wobei der Angeklagte in Kenntnis des Umstandes, dass er über keine Fahrerlaubnis verfügte, den PKW steuerte. In RO. angekommen, stellten sie das Fahrzeug ab und suchten – in Umsetzung ihres Tatplanes – unter Zuhilfenahme einer Taschenlampe am Straßenrand geparkte Fahrzeuge ab, um diese gegebenenfalls aufzubrechen. Sodann entwendeten sie aus einem vor dem Haus T.-straße 00 abgestellten PKW VW Bulli des Geschädigten K. ein Siemens Handy M 50 in blauer Farbe, den Fahrzeugschein und eine Shell-Tankkarte, nachdem entweder der Angeklagte oder einer der gesondert Verurteilten J. und B. zuvor die Scheibe der Fahrertür eingeschlagen hatte. Der gesondert Verurteilte J. nahm dabei das Handy an sich und steckte es in seine Tasche.
25Im Anschluss begingen der Angeklagte sowie J. und B. gemeinsam folgende weitere Taten, deren genaue zeitliche Abfolge nicht festgestellt werden konnte: An einem vor dem Haus T.-straße 00 geparkten schwarzen PKW VW Polo des Geschädigten C. öffnete der Angeklagte oder einer der gesondert Verurteilten die Kofferraumklappe mittels Unterschlossstechen. Sie entwendeten sodann aus diesem Fahrzeug eine braune Lederjacke sowie eine Kombizange der Marke „Knipex“, warfen die Jacke jedoch wieder fort. An der Ecke A.-straße/V.-straße brachen der Angeklagte, J. und B. einen dort abgestellten PKW Golf III des Geschädigten X. mittels Unterschlossstechen an der Fahrertür auf und durchwühlten das Fahrzeuginnere auf der Suche nach stehlenswerten Gegenständen. Da sie jedoch nicht fündig wurden, entfernten sie sich ohne Beute. Aus einem vor dem Haus R.-straße 00 geparkten PKW Renault Clio des Geschädigten Q. entwendeten sie mehrere CD´s, nachdem einer von ihnen die hintere kleine Seitenscheibe eingeschlagen hatte. Sie nahmen die CD´s zunächst mit, warfen sie später aber fort. Der gesondert Verurteilte J. führte bei der Begehung der Taten, wie ihm bekannt war, in seiner Hosentasche ein Taschenmesser mit.
26Schließlich wandten sich der Angeklagte sowie J. und B. einem ebenfalls in der R.-straße abgestellten PKW Nissan Serena Multivan des Geschädigten N. zu, wurden hierbei aber von vorbeifahrenden Zeugen entdeckt, die die Polizei alarmierten, und von dieser kurze Zeit später flüchtend festgenommen.
27Der gesonderte Verurteilte J. wurde wegen Diebstahls mit Waffen in drei Fällen sowie wegen versuchten Diebstahls mit Waffen zu einer Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt und der gesondert Verurteilte B. zu einem Dauerarrest von 4 Wochen.
28BZR-Nr. 7
29Mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 06.08.2004 (35 Js 319/04 4 KLs L 2/14, BZR-Nr. 7), rechtskräftig seit dem 07.04.2005, wurde der Angeklagte wegen gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Revision ein, die mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 07.04.2005 (Aktenzeichen 4 StR 47/05) als unbegründet zurückgewiesen wurde. Der Verurteilung lagen folgende Feststellungen zugrunde:
30Am 17.02.2004 hielten sich der Angeklagte und der gesondert Verurteilte O. F. gemeinsam mit anderen Bekannten in der Wohnung des AF. PL. in RO. auf. Im Laufe des späten Mittags/frühen Nachmittags bat der Angeklagte den gesondert Verurteilten F., ihn mit einem PKW, der dem Onkel des F. gehörte, zu einem nicht näher bezeichneten Ziel zu fahren. Die beiden fuhren sodann mit dem PKW los, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob der gesondert Verurteilte ZS. L. zu diesem Zeitpunkt bereits in dem Fahrzeug zugegen war oder von dem Angeklagten und F. zuhause abgeholt wurde. Nachdem das Fahrzeug betankt worden war, fuhren der Angeklagte sowie F. und L. gemeinsam zum Marktkauf in RO..
31Zu diesem Zeitpunkt beabsichtigten der Angeklagte und der gesondert Verurteilte L. aufgrund eines gemeinsamen Tatplans, sich von F. zur Sparkasse in der PZ.-straße 00 in RO. fahren zu lassen und diese gemeinsam zu überfallen, um sich so Geld zu beschaffen. Insbesondere L. hatte wegen seiner Heroinsucht einen erheblichen Geldbedarf, zu dessen Deckung sein Arbeitslosengeld nicht genügte. Zur Vorbereitung des Überfalls hatten der Angeklagte und L. zwei selbst gefertigte sturmhaubenähnliche Masken mitgenommen, die sie aus schwarzem schlauchartigen Textil gefertigt hatten, so dass diese über den Kopf gezogen werden konnten. Der Angeklagte hatte des Weiteren eine silberne Kunststoff-Spielzeugpistole eingesteckt, die er dem gemeinsamen Tatplan entsprechend zur Drohung einsetzen wollte, um unter Drohung mit dieser die Bankangestellten zur Herausgabe des Geldes zu zwingen. Den gesondert Verurteilten F. hatten der Angeklagte und L. in ihren Plan nicht eingeweiht und ihn auch über Zweck und Ziel der Fahrt im Ungewissen gelassen.
32Am Marktkauf angekommen schraubte L. von einem abgestellten PKW Mazda MX 5 die Kennzeichen ab und sie fuhren mit F. in ein Waldstück, wo sie die Originalkennzeichen des von ihnen geführten Fahrzeugs gegen die zuvor abgeschraubten Kennzeichen austauschten. Dem F., der nunmehr ahnte, dass der Angeklagte und L. etwas Illegales vorhatten, erklärten die beiden lediglich, dass man nun weiter fahren würde, um „eine Sache zu besorgen“. Ohne weiter nachzufragen, stellte F. sich ihnen als Fahrer zur Verfügung.
33Der Angeklagte und L. dirigierten F., der weiterhin den PKW steuerte, nun zu der Sparkasse in der PZ.-straße 00 in RO.. Dort wiesen sie ihn an, rückwärts in eine Parktasche einzuparken und mit laufendem Motor auf sie zu warten. Zu diesem Zeitpunkt erkannte F., dass die beiden anderen vorhatten, die Sparkasse zu überfallen. Sich mit dieser Situation plötzlich konfrontiert sehend, entschloss er sich mit Rücksicht auf die nähere Bekanntschaft zumindest zum Angeklagten, den Anweisungen des Angeklagten und L. nachzukommen und sich mit dem PKW als Fluchtfahrzeug dort zur Verfügung zu halten, um die Taten der beiden anderen hierdurch zu fördern.
34Der Angeklagte und L. verließen sodann das Fahrzeug und begaben sich zum Haupteingang der Sparkasse, während sie die zu diesem Zweck eigens mitgebrachte Maskierung überzogen. So maskiert betraten der Angeklagte und L. gegen 16:05 Uhr das Sparkassengebäude und begaben sich gemeinsam schnellen Schrittes zum Kassenschalter, hinter dem sich der Geschädigte OK. befand. Der im Vergleich zu L. größere Angeklagte richtete die mitgebrachte Spielzeugwaffe durch einen Schlitz im Sicherheitsglas des Kassenschalters auf den Geschädigten OK. und schob mit den in gebrochenem Deutsch sinngemäß gesprochenen Worten „Alles reinlegen, was da ist, schnell, schnell!“ eine weiße Plastiktüte mit dem Werbeaufdruck der Firma H & M durch den Schlitz im Sicherheitsglas. Der Geschädigte OK. hielt die ihm vorgehaltene Spielzeugwaffe für eine echte Waffe und fühlte sich erheblich bedroht. Aufgrund dessen kam er der Aufforderung nach und füllte aus den Geldfächern der Kasse Geldscheine in Höhe von 16.390 € in die Tüte; hierbei gelang es ihm auch, ein als Geldscheinpäckchen getarntes Security-Pack, welches eine Farbbombe enthielt, mit in die Plastiktüte zu stecken und den stillen Alarm auszulösen. Währenddessen begab sich der zunächst mit dem Angeklagten am Kassenschalter stehende L. zu der etwas abseits an einem Schreibtisch sitzenden Zeugin DC., ebenfalls Sparkassenmitarbeiterin, weil er bei dieser eine verdächtige Bewegung wahrgenommen hatte. Tatsächlich hatte sich die Zeugin gebückt und einen weiteren Alarmknopf gedrückt. Er fragte die Zeugin, was sie dort gemacht habe, worauf diese erwiderte, nichts getan zu haben. Daraufhin schaute L. unter dem Schreibtisch der Zeugin nach, ohne etwas Verdächtiges, insbesondere den Alarmknopf, zu bemerken. Nachdem der Geschädigte OK., der in seiner Angst die beiden Täter wieder los werden wollte und sich daher beeilte, dem Angeklagten die gefüllte Tüte wieder ausgehändigt hatte, verließen der Angeklagte und L. eilig die Sparkasse und liefen zu dem mit laufendem Motor auf dem Parkplatz wartenden PKW, in dem sich F. befand. Beide stiegen in das Fahrzeug ein und zogen sich dabei die Masken ab.
35Nachdem F. angefahren war und das Fahrzeug schon einige Meter zurückgelegt hatte, explodierte aus einem nicht näher feststellbaren Grund das Security-Pack, so dass sich rotes Farbpulver im hinteren Bereich des PKW verbreitete. Dieses schlug sich insbesondere auf der Hose und der Hand sowie der Haut des linken Unterschenkels des L. nieder. Darüber hinaus hinterließ das Farbpulver Spuren auf der hinteren Fußmatte und einen 25 x 25 cm großen Farbfleck auf dem Teppichboden vor der Rücksitzbank. Aufgrund dessen hielt F. das Fahrzeug in Höhe der Einmündung PZ.-straße/WJ.-straße an. Es wurde zumindest eine der beiden hinteren Fahrzeugtüren geöffnet und die noch rötlich rauchende Plastiktüte mit dem gesamten erbeuteten Bargeld sowie die vom Angeklagten getragene Sturmmaske hinaus auf die Straße geworfen, wo diese Gegenstände später durch die Polizei sichergestellt werden konnten. Anschließend fuhren der Angeklagte, F. und L. weiter zur Wohnung des AF. PL.. Dort wechselten F. und L. die Kennzeichen am Fahrzeug wieder gegen die Originalkennzeichen aus, wobei sie von einem Zeugen beobachtet wurden, und gingen anschließend in die Wohnung des PL.. Die vom Angeklagten verwendete Spielzeugpistole konnte nicht sichergestellt werden, da er sie zuvor auf ein Grundstück geworfen hatte. Alle drei Verurteilten standen bei Tatbegehung unter Alkoholeinfluss, ohne dass sich alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bei ihnen bemerkbar gemacht hätten; der Angeklagte wies zur Tatzeit einen Blutalkoholgehalt von 1,63 Promille aus, war aber in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt. Der gesondert Verurteilte L. wurde zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt, der gesondert Verurteilte F. zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt.
36Der Angeklagte wurde am 17.02.2004 vorläufig festgenommen, der gegen ihn ergangene Haftbefehl am 08.04.2004 gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.
37BZR-Nr. 8
38Mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24.02.2005 (41 Js 862/04 1 KLs 862/04), rechtskräftig seit dem 09.11.2005, wurde der Angeklagte wegen gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt, wobei die Gesamtfreiheitsstrafe aus zwei Einzelstrafen von 8 Jahren (nachfolgend unter Ziffer 1. dargestellte Tat) und 6 Jahren und 10 Monaten (Ziffer 2.) gebildet wurde. Die gegen das Urteil gerichtete Revision wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 08.11.2005 (Aktenzeichen 4 StR 321/05) als unbegründet zurück.
39Der Verurteilung lagen folgende Feststellungen zugrunde:
401.
41In der Nacht vom 29.08. auf den 30.08.2004 gegen 03:58 Uhr betraten der Angeklagte und der gesondert Verurteilte QT. gemäß eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans den mittels mehrerer Kameras überwachten Verkaufsraum der Tankstelle an der Autobahnraststätte DL./Nord an der BAB 30 in Fahrtrichtung Osnabrück, um durch Vorhalt einer Pistole die Herausgabe von Geld zu erzwingen. Der Angeklagte und QT. waren dabei mit zuvor am 28.08.2004 bei dem Motorradhändler XU. gekauften dunklen Sturmhauben maskiert. In der rechten Hand hielt der Angeklagte eine geladene Schreckschusspistole mit nach vorne geöffnetem Lauf.
42Der bei dem Tankstellenbetreiber angestellte Tankwart PH. führte zu diesem Zeitpunkt Reinigungsarbeiten abseits des Verkaufstresens durch. Der Angeklagte und QT. liefen auf ihn zu. Der Geschädigte PH. erkannte deren Absichten nicht sofort und reagierte daher zunächst nicht. QT. schlug ihn daraufhin in den Nacken, wobei der Geschädigte aufgefordert wurde, hinter den Verkaufstresen zu gehen. Gleichzeitig wurde er von dem Angeklagten und QT. in diese Richtung „bugsiert“. Wie zuvor abgesprochen, stand der Angeklagte vor dem Tresen und hielt die Pistole, die der Geschädigte PH. – wie beabsichtigt – für eine scharfe Schusswaffe hielt, in Richtung Gesicht und Oberkörper des Geschädigten und verlangte auf Deutsch mit osteuropäischem Akzent: „Geld raus!“.
43QT. lief hinter den Tresen und stand neben dem Geschädigten. Da es diesem nicht sofort gelang, die Kassenschublade zu öffnen, wurde er von QT. an den Kopf geschlagen. Als nach wenigen Sekunden die Kassenschublade offen war, sagte der Angeklagte zu dem Geschädigten erneut: „Geld raus!“. Als der Geschädigte erwiderte, sie sollten sich das Geld doch selbst nehmen, wurde er von QT. erneut an den Kopf geschlagen. Der Geschädigte gab daraufhin das Papiergeld wie verlangt in eine vom Angeklagten über den Tresor gehaltene rote Plastiktüte. Auf die weitere Aufforderung, auch das Münzgeld herzugeben, handelte der Geschädigte PH. wie von ihm verlangt, da er angesichts der vorgehaltenen Waffe und der Schläge um seine Gesundheit und sein Leben fürchtete. Genau dies beabsichtigten der Angeklagte und QT., um so in den Besitz des Kasseninhaltes zu gelangen. Der Zeuge wurde anschließend von QT. in die Ecke neben der Kasse gedrängt und ein weiteres Mal heftig geschlagen, so dass ihm, obwohl er die Hände schützend vor sich hielt, schwarz vor Augen wurde und er sich festhalten musste.
44Der Angeklagte und QT. flüchteten mit ihrer Beute in Höhe von circa 1.888 € Bargeld, QT. nahm zudem noch mehrere Stangen Zigaretten mit, aus dem Verkaufsraum in unbekannte Richtung.
45Der Geschädigte PH. wurde nach der Tat in ein Krankenhaus eingeliefert. Dort wurde eine Gehirnerschütterung festgestellt und sein schmerzender Kiefer mit schmerzstillenden Spritzen behandelt. Er war insgesamt eine Woche in stationärer Behandlung, anschließend über einen Monat lang arbeitsunfähig. Er traute sich über mehrere Wochen gar nicht mehr alleine auf die Straße und musste seine berufliche Tätigkeit einschränken, da er nicht mehr in der Nachtschicht arbeiten kann. Ferner musste er sich in psychotherapeutische Behandlung begeben.
462.
47Am Samstag, den 04.09.2004, fuhren der Angeklagte, QT. sowie der gesondert Verurteilte YJ. U. (der Schwager des Angeklagten) mit einem PKW Toyota Carina gegen 03:20 Uhr auf der BAB 30 aus RO. kommend Richtung Osnabrück und von dort auf das Gelände der Autobahnraststätte DL./Nord. Das Fahrzeug war bereits seit dem vorherigen Freitagabend von der Polizei observiert worden, nachdem der Motorradhändler XU. den ihm verdächtigen Kauf der Motorradhauben durch den Angeklagten der Polizei am 01.09.2004 gemeldet hatte.
48Gegen 03:30 Uhr hielt das Fahrzeug unbeleuchtet am westlichen Rand des Raststättengeländes DL./Nord. Wie vom Angeklagten, QT. und U. gemeinsam geplant, stiegen der Angeklagte und QT. aus und gingen unter Mitnahme ihrer Bewaffnung und Maskierung in Richtung Beschleunigungsstreifen an der Raststättenausfahrt. Entsprechend dem gemeinsamen Tatplan aller Mittäter wollten der Angeklagte und QT. unter Einsatz der von ihnen mitgeführten Pistole und Messer von dem Tankstellenpersonal DL./Süd Geld erpressen, während U. in dem PKW auf die Rückkehr der beiden warten sollte, um so eine schnelle Flucht zu ermöglichen. Die Beute sollte geteilt werden.
49Unbemerkt von den im Bereich der Raststätte DL./Nord verposteten Observationsbeamten überquerten der Angeklagte und QT. die BAB 30 und gingen zu der auf der gegenüber dem Beschleunigungsstreifen liegenden Raststättenanlage DL./Süd, die sich in einem nur dünn besiedelten Umfeld befindet. Sie legten die dunklen Motorradsturmhauben an, wobei der Angeklagte erneut mit der geladenen Schreckschusspistole bewaffnet war und QT. zusätzlich ein circa 35cm langes Küchenmesser mit schwarzem Griff und einer 20cm langen, spitz zulaufenden Klinge mit sich führte.
50So ausgerüstet betraten die beiden gegen 04:21 Uhr den kameraüberwachten Verkaufsraum der Tankstelle DL./Süd. Zu dieser Zeit hielt sich dort nur der angestellte Tankwart HO. hinter dem Verkaufstresen auf.
51Der Angeklagte und QT. riefen „Überfall – Kasse auf!“. Der Angeklagte stand dabei vor dem Verkaufstresen, QT. lief hinter den Tresen und stand in geduckter Haltung neben dem Geschädigten HO.. Der Angeklagte richtete die Pistole auf den Kopf und den Oberkörper des Geschädigten und rief mit osteuropäischem Akzent: „Kasse auf oder ich schieße!“. Der Geschädigte hielt es für möglich, dass die Waffe eine echte Schusswaffe war. Er erkannte zudem, dass auf diese geringe Entfernung über den Verkaufstresen auch eine Schreckschuss- oder Gaswaffe erhebliche Verletzungen verursachen könnte. Zudem befürchtete der Geschädigte, dem der Überfall auf die gegenüberliegende Raststätte DL./Nord bekannt war, dass die Täter auch ihn schlagen und verletzen könnten. Der hinter dem Tresen neben dem Geschädigten stehende QT. rief zusätzlich: „Großes Geld“ und „,Marlboro Lights“. Er bedrohte den Geschädigten gleichzeitig mit vorgehaltenem Messer. Dabei stieß er mit der Spitze mehrfach leicht gegen den Oberschenkel des Geschädigten HO., der mit einer festen Jeansstoffhose bekleidet war. Hierbei nahm QT. eine Verletzung des Geschädigten zumindest billigend in Kauf. Der Geschädigte achtete in diesem Moment in erster Linie auf die blitzend blanke Klinge, um den nervösen Bewegungen des QT. ausweichen zu können und um so eine gefährliche Verletzung an empfindlichen Körperteilen zu verhindern. QT. kam es darauf an, den Geschädigten zur Eile anzutreiben und gleichzeitig durch das vorgehaltene Messer einzuschüchtern und dem Verlangen nach dem Geld und den Zigaretten Nachdruck zu verleihen. Der Angeklagte sagte mehrfach zu QT. sinngemäß „Lass ihn, er tut doch alles!“, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass der QT. den Geschädigten nicht weiter mit dem Messer bedrängen und anstoßen sollte.
52Nachdem er die Kasse geöffnet hatte, schritt der Geschädigte HO. etwas zurück in dem Glauben, der Angeklagte und QT. würden ihrerseits nach dem Geld greifen. Der Angeklagte verlangte jedoch vom Geschädigten, selbst das Geld in eine vom Angeklagten über den Tresen gehaltene weiße Kunststofftasche zu legen. Dem kam der Geschädigte aus Sorge um seine Gesundheit und um sein Leben nach und legte neben dem Papiergeld auch das Münzgeld – wie verlangt – in die Tasche, sowie es der Angeklagte und QT. von vornherein beabsichtigt hatten, um sich in den Besitz des Kassenbestandes zu setzen.
53Sofort nachdem der Geschädigte das in der Kassenschublade vorhandene Geld, insgesamt circa 1.185,92 €, in die mitgebrachte Kunststofftasche geschüttet hatte, flüchteten der Angeklagte und QT. aus dem Verkaufsraum. QT. nahm dabei noch mehrere Stangen Zigaretten aus einem Verkaufsregal mit.
54Das Vorgehen des QT. mit dem Messer verursachte bei dem Geschädigten HO. eine circa 2 cm lange und circa 4 cm tiefe Stichverletzung im Oberschenkel. Der Geschädigte bemerkte dies aber infolge seiner Aufregung nicht sofort, sondern erst, als der Angeklagte und QT. geflohen waren und der deutliche Blutverlust sichtbar wurde. Der Geschädigte verlor circa 0,5 Liter Blut und erlitt einen Schock. Die Verletzung wurde ambulant versorgt, genäht und verbunden. Er musste circa anderthalb Wochen zwei Unterarmgehstützen verwenden, anschließend noch einmal die gleiche Zeit eine Gehstütze. Aufgrund aus dem Wundbereich abgesackten Blutes entwickelte sich im Kniekehlenbereich ein sehr schmerzhaftes Hämatom. Dies beeinträchtigte den Geschädigten so stark, dass er weder das Knie strecken noch längere Zeit stehen konnte. Insgesamt war er vom 02.09. bis zum 02.10.2004 arbeitsunfähig erkrankt. Er wurde darüber hinaus im Auftrag seines Arbeitgebers psychologisch betreut. Dauerhaft verblieben war – jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Verkündung des vorgenannten Urteils – eine kleine Narbe am Oberschenkel und gelegentliche Wundschmerzen. Psychische Beeinträchtigungen waren nicht erkennbar verblieben.
55Der auf dem Parkplatz der Raststätte DL./Nord verbliebene gesondert Verurteilte U. startete das Fluchtfahrzeug und fuhr in Richtung Beschleunigungsstreifen. Dort hielt er an und ließ dem gemeinsam gefassten Tatplan entsprechend den Angeklagten und QT., die inzwischen die Autobahn wieder überquert hatten, zusteigen. Das Fluchtfahrzeug wurde, verfolgt von den noch nicht über den Überfall informierten Observationskräften, an der nächst liegenden Autobahnanschlussstelle Melle gewendet. Die Angeklagten fuhren dann auf der BAB 30 in Richtung BAB 2 Hannover-Dortmund. An der Anschlussstelle Bünde verließen sie die Autobahn und wurden von den – zwischenzeitlich informierten – Polizeieinsatzkräften gestoppt und festgenommen, noch bevor die Beute geteilt werden konnte.
56Bei der Festnahme saß der gesondert Verurteilte U. auf dem Fahrersitz, der Angeklagte auf dem Beifahrersitz und QT. auf dem Rücksitz. Im Fahrzeug befanden sich im Fußraum des Beifahrersitzes die weiße Kunststofftüte mit 1.136,29 € (einem Teil der Tatbeute aus DL.-Süd) sowie anderthalb Stangen Marlboro Zigaretten sowie ein weißer Fingerhandschuh. Unter der Fußmatte befand sich die schwarze durchgeladene Schreckschusspistole des Angeklagten mit zwei weiteren Patronen 9 mm Schreckschussmunition im Magazin, im Fond lag eine Kunststofftasche mit Lidl-Aufdruck und dem spitzen Küchenmesser des QT.. Ferner lagen dort die dunklen Sportschuhe des QT., die er nach der Tat gewechselt hatte. Zudem befanden sich im Fahrzeug verteilt weitere Reste von Bekleidung, Reste weißer Handschuhe und schwarze Sturmhauben sowie Hemden, die der Angeklagte und QT. bei der Tatbegehung über ihrer Kleidung getragen hatten.
57Der Angeklagte hatte zum Zeitpunkt einer anderthalb Stunden nach der Tat durchgeführten Blutuntersuchung eine Blutalkoholkonzentration von 0,14 Promille sowie einen Cannabinoidwert von 1,7 nanogramm/ml, war aber trotz dieser Werte in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit nicht eingeschränkt.
58Der gesondert Verurteilte QT. wurde wegen der vorgenannten Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der gesondert Verurteilte U. wurde wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 10 Monaten verurteilt.
59BZR-Nr. 9
60Mit Beschluss vom 02.10.2006, rechtskräftig seit dem 30.10.2006, bildete das Landgericht Bielefeld unter dem Aktenzeichen 35 Js 319/04 4 KLs 2/04 IV eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten aus den Verurteilungen des Amtsgerichts Minden vom 15.01.2004 (BZR-Nr. 6) und des Landgerichts Bielefeld vom 06.08.2004 (BZR-Nr. 7). Die Strafvollstreckung war am 15.01.2019 nach vollständiger Verbüßung der verhängten Gesamtstrafe erledigt.
61BZR-Nr. 10
62Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Werl vom 31.10.2008, rechtskräftig seit dem 27.11.2008, wurde der Angeklagte aufgrund dessen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 2,00 € verurteilt (Aktenzeichen 262 Js 638/08 3 Cs 548/08).
63BZR-Nr. 11
64Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 28.05.2013, rechtskräftig seit dem 13.06.2013, wurde der Angeklagte wegen Beleidigung und Bedrohung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 5,00 € verurteilt (Aktenzeichen 605 Js 596/13 444 Cs 429/13).
65BZR-Nr.12
66Mit Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 02.12.2014, rechtskräftig seit dem 10.12.2014, wurde der Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchsdiebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt (Aktenzeichen 47 Js 145/14 65 Ls 39/14, BZR-Nr. 12).
67Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am Abend des 23.02.2014 begab sich der Angeklagte mit seiner Lebensgefährtin I. P. zum Zweifamilienhaus in der LH.-straße 000 in SC.. Nach dem erfolglosen Versuch, ein Fenster im Erdgeschoss aufzuheben, gelang es ihnen, nach Aufhebeln eines Kellerfensters Zugang zum Treppenhaus zu erhalten. Von dort aus hebelten sie die Tür zur im Erdgeschoss gelegenen Wohnung der geschädigten Eheleute UW. auf. Sie durchsuchten die Räume der Wohnung und entwendeten diverse Gegenstände – insbesondere Schmuck und Münzen – im Gesamtwert von mehr als 5.000 €. Über das Treppenhaus gelangten sie zu er im Obergeschoss des Hauses gelegenen Wohnung des Geschädigten FX., deren Tür sie ebenfalls aufhebelten. Aus der Wohnung entwendeten sie eine Armbanduhr, eine Münzsammlung sowie diversen Modeschmuck. Im Anschluss hieran begaben sie sich zum Einfamilienhaus des Geschädigten ZP. in der LH.-straße 00, hebelten ein Erkerfenster auf und gelangten in das Erdgeschoss. Der Angeklagte und P. durchsuchten die Räume nach mitnehmenswerten Gegenstände, fanden aber Wertsachen nicht vor. Sie begnügten sich damit, verschiedene Gegenstände des Hausrats im Gesamtwert von circa 3.000 € aus dem Haus zu schaffen und in einem benachbarten Baustellenbereich zu deponieren. Als sie nach einigen Stunden (am 24.02.2014) wieder am Tatort erschienen, um die Beute wegzuschaffen, wurden sie festgenommen.
68Die gesondert Verurteilte P. wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Tatbegehung hatten der Angeklagte und P. ausweislich der schriftlichen Urteilsbegründung eingeräumt.
69BZR-Nr. 13
70Mit Strafbefehl vom 27.01.2015, rechtskräftig seit dem 19.03.2015, wurde der Angeklagte wegen Sachbeschädigung vom Amtsgericht Aachen wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 5,00 € verurteilt (Aktenzeichen 2 Js 1543/14 448 Cs 28/15).
71BZR-Nr. 14
72Mit Strafbefehl vom 30.10.2017 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Recklinghausen wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt, wobei der im Strafbefehl festgelegte Tagessatz auf den Einspruch des Angeklagten mit Beschluss vom 17.07.2018, rechtskräftig seit dem 02.08.2018, auf 1,00 € ermäßigt wurde (Aktenzeichen 471 Js 251/17 38 Cs 393/17). Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
73Am 06.09.2017 gegen 01:15 Uhr wurde der Angeklagte, der zuvor zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt wieder in das Bundesgebiet eingereist war, durch Polizeibeamte anlässlich einer allgemeiner Verkehrskontrolle in Recklinghausen kontrolliert. Auf die Aufforderung der Beamten, sich auszuweisen, händigte der Angeklagte eine slowakische Identitätskarte und eine slowakische Fahrerlaubnis, ausgestellt auf den Namen FB., aus, wobei es sich jeweils um Totalfälschungen handelte, was dem Angeklagten bekannt war; er nutzte die Personalpapiere, um die Polizeibeamten über seine tatsächliche Identität zu täuschen.
743. Verlauf der Strafvollstreckung
75Der Angeklagte befand sich in der Zeit von September 2004 bis Ende November 2020 über 15 Jahre in Haft. In diesen Jahren beging er weitere Straftaten, die den oben dargestellten Verurteilungen zu den Nummern 10 bis 14 des Bundeszentralregisterauszuges vom 20.05.2022 zugrunde liegen. Im Einzelnen stellt sich der Vollstreckungsverlauf der Jahre 2004 bis 2020 wie folgt dar:
76Am 04.09.2004 wurde der Angeklagte – wie dargestellt – festgenommen und zunächst aufgrund eines vom Amtsgericht Herford am 05.09.2004 angeordneten Haftbefehls (Aktenzeichen 3 Gs 748/2004) in die JVA Herford eingeliefert. Von dort aus wurde er am 06.09.2004 der JVA Bielefeld-Brackwede zugeführt, wo zunächst bis zum 11.07.2005 die vorgenannte Untersuchungshaft vollstreckt wurde.
77In der Folgezeit wurden im Anschluss an die Untersuchungshaft Freiheitsstrafen gegen den Angeklagten zunächst wie folgt vollstreckt:
78- 12.07.2005 bis 08.02.2006: Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 02.10.2006 nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (BZR-Nr. 9)
79- 09.02.2006 bis 20.04.2006: Vollstreckung aus der mit Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 05.08.2002 nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (BZR-Nr. 4)
80- 21.04.2006 bis 27.01.2009: weitere Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 02.10.2006 nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (BZR-Nr. 9)
81- 28.01.2009 bis 19.11.2013: Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10.02.2005 (BZR-Nr. 8)
82- 24.02.2014 bis 08.02.2015: weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10.02.2005 (BZR-Nr. 8)
83- 09.02.2015 bis 07.02.2016: Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 02.12.2014 (BZR-Nr. 12)
84- 08.02.2016 bis 08.03.2016: Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Minden vom 04.02.2003 (BZR-Nr. 5)
85- 09.03.2016 bis 18.04.2016: weitere Vollstreckung aus der mit Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 05.08.2002 nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (BZR-Nr. 4)
86- 09.04.2016 bis 18.10.2016: weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 02.12.2014 (BZR-Nr. 12)
87- 19.10.2016 bis 08.02.2017: weitere Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 02.10.2006 nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (BZR-Nr. 9)
88- 06.09.2017 bis 15.01.2019: weitere Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 02.10.2006 nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (BZR-Nr. 9)
89- 16.01.2019 bis 29.11.2020: weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10.02.2005 (BZR-Nr. 8)
90Vom 06.09.2004 bis einschließlich zum 20.03.2006 befand sich der Angeklagte in der JVA Bielefeld-Brackwede. Am 20.03.2006 wurde er in die JVA Hagen verlegt, von dort aus am 31.05.2006 in die JVA Werl, wo er bis zum 10.08.2009 inhaftiert war.
91Während seines Aufenthaltes in der JVA Werl wurde bei dem Angeklagten am 16.06.2008 ein Briefchen mit 0,9753 g Heroinpulver und eine Bubble mit 0,4456 g Lactose als Streckmittel gefunden. Dies war Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts Werl vom 31.10.2008 (Aktenzeichen 262 Js 638/08 3 Cs 548/08, BZR-Nr. 10).
92Am 10.08.2009 wurde der Angeklagte von der JVA Werl in die JVA Bochum verlegt, am 28.10.2009 von der JVA Bochum wieder in die JVA Bielefeld-Brackwede. Am 25.02.2010 wurde er von dort abermals in die JVA Bochum verlegt. Mit Datum vom 23.03.2011 wurde der Angeklagte von der JVA Bochum in die JVA Gelsenkirchen verlegt, von dort am 10.05.2011 in die JVA Aachen.
93Jedenfalls seit dieser Zeit war der Angeklagte in der JVA Aachen fast durchgehend mit Sicherungsmaßnahmen belegt, was unter anderem beinhaltete, dass er nur mit zwei Vollzugsbeamten zur Freistunde ausgeführt und zu Terminen vorgeführt, durchsucht und der Haftraumprüfung unterzogen werden konnte. Die Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen sowie der Umschluss waren für ihn zeitweise verboten, einer Arbeitstätigkeit in der JVA konnte er nicht nachgehen. Hintergrund dessen war, dass gegen den Angeklagten immer wieder Disziplinarverfahren durchgeführt wurden und die Vollzugsbeamten die Gefahr der subkulturellen Betätigung im russischsprachigen Milieu annahmen.
94Im Zeitraum vom 15.03.2012 bis zum 27.08.2013 wurden in der JVA Aachen insgesamt 8 Disziplinarmaßnahmen gegen den Angeklagten verhängt, unter anderem, weil am 15.03. und 03.07.2012 bei der Haftraumprüfung ein Mobiltelefon, am 18.12.2012 selbst hergestellter Alkohol („Aufgesetzter“), am 05.04.2013 Alkohol und am 02.08.2013 ein Sony Headset gefunden wurden.
95Auch am 03.04.2013 wurde der Haftraum des Angeklagten in der JVA Aachen durch die Justizvollzugsbeamten CS. und QG. nach verbotenen Gegenständen durchsucht. Nachdem die Beamten diverse verbotene Gegenstände – unter anderem einen Schraubendreher und eine Nagelschere – sichergestellt hatten, beleidigte sie der Angeklagte mit den Worten: „Wichser, Hurensöhne, Nazischweine“ und „Faschisten“. Zudem drohte er dem Beamten QG., ihn „kalt zu machen“, wenn dieser noch einmal die Zelle des Angeklagten betrete. Der Beamte nahm die Drohung ernst, woraufhin gegen den Angeklagten besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet wurden. Am 04.04.2013 beschimpfte der Angeklagte den Geschädigten QG. bei der Abendkostausgabe in Anwesenheit des Zeugen DF. als „Hurensohn, Wichser“ und „Nazischwein“. Dies war Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts Aachen vom 28.05.2013 (Aktenzeichen 605 Js 596/13 444 Cs 429/13, BZR-Nr. 11).
96Nachdem der Angeklagte, um seine Abschiebung nach Russland zu ermöglichen, mit von der Bezirksregierung Köln am 30.03.2012 ausgefertigter Verzichtsurkunde die deutsche Staatsbürgerschaft abgelegt hatte, wurde er am 20.11.2013 aufgrund einer seit dem 22.06.2012 bestandskräftigen Abschiebungsanordnung und des seitens der Staatsanwaltschaft Bielefeld erklärten Absehens der weiteren Vollstreckung der zu diesem Zeitpunkt noch offenen Haftstrafen aus denjenigen Verfahren, die den BZR-Nrn. 4, 5, 8 und 9 zugrunde liegen, aus der Haft heraus gemäß § 456a StPO nach Russland abgeschoben. Zwischenzeitlich hat der Angeklagte die Wiedereinbürgerung beantragt, worüber aber bis zum Schluss der Hauptverhandlung nicht entschieden worden ist.
97Nachdem der Angeklagte zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt wieder in das Bundesgebiet eingereist war, beging er am 23.02.2014 mit seiner Lebensgefährtin P. die Tat, die Gegenstand des Urteils des Amtsgerichts Paderborn vom 02.12.2014 ist (Aktenzeichen 47 Js 145/14 65 Ls 39/14, BZR-Nr. 12).
98Ab dem 24.02.2014 befand sich der Angeklagte wieder in der JVA Aachen.
99Am 05.10.2014 gegen 04:30 Uhr sägte der Angeklagte im Rahmen eines Fluchtversuchs mit einem Sägeblatt, dessen Herkunft nicht aufgeklärt werden konnte, ein circa 39 x 27 cm großes Loch in das Haftraumgitter seines Haftraumes, wodurch er in den Freistundenhof der JVA Aachen gelangte. Dort wurde er aufgrund einer automatisch geschalteten Videodetektion beobachtet, wobei er ein Handy und ein Headset bei sich führte und sich hinter einem Busch versteckte. Er wurde von den Beamten festgehalten und wieder einem Haftraum zugeführt. Diese Tat war Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts Aachen vom 27,01,2015 (Aktenzeichen 2 Js 1543/14 448 Cs 28/15, BZR-Nr. 13). Am 06.10.2014 wurde der Angeklagte von der JVA Aachen deshalb aus Sicherheitsgründen in die JVA Köln verlegt. Von dort wurde er am 12.11.2015 in die JVA Dortmund und anschließend am 20.11.2015 in die JVA Wuppertal verlegt. Dort war seit dem 26.11.2015 in einer verstärkt gesicherten Abteilung untergebracht. Am 25.01.2016 wurde der Angeklagte aufgrund von Baumaßnahmen in Wuppertal in die JVA Düsseldorf verlegt.
100Mit Schreiben vom 30.03.2016 teilte die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit, dass sie unter der Voraussetzung einer vollziehbaren Abschiebungsverfügung gemäß § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung der zum „2/3-Termin“ noch nicht erledigten Freiheitsstrafen absehe, wobei sie für diese Freiheitsstrafen einen gemeinsamen „2/3-Termin“ vom 19.03.2016 berechnete.
101Am 01.06.2016 wurde der Angeklagte von der JVA Düsseldorf in die JVA Wuppertal-Vohwinkel zurückverlegt, wo er ab dem 13.06.2016 wiederum auf der verstärkt gesicherten Abteilung untergebracht war.
102Mit Schriftsatz seines damaligen Verteidigers Rechtsanwalt OO. vom 23.09.2016 beantragte der Angeklagte, die Vollstreckung der zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollstreckten Restfreiheitsstrafen gemäß § 57 StGB zur Bewährung auszusetzen. Mit Beschluss vom 29.12.2016, rechtskräftig seit dem 11.01.2017, wies die Strafvollstreckungskammer das Landgerichts Wuppertal den Antrag zurück (Aktenzeichen 22 StVK 462/16 (35 Js 319/04 V StA Bielefeld) und 22 StVK 463/16 (41 Js 862/04 V StA Bielefeld)). Zur Begründung führte die Kammer unter anderem aus, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung gegenüber den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht verantwortbar sei, da sich aus dem Haftverlauf in keinerlei Hinsicht tatsächliche Umstände ergäben, die eine positive Sozialprognose, die das Gericht zu der Annahme führen könnte, dass der Angeklagte außerhalb des Strafvollzugs ein Leben ohne die Begehung von Straftaten führen würde, rechtfertigen würde. Der Angeklagte habe sich durch die bisherige Entwicklung des Strafvollzugs nicht derart beeindruckt gezeigt, dass zu erwarten wäre, bereits die bisherige Strafvollziehung sei geeignet, ihn von der Begehung künftiger Straftaten abzuhalten. Im Anhörungstermin vom 29.12.2016 habe der Angeklagte erklärt, dass die von ihm zu diesem Zeitpunkt verbüßte Freiheitsstrafe von 12 Jahren viel zu lang sei; er sei kein gewalttätiger Mensch und habe schließlich niemanden vergewaltigt und umgebracht, worauf die Strafvollstreckungskammer im vorgenannten Beschluss Bezug nahm und hieraus folgerte, der Angeklagte habe mit seiner Erklärung „eindrucksvoll gezeigt, dass bis zum heutigen Tage keine Verarbeitung des von ihm begangenen Unrechts und seines eigenen Fehlverhaltens erfolgt ist.“
103Nachdem gegen den Angeklagten erneut eine wirksame Abschiebungsverfügung erlassen worden war, wurde abermals gemäß § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung der noch offenen Haftstrafen in den Verfahren gemäß den BZR-Nummern 8 und 9 abgesehen und er am 08.02.2017 nach Russland abgeschoben. Zuvor war er am 03.02.2017 darüber belehrt worden, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Deutschland die Vollstreckung der noch nicht vollstreckenden Restfreiheitsstrafen drohe.
104Der Angeklagte, der zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt abermals in das Bundesgebiet eingereist war, wurde am 06.09.2017 erneut festgenommen, nachdem er gegenüber Polizeibeamten gefälschte Personalpapiere verwendet hatte (dies ist Gegenstand des unter BZR-Nr. 14 dargestellten Strafbefehls des Amtsgerichts Recklinghausen vom 30.10.2017, Aktenzeichen 471 Js 251/17 38 Cs 393/17) und in die JVA Castrop-Rauxel eingeliefert.
105Am 07.09.2017 wurde der Angeklagte von der JVA Castrop-Rauxel wieder in die JVA Aachen verlegt, in der er sich – wie auch anlässlich vorheriger JVA-Aufenthalte – fast ausschließlich in Gesellschaft mit russischsprachigen Mitgefangenen begab; eine Arbeitstätigkeit war ihm aufgrund bestehender Sicherungsmaßnahmen weiterhin nicht gestattet.
106Am 15.11.2017 stellte der Angeklagte bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld einen Antrag auf Teilnahme an einer Sozialtherapie, ohne dass er diesen Antrag weiterverfolgte.
107Mit Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt IU. vom 11.08.2018 beantragte der Angeklagte erneut, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen. Nachdem der zuständige Dezernatsrichter der 33. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen im Anhörungstermin vom 12.12.2018 den Hinweis erteilte, dass eine Strafaussetzung zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht komme und anregte, dass der Angeklagte die Haftzeit zur Aufarbeitung der Straftaten und therapeutische Angebote im Rahmen des Vollzugs nutzen solle, nahmen der Angeklagte und sein Verteidiger im Anhörungstermin die Anträge auf Strafaussetzung zurück.
108Ab dem 25.10.2018 besuchte der Angeklagte in der JVA Aachen eine Spielsuchtgruppe, wobei die Teilnahme an dieser in einem nicht mehr feststellbaren Zeitraum wegen erneut angeordneter Sicherungsmaßnahmen unterbrochen war und anschließend fortgesetzt wurde. In der Zeit vom 21.03. bis zum 01.10.2019 besuchte er die Gruppe „Umgang mit Gewalt“, welche – deliktsunspezifisch – die Erarbeitung von Verhaltensalternativen zum Einsatz von Gewalt und Entwicklung alternativer Konfliktlösungen beinhaltete. In dieser Zeit – den genauen Zeitraum konnte die Kammer nicht feststellen – besuchte der Angeklagte in der JVA Aachen auch eine schulische Maßnahme zur Verbesserung seiner deutschen Grammatik, wurde von dieser aber ebenfalls wegen disziplinarischer Maßnahmen abgelöst.
109Aufgrund eines erneuten Antrages auf vorzeitige Entlassung des Angeklagten nach § 57 StGB, erstattete die Sachverständige IO. im Auftrag des Strafvollstreckungskammer am 16.01.2020 ein Gutachten gemäß § 454 Abs. 2 StPO zur Frage der weiter bestehenden Gefährlichkeit des Angeklagten, nachdem sie mit diesem zuvor ein Explorationsgespräch geführt hatte. Die Sachverständige IO. führte in dem Gutachten aus, dass die zur Vermeidung der erneuten Begehung von Straftaten zu beachtenden „Risikomanagementstrategien (…) die Sicherung des Lebensunterhaltes durch eine stabile Arbeitsstelle, funktionierendes Zusammenleben mit der Familie und ein geregelter Aufenthaltsstatus in Deutschland“ wären, wozu der Angeklagte gegebenenfalls „juristische Hilfestellung, aber auch engmaschige Begleitung seitens der Bewährungshilfe, zumindest bis die Dinge in geordneten Bahnen verlaufen und sich als stabil erwiesen haben“, benötige. Aus psychiatrischer Sicht sei es zu dem sinnvoll, „vor einer Entlassung bestimmte noch sehr offene Fragen abzuarbeiten“ und dem Angeklagten Lockerungen zu gewähren. Eine Entlassung zur Bewährung könne erfolgen, wenn „all diese Dinge abgearbeitet sind, ohne diese Klärungen allerdings wäre eine solche nicht zu empfehlen.“ Im daraufhin anberaumten Anhörungstermin vor der 33. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 22.05.2020 (Aktenzeichen 33h StVK 652/19) nahmen der Angeklagte und sein Verteidiger nach einem Hinweis des Vorsitzenden, dass die Kammer eine Bewährungsentscheidung auf den bestehenden Grundlagen ablehne, den Antrag zurück.
110Am 05.11.2020 wurde der Angeklagte von der JVA Aachen in die JVA Oldenburg verlegt, aus welcher er am 25.11.2020 nach Verbüßung sämtlicher Strafen zum Zeitpunkt der Endstrafe entlassen wurde. Im Verfahren 33h StVK 716/20 (41 Js 862/04 V StA Bielefeld) wurde mit Beschluss des Landgerichts Aachen vom 22.06.2021, rechtskräftig seit dem 04.08.2021, angeordnet, dass die Führungsaufsicht nach vollständiger Vollstreckung der Strafe aus dem Verfahren 41 Js 862/04 (BZR-Nr. 8) nicht entfällt.
111Nach der Entlassung aus der Haft nahm der Angeklagte Wohnsitz bei seinen Eltern in YY., wo er sich allerdings nicht regelmäßig aufhielt; teils übernachtete er bei seiner Lebensgefährtin P. und den gemeinsamen Kindern in KK.-HS., teils bei seiner Schwester Z. U.-L.. Etwa ein Jahr nach der Haftentlassung begann der Angeklagte, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen, ihm wurde aber vom Ausländeramt mitgeteilt, dass er keine Arbeitserlaubnis erhalte.
112Zu der ihm im Rahmen der Führungsaufsicht beigeordneten Bewährungshelferin HX. hielt der Angeklagte nach der Haftentlassung Kontakt, wobei er bis zum 09.08.2021 auf freiwilliger Basis mit der Zeugin HX. telefonierte, da diese erst mit Beschluss des Landgerichts Aachen von diesem Tage als Bewährungshelferin bestellt wurde (Aktenzeichen 33h StVK 716/20 (41 Js 862/04 V StA Bielefeld)). Er beabsichtigte in dieser Zeit, einen im Rahmen des Militärdienstes in Russland erworbenen Führerschein umschreiben zu lassen, um als Fernfahrer arbeiten zu können, was aber daran scheiterte, dass das Straßenverkehrsamt von ihm aufgrund seiner Vorstrafen den erfolgreichen Abschluss einer Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) verlangte. Mangels Arbeitstätigkeit bezog er seit seiner Entlassung Arbeitslosengeld II in Höhe von 456 € pro Monat.
113Am 07.12.2021 wurde der Angeklagte in der hiesigen Sache in Vollstreckung des Haftbefehls des Amtsgerichts Köln vom 29.07.2021 (Aktenzeichen 506 Gs 2130/21) im Haus der Z. U.-L., wo er das Zimmer seiner Nichte bezogen hatte, festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
114II.
115Am 18.01.2021 gegen 18:40 Uhr begaben sich der Angeklagte, der gesondert Verfolgte DV. WB. sowie ein weiterer, unbekannt gebliebener Mittäter in einem weißen Transporter – einem gemeinsam zuvor gefassten Tatplan folgend – zum Haus der Geschädigten FK. und VN. HW. in der EL.-straße in EM.. Hierbei handelt es sich ein freistehendes Einfamilienhaus in einer ländlichen, am Waldrand gelegenen Siedlung.
116Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte WB. gingen zum Eingang des Hauses. Der gesondert Verfolgte WB. trug eine Jacke des Transportunternehmens Hermes, auf dem Kopf eine Perücke mit kinnlangen hellen Haaren und einen medizinischen Mundnasenschutz, hielt ein Paket in der Hand und klingelte an der Haustüre der Geschädigten HW.. Die Geschädigte HW., die zu diesem Zeitpunkt ein Paket erwartete, konnte über die mit der Haustürklingel verbundene Videokamera den WB. sehen und hielt ihn für einen Paketboden. Der Angeklagte, der eine dunkle Kopfbedeckung und einen dunklen Mund-Nasen-Schutz trug, stand hinter WB. und außerhalb des Sichtbereichs der Kamera, so dass die Geschädigte ihn nicht sehen konnte. Während dessen saß der Geschädigte HW. in einem Schaukelstuhl in der an den Hausflur angrenzenden Wohnküche und schlief.
117Die Geschädigte öffnete in Erwartung der Paketlieferung arglos die Haustüre und wurde von WB., nachdem dieser die Haustüre passiert hatte, sofort in den Hausflur zurückgedrängt. Obwohl WB. ihr den Mund zuhielt – hierbei biss die Geschädigte ihm in die Hand –, konnte sie um Hilfe schreien. Im Anschluss kam es im Hausflur zu einem Kampf zwischen der Geschädigten und WB.. Hiervon erwachte der Geschädigte HW. und wollte ihr zu Hilfe eilen, traf dabei aber im Hausflur auf den Angeklagten, der unmittelbar nach WB. das Haus betreten hatte. Der Geschädigte stürzte sich auf den Angeklagten, wobei sie im nachfolgenden Gerangel, das zeitgleich zur Auseinandersetzung zwischen WB. und der Geschädigten stattfand, beide zu Boden stürzten. In diesem Moment holte der Angeklagte eine Pistole heraus – ob es sich um eine echte Waffe handelte und ob diese geladen war, konnte die Kammer nicht aufklären – und stieß gegenüber den Geschädigten in gebrochenem Deutsch und mit osteuropäischen Akzent die Drohung aus: „Hört auf, sonst knalle ich Euch ab!“.
118Von dieser Drohung verängstigt, gaben die Geschädigten ihren Widerstand auf und stellten die Gegenwehr ein. Sie wurden von WB. und dem Angeklagten ins Wohnzimmer gebracht, dort an Händen und Füßen mit Kabelbindern gefesselt. Die Geschädigte musste sich auf den Boden setzen und der Geschädigte musste sich auf den Boden legen. Im weiteren Verlauf stülpten WB. oder der Angeklagte dem Geschädigten einen sog. „Katzentunnel“ aus Stoff über den Kopf, so dass er in der Folge nichts sehen konnte. Der Angeklagte kniete zu Beginn zunächst zusätzlich seitlich auf dem Gesicht des am Boden liegenden Geschädigten. Als dieser bekundete, dass er keine Luft mehr bekomme, nahm der Angeklagte zwar das Knie vom Gesicht; der Katzentunnel verblieb jedoch über dem Kopf des Geschädigten, was ihm weiterhin Probleme bei der Atmung bereitete. Zeitgleich stülpten der Angeklagte oder WB. der Geschädigten eine Decke über den Kopf, so dass auch diese nichts sehen konnte.
119Währenddessen betrat auch der dritte, unbekannt gebliebene Mittäter das Wohnhaus durch die Hauseingangstür. Die Geschädigte HW. konnte nur noch einen kurzen Blick auf diesen erhaschen, bevor ihr die Sicht verdeckt worden war. Dabei konnte sie lediglich noch erkennen, dass der dritte Mittäter größer und kräftiger war als der Angeklagte und WB. und keine Gesichtsbedeckung trug. Weitere Einzelheiten konnte sie nicht erkennen.
120Der unbekannte Mittäter ging unmittelbar über eine Treppe auf die über dem Wohnbereich der Geschädigten gelegene Galerie und begann dort, nach Wertgegenständen zu suchen. Der Angeklagte und WB. verblieben mit den Geschädigten im Wohnbereich des Erdgeschosses, der Wohnzimmer und offene Küche umfasst.
121Die Geschädigte HW. wurde nun von dem gesondert Verfolgten WB., der nach der Überwältigung beider Geschädigten als Wortführer auftrat, während der Angeklagte durchgehend die Geschädigten bewachte, zunächst gefragt, ob im Haus Kinder seien. Das verneinte die Geschädigte, sagte aber, dass bald die Nachbarn erscheinen würden, woraufhin WB. sinngemäß antwortete: „Dann müssen wir die auch erschießen.“. Anschließend fragte er, wo im Haus Geld zu finden sei und sagte, wenn die Geschädigten „mitspielen“ würden, würde ihnen nichts geschehen. Der unbekannte Mittäter und der Angeklagte sprachen – nach der vorbeschriebenen Drohung des Letztgenannten, die Geschädigten bei weiterer Gegenwehr zu erschießen – nicht mehr mit den Geschädigten, sondern nur noch untereinander bzw. mit WB. in einer von den Geschädigten als osteuropäisch wahrgenommenen Sprache.
122Während WB. die Geschädigte befragte, nahm einer der Täter ihre Handtasche, deren Standort diese zuvor preisgegeben hatte, einschließlich darin aufbewahrter Brieftasche und Bargeld in Höhe von circa 350 €, ihren Ehering und ihre Ohrringe, zwei Geldbörsen des Geschädigten mit insgesamt circa 700 € Bargeld sowie in der Küche liegende Uhren der Geschädigten – eine Rolex Oyster Perpetual Sea-Dweller Deepsea des Geschädigten und eine Uhr der Geschädigten – an sich.
123Nun fragte WB. die Geschädigten, wo im Haus sich ihr Tresor befinde. Die Geschädigten stritten zunächst ab, über einen Tresor zu verfügen und sagten zu WB., ihr gesamtes Geld befinde sich „auf der Bank“. Hierauf sagte WB. zu dem Geschädigten: „Ich kenne Dich, wo ist der Tresor?“. Der Geschädigte stritt auch weiterhin ab, einen Tresor im Haus zu haben. Auch auf die Drohung des WB.: „Jetzt rede endlich, sonst knalle ich Dich ab!“ gab der Geschädigte den Standort des Tresors nicht preis. Daraufhin drohte er dem Geschädigten, ihm den Finger abzuschneiden, was den Geschädigten aber immer noch nicht zur Preisgabe des Tresorstandortes veranlasste.
124Daraufhin sagte WB. zu dem Geschädigten: „Liebst Du Deine Frau? Sag endlich, wo der Tresor ist, sonst schneiden wir ihr den Finger ab.“ Unmittelbar daraufhin setzte einer der Täter – welcher, konnte die Kammer nicht aufklären – ein Küchenmesser mit schwarzem Griff und einer 10cm langen Klinge aus der Küche des Wohnhauses derart an den kleinen Finger der Geschädigten HW., dass diese die Klinge spürte. Dieses Vorgehen wurde von dem Angeklagten zumindest gebilligt. In diesem Moment bekam der Geschädigte HW. Angst um die Gesundheit seiner Frau und teilte WB. mit, dass sich der Tresor im Bereich eines an die Küche angrenzenden Abstellraums und der Tresorschlüssel sich in einem Kästchen mit Zahlencode befänden, den der Geschädigte nannte. Nach einigen Schwierigkeiten konnte einer der Täter zunächst das Schlüsselkästchen und dann den Tresor öffnen. Aus diesem entnahmen sie weitere, wertvolle Uhren der Marken Rolex, Panerei und Raymond Weil, Bargeld in Höhe von circa 4.000 €, zwei Goldbarren im Wert von insgesamt 9.950 € und drei Goldmünzen im Wert von insgesamt 4.735 €. Während WB. und der Angeklagte unten die Wertgegenstände einsammelten, durchsuchte der unbekannte Mittäter im Obergeschoss die dort liegenden Räume und sammelte Schmuck der Geschädigten, eine Gürtelschnalle der Marke Hermés sowie eine Kosmetiktasche der Marke Louis Vuitton ein. Einer der Täter nahm ferner eine Kleingeldkasse der Geschädigten mit mindestens 200 € Bargeld an sich.
125Nachdem der Tresor leergeräumt war, fragte WB. den Geschädigten abermals nach dem Vorhandensein weiteren Bargeldes, was dieser verneinte. WB. sagte darauf sinngemäß: „Du hast uns vorhin schon belogen, wo ist das Geld?“. Der Geschädigte antwortete zunächst, dass es kein weiteres Geld im Haus gebe, sondern sich dieses auf dem Bankkonto befinde. Dann fiel dem Geschädigten ein, dass sich im Haus noch eine von ihm verwaltete „Würfelkasse“ befinde, in der er Geld von „Würfelfreunden“ aufbewahrte; diese Kasse mit einem Inhalt von circa 350 € nahmen die Täter ebenfalls an sich, nachdem er ihnen den Standort preisgegeben hatte. Der Geschädigte bot ihnen zudem an, dass sie seinen Porsche mitnehmen könnten, was diese aber ablehnten. Diesen Porsche hatte der Geschädigte kurz vor der Tat gegen Bargeld verkaufen wollen, den Verkauf aber bis dahin nicht durchgeführt.
126Zeitgleich begann einer der Täter – welcher, konnten die Geschädigten, die sich immer noch unter dem Tuch bzw. dem Katzentunnel befanden, nicht erkennen – die Geschädigten wortlos mit Wodka und Desinfektionsmittel aus deren Haushalt zu übergießen, um diese zu „desinfizieren“ und mögliche Spuren der zu Beginn geführten Rangelei zu entfernen. In diesem Moment hatten beide Geschädigte Todesangst, da sie befürchteten, dass sie angezündet werden sollten. Dieser Täter führte sodann ein weißes Tuch unter die Decke bzw. den Katzentunnel und wusch beiden Geschädigten das Gesicht mit Wodka ab. Auch den Mund der Geschädigten HW. wusch der Täter mit Wodka aus, da diese den WB. bei der Rangelei im Hausflur gebissen hatte. Die Geschädigte HW. fragte daraufhin, ob es sich um Alkohol handele, woraufhin WB. fragte: „Willst Du einen trinken?“. Die Fingernägel beider Geschädigter wurden mit einer Zahnbürste aus ihrem Haushalt ebenfalls gereinigt, um etwaige Spuren zu beseitigen. Die Mobiltelefone der Geschädigten legte einer der Täter auf ein tiefes Backblech und tränkte sie in Seifenlauge, um auch etwaige an den Telefonen befindliche Spuren zu beseitigen und die Nutzung zu verhindern.
127Im Anschluss wurden die Geschädigten in den an das Wohnzimmer angrenzenden Wellnessbereich des Hauses gebracht, in dem sich ein mit Wasser gefüllter Pool befand. Dem Geschädigten HW. wurde nun eine Decke anstatt dem Katzentunnel über den Kopf gelegt und er musste sich auf den Rücken legen. Hierdurch bekam der Geschädigte noch stärkere Atemnot als zuvor und er hatte Angst zu ersticken. Die Geschädigte, die kurz nach dem Geschädigten in den Poolraum gebracht worden war und sich ebenfalls hinlegen musste, versuchte, ihrem Ehemann die Decke vom Kopf zu ziehen, damit dieser besser Luft bekommen könnte. Hierauf erwiderte WB. sinngemäß, sie solle das lassen. Als der Geschädigte auf seine Luftnot hinwies, sagte WB. zu ihm: „Lass das, sonst werfen wir Dich in den Pool.“. Auch dies nahm der Geschädigte ernst und fürchtete um sein Leben, insbesondere, weil der unbekannte Mittäter zwischenzeitlich sehr aufgebracht war und Gegenstände in den Pool warf, zunächst vor allem Kisten mit Golfbekleidung, sodann aber auch ein sehr schweres Fitnessgerät, eine sogenannte „Powerplate“.
128Nach kurzer Zeit gab WB. den Geschädigten auf, ihm eine Telefonnummer von Nachbarn zu nennen, die er nach Ablauf von 20 Minuten anrufen werde, damit diese die Geschädigten befreien könnten. Nachdem WB. eine Nummer auf einen Zettel geschrieben hatte, verließen er, der Angeklagte und der unbekannte Mittäter das Haus der Geschädigten, in dem sie sich seit Beginn des Überfalls etwa 30 Minuten aufgehalten hatten, über die Eingangstüre und ließen die Geschädigten gefesselt im Poolbereich zurück. Sie fuhren mit dem weißen Lieferwagen zunächst an dem Grundstück des Zeugen Höller vorbei und dann in unbekannte Richtung davon.
129Nachdem die Geschädigten davon ausgegangen waren, dass die Täter das Haus verlassen hatten, konnte die Geschädigte trotz weiterhin gefesselter Hände und Füße aufstehen, indem sie sich an einem Schrank hochzog, und das Haus über die Terrassentür, die von den Tätern unbemerkt unverschlossen war, verlassen. Sie hüpfte in den Garten und von dort in die Garage, wo sie mit einem Seitenschneider die Fußfesseln lösen konnte. Anschließend ging sie mit dem Seitenschneider zurück ins Haus, wo sie die Fesseln des Geschädigten durchschneiden konnte, der anschließend ihre restlichen Fesseln löste. Die Geschädigte lief anschließend zu ihren Nachbarn, welche gegen 19:20 Uhr die Polizei informierten.
130Die herbeigerufenen Polizeibeamten leiteten nach der Schilderung der Tat durch die Geschädigten Fahndungsmaßnahmen ein, die jedoch erfolglos blieben. Ebenso erschienen kurze Zeit später Kräfte der Tatortspurensicherung, unter anderem der Regierungsbeschäftigte PC.., vor Ort und begannen unverzüglich mit der Spurensicherung.
131Nachdem die Geschädigten den Polizeibeamten berichtet hatten, dass sie zu Beginn des Überfalls Körperkontakt zu den beiden zunächst ins Haus gekommenen Tätern (WB. und der Angeklagte) hatten und diese versucht hatten, ihnen unter anderem die Fingernägel zu desinfizieren, schnitt der Zeuge PC.. den Geschädigten sämtliche Fingernägel zur Sicherung etwaiger DNA-Spuren ab. Da er selbst keine sterilisierte und einmalverpackte Nagelschere in seinem Materialkoffer vorrätig hatte, verwendete er eine Nagelschere aus dem Haushalt der Geschädigten, die zuvor nur von der Geschädigten HW. verwendet worden war, und desinfizierte die Schere. Diesen Vorgang wiederholte er nach jedem Abschneiden eines Fingernagels und verpackte die Fingernägel jeweils einzeln in ein Plastiktütchen und beschriftete es, wobei er Einweghandschuhe und eine Maske trug. Der Zeuge PC.. sicherte als mögliche Spurenträger ferner zwei Alkoholflaschen mit Wodka und Sambuca und eine Flasche mit Desinfektionsmittel, insgesamt neun Kabelbinder, die Oberbekleidung der Geschädigten HW. sowie das Jackett und die Hose des Geschädigten HW..
132Die vorgenannten Gegenstände einschließlich der abgeschnittenen Fingernägel wurden im Anschluss von der Behördensachverständigen Dr. ZK. bei dem LKA Düsseldorf molekulargenetisch untersucht. Diese konnte im Rahmen ihrer Untersuchung am Fingernagel des Mittelfingers der linken Hand des Geschädigten HW. DNA-Spuren des Geschädigten und einer „Person A“ nachweisen, wobei sie Merkmale sämtlicher untersuchter 16 Merkmalspaare (Allele) nachweisen konnte. Den ermittelten DNA-Datensatz zur „Person A“ stellte die Sachverständige am 24.06.2021 in die DNA-Analyse Datei (DAD) ein. Die DAD wies eine Übereinstimmung mit einem DNA-Datensatz des Angeklagten aus, der am 22.10.2004 in die DNA-Analyse-Datei (DAD) eingestellt worden war. Dieser DNA-Datensatz des Angeklagten wies 8 Merkmalspaare aus, die allesamt auch in dem DNA-Datensatz zur „Person A“ enthalten waren. Am Fingernagel des Ringfingers der rechten Hand der Geschädigten HW. und an einem Kabelbinder, der von der Polizei im Poolbereich des Hauses sichergestellt worden war, konnte die Sachverständige DNA-Spuren der Geschädigten und einer „Person B“ – auch insoweit in allen 16 Merkmalspaaren – nachweisen. Auch den DNA-Datensatz zur „Person B“ stellte die Sachverständige Dr. ZK. am 24.06.2021 in die DAD ein. Sie erhielt eine Treffermeldung zu einer DNA-Spur an einer Wasserflasche, als deren Verursacher der gesondert Verfolgte WB. in Verdacht stand. Gemäß Untersuchungsauftrag vom 19.07.2022 untersuchte die Sachverständige eine Speichelprobe des WB., die diesem aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Köln vom 05.05.2022 (Aktenzeichen 506 Gs 1216/22) am 10.06.2022 entnommen worden war. Alle 16 DNA-Merkmalspaare dieser Speichelprobe stimmten mit denjenigen überein, welche die Sachverständige zur „Person B“ nachgewiesen hatte.
133Aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Köln vom 29.07.2021 (Aktenzeichen 506 Gs 2030/21) wurde der Angeklagte am 07.12.2021 im Haus seiner Schwester Z. U.-L. in JC. festgenommen und zur Vollstreckung der Untersuchungshaft zunächst in die JVA Bielefeld-Brackwede und sodann in die JVA Köln verbracht. Die Durchsuchungsbeamten konnten in dem vom Angeklagten genutzten Zimmer im Haus der U.-L. ein Notizbuch sicherstellen, in welchem unter anderem Telefonnummern des gesondert Verfolgten WB. notiert waren. Zudem stellten sie sein Mobiltelefon sicher, auf dem sich mehrere Lichtbilder des WB. befanden.
134Die Geschädigten erlitten durch die Tat leichte Verletzungen in Form von Druckstellen an den Händen und Füßen, die von den zur Fesselung verwendeten Kabelbindern ausgelöst wurden, wobei die Geschädigte zusätzlich Schmerzen im Handknöchel verspürte, weil dort durch die Fesselung eine Sehne gequetscht worden war. Dies ist jedoch folgenlos verheilt. Der Geschädigte konnte nach der Tat einen seiner Mittelfinger zunächst nicht richtig bewegen, wobei die Kammer aber nicht feststellen konnte, ob dies Folge des Sturzes im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Angeklagten war oder einer Vorschädigung dieses Fingers (sog. „Knickfinger“).
135Psychisch waren die Geschädigten durch die Tat, während deren Begehung sie wie dargestellt Todesängste empfunden haben, noch zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung als Zeugen in der Hauptverhandlung am 04.07.2022 für die Kammer sichtbar erheblich beeinträchtigt. Die Geschädigte hat sich nach der Tat in psychologische Behandlung begeben; sie absolvierte sechs Therapiesitzungen, die ihr bei der Bewältigung der Tat aber nicht geholfen haben. Das Sicherheitsempfinden der beiden Geschädigten ist erheblich beeinträchtigt, was dazu führte, dass diese sich nach der Tat einen Wachhund zulegten, einen hohen Metallzaun um das Grundstück errichten ließen, eine neue Alarm- und Videoüberwachungsanlage installierten, die Fenster mit einbruchshemmender Schutzfolie nachrüsteten und eine einbruchssichere Terrassentür montieren ließen. Darüber hinaus nahmen sie zum Zwecke der Selbstverteidigung Schießunterricht. Trotz dieser Vorkehrungen kann sich die Geschädigte HW. auch heute (bzw. im Zeitpunkt ihrer Vernehmung am 04.07.2022) nicht „frei in ihrer Wohnung bewegen“. Sie kann nicht schlafen, wenn sie alleine zuhause ist, schaut nachts häufiger mit der Taschenlampe nach, ob jemand im Haus sei, und hat Angst, wenn es an der Haustüre klingelt. Kein Tag sei für sie seit der Tat wie vorher.
136Die – wie vorstehend dargestellt – von dem Angeklagtem, WB. und dem unbekannten Mittäter erbeuteten Wertgegenstände und das Bargeld – über deren Verbleib und Aufteilung untereinander die Kammer keine Feststellungen treffen konnte – hatten zum Tatzeitpunkt einen Wert von mindestens 116.107 €. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:
137- Bargeld im Wert von mindestens 5.600 €
138- Armbanduhren der Marke Rolex, Modelle Oyster Perpetual GMT-Master im Wert von mindestens 8.100 €, Oyster Perpetual Sea-Dweller Deepsea im Wert von mindestens 10.890 €, Oyster Perpetual Yacht-Master II im Wert von mindestens 36.630 €, Oyster Perpetual GMT Master II im Wert von mindestens 12.150 €
139- Armbanduhren der Marken Panerai, Modell Luminor GMT im Wert von mindestens 6.570 €, Raymond Weil im Wert von mindestens 1.775 € und Ingersoll im Wert mindestens 175 €
140- zwei Goldbarren im Wert von insgesamt 9.955 €
141- drei Goldmünzen „Nugget“ im Wert von insgesamt 4.735 €, eine Goldmünze „Unesco Welterbe – Kloster Lorch“ im Wert von 794 € und zwei Goldmünzen „Krügerrand“ im Wert von insgesamt 3.157 €
142- ein Damenring (Ehering) im Wert von mindestens 9.166 €, ein Paar Ohrstecker im Wert von mindestens 900 €, zwei weitere Paar Ohrstecker im Wert von jeweils mindestens 1.620 €, Modeschmuck im Wert von mindestens 450 €
143- eine Damenbrieftasche der Marke Hermés im Wert von mindestens 1.090 €
144- eine Gürtelschließe der Marke Hermès im Wert von mindestens 347,50 €
145- eine Kosmetiktasche der Marke Louis Vuitton im Wert von mindestens 187,50 €
146- ein Schlüsselanhänger der Marke Mercedes Benz im Wert von mindestens 25,00 €
147- eine Herrenbrieftasche der Marke Montblanc im Wert von mindestens 170,00 €
148Die Geschädigten HW. erhielten von ihrer Hausratversicherung, bei der sie eine Neuwertversicherung abgeschlossen haben, für die vorgenannte Tatbeute und für Schäden an Mobiliar und den in den Pool geworfenen Gegenständen einen Betrag in Höhe von insgesamt 129.166 € ersetzt.
149Der Angeklagte war bei Tatbegehung weder in seiner Einsichts- noch in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt.
150III.
1511.
152Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf dessen Einlassung, an denen zu zweifeln kein Anlass besteht, sowie auf der Verlesung des Bundeszentralregisterauszugs vom 20.05.2022 und der jeweiligen Vorstrafenurteile und Beschlüsse, die von dem Angeklagten als korrekt anerkannt wurden. Er hat insoweit allerdings bestritten, die mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14.06.2004 (Aktenzeichen 3 Ns 65 Js 830/03 – L 2/04 III, BZR-Nr. 6) abgeurteilte Tat begangen zu haben. Ferner hat der Angeklagte bestritten, die mit Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 02.12.2014 (Aktenzeichen 47 Js 145/14 65 Ls 39/14, BZR-Nr. 12) abgeurteilten Taten begangen zu haben. Er und seine Lebensgefährtin seien unschuldig gewesen, und er habe die Tat nur eingeräumt, damit er eine mildere Strafe erhalte und seine Lebensgefährtin mit dem gemeinsamen, damals drei Monate alten Kind nicht in die JVA habe gehen müssen. Die Lebensgefährtin sei gar nicht am Tatort gewesen. Diese Behauptungen sind nach Auffassung der Kammer durch die in der Hauptverhandlung verlesenen, rechtskräftigen Vorstrafenurteile widerlegt, zumal der Angeklagte die der Verurteilung durch das Amtsgericht Paderborn zugrunde liegende Tatbegehung eingeräumt hatte.
1532.
154Die Feststellungen zum Vollzugsverlauf, insbesondere dazu, zu welcher Zeit in welcher JVA die Gesamtfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Bielefeld vom 14.06.2004 (3 Ns 65 Js 830/03 – L 2/04 III, BZR-Nr. 6), vom 06.08.2004 (35 Js 319/04 4 KLs L 2/14, BZR-Nr. 7) und vom 24.02.2005 (41 Js 862/04 1 KLs 862/04, BZR-Nr. 8) vollstreckt wurden, beruhen auf der Verlesung entsprechender Vollstreckungsübersichten und Austritts- bzw. Übernahmemitteilungen aus dem Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Bielefeld (35 Js 319/04 V). Soweit die Kammer Feststellungen zu den Austritten des Angeklagten aus der Haft zwecks Abschiebung am 20.11.2013 und 08.02.2017 getroffen hat, beruhen diese auf der Verlesung der entsprechenden Entlassungsmitteilungen aus dem vorgenannten Vollstreckungsheft. Die Feststellungen zu den aus der Haft erfolgten Abschiebungen beruhen ferner – soweit es die Haftentlassung vom 20.11.2013 betrifft – auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Ausweisungsbescheid mit Abschiebungsandrohung des Ausländeramtes der Städteregion Aachen vom 11.06.2012 und im Übrigen auf den verlesenen Verfügungen der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 08.05.2013, mit welchem die zuständige Rechtspflegerin mitteilte, dass die Abschiebung zum gemeinsamen 2/3-Termin am 19.11.2013 beabsichtigt sei, und 30.03.2016 (geplante Abschiebung zum nächstmöglichen Zeitpunkt), die jeweils Akteninhalt des vorgenannten Vollstreckungsheftes der Staatsanwaltschaft Bielefeld sind.
155Die Feststellungen der Kammer zu während des Strafvollzugs begangenen Straftaten des Angeklagten einschließlich der Festnahmen vom 24.02.2014 und 06.09.2017 beruhen auf der Verlesung der hierzu ergangenen Urteile aus den Vorstrafenakten mit den BZR-Nummern 10 bis 14. Die Feststellungen zum Fluchtversuch des Angeklagten vom 05.10.2014 einschließlich des Durchsägens des Haftraumgitters in der JVA Aachen (Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 27.01.2015, 2 Js 1543/14 448 Cs 28/15, BZR-Nr. 13) beruhen zudem auf der glaubhaften Aussage des Zeugen EB., der ab dem Wiedereintritt des Angeklagten in die JVA Aachen am 07.09.2014 für diesen als Vollzugsbeamter zuständig war. Dass der Angeklagte in der Zeit vom 10.05.2011 bis zum 20.11.2013 während seines Aufenthaltes in der JVA Aachen fast durchgängig Sicherungsmaßnahmen unterlag und in dieser Zeit acht Disziplinarmaßnahmen gegen ihn verhängt wurden, hat die Kammer auf Grundlage der glaubhaften Aussage des Zeugen JG. festgestellt, der ab dem 15.07.2011 für den Angeklagten als Sozialarbeiter tätig war.
156Die Feststellungen zum Beschluss der Vollstreckungskammer das Landgerichts Wuppertal vom 29.12.2016 (Aktenzeichen 22 StVK 462/16 (35 Js 319/04 V StA Bielefeld) und 22 StVK 463/16 (41 Js 862/04 V StA Bielefeld)) beruhen auf dessen Verlesung, die Feststellungen zur Antragsrücknahme des Angeklagten im Anhörungstermin vor der 33. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 22.05.2020 (Aktenzeichen 33h StVK 652/19) beruhen auf der auszugsweisen Verlesung des Anhörungsprotokolls und der Bestätigung des Inhalts durch den Angeklagten.
157Die Feststellungen zum Vollzugsverhalten des Angeklagten in der JVA Aachen ab dem 07.09.2017 einschließlich seiner Teilnahme an der Spielsuchtgruppe, der Gruppe „Umgang mit Gewalt“ und einer schulischen Maßnahme beruhen auf den übereinstimmenden Aussagen der Zeugin DS., der in dieser Zeit für ihn zuständigen Sozialarbeiterin und der Zeugin GR., einer der zuständigen Psychologin der Justizvollzugsanstalt Aachen. Die Feststellungen zum Inhalt des Gutachtens der sachverständigen Zeugin IO. vom 16.01.2020 beruhen auf der Vernehmung der Zeugin IO., in der Rahmen die Kammer ihr das Gutachten vorgehalten hat.
1582.
159Die Feststellungen zur Sache beruhen auf den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen, insbesondere auf den Aussagen der Geschädigten FK. und VN. HW. sowie dem von der DNA-Sachverständigen Dr. ZK. erstatteten Gutachten. Im Einzelnen:
160a)
161Der Angeklagte hat sich zunächst im Rahmen der Hauptverhandlung schweigend verteidigt. Zuvor hatte er anlässlich des Haftprüfungstermins am 27.05.2022, dessen Protokoll die Kammer im Einverständnis aller gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO verlesen hat, über seinen Verteidiger erklären lassen, dass er mit der ihm vorgeworfenen Tat nichts zu tun habe.
162In einer von ihm persönlich in der Hauptverhandlung verlesenen Erklärung vom 11.08.2022 hat der Angeklagte ausgeführt, es erscheine „absolut nicht fernliegend, dass der Zeuge ZD. SK. unzutreffende Angaben bezüglich der Schäden in Ansatz gebracht hat und diese in das Gutachten des Sachverständigenbüro Dr. PM. eingeflossen sind, wobei zu prüfen wäre, ob kollusives Zusammenwirken gegeben“ sei. Auch sei zu prüfen, ob ein vermutlicher Versicherungsbetrug stattgefunden habe und ob es sich um eine vorgetäuschte Straftat handele.
163In seinem letzten Wort am 13. Hauptverhandlungstag hat er ausgeführt, er sei unschuldig.
164Er habe Zweifel an der durchgeführten Spurensicherung hinsichtlich der Fingernagel der Geschädigten HW., da der Zeuge PC.. nicht die entsprechenden Vorschriften beachtet habe. Daher sei die am Tatort gesicherte DNA nicht verwertbar. Es sei nicht auszuschließen, dass auf der Schere schon vorher die DNA gewesen sei oder die Schere mit einer Maske oder Kleidung, die früher einmal ihm gehört haben könnte, in Kontakt gekommen sein könnte. Wenn diese Zweifel für das Gericht nicht ausreichen würden, müsse man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die DNA durch eine Corona-Virus-Maske des Angeklagten an den Tatort gelangt sei. Der Täter Nummer 2 hätte die Maske dann wahrscheinlich vor dem Anziehen umgedreht, damit er nicht mit Corona-Viren in Berührung komme. Auf diese Weise könnte seine – des Angeklagten – DNA unter den Fingernagel des Geschädigten HW. gekommen sein. Dass die Spuren des wahren Täters durch die Maske durchgegangen seien, sei unwahrscheinlich. Es könne aber auch so gewesen sein, dass er einen befreundeten Sportkollegen mit einer Umarmung oder dergestalt verabschiedet habe, dass er seine geschwitzte Hand auf saubere Kleidung des Kollegen gelegt habe, wodurch ebenfalls DNA auf diese Person hätte übertragen werden können. Der Täter hätte am Tatort diese Kleidung mit der DNA des Angeklagten darauf getragen haben können. Die Geschädigten hätten auch ausgesagt, dass der zweite Täter 1,70 Meter groß und im Alter Mitte 20 gewesen sei, was auf ihn nicht zutreffe, daher größer und älter sei. Im Gerichtssaal habe der Geschädigte HW. zudem gesagt, dass er ihn nicht wiedererkenne, obwohl der Geschädigte ausgesagt habe, er habe einem Täter die Maske heruntergerissen. Soweit er ein Phantombild mit einem maskierten Täter gezeichnet habe, könne er bei der Polizei auch noch vom Tatgeschehen benommen gewesen sein. Vielleicht habe der Täter Nummer 2 die Maske aber auch wieder angezogen. Polizei und Staatsanwaltschaft hätten schließlich sein Smartphone nicht darauf hin überprüft, wo er zur Tatzeit gewesen sei – was er selbst nicht wisse –, so dass auch dies ein ihn entlastendes Indiz sei. Dass er den gesondert Verfolgten WB. kenne, treffe zu, er sei aber weder für ihn noch für weitere „zigtausend Exkriminelle“ verantwortlich.
165b)
166Die Einlassung des Angeklagten ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Vielmehr steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Angeklagte die angeklagte Tat am 18.01.2021 gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten WB. und einem weiteren, unbekannt gebliebenen Mittäter so wie festgestellt begangen hat.
167aa)
168Den äußeren Tathergang hat zunächst die Geschädigte HW. – so wie von der Kammer festgestellt – wiedergegeben. Sie hat insbesondere bekundet, dass die Täter gegen 18:45 Uhr das Haus betreten hätten, wobei sie die Haustüre geöffnet habe, weil sie den „ersten Täter“ (also denjenigen, der als erster das Haus betrat) aufgrund der Jacke und des bei sich geführten Paketes für einen Paketboten der Firma Hermes gehalten habe. Zwischen diesem ersten Täter und ihr sei es im Hausflur zu einem Handgemenge gekommen, in dessen Verlauf sie ihn in die Hand gebissen habe. Erst als der zweite Täter, der kurz nach dem ersten ins Haus gekommen sei und mit ihrem Ehemann gerangelt habe, damit gedroht habe, beide zu erschießen, hätten sie und ihr Ehemann den Widerstand aufgegeben und seien sodann gefesselt worden. Im Wohnzimmer hätten die Täter ihrem Mann einen Katzentunnel über den Kopf gezogen und ihr eine Decke übergeworfen. Derweil sei der dritte Täter ins Haus gekommen, sofort nach oben in die Galerie gegangen und habe mit der Suche nach Wertgegenständen begonnen. Den habe sie nur ganz kurz wahrgenommen und gesehen, dass er größer und schwerer als die ersten zwei Täter gewesen sei. Dies habe man auch an den schweren Schritten auf der Galerie hören können. Während dessen habe der erste Täter, der Wortführer gewesen sei, nach dem Standort des Tresors gefragt, worauf ihr Ehemann aber den Standort nicht habe preisgeben wollen. Erst, als einer der Täter – der Wortführer – die Klinge des Messers für sie spürbar an ihren kleinen Finger gesetzt und ihren Ehemann gefragt habe: „Liebst Du Deine Frau?“, habe dieser den Standort des Tresors freigegeben, woraufhin die Täter die Wertgegenstände aus dem Tresor genommen hätten. Danach seien sie und ihr Ehemann wie festgestellt mit Desinfektionsmittel übergossen bzw. ihre Fingernägel mit einer Zahnbürste gereinigt und ihr Mund ausgespült worden, wobei sie gedacht habe, jetzt würde sie angezündet. Als sie in den Poolraum gebracht worden seien und ihr Ehemann keine Luft mehr bekommen habe, habe sie Angst gehabt, dass dieser ersticke. Dass der Überfall insgesamt etwa eine halbe Stunde gedauert habe, könne sie anhand der Videoaufnahmen der Türkamera, die sie sich nach der Tat mit der Polizei angeschaut habe, und des Beginns des Nachrichtenverkehrs in einer aus Nachbarn bestehenden Whatsapp-Gruppe rekonstruieren, der unmittelbar gestartet sei, nachdem sie in der Nachbarschaft um Hilfe gebeten habe.
169Denjenigen Täter, der als erster in das Haus gekommen sei und die Hermes-Jacke angehabt habe („erster Täter“) hat die Geschädigte HW. so beschrieben, dass dieser längere, bis zum Kinn reichende blonde Haare gehabt habe, was sie als „Prinz-Eisenherz-Frisur“ beschrieb. Er sei normal gebaut gewesen, minimal größer als sie selbst – die Zeugin ist nach ihrer Aussage 168 cm groß –, aber kleiner als die anderen Täter. Der Täter, der mit ihrem Ehemann gekämpft habe („zweiter Täter“) sei etwas größer gewesen als der erste, aber auch „kein großer Mensch“, und schmal. Zudem habe dieser Täter eine Maske getragen. Am Tag nach der Tat habe die Zeugin in Beisein des Zeugen KHK VI. – wie dieser bestätigte – ein Phantombild des „ersten Täters“ angefertigt.
170Die Geschädigte HW. bekundete ferner, dass sie und ihr Ehemann unmittelbar nach der Tat die Kontaktdaten des Weißen Ringes erhalten hätten und über diesen eine therapeutische Sitzung vermittelt worden sei. Dort sei sie sechsmal gewesen, das habe ihr aber nicht sehr geholfen. Bis heute, wenn sie im Haus sei, könne sie sich nicht frei bewegen trotz der getroffenen Sicherheitsvorkehrungen. Wenn sie alleine im Haus sei, sei an Schlaf nicht zu denken. Sie schaue dann nachts häufiger mit der Taschenlampe nach, ob jemand im Haus sei. Wenn es klingele, gingen ihr die Nackenhaare hoch und sie habe Angst. Kein Tag sei für sie wie früher.
171Nach der Tat seien ihr noch im Haus die Fingernägel von zwei Kripobeamten mit einer Nagelschere abgeschnitten worden, wobei sie sich zwar daran erinnern könne, dass sie auf Bitten der Beamten eine solche geholt habe, nicht aber, ob diese auch eine eigene Schere dabei gehabt hätten. Der Beamte habe die Fingernägel, die er so kurz geschnitten habe, dass es sie geschmerzt habe, direkt in Tütchen verpackt.
172Die Aussage der Geschädigten HW. hält die Kammer für uneingeschränkt glaubhaft. Sie konnte den Tathergang detailliert, schlüssig und in sich widerspruchsfrei wiedergeben. Eine Belastungstendenz konnte die Kammer nicht erkennen; auch wenn der Zeugin anzumerken war, dass die Tat sie noch immer sehr mitnimmt und sie mehrfach – insbesondere bei Beschreibung der Tatfolgen – weinen musste, war sie erkennbar darum bemüht, den Tathergang ohne Übertreibungen zu schildern. Ihre Aussage vor der Kammer deckte sich dabei in allen wesentlichen Punkten mit ihrer Aussage, die sie gegenüber dem Zeugen PK LK. unmittelbar nach der Tat und gegenüber der Polizeibeamten KHKin NF. am Folgetag getätigt hat; diese Aussagen hat die Kammer der Zeugin in der Hauptverhandlung vorgehalten und der Zeuge PK LK. schilderte glaubhaft, wie und er mit welchem Inhalt – namentlich dem festgestellten – er die Zeugin am Tattag in deren Haus vernommen hat.
173Insbesondere deckt sich die Aussage der Geschädigte HW. zum Tatablauf weit überwiegend mit der nachfolgend dargestellten Aussagen des Geschädigten HW., der den äußeren Tathergang ebenfalls wie von der Kammer festgestellt schilderte:
174Der Geschädigte bekundete, dass es ihm am Tattag gesundheitlich nicht so gut gegangen sei, er daher in der Küche in einem Sessel geschlafen habe und durch die Schreie seiner Frau bzw. das Rücken von Möbeln im Flur wachgeworden sei. Er sei dann sofort in den Flur gelaufen, habe das Gerangel gesehen und sich dann auf den „zweiten Täter“ gestürzt, den er in den Schwitzkasten nehmen und auf den Boden habe stoßen können. Dieser habe ihm dann aber eine Pistole ins Gesicht gehalten und gesagt: „Hört auf, sonst knalle ich Euch ab“, worauf der Zeuge seinen Widerstand aufgegeben habe. Er habe dann nach der Fesselung durch die Täter permanent den Katzentunnel über dem Kopf gehabt, weshalb er kaum habe atmen können, was er den Tätern mitgeteilt habe; hierzu hat der Zeuge bekundet, dass er ohnehin krankheitsbedingt eine schlechte Sauerstoffsättigung habe, so dass er zum Schlafen ein Beatmungsgerät benutzen müsse. Den Standort des Tresors habe er erst preisgegeben, als einer der Täter – der Wortführer – damit gedroht habe, seiner Frau den Finger abzuschneiden; vorherige, gegen ihn gerichtete Drohungen habe er noch nicht so ernst genommen, ihn jedenfalls nicht dazu veranlasst, den Tätern den Standort des Tresors zu verraten. Als er – nach Öffnung und Leerung des Tresors – gefragt worden sei, wo das weitere Geld sei, habe er bemerkt, dass die Täter nervöser geworden seien und nun selbst Todesangst bekommen, zumal er und seine Ehefrau „desinfiziert“ worden seien. In diesem Moment habe er geglaubt, dass ihn die Täter nun anzünden wollten. Auch die Drohung, ihn gefesselt in den Pool zu werfen, habe er sehr ernst genommen, zumal er zu diesem Zeitpunkt mit der zusätzlichen Decke über dem Kopf auf dem Rücken liegend, gefühlt gar keine Luft mehr bekommen habe.
175Zur Person des „zweiten Täters“ hat der Geschädigte HW. zunächst bekundet, er habe sich diesen „frontal angeschaut“, weil diesem – da sei sich der Zeuge sicher – die Maske während des Kampfes mit ihm herunter gerutscht sei. Es habe sich um einen „kleinen, dürren, hässlichen Mann“ gehandelt, der kleiner als er gewesen sei. Der andere Täter, der auf den Videoaufnahmen der Haustürkamera zu sehen gewesen sei, sei die ganze Zeit mit der Überwältigung seiner Ehefrau beschäftigt gewesen; bei diesem Täter habe es sich auch um den Wortführer gehandelt. Bei Betrachtung des Angeklagten in der Hauptverhandlung bekundete der Zeuge, diesen habe er noch nie gesehen. Der Täter, gegen den er gekämpft habe und dem die Maske heruntergerutscht sei, habe „ausgesehen wie Prinz Eisenherz“. Die Kammer hat daraufhin dem Geschädigten HW. das Phantombild vorgehalten und in Augenschein genommen, dass der ebenfalls von der Kammer vernommene Zeuge KHK KQ. nach Anleitung durch den Geschädigten HW. am 21.01.2021 angefertigt hatte. Hierbei handelte es sich nach der Aussage des Geschädigten HW. und eines in der Hauptverhandlung verlesenen Vermerkes des Ermittlungsleiters der Polizei, KHK YR., um das Phantombild, dass der Geschädigte HW. von demjenigen Täter angefertigt hat, mit dem er zu Beginn des Überfalls die körperliche Auseinandersetzung hatte und der als Zweiter in das Haus gekommen sei. Auf den konkreten Vorhalt, dass er diesen Täter bei Erstellung und des Phantombildes als mit einem dunklen Mund-Nasen-Schutz maskiert und nicht mit einer „Prinz-Eisenherz-Frisur“ , sondern mit einer dunklen Kopfbedeckung beschrieben hatte, gab der Zeuge an, dass er jetzt „irgendein Durcheinander im Kopf“ habe. Da seine Erinnerung am Tage der Phantombilderstellung aber noch frisch gewesen sei, werde es so gewesen sein, dass der „zweite Täter“ eine Maske aufgehabt und keine „Prinz-Eisenherz-Frisur“ gehabt habe. Den „dritten Täter“ habe der Geschädigte gehört, als dieser das Haus betreten habe und die Treppe zur Galerie „wie eine Dampfwalze“ hochgegangen sei; auch auf den Videoaufzeichnungen der Türkamera, die er sich ebenfalls angeschaut habe, sei eine dritte Person erkennbar gewesen.
176Ferner hat der Geschädigte HW. zunächst bekundet, dass nur die Fingernägel seiner Frau im Rahmen der Spurensicherung abgeschnitten worden seien, von ihm habe die Polizei lediglich ein Lichtbild gefertigt; ihm seien keine Fingernägel abgeknipst worden. Auf Vorhalt der Aussage der Geschädigten HW. und des Zeugen KW., wonach beiden Geschädigten die Fingernägel abgeschnitten worden seien, gab der Geschädigte HW. an, das könne alles sein, er habe da jetzt einen „Filmriss“.
177Zu den Tatfolgen hat der Geschädigte HW. angegeben, dass die Kabelbinder so eng gebunden gewesen seien, dass er am nächsten Tag neben der Rötung der Stellen noch ein Kribbeln in den Fingern verspürt habe. Einen seiner Mittelfinger habe er nicht mehr richtig bewegen können, was Folge des Sturzes bei dem Kampf gewesen sein könne, aber auch Folge eines von einem Arzt diagnostizierten „Knickfingers“, wegen dessen er auch später operiert worden sei. An den Handgelenken habe er aufgrund des Einsatzes des Kabelbinders noch heute Probleme. Er habe die Tat nach seiner Einschätzung besser verkraftet als seine Ehefrau, wobei sich auch sein Leben verändert habe, weshalb er das Haus sicherheitstechnisch aufgerüstet habe. Schlafprobleme habe er noch und manchmal träume er von der Tat. Der Hauptverhandlungstermin habe ihn auch noch einmal aufgewühlt. Auch auf die Kammer machte der Geschädigte HW. – wie die vorstehend dargestellten Erinnerungslücken rund um die Person des von ihm beschriebenen Täters und um das Abschneiden der Fingernägel belegen – einen immer noch mitgenommenen Eindruck.
178Auch die Aussage des Geschädigten HW. hält die Kammer für glaubhaft. Er konnte den Tathergang in weiten Teilen detailliert und schlüssig wiedergeben. Eine Belastungstendenz konnte die Kammer nicht erkennen; auch der Zeuge war ersichtlich bemüht, den Tathergang ohne Übertreibungen zu schildern. Er relativierte die Tatfolgen sogar dahin, dass er angab, seine operationsbedürftige Verletzung am Finger könne auch auf seinem „Knickfinger“ beruhen. Er gab darüber hinaus an, dass die von ihm geschilderten Atemprobleme während der Tatbegehung auch auf seiner diesbezüglichen Vorerkrankung beruhen. Der Zeuge war ferner bemüht, die psychischen Tatfolgen zu relativieren. Auch seine Aussage vor der Kammer deckte sich in wesentlichen Punkten mit seiner Aussage, die er gegenüber dem Zeugen PK LK. unmittelbar nach der Tat und gegenüber der Polizeibeamten KKin PW. am Folgetag getätigt hat; diese Aussagen hat die Kammer dem Zeugen in der Hauptverhandlung vorgehalten und der Zeuge PK LK. schilderte ebenfalls glaubhaft, wie und mit welchem Inhalt er den Zeugen am Tattag vernommen hat.
179Soweit der Zeuge abweichend hiervon zunächst angegeben hat, dass dem „zweiten Täter“ die Maske verrutscht sei und dieser eine „Prinz-Eisenherz-Frisur“ gehabt habe, handelte es sich hierbei ersichtlich um eine Verwechslung. Er hat dies auf den Vorhalt der Kammer unter Bezugnahme auf das gezeichnete Phantombild klargestellt, indem er bekundete, am Tag der Zeichnung sei seine Erinnerung noch ganz frisch gewesen. Diese Unsicherheit ist – ebenfalls die nicht mehr vorhandene Erinnerung an das Abschneiden der Fingernägel – auf eine erkennbare Nervosität des Geschädigten HW., der die Tat nach Einschätzung der Kammer noch nicht vollständig psychisch verarbeitet hat, anlässlich seiner Vernehmung im Gerichtssaal zurückzuführen. Die von ihm „klargestellte“ Täterbeschreibung deckt sich jedenfalls mit der Täterbeschreibung durch die Geschädigte HW., dem von ihm gezeichneten Phantombild und seinen Angaben gegenüber dem Zeugen PK LK. am Tattag, so dass die Kammer keine Zweifel hat, dass der „zweite Täter“ während der Tat einen Mundschutz trug (wie auf dem Phantombild beschrieben) und keine „Prinz-Eisenherz-Frisur“ oder eine entsprechende Perücke, sondern lediglich eine dunkle Kopfbedeckung trug.
180Die Feststellungen zum Umfang der Tatbeute beruhen auf den auch insoweit uneingeschränkt glaubhaften Aussagen der Geschädigten HW.. Diese haben dazu, welche Gegenstände der Angeklagte, WB. und der unbekannte dritte Mittäter mitgenommen haben, wie festgestellt bekundet. Soweit der Angeklagte hierbei in der am 11.08.2022 verlesenen Erklärung seine Zweifel vorgetragen und von einem „möglichen Versicherungsbetrug“ unter Beteiligung des Zeugen SK. gesprochen hat, hält die Kammer dies für eine Schutzbehauptung des Angeklagten, die widerlegt ist. Die Geschädigten haben bereits anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung unmittelbar nach der Tat – also noch am Tattag – einen Großteil der entwendeten Gegenstände einschließlich Goldbarren und –münzen sowie des Bargeldes benannt. Der Zeuge PK LK. hat hierzu unter Vorhalt der von ihm gefertigten Strafanzeige bekundet, dass die Geschädigten unter anderem den mit Brillanten besetzten Ehering der Geschädigten HW., die Goldbarren und Goldmünzen, den Ohrschmuck, die Uhren Rolex Deepsea, GMT Master und Yachtmaster Gold, eine grüne Uhr der Marke Rolex sowie diverse Geldbörsen und Bargeld in Höhe von ca. 5.400 € als fehlend angegeben haben. Zudem hat die Kammer keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass und aus welchen Gründen die Geschädigten HW. gegenüber ihrer Hausratsversicherung unrichtige Angaben machen sollten.
181Den Zeugen SK. hat die Kammer auf den Antrag des Angeklagten hin vernommen. Dieser hat aber lediglich bekundet, dass er den Geschädigten als für sie tätiger Versicherungsmakler bei der Schadensaufstellung für die Hausratversicherung geholfen habe, indem er von ihnen die Schadenspositionen aufgenommen und an die Versicherung weitergeleitet habe. Angaben zu einem möglichen Versicherungsbetrug der Geschädigten hat er nicht gemacht.
182Zum Wert der Tatbeute hat die Kammer den sachverständigen Zeugen Dr. PM. vernommen. Dieser ist als Sachverständiger für hochwertige Hausratsversicherungsschäden mit der Ermittlung des Wertes von Wertgegenständen regelmäßig vertraut und hat am 22.02.2021 auch für die Hausratversicherung der Geschädigten ein schriftliches Gutachten über die Höhe des anlässlich der Tat entstandenen Schadens an Hausrat und Wertsachen erstattet. Dabei hat er den Wert der von den Geschädigten angegeben Tatbeute wie folgt ermittelt:
183- Bargeld im Wert von 5.620 € (Angaben der Geschädigten)
184- Armbanduhren der Marke Rolex, Modelle Oyster Perpetual GMT-Master im Wert von mindestens 9.000 €, Oyster Perpetual Sea-Dweller Deepsea im Wert von mindestens 12.100 €, Oyster Perpetual Yacht-Master II im Wert von mindestens 40.700 €, Oyster Perpetual GMT Master II im Wert von mindestens 13.500 €
185- Armbanduhren der Marken Panerai, Modell Luminor GMT im Wert von mindestens 7.300 €, Raymond Weil im Wert von mindestens 1.950 € und Ingersoll im Wert mindestens 350 €
186- zwei Goldbarren im Wert von insgesamt 9.955 €
187- drei Goldmünzen „Nugget“ im Wert von insgesamt 4.735 €, eine Goldmünze „Unesco Welterbe – Kloster Lorch“ im Wert von 794 € und zwei Goldmünzen „Krügerrand“ im Wert von insgesamt 3.157 €
188- ein Damenring (Ehering) im Wert von mindestens 10.185 €, ein Paar Ohrstecker im Wert von mindestens 1.000 €, zwei weitere Paar Ohrstecker im Wert von jeweils mindestens 1.800 €, Modeschmuck im Wert von mindestens 500 €
189- eine Damenbrieftasche der Marke Hermés im Wert von mindestens 2.180 €
190- eine Gürtelschließe der Marke Hermès im Wert von mindestens 695 €
191- eine Kosmetiktasche der Marke Louis Vuitton im Wert von mindestens 375 €
192- ein Schlüsselanhänger der Marke Mercedes Benz im Wert von mindestens 50,00 €
193- eine Herrenbrieftasche der Marke Montblanc im Wert von mindestens 340 €
194Diese Werte hält die Kammer aufgrund der Expertise des sachverständigen Zeugen für nachvollziehbar. Der Zeuge erläuterte die Höhe jeder einzelnen Schadensposition plausibel und überzeugend, insbesondere den Wert der Schmuckgegenstände und Uhren. Von den für die Armbanduhren ermittelten Werten hat die Kammer zugunsten des Angeklagten zum Ausgleich jeglichen Schätzrisikos gleichwohl einen Abschlag von 10 % vorgenommen, von der Uhr „Ingersoll“ sogar 50 %, weil es sich bei dieser Uhr lediglich um einen Gebrauchsgegenstand handelt, während die übrigen Uhren nach Angaben des sachverständigen Zeugen aufgrund eines vorhandenen Sekundärmarktes wertstabil oder sogar wertsteigernd sind. Auch von den für den Damenschmuck der Geschädigten HW. ermittelten Werten hat die Kammer zugunsten des Angeklagten einen Sicherheitsabschlag von 10 % vorgenommen. Von den Werten der Gebrauchsgegenstände (Damen- und Herrenbrieftasche, Gürtelschließe, Kosmetiktasche, Schlüsselanhänger) hat die Kammer einen Sicherheitsabschlag von 50 % vorgenommen. Den Wert der Goldbarren und –münzen ermittelte der sachverständige Zeuge anhand von Gewicht und seinerzeitigem Tageskurs, so dass die Kammer insoweit die von ihm ermittelten Werte zugrunde gelegt hat. Er räumte zwar ein, lediglich anhand der ihm vorgelegten Lichtbilder naturgemäß keine Angaben über die Echtheit des Goldes machen zu können; die Kammer hält es aber für lebensfern, dass die Geschädigten Goldimitate im Tresor gelagert haben.
195bb)
196Dass es sich bei dem von den Geschädigten HW. beschriebenen „ersten Täter“ (der zu Beginn des Überfalls mit der Geschädigten HW. rangelte und den diese biss) um den gesondert Verfolgten WB. und bei dem „zweiten Täter“ (der eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Geschädigten HW. hatte) um den Angeklagten handelte, steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der an den Fingernägeln der Zeugen bzw. an dem im Poolbereich sichergestellten Kabelbinder festgestellten DNA-Spuren fest. Die DNA-Spuren an den Fingernägeln des rechten Ring- und Zeigefingers der Geschädigten HW. sowie an dem im Poolbereich sichergestellten Kabelbinder sind dem gesondert Verfolgten WB. zuzuordnen, diejenigen am Fingernagel des linken Mittelfingers des Geschädigten HW. dem Angeklagten. Die vorgenannten DNA-Spuren lassen aus Sicht der Kammer einzig den Schluss zu, dass die Zeugen – wie von diesen bekundet – zu Beginn des Überfalls eine körperliche Auseinandersetzung mit WB. bzw. dem Angeklagten hatten und diese die Tat – gemeinsamen mit dem unbekannt gebliebenen dritten Täter – begangen haben. Im Einzelnen:
197aaa)
198Vorbemerkung: Soweit die nachfolgend genannten Spuren nummeriert sind, ist hierzu klarstellend anzumerken, dass es sich um diejenigen Asservaten-Nummern handelt, mit denen der Polizeibeamte KHK FR. die an das LKA Nordrhein-Westfalen übersandten Asservate in seinem Antrag auf Erstellung eines Behördengutachtens vom 21.01.2021, der durch die Kammer in der Hauptverhandlung verlesen wurde, versehen hat. Die Sachverständige hat den Asservaten nach ihrer Aussage in der Hauptverhandlung zur internen Bearbeitung hiervon abweichende Nummern zugeordnet, nämlich für die Spur 09 (Kabelbinder Pool) die Nummer 9.1, für die Spur 18.2 (Fingernagel Ringfinger rechts der Geschädigten HW.) die Nummer 19.1, für die Spur 18.4 (Fingernagel Zeigefinger rechts der Geschädigten HW.) die Nummer 21.1 und für die Spur 19.3 (Fingernagel Mittelfinger links des Geschädigten HW.) die Nummer 30.1. Nachfolgend verwendet die Kammer durchgehend die von KHK FR. vergebenen Asservatennummern.
199(1)
200Dass die an den Fingernägeln der Geschädigten bzw. dem Kabelbinder im Poolbereich gefundenen DNA-Spuren wie dargestellt WB. und dem Angeklagten zuzuordnen sind, steht aufgrund des mündlich erstatteten Gutachtens der Sachverständigen Dr. ZK. fest. Diese sei nach ihrer Aussage in der Hauptverhandlung als für das LKA Nordrhein-Westfalen tätige Behördengutachterin mit der molekulargenetischen Untersuchung am Tatort gesicherter Abriebe, Gegenstände (zur Fesselung verwendete Kabelbinder, diverser Alkohol- und Desinfektionsmittelflaschen, Absaugproben von Kleidungstücken und der den Geschädigten übergestülpten Wolldecken) und der abgeschnittenen Fingernägel der Geschädigten sowie deren Vergleichsspeichelprobe beauftragt worden. Im PCR-Verfahren habe die Sachverständige bei der Untersuchung der Spur 18.2 (Fingernagel Ringfinger rechts der Geschädigten HW.) DNA-Merkmale der Geschädigten sowie einer bis dahin unbekannten „Person A“ ermittelt, bei der Untersuchung der Spur 18.4 (Fingernagel Zeigefinger rechts der Geschädigten HW.) einen überwiegenden Anteil von DNA-Merkmalen der Geschädigten HW. und eine Beimengung von Spuren der „Person A“. An einem der im Poolbereich sichergestellten Kabelbinder (Spur 09) seien nach dem vorgenannten Verfahren DNA-Merkmale des Geschädigten HW. und der „Person A“ ermittelt worden. An dem Fingernagel des Mittelfingers der linken Hand des Geschädigten HW. (Spur 19.3) habe die Sachverständige DNA-Merkmale des Geschädigten selbst sowie einer männlichen „Person B“ ermittelt. Sowohl bei den festgestellten DNA–Merkmalen der „Person A“ als auch bei der „Person B“, seien die Spuren so ausgeprägt vorhanden gewesen, dass jeweils ein DAD–Bogen mit sämtlichen 16 DNA–Allelen habe erstellt werden können. An Zigarettenresten, die von Polizeibeamten am Fahrbahnrand oberhalb des Anwesens der Geschädigten aufgrund von Zeugen angegebener verdächtiger Beobachtungen sichergestellt worden waren (Spuren 21 bis 23), habe die Sachverständige DNA-Merkmale einer unbekannten „Person C“ und einer unbekannten „Person D“ ermittelt. Mit einem Absaugfilter von einer Wolldecke der Geschädigten extrahierte DNA weise Merkmale beider Geschädigten auf, an allen übrigen Abrieben, Fingernagelspuren und Absaugfiltern habe die Sachverständige keine Fremd-DNA ermitteln können.
201Ausweislich des vom LKA Nordrhein-Westfalen am 24.06.2021 erstellten Auszuges aus der DNA-Analyse-Datei DAD, den die Kammer in der Hauptverhandlung verlesen hat, stimmten die am Fingernagel der linken Hand des Geschädigten ermittelten DNA-Merkmale mit denjenigen überein, die zu dem Angeklagten am 22.10.2004 in die DAD eingestellt wurden. Ausweislich eines weiteren, am 24.06.2021 erstellten Auszuges aus der DAD, den die Kammer ebenfalls in der Hauptverhandlung verlesen hat, stimmten die am „Fingernagel der rechten Hand der Geschädigten HW.“ (Bezeichnung im DAD-Auszug) ermittelten DNA-Merkmale mit einer DNA-Spur an einer Wasserflasche überein, als deren Verursacher der gesondert Verfolgte WB. in Verdacht stand.
202Aufgrund eines weiteren Gutachtenauftrages vom 17.06.2022 habe die Sachverständige Dr. ZK. nach ihrer Aussage sodann eine Vergleichsspeichelprobe des gesondert Verfolgten WB., welche diesem auf Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts Köln vom 05.05.2022 (Aktenzeichen 506 Gs 1216/22) abgenommen worden war, mit der in den Spuren 09 (Kabelbinder Poolbereich),18.2 (Fingernagel Ringfinger rechts der Geschädigten HW.) und 18.4 (Fingernagel Zeigefinger rechts der Geschädigten HW.) vorhandenen DNA verglichen und dabei festgestellt, dass diese in allen 16 Merkmalssystemen (Allelen) übereinstimmten.
203Biostatistisch bedeute die vorgenannte Übereinstimmung der von der Sachverständigen ermittelten DNA-Merkmale in der Spur 19.3 (Fingernagel des Geschädigten HW.) mit den für den Angeklagten in die DAD eingestellten DNA-Merkmalen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die in der Spur 19.3 festgestellte DNA dem Angeklagten zuzuordnen sei („Hypothese A“), mehr als 30 Milliarden Mal höher sei als diejenige, dass sie einer unbekannten, mit dem Angeklagten nicht blutsverwandten Person („Hypothese B“) zugeordnet werden könne. Damit bestünden aus gutachterlicher Sicht keine berechtigten Zweifel daran, dass in der Spur 19.3 ein Gemisch von Zellen des Geschädigten und des Angeklagten vorgelegen habe. Dabei sei es unerheblich, dass der Auszug aus der DAD lediglich 8 DNA-Merkmalssysteme wiedergebe. Als der DAD-Meldebogen für den Angeklagten im Jahr 2004 erstellt wurde, sei es wissenschaftlicher Standard gewesen, lediglich acht DNA-Merkmalspaare zu ermitteln und in den Meldebogen aufzunehmen. Allerdings bestehe auch schon bei acht übereinstimmenden Merkmalspaaren eine biostatistische Wahrscheinlichkeit von 30 Milliarden zu 1 für das Vorliegen der Hypothese A. Lägen – wie bei den übereinstimmenden Proben zu den Spuren 09, 18.2 und 18.4 und der Vergleichsspeichelprobe des WB. – 16 übereinstimmende Merkmalspaare vor, ergäbe dies Wahrscheinlichkeiten im Bereich von „10 hoch 15 zu 1“. Aus den genannten Gründen bestünden nach Angaben der Sachverständigen aus gutachterlicher Sicht auch keine Zweifel, dass in den Spuren 09, 18.2 und 18.4 ein Gemisch aus DNA-Spuren der Geschädigten HW. (Fingernägel) bzw. des Geschädigten HW. (Kabelbinder) und des gesondert Verfolgten WB. vorgelegen habe.
204Die Sachverständige führte weiter aus, dass der Umstand, dass sie bei den vorgenannten DNA-Spuren jeweils einen kompletten Meldebogen aus 16 DNA-Merkmalspaaren habe erstellen können, nur darauf beruhen könne, dass eine erhebliche Menge an Zellmaterial in den Spuren vorhanden gewesen sein müsse, was wiederum nur den Schluss zulasse, dass die DNA jeweils bei einem intensiven Kontakt übertragen worden sei, beispielsweise durch ein Abschaben von Hautpartikeln oder ein Kratzen mit dem Fingernagel, ein „Ziehen“ am Finger (um einen Ring zu entfernen) oder durch sonstige Kampfhandlungen. Reines Händeschütteln oder Griffkontaktspuren könnten das Vorliegen von 16 nachweisbaren Merkmalspaaren grundsätzlich nicht erklären, weil solche Spuren erfahrungsgemäß lückenhaft seien. Auch die an dem Kabelbinder festgestellte DNA-Spur lasse sich nur mit einem intensiven Kontakt von Spurenträger und Kabelbinder erklären.
205Diese – uneingeschränkt nachvollziehbare und plausible – Schilderung der Sachverständigen lässt für die Kammer nur den Schluss zu, dass der Angeklagte Spurenüberträger der an dem Fingernagel des Geschädigten HW. sichergestellten DNA-Spur war, WB. Spurenüberträger der an den Fingernägeln der Geschädigten HW. und an dem Kabelbinder festgestellten DNA-Spuren. Da diese Spuren nur durch einen intensiven Kontakt übertragen werden konnten und die Geschädigten glaubhaft bekundet haben, weder den Angeklagten und/oder WB. zu kennen noch in den Tagen vor Tat Körperkontakt zu ihnen nicht bekannten Personen gehabt zu haben, ist es nach Auffassung der Kammer zwingend denklogisch, dass die DNA des Angeklagten und des gesondert verfolgten WB. anlässlich der zu Beginn des Überfalls stattgefundenen Kampfhandlungen auf die Fingernägel der Geschädigten übertragen wurden. Dies stimmt im Übrigen mit deren Schilderung des Tatgeschehens – so wie dargestellt – überein. Vor diesem Hintergrund hält es die Kammer für erwiesen, dass WB. der von den Geschädigten beschriebene „erste Täter“ und der Angeklagte der „zweite Täter“ ist.
206Die Kammer hat sich mit der Möglichkeit einer von den Verteidigern des Angeklagten und von diesem selbst in seinem letzten Wort eingewandten Möglichkeit einer Sekundärübertragung der DNA auseinandergesetzt. Eine solche Sekundärübertragung läge dann vor, wenn die von der Sachverständigen festgestellte DNA zunächst von dem Angeklagten auf eine dritte Person und dann von dieser an den Fingernagel des Geschädigten HW. übertragen worden wäre. Hierzu hat die Sachverständige Dr. ZK. nach Befragung durch die Verteidiger des Angeklagten ausgeführt, dass die Möglichkeit einer Sekundärübertragung wissenschaftlich zwar nie vollständig ausgeschlossen werden könne. Im vorliegenden Fall sei dies für sie aber „spurenkundlich unplausibel“, weil sie – wie dargestellt – dermaßen viel Zellmaterial sichergestellt habe, dass sie einen vollständigen DAD-Meldebogen mit 16 vorliegenden Merkmalspaaren habe erstellen können. Eine auf einer Sekundärübertragung beruhende DNA-Spur müsse man sich zum einen als schwache, unvollständige Spur mit deutlich weniger feststellbaren Merkmalspaaren vorstellen, da bei jeder einzelnen Übertragung Zellmaterial verloren gehe. Zum anderen wären bei einer Sekundarübertragung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch DNA-Merkmale der unbekannten Person, über welche die DNA „als Bote“ übertragen worden wäre, festgestellt worden, was vorliegend aber nicht der Fall sei; hierbei müsse man zudem berücksichtigen, dass – wie dargelegt – zwischen dem Spurenverursacher und dem Geschädigten HW. ein intensiver Kontakt vorgelegen haben müsse, bei dem auch die Übertragung der Fremd-DNA zu erwarten gewesen wäre. Aus den genannten, von der Sachverständigen nachvollziehbar und überzeugend dargestellten Gründen, hält die Kammer die Möglichkeit einer Sekundärübertragung – insbesondere auf den vom Angeklagten in seinem letzten Wort als „Hypothese“ dargestellten Wegen – für ausgeschlossen.
207Schließlich hat sich die Kammer mit der Frage einer Übertragung von DNA-Spuren durch die Verwendung der Nagelschere der Geschädigten HW. auseinandergesetzt. Selbst unterstellt, der Zeuge RBr PC.. hätte die von ihm zum Abschneiden der Fingernägel verwendete Nagelschere der Geschädigten HW. – wie von der Verteidigung des Angeklagten in den Raum gestellt – nicht ordnungsgemäß desinfiziert, würde dies nicht die festgestellten DNA-Spuren des Angeklagten und des gesondert Verfolgten WB. an den Fingernägeln beider Geschädigten erklärten. Denn auf diesen Vorhalt hat die Sachverständige ausgeführt, dass naturgemäß nicht ausgeschlossen werden könne, dass während der Durchführung der Beweissicherung DNA auf der Schere vorhanden gewesen sei. Allerdings sei auch dies bereits deshalb unplausibel, weil sie – wie dargestellt – an dem Fingernagel des Geschädigten HW. eine in allen 16 Merkmalssystemen vollständige DNA-Spur gesichert habe, während man bei einer Übertragung dieser Spur von der Nagelschere auf den Fingernagel eine unvollständige, nicht in allen Merkmalssystemen nachweisbare DNA-Spur erwarten würde. In einem solchen Szenario hätte schon „sehr viel“ DNA auf der Schere gewesen sein müssen, wobei man berücksichtigen müsse, dass bei einem Reinigen der Schere – selbst wenn die Schere dabei nicht vollständig desinfiziert würde – bereits so viel DNA verloren ginge, dass höchstwahrscheinlich bereits auf dieser keine vollständige DNA-Spur mehr vorhanden gewesen wäre (und damit auch erst recht nicht am Fingernagel des Geschädigten). Bereits aus diesen, von der Sachverständigen ebenfalls überzeugend und nachvollziehbar dargestellten Gründen hält die Kammer eine Übertragung der DNA von der vom Zeugen RBr PC.. bei der Spurensicherung benutzten Nagelschere auf die Fingernägel der Geschädigten für ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass es für das Vorhandensein der DNA des Angeklagten auf dieser Nagelschere keine denkbare Erklärung gäbe. Denn die Geschädigte HW. hat glaubhaft bekundet, dass es sich um eine nur von ihr verwendete Nagelschere aus ihrem Haushalt gehandelt habe, so dass es schlichtweg nicht erklärbar wäre, warum sich eine – in allen 16 Merkmalspaaren feststellbare – DNA-Spur des Angeklagten auf dieser Schere befinden und zu einer Sekundärübertragung von der Schere führen sollte. Ebenso wenig ließe sich bei Unterstellung dieser Hypothese erklären, wie die Übertragung einer so vollständigen DNA-Spur des Angeklagten an den Fingernagel des Geschädigten einerseits und einer ebenso vollständigen DNA–Spur des gesondert Verfolgten WB. an den Fingernägel der Geschädigten andererseits habe stattfinden sollen, ohne dass andere Fremdspuren festgestellt werden konnten.
208Sämtliche Ausführungen der Sachverständigen Dr. ZK., auf welche die Kammer ihre Überzeugungsbildung wie dargestellt stützt, waren überzeugend, nachvollziehbar und in sich denklogisch. Die Sachverständige ist – dies ist gerichtsbekannt – als Behördengutachterin des LKA Nordrhein-Westfalen seit langem mit der Erstellung von Gutachten aus dem Bereich der Serologie bzw. DNA-Analytik befasst und als Diplom-Biologin hierfür fachlich qualifiziert, so dass die Kammer keinen Anlass zu Zweifeln an ihren gutachterlichen Ausführungen zu erkennen vermag.
209Damit steht zur Überzeugung der Kammer bereits aus den genannten Gründen insgesamt fest, dass die an den Fingernägeln der Geschädigten HW. (Asservatennummern 18.2 und 18.4) bzw. an dem Kabelbinder (Asservatennummer 09) sichergestellte DNA diejenige des WB. ist und die an dem Fingernagel des Geschädigten HW. (Asservatennummer 19.3) sichergestellte DNA diejenige des Angeklagten.
210(2)
211Der von der Kammer durch die Vernehmung der Behördengutachterin Dr. ZK. erhobene Sachverständigenbeweis ist verwertbar und unterliegt keinem Beweisverwertungsverbot.
212Der Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt Dr. JE. hat unmittelbar nach der Erstattung des mündlichen Gutachtens durch die Sachverständige Dr. ZK. der Verwertung des Sachverständigengutachtens widersprochen und den Widerspruch mit nachgelassener Erklärung vom 10.07.2022 begründet. Er hat hierzu ausgeführt, dass die Spurensicherung fehlerhaft gewesen sei, weil der Zeuge PC.. für diese mangelhaft ausgebildet sei und eine nicht dekontaminierte private Nagelschere der Geschädigten verwendet habe. Die Anwendung der Beweiswürdigungslösung auf diese Fehler der Spurensicherung ginge im vorliegenden Fall nicht weit genug. Es geht nämlich nicht um einen Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung, der nicht zwingend zu einem Verwertungsverbot führe. Vielmehr müsse die Art und Weise der festgestellten fehlerbehafteten Spurensicherung im vorliegenden Fall zu einem solchen Verbot führen. So könne auch eine fehlerhaft durchgeführte Wahllichtbildvorlage, möge diese auch zum gewünschten Ergebnis geführt haben, zu einem Beweisverwertungsverbot führen, wie das zum Beispiel das Landgericht Schwerin (Aktenzeichen 33 Qs 11/20) entschieden habe.
213Entgegen der Auffassung des Angeklagten und seines Verteidigers folgt aus dem von der Kammer festgestellten Sachverhalt über die Sicherung der DNA-Spuren an den Fingernägeln der Geschädigten kein Beweisverwertungsverbot.
214Es gibt keinen allgemein geltenden Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Die Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (zu alledem BVerfG Beschluss vom 09.11.2010 − 2 BvR 2101/09 m.w.N.).
215Nach diesen Grundsätzen scheidet ein Beweisverwertungsverbot vorliegend bereits deshalb aus, weil die Beweiserhebung nicht rechtsfehlerhaft war. Der Zeuge PC.. hat als Regierungsbeschäftigter der Kreispolizeibehörde Oberbergischer Kreis im Rahmen seiner Zuständigkeit und seines ihm originär übertragenen Aufgabenkreises gehandelt. Die Spurensicherung, namentlich das Abschneiden der Fingernägel der Geschädigten, ist nicht fehlerhaft erfolgt. Soweit der Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt Dr. JE. hierzu ausführt, der Zeuge PC.. sei mangelhaft für die hier zu beurteilende Tätigkeit ausgebildet gewesen, hat die Kammer auch hierzu die Sachverständige Dr. ZK. vernommen. Diese hat ausgeführt, es gebe keine Richtlinien für die Ausbildung über die Abnahme von Fingernägeln. Die zur Spurensicherung eingesetzten Beamten würden natürlich vor ihrer Tätigkeit an Spurensicherungskursen teilnehmen, die vom LKA Nordrhein-Westfalen angeboten würden, für die es Vorlagen und Präsentationen gebe, aber keine behördenverbindliche Richtlinie. Diese Unterlagen würde sie selbst im Rahmen ihrer Tätigkeit als Behördengutachterin an die Seminarleiter überlassen. Die von den Polizeibeamten durchgeführte Spurensicherung sei hingegen „Polizeisache“ und würde vom LKA Nordrhein-Westfalen nicht kontrolliert. Nach diesen, für die Kammer uneingeschränkt nachvollziehbaren Ausführungen lässt sich bereits der erforderliche Ausbildungsstand eines Spurensicherungsbeamten nur schwerlich definieren. Jedenfalls aber hat der Zeuge PC.. nach seiner bereits dargestellten und uneingeschränkt glaubhaften Aussage Spurensicherungskurse absolviert, namentlich eine grundsätzliche Schulung sowie eine Vielzahl von Lehrgängen für Fotographie, Spuren- und Sachsicherung, im Rahmen derer er auch die Sicherstellung von Fingernagelspuren erlernt hat. Im Übrigen verfügt der Zeuge aufgrund seiner fünfjährigen Tätigkeit neben dem erlernten Wissen über eine große Erfahrung. Für die von der Verteidigung unterstellte Mangelhaftigkeit der Ausbildung besteht selbst bei Zugrundelegung der genannten – nicht kodifizierten – Ausbildungsstandards kein Raum, denn die Kammer hat an der Qualifikation des Zeugen keine Zweifel.
216Auch die Beweissicherung selbst ist nicht fehlerbehaftet durchgeführt worden. Die Sachverständige Dr. ZK. hat – in Übereinstimmung mit dem Zeugen PC.. – ausgeführt, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass beim Abschneiden von Fingernägel nicht dienstlich gelieferte Einmalnagelscheren verwendet würden. Die Verwendung einer sterilen Einmalnagelschere sei zwar die Ideallösung, es könne aber auch eine „normale“ Nagelschere verwendet werden, wenn diese mit Alkohol oder destilliertem Wasser gereinigt und mit einem Vliesstück abgewischt werde. Auch diese Vorgaben hat der Zeuge PC.. nach seiner nicht anzuzweifelnden Aussage eingehalten und die Nagelschere der Geschädigten HW. vor der Anwendung desinfiziert. Aus den genannten Gründen ist ein Beweisverwertungsverbot bereits mangels fehlerhafter Beweiserhebung nicht anzuerkennen. Selbst wenn aber die vom Zeugen PC.. bekundete Ausbildung oder die Durchführung der Beweiserhebung fehlerhaft gewesen wäre – wie nicht – , würde hieraus kein Beweisverwertungsverbot folgen, denn ein solches ist nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, a.a.O.). Etwaige Fehler bei der Spurensicherung würden daher allenfalls eine Prüfung erfordern, ob durch sie der Beweiswert des erhobenen Beweises gemindert ist, was aber vorliegend nicht der Fall ist.
217Denn jedenfalls auf die Beweiskraft der hier zu beurteilenden DNA-Spur(en) hätte weder eine etwaige mangelhafte Ausbildung des Zeugen PC.. noch eine nicht ordnungsgemäß durchgeführte Reinigung der Nagelschere einen Einfluss: Hierzu hat die Sachverständige Dr. ZK. nachvollziehbar ausgeführt, dass sich auch bei einer verunreinigten Schere keine statistischen Änderungen im Beweiswert der gesicherten DNA-Spuren an den Fingernägeln der Geschädigten ergeben würden. Insbesondere wäre auch in einem solchen Fall mehr als 30 Milliarden mal wahrscheinlicher, dass die am Fingernagel des Geschädigten HW. festgestellte DNA vom Angeklagten stammen würde als dass sie es nicht täte. Hierbei sei abermals in den Blick zu nehmen, dass sie am Fingernagel eine vollständige DNA-Spur mit allen 16 Merkmalssystemen untersucht habe, was auch eine Sekundärübertragung von der Nagelschere auf den Fingernagel als unplausibel erscheinen lasse. Dies hält die Kammer für uneingeschränkt nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass – wie bereits ausgeführt – eine Sekundärübertragung von der Nagelschere der Geschädigten nur dann möglich gewesen wäre, wenn sich auf dieser Nagelschere bereits in erheblichem Maße Zellmaterial des Angeklagten befunden hätte, wofür es jedoch keine Erklärung gibt. Zusammengefasst: Selbst wenn die Nagelschere der Geschädigten HW. verunreinigt gewesen wäre, würde dies nichts daran ändern, dass sich am Fingernagel des Geschädigten HW. die DNA des Angeklagten befand, was sich – wie ausgeführt – nur durch die Täterschaft des Angeklagten plausibel erklären lässt.
218bbb)
219Das vorgenannte, bereits für sich isoliert die Täterschaft des Angeklagten nachweisende Beweisergebnis wird durch den Umstand gestützt, dass der Angeklagte den gesondert Verfolgten WB. persönlich kennt. Dass dessen DNA – neben der DNA des Angeklagten – am Tatort festgestellt wurde, ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Tat gerade aufgrund der persönlichen Bekanntschaft oder Freundschaft gemeinsam geplant und begangen wurde. Die Überzeugung der Kammer, dass sich der Angeklagte und WB. persönlich kennen, beruht zum einen darauf, dass der Angeklagte dies in seinem letzten Wort eingeräumt hat, zum anderen auf der Inaugenscheinnahme des durch die Zeugin KOKin SB. bei der Festnahme des Angeklagten im Haus seiner Schwester Z. U.-L. sichergestellten Notizbuches. In diesem Notizbuch war unter anderem – neben weiteren persönlichen Bekannten des Angeklagten – der Name „DV. G“ aufgeführt, unter dem mehrere Telefonnummern standen. Der Name „DV. G“ und die Telefonnummern waren dabei in kyrillischer Schrift ausgeführt und wurden von der Sprachsachverständigen SE. anlässlich der Inaugenscheinnahme ins Deutsche übersetzt. Darüber hinaus hat der Zeuge KHK YR., der das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten und WB. bei der Polizei geleitet hat, glaubhaft bekundet, dass er auf mehreren Lichtbildern, die auf dem von der Zeugin KOKin SB. ebenfalls sichergestellten Handy des Angeklagten gespeichert waren und die die Kammer in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen hat, den ihm aus dem Ermittlungsverfahren bekannten DV. WB. erkannt habe. Dass das sichergestellte Notizbuch und Mobiltelefon dem Angeklagten (ein Samsung Galaxy S 7 mit einem Aufkleber des Kampfsportvereins „UO. LR.“ aus Gummersbach) gehören, steht für die Kammer aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin KOKin SB. fest. Die Zeugin KOKin SB. hat die Durchsuchung des Hauses der Z. U.-L., die in Vollstreckung des von der Kammer in der Hauptverhandlung verlesenen Beschlusses des Amtsgerichts Köln vom 30.11.2011 (Aktenzeichen 506 Gs 3229/21) am 07.12.2021 erfolgt ist, geleitet. Die Zeugin KOKin SB. bekundete, dass sie als Durchsuchungsleiterin das Haus der Z. U.-L. betreten habe, nachdem der Angeklagte von einem Sondereinsatzkommando der Polizei festgenommen worden war. Da sie aufgrund der laufenden Ermittlungen – insbesondere abgehörter Telefongespräche der Mutter des Angeklagten – davon ausgegangen sei, dass sich der Angeklagte im Zimmer der VC. L., seiner Nichte, aufhalte, habe sie dieses zuerst durchsucht. Hierbei habe sie das Notizbuch auf einem Schminktisch gesehen, das auf einem Stapel mit der Krankenkassenkarte und einer EC-Karte auf den Namen des Angeklagten gelegen habe. In einer Tasche mit Männerbekleidung – ansonsten hätten sich in dem Zimmer nur Kleidung und persönliche Gegenstände der VC. L. befunden – habe sie das Mobiltelefon des Angeklagten gefunden und sichergestellt. Auf diesem Handy habe sich ein Aufkleber des Kampfsportvereins „UO. LR.“ in Gummersbach gefunden. Aufgrund der vorgenannten Umstände konnte die Kammer feststellen, dass das in Augenschein genommene Notizbuch und das vom Zeugen KHK YR. untersuchte Mobiltelefon dem Angeklagten gehören.
220ccc)
221Dem Beweisergebnis steht auch nicht entgegen, dass der Geschädigte HW. zunächst – wie dargestellt – bekundet hat, dem „zweiten Täter“ sei während des Kampfes die Maske heruntergerutscht, dieser habe ausgesehen wie „Prinz Eisenherz“ und den Angeklagten – so wie er ihm in der Hauptverhandlung gegenübersaß – habe er noch nie gesehen. Wie bereits dargestellt, hat die Kammer dem Geschädigten nach diesem Teil der Aussage das von ihm erstellte Phantombild vorgehalten, das er von dem „zweiten Täter“ angefertigt hatte. Daraufhin hat er bekundet, dass er „durcheinander“ sei, am Tag der Phantombilderstellung sei seine Erinnerung hingegen noch frisch gewesen und es werde so gewesen sein, dass der „zweite Täter“ eine Maske aufgehabt und keine „Prinz-Eisenherz-Frisur“ gehabt habe. Angesichts des Umstandes, dass der Geschädigte – wie schon dargestellt – anlässlich seiner Vernehmung ersichtlich nervös war und er seine Aussage auf Vorhalt des von ihm veranlassten Phantombildes korrigiert hat, ist die Kammer davon überzeugt, dass der Geschädigte anlässlich seiner Aussage in der Hauptverhandlung die Täter verwechselt hat. Aus diesen Gründen kommt der Aussage des Geschädigten, er habe den Angeklagten noch nie gesehen, kein derartiger Beweiswert zu, dass er die Beweiskraft der unter den lit. aaa) Ziffern (1) und (2) dargestellten Sachbeweise mindern könnte.
222Dabei berücksichtigt die Kammer im Ausgangspunkt, dass der Beweiswert des Wiedererkennens durch Zeugen bereits grundsätzlich eingeschränkt ist. Dem Geschädigten war der Angeklagte zur Tatzeit nicht bekannt. Konnte der Zeuge eine ihm vorher unbekannte Person nur eingeschränkt (hier: aufgrund der Bedeckung des Gesichtes mit einem Mund-Nasen-Schutz) beobachten, darf sich der Tatrichter nicht ohne weiteres auf die subjektive Gewissheit des Zeugen beim Erkennen verlassen (vgl. hierzu für den Fall des Wiederkennens aufgrund einer Wahllichtbildvorlage BGH, Beschluss vom 08.12.2016, Aktenzeichen 2 StR 480/16), was durch die Fehleranfälligkeit einer solchen subjektiven Wiedergabe – insbesondere in Augenblicksmomenten – bedingt ist. Diese Grundsätze gelten genauso für ein „Nichterkennen“, wobei zu berücksichtigten ist, dass auch der Geschädigte am Tattag nur die Augenpartie des Angeklagten erkennen konnte, so wie er es in dem Phantombild am 21.01.2021 wiedergegeben hat. Zudem konnte er den „zweiten Täter“ nur zu Beginn anlässlich der geführten Kampfhandlungen sehen, da ihm anschließend der Katzentunnel über den Kopf gezogen wurde. Der Beweiswert der Personenbeschreibungen im Rahmen der von den Geschädigten geschilderten Rangelei unterliegt weiter der Einschränkung, dass es sich bei dieser Rangelei um ein dynamisches Geschehen handelt, in dessen Rahmen eine Personenbeschreibung (noch) weniger zuverlässig möglich ist. Hinzu kommt, dass der Geschädigte wie dargestellt ohnehin anlässlich seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung einer offensichtlichen Verwechslung unterlag, als er den „zweiten Täter“ zunächst als denjenigen mit der „Prinz-Eisenherz-Frisur“ beschrieb und dies erst auf Vorhalt einschränkte. Dies belegt, dass seine Wahrnehmung des Täters – jedenfalls fast anderthalb Jahre nach der Tat – nicht mehr präzise ist, zumal er sich auf Vorhalt des Phantombildes und seiner Aussage gegenüber dem Zeugen PK LK. am Tattag korrigiert und die Geschädigte HW. bekundet hat, dass der „zweite Täter“ eine Maske getragen habe.
223ddd)
224Soweit der Angeklagte in seinem letzten Wort Zweifel an der durchgeführten Spurensicherung geäußert hat, vermögen auch diese den Beweiswert der unter lit. aaa) Ziffer (1) und (2) dargestellten Sachbeweise nicht einzuschränken. Soweit nach seiner Ansicht nicht auszuschließen sei, dass auf der vom Zeugen PC.. bei der Spurensicherung verwendeten Nagelschere schon vorher seines DNA gewesen sei oder die Schere mit einer Maske oder Kleidung, die früher einmal ihm gehört haben könnte, in Kontakt gekommen sein könnte, stellt dies bereits eine nicht ansatzweise begründete oder begründbare Hypothese dar, weil keine Sachverhaltskonstellation ersichtlich ist, in welcher die DNA des Angeklagten auf die ausschließlich von der Geschädigten verwendete Nagelschere gekommen sei, erst recht nicht im Wege einer Sekundärübertragung von einer Maske oder Kleidung. Fehlen tatsächliche Anhaltspunkte für eine Sachverhaltsvariante oder widerstreiten die konkreten Gegebenheiten diesen sogar, so dürfen weder im Blick auf den Zweifelssatz noch aus sonstigen Gründen diesbezügliche Unterstellungen zu Gunsten eines Angeklagten vorgenommen werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 2.9.2009 – 2 StR 229/09). Zudem hat die Sachverständige – wie dargestellt – eine Sekundärübertragung als spurenkundlich unplausibel bezeichnet.
225Dasselbe gilt für die Ansicht des Angeklagten, die Kammer müsse die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die DNA durch eine Corona-Virus-Maske des Angeklagten an den Tatort gelangt sei. Der „zweite Täter“ hätte die Maske dann wahrscheinlich vor dem Anziehen umgedreht, damit er nicht mit Corona-Viren in Berührung komme. Auf diese Weise könnte seine – des Angeklagten – DNA unter den Fingernagel des Geschädigten HW. gekommen sein. Dass die Spuren des wahren Täters durch die Maske durchgegangen seien, sei unwahrscheinlich. Auch insoweit trägt der Angeklagte lediglich einen hypothetischen, nicht näher begründeten und zudem lebensfernen Sachverhalt vor, der keine Unterstellung zu seinen Gunsten rechtfertigt und der unberücksichtigt lässt, dass eine Sekundärübertragung aus den genannten Gründen ausgeschlossen ist.
226Weiter hat der Angeklagte in seinem letzten Wort vorgetragen, es könne aber auch so gewesen sein, dass er einen befreundeten Sportkollegen mit einer Umarmung oder dergestalt verabschiedet habe, dass er seine geschwitzte Hand auf saubere Kleidung des Kollegen gelegt habe, wodurch ebenfalls DNA auf diese Person hätte übertragen werden können. Der Täter hätte am Tatort diese Kleidung mit der DNA des Angeklagten darauf getragen haben können. Auch hierzu gilt das Vorerwähnte entsprechend.
227Zudem hat der Angeklagte in seinem letzten Wort vorgetragen, die Geschädigten hätten auch ausgesagt, dass der „zweite Täter“ 1,70 Meter groß und im Alter Mitte 20 gewesen sei, was auf ihn nicht zutreffe, da er größer und älter sei. Im Gerichtssaal habe der Geschädigte HW. zudem gesagt, dass er ihn nicht wiedererkenne, obwohl der Geschädigte ausgesagt habe, er habe einem Täter die Maske heruntergerissen. Soweit er ein Phantombild mit einem maskierten Täter gezeichnet habe, könne er bei der Polizei auch noch vom Tatgeschehen benommen gewesen sein. Vielleicht habe der „zweite Täter“ die Maske aber auch wieder angezogen. Wie bereits ausgeführt, hat die Personenbeschreibung der Geschädigten einen erheblich eingeschränkten Beweiswert, der denjenigen der unter den lit. aaa) Ziffern (1) und (2) dargestellten Beweismittel nicht mindern kann.
228c)
229Die Feststellungen zum Verlauf des Ermittlungsverfahrens beruhen auf den Aussagen der Zeugen PK LK., KOK AY., Rbr PC.., KHK YR. und der Zeugin KOKin SB..
230Der Zeuge PK LK. bekundete glaubhaft, dass er als erstes Einsatzmittel das Haus der Geschädigten HW. erreicht und diese unmittelbar nach der Tat vernommen hat.
231Der Zeuge KOK AY. bekundete, dass er gemeinsam mit dem Zeugen PC.. die Spurensicherung durchgeführt und dabei die Kabelbinder im Poolbereich sichergestellt hat.
232Der Zeuge PC.. bekundete, dass er den Geschädigten HW. aufgrund deren Schilderung des Tathergangs sämtliche Fingernägel zur Sicherung von DNA-Spuren abgeschnitten und diese anschließend einzeln in Zellglastüten verpackt und beschriftet habe; so habe er insgesamt 20 Fingernägel in 20 Tütchen verpackt, was die Sachverständige Dr. ZK. insoweit bestätigte, als sie bekundete, 20 Tütchen mit 20 Fingernägeln erhalten und untersucht zu haben. Er habe es dabei als günstig eingeschätzt, dass die Geschädigte HW. sich nach ihrer Aussage am Vortrag die Fingernägel geschnitten habe, weil diese sich dann nicht bewegen und Spuren besser haften würden. Geschnitten habe er die Fingernägel bis an die Hautkante (was mit der Aussage der Geschädigten HW. übereinstimmt, ihr hätten die Fingerkuppen nach dem Schneiden wehgetan). In der Regel benutze der Zeuge steril verpackte Einwegnagelscheren zum Abschneiden von Fingernägeln. Da er solche am Tattag aber nicht im Spurensicherungskoffer gehabt habe, habe er eine Nagelschere aus dem Haushalt der Geschädigten HW. verwendet und vor dem Abschneiden der Fingernägel sterilisiert, wobei er dabei Einweghandschuhe und einen Einwegmundschutz getragen habe. Neben den abgeschnittenen und verpackten Fingernägel habe er eine Wodka-, eine Sambuca- und eine Sprühdesinfektionsmittelflasche, insgesamt neun Kabelbinder mit insgesamt 16, auf der Dienststelle im Labor genommenen Abrieben hiervon sowie Kleidung der Geschädigten sichergestellt. Insgesamt habe er alle tatrelevanten und als Spurenträger in Betracht kommenden Gegenstände auf das Vorhandensein von Spuren hin untersucht und polizeilich sichergestellt. Zu den vom Zeugen PC.. sichergestellten Spuren hat KHK FR. am 19.01.2021 einen Antrag auf Erstellung eines Behördengutachtens bei dem LKA Nordrhein-Westfalen gestellt und die unter der lit. aaa) Ziffer (1) wiedergegeben Asservatennummern zugeteilt; den Antrag vom 19.01.2021 hat die Kammer in der Hauptverhandlung verlesen. Der Zeuge PC.. bekundete weiter, dass er seit fünf Jahren beim Erkennungsdienst der Kreispolizeibehörde des Oberbergischen Kreises tätig und mit der Spurensicherung betraut ist. Bei Einstellung in den Polizeidienst habe er eine Schulung zur Spurensicherung gemacht und zudem Lehrgänge für Fotographie, Spuren- und Sachsicherung besucht und sich darüber hinaus das erforderliche Wissen selbst angeeignet. Eine gesonderte Ausbildung für das Abnehmen von Fingernägeln gebe es nicht.
233Der Zeuge KHK YR. bekundete, dass er als Ermittlungsleiter eingesetzt gewesen sei. Dieser berichtete, dass Ermittlungen zu den von Zeugen am Tattag in der Nähe des Tatortes beobachteten Fahrzeugen ergebnislos geblieben und auch sonst zunächst keine ergiebigen Hinweise auf die seinerzeit noch unbekannten Täter eingegangen seien. Erst nach Eingang des Behördengutachtens des LKA Nordrhein-Westfalen vom 18.06.2021 und der sich hieraus ergebenden DAD-Treffermitteilungen habe der Verdacht einer Täterschaft des Angeklagten und des gesondert Verfolgten WB. bestanden. Der Zeuge habe – aufgrund der Personenbeschreibung des dritten Täters durch die Geschädigten, seiner aufgrund der Handyauswertung ermittelten Bekanntschaft zu dem Angeklagten und seiner Mitgliedschaft im „UO. LR.“ – als weiteren Tatverdächtigten G. TC. ermittelt, dieser Tatverdacht habe sich aber nicht weiter erhärtet. Aufgrund der Überwachung der Telekommunikation der Mutter des Angeklagten habe der Zeuge ermittelt, dass sich der Angeklagte bei seiner Schwester aufhalte und dementsprechend die Festnahme durch die ortsansässige Polizei veranlasst. Im Nachgang zur Festnahme des Angeklagten am 07.12.2021 habe er dessen bei der Durchsuchung sichergestelltes Notizbuch und sein Mobiltelefon untersucht und dabei den Kontakt des Angeklagten zu dem gesondert Verfolgten ermittelt. Der Kontakt „DV. G.“ sei im Notizbuch vermerkt gewesen, was sich der Zeuge durch einen russischsprachigen Kollegen habe übersetzen lassen, und auf dem Mobiltelefon habe er Bilder des WB., insbesondere bei der Feier des Geburtstags seines Sohnes, gesehen. Weitere verfahrensrelevante Feststellungen habe er bei der Untersuchung des Mobiltelefons nicht treffen können. Der Zeuge YR. bekundete zudem, dass er die Funkzellenauswertung zur Tatortfunkzelle durchgeführt habe. Hierbei hätten sich keine Treffer ergeben, keine der im Verfahren bekannt gewordenen Mobilfunknummern des Angeklagten, des gesondert Verfolgten WB. oder sonstiger tatverdächtiger Personen seien am Tattag in der Funkzelle, die auch das Wohnhaus der Geschädigten HW. abdeckt, feststellbar gewesen, wobei es sich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten um eine große Funkzelle gehandelt habe.
234Die Zeugin SB. bekundete – wie bereits dargelegt – zum Hergang der von ihr geleiteten Durchsuchung und Festnahme des Angeklagten am 07.12.2021 im Haus der Z. U.-L..
235Die Aussagen sämtlicher vorbenannter Zeugen hält die Kammer für uneingeschränkt glaubhaft. Sie konnten allesamt noch aus eigener Erinnerung detailreich über ihren Einsatz im Ermittlungsverfahren berichten. Die Aussagen der Zeugen deckten sich dabei mit den jeweils von ihnen verfassten Berichten und Aktenvermerken, welche die Kammer ihnen auszugsweise vorgehalten hat. Eine Belastungstendenz vermochte die Kammer nicht zu erkennen.
236Soweit der Zeuge KHK YR. bekundet hat, dass sich nicht habe feststellen lassen, dass das Mobiltelefon des Angeklagten zur Tatzeit in der Tatortfunkzelle eingeloggt war, vermag dies die Beweiskraft der unter den lit. aaa) Ziffern (1) und (2) dargestellten Beweismittel ebenfalls nicht zu vermindern, da es bereits keinen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, dass der Angeklagte das Telefon bei der Tatbegehung mit sich geführt hat, insbesondere nicht im Lichte der von ihm und seinen Mittätern planvoll ausgeführten Tat.
237Den im letzten Wort erhobenen Einwand des Angeklagten, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten sein Smartphone nicht darauf hin überprüft, wo er zur Tatzeit gewesen sei – was er selbst nicht wisse –, so dass auch dies ein ihn entlastendes Indiz sei, hat die Kammer entsprechend der Klarstellung durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt Dr. JE. als Hilfsbeweisantrag für den Fall, dass die Kammer aufgrund der sonstigen Beweismittel von der Täterschaft des Angeklagten ausgeht und diesen nicht freisprechen sollte, behandelt. Inhaltlich hat die Kammer den Hilfsbeweisantrag dahin ausgelegt, dass die Kammer Beweis zum Standort des Mobiltelefons Samsung Galaxy S 7 des Angeklagten zur Tatzeit erheben solle.
238Allerdings hat die Kammer hierüber bereits Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen KHK YR., so dass diesem Antrag nicht nachzugehen war. Dieser hat – wie dargestellt – bekundet, dass er die Funkzellenauswertung durchgeführt habe und keine der im Ermittlungsverfahren bekanntgewordenen Telefonnummern (und damit auch nicht diejenige des Angeklagten) in der Tatortfunkzelle eingeloggt gewesen sei und dass die Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten ebenfalls keine weiteren verfahrensrelevanten Hinweise ergeben habe.
239Das im Antrag genannte Beweisthema war damit bereits Gegenstand der Vernehmung des Zeugen, deren Beweisergebnis die Kammer bereits gewürdigt hat. Den Antrag, einen bereits vernommenen Zeugen zum selben Beweisthema nochmals zu vernehmen, braucht das Gericht – vorbehaltlich seiner Aufklärungspflicht – nicht zu entsprechen, weil ein derartiges Verlangen lediglich auf Wiederholung der Beweiserhebung abzielt (BGH Urteil vom 02.02.1999 – 1 StR 590/98). Dass und aus welchen Gründen eine abermalige Vernehmung des Zeugen KHK YR. überhaupt ein anderes Beweisergebnis erbringen würde, ist weder ersichtlich noch wird es vom Angeklagten, der selbst angibt, nicht mehr zu wissen, wo er sich am Tattag aufgehalten habe, vorgetragen.
240IV.
241Durch die festgestellte Tat hat sich der Angeklagte wegen eines besonders schweren Raubes i.S.d. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht, wobei die Kammer wie dargelegt zwar nicht feststellen konnte, dass der Angeklagte bzw. WB. eine echte und geladene Pistole verwendet haben. Allerdings muss sich der Angeklagte die Verwendung des mit einer zehn Zentimeter langen Klinge versehenen Küchenmessers – einem gefährlichen Werkzeug – zurechnen lassen, weil er dessen Einsatz billigte, zumindest aber die hierdurch geschaffene Bedrohungslage gemeinsam mit WB. und dem unbekannten Mittäter ausnutzte, um an den Inhalt des Tresors zu gelangen (BGH, Urteil vom 06. 10. 2005 - 3 StR 319/05).
242Die Kammer konnte zwar nicht feststellen, ob bereits vor Tatbegehung die Verwendung des Küchenmessers zur Drohung ausdrücklich in den Tatplan der drei Täter aufgenommen worden war. Ausgehend von dem festgestellten Tatgeschehen, insbesondere der Verwendung der nicht feststellbar möglicherweise unechten und/oder ungeladenen Schusswaffe zur Einschüchterung der Geschädigten sowie der Kabelbinder zur Fesselung, ist die Kammer aber davon überzeugt, dass alle Täter und damit auch der Angeklagte den Einsatz weiterer Nötigungsmittel wie des Küchenmessers bereits im Voraus, zumindest aber im Zeitpunkt der Drohung, die WB. im Beisein des Angeklagten ausgesprochen hat, gebilligt haben, insbesondere, da dies zum Erreichen des zuvor gemeinsam gefassten Tatplans – der Preisgabe des Tresorstandortes und der Erlangung der darin befindlichen Tatbeute – erforderlich war und das Tatgeschehen durch alle drei Täter danach fortgesetzt wurde.
243Der Angeklagte war bei der Begehung der Tat – wie dargelegt – nicht vermindert schuldfähig i.S.d. § 21 StGB, da es bereits an einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB fehlt und sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten weder aufgehoben noch erheblich eingeschränkt war; insoweit nimmt die Kammer auf die nachfolgend unter der Ziffer VI. dargestellten Ausführungen der Sachverständigen Dr. NX. Bezug.
244V.
245Bei der Strafzumessung hat sich die Kammer von folgenden Erwägungen leiten lassen:
2461.
247Der Kammer war für die festgestellte Tat des besonders schweren Raubes ein Strafrahmen von fünf (§ 250 Abs. 2 StGB) bis zu 15 Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB) Freiheitsstrafe eröffnet. § 250 Abs. 3 StGB sieht für minderschwere Fälle des besonders schweren Raubes einen Strafrahmen von einem Jahr bis zehn Jahren Freiheitsstrafe vor.
2482.
249Die Kammer hat die verhängte Freiheitsstrafe dem Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB entnommen; ein minder schwerer Fall liegt nicht vor.
250a)
251Ein minderschwerer Fall ist dann gegeben, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist. Erforderlich ist dabei eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände einzubeziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig ob sie der Tat selber innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände sind gegeneinander abzuwägen. Erst nach dem so gewonnenen Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der außerordentliche Strafrahmen anzuwenden ist.
252b)
253Nach diesen Grundsätzen und unter Abwägung aller Gesichtspunkte erscheint die Anwendung des Regelstrafrahmens nicht als unbillige Härte.
254Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer hierbei gewertet, dass die gegen ihn vollstreckte Untersuchungshaft – trotz seiner Hafterfahrung – aufgrund der coronabedingten Einschränkungen im Justizvollzug besonders einschneidend war, insbesondere weil die Möglichkeiten eines familiären Besuchs eingeschränkt waren.
255Zulasten des Angeklagten war allerdings zu berücksichtigen, dass er einschlägig vorbestraft ist. Er ist – wie festgestellt – bereits zweimal wegen schwerer räuberischer Erpressung zu langjährigen Haftstrafen von 4 Jahren und 6 Monaten bzw. 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden, ohne dass die hierfür vollständig verbüßte Haft den Angeklagten von der Begehung der festgestellten Tat abgehalten hätte. Hinzu kommen die weiteren, unter Ziffer I. dargestellten Vorstrafen, wenngleich die Kammer in den Blick genommen hat, dass es sich bei diesem um Straftaten der einfachen und mittleren Kriminalität handelt. Die Kammer berücksichtigt hierbei zulasten des Angeklagten auch die hohe Rückfallgeschwindigkeit: Die festgestellte Tat hat er lediglich 55 Tage nach der Haftentlassung aus der JVA Oldenburg begangen. Durch die Tat haben der Angeklagte, der gesondert Verfolgte WB. sowie der unbekannt gebliebene Mittäter eine hohe Tatbeute erlangt. Indem sie der Geschädigten HW. zunächst suggeriert haben, dieser ein Paket übergeben zu wollen, haben sie sich trickreich Zugang zum Wohnhaus der Geschädigten verschafft und deren Arglosigkeit ausgenutzt und sind sodann – insbesondere durch das durchgängige Ignorieren der Atemprobleme des Geschädigten – besonders rücksichtslos vorgegangen, so dass sie mit hoher krimineller Energie gehandelt haben, die über das typischerweise mit der Begehung des ausgeurteilten Delikts verbundene Tatunrecht hinausgeht. Zulasten des Angeklagten berücksichtigt die Kammer schließlich die erheblichen psychischen Tatfolgen für die Geschädigten HW., die während der Fesselung durch die Angeklagten Todesangst erlitten haben, insbesondere, als sie von einem der Täter zunächst wortlos mit Alkohol übergossen wurden und in diesem Moment glaubten, dass sie angezündet werden sollten und als dem Geschädigten HW. gedroht wurde, ihn gefesselt in den Pool zu werfen. Beide Geschädigte haben – für die Kammer in der Hauptverhandlung erkennbar – die Tat noch nicht verarbeitet.
256Aufgrund der Abwägung der vorgenannten, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände – insbesondere der einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten und der psychischen Tatfolgen für die Geschädigten – führt die Anwendung des Regelstrafrahmens nicht zu einer unbilligen Härte.
257c)
258Bei der konkreten Strafzumessung hat die Kammer unter Beachtung der Kriterien des § 46 Abs. 2 StGB die bereits unter lit. b) angeführten für und gegen den Angeklagten sprechenden Erwägungen erneut gewürdigt und gegeneinander abgewogen und dabei insbesondere die einschlägigen Vorstrafen und die Tatfolgen abermals berücksichtigt. Unter Berücksichtigung aller bereits genannten Strafzumessungsgesichtspunkte hat die Kammer die Strafe dem mittleren Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens entnommen und hat eine Freiheitsstrafe von
25910 Jahren
260als tat- und schuldangemessen erachtet.
261VI.
262Gegen den Angeklagten war die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen, § 66 Abs. 2 und 3 StGB. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB oder in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB lagen dagegen nicht vor.
2631.
264Zwar liegen nicht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB, aber diejenigen des § 66 Abs. 2 und 3 StGB vor.
265§ 66 Abs. 1 StGB setzt unter anderem voraus, dass der Täter wegen einer der in Nr. 1 der Vorschrift genannten Taten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen zwar grundsätzlich vor, weil der Angeklagte mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 06.08.2004 (35 Js 319/04 4 KLs L 2/14, BZR-Nr. 7) wegen gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten und mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24.02.2005 (41 Js 862/04 1 KLs 862/04) wegen gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt wurde. Allerdings darf die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB nur dann angeordnet werden, wenn die zur zweiten Verurteilung führende Tat nach Rechtskraft der ersten Vorverurteilung begangen worden ist. Vortaten und Vorverurteilungen müssen in der Reihenfolge „Tat-Urteil-Tat-Urteil” begangen worden sein (BGH, Beschluss vom 17.12.2008 - 2 StR 481/08). Die den Gegenstand der Verurteilung des Landgerichts Bielefeld vom 24.02.2015 bildenden Taten hat der Angeklagte in der Nacht vom 29. auf den 30.08. bzw. am 04.09.2004 begangen und damit vor Rechtskraft des Urteils vom 06.08.2004, die erst mit Zurückweisung der Revision am 07.04.2005 eingetreten ist, so dass die den Vorverurteilungen zugrunde liegenden Taten in der Reihenfolge „Tat-Tat-Urteil-Urteil“ begangen wurden.
2662.
267Allerdings liegen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vor. Der Angeklagte hat drei Straftaten der in Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b genannten Art begangen, namentlich die unter Ziffer 1. genannten drei Straftaten der schweren räuberischen Erpressung (nachfolgend: Anlasstaten) und am 18.01.2021 zudem die Straftat des schweren Raubes (nachfolgend: Symptomtat) begangen, die jeweils unter den Zwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB fallen. Dabei stellen die mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24.02.2015 abgeurteilten schweren räuberischen Erpressungen zwei Straftaten im Sinne der Vorschrift dar, weil insoweit eine Gesamtstrafenbildung außer Betracht bleibt, sofern für jede Einzeltat eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt ist (Münchener Kommentar StGB/Drenkhahn/Morgenstern, 4. Auflage 2020, § 66 Rn 133 m.w.N.). Der Angeklagte ist mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 06.08.2004 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren 6 Monaten, mit Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24.02.2015 zu Einzelstrafen von 8 Jahren sowie 6 Jahren und 10 Monaten sowie durch die erkennende Kammer zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt worden. Dabei wurde er in allen Fällen auch zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren verurteilt, was weitere Voraussetzung des § 66 Abs. 2 StGB ist.
268Aufgrund der vorgenannten Verurteilungen liegen zugleich die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB vor, wobei der Angeklagte wegen der genannten Straftaten nach § 66 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe verbüßt haben muss. Wie unter Ziffer I. dargestellt, hat der Angeklagte die Freiheitsstrafen von 4 Jahren und 6 Monaten sowie 8 Jahren und 6 Monaten vollständig verbüßt.
269Die genannten Vorverurteilungen bleiben auch nicht gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB außer Betracht. Dies ist nach dieser Vorschrift nur dann der Fall, wenn zwischen den früheren Taten und der folgenden (hier abgeurteilten) Tat mehr als 5 Jahre verstrichen sind. Nach § 66 Abs. 4 Satz StGB wird in diese Frist die Zeit aber nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist, wozu insbesondere Untersuchungs- und Strafhaft gehörten. Nach der Begehung der ersten Vortat am 17.02.2004 wurde der Angeklagte wie unter Ziffer I. dargestellt am 17.02.2004 vorläufig festgenommen und der gegen ihn ergangene Haftbefehl am 08.04.2004 gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.
270Am 04.09.2004 wurde der Angeklagte nach Begehung der Tat vom selben Tage erneut in Untersuchungshaft genommen. Zunächst wurde sodann diese und anschließend die Haftstrafen aus den Vorverurteilungen vollstreckt. Die Vollstreckung war lediglich im Zeitraum vom 20.11.2013 bis zum 24.02.2014 aufgrund der erstmals erfolgten Abschiebung unterbrochen sowie im Zeitraum vom 08.02. bis zum 06.09.2017. Zwischen der Haftentlassung am 25.11.2020 und der Begehung der hier abgeurteilten Tat am 18.01.2021 lagen weitere 55 Tage. Damit war der Angeklagte insgesamt lediglich einen Zeitraum von weniger als 17 Monaten zwischen der Begehung der ersten zu berücksichtigenden Tat vom 17.02.2014 und der Tat vom 18.01.2021 nicht in Haft.
2713.
272Auch die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB liegen vor. Denn die Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
273a)
274Ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB wird definiert als eine auf charakterlicher Anlage beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung zu Rechtsbrüchen; Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (BGH, Urteil vom 17.12.2019 - 3 StR 399/09). Es handelt sich um die wertende Feststellung eines Persönlichkeitsmerkmals. Die Feststellung eines solchen Hanges setzt eine auf eine Vergangenheitsbetrachtung abstellende, wertende Beurteilung der Gesamtheit der die Persönlichkeit und psychische Befindlichkeit und die Taten prägenden Umstände voraus. Zur Beurteilung heranzuziehen sind neben diesen Taten auch nicht strafbare Verhaltensweisen (vgl. Fischer, Kommentar zum StGB, 69. Auflage 2022, § 66 Rn 50 m.w.N.). Die Feststellung obliegt – nach sachverständiger Beratung – unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH Beschl. v. 25.9.2018 – 4 StR 192/18).
275Bei dem Angeklagten besteht nach diesen Grundsätzen ein Hang, Straftaten gegen die persönliche Freiheit, namentlich schwere Taten des Raubes und der räuberischen Erpressung (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2, 253, 255 StGB) zu Lasten ihm unbekannter Opfer zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes zu begehen. Dies ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung sämtlicher für die Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten maßgebender Umstände, wobei sich die Kammer im Hinblick auf die Würdigung der Persönlichkeit in der Hauptverhandlung sachverständig hat beraten lassen.
276In Übereinstimmung mit der Sachverständigen Dr. NX. ist die Kammer davon überzeugt, dass die vorgenannte Neigung des Angeklagten charakterlich verfestigt ist und es sich um eine bewusste Entscheidung handelt, schwere Taten des Raubes und der räuberischen Erpressung zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes zu begehen. Der Angeklagte weist eine stabile, überdauernde und persönlichkeitsgebundene Bereitschaft und Neigung zur Begehung der vorgenannten Straftaten aus. Die hier abgeurteilte Symptomtat sowie die den Vorverurteilungen des Landgerichts Bielefeld vom 06.08.2004 und 24.02.2005 zugrundeliegenden Taten sind unter Berücksichtigung seiner Biographie und Persönlichkeitsstruktur Ausdruck dieses Hanges; sie stehen in einem festen symptomatischen inneren Zusammenhang hierzu. Im Einzelnen:
277aa)
278Die Sachverständige Dr. NX. hat hierzu zunächst ausgeführt, dass der Angeklagte nicht unter einer psychopathologischen Erkrankung im Sinne des § 63 StGB leide, die als Anlass für die von ihm begangenen Taten in Betracht käme. Der Angeklagte habe sich zwar nicht von ihr explorieren lassen. Er habe sich aber – für sie wahrnehmbar – in der Hauptverhandlung ruhig und aufmerksam verhalten und diese mit „Contenance“ über sich ergehen lassen. Dabei sei kein Einschuss von affektiver Verstimmung erkennbar gewesen, sondern eine durchgehende Beherrschung. Soweit er sich in der Hauptverhandlung geäußert habe, sei dies formal geordnet gewesen und es hätten sich keine Hinweise auf eine innere Abgelenktheit ergeben, so dass sich psychotisches Erleben bei dem Angeklagten ausschließen lasse. Die Psychomotorik sei ruhig gewesen, im Gespräch mit der Dolmetscherin habe er häufig gelächelt, so dass sich auch keine Anhaltspunkte für eine klinische Depression oder eine manische Erkrankung ergäben. Auch aus den Vorstrafenakten ergäben sich keine Hinweise auf eine psychopathologische Erkrankung im Sinne des Eingangsmerkmals einer krankhaften seelischen Störung, wobei auch die Sachverständige IO. den Angeklagten in ihrem Gutachten vom 16.01.2020 als psychopathologisch unauffällig beschrieben habe. Auch das Eingangsmerkmal einer verminderten Intelligenz sei nicht zu diskutieren; bereits der Umstand, dass er der Hauptverhandlung größtenteils ohne Übersetzung durch die Dolmetscherin haben folgen und eine zweite Sprache (Deutsch) habe erlernen können, spreche für eine zumindest durchschnittliche Intelligenz, was dadurch gestützt werde, dass der Angeklagte während seiner Zeit in Russland eine Berufsausbildung habe absolvieren können. Hinweise auf eine Spielsucht lägen nicht vor. Anzeichen für eine hirnorganische Beeinträchtigung ließen sich weder der Vita noch dem persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung entnehmen. Bei dem Angeklagten lasse sich zwar eine dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung attestieren, die allerdings aufgrund der aufgezeigten geistigen Ressourcen und des Umstandes, dass die in Rede stehende Fehlentwicklung erst im Erwachsenenalter eingesetzt habe, aber keine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstelle. Aus den genannten Gründen lasse sich insgesamt folgern, dass der Angeklagte psychisch völlig gesund sei und daher keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Eingangsmerkmalen im Sinne der §§ 20, 21 StGB bestünden.
279Ein schädliches Konsumverhalten im Hinblick auf Alkohol oder Betäubungsmittel lasse sich nicht erkennen, so dass für einen Hang im Sinne des § 64 StGB ebenfalls keine Anhaltspunkte bestünden. Zwar habe der Angeklagte in der Hauptverhandlung selbst angegeben, gelegentlich Alkohol zu trinken und früher auch gelegentlich Betäubungsmittel konsumiert zu haben. Allerdings bedeute dies – in einer Konsumgesellschaft wie der deutschen – noch nicht, dass eine Alkohol- oder Betäubungsmittelkonsumstörung vorliege. Das lasse sich auch nicht daraus folgern, dass der Angeklagte einmal in seinem Haftraum „Aufgesetzten“ hergestellt habe oder im Jahr 2008 0,9753 g Heroinpulver besessen habe; dies bedeute lediglich, dass er gewillt ist, seine Regeln selbst zu machen. Gegenüber der Sachverständigen IO. habe er zudem angegeben, keine Betäubungsmittel zu konsumieren, - was die sachverständige Zeugin so bekundete und die Kammer für glaubhaft hält - und auch aus den Gefangenenakten ließen sich keine Hinweise auf einen aktuellen Betäubungsmittekonsum entnehmen.
280Vielmehr sei die Straffälligkeit des Angeklagten nach Einschätzung der Sachverständigen fest mit seiner Persönlichkeit verwoben, er sei ein so genannter „Persönlichkeitstäter“, mithin ein solcher, der aus seiner Persönlichkeit innewohnenden Eigenschaften heraus Straftaten begehe und nicht aus einer schicksalshaften Situation heraus oder singulär wie der so genannte „Situationstäter“. Damit seien sowohl die Ursachen für die Begehung der Anlasstaten als auch die Risikofaktoren für die Begehung weiterer Straftaten in der Persönlichkeit des Angeklagten angelegt. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht lägen die Kriterien für das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 66 StGB vor, was sie – die Sachverständige – auch ohne die vom Angeklagten verweigerte Exploration feststellen könne. In der forensischen Psychiatrie würden dabei nach allgemeiner Erkenntnis (unter anderem Habermas 2015) folgende Kriterien zur Prüfung des Vorliegens eines Hanges im Sinne des § 66 StGB herangezogen:
281Antisozialer Denkstil, ich-syntone Haltung zur Deliquenz, Schuldzuweisung an Opfer und die Umwelt, keinerlei psychosoziale oder konflikthafte Auslöser der Taten, Phasen der Delinquenz überwiegen in der Biographie gegenüber Phasen der Nicht-Delinquenz, progrediente Rückfallneigung, Missachtung von Auflagen, aktive Gestaltung der Tatumstände, kriminelle Subkultur, Psychopathie, Reizhunger und Neigung zu augenblicksgebundener Lebensführung.
282Diese Hangkriterien ließen sich – so die Sachverständige Dr. NX. – formal auf den Angeklagten abbilden, lediglich zu „Reizhunger und augenblicksgebundener Lebensführung“ könne sie mangels Exploration keine Aussage treffen, was aber das Ergebnis nicht ändere. Diese Faktoren seien zudem ein Beleg für die festgestellte dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung, die allerdings – wie dargestellt – aufgrund der aufgezeigten geistigen Ressourcen und des Umstandes, dass die in Rede stehende Fehlentwicklung erst im Erwachsenenalter eingesetzt habe, keine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstelle, wie auch schon die Zeugin IO. in ihrem Gutachten vom 16.01.2020 ausgeführt habe.
283Im Einzelnen sei zu den vorgenannten Hangkriterien folgendes festzustellen: Der Angeklagte habe nach seiner Übersiedlung nach Deutschland einen antisozialen Lebensstil entwickelt, der sich in der wiederholten Begehung von – teils schweren – Straftaten, insbesondere Eigentums- und Raubdelikten, aber auch Beleidigungen, Sachbeschädigungen und Trunkenheit im Straßenverkehr, zeige. Die Entwicklung des antisozialen Lebensstils sei dabei eine bewusste und auf charakterlicher Neigung des Angeklagten beruhende Entscheidung gewesen. Dabei habe der Angeklagte eine ich-syntone Haltung zur Delinquenz, das heißt, er nehme sie nicht als fremd oder störend wahr, sondern als zu seinem Ich gehörend. Dies zeige sich daran, dass er sich weder mit den bisherigen Taten auseinander gesetzt noch Leidensdruck wegen derselben gezeigt habe. So habe er trotz seines langjährigen Aufenthaltes in diversen Justizvollzugsanstalten erst spät überhaupt eine Gewalt-Gesprächsgruppe besucht, aber auch dies nur aus extrinsischen Motiven, da ihm dies vonseiten der Justizvollzugsanstalten und der Strafvollstreckungskammer geraten worden sei. Er habe gegenüber seinen Gesprächspartnern, insbesondere gegenüber der Sachverständigen IO., keinerlei Empathie mit den Opfern zum Ausdruck gebracht, vielmehr habe er sich ihr gegenüber wiederholt auf den Standpunkt gestellt, kein Gewalttäter zu sein, weil er ja lediglich „psychische“, nicht aber „physische“ Gewalt ausgeübt habe. Der Angeklagte nehme auch Schuldzuweisungen an die Opfer seiner Straftaten und seine Umwelt vor, was sich beispielsweise an den Beleidigungen zum Nachteil von JVA-Beamten, die vorschriftsgemäß seinen Haftraum durchsuchten, zeige oder daran, dass er es persönlich als ungerecht empfinde, dass Mithäftlingen ein Methadonprogramm angeboten werde, was der Angeklagte im Rahmen seines Explorationsgespräches mit der sachverständigen Zeugen IO. beharrlich erörtert und als sinnlos und geldverschwenderisch bezeichnet habe. Die Höhe der gegen ihn wegen der Vortaten verhängten Strafen empfinde er als ungerecht, ebenfalls – wie er gegenüber der sachverständigen Zeugin IO. geäußert habe – die nicht zum Halbstrafenzeitpunkt erfolgte Entlassung. Ferner seien für die Anlasstaten keine konflikthaften oder psychosozialen Auslöser erkennbar gewesen. Vielmehr habe es sich um geplante Taten mit Zufallsopfern gehandelt, die der Angeklagte begangen habe, weil er Geld gebraucht habe. Die Phasen der Delinquenz überwögen diejenigen der Nicht-Delinquenz, was sich an den Vorverurteilungen zeige. Bei den Taten des Angeklagten sei dabei insgesamt eine progrediente Rückfallneigung zu erkennen, was sich sowohl an der Rückfallgeschwindigkeit der hier abgeurteilten Tat als auch an deren Ausführung zeige. Soweit die forensisch-psychiatrischen Hangkriterien eine Missachtung von Auflagen umfassten, lasse sich dies an den dokumentierten Regelverstößen in den Justizvollzugsanstalten, den auch dort begangenen Straftaten sowie der Missachtung der bei den Abschiebungen erteilten Rückkehrverbote belegen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte ein „Regelsetzer“ sei, der sich nach seiner verfestigten Auffassung nur an die von ihm selbst als sinnvoll erachteten Regeln halten müsse. Nur er könne hiernach nach seiner Selbstwahrnehmung beispielsweise – wie er anlässlich des Explorationsgesprächs mit der sachverständigen Zeugin IO. belegt habe – einschätzen, ob ein Methadonprogramm sinnvoll sei oder nicht; er entscheide, ob er ein Handy in der Justizvollzugsanstalt habe oder nicht.
284Das weitere Hangkriterium der aktiven Gestaltung der Tatumstände sei erfüllt, weil sämtliche Anlasstaten – insbesondere die Tat vom 18.01.2021 – eine planvolle Gestaltung erfordert hätten und gerade keine Spontantaten gewesen seien. Dass der Angeklagte sich in einem kriminellen Milieu aufhalte, zeige sich daran, dass er die Anlasstaten und die Symptomtat, mithin diejenigen vom 17.02.2004, 30.08./04.09.2004 und vom 18.01.2021, mit anderen Tätern gemeinsam begangen habe. Schließlich weise der Angeklagte eine deutliche psychopathische Merkmalsakzentuierung auf. Dabei sei die „Psychopathie“ ein forensisch sehr gut erforschtes Persönlichkeitskonstrukt, die mit der „Psychopathie Checklist – Revised“ (PCL-R, Hare 2003) gemessen werde. Je höher der PCL-R-Wert einer Person sei, desto höher sei das Risiko für die Begehung krimineller Handlungen. Der Durchschnittsbürger weise dabei einen PCL-R-Wert von 3 bis 10 bis zu maximal 40 Punkten aus. Der von der Sachverständigen ermittelte PCL-R-Wert betrage 21 Punkte, wobei sich eine Fehlertoleranz von 3 Punkte ergebe, weshalb der Wert zwischen 18 und 24 Punkten liege. Damit lasse sich zwar noch kein derart hoher Wert ermitteln, dass der Angeklagte als psychopathisch bewertet werden müsse, wohl aber eine psychopathische Merkmalsakzentuierung aufweise. In Summe der vorgenannten Hangmerkmale liege bei dem Angeklagten aus forensisch-psychiatrischer Sicht ein Hang zur Begehung von Straftaten, die mit den Anlasstaten vergleichbar sind, vor, was sich insbesondere durch die bisherige Entwicklung, die Nicht-Ansprechbarkeit auf Sanktionen sowie die sehr rasche Rückfallgeschwindigkeit nach letztmaliger Haftentlassung zeige. Ein weiteres Indiz für die Eingeschliffenheit seines antisozialen Lebensstils sei dabei, dass er die Tat vom 18.01.2021 trotz seiner familiären Verbundenheit zu seinen Kindern und seiner jetzigen Lebensgefährtin begangen habe. Insoweit lasse sich der Aussage der sachverständigen Zeugin IO. entnehmen, dass sich in Gesprächen mit dem Angeklagten insbesondere im Hinblick auf seinen Sohn XD. emotionale Schwingungen gezeigt hätten, was der Zeuge EB. bestätigte, der im Rahmen seiner Tätigkeit als Justizvollzugsbeamter mit dem Angeklagten nach seiner Aussage regelmäßig über die Familie mit ihm gesprochen habe. Selbst dieser familiäre Bezugsrahmen halte den Angeklagten aber nicht davon ab, weitere Straftaten mit der Gefahr der Inhaftierung zu begehen, was belege, dass die Familie nicht alle seine Bedürfnisse befriedigen könne.
285bb)
286Die Ausführungen der Sachverständigen Dr. NX. zur Persönlichkeit des Angeklagten sind vollumfänglich überzeugend, so dass die Kammer sie zur Grundlage der Feststellung macht, dass bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne des § 66 StGB vorliegt.
287Die Sachverständige Dr. NX. ist als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie zur Gutachtenerstattung qualifiziert, wobei sie aufgrund langjähriger Tätigkeit als forensische Psychiaterin über besondere Erfahrung zum Beweisthema verfügt. Sie konnte sich aufgrund der Teilnahme an der Hauptverhandlung, in deren Rahmen sie die Gelegenheit wahrnahm, Fragen zu stellen, und des Studiums der Vorstrafen-, Vollstreckungs- und Gefangenenakten, die zudem auszugsweise in der Hauptverhandlung verlesen wurden, ein umfassendes Bild über die Persönlichkeit des Angeklagten machen, auch wenn der Angeklagte sich von ihr nicht explorieren ließ. Soweit sie aufgrund der nicht durchgeführten Exploration Einzelheiten zur Person des Angeklagten nicht sachverständig einschätzen konnte, hat sie dies im Rahmen der Gutachtenerstattung offengelegt. Die Ausführungen der Sachverständigen selbst waren für die Kammer ohne Weiteres nachvollziehbar und in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Insbesondere lässt sich die Einschätzung der Sachverständigen mit den in der Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen zur Persönlichkeit des Angeklagten und zu den Umständen der Anlasstaten stützen.
288Soweit der Angeklagte mit in der Hauptverhandlung vom 05.09.2022 von ihm selbst verlesenem „Beweisantrag gegen das Gutachten Dr. NX.“ ausgeführt hat, das gesamte Gutachten müsse „ungesetzlich gestellt werden“, da es ohne seine Einwilligung und vorherige Kenntnis in Auftrag gegeben worden sei, ihm seien seine Rechte entzogen worden, weil er sich die Gutachterin nicht selbst ausgesucht habe, legt die Kammer dies als Widerspruch gegen die Verwertung des Gutachtens aus. Einem solchen Verwertungsverbot steht aber schon entgegen, dass bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens kein Anspruch auf die Heranziehung eines bestimmten Sachverständigen besteht. Die Auswahl des Sachverständigen obliegt allein dem Gericht, wie sich aus § 73 Abs. 1 Satz 1 StPO (BGH Urteil vom 14.01.2003 – 1 StR 357/02) ergibt, wobei die Sachverständige Dr. NX. aus den genannten Gründen für die Gutachtenerstattung geeignet ist. Zudem wurde der Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt IU. vor Beauftragung der Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft angehört. Konkrete Einwendungen gegen die Eignung oder Person der Sachverständigen hat der Angeklagte nicht vorgebracht. Soweit er in seinem Antrag weiter ausgeführt hat, die Gutachterin bezeichne ihn fälschlicherweise als „Persönlichkeitstäter“, widerspreche hinsichtlich der Ausführungen zur Psychopathie der sachverständigen Zeugin IO. und unterstelle ihm Impulsivität, hat er hiermit lediglich seine eigene Beweiswürdigung des Gutachtens vorgebracht. Zudem hat die Sachverständige im Rahmen der mündlichen Gutachtenerstattung klargestellt, dass sie ihn gerade nicht als impulsiv betrachte.
289Auch die Kammer hat von dem Angeklagten den Eindruck gewonnen, dass dieser der Hauptverhandlung durchgehend konzentriert und aufmerksam folgen konnte, und er hat sich mit selbst gestellten Anträgen am 10., 11. und 13. Verhandlungstag eingebracht, die allesamt – wie auch seine sonstige Wortwahl – in formal geordneter Sprache vorgebracht wurden. Daraus und aus dem Umstand, dass sämtliche Anlasstaten planvoll begangen wurden, schließt die Kammer, dass der Angeklagte derartige geistige Ressourcen hat, dass die Entwicklung des antisozialen Lebensstils bei Betrachtung der Person des Angeklagten und der von ihm begangenen Taten eine bewusste, wie dargelegt nicht krankheitsbedingte, sondern auf charakterlicher Neigung des Angeklagten beruhende Entscheidung gewesen ist, von der ihn nicht einmal familiäre Bindungen abhalten konnten. Die Kammer teilt daher – nach eigener kritischer Prüfung – aufgrund dieser Umstände auch die Einschätzung der Sachverständigen, dass die Voraussetzungen eines Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21, 63 StGB nicht vorliegen und der Angeklagte nicht unter einer psychopathologischen Erkrankung leidet. Die Sachverständige hat dabei zudem zutreffend in den Blick genommen, dass sich aus der Vita des Angeklagten keinerlei Hinweise auf eine hirnorganische Beeinträchtigung, beispielsweise aufgrund einer Kopfverletzung ergeben. Hinweise auf eine Spielsucht sieht die Kammer ebenfalls nicht. Die Teilnahme an der Spielsuchtgruppe in der JVA Aachen – unabhängig, ob extrinsisch oder intrinsisch motiviert – und der mögliche Umstand, dass der Angeklagte nach eigenen Angaben im letzten Wort in den Jahren 2003 und 2004 in einem Casino höhere Geldbeträge verspielt habe, ändert an dieser Bewertung nichts. Denn selbst pathologisches Spielen, für dessen Vorliegen bereits keine Anhaltspunkte bestehen, stellt für sich genommen noch keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar. Maßgeblich ist insoweit vielmehr, ob der Betroffene durch seine Spielsucht gravierende Änderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn die Spielsucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Geldbeschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sein (BGH Beschluss vom 09.10.2012 – 2 StR 297/129). Hierfür lassen sich aber weder den Ausführungen der Sachverständigen noch sonst aufgrund der Beweisaufnahme Ansatzpunkte finden. Hinweise auf ein schädliches Konsumverhalten im Hinblick auf Alkohol oder Betäubungsmittel vermag auch die Kammer aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu erkennen, wobei die Sachverständige zutreffend darauf hingewiesen hat, dass der Angeklagte gegenüber der sachverständigen Zeugin IO. selbst – wie die Zeugin glaubhaft bekundet hat – angegeben habe, keine Betäubungsmittel zu konsumieren und aus den Gefangenenakten ebenfalls keine Hinweise auf einen Betäubungsmittelkonsum zu entnehmen sind. Soweit die Sachverständige zutreffend ihrer Einschätzung, ein schädliches Konsumverhalten von Alkohol liege nicht vor, zugrunde gelegt hat, der Angeklagte trinke nur gelegentlich Alkohol, entspricht dies den Angaben der gehörten Zeugen aus den Justizvollzugsanstalten sowie seinen Angaben gegenüber der sachverständigen Zeugin IO.. Auch der Angeklagte selbst hat dies schließlich im Rahmen seiner Einlassung zum persönlichen Werdegang so geschildert.
290Soweit die Sachverständige Dr. NX. in diesem Zusammenhang Bezug genommen hat auf die Einschätzung der sachverständigen Zeugin IO., wie von dieser in ihrem Gutachten vom 16.01.2020 niedergelegt, hat sie das Ergebnis der Vernehmung der sachverständigen Zeugin zutreffend wiedergegeben. Diese hat in der Hauptverhandlung glaubhaft bekundet, dass sie im Rahmen der Begutachtung aufgrund der seinerzeit vorliegenden Aktenlage, insbesondere aber aufgrund des durchgeführten Explorationsgesprächs, die Einschätzung getroffen habe, dass der Angeklagte psychopathologisch gesund sei und dabei keine Persönlichkeitsstörung, wohl aber eine –akzentuierung vorliege. Auch ein Konsum von Alkohol oder Betäubungsmitteln habe keine Rolle gespielt. Sie habe den Angeklagten als sehr auf seiner Sichtweise beharrend, sehr selbstbezogen und völlig unflexibel in seinem Denken wahrgenommen. Dies habe sich beispielsweise und für sie eindrucksvoll darin geäußert, dass der Angeklagte sich ihr gegenüber völlig überzeugt davon gezeigt habe, dass das in den Justizvollzugsanstalten angebotene Methadonprogramm medizinisch völlig sinnfrei und lediglich Geldverschwendung sei. Diese Diskussion sei während des Explorationsgespräches spontan entsponnen, von seiner Meinung habe ihn die sachverständige Zeugin auch nicht unter Hinweis auf ihre medizinische Expertise abbringen können. Ferner sei ihr in Erinnerung, dass der Angeklagte über seine Entwicklung seit seiner Einreise nach Deutschland durch die familiären Trennungen und dem mangelnden beruflichen Erfolgt frustriert gewesen sei. Er habe immer wieder betont, dass er kein Gewalttäter sei. Hierzu habe er auf seiner Meinung beharrt und erklärt, dass seine Mittäter physische Gewalt ausgeübt hätten, er aber nicht. Er habe zwar an einer Anti – Gewalt – Gruppe teilgenommen. Was er hieraus gelernt habe, habe er ihr aber nicht erklären können.
291Die von der Sachverständigen dargestellten Hangmerkmale lassen sich in der Biographie des Angeklagten und der von ihm begangenen Taten objektiv abbilden. Insbesondere spricht dabei auch aus Sicht der Kammer zunächst eine Analyse der Anlasstaten und der Symptomtat für das Vorliegen einer auf charakterlicher Anlage beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung des Angeklagten zu Rechtsbrüchen und einer fest eingewurzelten Neigung, Straftaten – insbesondere solche des 20. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB – zu begehen. Die Anlasstaten waren – so wie festgestellt – allesamt professionell und gemeinsam mit weiteren Mittätern geplant und zielten einzig auf den persönlichen Vorteil der Erlangung von Geldmitteln für den Lebensunterhalt ab. Keine der Anlasstaten wurde aus der Situation heraus oder impulsiv begangen, sodass es sich nicht um die Taten eines so genannten „Situationstäters“ handelt, sondern eines „Persönlichkeitstäters“. Insbesondere die hier abgeurteilte Tat zeigt, dass der Angeklagte – wie von der Sachverständigen ausgeführt – einen antisozialen Lebensweg gewählt hat. Er hat für die Anlasstaten vom 17.02.2004 bzw. 30.08./04.09.2004 sowie weitere Straftaten wie unter Ziffer I. 3 (Strafvollstreckung und Vollzugsverhalten des Angeklagten/Straftaten während des Strafvollzugs) dargestellt insgesamt mehr als 15 Jahre Freiheitsstrafe verbüßt, die nur aufgrund zweier Abschiebungen circa drei bzw. sieben Monate unterbrochen war. Hiervon hat er sich indes völlig unbeeindruckt gezeigt und weniger als zwei Monate nach der Entlassung aus der Strafhaft die Tat zum Nachteil der Geschädigten HW. begangen. Der Angeklagte hat somit auch nach außen gezeigt, dass die Neigung zu Rechtsbrüchen derart fest in seiner Persönlichkeit eingeschliffen ist, dass er sich nicht einmal von langjährigen Haftstrafen von der Begehung weiterer, erheblicher Anlasstaten abbringen lässt und eine ich-syntone Haltung zu diesen hat. Dabei waren ihm die für die ihn möglichen, gravierenden Folgen der Tataufdeckung aufgrund der langen, gegen ihn verhängten Freiheitsstrafen bewusst, traten aber bei der von ihm zu treffenden Entscheidung für und wider die Risiken der Begehung dieser Straftat zurück, weil er für sich – aufgrund seiner bestehenden geistigen Ressourcen bewusst – einen antisozialen Lebensstil gewählt hat. Damit hat der Angeklagte zugleich belegt, dass er sich mit seinen vorherigen Straftaten nicht im Ansatz – auch nicht in der Gruppe „Umgang mit Gewalt“ in der JVA Aachen – intrinsisch auseinandergesetzt hat. Dies zeigte sich bereits daran, dass der Angeklagte nach der glaubhaften Aussage der für ihn während des Aufenthaltes in der JVA Aachen (2017 bis 2020) zuständigen Sozialarbeiterin und Zeugin DS. dem Behandlerteam gegenüber geäußert habe, dass er lediglich an den Therapiegruppen teilnehme, um vorzeitig entlassen zu werden, was sich mit der glaubhaften Aussage der sachverständigen Zeugin IO. deckt, ihr gegenüber habe der Angeklagte geäußert, er sei kein Gewalttäter, da nicht er, sondern seine Mittäter die Tatopfer der Taten aus dem Jahr 2014 verletzt hätten. Dass der Angeklagte während seines langjährigen Strafvollzugs keine ernsthafte Bereitschaft gezeigt hat, sich mit seiner Delinquenz auseinanderzusetzen, wird ferner dadurch belegt, dass er auch währenddessen weitere Straftaten begangen hat, namentlich am 16.06.2008 (Besitz von 0,9753 g Heroinpulver – BZR Nr. 10), 04.04.2013 (Beleidigung und Bedrohung von JVA-Beamten – BZR Nr. 11) und 05.10.2014 (Sachbeschädigung durch Durchsägen des Haftraumgitters – BZR Nr. 13). Auch in den kurzen Phasen der Haftunterbrechung nach Abschiebung beging der Angeklagte weitere Straftaten, namentlich am 23.02.2014 (mehrfacher Wohnungseinbruchsdiebstahl – BZR Nr. 12) und 06.09.2017 (Verwendung gefälschter Personalpapiere – BZR Nr. 14).
292Die Aussagen der Geschädigten HW. – wie auch die Angaben des Angeklagten gegenüber der von der Kammer vernommenen sachverständigen Zeugin IO. – belegen, dass der Angeklagte und seine Mittäter bei der Tatbegehung keinerlei Empathie gezeigt haben, insbesondere nicht im Hinblick auf die gesundheitlichen (Atem-)Probleme des Geschädigten HW., die dieser mehrfach kommuniziert hat. Vielmehr haben sie die Angst des Geschädigten um das Wohlergehen seiner Ehefrau ausgenutzt, indem sie überzeugend damit drohten, deren Finger abzuschneiden. Bei den Taten des Angeklagten ist dabei insgesamt eine progrediente Rückfallneigung zu erkennen, was sich sowohl an dem sehr kurzen zeitlichen Abstand zwischen Haftentlassung und Begehung der Tat vom 18.01.2021 zeigt als auch daran, dass deren Tatausführung zu nunmehr erheblicheren psychischen Folgen bei den Geschädigten geführt hat: Hatte der Angeklagte mit seinen Mittätern am 17.02.2004 und 30.08./04.09.2004 noch Angestellte einer Sparkassenfiliale bzw. zweier Tankstellen an deren Arbeitsstelle überfallen und diese nach Erlangung der Tatbeute zügig wieder verlassen, hat er nunmehr mit WB. und dem unbekannten Mittäter die Geschädigten HW. in deren Wohnhaus – und somit in ihrem geschützten Bereich – überfallen, ihr Leben bzw. ihre Gesundheit bedroht und erst nach Erlangung einer hohen Tatbeute und mehrfachem Forderungen nach weiteren Wertgegenständen bzw. Bargeld die Geschädigten HW. gefesselt zurückgelassen.
293Soweit die Sachverständige weitere forensisch-psychiatrische Hangmerkmale herausgearbeitet hat, decken sich ihre Ausführungen mit den von den Kammer selbst getroffenen Feststellungen: Dass der Angeklagte keinerlei Empathie mit seinen Tatopfern hat, belegt der Umstand, dass er und seine Mittäter die gesundheitlichen Probleme des Geschädigten HW. in Form von Atemnot nicht zum Anlass genommen haben, etwas an dessen Überdeckung mit dem Katzentunnel zu ändern. Die sachverständige Zeugin IO. bekundete zudem glaubhaft, dass der Angeklagte auch im Gespräch mit ihr – obwohl die Kammer aufgrund seiner geistigen Ressourcen davon überzeugt ist, dass ihm die Bedeutung dieses Gespräch im Hinblick auf die von ihm erhoffte vorzeitige Haftentlassung bewusst war – keinerlei Empathie mit Opfern früherer Straftaten bekundet habe. Vielmehr habe er darauf bestanden, dass er kein Gewalttäter sei und dies immer wieder betont, auch in Konfrontation mit den Anlasstaten vom 17.02.2004 und 30.08./04.09.2004. Soweit bei diesen Taten Personen verletzt worden seien, sei dies stets die Schuld des jeweiligen Mittäters gewesen. Dass der Angeklagte darüber hinaus eine selbstbezogene Sicht auf sich selbst hat und sich – im Gegensatz zu seinen Tatopfern – ungerecht behandelt fühlt, belegt die Aussage der sachverständigen Zeugin IO., dass er auch dies ihr gegenüber im Gespräch betont habe. Insbesondere habe er es nach deren Aussage – trotz der auch während der Zeit des Strafvollzugs begangenen weiteren Straftaten – für ungerecht gehalten, dass er keine „Halbstrafentlassung“ bekommen habe. Insbesondere habe sich das empfundene Ungerechtigkeitsgefühl an dem in der JVA durchgeführten Methadonprogramm „aufgehangen“, und von dem Gedanken, dass das Methadonprogramm sinnlos sei, sei er nicht abzubringen gewesen. Obwohl die sachverständige Zeugin IO. ihm erklärt habe, dass sie als Ärztin den Nutzen der Methadongabe besser beurteilen könne als er, sei er nicht davon abgerückt, dass er es besser wisse als sie. Hiervon konnte sich die Kammer in der Hauptverhandlung ein eigenes Bild machen. Der Angeklagte hat im Hauptverhandlungstermin vom 05.09.2022 einen „Anklageantrag“ gegen die deutsche Justiz wegen „Drogendealerei gemäß § 29a BtMG“ verlesen und hierbei einerseits den medizinischen Nutzen des Methadonprogramms angezweifelt, andererseits herausgestellt, dass die Teilnehmer des Programmes mit „schnellerer Arbeitsstelle, Langzeitbesuch, Reduzierung von Sicherheitsmaßnahmen und offenem Knast“ belohnt würden; zudem bestünde die Gefahr, dass er sich durch die Gabe von Methadon an Mitgefangene selbst „infiziere“. Damit belegt der Angeklagte eindrucksvoll selbst, dass er zum einen – wie von der Sachverständigen Dr. NX. beschrieben – ein „Regelsetzer“ ist, der nach seiner Selbsteinschätzung trotz fehlender medizinischer Kenntnis alleine in der Lage ist, den Sinn und Zweck des Methanprogramms zu beurteilen. Dass er diese Beurteilung sogar im gegen ihn gerichteten Strafverfahren mittels Verlesung eines Antrages abgibt, zeigt, wie sehr er in seiner Selbsteinschätzung verhaftet und zugleich nicht in der Lage ist, Empathie für andere (in diesem Fall heroinabhängige Mithäftlinge) Personen zu empfinden. Zum anderen belegt er eindrucksvoll die – bereits vor der Verlesung des Antrages abgegebene – Einschätzung der Sachverständigen Dr. NX., dass er sich selbst als Opfer seiner Umgebung und der Justizbehörden sieht, die ihm die vorgenannten Hafterleichterungen nicht gewährten.
294Dass die Phasen der Delinquenz diejenigen der Nicht-Delinquenz überwiegen – wie es die Sachverständige Dr. NX. als weiteres forensisch-psychiatrisch relevantes Hangkriterium dargestellt hat – zeigt sich an den Vorverurteilungen des Angeklagten, der auch während der langjährigen Inhaftierung oder in den kurzen Phasen der Haftunterbrechung die dargestellten Straftaten begangen hat. Auch die Annahme der Sachverständigen, dass der Angeklagte sich in einem kriminellen Milieu aufhalte, lässt sich objektiv anhand der Anlasstaten und der Symptomtat belegen, die er allesamt mit mindestens einem Mittäter – die Tat vom 17.02.2004 mit seinem Schwager L., die Tat vom 18.01.2021 mit seinem Bekannten WB. – begangen hat, was darüber hinaus auch für die Taten vom 17.04.2003 BZR-Nr. 6) und 23.02.2014 (BZR-Nr. 12) gilt; die Tat vom 23.02.2014 hat er mit seiner Lebensgefährtin P. begangen. Zudem haben die Zeugin DS. und der Zeuge EB. übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass sich der Angeklagte in der JVA Aachen ausschließlich in Gesellschaft mit russischsprachigen Strafgefangenen befunden habe. Innerhalb dieser Subkultur habe er eine „Führungsrolle“ eingenommen, was die Zeugen aufgrund ihrer Erfahrung mit den Gepflogenheiten innerhalb einer JVA nachvollziehbar damit begründet haben, dass andere russischsprachige Mitgefangene für ihn regelmäßig gekocht und gebacken hätten (so der Zeuge EB.) und sein Haftraum für seine finanziellen Verhältnisse, namentlich einem monatlichen Taschengeld in Höhe von 40 €, mit vielen wertigen Gegenständen ausgestattet gewesen sei (so die Zeugin DS.).
295Dass der Angeklagte bei den Taten die Tatgestaltung aktiv mitgestaltet hat, steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der verlesenen Vorstrafenakten fest. Die Überfälle auf die Sparkassenfiliale in RO. am 17.02.2004 und auf die Raststätten DL./Nord und DL./Süd am 30.08./.04.09.2004 gestaltete der Angeklagte zumindest dadurch aktiv mit, indem er diese Taten mitplante, den jeweiligen Tatopfern eine Spielzeug- oder Schreckschusswaffe vorhielt und sie zur Herausgabe von Bargeld aufforderte. Auch die Tat vom 18.01.2021 gestaltete der Angeklagte über die gemeinsame Planung hinaus aktiv mit, indem er den Widerstand der Geschädigten HW. durch Vorhalt der Schusswaffe und der Drohung, diese zu erschießen, brach und die Geschädigten anschließend bewachte.
296Schließlich hält die Kammer die Bewertung der Sachverständigen Dr. NX., der Angeklagte weise einen PCL-R-Wert von 18 bis 24 Punkten und damit eine psychopathische Persönlichkeitsakzentuierung auf, für nachvollziehbar. Die Sachverständige führte hierzu aus, dass der PCL-R-Wert aus 20 verschiedenen Items ermittelt werde, in denen 0, 1 oder 2 Punkte zu vergeben seien. Der oben genannte Werte ergebe sich aus der Summe der Punkte für die Items pathologisches Lügen, betrügerisch-manipulatives Verhalten, Mangel an Reue/Gewissensbissen/Schuldbewusstsein, Gefühlskälte/Mangel an Empathie, parasitärer Lebensstil, Mangel an realistischen, langfristigen Zielen, Verantwortungslosigkeit/Unzurechnungsfähigkeit, Missachtung von Weisungen und Auflagen, polytrope Kriminalität (jeweils 2 Punkte), Stimulationsbedürfnis, oberflächliche Gefühle und fehlende Bereitschaft, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen (jeweils 1 Punkt), zusammensetze.
297b)
298Der nach den Ausführungen unter lit. a) festgestellte Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten bezieht sich auf erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Bei den Taten vom 17.02.2004 und vom 30.08./04.09.2004 sowie der hier abgeurteilten Tat handelt es sich sämtlich um geplante, schwere Raubtaten gemäß §§ 249, 250 Abs. 1 StGB, die nach einem ähnlichen Tatmuster abliefen. Der Angeklagte hat in allen Fällen den Widerstand zufälliger Tatopfer durch die Drohung mit einer (Schreckschuss-)Pistole gebrochen, wobei er die Taten mit Mittätern beging und somit das Bedrohungsszenario für die Opfer verstärkte. Dabei wurde den Tatopfern gegenüber zur Verstärkung der Drohung durch den jeweiligen Mittäter Gewalt ausgeübt bzw. zu Lasten der Geschädigten HW. ein Messer zur Verstärkung der Drohung an den Finger angesetzt. Alle Taten waren aus den genannten Gründen gerade Ausdruck des festgestellten Hanges und stehen somit in einem symptomatischen Zusammenhang untereinander und mit dem Hang des Angeklagten, insbesondere, weil er sich für einen antisozialen Lebensweg und somit bewusst dafür entschieden hat, seinen Lebensunterhalt durch die Begehung von schweren Raubtaten mit der Absicht hoher Beuteerzielung zu finanzieren. Die Begehung derartiger Straftaten ist so stark in die Persönlichkeit des Angeklagten eingeschliffen, dass er sich nur 55 Tage nach der vollständigen Verbüßung einer etwa 15jährigen Haftstrafe unter Nutzung seiner vorhandenen geistigen Ressourcen unter Abwägung des Für und Widers, insbesondere einer drohenden hohen Haftstrafe, für die Begehung der hier abgeurteilten Tat entschied. Die Taten aus dem Jahr 2004 und die hier abgeurteilte Tat haben damit ihre Wurzel im Hang des Angeklagten; sie sind gerade nicht im Affekt oder einer Ausnahmesituation begangen worden.
299c)
300Der Angeklagte ist aufgrund des vorstehend festgestellten Hanges für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Es sind in Zukunft inhaltlich und zeitlich naheliegende weitere erhebliche Straftaten, insbesondere solche gemäß den §§ 249, 250, 253, 255 StGB zu erwarten.
301Für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit bedarf es einer Gesamtbewertung der Persönlichkeit des Angeklagten und der Symptom- und Anlasstaten unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände, aus welchen sich Anhaltspunkte für die Beurteilung der Gefährlichkeit ergeben; eine allein abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung reicht dabei nicht aus. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Aburteilung. Für die Beurteilung, ob von einem Angeklagten künftig infolge eines Hanges erhebliche Straftaten zu erwarten sind, namentlich solche, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, bedarf es einer Prognose auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Verurteilten und aller individuellen protektiven und der für die bisherige Delinquenz bedeutsamen Faktoren. Dem Hang kommt dabei eine wesentliche, auf eine Gefährlichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB hinweisende Bedeutung als prognostisch ungünstiger Gesichtspunkt zu (BGH Urteil vom 26.05.2021 – 5 StR 364/20). Der Grad der „Eingeschliffenheit” beeinflusst hierbei die Beurteilung der Höhe der Wahrscheinlichkeit. Die ausreichende Wahrscheinlichkeit ist dabei schon regelmäßig gegeben, wenn die Hangtätereigenschaft festgestellt ist (BGH, Urteil vom 08.07.2005 – 2 StR 120/05). Nach diesen Grundsätzen ist der Angeklagte aufgrund seines Hanges zur Begehung schwerer Raubstraftaten für die Allgemeinheit gefährlich.
302aa)
303Zur Legalprognose hat die Sachverständige Dr. NX. ausgeführt, dass diese aus ihrer Sicht ungünstig sei und eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er das Verhalten aus in der Vergangenheit auch in der Zukunft zeigen werde. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Angeklagte – wie bereits ausgeführt – ein „Persönlichkeitstäter“ sei. Dies bedeute, dass er anders als der „Situationstäter“, der in der Regel nicht vorbestraft sei, singulär eine Straftat begehe oder im Laufe seines Lebens schicksalsmäßig in Situationen gerate, aus denen heraus er delinquent werde, risikorelevante Merkmale aufweise, die fest in seiner Persönlichkeit verankert seien; er handele in seiner Delinquenz aus seiner Persönlichkeit innewohnenden Eigenschaften trotz des vorhandenen Wissens um Normen und Werte. Die Tatmotivation sei daher von äußeren Tatanreizen weitestgehend unabhängig, so dass sich der Persönlichkeitstäter Tatsituationen selbst schaffe und nicht in Taten hereingerate. Da der Situationstäter in hochspezifische Situationen gerate, in denen er anders handele als im Normalfall, bedürfe dieser keiner kriminaltherapeutischen Behandlung, weil er durch die Strafe im Regelfall alleine zu normenorientiertem Verhalten zurückfinden und dafür sorgen werde, dass die deliktrelevante Situation nicht mehr auftrete. Bei einem Persönlichkeitstäter indes bewirke Strafe alleine ebenso wenig wie unspezifische Maßnahmen zur Gestaltung eines guten sozialen Empfangsraumes. Bei ihm genüge es gerade nicht, dass er Arbeit, Obdach oder Familie habe, weil durch diese Faktoren nicht die deliktrelevanten Persönlichkeitseigenschaften adressiert würden. Wie bereits dargelegt, sei bei dem Angeklagten insbesondere die bewusste, antisoziale Lebensgestaltung, die sich an der bereits seit 22 Jahren bestehenden Bereitschaft zu kriminell-antisozialem Verhalten zeige, eine in seiner Persönlichkeit fest verwurzelte risikorelevante Eigenschaft, aus der heraus er in der Vergangenheit Straftaten begangen habe; er habe sich für sich das perpetuierte Lebensmodell entwickelt, sich „Geld an der Tankstelle zu holen, wenn er welches brauche.“ Dabei habe er – wie es für einen Persönlichkeitstäter typisch sei – die Ressourcen zur Begehung geplanter Straftaten, insbesondere die Fähigkeit zum dominanten Auftreten und Angstfreiheit im Hinblick auf drohende Konsequenzen. Die bereits dargelegten forensisch-psychiatrischen Kriterien für das Vorliegen eines Hanges seien zudem auch Kriterien für die Einstufung eines Straftäters als Persönlichkeitstäter. Daher würde bei dem Angeklagten – wie für einen Persönlichkeitstäter typisch – alleine die Verhängung einer weiteren langjährigen Haftstrafe das Risiko weiterer erheblicher Straftaten nicht mindern. Für das Risiko eines Delinquenzrückfalls nach Verbüßung der Haft spreche zudem der ermittelte PCL-R-Wert. Je höher dieser sei, desto höher die Rückfallwahrscheinlichkeit, so dass sich auch bereits aus der psychopathischen Merkmalsakzentuierung – unabhängig von der Analyse der Anlass- und Symptomtaten – ein erhöhtes Rückfallrisiko ergebe. Der soziale Empfangsraum des Angeklagten, mithin seine familiären Bindungen, minderten nach Einschätzung der Sachverständigen das Rückfallrisiko nicht, weil diese – wie dargestellt – nicht alle Bedürfnisse des Angeklagten befriedigen könnten und er mit Begehung der Symptomtat gezeigt habe, dass ihn dieser Bezugsrahmen gerade nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalte.
304bb)
305In Übereinstimmung mit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. NX. und aufgrund ihrer Persönlichkeitsbeurteilung, die ihre Stütze wiederum in von der Kammer selbst festgestellten Anknüpfungstatsachen findet, geht auch die Kammer kraft eigener Überzeugungsbildung davon aus, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Begehung weiterer schwerer Straftaten, namentlich solcher nach den §§ 249, 250, 253, 255 StGB, die vergleichbar sind mit den Anlasstaten und der Symptomtat, durch den Angeklagten zu erwarten ist. Nach den dargestellten Grundsätzen ergibt sich eine solche Wahrscheinlichkeit bereits aufgrund des Vorliegens des Hanges bei dem Angeklagten, wobei die Kammer die Einschätzung der Sachverständigen teilt, dass die Bereitschaft des Angeklagten zu kriminell-antisozialem Verhalten fest verwurzelt ist, wie die Anlasstaten, die Symptomtat und die sonstigen, polytropen Straftaten des Angeklagten belegen. Damit ist der Hang des Angeklagten fest eingeschliffen, was nach dargelegten Grundsätzen prognostisch die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Straftaten erhöht. In den Blick zu nehmen ist auch insoweit, dass die Rückfallgeschwindigkeit nach der letzten Haftentlassung trotz einer zuvor (mit den aufgezeigten kurzen Unterbrechungen) erlittenen Hafterfahrung von 15 Jahren mit 55 Tagen derart hoch war, dass sich hieraus fast schon zwangsläufig auf eine feste Eingeschliffenheit schließen lässt. Wie aufgezeigt, war die erneute Straftatbegehung sogar progredient, insbesondere da der Angeklagte mit seinen Mittätern in den persönlichen Lebensbereich der Geschädigten HW. eingedrungen ist und diese über einen Zeitraum von circa 30 Minuten „gefangen“ hielt. Daraus zieht die Kammer den Schluss, dass die bislang erlittene Haft keinesfalls zu einer Veränderung des delinquenten Verhaltens geführt hat – jedenfalls nicht zum Positiven – und prognostisch auch in Zukunft weitere erhebliche Straftaten vom Angeklagten zu erwarten sind. Hinzu kommt, dass – wie dargestellt – trotz der langen Strafhaft bislang keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Anlasstaten vom 17.02.2004 und 30.08./04.09.2004 erfolgt ist und der Angeklagte diese selbst im Gespräch mit der sachverständigen Zeugin IO. bagatellisierte.
306Wesentliche günstige, protektive Faktoren, die zwischenzeitlich eine positive Änderung bei dem Angeklagten bewirkt haben könnten, sind nicht ersichtlich und derzeit auch nicht zu erwarten. Die Kammer teilt die Einschätzung der Sachverständigen, dass seine familiären Bindungen den Angeklagten zum jetzigen Zeitpunkt nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten könnten, was sich bereits daran zeigt, dass er in Kenntnis dieser Bindungen und der Konsequenz von Straftaten für sie die Symptomtat begangen hat. Wie die Zeugen IO. und EB. bekundeten, habe der Angeklagte während der Zeit seiner Inhaftierung den Kontakt zu seinen Kindern, insbesondere seinem Sohn XD. gesucht und bei Ansprache auf seine Familie emotionale Schwingungen gezeigt, insbesondere wenn ihm – wie der Zeuge EB. bekundete – beispielsweise ein Telefonat mit der Familie verwehrt wurde. Dies bedeutet aber zugleich, dass er aufgrund der Eingeschliffenheit seines Hanges im Rahmen der von ihm getroffenen Abwägung dieser Bindung keine derartige Bedeutung beimisst, dass sie ihn von der Begehung der Symptomtat abhalten konnte. Ein sonstiger, günstig auf den Angeklagten einwirkender sozialer Empfangsraum ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte – wie die Analyse der Anlasstaten und der Symptomtaten zeigt – seine bisherigen Taten mit Mittätern begangen hat, was eine Verankerung im kriminellen Milieu nahelegt und prognostisch ungünstig zu bewerten ist.
307Auch die Einwirkung der ausgeurteilten Haftstrafe in Verbindung mit Alterungsprozessen des jetzt fast 50jährigen Angeklagten lassen eine Herabsetzung der Gefährlichkeit nicht erwarten. Nach (vollständiger) Vollstreckung der hiesigen Verurteilung würde der Angeklagte 59 Jahre alt sein. Gesundheitliche Probleme oder körperliche Einschränkungen weist er nach eigenen Angaben und nach Einschätzung der Sachverständigen Dr. NX. nicht auf, so dass er auch nach Haftentlassung in der Lage sein wird, Straftaten gleichgelagerter Art zu begehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sämtliche Straftaten nicht unter Anwendung körperlicher, kraftaufwendiger Gewalt begangen hat, sondern durch die Ausübung von Dominanz mittels Schreckschusswaffen, durch deren Einsatz er die Angst der Tatopfer um Leib und Leben ausgenutzt hat; solche Taten kann er auch noch mit 59 Jahren und älter begehen. Zwar nimmt die Kammer dabei in den Blick, dass grundsätzlich eine Haftstrafe von 10 Jahren geeignet sein kann, ein Umdenken bei Straftätern zu bewirken. Der Angeklagte hat indes durch die Symptomtat vom 18.01.2021 gezeigt, dass ihn auch langjährige, zehn Jahre noch deutliche überschreitende Hafterfahrung nicht von der Begehung weiterer erheblicher Straftaten abhält, sondern er vielmehr bereits nach kurze Zeit progredient strafrückfällig wird. Zu berücksichtigen wäre lediglich, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde durch die Haft eine Haltungsänderung erfahren, so dass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Im Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug können indes nicht genügen. Solche möglichen Veränderungen sind, sofern sie eingetreten sind, erst im Rahmen der obligatorischen Entscheidung gemäß § 67 c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 22.10.2015 − 4 StR 275/15). Die Erwartung, dass der Angeklagte etwaige Therapiemöglichkeiten im Rahmen der zu vollstreckenden Strafhaft nutzt, besteht jedenfalls derzeit nicht. Diese Erwartung lässt sich auch nicht darauf stützen, dass der Angeklagte ab dem 25.10.2018 in der JVA Aachen eine Spielsuchtgruppe und in der Zeit vom 21.03. bis zum 01.10.2019 die Gruppe „Umgang mit Gewalt“ besuchte. Wie bereits dargelegt, erfolgte die Teilnahme an diesen Gruppen nicht aus eigener Motivation, sondern lediglich um des Erlangens einer vorzeitigen Entlassung willen. Die Therapiegruppen waren zudem nicht auf die therapeutischen Bedürfnisse des Angeklagten zugeschnitten, weil dieser nach der Einschätzung der Sachverständigen Dr. NX. zum einen nicht spielsüchtig sei und zum anderen kein impulsiver Gewalttäter. Die Gruppe „Umgang mit Gewalt“ allerdings richtet sich deliktunspezifisch an solche impulsiven Gewalttäter, während der Angeklagte Gewalt nach der überzeugenden Einschätzung der Sachverständigen nicht impulsiv, sondern zweckrational zur Einschüchterung und Verhaltenssteuerung seiner Tatopfer einsetzt. Zudem belegt auch die Symptomtat vom 18.01.2021, in welcher der Angeklagte die den Anlasstaten vom 17.02.2004 und 30.08./04.09.2004 zugrunde liegende Ausübung von zweckrationaler Gewalt wiederholt hat, dass auch im Rahmen der genannten Therapiegruppen keine erfolgversprechende Auseinandersetzung mit den Anlasstaten stattgefunden hat. Daher besteht nach Auffassung der Kammer derzeit allenfalls eine theoretische Möglichkeit, dass der Angeklagte die neuerliche Strafhaft kriminaltherapeutische Hilfe in Anspruch nimmt; für wahrscheinlich hält die Kammer aufgrund der Analyse der Anlasstaten, der Symptomtat und des bisherigen Verhaltens im Strafvollzug nicht.
308Die von dem Angeklagten zu erwartenden Delikte wären auch „erheblich“ im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Bei der Beurteilung, ob die von einem Angeklagten hangbedingt zu erwartenden Taten in diesem Sinne „erheblich“ sind, kommt es danach auf die Umstände des Einzelfalles an, die im Wege einer sorgfältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten in den Blick zu nehmen sind. Bei dieser Gesamtwürdigung können neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den genannten – auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden – Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen. Die hier in Rede stehenden Verbrechen der schweren räuberischen Erpressung beziehungsweise des schweren Raubes gemäß §§ 249, § 250 Abs. 1, 253, 255 StGB sind schon mit Blick auf die Mindeststrafdrohung von drei Jahren Freiheitsstrafe und die für die Tatopfer mit der Tatbegehung regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als erhebliche Straftaten anzusehen; dies gilt ebenso dann, wenn bei einem Banküberfall nur mit einer ungeladenen Schreckschusspistole oder einer Waffenattrappe gedroht wird (BGH Urteil vom 14.3.2019 – 4 StR 444/18). Von dem Angeklagten wären wie ausgeführt auch in Zukunft vergleichbare Taten wie die Anlasstaten und die – hierzu progrediente – Symptomtat vom 18.01.2021 zu erwarten. Diese sind bereits nach der typisierenden Betrachtung der Rechtsprechung im Hinblick auf die mit ihnen regelmäßig einhergehenden psychischen Tatfolgen erheblich. Hinzu kommt vorliegend, dass bei den Taten des Angeklagten und seiner Mittäter die Opfer – über die psychischen Tatfolgen hinaus – teils körperlich geschädigt wurden (heftige Schläge gegen den Kopf des Geschädigten PH. und Stichverletzungen des Geschädigten HO., jeweils beigefügt durch den Mittäter) und die Geschädigten HW. die Tat vom 18.01.2021 noch immer nicht verarbeitet haben, was bei einem Überfall im eigenen Wohnhaus nach dem festgestellten Tatablauf uneingeschränkt nachvollziehbar ist.
3094.
310Das Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und 3 StGB eröffnet der Kammer ein Ermessen, ob die Sicherheitsverwahrung gegen den Angeklagten anzuordnen ist. Die Kammer übt ihr Ermessen dabei wie tenoriert aus (vgl. zu den Ermessenskriterien allgemein Fischer/StGB, 69. Auflage 2022, § 66 Rn 74). Sie hat dabei insgesamt berücksichtigt, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung für den im fortgeschrittenen Alter befindlichen Angeklagten besonders belastend ist, da sie grundsätzlich unbefristet ist und dem Angeklagten die Wahrnehmung seiner familiären Bindungen erschwert. Deshalb kommt den in § 62 StGB niedergelegten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zu. Allerdings steht dem gegenüber, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten zum Schutz der Allgemeinheit derzeit unerlässlich ist. Der Angeklagte hat durch die Begehung der Symptomtat – im fortgeschrittenen Alter – belegt, dass er sich durch eine langjährige Freiheitsentziehung nicht von der Begehung von schweren Raubstraftaten abhalten lässt, wobei auch insoweit die hohe Rückfallgeschwindigkeit und die Progredienz der Tatbegehung in den Blick zu nehmen ist. Ferner ist in den Blick zu nehmen, dass ihn aufgrund der festen Eingeschliffenheit seines antisozialen Lebensweges nicht einmal grundsätzlich stabilisierende Faktoren wie familiäre Bindungen von der Begehung der Symptomtat abhalten konnten. Eine Auseinandersetzung mit den Symptomtaten hat wie aufgezeigt bislang nicht stattgefunden und eine Therapiebereitschaft des Angeklagten ist derzeit nicht zu erkennen, aus den genannten Gründen derzeit jedenfalls sogar unwahrscheinlich. Konkrete Anhaltspunkte, dass alleine die hohe Haftstrafe bei dem Angeklagten eine Verhaltensänderung bewirkt (vgl. hierzu Fischer a.a.O.), sind nicht ersichtlich; vielmehr hat auch bislang eine Hafterfahrung von circa 15 Jahren den Angeklagten nicht von der Begehung der Anlasstat abhalten können. Aus diesen Gründen besteht nach Auffassung der Kammer, die insoweit der Einschätzung der Sachverständigen Dr. NX. beitritt, nicht nur eine „bestimmte“ Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 66 StGB für die Begehung weiterer, mit den Symptomtaten und der Anlasstat vergleichbarer Straftaten, sondern eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit. In den Blick zu nehmen ist dabei das drohende erhebliche Unrecht durch weitere, mit den Symptomtaten und der Anlasstat vergleichbare Straftaten, wobei insbesondere die Anlasstat vom 18.01.2021 belegt, dass der Angeklagte nicht davor zurückschreckt, schwere Raubstraftaten in den Wohnräumen von (zufälligen) Tatopfern zu begehen, die zu den aufgezeigten psychischen Folgen für die Geschädigten HW. geführt haben. Die Symptomtaten vom 30.08. und 04.09.2004 belegen, dass bei der Tatbegehung mit Mittätern des Angeklagten Verletzungen von Tatopfern (heftige Schläge gegen den Kopf des Geschädigten PH. und Stichverletzungen des Geschädigten HO., jeweils beigefügt durch den Mittäter) drohen. Bei der Ermessungsausübung sind ferner die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Dieser eröffnet – in formeller Hinsicht – die fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits bei der Begehung von drei Straftaten, durch die jeweils Freiheitsstrafe von einem Jahr verwirkt, hiervon in einem Fall mindestens drei Jahre, verwirkt ist (§ 66 Abs. 2 StGB). Diese formellen Mindestvoraussetzungen, die zugleich auch eine Aussage über das vom Gesetzgeber als zur Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderliche kriminelle Unrecht enthalten, hat der Angeklagte mit den begangenen Anlasstaten und der Symptomtaten weit überschritten, was in den ausgeurteilten, deutlich über die formellen Mindestvoraussetzungen hinausgehenden Freiheitsstrafen von 4 Jahren 6 Monaten, 8 Jahren 6 Monaten und 10 Jahren seinen Niederschlag gefunden hat.
311VII.
312Die Einziehungsentscheidung beruht auf §§ 73, 73c, 73d StGB. Der Einziehungsbetrag entspricht dem Wert der vom Angeklagten und seinen Mittätern, mit denen er als Gesamtschuldner haftet, erlangten Tatbeute. Den Wert der Tatbeute, zu deren Umfang die Geschädigten HW. glaubhaft bekundet haben, schätzt die Kammer gemäß § 73d Abs. 2 StGB wie dargelegt auf Grundlage der Aussage des Zeugen Dr. PM., wobei sie – trotz der Expertise des Zeugen – zugunsten des Angeklagten einen Sicherheitsabschlag in Höhe von 10 % vorgenommen hat. Der Ersatz des den Geschädigten entstandenen Schadens durch deren Hausratversicherung führt nicht zu einem Ausschluss der Einziehung nach § 73e Abs. 1 StGB, da der Anspruch auf die Hausratversicherung übergeht (BGH, Urteil vom 28.08.2018 – 1 StR 103/18).
313VIII.
314Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.