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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.649,58 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.02.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkw B mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XXXXXXXXXX.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des genannten Pkws in Verzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.358,86 € freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu ¾ und dem Kläger zu ¼ auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Parteien streiten über die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Diesel-Fahrzeug.
2Mit Kaufvertrag vom 25.08.2017 (Anlage K 1, Anlagenheft I) erwarb der Kläger vom B 1 einen gebrauchten B, Baujahr 2016, Erstzulassung 20.09.2016, Schadstoffklasse Euro 6, Fahrzeugidentifikationsnummer XXXXXXXXXX. Der vereinbarte brutto-Kaufpreis betrug 32.480,00 €; abzüglich einer Prämie der B 2. überwies der Kläger insgesamt lediglich einen Betrag von 26.105,00 € auf den Kaufpreis.
3Das Fahrzeug wurde am 30.08.2017 an den Kläger übergeben. Die seinerzeitige Laufleistung betrug 23.659 km.
4Das Fahrzeug verfügt über ein von der Beklagten hergestelltes und von der B 3. in das Fahrzeug eingebautes Motoraggregat mit der Kennung EA 288 sowie über einen SCR-Katalysator, der die Stickoxid-Emissionen mittels Einspritzung einer Harnstoff-Lösung („AdBlue“) reduziert.
5Die Motorsteuerung enthält eine sogenannte Fahrkurvenerkennung, mittels derer das Fahrzeug erkennt, ob es sich auf einem Prüfstand befindet. Die Fahrkurvenerkennung führt dazu, dass die Abgasrückführungsrate (AGR-Rate) auch nach Erreichen der für die optimale Funktionsfähigkeit des SCR-Katalysators erforderlichen Betriebstemperatur (200 °C) im NEFZ auf einem hohen Niveau bestehen bleibt, während im Realbetrieb auf der Straße die AGR-Rate zurückgefahren wird, sobald der SCR-Katalysator die erforderliche Betriebstemperatur erreicht hat. Ferner bewirkt die Fahrkurvenerkennung, dass mit der Eindosierung von AdBlue in den SCR-Katalysator bereits ab einer Betriebstemperatur des Katalysators von ca. 130 °C im NEFZ anstelle von ca. 150 °C im realen Straßenbetrieb begonnen wird.
6Die Einspritzung der Harnstoff-Lösung ist so programmiert, dass die Dosierung mit abnehmender Füllmenge des AdBlue-Tanks reduziert wird; der Prüflauf im NEFZ beginnt stets mit vollem AdBlue-Tank, sodass es im NEFZ nicht zu einer Reduktion der Eindosierung von AdBlue kommt. Ebenso wird die eindosierte Menge reduziert wenn das Fahrzeug bei Volllast fährt, was nur im realen Straßenbetrieb, nicht aber im NEFZ vorkommt.
7Die Motorsteuerung verfügt ferner über ein sogenanntes „Thermofenster“, außerhalb dessen die innermotorische Abgasrückführung reduziert bzw. deaktiviert wird; die Weite des Thermofensters ist zwischen den Parteien streitig.
8Ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update ließ der Kläger für sein Fahrzeug bislang nicht durchführen. Ein amtlicher Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA) lag bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vor.
9Die Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs hat am 01.06.2022 bei 70.823 km gelegen.
10Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen sittenwidriger Schädigung zu. Er behauptet, das Fahrzeug weise mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf. Er hält die Fahrkurvenerkennung und die Ausgestaltung der Dosierungen von AdBlue für unzulässig im Sinne der Vorschriften zur EG-Typengenehmigung. Ferner behauptet er, die Einstellungen der Motorsteuerungssoftware seien so ausgestaltet, dass die Abgasrückführung außerhalb eines Temperaturbereichs zwischen 20°C und 30°C („Thermofenster“), der auch im NEFZ herrscht, reduziert und schließlich ganz abgeschaltet werde. Dies habe zur Folge, dass das Fahrzeug außerhalb des Prüfstands, also im Normalbetrieb auf der Straße, jedenfalls außerhalb des genannten Temperaturbereichs die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxid nicht einhalte. Eine technische Notwendigkeit für das Thermofenster bestehe nicht.
11Ferner verfüge das Fahrzeug über eine Lenkwinkelerkennung. Erkenne das Fahrzeug einen höheren Lenkradeinschlag als den für den Prüflauf im NEFZ vorgeschriebenen, würden die Schaltpunkte des Getriebes höher gestellt, so dass es außerhalb der Teststandsbedingungen zu einem höheren Verbrauch und infolge dessen zu höheren Emissionen von CO2 und NOx komme.
12Die Vielzahl der verwendeten Abschalteinrichtungen belege, dass es der Beklagten hier nur um eine Prüfstands-Optimierung gegangen sei. Im Ergebnis sei die Wirkungsweise der Abschalteinrichtungen mit der „Umschaltlogik“ im Motor der Baureihe 000000 der Beklagten vergleichbar.
13Der Kläger behauptet, die Beklagte habe nicht nur in der Absicht gehandelt, (potenziellen) Käufern eine Umweltfreundlichkeit ihrer Motoren und Fahrzeuge vorzuspiegeln, die sie in Wirklichkeit nicht hatten, um diese besser vermarkten zu können. Die Beklagte habe darüber hinaus das KBA getäuscht, indem sie entgegen einer Vereinbarung mit dem KBA, wonach Fahrzeuge mit Produktionsdatum ab KW XX/XXXX keine Fahrkurvenerkennung mehr enthalten sollten, gleichwohl weiterhin Motoren und Fahrzeuge mit Fahrkurvenerkennung gebaut habe, zu denen – unstreitig – auch das Fahrzeug des Klägers zählt. Auch im Zuge der Aufarbeitung des sog. „Diesel-Skandals“ habe die Beklagte gegenüber dem KBA behauptet, dass die Fahrkurvenerkennung keinen Einfluss auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs habe, so dass das KBA jedenfalls bis ins Jahr 2021 davon ausgegangen sei, dass Fahrzeuge mit dem Motor XXXX im NEFZ und auf der Straße die gleichen Emissionsminderungsstrategien verwendeten.
14Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig, weil sie allein aus Gründen der Profitmaximierung auf hochwertige Technologien verzichtet habe, welche die Einhaltung der NOx-Emissionsgrenzwerte auch unter realen Fahrbedingungen ermöglicht hätten, und statt dessen – auf Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung – eine Technologie eingesetzt habe, bei der die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nur unter den Bedingungen des NEFZ funktioniere. Hierüber habe sie Genehmigungsbehörden und Millionen von Kunden getäuscht und dadurch eine Gesinnung gezeigt, die geprägt sei von Geringschätzung der Rechtsordnung sowie Gleichgültigkeit gegenüber der Gesundheit der Bevölkerung und Belangen des Umweltschutzes.
15Auf angeblich unklare gesetzliche Regelungen könne die Beklagte sich nicht berufen, da sie gegen klar und unmissverständlich formulierte Luftqualitätsziele verstoßen habe; die zentrale Bedeutung gesetzlicher Grenzwerte könne einem Fahrzeughersteller wie der Beklagten mit einer hochspezialisierten Rechtsabteilung nicht entgangen sein, zumal die Verwendung von Abschalteinrichtungen zu denjenigen Handlungen gehört, die der Unionsgesetzgeber in Art. XXXXXX als besonders sanktionswürdig eingeordnet habe.
16Der Kläger behauptet schließlich, die anzunehmende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs betrage mindestens 300.000 km.
17Der Kläger beantragt sinngemäß,
181. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 28.840,97 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs B mit der Fz.-Identifizierungsnummer XXXXXXXXXX;
192. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet;
203. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.525,90 € freizustellen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Die Beklagte wendet sich gegen den Anspruch und bestreitet, dass die Fahrkurvenerkennung eine unzulässige Abschalteinrichtungen darstelle. Diese sei nicht erforderlich, um die gesetzlichen Grenzwerte im Prüfzyklus einzuhalten; die Grenzwerte würden im Prüfzyklus auch nach Abschaltung der Fahrkurvenerkennung eingehalten.
24Welche Werte das Fahrzeug außerhalb dieser Tests aufweist, sei – so die Beklagte – rechtlich irrelevant und könne nicht als Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung dienen.
25Mit Blick auf das Thermofenster behauptet die Beklagte, die Abgasrückführung sei bei Außentemperaturen zwischen -24 °C und +70 °C zu 100 % aktiv und es gebe innerhalb dieses weiten Thermofensters keine kontinuierliche Abstufung der AGR in Abhängigkeit zur Außentemperatur.
26Vorsatz oder Sittenwidrigkeit liege auf ihrer Seite nicht vor, was schon daraus folge, dass das KBA die Fahrkurvenerkennung auch nach intensiven Tests nicht als unzulässige Abschalteinrichtung gewertet habe. Den Kläger habe sie nicht getäuscht, denn sie sei weder Herstellerin noch Verkäuferin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und habe dieses auch nicht in den Verkehr gebracht. Es drohe dem Kläger keine Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund eines KBA-Rückrufbescheids, so dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, den die Beklagte zu ersetzen habe.
27Schließlich behauptet die Beklagte, die anzunehmende Gesamtlaufleistung betrage maximal 250.000 km.
28Die Klage ist der Beklagten am 04.02.2021 zugestellt worden.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen, sowie die Sitzungsniederschrift vom 03.06.2022 Bezug genommen.
30Entscheidungsgründe:
31Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
32I. Leistungsantrag
33Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückerstattung des von ihm gezahlten Kaufpreises abzüglich des Wertes der von ihm in seit dem Kauf des Fahrzeugs gezogenen Nutzungen zu. Die Beklagte hat den Kläger durch den Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, mit der Folge, dass der Kläger gemäß §§ 826, 31, 249 BGB die Zahlung von Schadensersatz verlangen kann. Denn es ist davon auszugehen, dass das von ihm erworbene streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist, hinsichtlich deren Existenz die Beklagte bewusst getäuscht hat. Ihm steht daher ein Zahlungsanspruch im tenorierten Umfang gegen die Beklagte zu.
341.
35Das Verhalten der Beklagten – nämlich das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors XXXX in dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug – ist als sittenwidrig zu qualifizieren.
36Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. Urteile BGH vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, WM 2016, 1975 Rn. 16 m.w.N.; vom 7.5.2019 - VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8 m.w.N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH Urteil vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15, WM 2016, 1975 Rn. 16 m.w.N.).
37Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316-352, Rn. 15, nach juris). Da für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln ist, ist ihr das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, juris; OLG Köln, Urteil vom 10.03.2022, 24 U 112/21, Rn. 24, juris).
38a)
39Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit mehreren unzulässigen und prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtungen ausgestattet. Das ergibt sich bereits aufgrund des unstreitigen Parteivortrags.
40aa)
41Nach Art. XXXXXX hat der Hersteller von ihm gefertigte Neufahrzeuge dergestalt auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen (vgl. XXXXXX) und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vgl. XXXXXX) erreicht wird (BGH, Beschluss vom 8.01.2019, VIII ZR 225/17, Rn. 10, juris). Folgerichtig sieht die Verordnung die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, strikt als unzulässig an (Art. XXXXXX), sofern nicht die ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestände (Art. XXXXXX) greifen (vgl. auch Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 7 - 3000 - 031/16, S. 12 ff.).
42Dabei ist eine "Abschalteinrichtung" gemäß Art. XXXXXXX definiert als jedes Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird (BGH, NJW 2019, 1133). Zu einem solchen Konstruktionsteil zählt auch eine in den Rechner der Motorsteuerung integrierte oder auf ihn einwirkende Software, da sie auf die Funktion des Emissionskontrollsystems Einfluss nimmt und dessen Wirksamkeit verringert. Dabei sind nicht nur Technologien und die Strategie der Nachbehandlung von Abgasen erfasst, sondern auch solche, mit denen - wie vorliegend mithilfe der Abgasrückführung - die Emissionen im Vorhinein, das heißt bei ihrer Entstehung, verringert werden (vgl. BGH, NJW 2021, 2958; EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, juris).
43Ausgehend von diesen weitgefassten Bestimmungen handelt es sich bei der im Fahrzeug des Klägers installierten Software „Fahrkurvenerkennung“ um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 XXXXXX (so XXXXXXX). Denn die Software ist unstreitig in der Lage, zu erkennen, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet. Mit dieser Prüfstandserkennung ist unstreitig ein verändertes Emissionsverhalten des Fahrzeugs verknüpft. Denn wenn mittels Fahrkurvenerkennung eine Prüfung gemäß NEFZ erkannt wird, führt dies dazu, dass in diesem Fall eine hohe AGR-Rate auch nach Erreichen einer optimalen Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von 200° C beibehalten wird, während im Straßenbetrieb die AGR-Rate heruntergeregelt wird, und mit der Eindosierung von AdBlue in den SCR-Katalysator bereits ab einer Betriebstemperatur des Katalysators von ca. 130 °C im NEFZ anstelle von ca. 150 °C im realen Straßenbetrieb begonnen wird. Dabei stellt auch die Beklagte nicht in Frage, dass diese veränderte Strategie der Abgasrückführung auch einen Einfluss auf den Ausstoß an Stickoxiden (NOx-Werte) hat, auch wenn sie in Abrede stellt, dass die Minderung zur Einhaltung des gesetzlich vorgeschrieben Grenzwerts erforderlich ist.
44Eine unzulässige Abschalteinrichtung in diesem Sinne stellt ferner die Programmierung der Einspritzung der Harnstoff-Lösung dar. Diese ist so programmiert, dass die Dosierung mit abnehmender Füllmenge des AdBlue-Tanks reduziert wird; der Prüflauf im NEFZ beginnt stets mit vollem AdBlue-Tank, sodass es im NEFZ nicht zu einer Reduktion der Eindosierung von AdBlue kommt. Ebenso wird die eindosierte Menge reduziert wenn das Fahrzeug bei Volllast fährt, was nur im realen Straßenbetrieb, nicht aber im NEFZ vorkommt. Damit ermittelt das System der Abgasnachbehandlung die Parameter „Füllstand des AdBlue-Tanks“ und „abgerufene Leistung“, um die Funktion des SCR-Katalysators zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Da die vorgenannte Abschalteinrichtung im NEFZ nie greift, im realen Straßenverkehr dagegen regelmäßig eingreift und die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert, ist auch die hier streitgegenständlichen Programmierung der Einspritzung der Harnstoff-Lösung prüfstandsbezogen.
45Auf die weitere (beweisbedürftige) Behauptung des Klägers, auch das im Fahrzeug hinterlegte „Thermofenster“ stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, kommt es nicht entscheidungserheblich an, weil schon die unstreitig vorhandenen Abschalteinrichtungen ausreichen, um einen Schadensersatzanspruch des Klägers zu begründen.
46bb)
47Es liegt kein Fall vor, in dem Art. XXXXXX die Verwendung von Abschalteinrichtungen gestattet. Die hierfür erforderlichen (engen) Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
48Dass die genannten Softwarefunktionen erforderlich seien, um den Motor vor einer Beschädigung oder einem Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. XXXXXX), behauptet die Beklagte nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
49Es handelt sich auch nicht um Abschalteinrichtungen, die nicht länger arbeiten, als dies zum Anlassen des Motors erforderlich ist (Art XXXXXX). Weder die Manipulation hinsichtlich der Betriebstemperatur des SCR-Systems noch die Manipulation hinsichtlich der Eindosierung der Harnstofflösung stehen in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Anlassen des Motors.
50Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt im Fall der Fahrkurvenerkennung auch keine Ausnahme nach Art. XXXXXX vor. Demnach ist eine Abschalteinrichtung zulässig, wenn "die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind". Das OLG Köln führt in seinem Urteil vom 10.03.2022, 24 U 112/21, aus:
51„Diese - ausgehend vom Wortlaut zunächst schwer verständliche - Ausnahme ist, wie eine frühere Fassung des Verordnungsentwurfs zeigt, nur dann anwendbar, wenn die Bedingungen, "unter denen die Einrichtung arbeitet", im Emissionsprüfverfahren im Wesentlichen "berücksichtigt" sind (vgl. dazu den Kommissionsentwurf vom 21. Dezember 2005, KOM [2005] 683 endg., S. 18). Die in Art. XXXXXX vorgesehene Privilegierung ist daher nur dann einschlägig, wenn die Abschalteinrichtung deshalb greift, weil dies durch die Prüfverfahren zur Emissionsmessung im Wesentlichen vorgegeben wird (siehe auch Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, XXXXXXX). Dass durch die demgegenüber geänderte Formulierung in der verabschiedeten Fassung der VO XXXXXX ein anderer Aussagegehalt beabsichtigt war, ist nicht ersichtlich (vgl. BGH, NJW 2019, 1133). Da nichts dafür spricht - und von der Beklagten auch nicht behauptet wird -, dass die im Fahrzeug des Klägers vorhandene Abschalteinrichtung durch die Prüfverfahren zur Emissionsmessung vorgegeben war, greift die Ausnahmevorschrift des Art. XXXXXX vorliegend nicht.
52Dass mit dieser Vorschrift - wie von der Beklagten behauptet - eine "Grenzwertkausalität" eingeführt werden sollte, wonach eine Abschalteinrichtung zulässig ist, solange der vorgeschriebene Grenzwert auch dann eingehalten wird, wenn die Abschalteinrichtung deaktiviert wird, ist weder dem Wortlaut zu entnehmen noch im Rahmen einer teleologischen oder historischen Auslegung in die Regelung hineinzuinterpretieren. So erscheint es bereits zweifelhaft, ob der vorgeschriebene Grenzwert überhaupt eine "Bedingung" i.S. der genannten Norm darstellt, da dieser mit dem Ablauf der Prüfung gemäß NEFZ in keinem inhaltlichen Zusammenhang steht, sondern sich allein auf das Ergebnis der Prüfung bezieht. Darüber hinaus würde ein Normverständnis, wonach eine Abschalteinrichtung zulässig sein soll, solange auch bei ihrer Deaktivierung der Grenzwert eingehalten würde, die Ausnahmevorschrift uferlos ausweiten und letztlich das Erfordernis einer Prüfung gemäß NEFZ entwerten. Das Ziel der Verordnung ist eine Verbesserung der Luftqualität und die Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte. Dieses Ziel sollte durch eine erhebliche Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen, insbesondere durch die in der Euro-6-Stufe festgelegten Grenzwerte, erreicht werden (vgl. XXXXXX). In konsequenter Umsetzung der Ziele der Verordnung war die Durchführung eines Typengenehmigungsverfahrens vorgesehen, in dem die Fahrzeuge in einem standardisierten Verfahren (NEFZ) auf die Einhaltung der NOx-Emissionen hin überprüft werden sollten. Es entspricht Sinn und Zweck einer solchen Prüfung, dass sich ein objektiver Dritter - ggf. auch die Genehmigungsbehörde selbst - von der Erfüllung der gesetzlich geforderten Voraussetzungen, also der Einhaltung der NOx-Grenzwerte, überzeugen kann. Das war vorliegend aufgrund der Prüfstandserkennung mit sich daran anschließender veränderter Abgasbehandlung indes strukturell nicht möglich. Durch die Verwendung der Prüfstanderkennung lief das Fahrzeug auf dem NEFZ mit einem anderen Emissionsverhalten als unter realen Bedingungen. Bei einer solchen Steuerung lassen die im NEFZ ermittelten Werte jedoch keinen - auch keinen mittelbaren - Schluss auf die wirklichen Werte im Realbetrieb oder bei einem Betrieb nach Maßgabe des NEFZ im unmanipulierten Zustand mehr zu. Auch wenn - dem Vortrag der Beklagten folgend - die gesetzlichen NOx-Grenzwerte für das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem XXXXXX(SCR) auch bei Abschaltung der Prüfstanderkennungssoftware auf dem genormten Prüfzyklus eingehalten worden wären, machte es die von der Beklagten installierte Software für jeden Prüfer unmöglich, sich von der Einhaltung der Grenzwerte durch eine eigene Messung selbst zu überzeugen. Dass der Normgesetzgeber eine solch sinnentstellte Prüfung ermöglichen wollte, ist ausgeschlossen. Andernfalls hätte er schlicht auf das Prüfverfahren verzichten und die Zusagen der Hersteller, dass die gesetzlichen NOx-Grenzwerte auf dem NEFZ eingehalten werden, zur alleinigen Grundlage für die Erteilung der Typengenehmigung machen können.
53Die hiervon abweichende Auffassung der Beklagten, die darauf hinausläuft, dass Manipulationen der Messungen auf dem Prüfstand beliebig erlaubt sein sollen, solange die Grenzwerte bei Deaktivierung der entsprechenden Software eingehalten würden, führt den Sinn und Zweck des Testverfahrens, verlässliche Ergebnisse in Bezug auf die Einhaltung der Grenzwerte zu liefern, ad absurdum, weil dann nämlich nicht einmal mehr die unter Prüfbedingungen ermittelten Werte verlässlich, sondern bereits verfälscht sind, und dementsprechend die Testwerte nicht mehr den geringsten Schluss auf die Werte im Realbetrieb zulassen (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin XXXXXX, Nr. 124, 125; EuGH, NJW 2021, 1216 Rn. 98).
54Die von der Beklagte angenommene "Grenzwertkausalität" lässt sich auch nicht den Entscheidungen des EuGH und des BGH entnehmen. Zwar heißt es insoweit beim EuGH: "... die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesen Verfahren zu verbessern und so die Zulassung des Fahrzeugs zu erreichen" (EuGH, NJW 2021, 1216 Rn. 102). Auch der BGH formuliert: "... bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen, um auf diese Weise die Einhaltung der (andernfalls nicht erreichten) Emissionsgrenzwerte sicherzustellen" (vgl.: BGH, NJW 2019, 1133 Rn 13). Dies ist indes den Besonderheiten der den Entscheidungen zugrundeliegenden Fallkonstellationen geschuldet. Die von der Beklagten beim Motor XXXXXX eingesetzte Umschaltlogik diente gerade dazu, der Genehmigungsbehörde die ansonsten nicht gegebene Einhaltung der Grenzwerte vorzuspiegeln (vgl. BGH, NJW 2020, 1962). Daraus lässt sich aber - anders als die Beklagte offenbar meint - nicht der Umkehrschluss ziehen, dass es sich bei der Grenzwertkausalität um ein (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelt, das auch bei einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung zum Tragen kommt.“
55(OLG Köln, Urteil vom 10.03.2022, 24 U 112/21, Rn. 36 - 39, juris)
56Den vorstehenden Ausführungen schließt sich die Kammer an.
57Hinzu kommt für das vorliegende Verfahren, dass die Beklagte zwar die „Grenzwertkausalität“ der Abschalteinrichtung Fahrkurvenerkennung in Abrede stellt, zur Grenzwertrelevanz der weiteren, unstreitig vorhandenen Abschalteinrichtung „Programmierung der Harnstoff-Dosierung“ aber nur unvollständig Stellung nimmt. Hierzu trägt die Beklagte lediglich vor, sie bestreite, „dass die Herabsetzung der Dosierfreigabetemperatur und die frühere Eindosierung von AdBlue im NEFZ aufgrund der Fahrkurvenerkennung in den betroffenen XXX-SCR-Konzepten messbare Auswirkungen auf die NOx-Emissionen hat“ (Bl. 348 GA). Die Beklagte bestreitet indes nicht, dass die Harnstoff-Dosierung in Abhängigkeit vom Füllstand des AdBlue-Tanks sowie bei Volllast des Fahrzeugs heruntergeregelt wird. Sie tritt auch dem Klägervortrag nicht entgegen, wonach die Tankgröße nicht annähernd ausreicht, um bei realitätsnahem Gebrauch des Fahrzeugs die entstehenden Stickoxide dauerhaft ausreichend neutralisieren zu können. Im Ergebnis ist der Vortrag des Klägers, wonach außerhalb der NEFZ-Prüflaufsbedingungen der geltende NOx-Grenzwert von 80 mg/km deutlich überschritten wird, als zugestanden anzusehen, so dass mit Blick auf die Abschalteinrichtung „Programmierung der Harnstoff-Dosierung“ eine von der Beklagten möglicherweise angenommene Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c) XXXXX bei fehlender Grenzwertkausalität schon nach dem Vortrag der Beklagten nicht greift und – da die Beklagte das nicht behauptet – sie hiervon auch nie ausgegangen ist.
58b)
59Nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze stellt sich der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtungen durch die für die Beklagten handelnden Personen als besonders verwerflich dar. Mit der Beantragung der EG-Typgenehmigung wird zumindest stillschweigend erklärt, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand unter den gleichen Bedingungen betrieben wird, wie auf der Straße, soweit nicht aus technischer Hinsicht eine Abweichung bspw. aus Sicherheitsgründen erforderlich ist, wie es bspw. hinsichtlich der Abschaltung von ESP oder ABS auf dem Rollenprüfstand der Fall sein soll. Dass das Kriterium der Prüfstandsbezogenheit geeignet ist, um zwischen nur unzulässigen Abschalteinrichtungen und solchen zu unterscheiden, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, ist auch in der Rechtsprechung des BGH anerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 30, juris; BGH, Beschluss vom 9.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 27, juris; BGH, NJW 2021, 921). Wer im Prüfverfahren zur Typengenehmigung bewusst ein Fahrzeug vorführt, welches über eine Prüfstandserkennung verfügt und daran emissionsmindernde Maßnahmen knüpft, handelt im Bewusstsein, die Behörde über das Emissionsverhalten des Fahrzeuges zu täuschen (OLG Köln, Urteil vom 10.03.2022, 24 U 112/21, Rn. 40, juris).
60Darüber hinaus hat die Beklagte mit ihrem Vorgehen ihre Auffassung belegt, dass die gesetzlichen Grenzwerte für gesundheitsschädliche Emissionen für sie letztlich keine Verbindlichkeit besitzen und es in ihrem Belieben steht, unter welchen Betriebsbedingungen eines Fahrzeugs welche Emissionswerte „produziert“ werden. Das belegt eindrücklich die von der Beklagten als Anlage B 19 vorgelegte „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben XXXXX“, dort insbesondere S. 3, in der es um „NOx-Emissionen: Geplante Messungen und Zielwerte (Rollenmessung)“ geht. Die dortigen Ausführungen können nur so verstanden werden, dass die Beklagte vorab festlegte, welche Emissionswerte bei den unterschiedlichen gängigen Rollenprüfungen jeweils erreicht werden sollten. Für den Fahrzyklus „ADAC Autobahn“ gab sie bspw. Zielwerte von 320-400 mg/km NOx vor, mithin einen Wert, der das 4- bis 6-fache des gesetzlichen Grenzwerts nach Euro 6 beträgt. Dass diese Werte technischen Notwendigkeiten entsprochen hätten, ist nicht anzunehmen in Anbetracht der Tatsache, dass die Beklagte außerhalb des Prüfverfahrens NEFZ die Effizienz der von ihr eingesetzten emissionsmindernden Einrichtungen zielgerichtet herunterregelte, wobei sie auch hierfür keine technisch plausible Erklärung gegeben hat. Dieses Vorgehen zeigt im Hinblick auf den von den gesetzlichen Vorgaben intendierten Schutz der Gesundheit der Bevölkerung eine rücksichtslose Gesinnung, die gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316-352, Rn. 27)
61Der Kläger hat hinreichend dargelegt, dass die Beklagte auch nach der Aufdeckung der Umschaltlogik im Motor XXXXX und im Zuge der Untersuchungen zum Motoraggregat XXXX in den Folgejahren dem KBA gegenüber unzutreffende Angaben über die Wirkungsweise der Fahrkurvenerkennung gemacht hat, es mithin auf Seiten der Beklagten keine Verhaltensänderung gab, die mit Blick auf den Motor XXXX im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger (August 2017) die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten entfielen ließe.
62Unstreitig wurde seitens der Beklagten im November 2015 gegenüber dem KBA eine „Entscheidung“ kommuniziert bzw. mit diesem abgestimmt, „spätestens ab dem Modelljahreswechsel der Kalenderwoche 22 des Jahres 2016 bei allen XXXXX-Fahrzeugen (im Rahmen eines neuen Produktionsstarts bzw. einer Modellpflege) die Fahrkurvenerkennung nicht mehr vorzusehen“ (Bl. 177 GA). Gleichwohl enthält das nach diesem Datum produzierte Fahrzeug des Klägers eine Fahrkurvenerkennung, obwohl dies – so der unbestrittene Vortrag des Klägers – in Umsetzung der genannten abgestimmten Entscheidung nicht hätte vorkommen dürfen. Dem diesbezüglichen, aktualisierten Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 28.05.2022 ist die Beklagte trotz eines ihr insoweit eingeräumten Schriftsatznachlasses nicht entgegengetreten.
63Aufgrund des insoweit unbestrittenen Vortrags des Klägers ist ferner davon auszugehen, dass die Beklagte im Zuge der umfangreichen Prüfungen von Fahrzeugen mit dem Motoraggregat EAXXXXX, welche ab dem Herbst 2015 erfolgten, das KBA über die Funktionsweise der hinterlegten Fahrkurvenerkennung täuschte, indem sie dem KBA gegenüber verlautbaren ließ, dass diese Funktion keinen Einfluss auf die Emissionen des Aggregates habe und nicht zu einer Optimierung der NOx-Emissionen im Prüfstandsbetrieb genutzt worden sei (Bl. 244 f. GA). Dass dies nicht zutrifft, steht schon aufgrund des Vortrags, den die Beklagte in diesem Prozess zur Wirkungsweise der Fahrkurvenerkennung gehalten hat, fest.
64Dass die Beklagte zu irgend einem Zeitpunkt vor dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch den Kläger (August 2017) eine Kehrtwende vollzogen und das KBA rückhaltlos über die Wirkungsweise der Fahrkurvenerkennung, die gerade in der Optimierung der Abgasreinigung im NEFZ besteht, aufgeklärt habe, ist nicht ersichtlich und wird von der Beklagten auch nicht behauptet.
65Soweit sich die Beklagte ferner darauf beruft, die im Genehmigungsverfahren vorgesehenen Angaben seien gemacht worden, weitergehende Anforderungen hätten nicht bestanden und die Offenlegung weiterer Details habe nicht dem Verständnis des Typengenehmigungsverfahrens durch das KBA entsprochen, vermag sie dieser Vortrag nicht zu entlasten. Dass in den behördlichen Formularen die Beschreibung von "Abschalteinrichtungen" nicht vorgesehen ist, versteht sich von selbst, da derartige Vorrichtungen schon nach Art. 5 XXXXX unzulässig und somit nicht als abgefragtes Zulässigkeitsmerkmal in einem Genehmigungsantrag zu erwarten sind (OLG Köln, Urteil vom 05.11.2020, 7 U 35/20, Rn. 84, juris). Da bereits das materielle Recht derartige Vorrichtungen verbietet, besteht aufgrund dessen schon die Verpflichtung, derartige Mechanismen nicht in den Motoren zu verbauen.
66c)
67Durch den Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung hat die Beklagte das KBA bewusst getäuscht und sich damit zugleich gegenüber dem Kläger sittenwidrig verhalten.
68Dass es der Beklagten um eine Optimierung der Abgaswerte allein für Zwecke der Typengenehmigung ging, ist schon deshalb anzunehmen, weil die Beklagte nichts dazu vorträgt, weshalb die Fahrkurvenerkennung aus technischer Sicht erforderlich gewesen sein soll, auch nicht auf entsprechenden Hinweis im Termin zur mündlichen Verhandlung im Rahmen des ihr gewährten Schriftsatznachlasses. Dass die Beklagte bei Beantragung der EG-Typgenehmigung oder dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs davon ausgegangen ist, mit der Regelung in Art.XXXXX werde den Fahrzeugherstellern die Möglichkeit eingeräumt, im Typengenehmigungsverfahren ein prüfstandsbezogen manipuliertes Fahrzeug vorzuführen und damit – wie oben dargelegt - das Prüfungsverfahren ad absurdum zu führen, hält die Kammer für ausgeschlossen (so auch OLG Köln, Urteil vom 10.03.2022, 24 U 112/21, Rn. 41, juris).
69Davon, dass die Beklagte die Täuschung über das Vorhandensein prüfstandsbezogener Abschalteinrichtungen bewusst verübt hat, ist ebenfalls unter Berücksichtigung der sie treffenden sekundären Darlegungslast auszugehen. Angesichts der Mehrzahl der verbauten Mechanismen (Fahrkurvenerkennung, Programmierung der Harnstoffdosierung), die dazu führen, dass unter den Bedingungen des NEFZ die NOx-Grenzwerte eingehalten werden, im Realbetrieb auf der Straße aber zwangsläufig größtenteils verfehlt werden und unter Berücksichtigung der fehlenden technischen Plausibilität dieser Abschalteinrichtungen, kann nur der Rückschluss gezogen werden, dass der Beklagten diese Täuschung bewusst gewesen ist.
70d)
71Es steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) der Beklagten die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Die Beklagte ist dem Vortrag des Klägers (Bl. 8 f. GA) nicht ausreichend entgegengetreten, dass die Entscheidung zur Verwendung der Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp von verantwortlichen Personen der Beklagten getroffen wurde, so dass dieses Verhalten der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen ist. Die Beklagte trifft insofern eine sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316-352), der sie mit ihrem pauschal negierenden Vortrag nicht gerecht geworden ist. Zur Überzeugung der Kammer steht vielmehr fest, dass zumindest der Leiter der Entwicklungsabteilung und die für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorstände von der Entwicklung und Verwendung der Software zum Zeitpunkt der Typgenehmigung Kenntnis hatten und dies gebilligt und, wenn nicht angeordnet, so zumindest nicht unterbunden haben. Die Programmierung der prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtungen setzt denknotwendig eine aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware voraus und schließt die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustands aus (OLG Köln, Urteil vom 10.03.2022, 24 U 112/21, Rn. 44, juris).
72Bei der Entwicklung und der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte es sich um eine grundlegende, alle Konzernfahrzeuge mit Motoren der Serie XXXX mit SCR-Katalysator betreffende Entscheidung, die mit erheblichen Risiken für den gesamten Konzern und auch mit persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden war. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Strategieentscheidung nicht etwa von einem untergeordneten Mitarbeiter im Alleingang, sondern von einem Vorstand oder einem sonstigen verfassungsmäßig berufenen Vertreter, dessen Verhalten der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen ist, getroffen oder jedenfalls gebilligt worden war. Da sich die Unzulässigkeit der verwendeten Motorsteuerungssoftware aufdrängt, konnte daraus ohne Weiteres der Schluss auf ein diesbezügliches Bewusstsein eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters gezogen werden, ferner auf dessen Bewusstsein, dass angesichts der mit der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verbundenen, die volle Brauchbarkeit des Fahrzeugs einschränkenden Risiken niemand ein solches Fahrzeug - zumindest nicht ohne einen erheblichen Abschlag vom Kaufpreis - erwerben würde (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, Rn. 19, juris).
732.
74Der vom Kläger erlittene Schaden ist im Abschluss des Kaufvertrages über das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu sehen, die dazu führte, dass dem Kläger eine Betriebsbeschränkung oder -stilllegung für sein Fahrzeug drohte (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2002, VI ZR 252/19). Die Täuschung der Beklagten ist diesbezüglich auch kausal, da nach allgemeiner Lebenserfahrung kein Kunde ein Fahrzeug erwirbt, von dem er weiß, dass ihm eine Nutzungsuntersagung droht.
753.
76Auf der Grundlage des klägerischen Vortrags ist auch von einem Schädigungsvorsatz der für die Beklagte handelnden Personen auszugehen.
77Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, wobei ein Fahrlässigkeitsvorwurf nicht ausreichend ist ( vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 536/15, Rn. 25, juris). Für den Vorsatz im Rahmen des § 826 BGB genügt ein "Eventualdolus". Dabei braucht der Handelnde nicht im Einzelnen zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer Personen auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil vom 19.07.2004, II ZR 402/02, BGHZ 160, 149-159, Rn. 47). Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns kann sich die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist (BGH, Urteil vom 22.02.2019, V ZR 244/17, BGHZ 221, 229 Rn. 37; BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 62, juris).
78Der Schädigungsvorsatz des Leiters der Entwicklungsabteilung und des für die Entwicklung zuständigen Vorstandes der Beklagten ergibt sich daraus, dass diese von der Verwendung der in die Motorsteuerung implementierten prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung und damit der Täuschung des KBA bei der Typenzulassung wussten. Mithin war ihnen auch das Risiko eines Widerrufs der Typenzulassung bzw. einer Betriebsuntersagung in Bezug auf die betroffenen Fahrzeuge bewusst. Dass niemand ein solches Fahrzeug in Kenntnis dieses Risikos kaufen würde - jedenfalls nicht zu einem regulären Preis - war den handelnden Personen ohne Zweifel gegenwärtig. Auch wenn sie davon überzeugt gewesen sein sollten, die Manipulation werde nicht aufgedeckt werden, schließt dies den Vorsatz nicht aus, weil der Schaden im ungewollten Vertragsschluss, nicht dagegen in einer etwaigen Betriebsuntersagung liegt (vgl. BGH, NJW 2020, 1962; OLG Köln, Urteil vom 10.03.2022, 24 U 112/21, Rn. 52, juris).
794.
80Durch den Abschluss des Kaufvertrages hat der Kläger eine Vermögenseinbuße und damit einen erstattungsfähigen Schaden in der tenorierten Höhe hinnehmen müssen.
81An dieser Einschätzung vermag auch das zwischenzeitliche Angebot des Software-Updates nichts zu ändern, auch wenn möglicherweise der Kläger nach dessen Installation über ein zumindest hinsichtlich der Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte uneingeschränkt nutzbares Fahrzeug verfügen würde. Denn der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Kaufpreises ist bereits mit dem Vertragsschluss über den Erwerb eines aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung von Stilllegung bedrohten Fahrzeugs entstanden. Die nachträgliche Veränderung an dem Fahrzeug, nachdem dessen verdeckter Sachmangel aufgedeckt wurde, entfaltet keine Rückwirkung dergestalt, dass nunmehr ein gewollter Vertragsschluss seitens des Geschädigten anzunehmen wäre (OLG Köln, Urteil vom 05.11.2020, 7 U 35/20, Rn. 103, juris).
82Der Höhe nach kann der Kläger von der Beklagten den für den Fahrzeugkauf aufgewendeten Kaufpreis in Höhe von 26.105,00 € ersetzt verlangen, wobei er sich im Wege der Vorteilsausgleichung die bereits gezogenen Nutzungsvorteile im Wert von 4.455,42 € anrechnen lassen muss und das streitgegenständliche Fahrzeug nebst Zubehör Zug um Zug an die Beklagte zu übergeben und zu übereignen hat. Entgegen der Auffassung des Klägers ist sein anfänglicher Schaden nicht in Höhe des ursprünglich vereinbarten Kaufpreises von 32.480,00 € anzunehmen. Vielmehr ist der dem Kläger als Rabatt (im Vertragsformular als „Prämie“ bezeichnet) zugeflossene Vermögensvorteil als Abzugsposten bei der Berechnung des Schadens zu berücksichtigen (so auch OLG Hamm, Urteil vom 10.12.2020, 24 U 184/19, Rn. 59 f., juris). Diesen finanziellen Vorteil hat der Kläger gerade im Zusammenhang mit dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs realisiert; er stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erwerb des Fahrzeugs. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Kläger gegen die Verkäuferin des Fahrzeugs einen Anspruch hatte, mit dem er gegen den Kaufpreisanspruch der Verkäuferin aufgerechnet habe.
83Die Nutzungsvorteile sind gemäß § 287 ZPO zu schätzen, wobei zur Berechnung die allgemein anerkannte Formel angewendet werden kann: Bruttokaufpreis, geteilt durch die voraussichtliche (Rest-)Gesamtlaufleistung bei Kauf mal die vom Käufer gefahrenen Kilometer (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 80, juris). Dabei war als Laufleistung im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung der unstreitige Wert von 70.823 km anzunehmen.
84Das Gericht geht nach § 287 ZPO von einer voraussichtlich zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus, weil es sich um einen Diesel-Kombi-Fahrzeug eines deutschen Prämium-Fahrzeuge-Herstellers (B 3.) handelt, das auf umfangreiche und robuste Nutzung ausgelegt ist und mit dem gesteigerte Erwartungen an Qualität, Zuverlässigkeit und Haltbarkeit verbunden sind. Die Behauptung der Beklagten, die zu erwartende Gesamtlaufleistung betrage lediglich 250.000 km überzeugt nicht, da die Beklagte schon nicht transparent gemacht hat, wie sie diesen Wert ermittelt haben will.
85Demnach ist wie folgt zu rechnen:
8626.105 € / 276.341 km x 47.164 km = 4.455,42 €
87Die begründete Forderung ist seit dem 05.02.2021 zu verzinsen gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
88II. Feststellung des Annahmeverzugs
89Das mit dem Klageantrag zu 2. verfolgte Feststellungsbegehren ist zulässig und begründet.
90Die Beklagte geriet gemäß §§ 293, 298, 295 BGB spätestens mit Zustellung der Klageschrift und Ablehnung der Forderung durch Klageerwiderung, in der die Klageabweisung beantragt wurde, in Annahmeverzug.
91III. Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten
92Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 826, 249 BGB auf Freistellung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 €. Der Gegenstandswert entspricht dem gezahlten Kaufpreis (ähnlich wie der Gebührenstreitwert für die Gerichtskosten, so mit überzeugender Begründung LG Essen, Urteil vom 12.10.2017, 6 O 302/17, Rn. 121, juris, und entgegen Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19.03.2020, 7 U 100/19, Rn. 105 ff., juris; OLG Köln, Urteil v. 18.02.2021, 7 U 100/19); die Nutzungsentschädigung ist hierbei nicht abzuziehen. Jedoch ist nicht eine 2,5-Gebühr sondern lediglich eine 1,3-Gebühr gerechtfertigt (OLG Köln, Urteil vom 02.07.2020 – 7 U 261/19 –, Rn. 61, juris; OLG Köln, Urteil vom 10.03.2022, 24 U 112/21, Rn. 57, juris).
93Gegenstandswert: 26.105,00 €
941,3 Geschäftsgebühr gemäß VV-RVG 2300: 1.121,90 €
95Auslagen gemäß VV-RVG 7001, 7002: 20,00 €
96+ 19 % MwSt: 216,96 €
97Gesamt: 1.358,86 €
98Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
99Streitwert: bis 30.000 €
100