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Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Köln wird der Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 14.11.2020 (539 Ds 155/20) aufgehoben.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Köln vom 08.04.2020 (74 Js 227/12) wird zur Hauptverhandlung zugelassen. Das Verfahren wird vor dem Amtsgericht - Strafrichter - eröffnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und insoweit entstandene notwendige Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
2Die nach §§ 210 Abs. 2, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
3Entgegen dem Beschluss des Amtsgerichts vom 14.11.2020 war das Verfahren gegen den Angeschuldigten vorliegend zu eröffnen.
4Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn ein Angeschuldigter nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn die Verurteilung in der Hauptverhandlung bei vorläufiger Tatbewertung auf Basis des Ermittlungsergebnisses wahrscheinlich ist. Dies ist bereits dann der Fall, wenn es bei ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung notwendig erscheint, die besonderen Erkenntnismittel einer Hauptverhandlung für die Sachaufklärung in Anspruch zu nehmen um hinreichend Gewissheit über die Berechtigung des Tatvorwurfs zu gewinnen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.04.2011 - 5 Ws 6/11 - juris).
5Dem - als Rechtsanwalt tätigen, der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main angehörigen - Angeschuldigten wird mit der Anklageschrift vom 08.04.2020 vorgeworfen, im Rahmen eines wegen Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot nach § 43b BRAO gegen ihn geführten Verfahrens vor dem Anwaltsgericht Köln (2 AnwG 21/15 - 10 EV 115/15) unter dem 09.09.2019 einen Schriftsatz an das Gericht versandt zu haben, der ohne diesbezügliche Anforderung mit pornographischen Fotographien versehen war. Namentlich sollen darin zwei Abbildungen von Frauen mit Spermaflüssigkeit im Gesicht und Mund sowie acht weitere Abbildungen heterosexuellen Geschlechtsverkehrs enthalten gewesen sein.
6Nach dem Dafürhalten der Kammer begründet dieser Sachverhalt unter Berücksichtigung des aus der Akte im Übrigen hervorgehenden gegenwärtigen Ermittlungsstandes gegen den Angeschuldigten den hinreichenden Tatverdacht wegen Verbreitung pornographischer Schriften im Sinne der §§ 184 Abs. 1 Nr. 6, 11 Abs. 3 StGB.
7Mit dem Schriftsatz vom 09.09.2019 hat der Angeschuldigte pornographische Schriften im Sinne der genannten Vorschriften in den Machtbereich eines anderen, nämlich der Mitglieder der zur Verhandlung über das Verfahren 2 AnwG 21/15 - 10 EV 115/15 berufenen zweiten Kammer des Anwaltsgerichts Köln und der sonst damit befassten Justizangehörigen gelangen lassen, ohne von ihnen (ausdrücklich oder konkludent) hierzu aufgefordert worden zu sein; ein mutmaßliches Einverständnis genügt - unabhängig vom Vorliegen seiner Voraussetzungen - nicht (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 184 Rn. 6c m. w. N.). Die in dem Schriftsatz enthaltenen Abbildungen zeigen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes abzielende pornographische Darstellungen, d. h. solche, die entpersönlichte sexuelle Verhaltensweisen zum Gegenstand haben, bei denen kein personales Anerkennungsverhältnis, sondern eine Subjekt-Objekt-Beziehung im Vordergrund steht (vgl. Fischer, StGB, 67. Auflage 2020, § 184 Rn. 7b m. w. N.). Unerheblich ist dabei, dass diese Bilder nach dem Vorbringen des Angeschuldigten im Internet frei abrufbar sind, denn Normzweck des § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB ist nicht in erster Linie der Schutz von Darstellern, sondern der Schutz vor direkter ungewollter Konfrontation mit sexuellen Inhalten, d. h. der Schutz der Privatsphäre und des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung des betroffenen Empfängers (vgl. Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 184 Rn. 8 m. w. N.).
8Der Angeschuldigte hat dabei auch keine der Gefahr ungewollter Konfrontation vorbeugende und eine restriktive Tatbestandsauslegung ermöglichende Kennzeichnung des Inhalts seines Schriftsatzes vorgenommen (MüKo zum StGB, 3. Auflage 2017, § 184 Rn. 60).
9Der Annahme eines hinreichenden Tatverdachtes nach §§ 184 Abs. 1 Nr. 6, 11 Abs. 3 StGB steht nicht entgegen, dass es sich bei dem betreffenden Schriftsatz um einen solchen im Rahmen eines gegen den Angeschuldigten geführten Verfahrens vor dem Anwaltsgericht handelt, mit dem er offensichtlich zum Ausdruck zu bringen beabsichtigte, dass die von ihm im Jahr 2013 in übersandten Monatskalendern verwendeten Bildmotive nicht sexistisch gewesen seien. Zwar ist es zutreffend, dass die Abbildungen nicht isoliert, sondern im Kontext der inhaltlichen Stellungnahme des Angeschuldigten zu betrachten sind und somit dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG wie auch dem Recht auf Wahrnehmung berechtigter Interessen und eigene Verteidigung unterfallen. Zutreffend ist ferner, dass aufgrund dessen eine Abwägung der genannten Rechte des Angeschuldigten und derjenigen des vom Schutzbereich des § 184 StGB erfassten Rechtssubjekts zu erfolgen hat und dabei berücksichtigt werden muss, dass die Verwendung einer überspitzten bis polemischen, mitunter sogar diffamierenden Sprache zur Darstellung und Verdeutlichung der eigenen Position im Einzelfall, insbesondere gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, als zulässig erachtet werden kann, da der Betroffene nicht auf das zur Kritik notwendige Maß beschränkt werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.06.2019 - 1 BvR 2433/17; Beschluss vom 10.10.1995 - 1 BvR 1476/91). Dies bedeutet jedoch nicht, dass keinerlei Grenzen gesetzt wären. So tritt das Grundrecht auf Ausübung der Meinungsfreiheit ebenso wie das Recht auf Wahrnehmung berechtigter Interessen sowie eigene Verteidigung insbesondere bei herabsetzenden Äußerungen, die als Formalbeleidigung oder Schmähung zu bewerten sind, in aller Regel hinter den Ehrenschutz zurück (vgl. BVerfG a.a.O.).
10Nach dem Dafürhalten der Kammer können die zu Formalbeleidigungen und Schmähungen aufgestellten Grundsätze auf die vorliegende Übersendung des Schriftsatzes nebst Abbildungen, bezüglich deren aufgedrängter Kenntnisnahme der Gesetzgeber die Normierung eines Straftatbestandes für erforderlich erachtet hat, übertragen werden mit der Folge, dass die Rechte des Angeschuldigten hinter den Ehrenschutz des Betroffenen zurücktreten. Schmähungen und Formalbeleidigungen sind gesellschaftlich missbilligte, tabuisierte und aus sich heraus herabwürdigende Äußerungen; Vergleichbares gilt für die in Rede stehenden und teilweise drastischen Abbildungen. Es darf außerdem angenommen werden, dass der Angeschuldigte als promovierter und praktizierender Rechtsanwalt in der Lage gewesen wäre (und dies mit Blick auf seine Berufszugehörigkeit von ihm erwartet werden kann), seine Position in Worten unter Verzicht auf die in Rede stehenden Abbildungen nachvollziehbar darzustellen.
11Die Kammer hält es daher für geboten, das Verfahren zu eröffnen.
12Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.
13Der Beschluss wurde am 26.02.2021 wie folgt berichtigt:
14Der Tenor des Beschlusses vom 15.01.2021 wird wegen Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass er wie folgt lautet:
15Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Köln wird der Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 14.11.2020 (539 Ds 155/20) aufgehoben.
16Die Anklage der Staatsanwaltschaft Köln vom 08.04.2020 (74 Js 26/20) wird zur Hauptverhandlung zugelassen. Das Verfahren wird vor dem Amtsgericht - Strafrichter - eröffnet.
17Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und insoweit entstandene notwendige Auslagen trägt die Staatskasse,
18Köln, 26.02.2021Landgericht, 14. große Strafkammer