Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 18.750 € zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Ereignis vom 26.11.2016 künftig entstehen werden, unter Anrechnung einer eigenen Haftungsquote des Klägers von 25 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu einem Viertel und dem Beklagten zu drei Vierteln auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Der Kläger nimmt den Beklagten wegen eines Vorfalls vom 26.11.2016 in Anspruch.
3An diesem Tag begab sich der zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alte Kläger gegen Mittag in das Geschäftslokal des Beklagten in der C-Straße 00 in Bedburg, in dem dieser u.a. einen Handy-Reparaturservice betreibt. Die Parteien waren befreundet; der Kläger hatte in den Wochen zuvor für den Beklagten in dessen Werkstatt Laptops getestet. Die Parteien beabsichtigten, noch am selben Tag gemeinsam ein Sonnenstudio aufzusuchen.
4Der Kläger fragte den Beklagten, ob er etwas zu trinken habe. Der Beklagte erwiderte, der Kläger solle mal im Kühlschrank schauen. Dieser Lebensmittel-Kühlschrank befand sich hinter der Ladentheke in einem Küchenbereich im Geschäftslokal des Beklagten.
5Der Kläger nahm sodann eine handelsübliche Glasflasche mit Limonaden-Etikett mit einer farblosen Flüssigkeit aus dem Kühlschrank und ein Glas aus einem Schrank. Er goss die Flüssigkeit aus der Flasche in das Glas und trank dieses sofort aus. Dabei nahm er nicht wahr, dass es sich bei der Flüssigkeit um Ammoniaklösung unbekannter Konzentration handelte. Der Beklagte bewahrte das Ammoniakwasser, das auch Salmiakgeist genannt wird, auf, um damit bei Bedarf Handy-Platinen reinigen zu können. In der kurzen Zeit, bevor der Kläger das Glas ansetzte und in einem Zug leerte, war die gekühlte Ammoniaklösung für ihn nicht zu riechen, da sich das Ammoniak noch nicht aus der Lösung freigesetzt hatte.
6Der Kläger erlitt einen Schweißausbruch und bekam schwer Luft. Auf Vorschlag des Beklagten erbrach er sich mehrfach und trank Wasser. Die von dem Beklagten herbeigerufenen Rettungskräfte warteten zunächst ab, bis sich die freigesetzten Ammoniakdämpfe aus dem Geschäftslokal verflüchtigt hatten. Sie brachten den Kläger sodann in ein Krankenhaus in Bergheim, wo er unter maschineller Beatmung in ein künstliches Koma versetzt und nach Extubation am 28.11.2016 in die Universitätsklinik Köln verlegt wurde. Dort verblieb er bis zum 08.12.2016. Er musste zunächst künstlich ernährt werden. Ab dem 06.12.2016 begann eine Ernährung mit Brei- und Flüssigkost.
7Der Kläger erlitt bei dem Vorfall lebensgefährliche Verletzungen. Es wurden ösophageale und gastrale Kolliquationsnekrosen (Schwellungen und Zersetzungen der Zellen der Speiseröhre und des Magens) diagnostiziert. Eine am 06.12.2016 durchgeführte Gastroskopie ergab ein ausgeprägtes diffuses Schleimhauterythem mit Ödem und Magengeschwür, entzündliche Veränderungen mit Geschwüren in der unteren Speiseröhre und eine Insuffizienz des Muskels am Übergang zwischen Marken und Speiseröhre.
8Im Zuge der Behandlung des Klägers war zwischenzeitlich zu befürchten, dass eine Entfernung seines Magens sowie die Anlage eines Magenersatzes notwendig werden würden. Ferner war zunächst nicht auszuschließen, dass zukünftig eine Nahrungsaufnahme dauerhaft nur über eine Magensonde möglich sein könnte.
9Bis kurz vor Weihnachten 2016 nahm der Kläger nur pürierte Kost zu sich. Erst ab dem Januar 2017 begann er mit der Aufnahme üblicher Kost. Er fühlte sich über lange Zeit, auch noch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, körperlich sehr schwach. Einige Monate lang war er zudem niedergeschlagen und litt unter Albträumen. Bereits in der Zeit, in der der Kläger im künstlichen Koma lag, litt er unter surrealen Träumen.
10Der Kläger war nicht in der Lage, eine Arbeit aufzunehmen. Zuvor ausgeübtes Fitnesstraining war ihm infolge der Verletzungen und der hierdurch eingeschränkten Nahrungsaufnahme nicht möglich.
11Inzwischen hat der Kläger vor allem bei Belastung oder Aufregung Schmerzen im Bereich des Magens und der Speiseröhre. Die Aufnahme von Fleisch führt bei ihm zu Verdauungsproblemen. Er hat mindestens einmal in der Woche Durchfälle und Magenkrämpfe mit teilweise sehr starken Schmerzen, in deren Folge er teilweise erbrechen muss.
12Wegen der Schwere der erlittenen Verletzungen muss der Kläger ab dem Jahr 2036 jährlich Routine-Biopsien vornehmen lassen, da es nach 20 Jahren zur Entstehung von Narben-Karzinomen kommen kann.
13Der Kläger ist der Ansicht, ihn treffe an der Verletzung kein Mitverschulden, da er das Ammoniak nicht gerochen habe.
14Er beantragt,
151. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 € zu zahlen und
162. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Ereignis vom 26.11.2016 künftig entstehen werden, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
17Entscheidungsgründe
18Die auch mit dem Feststellungsantrag zulässige Klage ist überwiegend begründet.
19Aufgrund der Säumnis des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27.08.2021 und dem von Klägerseite gestellten Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils war der Beklagte im Wege des Teil-Versäumnisurteils zu verurteilen, soweit der Vortrag des Kläger die von ihm geltend gemachten Ansprüche rechtfertigt. Im Übrigen war die Klage im Wege des Schlussurteils abzuweisen.
20Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ausgleich erlittener Schäden aus dem Vorfall vom 26.11.2016 gemäß §§ 823 Abs.1, 253 Abs.2 BGB zu. Der Beklagte hat dadurch, dass er mit dem Ammoniak einen gefährlichen, gesundheitsschädlichen Stoff in gänzlich ungeeigneter Weise - nämlich in einer nicht besonders kenntlich gemachten Limonadenflasche - gelagert hat, welche für andere Personen, die sich in seinem Geschäftslokal aufgehalten haben, zugänglich war, die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt.
21Ein Besitzer gefährlicher Flüssigkeiten hat die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Dritte nicht in schadenstiftender Weise mit diesen in Berührung kommen können. Befinden sich Chemikalien in Getränkeflaschen, sind die Flaschen so aufzubewahren und zu kennzeichnen, dass sie von einer unkundigen Person nicht mit einem Getränk verwechselt werden können. Bei einer gefährlichen Lauge, die in einer Bierflasche aufbewahrt wird, ist die Entfernung und Sicherstellung der Flasche die einzige geeignete Maßnahme, um wirksam eine Vorkehrung gegen eine folgenschwere Verwechslung der Flasche mit anderen Bierflaschen zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1968 - VI ZR 187/66 -, MDR 1968, S.571 ff.).
22Die auf dieser Grundlage an ihn gestellten Anforderungen hat der Beklagte nicht hinreichend beachtet.
23Aufgrund der Verkehrssicherungsverletzung ist es zu einer erheblichen Gesundheitsbeschädigung des Klägers gekommen.
24Anzurechnen ist allerdings ein Mitverschulden des Klägers, das infolge der Erkenntnisse aus seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 27.08.2021 allerdings nur auf 25 % festzusetzen war. Nach den überzeugenden Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatten sich die von ihm bestätigten, starken und stechenden Dämpfe aus der Flasche mit der Ammoniaklösung nämlich in der kurzen Zeit, bis der Kläger das Glas mit der Lösung getrunken hatte, noch nicht freigesetzt. Trotzdem ist es dem Kläger auf der Grundlage von § 254 Abs.1 BGB zur Last zu legen, dass ein Verschulden bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat. Dem Kläger war aus seiner eigenen Tätigkeit in der Werkstatt des Beklagten bekannt, womit sich dieser beschäftigte. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger nicht ohne ausführliche Prüfung eine farblose, nicht perlende Flüssigkeit aus einer bereits geöffneten und nicht mehr versiegelten Glasflasche mit einem Limonadenetikett trinken dürfen, ohne sich zuvor zu vergewissern, um welche Art von Flüssigkeit es sich handelte. Er hätte diese ihm unbekannte Flüssigkeit keinesfalls unmittelbar nach dem Einschenken in ein Glas in einem Zug austrinken dürfen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass nach dem Ergebnis der Anhörung des Klägers nicht davon auszugehen ist, dass Drogenkonsum oder Schlafentzug seinen Zustand am 26.11.2016 bestimmten.
25Gemäß § 253 Abs.2 BGB ist u.a. wegen einer Verletzung des Körpers bzw. der Gesundheit wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld zu leisten. Der Zweck des Schmerzensgeldes liegt darin, den immateriellen Schaden angemessen auszugleichen. Der Verletzte soll einen Ausgleich für die erlittenen Schmerzen und sein Leiden erhalten und durch das Geld in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und Annehmlichkeit zu verschaffen, welche die erlittenen Beeinträchtigungen nach Möglichkeit ausgleichen. Bei vorsätzlichen oder zumindest grob fahrlässigen Taten soll das Schmerzensgeld auch Genugtuung für das verschaffen, was der Schädiger dem Verletzten angetan hat. Ausschlaggebend für die Bemessung des Schmerzensgeldes sind die konkreten Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung der absehbaren, künftigen Entwicklung des Gesundheitsschadens; das Ausmaß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung ist zu berücksichtigen (Beschluss der Vereinigten Großen Senate des BGH vom 16.09.2016, - VGS 1/16 -, VersR 2017, S.180 ff., juris, Rz 54).
26Als im vorliegenden Fall angemessener Betrag zum Ausgleich der erlittenen und auch in Zukunft vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers war unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art und des Ausmaßes der Verletzungen des Klägers und seiner dadurch entstandenen Lebensbeeinträchtigung, seines Alters im Unfallzeitpunkt und dem Haftungsanteil des Beklagten von 75 % der ausgeurteilte Betrag anzusetzen. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang den vorliegenden Einzelfall auf seine Vergleichbarkeit mit dem Fall geprüft, welcher der Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 19.04.2007 – 12 U 215/06 –, openJur 2012, 5721, zugrunde lag, wobei der Zeitpunkt der Entscheidung und die Wertentwicklung berücksichtigt wurden.
27Die Feststellung hinsichtlich der weitergehenden Schadensersatzverpflichtung des Beklagten war auf der Grundlage seiner Haftungsquote zutreffen.
28Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs.1 S.1,708 Nr.2, 708 Nr.11, 711 ZPO.
29Streitwert: bis 22.000 € (Klageantrag zu 1.: 18.750 €, Klageantrag zu 2.: 2.000 €)