Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 14.05.2020 (Az. 82 Ls 11/20) im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der rechtskräftigen Strafen aus den Verfahren Amtsgericht Gummersbach 83 Ds 228/19 (Urteil vom 03.09.2019) sowie Amtsgericht Gummersbach 83 Cs 329/19 (Strafbefehl vom 08.10.2019) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Gebühr für das Berufungsverfahren wird reduziert um ½. In dieser Höhe werden die notwendigen Auslagen des Angeklagten erstattet.
Gründe:
2I.
3Durch das Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 14.05.2020 (Az. 82 Ls 740/19) wurde der Angeklagte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 03.09.2019 – 83 Ds 228/19 – nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
4Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit dem fristgerecht eingelegten Rechtsmittel der Berufung. Die Staatsanwaltschaft erstrebt einen Schuldspruch wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und eine härtere Bestrafung des Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe, die nicht bewährungsfähig ist.
5Die Berufung hat teilweise Erfolg.
6II.
7Feststellungen zur Person:
8Das Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 03.12.2013 (80 Ls 34/13) enthält die nachfolgenden Feststellungen zur Person, welche sich der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung zu Eigen gemacht hat:
9„Der Angeklagte ist das jüngere Kind von zwei Kindern seiner Eltern. Sein am 00.00.0000 geborener Vater A arbeitete als Berufskraftfahrer. Der Vater verstarb am 00.00.0000 an einer Krebserkrankung. Die am 00.00.0000 geborene Mutter arbeitet als Kassiererin im B-Markt. Zur Familie gehört noch die am 00.00.0000 geborene Schwester C, die gemeinsam mit ihren Lebensgefährten in einer eigenen Wohnung lebt und – als gelernte zahnmedizinische Assistentin eine eigene Filiale für Backwaren leitet.
10Der Angeklagte besuchte die Grundschule in D-E, auf der er die 3. Klasse wiederholen musste und wechselte sodann auf die Hauptschule F, auf der er – wegen eingestandener Faulheit – die 6. Klasse wiederholen musste und die er im Sommer 2010 als Schüler der sog. BuS-Klasse (Beruf und Schule) verlassen konnte. In den letzten beiden Schuljahren war er im ersten Praktikumsjahr bei dem Unternehmen G in F und im zweiten Praktikumsjahr bei dem Unternehmen H in D-I tätig, das ihn wegen seiner Leistungen zum 01. September 2010 in ein 3½ Jahre dauerndes Ausbildungsverhältnis zum Metall- und Stahlbauer übernahm. Im Frühjahr 2012 wurde er im zweiten Lehrjahr fristlos gekündigt. Es war davor häufig zu Konflikten zwischen dem Angeklagten und seinem Vorgesetzten gekommen. In einem der Kündigung folgenden Rechtsstreit wurde festgestellt, dass die Kündigung unwirksam war. Der Angeklagten setzte seine Ausbildung dennoch aufgrund der konfliktbeladenen Situation nicht fort und war anschließend für ca. 7 Monate arbeitslos. Eine andere Ausbildungsstelle konnte er zunächst nicht finden, der frühere Ausbildungsbetrieb musste indes während dieser Zeit den vollen Ausbildungslohn weiterhin zahlen. In der Zeit vom 01.08.2012 bis Ende 2012 arbeitete der Angeklagte als Lüftungsmonteur bei der Firma J in E, diese musste ihn jedoch wegen schlechter Auftragslage wieder entlassen. Vorübergehend war der Angeklagte arbeitslos und half in dieser Zeit in der Backwarenfiliale seiner Schwester oder dem damals noch lebenden Vater bei dem Bau eines Balkons aus. Seit dem 01.08.2013 macht der Angeklagte eine neue Ausbildung als Gebäudereiniger. Dort verdient er monatlich 595 € netto.“
11Weitere Feststellungen zur Person beruhen auf dem schriftlichen Bericht Bewährungshelferin K vom 26.05.2021. Auch den Inhalt dieses Berichts hat sich der Angeklagte zu Eigen gemacht:
12„L steht hier unter Bewährungsaufsicht aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Gummersbach zum Aktenzeichen 83 Ds 228/19 BEW, rechtskräftig am 11.9.2019.
13Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre.
14Neben den üblichen Bewährungsauflagen wurde L die Weisung erteilt, Kontakt zur M Suchthilfe aufzunehmen und eine Stellungnahme über den notwendigen Suchthilfebedarf binnen einer Frist von zehn Wochen der Bewährungshilfe vorzulegen.
15Ferner wurde ihm die Weisung erteilt, sich jeglichen Konsums von Betäubungsmitteln zu enthalten und die Befolgung der Weisung auf Anordnung durch Drogenscreenings nachzuweisen.
16L ist mir persönlich seit März 2020 bekannt. Zuvor wurde er durch die Kollegin N betreut. Da L zu Beginn den Kontakt zur Suchthilfe hat schleifen lassen, wurde seitens der Kollegin ein Anhörungstermin angeregt. In der dortigen Anhörung beim AG Gummersbach vom 30.03.2020 wurde L ermahnt.
17Seine Kontakthaltungspflicht zur Bewährungshilfe verläuft seitdem im Abstand von vier bis sechs Wochen beanstandungsfrei. Er zeigt in der Regel eher weniger Gesprächsbedarf. Sein Auftreten ist kooperativ.
18Bis dato ließ L nach Aufforderung drei Drogenscreenings am 27.01.2020, 14.05.2020 und 26.10.2020 in der Praxis O durchführen. Die negativen Befunde übersende ich im Anhang zur Kenntnis.
19Bereits seit Januar 2021 wurde L aufgefordert ein weiteres Drogenscreening durchführen zu lassen, jedoch kam er der Weisung bis dato nicht nach. Zuletzt wurde er am 19.05.2021 erneut aufgefordert einen neuen Befund am 04.06.2021 bei Gericht vorzulegen.
20Bei der M Suchtberatung nahm er zur Abklärung des Suchthilfebedarfs insgesamt drei persönliche Gespräche wahr. Aufgrund der Corona Pandemie fand ein letztes Beratungsgespräch am 06.05.2020 telefonisch statt. L verneinte den Konsum von Betäubungsmitteln und Alkohol. Da er gegenüber der Suchttherapeutin keinen weiteren Beratungsbedarf angab, wurde die Beratung beendet. Entsprechende Bescheinigungen übersende ich im Anhang zur Kenntnisnahme.
21Zu seiner Person und seinen Lebensverhältnissen ist mitzuteilen, dass L ledig ist und in Eigentum aus gemeinsamer Erbschaft lebt. L ist mit seiner älteren Schwester im elterlichen Haushalt aufgewachsen. Er hat die Hauptschule nach Klasse 9 verlassen. Anschließend begann er eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker, brachte die Ausbildung jedoch nicht zu Ende. Zum damaligen Zeitpunkt, in dem sein Vater verstorben sei, habe er sich in einer schwierigen Lebenssituation befunden.
22Bereits im Jugendalter zeigte L abweichende Verhaltensweisen und trat strafrechtlich erstmals im Alter von 15 Jahren in Erscheinung. L ist mittlerweile bewährungs- und auch hafterfahren.
23Zur Suchtmittelanamnese ist mitzuteilen, dass L erstmalig im Alter von 15 Jahren Cannabis konsumiert hat. Kurze Zeit später folgten, nach seinen Angaben der Konsum von Alkohol und „härteren Partydrogen“ in Form von Speed und Ecstasy. Eine Therapie/Entgiftung hat er nie absolviert. Aus hiesiger Sicht lag eine tatsächlich intrinsische Motivationslage auch nicht vor.
24Nach Angaben von L bestehe heute keine Abgrenzungsproblematik zu Betäubungsmitteln mehr.
25Zuletzt arbeitete L voll-sozialversicherungspflichtig bei einem Metallverarbeitungsunternehmen in D als Lagerist. Nach seinen Angaben wurde ihm pandemiebedingt im Februar 2021 gekündigt. Unmittelbar danach stellte er mit hiesiger Unterstützung einen Antrag bei der zuständigen Agentur für Arbeit und bemühte sich gleichzeitig um eine neue Arbeitsstelle.
26Seit dem 04.05.2021 arbeitet er nun bei der Firma P in Q als Monteur in Vollzeit. Sein Chef würde ihn täglich mit dem Auto mit zur Arbeit nehmen. Der Arbeitsvertrag ist zunächst für sechs Monate befristet. L wurde gebeten, entsprechenden Arbeitsvertrag einzureichen. Da dies bislang nicht erfolgt ist wurde mit ihm vereinbart, dass er diesen am 04.06.2021 in dem Fortsetzungstermin dem Gericht vorlegt.
27Die Sperrfrist zu Erlangung der Fahrerlaubnis dauert nach hiesiger Kenntnis bis September 2021 an. Bislang hat L noch keine Entscheidung getroffen, ob er seinen Führerschein anschließend über eine erforderliche medizinisch-psychologische-Untersuchung (MPU) wiedererlangen möchte.
28In Bezug auf den weiteren Bewährungsverlauf wird derzeit von einer weiterhin beanstandungsfreien Zusammenarbeit ausgegangen. Für eine positive Sozialprognose spricht aktuell, dass L sich innerhalb kürzester Zeit um eine neue Arbeitsstelle bemüht hat. L befindet sich in einer geregelten Alltagsstruktur und macht den Eindruck, seine Lebenssituation dauerhaft ordnen zu wollen. Ferner pflegt er nach eigenen Angaben eine enge Beziehung zu seiner in direkter Nachbarschaft lebenden Mutter und Schwester.
29Nach hiesigem Kenntnisstand sind keine neuen Straftaten bekannt.
30Bei einer erneuten Strafaussetzung zur Bewährung wird von hiesiger Seite angeregt, die Weisung, nach Aufforderung Drogenscreenings durchführen zu lassen, beizubehalten. L kann so weiterhin seine Abstinenz nachweisen und angehalten werden einen Rückfall in frühere suchtgeprägte Verhaltensweisen zu vermeiden“
31Den – unbefristeten – Anstellungsvertrag als vollschichtig tätiger Montagehelfer (Bruttovergütung 11,50 €/Std.) mit dem Träger P (P e.V.) vom 06.05.2021 hat der Angeklagte am dritten Hauptverhandlungstag in Kopie vorgelegt. Ein aktuelles Drogenscreening hat er jedoch nicht eingereicht.
32Der Bundeszentralregisterauszug vom 02.06.2021 weist für den Angeklagten folgende Eintragungen auf:
331. 16.09.2008 AG Gummersbach - 80 Ds 134/08 - 178 Js 863/08Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag, ein Monat Fahrverbot, Erbringung von Arbeitsleistungen, Richterliche Weisung.
342. 17.12.2008 AG Gummersbach - 80 Ds 239/08 - 178 Js 1323/08Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, eine Woche Jugendarrest.
353. 05.01.2010 AG Gummersbach - 80 Ds 310/09 - 178 Js 1082/09Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, zwei Wochen Jugendarrest, Erbringung von Arbeitsleistungen.
364. 25.01.2011 AG Gummersbach - 80 Ds 244/10 - 178 Js 995/10Vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, drei Monat Fahrverbot, Richterliche Weisung, Geldauflage, Erbringung von Arbeitsleistungen, Maßnahme nach StVG § 21 Abs. 3.
375.15.11.2011 AG Gummersbach - 80 Ds 179/11 - 178 Js 594/11Leistungserschleichung und versuchter Betrug, Verfahren eingestellt nach § 47 JGG, Ermahnung, Geldauflage.
386. 14.12.2011 AG Gummersbach - 80 Ds 217/11 - 182 Js 648/11Unerlaubter Besitz von Marihuana, Richterliche Weisung, Geldauflage.
397. 31.10.2012 AG Gummersbach - 80 Ds 148/12 - 178 Js 525/12Fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, sechs Monate Jugendstrafe, Sperre für die Fahrerlaubnis bis 07.08.2013, Bewährungszeit 3 Jahre.
408. 17.04.2013 AG Gummersbach - 80 Ls 6/13 - 178 Js 22/13Sachbeschädigung, fahrlässiger Verstoß gegen das Waffengesetz, neun Monate Jugendstrafe, Bewährungszeit drei Jahre, einbezogen wurde die Entscheidung vom 31.10.2012, 80 Ds 148/12 – 178 Js 525/12 - AG Gummersbach.
419. Durch Urteil des Amtsgerichts Gummersbach – Jugendschöffengericht – vom 03.12.2013 (83 80 Ls 34/13) wurde der Angeklagte unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Gummersbach vom 17.04.2013 – Az.: 80 Ls-178 Js 22/132-6/13 – einschließlich des dort einbezogenen Urteils der fahrlässigen Trunkenheit in Tateinheit mit vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis für schuldig befunden und zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
42Diesem Urteil lagen folgende Feststellungen zur Sache zugrunde:
43„Am 18.06.2012 traf sich der Angeklagte mit dem Zeugen R. Gemeinsam konsumierten die Freunde Alkohol und Rauschmittel. Sodann fasste der Angeklagte den Entschluss, mit dem Fahrzeug seines Vaters in Begleitung des Zeugen R eine Fahrt zu unternehmen, obgleich er – wie ihm bewusst war – noch nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis war. So kam es, dass der Angeklagte am 18.06.2012 gegen 21:15 Uhr u.a. die dem öffentlichen Verkehr zugängliche Sstraße in D befuhr. Dort steuerte der Angeklagte den Mercedes plötzlich in den Gegenverkehr und kollidierte mit dem von der Zeugin T geführten PKW der Marke Mazda mit dem amtlichen Kennzeichen ###. Die Zeugin wurde durch die Kollision verletzt. Sie erlitt Prellungen und Blutergüsse und litt für ca. zwei Wochen an Schmerzen. Der Schaden an ihrem Fahrzeug belief sich auf ca. 7.000,00 €. Die dem Angeklagten um 22:22 Uhr entnommene Blutprobe hat eine Blutalkoholkonzentration von 1,34 Promille ergeben. Auch hat sie den vorherigen Konsum von Cannabisprodukten ergeben. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können und müssen, dass er aufgrund seiner Alkoholisierung nicht mehr in der Lage war, ein Fahrzeug sicher zu führen und, dass deshalb die Gefahr des Unfalls –auch mit Personenschaden- bestand.“
44Die Bewährung wurde durch das Amtsgericht Gummersbach in der Folge widerrufen, weil der Angeklagte sich erneut strafbar gemacht hat (siehe nachfolgend dokumentierte Verurteilung vom 16.11.2015). Die Strafe wurde nach dem Bewährungswiderruf vollständig vollstreckt.
4510. Durch Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 16.11.2015 (Az. 81 Ds 463/15) wurde der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Zudem wurde er verurteilt, Adhäsionsklägerin U 6.293,36 € zu zahlen.
46Zur Sache traf das Gericht folgende Feststellungen:
47„Am 26.06.2015 konsumierte der Angeklagte eine nicht genau bestimmbare Menge Alkohol und traf sich in alkoholisierten Zustand mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin, der Zeugin U, u.a. um sich auszusprechen. Der Angeklagte und die Zeugin U trafen in der Sstraße in I aufeinander.
48Die Zeugin U saß zunächst mit der Zeugin V in ihrem Auto, dem Pkw Mercedes Benz C 180 mit dem amtlichen Kennzeichen ####.
49Das Gespräch zwischen dem Angeklagten und der Zeugin U verlief zunächst friedlich. Der Angeklagte wurde jedoch im Laufe des Treffens zunehmend aggressiver. Zunächst zog er den Autoschlüssel aus dem Zündschloss, gab ihn der Zeugin U dann wieder zurück. Anschließend nahm er ihr Handy an sich. Der Angeklagte wollte verhindern, dass sich die Zeugin entfernte.
50Er drückte die Fahrertür des Autos gegen den Anschlag, um die Türe abzubrechen.
51Er schlug die Zeugin U mit der Hand gegen den Kopf, sodass diese mit dem Kopf auf die Autokante aufschlug.
52Anschließend trat der Angeklagte gegen die Fahrertür, sodass die Zeugin U zwischen der Tür und dem Auto eingeklemmt war.
53In der Folge packte der Angeklagte die Zeugin U an den Haaren, zog sie zu Boden und schleifte sie an den Haaren ca. 20 bis 25 Meter über den Asphalt bis zur Einfahrt an seiner Wohnanschrift. Dort schubste er die Zeugin U auf einen Blumenkübel und wollte sie würgen.
54Schließlich ließ er dann von der Zeugin ab und rannte weg.
55Die Zeugin U erlitt ein Schädelhirntrauma, eine posttraumatische Belastungsstörung und Hämatome. Sie war vier Tage lang stationär in Behandlung im Krankenhaus, wofür eine Eigenbeteiligung von 40 Euro angefallen ist. Für einen Monat befand sie sich in psychosomatischer Rehabilitation. Die Zeugin U ist noch immer arbeitsunfähig.
56An dem Pkw ist ein Sachschaden entstanden. Die Reparaturkosten belaufen sich auf 3.788,06 Euro netto. Es ist eine Wertminderung von 590 Euro eingetreten.“
57Die Strafe wurde vollstreckt bis 11.10.2017.
5811. Durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Gummersbach vom 22.06.2018 (81 Cs 286/18) wurde der Angeklagte wegen Diebstahls (eine Flasche Jägermeister im Wert von 10,99 € z.N. Fa. netto am 20.04.2018) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt.
5912. Am 03.09.2019 wurde der Angeklagte durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Gummersbach (83 Ds 228/19) wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie tatmehrheitlich wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
60Diesem Urteil lagen folgende Feststellungen zur Person und zur Sache zugrunde:
61„Der 26 jährige Angeklagte ist ledig und hat keine Kinder. Er hat keinen Schulabschluss und arbeitet seit ca. 1 Monat für eine Leiharbeitsfirma, derzeit bei der Müllentsorgung zum geltenden Mindestlohn von 9,71 € bei 35 Wochenstunden. Der Angeklagte hat keinen Führerschein. Er konsumierte bis zu seiner Arbeitsaufnahme diverse Drogen. Seitdem beschränkt er sich auf gelegentlichen Alkoholkonsum am Wochenende.
62(…)
63In der Nacht des 05.05.2019 konsumierte der Angeklagte Kokain, Amphetamin, Cannabis und viel Alkohol. Nach einem Streit mit seiner Freundin nahm er deutlich alkoholisiert und unter dem Einfluss von Kokain und Amphetamin stehend den Schlüssel des von Ihr gefahrenen Taxis mit dem Kennzeichen ##### und fuhr von deren Wohnung in W nach E. Seine Freundin meldete dies umgehend der Polizei. Auf dem Rückweg von E wurde der Angeklagte gegen 4.00 Uhr von den Beamten angetroffen, als er mit dem Fahrzeug an einer roten Ampel hielt. Bei der Durchsuchung fanden die Beamten einen Überraschungseibehälter mit 0,5g Amphetamin in der Bauchtasche des Angeklagten.
64(…)
65Die um 05.01 Uhr im Krankenhaus entnommene Blutprobe ergab einen Mittelwert von 2,39 Promille.“
66Die Feststellungen enthalten zudem noch Ausführungen zu distanzlosem und aggressivem Verhalten des Angeklagten gegenüber den Polizeibeamten im Nachgang zu der Kontrolle. Wegen des Geständnisses des Angeklagten einerseits, andererseits jedoch unter Hinweis auf die auch zum damaligen Zeitpunkt schon dokumentierten Vorstrafen hat das Gericht für die Trunkenheitsfahrt mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sechs Monate und für den Drogenbesitz eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15,00 € festgesetzt und hieraus die o.a. Gesamtfreiheitsstrafe gebildet, deren Vollstreckung gemäß § 56 Abs. 1 StGB mit folgenden Erwägungen zur Bewährung ausgesetzt wurde:
67„Vorliegend besteht die Erwartung, dass der Angeklagte sich diese Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Strafftaten mehr begehen wird. Zwar sprechen die Vorverurteilungen des Angeklagten und seine weitere Straffälligkeit nach 17 Monaten vollstreckter Freiheitsstrafe im Alter von erst 26 Jahren, bei Drogenkonsum und fehlendem Schulabschluss zunächst deutlich gegen eine günstige Prognose. Da der Angeklagte es jedoch selbstständig geschafft hat, eine Vollzeitstellung zu finden und bereits unbeaufsichtigt seinen Konsum auf Alkohol beschränkt hat, um seiner neuen Aufgabe gerecht zu werden und er trotz der offensichtlichen Widrigkeiten weiterhin mit seiner Freundin eine Beziehung führt, steht zu erwarten, dass der Angeklagte mit Unterstützung durch einen Bewährungshelfer und unter Zuhilfenahme der M Suchtberatung sowie der Weisung sich jeglichen Konsums von Betäubungsmitteln zu enthalten seinen Vorsatz, nunmehr ein straffreies Leben führen zu können, erreichen kann. Angesichts des jüngsten Wandels und des noch jungen Wandels des Angeklagten war ihm diese Chance einzuräumen.“
68Daneben hat das Amtsgericht die Einziehung von Amphetamin angeordnet und eine Sperrfrist zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von noch zwölf Monaten angeordnet.
6913. Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Gummersbach vom 08.10.2019 (83 Cs 329/19) wurde der Angeklagte wegen vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Verkehrsunfallflucht zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Dem Strafbefehl lag die Feststellung zugrunde, dass der Angeklagte am 30.12.2018 gegen 05.55 Uhr mit einem Skoda Oktava, amtl. Kennzeichen ###### unter anderem die Sstraße in D ohne Fahrerlaubnis befuhr und sodann infolge Unachtsamkeit einen Verkehrsunfall mit ca. 55.000,00 € Fremdschaden verursachte. Obwohl der Angeklagte den Unfall bemerkte, entfernte er sich von der Unfallstelle, ohne zuvor die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Für das Fahren ohne Fahrerlaubnis setzte das Amtsgericht 40 und für die Verkehrsunfallflucht 60 Tagessätze Geldstrafe fest und bildete hieraus die o.a. Gesamtgeldstrafe.
70Daneben wurde eine Sperre zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten angeordnet.
71Durch Beschluss des Amtsgerichts Gummersbach vom 03.07.2020 (Az 83 Ds 228/19) wurde die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem Urteil vom 03.09.2019 ausdrücklich nicht vorgenommen, um den Angeklagten neben der dort erkannten Freiheitsstrafe auch mit der Geldstrafe gemäß Strafbefehl vom 08.10.2019 zu treffen.
72Die Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 08.10.2019 zahlt der Angeklagte in Raten. Die Strafe ist noch nicht vollständig bezahlt.
73Nach Mitteilung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft in der Berufungshauptverhandlung gibt es keine neuen Strafverfahren gegen den Angeklagten.
74Feststellungen zur Sache:
75Der Angeklagte verfügte am Tag der polizeilichen Durchsuchung, dem 17.06.2019, in seiner Wohnung im obersten Stockwerk des Hauses Sstraße in D I über ein Grow-Zelt. Das Grow-Zelt war zu diesem Zeitpunkt ausgestattet mit einer 600 Watt-Hochleistungsleuchte für die Pflanzenaufzucht. Für die Blütephase verfügte der Angeklagte über ein weiteres spezielles Leuchtmittel. Das Zelt hatte eine Grundfläche von einem Quadratmeter. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung befanden sich im Grow-Zelt insgesamt neun Marihuana-Pflanzen in verschiedenen Wachstumsstadien, fünf Setzlinge, zwei Pflanzen von geringer Größe sowie zwei Pflanzen von mittlerer Größe, jedoch noch ohne Blüten.
76Daneben verfügte der Angeklagte in demselben Raum seiner Wohnung zum Tatzeitpunkt über einen beleuchteten Anzuchtkasten, in welchem sich 55 Setzlinge jeweils in einem frühen Wachstumsstadium befanden.
77In einem kleinen Raum in der Dachschräge befanden sich zwei Plastiksäcke, in welchen sich 315,26 Gramm trockenes Cannabis-Pflanzenmaterial (Stängel, Blätter und wenige Blütenstände) mit einem Wirkstoffgehalt von 2,72 % befanden. Die gesamte Wirkstoffmenge dieser Pflanzen belief sich auf 8,58g THC. Der Angeklagte hatte diese Cannabispflanzen abgeerntet und in den Sack getan, weil die Pflanzen aufgrund von Schädlingsbefall –nach seiner Wahrnehmung Milben- zum Konsum ungeeignet war.
78Zudem bewahrte der Angeklagte in einem Karton in einem Abstellraum noch 103,23 Gramm getrocknetes Cannabiskraut (ebenfalls ohne Blüten) mit einem Wirkstoffgehalt von 1,62 % auf, woraus sich eine Menge von 1,67g THC errechnet. Auch insoweit hat der Angeklagte angegeben, dass das Pflanzenmaterial aus seiner Sicht für einen berauschenden Konsum nicht mehr in Betracht gekommen sei.
79Der Angeklagte beabsichtigte in dem mit Lüftung versehenen Growzelt mindestens vier Cannabispflanzen großzuziehen, um hiervon seinen Eigenbedarf an Marihuana für ein Jahr zu decken. Seine Kalkulation ging dahin, einen Jahresertrag von etwa 300g Marihuana durchschnittlicher Qualität für die Deckung seines täglichen Bedarfs zu erzielen. Der Angeklagte verfügte über eine Lampe speziell für die Wachstums- und eine Lampe speziell für die Blüte-Phase, die jeweils geeignet waren auf der Fläche des Grow-Zelts gute Beleuchtungsverhältnisse zu gewährleisten. Daneben hatte er Düngemittel für verschiedene Wachstumsphasen vorrätig.
80Über eine Erlaubnis zum Betäubungsmittelbesitz verfügte der Angeklagte nicht.
81Bei der Durchsuchung wurden diverse teils gefährliche Gegenstände im Schlafzimmer und im Wohnzimmer des Angeklagten gefunden und teilweise sichergestellt. Hierbei handelte es sich im Einzelnen um:
82(Fundort Wohnzimmer)-ungeladener Elektroschocker in Form einer Taschenlampe,-ein erlaubnisfreies Luftdruckgewehr,-ein Fleischerbeil mit Holzgriff hinter der Wohnzimmertür,-ein antiquarischer Speer auf einem diagonal liegenden offenen Dachbalken,
83(Fundort Schlafzimmer)-zwei Springmesser mit 7 bzw. 8,5 cm Klingenlänge,-ein Bajonett mit Klingenlängen 15 cm,-ein Teleskopschlagstock,-ein Zielfernrohr schwarz.
84Daneben befand sich in der Wohnung ein Notizbuch, mit Notizen die das Aussetzen einzelner Pflanzen unter freiem Himmel am 31.03.2019 und in kurzer zeitlicher Folge darauf zum Inhalt haben („Skunk Stechling 4 Stk…, Stechlinge gesetzt 12 Stk. … hinterm Zaun + Zeckenwiese bei Schafe + An der Brücke + Am Fluss…“). Insoweit hat der Angeklagte jedoch seine Urheberschaft und sein Eigentum bestritten. Weiter wurden gefunden zwei digitale Feinwaagen und ein behördliches Messfoto, welches den Angeklagten Anfang Februar 2019 am Steuer eines Dacia (amtl. Kennzeichen ######) zeigt, was er auch zugestanden hat.
85III.
86Durch das festgestellte Verhalten hat sich der Angeklagte eines Verbrechens des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gemacht, § 29a Abs. 1, Nr. 2 BtMG. Der gleichzeitig verwirklichte unerlaubte Anbau (Vergehen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) wird durch den erfüllten Verbrechenstatbestand verdrängt.
87IV.
88Die Feststellungen zur Person beruhen auf der Einlassung des Angeklagten. Zudem hat die Kammer einen aktuellen Bundeszentralregisterauszug, die Entscheidungen des AG Gummersbach vom 03.12.2013, 16.11.2015, 03.09.2019 und 08.10.2019 sowie den schriftlichen Bericht der Bewährungshelferin K vom 26.05.2021 samt Anlagen durch Verlesung eingeführt. Den Inhalt dieser Urkunden hat der Angeklagte jeweils als zutreffend bestätigt und sich zu Eigen gemacht.
89Die Feststellungen zur Sache beruhen im Wesentlichen auf der als Geständnis zu bewertenden Einlassung des Angeklagten. Soweit sich in den Feststellungen zur Sache Wahrnehmungen der durchsuchenden Polizeibeamtin, Zeugin X wiederfinden, stehen diese im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten und er hat den objektiven Befund der Wohnungsdurchsuchung am 17.06.2019 als zutreffend bestätigt. Wegen der Dokumentation des Durchsuchungsbefundes und der aufgefundenen Gegenstände wird zur Begründung auch Bezug genommen auf den Inhalt der beiden Bildmappen (Bl. 42 – 92 d.A. sowie Bl. 97 – 127 d.A.), welche den in den Feststellungen beschriebenen Befund dokumentieren.
90Der Angeklagte hat die Ausführungen der Sachverständigen Y (LKA NRW), welche im Rahmen der Berufungshauptverhandlung ein mündliches Gutachten erstattet hat, bestätigt. Danach ist von einem Ernteertrag von 3*25 Gramm Marihuana pro Pflanze pro Jahr für die sichergestellten Jungpflanzen auszugehen. Den Ausführungen der Sachverständigen zur Qualität einer zu erwartenden Ernte (10-15 % THC-Gehalt) ist er nicht entgegengetreten. Wegen der von der Sachverständigen ausdrücklich angegebenen Spanne hat die Kammer zugunsten des Angeklagten hier jedoch nicht mehr als den Mindestwert von 10% ansetzen können.
91Zur Leistungsfähigkeit der bei dem Angeklagten aufgefundenen Beleuchtungsutensilien hat die Sachverständige angegeben, dass hiermit nicht mehr als 20 Pflanzen zuverlässig zu dem errechneten Ertrag herangezogen werden können. Diese Berechnung steht jedoch nach den Ausführungen der Sachverständigen unter dem Vorbehalt, dass diese Pflanzen auch genügend Platz in einer entsprechenden Umgebung finden. In der Wohnung des Angeklagten kam hier nur das aufgefundene Grow-Zelt in Betracht. Die Sachverständige hat die in den Feststellungen niedergelegte Ertragsberechnung pro Pflanze in der Hauptverhandlung anschaulich und fundiert vorgenommen. Zur Frage, wie viele Pflanzen in dem Growzelt Platz finden, um ideal zu gedeihen und den hochgerechneten Betrag zu erbringen, hat sich die Sachverständige nicht eindeutig festgelegt. Sie hat hier zunächst „ca. zehn“ angegeben und später auch “ca. sechs“ Pflanzen als nicht unrealistisch angegeben. Wegen der geringen Grundfläche des Grow-Zelts von einem Quadratmeter und der eigenen Sachkunde aus vergleichbaren Verfahren konnte die Kammer sich zuungunsten des Angeklagten im Ergebnis nicht davon überzeugen, dass mehr als vier ausgewachsene Cannabispflanzen auf dieser Fläche zur prognostizierten Erntemenge gelangen können, so dass hier ein von den Angaben des Angeklagten abweichende Menge an Pflanzen nicht angenommen wurde.
92Mit den vorhandenen Beweismitteln konnte dem Angeklagten ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht nachgewiesen werden. Professionelle Marihuana-Plantagen, die dem Angeklagten zugerechnet werden konnten, sind nämlich nicht entdeckt worden. Auch die eingeführten Beweismittel vermochten die Kammer nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte Marihuanaanbau in einem Umfang betrieben haben muss, welcher auf eine Handelsabsicht des Angeklagten zweifelsfrei schließen lassen müsste.
93Gegen den Angeklagten richtete sich zunächst eine Strafanzeige vom 23.11.2018 (Aufnahmezeit 20.11.2018, 23.30 Uhr, StA-Aktenzeichen 182 Js 740/19, keine Anklage). Hier heißt es auszugsweise:
94„Der Verdacht ergibt sich aus einer Mitteilung einer anonymen Melderin. Die Melderin rief hier mit unterdrückter Rufnummer am 21.11.2018 auf der Polizeiwache D an und teilte mit, dass der Beschuldigte ein Gewächshaus habe, in welchem er Betäubungsmittel anbaue. Sie habe es selbst gesehen.
95(…)
96Die Anschrift des Beschuldigten wurde am heutigen Tag gegen 10.00 Uhr aufgesucht. (…) Ein Gewächshaus konnte nicht festgestellt werden. (…).
97Da die Zeugin anonym ist, konnte der Sachverhalt bislang nicht weiter erhellt werden. Das in Rede stehende Gewächshaus konnte auf den ersten Blick nicht ausgemacht werden. Dass der Beschuldigte bei derzeitigen Temperaturen im Garten in einem für jedermann frei zugänglichen Gewächshaus Betäubungsmittel anbaut, erscheint eher unwahrscheinlich. Jedoch könnte es durchaus möglich sein, dass die Melderin mit „Gewächshaus“ ein Growzelt meint, welches der Beschuldigte in seiner Wohnung haben könnte.“
98Ausgangspunkt für das vorliegende Verfahren war die Strafanzeige vom 14.03.2019 (Bl. 1f d.A.). Dieser sind drei auf den 19.03.2019 datierende Aktenseiten (Bl. 3-5 d.A.), erstellt und unterschrieben von dem Zeugen Z, sowie eine auf den 26.03.2019 datierende von AA unterschriebene Seite (Bl. 6 d.A.) nachgeheftet. Dort heißt es:
99„Am 02.03.2019 gegen 14:45 Uhr wurden die Bereitschaftsdienst versehenen Beamten AA, Z von der Einsatzstelle der Polizei BB darüber unterrichtet, dass sich der
100CC
101-Personalien aktenkundig-
102Telefonisch bei der Polizei D gemeldet habe und Angaben zu einem Betäubungsmitteldelikt (hier: Anbau von Cannabis) machen wolle.
103Über die Einsatzleitstelle wurde der Kontakt zu dem CC hergestellt; es wurde vereinbart, dass dieser sich am 02.03.2019 um 16.00 Uhr auf der Polizeiwache in D einfinden solle.
104Der CC erschien zur angesprochenen Zeit auf der PW D. Er wurde seitens des Unterzeichners zunächst befragt.
105Der CC bemerkte, dass er von mehreren Cannabis-Plantagen im Stadtgebiet von D wisse, allerdings sei er nur zu einer Aussage bereit, wenn ihm Anonymität zugesichert werde.
106Der CC wurde darüber aufgeklärt, dass eine solche Zusage seitens des Unterzeichners nicht gegeben werden könne. Ihm wurde dargestellt, dass seine Personalien erfasst werden.
107Gleichwohl wurde ihm in Aussicht gestellt, dass er von dem zuständigen Kriminalkommissariat 1 in der Angelegenheit kontaktiert werde.
108Um die Glaubwürdigkeit der Information zu bewerten, wurde der CC gebeten, nähere Angaben zu machen.
109Er berichtete, dass er in Erfahrung gebracht habe, dass ein Bekannter seines Cousins aktuell mehrere Cannabis-Plantagen in D und Umgebung betreibe.
110Bei dem Bekannten handelt es sich um den
111L.
112Er führte weiter aus, dass er seinen Cousin und den Lvor kurzem (genaues Datum nicht bekannt) mit dem Auto chauffiert habe, da beide nach dem Konsum von Btm nicht fahren konnten.
113Bei dieser Gelegenheit habe man ihm eine Plantage in D gezeigt. Er verfüge über Handy-Aufnahmen.
114Der CC zeigte dem Unterzeichner die Aufnahmen (Videoaufnahmen) auf seinem Handy.
115Es handelte sich dem Anschein nach um einen Wohnraum mittlerer Größe, in dem mehrere Pflanzkübel mit hüfthohen Cannabis-Pflanzen aufgestellt waren.
116Der CC erklärte, dass der L gleichzeitig mehrere Plantagen betreibe.
117Diese sollen sich in einem Wohnhaus in der Nähe des
118Geschäftes „DD“ (D, Sstraße)
119und
120in einem leerstehenden Gebäude hinter der EE-Tankstelle (D, FFstraße)
121befinden.
122Der CC ergänzte, dass die Plantagen insgesamt technisch sehr gut ausgestattet seien.
123Die Pflanzen befinden sich in unterschiedlichen Wachstumsphasen, die es dem L erlauben würden, ständig zu liefern.
124Als Lieferzeiten werde der morgendliche Berufsverkehr genutzt, um geringstmögliche Aufmerksamkeit auszunutzen.
125Auf Lieferfahrzeuge werde ein unauffälliger Pkw der Marke Dacia genutzt.
126Der L beliefere lediglich einen Personenkreis von etwa 5 Leute, die wiederum die Ware an die Konsumenten weitergeben würden.
127Bei einem dieser 5 Verteiler soll es sich um einen Türken aus D-GG handeln. Dieser wiederum würde ein ähnliches Verteilungssystem aufgebaut haben.
128Zu seiner Motivation befragt, erklärte er, dass dies nichts zur Sache tue. Er selber nehme keine Drogen und er wolle auch nicht, dass sein Cousin Schwierigkeiten bekomme“
129AA, Vermerk vom 26.03.2019:
130„Ergänzend zu dem Bericht von Z vom 19.03.2019 erklärte CC, dass es sich insgesamt um 5 Plantagen handeln würde.
131Bei der Plantage in D-I zeigte er auf einer im Internet aufgerufenen Karte auf den HH, der gegenüber dem Geschäft „DD“ von der Sstraße abgeht.
132Weiterhin zeigte er in D-E auf den Bereich II. Im dortigen Bereich befinde sich eine weitere Plantage.
133Neben der hinter EE-Tankstelle in D-W befindlichen Plantage konnte er für die weiteren 2 Plantagen keine genauen Orte nennen.
134Er gab an, dass er dort vorbei gefahren sei und sie auch wiedererkennen könne. Doch wo sich genau diese Plantagen befinden würden, könne er nicht sagen. Auch bei den drei näher beschriebenen Orten könne er vor Ort genau zeigen, um welche Häuser es sich handeln würde.
135Alle weiteren Äußerungen gehen bereits aus dem Vermerk von Z hervor.“
136Der Zeuge Z hatte sich ausschließlich auf die Schriftform des insoweit vorgehaltenen Akteninhalts (Bl. 3-5 d.A. sowie Vermerk AA, Bl. 6 d.A.) berufen. An die Gesprächssituation mit dem Zeugen CC habe er keine Erinnerung mehr. Die Frage, warum die von dem Zeugen CC am 02.03.209 herrührenden Angaben in der festgestellten Form durch den Zeugen Z erst am 19.03.2019 datiert und zu den Akten gelangt sind, konnte der Zeuge nicht plausibel beantworten. Die Übertragung seiner Notizen habe sich aus Gründen, an die er sich jedoch nicht erinnern könne, wohl verzögert. Er könne sich auch vage erinnern, dass der Zeuge AA im Nachgang noch den Vermerk mit dem ergänzenden Inhalt hinzugefügt habe und diesen Vorgang bestätigen, wenngleich er auch hier wegen des Inhalts nur noch auf die Schriftform verweisen konnte. Der Zeuge Z gehe davon aus, dass der Zeuge CC in seiner Gegenwart alles so gesagt habe, wie es dort in Vermerkform niedergelegt worden sei.
137Die Zeugin X hat bekundet, dass die Durchsuchung der Objekte JJstraße und KKstraße in D keinen Hinweis auf Marihuanaplantagen ergeben haben. Hierzu hat die Zeugin angegeben, dass sie diese Immobilien eingehend untersucht hat. Bei beiden Immobilien handelt es sich um seit längerem unbewohnte Häuser in ruinösem Zustand. Irgendwelche Hinweise, dass dort Cannabis angebaut wurde, hat die Untersuchung nicht ergeben. So fanden sich dort keinerlei Plantagenreste, keine Pflanzen, keine Düngemittelbehälter, keine Hinweise auf unerlaubte Stromnutzung oder ähnliches. Erfahrungsgemäß würden ehemalige Marihuanaplantagen jedoch nicht ohne solche Rückstände hinterlassen. Weitere Objekte, die als Plantagen des Angeklagten in Frage gekommen wären, konnte die Zeugin X nicht lokalisieren.
138Die Zeugin hat zudem angegeben, dass sie den Befund der Wohnungsdurchsuchung am 17.06.2019 umfassend dokumentiert hat. Mögliche Dealeraufzeichnungen, Bargeld oder Verpackungsmaterial sind nicht gefunden worden, lediglich zwei Feinwaagen. Plantagenlogistik, die auf einen Anbau in größerem Umfang an anderer Stelle hingedeutet haben könnte, wurde ebenfalls nicht gefunden. Auf Vorhalt der einzelnen Notizbuchseite hat die Zeugin diesen Fund mit den dort lesbaren Eintragungen bestätigt.
139Die Zeugin hat ein sichergestelltes Handy des Angeklagten auswerten lassen, musste hierbei aber feststellen, dass dieses Handy nach dem 03.07.2018 nicht betrieben worden ist. Weitere Datenträger wiesen keinen tatbezogenen Befund auf, ein Gerät war wegen Defekt nicht auswertbar. Das zum Zeitpunkt der Durchsuchung vom Angeklagten genutzte Handy konnte ebenso wenig sichergestellt werden, wie eine Durchsuchung der Person des Angeklagten nach eventuellen Beweismitteln nicht erfolgt ist, da der Angeklagte bei der Durchsuchung nicht angetroffen worden ist.
140Die Auswertung eines sichergestellten Mobiltelefons des Angeklagten hat folgende verfahrensrelevante Textnachrichten mit verschiedenen Teilnehmern zu Tage gebracht. Nachrichten des Angeklagten sind zu Beginn der Zeilen jeweils mit (H) gekennzeichnet:
141-29.06.2018, 11:27 Uhr ff:
142Wenn du das nachher klärst denk dran, diesmal nicht das stanni, wollten diesmal das andere probieren…(H) Bis her nichts der eine leer der andere meldet sich nicht(…)(H) Der sagt escheid … Denke klapptJa dann kannste das auf die nächste Woche legen, jetzt hab ich kein geld mhr hier
143-21.06.2018, 18:39 Uhr ff:
144(H) Kannst Du Koks klar machenNe frag Ray(…)Habe gut teil dar
145-05.06.2018, 13:44 Uhr ff:
146(H) Habt ihr gutes dope brauch was für 500Ja ich musste die Kohle haben und ich hole dir was(H) Hab ich R ? und was für QualitätRichtig gut kennst mich doch 7-6.5€(H) 7 oder 6,507Eher(H) Ok ich meld mich gleich ich warte noch auf eine Antwort dann meld ich mich(…)(H) Hat sich erledigt mein Kollege hat sich schon geleldet
147-08.01.2018, 16:07 Uhr ff:
148Brauchst du dope(H) Hab genug Bruder hab Forat geholt
149-07.03.2018, 17:19 Uhr ff:
150Kannst Du mir helfen mit grün(H) Gleich Gm muss gucken wo mein Kollege ist(…)Kennst Du jemanden wo man 10 Stück für 75 Euro bekommt(H) Neh aber 20 7,20(…)2Doch 3Wir kommen so in Stunde okGeht das???(H) Ja geht beeilt euch bin nicht die ganze Nacht hör(…)Wo du(H) NettoMit dem Zug kommen wir jetztAlso in 20 min(…)Mohamed ist schon daWo du(…)(H) NettoHast Du Ihn gesehen(H) Yes der ist bei mir
151-12.03.2018, 17:03 Uhr ff:
152Kannst Du auch zehn Stück für 70 klären(H) Hab die Preise gesagt hab auch gesagt könnt 50 für 7 haben sogar Kombi aber dann muss ich. Ich drauf verlassen bin kein dealer habt. Nur ein guten Freund der euch helfen könnte(…)Wollen zehnKommen jetzt DBist du fa(H) Nein FloridaOkKomme gleichOder du kommst Bf bin mit Jacob(H) OkWieviel zehn dann(H) Ja warte mal können wir hkb fahren da sind noch besser kurse da könnn wir reden lass Ma reden besser Do kb so müll
153Der Zeuge CC hat bestätigt, dass er bei der Polizei in D Angaben zu dem Angeklagten gemacht hat. Das im Vermerk vom 19.03.2019 genannte Datum (02.03.2019) konnte er aus der Erinnerung ungefähr bestätigen. Im Vorfeld sei er in D von Polizisten angehalten worden, wobei man ihm gesagt habe, dass die Polizei den Angeklagten beschatte. Deswegen solle er nun Angaben zu dem Angeklagten machen. Dass er sich dann auf der Polizeiwache in D eingefunden hat, hat er bestätigt. Dort habe er angegeben, dass er den Angeklagten und den LL einmal gefahren habe, da beide wegen mutmaßlichem Btm Konsum nicht mehr fahrtüchtig gewesen seien. Er wusste, dass der LL in dieser Zeit viel mit dem Angeklagten zu tun gehabt habe. Bestätigt hat der Zeuge CC auch, dass er eine Videosequenz auf seinem Handy hatte, die einen Marihuana-Anbau in einer Wohnung zeigte. Dieses Video habe ihm kurz zuvor der LL übersandt. Der Zeuge CC habe diese Bilder auch mit dem Angeklagten in Zusammenhang gebracht. Gesehen hat er den Anbau jedoch nie. Weder damals noch heute habe er gewusst, wo die Viedeosequenz entstanden sei.
154Der Zeuge CC hat zudem bestätigt, dass die befragenden Polizeibeamten ihn gebeten hätten, mutmaßliche Plantagen des Angeklagten zu zeigen. Hierzu habe er auf einem Kartenausschnitt auf das Haus JJstraße in D gezeigt. Allerdings hat der Zeuge CC angegeben, dass er weder damals noch heute genau wusste, wer dort Marihuana anbaue. Dies sei in D so erzählt worden. Er habe hier auch keine eigenen Wahrnehmungen gemacht. Dort sei aber immer Licht angewesen. Unter Vorhalt der auf Bl. 9-19 d.A. abgebildeten Objekte und Kartenausschnitte hat der Zeuge CC angegeben, dass er die dort markierten Häuser (JJstraße sowie KKstraße in D) nie mit dem Angeklagten in Verbindung gebracht habe. Er könne auch sicher ausschließen, dass er den Polizeibeamten diese Objekte gezeigt habe. Ebenso wenig habe er bei der Polizei Angaben zu der Ausstattung der mutmaßlichen Plantagen und zu Verkaufsgewohnheiten des Angeklagten gemacht. Hierzu habe er weder damals noch heute Kenntnisse gehabt, da er den Angeklagten lediglich einmal oder zweimal überhaupt nur kennengelernt habe. Wie diese Angaben in den auf den 19.03.2019 gefertigten Gesprächsvermerk der Polizei zu der Befragung vom 02.03.2019 gekommen seien, konnte der Zeuge CC auf Vorhalt nicht sagen. Der Vermerk war ihm auch nicht bekannt. Bei der Befragung in der Polizeiwache sei ihm keine Aussage zum Durchlesen oder Unterschreiben zugänglich gemacht worden.
155Bestätigt hat der Zeuge CC zudem, dass von Seiten der Polizei in der Folge noch weitere Kontaktaufnahmen ausgingen und, dass er bei einem in der Folge eingegangenen Anruf der Polizei sehr ablehnend und unwirsch reagiert hat. Danach sei er in der Sache bis zur Beweisaufnahme im Rahmen der Berufungshauptverhandlung nicht mehr befragt worden. Mit dem Angeklagten habe er keinerlei Kontakt mehr.
156Zur Aussage des Zeugen CC hat der Angeklagte im Rahmen einer Stellungnahme angegeben, dass in dem Haus JJstraße seine damalige Freundin Mm zusammen mit ihren fünf Kindern wohne.
157Der Zeuge LL hat angegeben, dass er im Frühjahr 2019 öfter mit dem Angeklagten zusammen war. Man habe auch zusammen Marihuana konsumiert. Bei dem an den Zeugen CC übersandten Video habe es sich um Aufnahmen aus dem Zimmer des Angeklagten mit dem Grow-Zelt gehandelt. Zudem habe er dem Zeugen CC mit dem Video ein paar kommentierende Worte geschrieben. Der Zeuge LL hat bestätigt, dass der Zeuge CC ihn und den Angeklagten einmal gefahren hat, nachdem die beiden Alkohol und Marihuana konsumiert hätten. Der Zeuge LL hat weiterhin angegeben, dass der Angeklagte ihn in dem Zeitraum als die beiden miteinander zu tun hatten von einer Missernte aufgrund eines Milbenbefalls erzählt habe.
158Würdigung:
159Die Angaben zu den Orten der Plantagen, welche in dem polizeilichen Vermerk des Zeugen Z vom 19.03.2019 dem Zeugen CC zugeschrieben worden sind, waren objektiv unzutreffend, denn an diesen Orten hat die Durchsuchung keinerlei Hinweis auf Cannabisanpflanzungen zu irgendeinem Zeitpunkt ergeben.
160Der Zeuge Z hatte zum Zustandekommen des Vermerkes keine eigene Erinnerung mehr. Zum Inhalt hat er das Vorgehaltene insoweit bestätigt, als dass er die Angaben des Zeugen CC so übertragen haben müsse. Er konnte der Kammer aber nicht plausibel erklären, warum die Dokumentation des Gesprächs mit dem Zeugen CC erst 17 Tage später in dieser Form zu den Akten gelangt ist. Auf den ergänzenden Vermerk seines Kollegen AA vom 26.03.2019 angesprochen, bemerkte der Zeuge Z lediglich, dass sein Kollege sich noch weiterer Ortsangaben in dem Gespräch mit dem Zeugen CC erinnert habe, die so aktenkundig gemacht worden sind.
161Da weder eine Belehrung des Zeugen CC zu den Rechten und Pflichten eines Zeugen aktenkundig ist, noch davon ausgegangen werden kann, dass der Zeuge CC die Gelegenheit hatte, den Inhalt seiner Angaben vom 02.03.2019 noch einmal zu überprüfen, kann die Kammer auch nicht sicher ausschließen, dass in den Vermerk vom 19.03.2019 Informationen oder Verdachtsmomente eingeflossen sind, die nicht von dem Zeugen CC stammten. Ob dies tatsächlich der Fall ist, oder, ob der Zeuge CC bei der Polizei einfach die Unwahrheit gesagt hat, kann jedoch letztlich offenbleiben, da sich die niedergelegten Angaben zu den angeblichen Plantagenorten als objektiv unzutreffend herausgestellt haben. Aus den vorbezeichneten Gründen hat die Kammer den Inhalt dieses Vermerks auch soweit er zu angeblichen Vertriebspraktiken des Angeklagten sich kurz verhält, insgesamt zur Überzeugungsbildung für nicht ausreichend erachtet. Soweit hier auch Angaben zu dem unstreitig zeitweise von dem Angeklagten benutzten Fahrzeug (Dacia) zu finden sind, kann die Kammer ebenfalls nicht zuverlässig feststellen, ob diese Information damals von dem dies nun in Abrede stellenden Zeugen CC stammte.
162Die Handyauswertung dokumentiert Kommunikation mit Betäubungsmittelbezug. Insoweit muss jedoch zunächst festgestellt werden, dass die Kommunikation ungefähr ein Jahr vor dem hier verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt liegt. Da es der Polizei nicht gelungen ist, den Angeklagten am Tag der Durchsuchung anzutreffen, liegt Kommunikation für den Tatzeitraum und ein insoweit zeitlich nahegelegenes Zeitfenster nicht vor. Die oben dargestellte ausgewertete Kommunikation lässt den Schluss zu, dass zwischen dem Angeklagten und seinen jeweiligen Gesprächspartnern zu den angegebenen Zeitpunkten – allerdings vereinzelt und in geringem bis allenfalls mittlerem Umfang – über Austauschgeschäfte in beiden Richtungen kommuniziert worden ist. So wird der Angeklagte gelegentlich offenkundig auf Marihuana angesprochen, andererseits dreht sich Kommunikation aber auch um möglichen Erwerb durch ihn, bzw. in einem Fall lediglich um einen Vorrat. Unklar bleibt auch, ob der Angeklagte auf eigene Rechnung verkauft haben könnte, oder vermittelnd tätig war. Deswegen war dieses Beweismittel aus Sicht der Kammer weder für sich genommen, noch in der Gesamtschau geeignet, ein Handeltreiben (erst recht nicht) zur Tatzeit zu belegen.
163Das vertrocknete Pflanzenmaterial in den Säcken und dem Karton, dessen Besitz der Angeklagte eingeräumt hat, war zum Absatz offensichtlich nicht bestimmt. Hierfür spricht zum einen die vorgefundene Lagerung in einer Dachschräge neben der Heizungstherme bzw. in einem Karton im ebenfalls direkt unter dem Dach befindlichen Abstellraum. Ob es sich möglicherweise um bereits abgeerntetes und evtl. sogar veräußertes oder wie vom Angeklagten angegeben und von dem Zeugen LL bestätigt, um schädlingsbefallenes Material gehandelt hat, konnte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung auch nach Angaben der Gutachterin mit sachverständigen Mitteln nicht mehr geklärt werden. Unklar blieb allerdings auch, wie lange dieses vertrocknete Material sich schon in diesem Zustand in der Wohnung des Angeklagten befunden hat.
164Da für den Tatzeitpunkt weder Verpackungsmaterial noch Dealerlisten noch Bargeld noch einschlägige Kommunikation sichergestellt werden konnte, kann die Kammer anhand dieses Funds den Schluss des Handeltreibens auch nicht in der Gesamtschau ziehen. Im Zuge der Ermittlungen sind auch keine Hinweise auf mögliche Abnehmer des Angeklagten im Tatzeitraum zu den Akten gelangt.
165Weder für sich genommen noch in der Gesamtschau vermochte sich die Kammer auch anhand der Gesamtzahl der im Grow-Zelt und dem Aufzuchtkasten vorgefundenen 64 Marihuanapflanzen in unterschiedlichen Wachstumsphasen von einer Handelsabsicht des Angeklagten zu überzeugen. Die in diesem Zusammenhang vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zitierte BGH-Rechtsprechung zum Betrieb einer Indoor-Plantage (BGH, NStZ 2013, 546ff m.w.N.) setzt für die dort vorgenommene Hochrechnung nach dem Verständnis der Kammer die Feststellung voraus, dass ein Täter in Handelsabsicht tätig wird. Diese Voraussetzung ist vorliegend jedoch nicht erfüllt. Irgendwelche Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten zur Tatzeit gibt es nicht. Der Angeklagte hat angegeben, das Grow-Zelt für seinen Eigenbedarf betrieben zu haben. Auf die Frage, warum er dann ein Vielfaches an jungen Pflanzen bereitgehalten habe, hat er angegeben, dass er sich so gegen Ernterisiken absichern wollte. Aber selbst, wenn man dieser Erklärung in Frage stellt, vermag dies die Überzeugung, er wolle Handel treiben, nicht zweifelsfrei begründen. So enthält das Notizbuch Hinweise auf vereinzelte Anpflanzungen unter freiem Himmel (bei nach Auffassung Überzeugung der Kammer witterungs- und schädlingsbedingt erheblich unsicherem Ertrag). Denkbar ist zudem auch, dass der Angeklagte vereinzelt Pflanzen abgegeben hätte. Auch hier ist von Bedeutung, dass keine sonstigen Hinweise auf eine Handelsaktivität weder auf Seiten des Angeklagten noch von Seiten Dritter zur Tatzeit aufgefunden worden sind. In diesem Zusammenhang ist auch der Fund von zwei Digitalwaagen nicht ausreichend, denn dies kann ebenso mit früherer Handelsaktivität oder auch mit dem Erwerb von Betäubungsmitteln durch den Angeklagten zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt in Zusammenhang stehen.
166V.
167Strafzumessung:
168Die Kammer hat für die Strafzumessung den Strafrahmen des § 29a, Abs. 1 BtMG (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) angewandt. Nach umfassender Abwägung ist die Kammer nicht von einem minder schweren Fall i.S.d. § 29a Abs. 2 BtMG ausgegangen. Zwar war die Grenze zur nicht geringe Menge (7,5g THC) bei dem sichergestellten Cannabis lediglich um das 1,47-fache überschritten. Hier war jedoch zu beachten, dass der Angeklagte einen auf einen längeren Zeitraum (zumindest ein Jahr) angelegten Anbau vorgenommen hat und, dass es sich sowohl bei den jungen Pflanzen als auch bei dem vertrockneten Pflanzenmaterial um einen Teil einer sich dynamisch entwickelnden Menge gehandelt hat. Neben dem sichergestellten THC hat die Kammer die auch von dem Angeklagten angenommene Ertragserwartung von insgesamt mindestens 30 Gramm THC für die nächsten drei Ernten berücksichtigt. Zudem hat die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte in seinem Wohn- und Schlafbereich die sichergestellten gefährlichen Gegenstände (ungeladener Elektroschocker, erlaubnisfreies Luftdruckgewehr, Fleischerbeil, antiquarischer Speer, zwei Springmesser mit 7 bzw. 8,5 cm Klingenlänge, Bajonett mit Klingenlänge 15 cm, Teleskopschlagstock) aufbewahrt hat. Zwar befanden diese sich nicht in unmittelbarer Nähe zu dem im Grow-Zelt sondern im Wohn- bzw. Schlafzimmer des Angeklagten. Durch die bewusste Aufbewahrung dieser Gegenstände in räumlicher Nähe zu der Plantage hat der Angeklagte die Gefährlichkeit seiner Tat gleichwohl objektiv erhöht. Diesen Umstand hat die Kammer bei der Strafrahmenwahl ebenfalls berücksichtigt. Bei der Strafrahmenwahl hat die Kammer auch die Vorstrafen des Angeklagten und die zur Tatzeit ein Jahr und acht Monate zurückliegende Hafterfahrung (gemäß den Verurteilungen aus Zi. 9. und 10. des BZR-Auszuges, s.o.) berücksichtigt, die ihn gleichwohl nicht von der nun festgestellten Tat abgehalten haben. Andererseits hat die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte hier geständig war und auf die Rückgabe der sichergestellten Drogen und der weiteren verfahrensrelevanten Gegenstände verzichtet hat. Zudem handelt es sich bei Marihuana um eine sogenannte weiche Droge.
169Innerhalb des so gefundenen Strafrahmens hat die Kammer unter erneuter umfassender Abwägung der zuvor dargestellten für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte eine
170Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten
171als tat- und schuldangemessen festgesetzt.
172VI.
173Nachträgliche Gesamtstrafenbildung:
174Maßgeblich für die nachträgliche Gesamtstrafenprüfung gemäß § 55 StGB war das Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 03.09.2019 (Az. 83 Ds 228/19). Die hier festgestellte Tat lag ebenso vor diesem Urteil wie die Taten gemäß Strafbefehl des Amtsgerichts Gummersbach vom 08.10.2019 (Az. 83 Cs 329/19, Tatzeit 30.12.2018), so dass aus allen drei Verfahren eine Gesamtstrafe zu bilden war.
175Weil nach Auflösung der in den beiden gesamtstrafenfähigen Entscheidungen verhängten Gesamtstrafen jeweils Freiheitsstrafen und Geldstrafen einzubeziehen waren, hat die Kammer entsprechend der gesetzlichen Regel in § 53 Abs. 2 StGB auf eine Gesamtfreiheitsstrafe erkannt. An den bezogen auf die Verurteilungen des Amtsgerichts Gummersbach vom 03.09.2019 und 08.10.2019 im Ergebnis anderslautenden Beschluss vom 03.07.2020 war die Kammer nicht gebunden, weil hier eine erneute umfassende Gesamtstrafenprüfung vorzunehmen war. Veranlassung die Freiheits- und Geldstrafen nun nicht einheitlich zusammenzuführen, sah die Kammer nicht. Vielmehr war aus Sicht der Kammer eine – der gesetzliche Regel entsprechende – einheitliche Freiheitsstrafe insbesondere wegen dem bereits zurückliegenden Bewährungsverlauf (s.u.) besser geeignet, auf den Angeklagten einzuwirken.
176Gemäß § 54 Abs. 1, Satz 1 und 2, Abs. 2, Satz 1 StGB hat die Kammer die Einsatzstrafe von einem Jahr und fünf Monaten nach erneuter umfassender Abwägung erhöht. Hierbei wirkte sich die Freiheitsstrafe von sechs Monaten aus der Verurteilung vom 03.09.2019 unter Berücksichtigung der dortigen Strafzumessungserwägungen maßvoll aus. Die eher im unteren Bereich liegenden einzelnen Geldstrafen aus den Verurteilungen des Amtsgerichts Gummersbach vom 03.09.2019 und vom 08.10.2019 haben sich bei der Gesamtstrafenbildung lediglich geringfügig erhöhend ausgewirkt.
177Die gemäß § 55 Abs. 2 StGB erforderliche Tenorierung zu den Nebenentscheidungen in den beiden einbezogenen Entscheidungen (Einziehung, zwei jedoch bereits abgelaufene Sperrfristen) hat die Kammer irrtümlich unterlassen.
178VII.
179Gemäß § 56 Abs. 1, 2 StGB konnte die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Es ist zu erwarten, dass sich der Angeklagte künftig straffrei führt. Zudem liegen nach der Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten besondere Umstände vor, die dies rechtfertigen.
180Das Amtsgericht Gummersbach hat in der hier einbezogenen Entscheidung vom 03.09.2019 unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB dem Angeklagten damals trotz seiner beträchtlichen Vorstrafen die Strafaussetzung zur Bewährung gewährt. Aus dem Bericht der Bewährungshelferin K vom 26.05.2021 ergibt sich nun, dass die Bewährung im Wesentlichen frei von Beanstandungen verlaufen ist. Schon in der Entscheidung vom 03.09.2019 war für das Amtsgericht maßgeblich, dass „der Angeklagte mit Unterstützung durch einen Bewährungshelfer und unter Zuhilfenahme der M Suchtberatung sowie der Weisung, sich jeglichen Konsums von Betäubungsmitteln zu enthalten, seinen Vorsatz nunmehr ein straffreies Leben führen zu können, erreichen kann. Angesichts des jüngsten Wandels und des noch jungen Alters des Angeklagten war ihm diese Chance einzuräumen.“ Die Prognoseentscheidung, welche das Amtsgericht zur künftigen Straffreiheit des Angeklagten im September 2019 zu treffen hatte, war im Ergebnis zutreffend. Der Angeklagte hat sich nun seit einem Jahr und neun Monaten straffrei geführt. Er hat gefestigten familiären Kontakt und lebt im selbstbewohnten Eigentum. Nach zwischenzeitlichem pandemiebedingtem Arbeitsplatzverlust, ist er jetzt wieder in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis (Probezeit). Die hier festgestellte Tat hat der Angeklagte wegen seines damals zumindest übermäßigen und auf einen längeren Zeitraum angelegten Cannabiskonsums begangen. Für das Jahr 2020 hat er der Bewährungshelferin Abstinenznachweise vorgelegt. Zwar erscheint der Kammer die Entscheidung des Angeklagten, keinen Beratungsbedarf bei der M mehr einzufordern, angesichts seines zurückliegenden übermäßigen Betäubungsmittelgebrauchs, unvernünftig. Dies allein rechtfertigt es nach Überzeugung der Kammer nun zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung und auch unter Berücksichtigung von § 56 Abs. 2 StGB nicht, dem Angeklagten trotz des positiven Bewährungsverlaufs die Strafaussetzung zu versagen. Seit der hier zu behandelnden Tat im Juni 2019 und unter dem Eindruck der bereits im September 2019 gewährten Bewährungschance hat sich der Angeklagte nämlich, wie festgestellt, straffrei geführt. Die Abstinenz wird er weiterhin durch Tests auf Anweisung seiner Bewährungshelferin nachweisen müssen.
181VIII.
182Von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat die Kammer abgesehen. Aus dem einbezogenen Urteil vom 03.09.2019 ergibt sich, dass der Angeklagte schon zum damaligen Zeitpunkt mitgeteilt hat, den Konsum schädlicher Mittel nun auf Alkoholkonsum am Wochenende zu reduzieren. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Abgrenzung des Angeklagten vom Hang zum Drogenkonsum derzeit lediglich subjektiv manifestiert ist, denn der Angeklagte hat in diesem Zusammenhang bislang noch keine professionelle Hilfe in Anspruch genommen. Objektive Abstinenznachweise wurden im Jahr 2020 vorgelegt. Ein aktueller Abstinenznachweis steht derzeit aus. Der durch die Bewährungshelferin mitgeteilte beanstandungsfreie Verlauf seit Beginn der nun schon ein Jahr und neun Monaten andauernden Bewährung verbunden weiterhin mit familiärem Rückhalt, Berufstätigkeit und auch zukünftig von dem Angeklagten zu fordernden Marihuanaanabstinenz bei entsprechender Nachweispflicht lässt zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung die Gefahr neuer hangbedingter Straftaten jedoch unwahrscheinlich erscheinen. Auf die Ausführungen zur Sozialprognose i.S.d. § 56 StGB wird Bezug genommen.
183IX.
184Die Kosten- und Auslagenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 465, 473 Abs. 4 StPO.