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Landgericht Köln, 82 O 53/20

Datum:
26.02.2021
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
82 O 53/20
ECLI:
ECLI:DE:LGK:2021:0226.82O53.20.00
 
Tenor:

A.  Hinweis

1          Die Kammer geht nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage davon aus, dass das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.3.2020 (nachfolgend „COVID 19-Gesetz“) mit der Ermöglichung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Anforderungen genügt.

2          Die von der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung geäußerten Zweifel zur Verfassungsmäßigkeit bzw. Europarechtskonformität des COVID 19-Gesetzes basierten auf der Annahme, dass eine Zwei-Wege-Kommunikation für Online-Hauptversammlungen im Grundsatz technisch möglich ist. Das entspricht auch der in der Literatur geäußerten Ansicht zu Online-Hauptversammlungen im Sinne von § 118 Abs. 1 S. 2 AktG.

3          Nach dem Vortrag der Parteien, der sich letztlich mit der Auffassung im Schrifttum deckt, fehlt es jedenfalls derzeit noch an standardisierten und rechtssicheren Plattformen für Online-Hauptversammlungen, die auch für größere Gesellschaften alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen und als gleichwertiger Ersatz für Präsenz-Hauptversammlungen gelten können. Erst recht kann nicht davon ausgegangen werden, dass für sämtliche Hauptversammlungen in 2020 eine ausreichende Kapazität von technisch einwandfreien Lösungen bereitstand. Tatsächlich sind noch keine reinen Online-Hauptversammlungen in Deutschland durchgeführt worden (vgl. dazu von Holten/Bauerfeind, AG 2018, 729, 732). Selbst die durch § 118 Abs. 1 S. 2 AktG eröffnete Hybrid-Hauptversammlung als kombinierte Präsenz- und Online-Hauptversammlung ist nur in wenigen Fällen durchgeführt worden (z.B. Münchener Rück AG und SAP AG).

4          Bei dieser Ausgangslage konnte der Gesetzgeber aufgrund des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums davon absehen, eine nicht technisch bewährte und standardisierte Online-Hauptversammlung als Alternative zur Präsenz-Hauptversammlung anzubieten. Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, dass der Zweck des Gesetzes, den Aktiengesellschaften während der Corona-Pandemie eine Hauptversammlungen mit Beschlussfassungen zu ermöglichen, vereitelt wird, falls ein nicht rechtssicheres und allenfalls vereinzelt verfügbares technisches Verfahren zur Durchführung einer der Präsenz-Hauptversammlung nachgebildeten Online-Hauptversammlung mit einem elektronischen Teilnahmerecht der Aktionäre vorgeschrieben wird.

5          Dabei kommt es nicht darauf an, ob es bereits im Jahr 2020 Anbieter gab, die Online-Hauptversammlungen mit Zwei-Wege-Kommunikation in Echtzeit angeboten haben. Einzelheiten der angebotenen Verfahren, ihrer technischen Umsetzung, ihrer Begrenzungen usw. sind nicht bekannt. Ferner kann auch nicht unterstellt werden, dass wenige Anbieter den gesamten Bedarf decken konnten, selbst wenn im Einzelfall eine geeignete technische Lösung zur Verfügung stand. Entscheidend ist, dass es im Jahr 2020 keinerlei Erfahrungen mit der ausschließlich elektronischen Teilnahme von Aktionären an Hauptversammlungen gab und es fraglich war, ob elektronische Kommunikationssysteme zur Abwicklung großer und komplexer Hauptversammlungen zur Abdeckung des gesamten Bedarfs zur Verfügung standen.

6          Vor diesem Hintergrund war es nicht unverhältnismäßig, dass der Gesetzgeber unter erheblicher Einschränkung der Teilnahmerechte der Aktionäre (Rede-, Frage- und Antragsrechte) vorübergehend lediglich eine virtuelle Hauptversammlung im Wege der technisch einfachen Bild- und Tonübertragung zur Verfügung gestellt hat. Dem liegt die nachvollziehbare Abwägung zugrunde, dass den Gesellschaften in der pandemiebedingten Notlage, die Präsenz-Hauptversammlungen ausschließen kann, eine rechtssichere Möglichkeit geboten werden soll, wichtige Hauptversammlungsbeschlüsse, etwa zur Feststellung von Jahresabschlüssen, zu Dividendenzahlungen und zu Kapitalerhöhungen, zu fassen.

7          Die Gesetzgebung in anderen Ländern zur Gestaltung von Online-Hauptversammlungen während der COVID-Pandemie ist unerheblich. Auch in Österreich und der Schweiz gibt es offenbar Einschränkungen der Aktionärsrechte bei der Durchführung von Online-Hauptversammlungen. Im Übrigen lassen sich die Verhältnisse in diesen Ländern nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen. Denn die aktienrechtlichen Anforderungen, die IT-technische Infrastruktur sowie die Angebots- und Nachfragesituation können abweichen.

8          Soweit unabhängig davon die Rechtmäßigkeit von § 1 Abs. 2 S. 2 COVID 19-Gesetz infrage steht, wonach der Vorstand nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen entscheidet, welche Fragen er wie beantwortet, wird zur Gewährleistung von Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Aktionärsrechterichtlinie in der Literatur zu Recht angenommen, dass der Vorstand – entgegen der in der Gesetzesbegründung aufgeführten Differenzierungsinstrumente – zur Beantwortung von Fragen verpflichtet ist, soweit die Durchführung der virtuellen Hauptversammlung hierdurch nicht beeinträchtigt wird (Danwerth, AG 2020, 776, 781; Lieder, ZIP 2020, 837, 841; Tröger, BB 2020, 1091, 1094; Wicke, DStR 2020, 885, 888; Bücker/Kulenkamp/Schwarz/Seibt/v. Bonin, DB 2020, 775, 782 f. (F 17); Götze/Roßkopf, DB 2020, 768, 771; Kruchen, DZWiR 2020, 431, 456 f.; Noack/Zetzsche, AG 2020, 265, 271 Rz. 49  ff.; Schäfer, NZG 2020, 481, 483; Simons/Hauser, NZG 2020, 488, 496; Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221, 230 f.).

9          Bei abschließender Betrachtung ist in Übereinstimmung mit den Äußerungen im Schrifttum davon auszugehen, dass vorübergehend zugelassene virtuelle Hauptversammlungen mit teils erheblichen Einschränkungen der Aktionärsrechte eine notwendige Reaktion des Gesetzgebers auf die Notlage des „Lockdown“ und der anhaltenden Versammlungsrestriktionen war (Noack/Zetzsche, AG 2020, 721, 728; Mayer/Jenne/Miller, BB 2020, 1282, 1294; Tröger, BB 2020, 1091, 1098; Rieckers, DB 2021, 98, 110; Teichmann/Krapp, DB 2020, 2169, 2178; Bücker/Kulenkamp/Schwarz/Seibt/von Bonin, DB 2020, 775, 783; Götze/Roßkopf, DB 2020, 768, 774; Kruchen, DZWIR 2020, 431, 464; Hippeli, DZWIR 2020, 263, 269; Atta, WM 2020, 1047, 1052). Sie dienen dem Infektionsschutz der Aktionäre sowie der gesamten Zivilgesellschaft und bewahren die Handlungsfähigkeit der Gesellschaften, was eindeutig auch im Interesse der Aktionäre als wirtschaftlichen Eigentümern liegt.

B.  Beweiserhebung

10       Es soll Beweis erhoben werden, ob die Aktionärin N GmbH einem Stimmverbot nach § 44 WpHG unterlag, weil diese von Herrn U über die N1 Co. Limited, P, K, beherrscht wurde (§ 35 Abs. 1 Ziffer 2 WpHG) bzw. eine Abstimmung im Stimmverhalten erfolgte (§ 34 Abs. 2 WpHG). Das Stimmverbot ist bereits Gegenstand des bei der Kammer anhängigen Verfahrens 82 O 91/18.

11       Als Zeugen sollen vernommen werden (von der Klägerin benannt):

12       Herr U zu laden über die N1 Co. Limited, entfernt

13       Herr L, Direktor, Senior Managing Executive Officer der N1 Co. Limited, entfernt

14       Herr J, Director, Executive Officer der N1 Co. Limited, entfernt

15       Herr N2, Direktor, Managing Director der N3 Promotion Foundation, entfernt

16       Die Zeugen sollen die Beweisfrage entsprechend der Vorgehensweise in dem Verfahren 82 O 91/18 gemäß § 377 Abs. 2 ZPO im Wege der Rechtshilfe schriftlich beantworten. Insoweit besteht für die Parteien binnen 3 Wochen ab Zugang dieses Beschlusses Gelegenheit, einen an die zeitlichen Umstände angepassten Fragenkatalog für die Zeugenbefragung vorzulegen.

17       Die vorgenannten Zeugen werden gemäß § 395 Abs. 1 ZPO darauf hingewiesen, dass sie zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet sind und sie ihre Aussage unter Umständen in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen zu beeidigen haben.

18       Die vorgenannten Zeugen werden auf das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO und das Zeugnisverweigerungsrecht aus sachlichen Gründen gemäß § 384 ZPO hingewiesen (siehe Anlage). Die vorgenannten Zeugen werden ferner darauf hingewiesen, dass sie zur Vernehmung vor Gericht geladen werden können.

19       Die schriftliche Befragung der vorgenannten Zeugen wird davon abhängig gemacht, dass die Klägerin für jeden Zeugen einen Auslagenvorschuss i.H.v. jeweils 1.000,00 € binnen 2 Wochen ab Zugang dieses Beschlusses bei der Gerichtskasse Köln einzahlt. Ferner wird die schriftliche Befragung der Zeugen davon abhängig gemacht, dass die Klägerin binnen gleicher Frist einen Kostenvorschuss für die Übersetzung der Beweisbeschlüsse, des vorgelegten Fragekatalogs und der sonstigen Unterlagen von der deutschen in die japanische Sprache i.H.v. 3.000,00 € bei der Gerichtskasse Köln einzahlt.

C.  Weitere Beweisaufnahme

20       Abhängig von dem Beweisergebnis zu Ziffer B. dieses Beschlusses bleibt eine weitere Beweisaufnahme zur Nichtbeantwortung einiger Fragen vorbehalten.

 
 

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