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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T A T B E S T A N D :
2Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht verzinsliche Rückzahlung von Beiträgen, die auf drei Versicherungsverträge gezahlt worden sind.
3Es handelt sich hierbei um die folgenden Verträge:
41. Fondsgebundene Lebensversicherung B Nr. 0476703 P
5Versicherungsbeginn 1.5.1998
6Kündigung am 23.2.2017 und Auszahlung des Rückkaufswertes iHv 12.085,12 €
7Widerspruch am 28.2.2018
8Abtretung am 28.2./26.3.2018
92. Rentenversicherung mit C Nr. 810839 T
10Versicherungsbeginn 1.9.2001
11Kündigung zum 30.9.2008 und Auszahlung des Rückkaufswertes iHv 1.776,85 €
12Widerspruch am 2.2.2018
13Abtretung am 2.2./7.2.2018
143. Lebensversicherung H Nr. 24154/20/8383151 H1
15Versicherungsbeginn 1.12.2003
168.4.2020 Kündigung
178.4.2020 Widerspruch
18Abtretung am 8.4./9.4.2020
19Die Klägerin trägt zu den einzelnen Verträgen (entsprechend der vorstehenden Bezifferung) insbesondere vor:
201. Eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung sei dem Zedenten P nicht erteilt worden. Entsprechend der Ankündigung im Antragsformular und ausweislich der expliziten Erklärung im Policenbegleitschreiben seien die Versicherungsbedingungen erstmals mit dem Versicherungsschein überlassen worden.
212. Die in dem Versicherungsschein (Bl. 27 ff d.A.) enthaltene Widerspruchsbelehrung sei unwirksam, weil die Textform des Widerspruchs gegolten habe, die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Zendenten aber eine schriftliche Widerspruchserklärung abverlangt habe.
223. Die Widerspruchsbelehrung im Policenbegleitschreiben (Bl. 30 d.A.) sei in Ansehung des Fristbeginns fehlerhaft.
23Übersichtlich gegliederte Verbraucherinformationen lägen bis heute nicht vor. Verkaufsprospekte zu den ausgewählten Fonds seien nicht überlassen worden.
24Die Klägerin beantragt die Beklagte zu verurteilen
251. an sie einen Betrag in Höhe von 11.615,37 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 8.6.2019 sowie eine Verzugskostenpauschale von 40 € zu zahlen,
262. an sie einen Betrag in Höhe von 2.473,13 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 2.6.2018 sowie eine Verzugskostenpauschale von 40 € zu zahlen,
273. an sie einen Betrag in Höhe von 25.136,85 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 15.7.2020 sowie eine Verzugskostenpauschale von 40 € zu zahlen.
28Die Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Sie bestreitet wirksame Abtretungsvereinbarungen, hält die Klägerin nicht für aktivlegitimiert und trägt des Weiteren zu den einzelnen Verträgen im Wesentlichen vor:
311. Der Vertrag sei nicht im Policen-, sondern im Antragsmodell nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. abgeschlossen worden, weil der Versicherungsnehmer bereits vor Unterzeichnung des Versicherungsantrags die Versicherungsbedingungen und die vollständigen Verbraucherinformationen erhalten habe und dies in einer gesondert unterzeichneten Erklärung bestätigt habe. Die in dem Antrag Rücktrittsbelehrung sei wirksam. Unstreitig habe der Versicherungsnehmer im Jahr 2004 die Reduzierung des Monatsbeitrags beantragt und 2010 eine Maklergesellschaft zur Betreuung des Vertrages bestellt.
322. Unstreitig habe der Kläger im Jahr 2007 das vertraglich vorgesehene Angebot einer Dynamisierung abgelehnt. Die Belehrung in dem Policenbegleitschreiben sei wirksam.
333. Die in dem Policenbegleitschreiben enthaltene Widerspruchsbelehrung sei nicht zu beanstanden. Der Versicherungsnehmer habe sie – unstreitig – im Jahr 2011 über seine geänderte Adresse informiert, 2020 Auskunft über die aktuellen Vertragswerte verlangt und einen Ersatzversicherungsschein beantragt; mit E-Mail vom 2.4.2020 habe er mitgeteilt, dass er eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung in Betracht ziehe, was sie unter dem 3.4.2020 zurückgewiesen habe.
34Im Übrigen stehe einem „ewigen Widerspruchsrecht“ nach § 5a VVG der Verwirkungseinwand aus § 242 BGB entgegen. Die Abtretung eines Widerspruchsrechts an einen gewerblichen Policenaufkäufer stehe auch nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des § 5a VVG a.F..
35Vorsorglich wendet sich die Beklagte gegen die Höhe der erhobenen Ansprüche.
36Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
37E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
38Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln (20 U 60/20) ist die Klägerin aktivlegitimiert.
39Zahlungsansprüche aufgrund Widerspruchs oder Rücktritts stehen der Klägerin jedoch nicht zu.
40Es kann dahinstehen, ob der Vertrag zu Ziffer 1. (VN P ) nicht im Policen-, sondern im Antragsmodell geschlossen worden ist, weil der Versicherungsnehmer den Erhalt von Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen bereits vor Antragstellung bestätigt hat, oder ob es an erforderlichen Informationen über die Fondszusammenstellung fehlte. Unerheblich ist, dass die Belehrung bezüglich des Vertrags zu Ziffer 2. (VN T ) unwirksam ist, weil sie die fristauslösenden Unterlagen unzutreffend benennt und fälschlich auf eine einzuhaltende Schriftform verweist.
41Denn nach den besonderen Umständen des Einzelfalles ist die Geltendmachung des Widerspruchsrechts bzw. des Bereicherungsanspruchs jedenfalls rechtsmissbräuchlich, so dass dem Klageanspruch vorliegend der Einwand von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entgegensteht.
42Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann nach den Umständen des Einzelfalls die Ausübung des Widerspruchs-, Widerrufs- oder Rücktrittsrechts verwirkt sein oder sich als grob widersprüchliches und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßendes Verhalten des Versicherungsnehmers darstellen. Besondere Gegebenheiten können die Annahme rechtfertigen, dass der Versicherer berechtigterweise mit einem Widerspruch des Versicherungsnehmers nicht mehr rechnen muss und auch der Versicherungsnehmer insoweit nicht mehr schutzwürdig ist (BGH, Beschluss vom 11.11.2015 – IV ZR 117/15 –, Beschluss vom 27.1.2016 – IV ZR 130/15 – ; OLG Köln, Urteil vom 6.11.2015 – 20 U 108/15 – , Urteil vom 19.9.2014 – 20 U 69/14 – ). Allgemein gültige Maßstäbe können hierzu allerdings nicht aufgestellt werden; es ist vielmehr jeweils im Einzelfall von dem Tatrichter festzustellen, ob im vorliegenden Einzelfall die Ausübung des Widerspruchsrechts trotz unzureichender Belehrung oder unvollständiger Verbraucherinformationen mit Treu und Glauben nicht in Einklang zu bringen ist (BGH, Beschluss vom 27.9.2017 – IV ZR 506/15 –, NJW 2018, 161). Entscheidend ist, ob Umstände vorliegen, die der Versicherer dahin verstehen durfte, dass der Versicherungsnehmer unabhängig von einem etwaigen Lösungsrecht unbedingt den Vertrag fortsetzen wollte (BGH, Urteil vom 16.12.2016 – IV ZR 399/15 –). Demzufolge wird in der Rechtsprechung auch in Fällen einer unrichtigen Belehrung bei Hinzutreten besonderer Umstände ein Rechtsmissbrauch bzw. eine Verwirkung angenommen. Als besondere Umstände sind dort etwa die Inanspruchnahme der Versicherung als Kreditsicherheit (BGH IV ZR 130/15), der Ablauf der Versicherung nach langem Zeitraum oder ein langer Zeitraum mit bestätigenden Handlungen des Versicherungsnehmers angenommen worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann es treuwidrig sein, wenn der Versicherungsnehmer dem Vertragsschluss widerspricht, nachdem der Versicherungsvertrag nach einer Vertragskündigung auf ausdrückliches Verlangen des Versicherungsnehmers fortgesetzt worden ist (BGH IV ZR 117/15; im Anschluss hieran OLG Köln, Urteil vom 3.5.2016 – 20 U 29/16 –). Das Oberlandesgericht Köln hat im Urteil vom 19.9.2014 (20 U 69/14) Verwirkung bei einem Zeitraum von 20 Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerruf angenommen und dabei darauf abgestellt, dass die Frage der Kenntnis von einem Widerrufsrecht nur ein Element im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände darstelle. Entscheidend sei auch der Zweck des Widerrufsrechts, dem Versicherungsnehmer, der sich möglicherweise voreilig zu einem Vertragsabschluss entschieden habe, eine rechtliche Handhabe zu geben, um den Vertrag nicht fortsetzen zu müssen. Dieser Zweck verblasse im Laufe der Zeit und trete dann in den Hintergrund, wenn der Versicherungsnehmer den abgeschlossenen Vertrag über viele Jahre hinweg fortführe und so zu erkennen gebe, dass er am Vertrag festhalten werde.
43Dem zum 1.5.1998 abgeschlossenen Vertrag zu Nr. 1 (VN P) ist nach der Kündigung 2017 erst am 28.2.2018, also nahezu 20 Jahre nach Vertragsbeginn, widersprochen worden, dem zum 1.9.2001 abgeschlossenen und zum 30.9.2008 gekündigten Vertrag zu Nr. 2 (VN T ) erst am 2.2.2018 und mithin 17 Jahre nach Vertragsschluss und fast 10 Jahre nach der kündigungsbedingten Abwicklung. Bereits diese genannten Zeiträume begründen ein berechtigtes Vertrauen der Beklagten auf den Bestand der Verträge. Die gleichwohl erklärten Widersprüche stellen sich demgegenüber als rechtsmissbräuchlich dar. Im Rahmen der Gesamtschau kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass es dem vorgenannten Schutzzweck des § 5a VVG a.F. in eklatanter Weise widerspricht und als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, wenn ein gewerblicher Policenaufkäufer nach langjähriger Vertragsdurchführung und kündigungsbedingter Beendigung der Verträge erkennbar das Ziel einer Renditeerhöhung verfolgt (Hanseatisches OLG, Beschluss vom 21.4.2020, 9 U 51/20 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 19.12.2019, C-355/18; OLG München, Urteil vom 13.12.2019, 25 U 2620/19).
44Die von der Klägerin herangezogene Entscheidung des EuGH vom 9.9.2021 – C33-20 – betrifft Verbraucherkreditverträge und ist insoweit nicht einschlägig.
45Bezüglich des Vertrages zu Ziffer 3. (VN H1 ) ist der Widerspruch nach § 5a VVG verfristet. Die in dem Policenbegleitschreiben enthaltene Belehrung
46„Der Versicherungsvertrag gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheins, insbesondere der Versicherungsbedingungen als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs“.
47ist nach der ständigen und vom Bundesgerichtshof bestätigten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln und der Kammer nicht zu beanstanden und bezeichnet insbesondere im Zusammenhang mit dem sonstigen Inhalt des Schreibens hinreichend die fristauslösenden Unterlagen und den Fristbeginn.
48Die Auslösung der Widerspruchsfrist scheitert auch nicht an einer unvollständigen Übersendung der erforderlichen Verbraucherinformationen. Die Klägerin trägt nicht konkret vor, welche Verbraucherinformation unzureichend erteilt worden sein soll. Einer „übersichtlich gegliederten“ Verbraucherinformation bedarf es nicht.
49Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 I, 709 ZPO.
50Streitwert: 39.225,35 €