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Die Angeklagten werden freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Der Angeklagte L I wird für die in diesem Verfahren erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen nicht aus der Staatskasse entschädigt.
Gründe
2(Abgekürzt gemäß § 267 Abs. 5 S. 2 StPO.)
3A.
4Vorwurf
5Mit ihrer Anklageschrift vom 09.03.2021, Az. 250 Js 452/20, zugelassen zur Hauptverhandlung durch Beschluss der Kammer vom 30.03.2021, hat die Staatsanwaltschaft Köln den Angeklagten Folgendes vorgeworfen:
6In der Nacht von Samstag, dem 14.11.2020, auf Sonntag, dem 15.11.2020, verabredete die Zeugin U gegen Mitternacht telefonisch mit dem Angeklagten L I, sich noch in dieser Nacht zu treffen. Die Zeugin hatte zwischen ca. 20:00 Uhr und 23:00 Uhr vier bis fünf Flaschen Bier à 0,5 l getrunken und seit dem Vorabend nichts mehr gegessen, zudem befand sie sich wegen einer per Telefon ausgetragenen Auseinandersetzung mit ihrer Lebensgefährtin, der Zeugin G , in einem emotional aufgelösten Zustand, weil die Zeugin G den Abend bei ihrer Mutter und nicht mit ihr zuhause verbrachte. Die an Verlustängsten leidende Zeugin U wollte mit dem Angeklagten L I , dem Lebensgefährten ihrer Tante, der für sie eine besondere Bezugsperson darstellte und zu dem sie großes Vertrauen hatte, über ihre Beziehung zu der Zeugin G reden, nachdem ihr der Angeklagte bereits früher in Beziehungsfragen zugehört und sie diesbezüglich beraten hatte. Der Angeklagte L I schlug der Zeugin U vor, diese solle zu ihm „auf die Arbeit“ kommen, wo er einem „Kumpel“ in dessen Bar ausgeholfen habe. Hierzu übersandte er der Zeugin am 15.11.2020 um 00:13 Uhr per WhatsApp ein Foto von der Visitenkarte der Bar „E “, N Str. 000 in L1-N1 . Die Zeugin fuhr daraufhin mit der Straßenbahn von ihrer Wohnanschrift in Köln-Bocklemünd/Mengenich bis zu der Haltestelle Neusser Str./Gürtel, wo sie der Angeklagte L I – für die Zeugin überraschend – gegen 01:20 Uhr bereits erwartete. Er hielt ihr noch an der Haltestelle einen Kaffeebecher unter die Nase und forderte die Zeugin auf, hieraus zu trinken, was diese auch tat, nachdem der Angeklagte ihre Frage, um welches Getränk es sich handele, mit „Wodka-O" beantwortet hatte. Zugleich äußerte er, die Zeugin solle ihre Beziehung „wegschmeißen“. Den Vorschlag der Zeugin, gemeinsam in die Stadt zu gehen, lehnte er unter Hinweis auf die Bar seines Freundes ab, wo man in Ruhe reden und die Zeugin so viel trinken könne, wie sie wolle. Obwohl die Bar fußläufig nur acht Minuten von der Haltestelle entfernt war, rief der Angeklagte L I den – der Zeugin bis dahin unbekannten – Angeklagten B an, der ihn und die Zeugin kurz darauf daraufhin mit seinem PKW abholte. Gemeinsam fuhren die Angeklagten und die Zeugin zu der von dem Angeklagten B betriebenen Bar „E “ in der N Str. 000in L1-N1 , die wegen der Corona-Pandemie geschlossen war. Dort setzten sie sich in den Gastraum an einen Tisch. Die Zeugin bat den Angeklagten B auf dessen Frage, was sie trinken wolle, um eine Cola, da sie bemerkte, dass es ihr – auch wegen des bereits konsumierten Alkohols – nicht gut ging. Gleichwohl brachte ihr der Angeklagte B ein Cola-Mischgetränk, aus dem die Zeugin zwar sofort den Alkohol herausschmeckte, das sie aber aus Höflichkeit ohne etwas zu sagen trank, zumal ihr der Angeklagte B in Aussicht stellte, sie bei Wiedereröffnung der Bar als Aushilfe einzustellen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste der Angeklagte B von dem Vorhaben des Angeklagten L I , die bereits merklich alkoholisierte und emotional aufgelöste Zeugin derart stark betrunken zu machen, dass sie seinem Vorhaben, in diesem Zustand geschlechtlich mit ihr zu verkehren, nichts mehr entgegenzusetzen haben würde. In Kenntnis dessen füllte der Angeklagte B das Glas der Zeugin immer wieder mit einem alkoholhaltigen Cola-Mix auf, sobald es die Zeugin geleert hatte, bis sie ca. 5-6 Gläser davon getrunken hatte und sich auf den Boden des Gastraumes übergeben musste. Während die Angeklagten das Erbrochene mit Einwegtüchern wegwischten, äußerte die Zeugin, es gehe ihr nicht gut; sie wolle sich jetzt für eine Stunde hinlegen und dann nach Hause. Sie legte sich, bis auf ihre Jacke vollständig bekleidet, auf der Bank, auf der sie zuvor gesessen hatte, mit angezogenen Beinen auf ihre linke Körperseite und schlief ein. Während ihm der Angeklagte B auf einem Stuhl an demselben Tisch gegenüber der Bank sitzend hierbei zusah, öffnete der Angeklagte L I von der Zeugin unbemerkt zunächst deren Gürtel und die durch mehrere Knöpfe geschlossene Jeanshose der Zeugin; dann zog er die Jeans nebst Unterhose bis zu den Knien der Zeugin herab und drehte die Zeugin, die weiter schlief und hiervon nichts bemerkte, auf den Bauch. Er zog sein Oberteil aus und legte es neben den Kopf der Zeugin auf die Bank. Schließlich lehnte er sich über die nunmehr mit entblößtem Unterkörper bäuchlings vor ihm auf der Bank liegende, weiter schlafende Zeugin, wobei unklar geblieben ist, ob er sich selbst zuvor seine Hose und Unterhose herunterzog oder seine Hose nur öffnete. Von der Zeugin unbemerkt penetrierte diese zunächst vaginal, wobei sich nicht aufklären ließ, ob dies mit einem oder mehreren Fingern oder dem ungeschützten Penis des Angeklagten geschah. Dann drang er mit einem kräftigen Stoß mit seinem ungeschützten Penis in den Anus der Zeugin ein, was der Zeugin – wie von dem Angeklagten L I zumindest billigend in Kauf genommen – heftige Schmerzen bereitete, zumal die Zeugin bis dato keinen Analverkehr hatte, und was zu ihrem sofortigen Erwachen führte. Die Zeugin rief laut, „Nein!“, und vollführte mit ihrer rechten Hand eine abwehrende Bewegung nach hinten, wo sie das Gewicht des fremden Körpers auf sich lasten spürte. Der Angeklagte L I ließ daraufhin sofort von der Zeugin ab, so dass sich die Zeugin schnell aufsetzen konnte. Während der Angeklagte B weiter unbewegt auf demselben Stuhl auf der anderen Seites des Tisches saß und zusah, setzte sich der Angeklagte L I mit noch nacktem Oberkörper rechts neben die Zeugin auf die Bank. Er legte seinen linken Arm um ihre Schultern und fragte, ob sie nach Hause wolle, was die Zeugin bejahte. Der Angeklagte L I stand daraufhin auf und langte über die Zeugin hinweg nach seinem noch auf der Bank liegenden Oberteil, das er wieder anzog, und auch die Zeugin zog ihre Hose und Unterhose wieder hoch. Die – erneute – Frage des Angeklagten B , ob er sie nach Hause bringen solle, bejahte die Zeugin U . Daraufhin brachten beide Angeklagten die Zeugin mit dem PKW des Angeklagten B nach Hause, wobei der Angeklagte B fuhr und die Zeugin auf der Rückbank saß, ohne dass zwischen ihnen gesprochen wurde. Als die Zeugin in der Nähe ihrer Wohnanschrift aus dem PKW stieg, schaute sie der Angeklagte L I vom Beifahrersitz aus, wobei er seinen Zeigefinger auf die geschlossenen Lippen legte, um ihr zu bedeuten, dass sie über das Geschehene schweigen solle.
7B.
8Freispruch
9Die Angeklagten waren aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
10C.
11Einlassungen der Angeklagten
12I. Angeklagter L I
13Im Ermittlungsverfahren hat der Angeklagte L I am 15.11.2020 vor seiner Festnahme mit anschließender Zuführung zum Polizeigewahrsamsdienst angegeben, er habe gestern seinem Kollegen bei der Arbeit in Neuss ausgeholfen. Heute habe er gegen 01:00 Uhr mit der Arbeit aufgehört. Er sei von der Nichte seiner Freundin angerufen worden. Sie habe gesagt, sie habe sich mit ihrer Freundin gestritten und brauche jemanden zum Reden. Sie sei zu ihm, an den Ort, wo er gearbeitet habe, mit der Bahn Nummer 13 angereist. Gegen 01:20 Uhr habe er sie vom Bahnhof abgeholt und zu „seinem Arbeitsort" zurückgebracht. Dort habe er sich mit ihr unterhalten und sie dann gemeinsam mit seinem Kollegen (Vorname: S) wieder nach Hause gebracht. Dies sei gegen 03:20 Uhr gewesen. Als das Navigationsgerät noch etwa drei Minuten Fahrtzeit zur Wohnung der Nichte angezeigt habe, habe diese gebeten, sie herauszulassen. Dies habe er getan. Anschließend sei er gegen 04:00 Uhr selbst zu Hause gewesen.
14In der Hauptverhandlung am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 13.04.2021, vor der Vernehmung der Nebenklägerin, hat seine Verteidigerin folgende Erklärung abgegeben, die der Angeklagte L I sich zu eigen gemacht und zu der er keine Fragen beantwortet hat:
15„Am 15.11.2020 schrieb mich die Zeugin U um ca. 15:00 Uhr über WhatsApp an, als ich auf dem Weg zur Arbeit war. Sie fragte, was ich mache und ich sagte, dass ich zur Arbeit fahre. An den gesamten Verlauf des Chats erinnere ich mich nicht. Auf der Arbeit angekommen, schickte mir ihre Freundin, die Zeugin G , eine Sprachnachricht bezüglich eines Jobs, den ich ihr vermittelt habe. Sie fragte, wieso der Lohn so gering sei, ich riet ihr die Unterlagen meiner Lebensgefährtin zwecks Prüfung zuzusenden. Die Zeugin U rief mich kurz vor 24:00 Uhr weinend an. Sie wollte unbedingt mit mir reden, weil sie Stress mit ihrer Freundin, der Zeugin G , hatte. Sie sagte, sie wolle sich „totsaufen“ und ich bin jemand, mit dem sie offen über alles reden kann. Ich willigte ein, dass sie kommt und schickte ihr die Visitenkarte vom Laden. Sie bat mich darum, ihrer Freundin nicht zu erzählen, dass sie auf dem Weg zu mir sei, ich sagte „Ok“ und sie bedankte sich mit einem „Herz“. Wir verabredeten uns um 01:30 Uhr an der O Str. in Nippes. Mein Chef und seine Familienangehörigen haben mein Telefonat mit ihr mitbekommen und wussten, dass ich mich mit der Zeugin U treffe, um mit ihr zu reden. Ich machte mir einen Kaffee to go und machte mich auf zum Treffpunkt. Sie kam mit der Bahnlinie 13 an, ich war oben an der Haltestelle, sie ging runter und hörte mich wegen ihrer Kopfhörer nicht. Daraufhin rief ich sie an und sie kam auf mich zu. Wir umarmten uns und küssten uns wie gewohnt auf den Mund. Wir liefen dann an die Seite der dort befindlichen Brücke und unterhielten uns. Sie erzählte von den Problemen mit ihrer Freundin und deren Mutter und dem Streitfall den die drei hätten. Sie erzählte mir von einem One Night Stand, den sie mit einem Mann aus Litauen gehabt hatte, den sie im Internet kennengelernt hatte. Unter der Brücke – die Stelle hat sie den Polizeibeamten beschrieben, wo sie ihre Blase geleert habe – küssten wir uns innig und es kam zum (einvernehmlichen) Geschlechtsverkehr. Danach entleerte sie ihre Blase. Kurz danach rief Herr B bei mir an und fragte mich, wo wir sind. Ich lotste ihn zu uns, wir mussten uns ein paar Mal gegenseitig anrufen, bis er uns fand. Als sie erfahren hatte, dass Herr B anrief, freute sie sich, da sie die Gelegenheit nutzen wollte, um wegen eines Jobs zu fragen und da die Stadt coronabedingt geschlossen war, hatten wir die Möglichkeit, in der Bar zu trinken. Bevor er kam, schrieb sie ihre Freundin über mein Handy an, um zu sagen, dass sie mit mir unterwegs sei. Herr B kam an der Bushaltestelle an und wir fuhren zum Laden. Dort angekommen betraten wir den Laden „E “ über den Hintereingang. Sie fragte, ob sie sich selbst etwas zu trinken mixen dürfte, was Herr B bejahte. Sie sah eine glitzernde Flasche (vermutlich der Marke „Threesixty“ Vodka) und fragte, ob sie diese haben dürfte, was Herr B ebenfalls bejahte. Wir saßen am Tisch, sie auf der Bank und Herr B gegenüber und tranken und unterhielten uns. Sie spielte über mein Handy Musik von YouTube. Nachdem die Zeugin U etwas getrunken hatte, teilte sie uns mit, dass ihr schlecht sei. Kurz darauf übergab sie sich schon und ich sagte, dass wir sie besser nach Hause bringen sollen. Ich half ihr am Arm auf und sie konnte alleine laufen. Wir gingen raus zum Wagen, sie saß hinten und ich neben Herrn B . Sie gab ihre Adresse in Google Maps über mein Handy ein, ich kannte ihre Adresse nicht. Gegen 03:20 Uhr brachten wir sie an ihr Ziel (ca. zwölf bis 15 Minuten), sie wollte ca. drei Minuten vor dem Ziel aussteigen. Ich fragte, wieso, doch sie bestand darauf. Wir verabschiedeten uns wie üblich mit „Tschüss und schönen Abend“. Herr B fuhr mich daraufhin nach Hause, wo ich gegen 04:00 Uhr ankam. Zu keiner Zeit kam es am Tattage zu der in der Anklage vorgeworfenen sexuellen Tathandlung gegenüber der Zeugin U in der Bar „E “.
16II. Angeklagter B
17Der Angeklagte B hat im Ermittlungsverfahren keine Angaben gemacht.
18In der Hauptverhandlung am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 13.04.2021, vor der Vernehmung der Nebenklägerin, hat seine Verteidigerin folgende Erklärung abgegeben, die der Angeklagte B sich zu eigen gemacht und zu der er keine Fragen beantwortet hat:
19„Ich habe zum 01.11.2020 das Restaurant „E “ übernommen. Am 15.11.2020 hat Herr I noch bis 01:00 Uhr im „E “ mir geholfen. Herr I wurde von Frau U angerufen (so gegen Mitternacht), sie verabredeten sich. Frau U weinte am Telefon und wollte sich unbedingt mit Herrn I treffen. Bei diesem Telefonat waren noch mein Bruder und ein weiterer Bekannter im Laden. Ich kannte Frau U schon seit ca. zwei Jahren. Ich habe sie einige Male mit Herrn I zusammen gesehen, im Sommer 2019 haben wir auch einen Kurzurlaub in Holland zu dritt gemacht. In Holland haben wir auch in einem Zimmer zu dritt übernachtet und hatten auch zu dritt Sex. Nachdem Herr I gegangen war, verabschiedeten sich auch mein Bruder und der Bekannte. Ich rief Herrn I an und fragte, wann sie kommen werden. Er wollte, dass ich sie abhole. Ich fuhr zur Bushaltestelle und wir sind zusammen zu dritt zum Laden gefahren. Im Laden angekommen fragte Frau U , ob sie eine Flasche aus dem Regal haben durfte. Es handelt sich um eine Threesixty-Vodka-Falsche, die glitzernd ist. Ich sagte ihr, die Flasche müsste leer sein, sie diente eigentlich nur zu Dekozwecken. Sie mixte sich aber doch ein Getränk mit dem Rest aus der Vodka-Flasche und ich glaube Cola. Herr I holte auch eine Colaflasche aus dem Kühlschrank und schenkte uns drei Gläser Cola ein. Wir saßen am Tisch, die beiden auf der Bank, und ich gegenüber auf dem Stuhl. Sie fragte nach einem Job. Ich sagte, dass wegen Corona im Moment nur Lieferdienst sei, so dass ich derzeit kein Personal. Aber nach Corona könnten wir nochmal darüber reden. Sie sagte, sie bräuchte dringend Geld. Sie hätte Schulden in Höhe von ca. 4.000,00 Euro. Sie fragte mich, ob ich nicht Sex mit ihr haben wolle, dann müsste ich aber auch dafür zahlen. Ich verneinte, und dachte, dass sie wirklich betrunken sei. Ihr wurde kurz schlecht und sie übergab sich auf den Boden. T und ich machten dann sauber. T sagte, es sei besser, wenn wir sie nach Hause führen. Im Auto saß T neben mir, sie saß hinten. Erst fuhr ich sie, danach den T nach Hause. Sexuelle Handlugen, wie in der Anklage vorgeworfen, gab es nicht.“
20D.
21Beweiswürdigung
22Die Nebenklägerin hat im Ermittlungsverfahren wie in der Hauptverhandlung den Ablauf der Tat so geschildert, wie sie den Angeklagten mit der Anklageschrift vorgeworfen wurde. Insbesondere hat sie das Übergeben, das Hinlegen und das Erwachen durch den kräftigen Stoß in den Anus geschildert, wie auch, dass unmittelbar nach dem Aufwachen der Angeklagte L I sich mit nacktem Oberkörper hinter ihr befunden und sich die Hose hochgezogen habe.
23Die Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen war auch glaubhaft, insbesondere konstant zu ihren Bekundungen im Ermittlungsverfahren, wobei sie vor ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung keine Akteneinsicht hatte. Auch weitere Kennzeichen sprachen für die Glaubhaftigkeit der Aussage. So war die Nebenklägerin zu spontanen Ergänzungen fähig, etwa, dass der Angeklagte L I beim Abholen an der Haltestelle Alkohol dabeigehabt habe, dass sie beim Aufwachen mit dem Arm nach hinten gegriffen habe und dass der Angeklagte L I anschließend über sie gegriffen habe, um seine Kleidung an sich zu nehmen. Sie hat auch fremd- und eigenpsychisches Erleben geschildert, indem sie etwa bekundet hat, dass nach dem Aufwachen die Stimmung angespannt gewesen sei und alle getan hätten, als sei nichts passiert. Die Nebenklägerin hat auch originelle Details geschildert, etwa, dass der Angeklagte L I ihr nach dem Aussteigen aus dem Pkw durch Vorhalten des Fingers an den Mund bedeutete habe, dass die Sache unter ihnen bleiben solle.
24Im Ganzen war die Aussage der Nebenklägerin jedoch nicht von der für eine Verurteilung der Angeklagten erforderlichen Qualität.
25Allein auf Angaben des einzigen Belastungszeugen, dessen Aussage in einem wesentlichen Detail als bewusst falsch anzusehen ist, kann eine Verurteilung nicht gestützt werden. Dann muss der Tatrichter jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben (vgl. BGH, Beschluss vom 19.11.2014, 4 StR 427/14, Rn. 7 – juris).
26Die Aussage der Nebenklägerin war in einem wesentlichen Detail bewusst falsch, wobei ausreichend gewichtige Gründe außerhalb der Aussage dies nicht aufwiegen konnten.
27Die Nebenklägerin hat im Ermittlungsverfahren sowie zunächst in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung die Frage, ob sie eine sexuelle Beziehung zu dem Angeklagten L I gehabt habe, ausdrücklich verneint. Auf Nachfrage der Verteidigung – unter Androhung der Preisgabe von entsprechendem Videomaterial – hat die Nebenklägerin schließlich offenbart, bereits seit längerem eine sexuelle Beziehung zu dem Angeklagten L I gehabt zu haben. Sie hätte mit ihm regelmäßig Geschlechtsverkehr gehabt, unter anderem in einer Wohnung über der Pizzeria, in der der Angeklagte L I gearbeitet habe, und in dem Keller des Lokals. Danach befragt, warum sie die Beziehung bislang verschwiegen hatte, hat die Nebenklägerin bekundet, von dem Angeklagten L I damit bedroht worden zu sein, dass er ihre Beziehung zu ihrer Tante – seiner Lebensgefährtin, der Zeugin K – zerstören würde. Den Widerspruch zwischen der von ihr dargelegten Bedrohung durch den Angeklagten L I auf der einen und seiner Charakterisierung als Vertrauensperson und besten Freund, zu dem sie – wie am 14.11.2020 – freiwillig den Kontakt gesucht hat, auf der anderen Seite konnte die Nebenklägerin indes nicht erklären.
28Es waren darüber hinaus – das Randgeschehen betreffende – Abweichungen der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung von ihren Bekundungen im Ermittlungsverfahren festzustellen:
29So hat die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung bestritten, ihren Onkel schon öfter zur Begrüßung auf den Mund geküsst zu haben oder dies gar regelmäßig zu tun. In ihrer Vernehmung im Ermittlungsverfahren hingegen hatte sie noch bekundet, dass sie ihm am 14.11.2020 zur Begrüßung auf den Mund geküsst habe.
30Die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, vor dem Treffen mit ihrem Onkel am Rhein eine Flasche „Hugo“ getrunken zu haben, aber kein Bier. Im Ermittlungsverfahren hingegen hat sie nicht davon gesprochen, „Hugo“ am Rhein getrunken zu haben, sondern ausgesagt, vor dem Treffen zu Hause vier oder fünf 0,5 l-Flaschen Bier getrunken zu haben.
31In der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin bekundet, dass sie sich im „E “ selbst ein alkoholisches Getränk gemischt habe. In ihrer polizeilichen Vernehmung hingegen hatte sie ausgesagt, dass sie dort keinen Alkohol habe trinken wollen. Sie habe schon gemerkt, dass es ihr nicht so gut gegangen sei. Sie habe ja schon das Bier und den Wodka aus dem Kaffeebecher getrunken gehabt.
32Widersprüche ergaben sich auch unter Berücksichtigung weiterer Ergebnisse der Beweisaufnahme:
33So hat die Nebenklägerin in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung behauptet, ihre Tante, die Zeugin K , habe sich gefreut, dass der Angeklagte L I vor einiger Zeit mit ihr, der Nebenklägerin, nach Holland gefahren sei und sie das Meer sieht. Bei der Vernehmung der Zeugin K stellte sich jedoch heraus, dass diese dachte, dass der Angeklagte mit Freunden nach Holland gefahren sei, und dass sie nicht damit einverstanden gewesen wäre, wenn er mit der Nebenklägerin dorthin gefahren wäre.
34Die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung bekundet, mit ihrem Onkel zu zweit in Holland gewesen zu sein. Eine dritte Person habe sie dorthin gefahren, sie wisse aber nicht mehr, ob diese Person auch dort geblieben sei. Die Zeugin G , die vormalige Lebensgefährtin der Nebenklägerin, hat indes ausgesagt, dass die Nebenklägerin mit ihrem Onkel und einem seiner Freunde in Holland gewesen sei, wobei der Freund mit ihnen dort geblieben sei.
35Die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, ihr einziger Sexualkontakt nach der Tat und der Beendigung der Beziehung mit der Zeugin G habe an Silvester 2020 stattgefunden. Die Zeugin G indes hat bekundet, dass sie an deren Geburtstag am 06.04.2021 mit der Nebenklägerin geschlafen habe.
36Die Sachverständige Dr. med. L2 hat bei der Untersuchung der Nebenklägerin nach der Tat keine Verletzungen im Analbereich festgestellt. Nach Aussage der Zeugin G habe die Nebenklägerin auch keine Schmerz-, sondern Beruhigungsmittel erhalten. Die Nebenklägerin indes hat in der Hauptverhandlung bekundet, dass sie einige Tage nach der Tat aus dem Anus geblutet habe.
37Zudem war ein Falschbelastungsmotiv nicht auszuschließen:
38Die Nebenklägerin hat selbst bekundet, unter Verlustängsten zu leiden. Die Zeugin G hat dies bestätigt und ausgeführt, dass die Nebenklägerin während der gemeinsamen Beziehung mehrfach Dinge behauptet habe, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt hätten. Dabei habe die Zeugin G den Eindruck gewonnen, dass die Nebenklägerin die Behauptung von teilweise dramatischen Begebenheiten (wie eines Selbstmordversuch oder der Diagnose eines Gehirntumors) benutzt habe, um von ihr Aufmerksamkeit und Zuneigung zu erhalten, gerade wenn es zuvor zu Streit gekommen sei. Am Abend des 14.11.2020 war es ebenfalls zu einem Streit zwischen der Nebenklägerin und der Zeugin G gekommen, der der Auslöser dafür war, dass die Nebenklägerin den Angeklagten L I kontaktiert hat. Es könnte für die Nebenklägerin also ein Motiv gegeben haben, die Vergewaltigung durch ihren Onkel fälschlicherweise zu behaupten um auf diese Weise die Zeugin G dazu zu bringen, ihren Groll zu vergessen und sich um die Nebenklägerin zu kümmern. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass die Nebenklägerin nach ihren eigenen Bekundungen, die insoweit mit denen der Zeugin G korrespondieren, nicht selbst die Polizei rufen wollte, sondern die Zeugin G dies getan hat. Überdies hat auch die Zeugin K davon berichtet, dass ihr in der Vergangenheit gelegentliche Lügen ihrer Nichte, der Nebenklägerin, aufgefallen seien.
39Die weiteren Beweismittel waren nicht geeignet, die Mängel der Aussage der Nebenklägerin auszugleichen.
40Das DNA-Gutachten, demzufolge DNA der Nebenklägerin an der Kranzfurche des Angeklagten L I sowie DNA des Angeklagten L I im Anus und im Scheidengewölbe der Nebenklägerin gefunden wurde, kann die Vergewaltigung nicht belegen. Denn angesichts der zu Tage getretenen Beziehung der Nebenklägerin zu dem Angeklagten L I ist der von dem Angeklagten L I geschilderte einvernehmliche Geschlechtsverkehr am Tatabend, der geeignet ist, das Spurenbild zu erklären, jedenfalls möglich.
41Das durch die Sachverständige Dr. med. L2 festgestellte Verletzungsbild, das insbesondere keine Fissuren am Anus beinhaltete, widerspricht ausweislich der Ausführungen der Sachverständigen zwar nicht dem von der Nebenklägerin geschilderten brüsken Eindringen in den Anus, belegt dieses aber auch nicht.
42E.
43Kostenentscheidung
44Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 S. 1 StPO.
45F.
46Entschädigungsentscheidung
47Die dem Angeklagten L I gemäß § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 StrEG zustehende Entschädigung aus der Staatskasse für den durch die in diesem Verfahren erfolgten Strafverfolgungsmaßnahmen, namentlich die Durchsuchung und die Sicherstellungen sowie die Untersuchungshaft seit dem 15.11.2020 hat die Kammer in Ausübung ihres insoweit bestehenden Ermessens gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG versagt, weil der Angeklagte L I die Strafverfolgungsmaßnahmen dadurch veranlasst hat, dass er wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat.
48Der Angeklagte L I hat unmittelbar bei Eintreffen der Polizeibeamten an seiner Wohnanschrift am 15.11.2020, das heißt noch vor Stattfinden jeglicher Strafverfolgungsmaßnahmen, Angaben zur Sache gemacht. Dabei hat er nicht davon berichtet, dass er seit längerer Zeit regelmäßig Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin habe und zudem insbesondere nicht geschildert, dass er mit der Nebenklägerin am Tattag einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt habe. Gerade letzteres wäre – als Erklärung für die aufgefundenen DNA-Spuren – indes ein wesentlicher entlastender Umstand gewesen.
49Der Angeklagte B hatte keine entschädigungsfähigen Strafverfolgungsmaßnahmen zu erdulden, sodass ihn betreffend eine Entscheidung über eine Entschädigungspflicht nicht veranlasst war.