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1.
Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.
2.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
3.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers.
Angewendete Vorschriften:
§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 und Nr. 5, 340 Abs. 1 und 3, 56 Abs. 1
G r ü n d e:
2– abgekürzt nach § 267 Abs. 4 StPO –
1.
4Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 46-jährige Angeklagte wurde am 00.00.0000 in S geboren, ist deutscher Staatsangehöriger und seit dem Jahr 0000 Polizeibeamter in O. Seine Ausbildung absolvierte er in Stukenbrock, Westfalen. Nach einer Tätigkeit auf der Polizeiwache und im zivilen Einsatztrupp in Köln-Nippes begann er im Jahr 0000 ein Studium an der Fachhochschule, um in den gehobenen Polizeivollzugsdienst aufzusteigen. Nach Abschluss des Fachhochschulstudiums war er zunächst bis zum Jahre 0000 in der operativen Terrorbekämpfung beim Landeskriminalamt in Düsseldorf tätig, bevor er nach L zurückkehrte und dort begann, bei der Kriminalpolizei zu arbeiten. Zum Zeitpunkt der Tat war er im Kriminalkommissariat 00 in L tätig, das als Fahndungseinheit für die Vollstreckung von Haftbefehlen zuständig ist. Seine dortige Tätigkeit umfasste insbesondere die Vollstreckung von Untersuchungshaftbefehlen, Haftbefehlen für Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr sowie Haftbefehlen gegenüber Personen mit einer besonderen Bedeutung oder Gefährlichkeit.
5Der Angeklagte ist verheiratet und hat Familie. Derzeit ist er als Kriminaloberkommissar im Kriminalkommissariat 00 in L tätig.
62.
7Der Angeklagte ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten. Der den Angeklagten betreffende Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 14.09.2021 weist keine Eintragungen auf.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer folgender Sachverhalt fest:
Der Geschädigte B E wurde am 00.00.0000 in L geboren und lebte von Geburt an mit seiner Familie in einer Wohnung in der L1 Straße 00 im L B1. Er ist ebenso wie seine Mutter griechischer Staatsangehöriger. Seine griechischen Großeltern leben im Wechsel im Winter in Köln und im Sommer in Griechenland. Dort besuchte der Geschädigte sie seit Kindheitstagen regelmäßig.
10Der Geschädigte war zum Zeitpunkt der Tat im Juli 0000 körperlich und seelisch gesund und betrieb aktiv Kampfsport. Er ist bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, insbesondere wegen Gewaltdelikten. Er wurde deshalb im Intensivtäterprogramm des Kriminalkommissariats 00 geführt und in diesem Rahmen von der Kriminaloberkommissarin M betreut.
Der Angeklagte war zur Tatzeit im Juli 0000 als Polizeibeamter im Kriminalkommissariat 00 tätig. Ende Juni 0000 wurde dem Kriminalkommissariat 00 ein Untersuchungshaftbefehl des Amtsgerichts Köln (Az. 506 Gs 1275/19) gegen den Geschädigten vom 24.06.2019 mit der Bitte um Vollstreckung übermittelt. Im Rahmen des Haftbefehls wurde der Geschädigte beschuldigt, am 12.10.2018 in Köln als Heranwachsender gemeinschaftlich mit einem gesondert verfolgten und einem unbekannten Mittäter tateinheitlich einen besonders schweren Raub unter Verwendung einer Waffe begangen sowie Betäubungsmittel in nicht geringer Menge besessen zu haben. Bei der Tat soll laut Haftbefehl eine sog. PTB-Waffe zum Einsatz gekommen sein.
12Zum Haftgrund heißt es auf der zweiten Seite des Haftbefehls:
13„Für den Beschuldigten besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr, § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Er ist bereits mehrfach, auch einschlägig, strafrechtlich in Erscheinung getreten und wird als Intensivtäter geführt. Durch Urteil des AG Köln vom 02.09.2015 (642 Ls 108/15) ist er wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung, Sachbeschädigung u.a. zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und einem Monat mit Bewährung verurteilt worden. Am 06.06.2017 ist er dann durch Urteil des AG Köln (643 Ls 83/17) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten mit Bewährung verurteilt worden. Zuletzt ist er durch Urteil des AG Köln vom 12.02.2019 (643 Ls 106/18) wegen gefährlicher Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung u.a. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren mit Vorbewährung gemäß § 57 JGG verurteilt worden. Die zahlreichen Verurteilungen haben offensichtlich keinerlei Eindruck bei dem Beschuldigten hinterlassen. Die Vorstrafen belegen, dass der Beschuldigte gewaltbereit ist. Die neuerliche Straftat belegt zudem, dass der Beschuldigte nicht davor zurückschreckt, Waffen einzusetzen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Vollzug der Untersuchungshaft als einziges und damit zugleich mildestes Mittel zur Abwendung der drohenden Gefahr der Begehung weiterer Gewaltdelikte durch den Beschuldigten erforderlich. Angesichts der Erheblichkeit des Tatvorwurfs und unter Berücksichtigung der Vorstrafen hat der Beschuldigte mit einer empfindlichen Haftstrafe zu rechnen, die ein Jahr Jugendstrafe übersteigen wird.“
14Am 28.06.2019 sandte die Kriminaloberkommissarin M eine E-Mail an den zentralen Account des Kriminalkommissariats 00, die am gleichen Tag unter anderem an den Angeklagten weitergeleitet wurde. In der E-Mail heißt es unter anderem wie folgt (Hervorhebungen wie im Original):
15„Ich hab von unseren Staatsanwälten gestern erfahren, dass euch ein Haftbefehl gegen den
16B E*00.00.0000 in LL1 Straße 000000 L
17vorliegt.B befindet sich im Intensivtäterprogramm unseres Hauses, daher ein paar Infos:
18Dringender Hinweis auf die Eigensicherung!!!!!!!
19B ist aktiver Kickboxer und ein wirklicher Gegner. Er weiß, wenn er von dem HB erfährt, dass er eine langjährige Haft zu erwarten hat.
20Er war Ende letzten Jahres in einer Schießerei beteiligt, der HB beruht auf einem schweren Raub in Wohnung mit Schusswaffe,
21die ihm zugeordnet werden konnte!
22Die Familie E besitzt zwei große Hunde, welche in der Wohnung gehalten werden.
23Er ist euch in der Vergangenheit bei der Vollstreckung eines HBs mal abgehauen und hat sich hier stolz gebrüstet.
24Da ich nächste Woche in Urlaub bin, bitte ich um Weiterleitung der Infos an die betreffenden Kollegen! Mein Kollege KHK L2 (Durchwahl 0000) ist Ansprechpartner, er kennt B ebenso und kann euch gerne noch weitere Infos geben, auch in Bezug auf mögliche Aufenthaltsorte.“
25Seitens des Kriminalkommissariats 00 wurde nach Eingang der vorgenannten Informationen zunächst bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Köln angeregt, gemäß § 100g StPO die telekommunikativen Verkehrsdaten des Geschädigten zu erheben, was auch geschah. Die daraufhin erlangten Standortdaten des Mobiltelefons des Geschädigten wiesen auf den Bereich L-B1/O-O1 hin.
Am Vormittag des 10.07.2019 wurde eine zu jener Zeit im Kriminalkommissariat 00 tätige Polizeipraktikantin, die sich im Abschlussjahr ihres Fachhochschulstudiums befand, die Zeugin 000, damit beauftragt, bei Nachbarn des Geschädigten anzurufen, um auf diesem Weg an ihn heranzukommen, was jedoch nicht gelang.
27Da den Beamten bekannt war, dass der Geschädigte Kampfsport betrieb, beschlossen sie, zunächst die Fitness- und Kraftstudios in der Umgebung seiner häuslichen Anschrift aufzusuchen, um dort mit Trainern zu sprechen und auf diesem Weg einen Kontakt zu dem Geschädigten herzustellen. Hintergrund war die Hoffnung, seine Trainer könnten den Geschädigten dazu bewegen, sich freiwillig zu stellen.
28Zu diesem Zweck begaben sich der Angeklagte, sein erfahrener Kollege, der Zeuge 000 sowie die Zeugin 000, am späten Vormittag des 10.07.2019 vom Polizeipräsidium in Köln-Kalk aus in Zivil in die L1 Straße, um dort ein zuvor ausgewähltes Fitnessstudio aufzusuchen. An diesem Tag trug der Angeklagte – so wie immer im Einsatz – seine Dienstwaffe, Typ Walther P99, Kaliber 9 x 19 mm, bei sich, die mit 15 Patronen (sog. „RUAG Ammotec Action 4“-Munition) durchgeladen war. Die Dienstwaffe trug er vorschriftsgemäß in einem sog. Innenbundholster vorne in seiner Hose.
29Bei der „Action 4“-Munition handelt es sich um die von der Polizei in Nordrhein-Westfalen verwendete Einsatzmunition. Die Holzspitzgeschosse bestehen aus einer Kupferlegierung und verfügen über eine Geschossspitze aus gelbem Kunststoff, die beim Auftreffen auf das Ziel in das Geschoss hineingedrückt wird, so dass dieses „aufpilzt“ und seine Oberfläche vergrößert. Durch dieses „Aufpilzen“ verringert sich im Einsatz die Eindringtiefe und damit die Gefahr von Durchschüssen und Umgebungsgefährdungen. Die gewünschte Deformation des Geschosses führt bei einem Auftreffen auf den menschlichen Körper dazu, dass es zu einer großen Energieabgabe in das umliegende Gewebe kommt und deshalb – im Vergleich zu einem herkömmlichen Vollmantelgeschoss – eine größere Wundhöhle und Gewebsdestruktionen sowie bei Knochentreffern erhebliche Trümmerfrakturen zu erwarten sind.
30Ferner führte der Angeklagte am Tattag ein zweites, ebenfalls mit 15 „Action 4“-Patronen geladenes Magazin bei sich sowie ein Reizstoffsprühgerät und Handfesseln, die er in einem sog. „Hipbag“ hinten links über dem Gesäß trug.
31Als das Fahrzeug mit den drei Beamten vom I kommend schließlich gegen 12 Uhr mittags durch die L1 Straße fuhr, erblickte der Angeklagte auf Höhe der Hausnummer 00, vor der Spielhalle „Q“, eine Gruppe junger Männer. Unter diesen erkannte er den Geschädigten, der einen auffälligen, strahlend weißen Kapuzenpulli und eine lange Hose trug. Der Geschädigte unterhielt sich vor dem Laden mit einigen Bekannten, nachdem er zuvor seine Mutter in der Spielhalle besucht hatte, die dort arbeitete.
32Um keine unmittelbare Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, fuhren die Beamten zunächst weiter, parkten das Fahrzeug und begaben sich in das Fahrradgeschäft „T“, das schräg gegenüber der Spielhalle in der L1 Straße 00 liegt. Da sie die Situation nutzen wollten, um den Geschädigten festzunehmen, zugleich aber wussten, dass sie dafür – in Anbetracht der ihnen bekannten Gefährlichkeit des Geschädigten – zu dritt nicht ausreichend stark personell besetzt waren, riefen der Angeklagte und die Zeugin 000 aus dem Fahrradladen heraus über ihre Mobiltelefone bei der Leitstelle und im Kriminalkommissariat 00 an, schilderten die Situation und baten um zeitnahe Unterstützung bei der Festnahme des Geschädigten. Währenddessen observierten sie das Geschehen vor der Spielhalle aus dem Schaufenster des Fahrradgeschäfts heraus.
33Weil die Sicht nicht ideal war, verließ der Angeklagte das Ladenlokal jedoch bald, um den Geschädigten von der Straße aus besser im Blick zu haben. Die Zeugen 000 und 000 verblieben zunächst im Fahrradgeschäft.
34Der Geschädigte entschloss sich schließlich, nach Hause in die L1 Straße 00 zu gehen, um zu duschen. Er verabschiedete sich von den Männern, mit denen er sich vor der Spielhalle unterhalten hatte und begab sich die L1 Straße entlang in Richtung I zu Fuß auf den Nachhauseweg. Dies sah auch der Angeklagte, der sich zu diesem Zeitpunkt auf der L1 Straße gegenüber der Spielhalle befand. In der Befürchtung, die Gelegenheit zur Festnahme könnte sich durch die Ortsveränderung des Geschädigten nunmehr auflösen, noch bevor die angeforderte Unterstützung eintreffen würde, rief er den Zeugen 000 an und gab sinngemäß an, die beiden Kollegen sollten schnell zu ihm kommen, da „sich etwas tue“.
35Die Zeugen 000 und 000 eilten daraufhin zur Spielhalle, vor der sie den Geschädigten zuletzt gesehen hatten, rannten hinein und blickten sich suchend nach dem Geschädigten um. Da sie ihn jedoch nicht finden konnten, verließen sie die Spielhalle wieder und liefen schnellen Schrittes die L1 Straße entlang weiter in Richtung I . Zu diesem Zeitpunkt hatte der Geschädigte sein Elternhaus in der L1 Straße 00 bereits erreicht. Weil er das Gefühl hatte, beobachtet zu werden, blieb er jedoch zunächst – mit dem Rücken zur Tür gewandt – im leicht nach hinten versetzten Türrahmen des Hauses stehen und blickte die Straße entlang. Der Angeklagte, der die L1 Straße parallel zum Geschädigten auf der anderen Straßenseite entlanggelaufen war, saß zu diesem Zeitpunkt auf einer Bank, die vor dem Tattoo-Studio „J“ auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses, in dem die Familie E lebte, auf Höhe der L1 Straße 00 stand.
36Die Zeugen 000 und 000 liefen derweil schnellen Schrittes weiter die L1 Straße entlang und kamen schließlich auch an dem Hauseingang vorbei, in dem der Geschädigte stand. Erst im Vorbeigehen nahmen sie den etwas versetzt nach hinten stehenden Geschädigten aus dem Augenwinkel wahr. Um nicht unmittelbar aufzufallen, gingen sie zunächst ein paar Schritte weiter, stoppten dann aber doch abrupt ab. Spätestens zu diesem Zeitpunkt realisierte der Geschädigte, dass er tatsächlich verfolgt wurde.
Auch die Polizeibeamten bemerkten, dass der Geschädigte nunmehr alarmiert war. Nach einem kurzen Blickwechsel zwischen den Zeugen 000, 000 und dem Angeklagten entschieden sich diese daher nonverbal zum gemeinsamen Zugriff. Der Angeklagte lief über die Straße hinweg auf den Geschädigten zu und auch die Zeugen 000 und 000 wandten sich um, um sich in Richtung des Geschädigten zu begeben. Einer der beteiligten Polizeibeamten – wobei die Kammer nicht mehr festzustellen vermochte, um wen es sich dabei gehandelt hatte – rief laut in Richtung des Geschädigten: „Polizei!“ und der Angeklagte setzte das von ihm bei sich geführte und zwischenzeitlich gezückte Reizstoffsprühgerät gegen den Geschädigten ein. Dieser wurde von dem Reizstoffstrahl jedoch nur leicht getroffen, ergriff umgehend die Flucht und rannte die L1 Straße entlang in Richtung Carstraße. Obwohl er durch den Reizstoff Schmerzen in den Augen und im Hals verspürte, bewegte er sich aufgrund seines guten Trainingszustands äußerst schnell voran.
38Die drei Polizeibeamten nahmen die Verfolgung des Geschädigten auf, der Angeklagte zog im Laufen seine Dienstwaffe aus dem Holster und hielt diese nach unten gerichtet in der rechten Hand. Der Zeuge 000 lief unmittelbar in die aufgrund der vorherrschenden Windverhältnisse noch in der Luft befindliche Reizstoffwolke hinein. Aufgrund einer zunehmenden Schleimhautreizung in Augen und Rachen war er körperlich bald derart beeinträchtigt, dass er die Verfolgung des Geschädigten noch auf der L1 Straße aufgeben musste. Er begab sich in ein nahegelegenes Restaurant, um sich die Augen auszuwaschen.
39Der Angeklagte und hinter ihm die Zeugin 000 verfolgten den Geschädigten weiter, der zunächst die L1 Straße entlang- und unter anderem an der Spielhalle „Q“ vorbeilief, vor der seine Mutter, die Zeugin E , stand. Von der L1 Straße aus bog der Geschädigte nach rechts in die Cstraße und von dort direkt wieder rechts in die B2straße ein. Der Angeklagte sah noch, dass der Geschädigte in die Cstraße einbog, verlor ihn dann aber aus den Augen.
40Zwischenzeitlich informierte eine der Nachbarinnen, mit denen die Zeugin 000 an jenem Vormittag telefoniert hatte, die Mutter des Geschädigten, die Zeugin E , darüber, dass sich jemand telefonisch bei ihr nach dem Geschädigten erkundigt habe. Die Zeugin E informierte daraufhin umgehend ihren Mann und Vater des Geschädigten, den Zeugen W, über den Anruf, der sich daraufhin auf direktem Weg von seiner Arbeitsstelle in der Ehrenstraße in Köln ins Agnesviertel begab.
41Der Geschädigte lief währenddessen die B2straße entlang bis zum T1 platz und begab sich dort in den Getränkehandel „V“, Hausnummer 0, um sich vor seinen Verfolgern zu verstecken. Er kannte die Familie V, die den Getränkehandel betreibt, bereits seit Kindheitstagen und fühlte sich dort sicher. Er lief durch den verwinkelten Getränkemarkt durch verschiedene Gänge, die von Getränkekisten gesäumt waren, vorbei an der Kasse, wo er auf die im Getränkehandel beschäftigten Zeugen N V , T2 V , V1 V und L3 I1 traf, die sich hinter der Kasse aufhielten. Ob und was zwischen dem Geschädigten und den Zeugen im Vorbeigehen besprochen wurde, vermochte die Kammer nicht zu ermitteln.
42Durch die schlauchförmigen Gänge des Getränkemarkts hindurch betrat der Geschädigte schließlich durch ein offenes Rolltor einen Hinterhof. Dort befand sich auf der linken Seite ein Kühlhaus. Vor dem Kühlhaus, rechts des Kühlhauses und hinter dem Kühlhaus befanden sich Lagerflächen für Getränkekisten. Der Weg vom Kühlhaus bis zum Rolltor belief sich auf rund 8 Meter, der von dort geradeaus in den Getränkemarkt hineinführende, von Getränkekisten gesäumte Gang war weitere rund 4,60 Meter lang, bevor er um eine Ecke nach rechts tiefer hinein in den Getränkemarkt führte. In dem Gang befand sich – vom Hinterhof aus gesehen – auf der rechten Seite eine Sackkarre, am Ende des Gangs stand vor Getränkekisten ein elektrischer Hubwagen des Typs „Ameise“.
43Der Geschädigte betrat das Kühlhaus, um sich dort vor den Polizeibeamten zu verstecken. Um eine ausreichende Sauerstoffversorgung zu gewährleisten, lehnte er die Tür lediglich an. Im Kühlhaus selbst zog er sich zunächst Pullover und Hose aus, um es der Polizei bei einer weiteren Flucht zu erschweren, ihn zu erkennen. Unter seiner Oberbekleidung trug er kurze, schwarze Sportbekleidung. Zudem führte er mehrere Telefonate mit seinem Handy, deren Inhalt und Gesprächspartner die Kammer nicht zu ermitteln vermochte.
Der Angeklagte traf schließlich an der Ecke Cstraße / B2straße ein und dort zufällig auf einen Streifenwagen. Er gab sich als Polizeibeamter zu erkennen und teilte seinen Kollegen eine Personenbeschreibung des Geschädigten mit. Auf der Suche nach dem Geschädigten fuhr der Streifenwagen sodann absprachegemäß die Cstraße entlang, während der Angeklagte zu Fuß in die B2straße einbog. Um die dort befindlichen Passanten nicht zu erschrecken, holsterte er seine zuvor gezogene Dienstwaffe wieder und fragte Besucher des Außenbereichs eines Restaurants in der B2straße, ob diese jemanden mit einem weißen Pulli hätten vorbeilaufen sehen. Die Befragten bejahten dies und wiesen in Richtung T1 platz, wohin sich der Angeklagte daraufhin begab. Dort angekommen fiel ihm der Getränkemarkt „V “ ins Auge, der ihm aus seiner früheren Tätigkeit bei dem zivilen Einsatztrupp in Köln-Nippes bekannt war, weil es damals Verbindungen der Betreiber des Getränkemarkts zu Betäubungsmittelhandel an der Alten Feuerwache im B1 gegeben hatte. Seiner Intuition folgend betrat der Angeklagte daher den Getränkemarkt „V “. Dies sahen die Zeugen 000 und 000, die ebenfalls als Polizeibeamte im Kriminalkommissariat 00 tätig waren und nach dem Unterstützungsersuchen, das der Angeklagte und seine Kollegin noch aus dem Fahrradgeschäft heraus abgesetzt hatten, nunmehr ebenfalls am T1 platz eingetroffen waren. Sie folgten dem Angeklagten in den Getränkemarkt, ebenso wie die Zeugin 000, die schließlich auch am T1 platz eingetroffen war.
45Im Getränkemarkt traf der Angeklagte an der Kasse auf die Zeugen N V , T2 V , V1 V und L3 I1 . Er wandte sich an die Zeugen N V und L3 I1 , zeigte ihnen seine Polizeimarke und fragte sie, ob jemand in den Laden hineingelaufen sei. Obwohl die Zeugen den Geschädigten zuvor gesehen hatten, verneinten sie die Frage wahrheitswidrig.
46Die Zeugin 000 sah, dass der Angeklagte im Gespräch mit den Mitarbeitern an der Kasse war und beschloss daher, den Rest des Getränkehandels schon einmal „auf eigene Faust“ zu überprüfen. Sie ging an dem Angeklagten vorbei durch den Getränkehandel und gelangte schließlich zum Hinterhof. Dort ging sie an dem Kühlhaus vorbei, in dem sich der Geschädigte verborgen hielt, ohne diesen zu bemerken und begab sich in den hinteren Teil des Hofs, um dort Ausschau nach etwaigen Fluchtwegen zu halten. Der Zeuge 000 verblieb zu Sicherungszwecken im vorderen Teil des Getränkehandels.
47Da dem Angeklagten zwischenzeitlich Zweifel am Wahrheitsgehalt der Auskunft der Zeugen N V und L3 I1 kamen, entschloss er sich, sich in dem Getränkehandel weiter nach dem Geschädigten umzusehen und begab sich ebenfalls in den Hinterhof. Ihm folgte die Zeugin 000.
Als der Angeklagte den Hinterhof betrat, fiel ihm auf, dass die Tür zum dortigen Kühlhaus im Hof nur angelehnt und nicht verschlossen war. Da er dies nicht mit dem Zweck der Kühlung in Einklang zu bringen vermochte, vermutete er sofort, dass sich der Geschädigte darin versteckt halten könnte. Er zog seine Dienstwaffe aus dem Holster, hielt diese nah am Körper und öffnete die Tür zum Kühlhaus einen Spaltbreit. Durch einen Kälteschutzvorhang mit durchsichtigen Lamellen hindurch erkannte er den Geschädigten, der sich in dem Kühlhaus verborgen hielt. Der Angeklagte richtete seine Dienstwaffe auf den Geschädigten und forderte ihn lautstark auf, aus dem Kühlhaus herauszukommen und sich auf den Boden zu legen. Die Zeugin 000, die sich noch im hinteren Teil des Hofes befunden hatte, hörte die lauten Rufe des Angeklagten und begriff sofort, dass dieser den Geschädigten gefunden hatte. Sie lief zurück zum Kühlhaus und zog für einen Moment ihre Dienstwaffe. Nachdem sie jedoch realisierte, dass auch der Angeklagte seine Dienstwaffe bereits gezogen hatte, holsterte sie ihre eigene Dienstwaffe wieder und zog stattdessen das von ihr bei sich geführte Reizstoffsprühgerät aus der Tasche. Als sie am Kühlhaus angelangt war, öffnete sie die Tür weiter, um hineinzusehen und erblickte den Geschädigten ebenfalls. Nach mehrfachen weiteren Aufforderungen seitens des Angeklagten trat der Geschädigte schließlich mit leeren und erhobenen Armen aus dem Kühlhaus heraus und blieb zwischen dem Angeklagten und der Zeugin 000 stehen. Der Angeklagte rief dem Geschädigten unter Waffenvorhalt noch einmal laut zu: „Auf den Boden, du Wichser!“. Dem leistete der Geschädigte jedoch keine Folge, senkte vielmehr seine Arme und rannte los. Der Angeklagte ergriff mit seiner freien linken Hand noch das rechte Handgelenk des davonlaufenden Geschädigten. Weil beide von dem Lauf durch das B1 nass geschwitzt waren, konnte sich der Geschädigte jedoch losreißen und lief weiter zum Hintereingang des Getränkemarkts in Richtung des Rolltors.
49In diesem Moment entschloss sich der Angeklagte, der sich nach der vorangegangen Verfolgungsjagd in einem körperlichen und mentalen Ausnahmezustand befand, binnen eines Sekundenbruchteils dazu, den Geschädigten durch den Einsatz seiner Dienstwaffe an einer erneuten Flucht zu hindern. Er war sicher, dass sich der Geschädigte – nunmehr vor dem drohenden Zugriff gewarnt – für die Strafverfolgungsbehörden unauffindbar nach Griechenland absetzen würde, wenn er ihn nicht in diesem Augenblick stoppen würde. Zugleich wusste er, dass es aussichtslos wäre, dem Geschädigten erneut nachzulaufen, da dieser bereits bei der vorangegangen Flucht unter Beweis gestellt hatte, dass er deutlich schneller laufen konnte als der Angeklagte und seine Kollegen. Zudem war dem Angeklagten klar, dass er nach der nunmehr erkennbar falschen Auskunft der Zeugen N V und L3 I1 keine Unterstützung seitens der Mitarbeiter des Getränkehandels zu erwarten und sogar eine weitere Behinderung seiner Tätigkeit zu befürchten hatte.
50Ohne den Schusswaffengebrauch explizit verbal anzudrohen und / oder zuvor einen Warnschuss abzugeben, feuerte er insgesamt fünf Schüsse in Richtung des von ihm abgewandten, davonlaufenden Geschädigten ab, wobei er auf dessen Beine zielte. Dabei beabsichtigte er, den Geschädigten körperlich zu verletzen, um ihn fluchtunfähig zu machen. Er nahm an, dass der Geschädigte in Anbetracht des bisherigen Geschehensablaufs (namentlich der Aufforderung unter Waffenvorhalt, sich auf den Boden zu legen) wusste, dass es zu einem Einsatz der Schusswaffe kommen würde, wenn er sich der Festnahme erneut entzieht und ging daher davon aus, bei der Abgabe der Schüsse rechtmäßig zu handeln.
51Die ersten drei Schüsse gab der Angeklagte in unmittelbarer, schneller Abfolge ab. Nachdem er keine Trefferwirkung erkennen konnte und der Geschädigte weiter hinein in den Getränkehandel lief, gab er zwei weitere Schüsse in Richtung seiner Beine ab.
52Die Trefferreihenfolge der ersten vier Schüsse vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen. Zwei der ersten vier Schüsse verfehlten den Geschädigten und trafen die Sackkarre, die auf der rechten Seite des Gangs stand, der in den Getränkemarkt hineinführte. Einer dieser beiden Schüsse durchschlug den rechten Reifen der Sackkarre auf einer Höhe von ca. 16 Zentimetern, der andere der beiden Schüsse streifte den rechten Holm des Griffgestells der Sackkarre auf einer Höhe von ca. 73 Zentimetern.
53Ein weiterer der ersten vier Schüsse traf den Geschädigten am Rücken zwischen den Schulterblättern. Das Projektil trat an der rechten Halsseite wieder aus. Durch das Projektil wurden lediglich Weichteile, aber keine größeren Gefäße oder Nerven verletzt, was aufgrund der topografischen Nähe lebenswichtiger großer venöser sowie arterieller Gefäße sowie des Rückenmarkes im Hals ausgesprochen unwahrscheinlich war, zumal beim Einsatz der „Action 4“-Munition eine vergleichsweise große temporäre Wundhöhle und entsprechend weite Gewebsdestruktionen zu erwarten sind. Die Verletzung war potentiell lebensbedrohlich, eine konkrete Lebensgefahr bestand jedoch nicht.
54Ein weiterer der ersten vier Schüsse traf den Geschädigten in der rechten Flankenregion. Der Einschuss führte zu einer rückwärtig gelegenen, querovalen Verletzung in der rechten Flanke in Richtung Rücken, in Verlängerung der rechten Schulterblattspitze. Das Projektil trat an der rechten Flankenvorderseite wieder aus. Im Schusskanalverlauf wurden die Bauchhöhle und damit einhergehend die Bauchorgane sowie große Bauchgefäße nicht verletzt. Da eine Abweichung um wenige Millimeter bzw. wenige Grad jedoch zu einer Eröffnung der Bauchhöhle hätte führen können, war auch diese Verletzung potentiell lebensbedrohlich. Eine konkrete Lebensgefahr trat indes nicht ein.
55Insbesondere hinderten den Geschädigten die beiden vorgenannten Schussverletzungen nicht daran, in schnellem Tempo weiter in Richtung des Inneren des Getränkehandels zu laufen. Eine Trefferwirkung war für den Angeklagten nicht zu erkennen.
56Der fünfte und letzte Schuss traf den Geschädigten, als er etwa auf Höhe des elektrischen Hubwagens am Ende des Gangs nach rechts um die Ecke biegen wollte. Das Geschoss trat an der rechten Oberschenkelaußenseite, etwas versetzt in Richtung Körperrückseite, in seinen Körper ein und zertrümmerte den Oberschenkelschaftknochen, bevor es schließlich im Weichteilgewebe des Oberschenkels stecken blieb. Auch bei dieser Verletzung handelte es sich um eine potentiell lebensbedrohliche Verletzung, weil ohne weiteres große beinversorgende Gefäße wie die arteria femoralis oder große Begleitvenen hätten verletzt werden können. Auch der ausgeprägte Trümmerbruch war geeignet, über die Eröffnung der Knochenmarkshöhle zu einem großen Blutverlust zu führen. Eine konkrete Lebensgefahr bestand jedoch nicht.
57Durch die Zertrümmerung des Oberschenkelschaftknochens konnte das Bein des Geschädigten keinerlei Belastung mehr standhalten und der Geschädigte stürzte, wenige Meter hinter der Kurve, im Gang des Getränkehandels zu Boden.
Nachdem der Geschädigte aus dem Blickfeld der Beamten verschwunden war, eilten der Angeklagte und die Zeuginnen 000 und 000 in den Getränkehandel hinein und fanden den Geschädigten dort verletzt auf dem Boden liegend vor. Der Angeklagte und die Zeugin 000 begannen sofort, erste Hilfe zu leisten und versuchten, die stark blutenden Wunden des Geschädigten abzubinden. Die Zeugin 000 forderte die zwischenzeitlich ebenfalls herbeigeeilten Mitarbeiter des Getränkehandels dazu auf, einen Rettungswagen zu rufen, sie selbst informierte die Leitstelle der Polizei Köln.
59Kurz darauf trafen auch die Zeugen H und F im Getränkehandel ein, die als Schutzpolizisten aus Köln-Nippes gerade auf Streife waren, als sie über Funk zunächst von der ersten missglückten Festnahme des Geschädigten und sodann von der Schussabgabe am T1 platz erfahren hatten. Die Zeugin F übernahm die weitere Versorgung des Geschädigten, bis der Rettungswagen eintraf. Der Geschädigte war dabei durchgehend wach, orientiert und kreislaufstabil.
60Er wurde mit einem Rettungswagen in das Universitätsklinikum Köln verbracht, wo der Trümmerbruch des Oberschenkelknochens noch am selben Tag mit einem sog. „Fixateur externe“ operativ versorgt wurde. In die Wundkanäle der beiden Durchschüsse wurden Drainagen eingelegt, die Haut wurde genäht. In den darauffolgenden Tagen wurde der Geschädigte in das Justizvollzugskrankhaus Nordrhein-Westfalen in Fröndenberg verlegt. Nach zwei Wochen wurde der „Fixateur externe“ operativ entfernt und die Fraktur mit einem Nagel osteosynthetisch versorgt. Insgesamt wurde der Geschädigte wegen der Verletzungen über zwei Monate hinweg stationär behandelt und war zur Fortbewegung bis zu seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf auf einen Rollstuhl angewiesen.
61Der bis heute im Oberschenkel des Geschädigten verbliebene Nagel bereitet ihm weiterhin Schmerzen. Da die Zerstörung des Oberschenkelknochens durch das „Action 4“-Geschoss zu ausgeprägt war, um diesen wieder vollständig zu rekonstruieren, ist das rechte Bein des Geschädigten nunmehr dauerhaft um 1,5 Zentimeter verkürzt und er ist auf das Tragen von Schuheinlagen angewiesen. Auch die Schussverletzung am Hals ist weiterhin mit Schmerzen für den Geschädigten verbunden, die insbesondere beim Heben des rechten Arms auftreten. Zudem sind durch die Ein- und Austrittsverletzungen der Geschosse sowie die Operationen am Oberschenkel Narben an seinem Körper verblieben. Aufgrund der von den Verletzungen ausgehenden Dauerschäden kann er den früher von ihm betriebenen Kampfsport nicht mehr ausüben.
62Infolge der Tat wurde bei dem Geschädigten eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Depression diagnostiziert. Er litt unter sog. „flashbacks“, die von Seiten der betreuenden Psychiater mit Tavor behandelt wurden. Wegen seiner psychischen Beeinträchtigungen begab er sich zweimal in mehrwöchige stationäre Behandlungen in die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Landschaftsverbands Rheinland in Köln-Merheim und wurde im Anschluss an die letzte Entlassung von dort aus tagesklinisch betreut.
Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf seinen glaubhaften Angaben. Die Feststellungen zu der Vorstrafensituation des Angeklagten beruhen auf dem im Selbstleseverfahren eingeführten Bundeszentralregisterauszug vom 14.09.2021.
64Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung für die Kammer fest, dass sich das Geschehen so zugetragen hat, wie es in den tatsächlichen Feststellungen seinen Niederschlag gefunden hat. Dies folgt aus der Einlassung des Angeklagten, soweit die Kammer ihr gefolgt ist, sowie aus den weiteren, nach Maßgabe der Sitzungsniederschrift erhobenen Beweismitteln.
Aufgrund des festgestellten Sachverhalts hat sich der Angeklagte einer gefährlichen Körperverletzung im Amt schuldig gemacht, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 und Nr. 5, 340 Abs. 1 und 3 StGB. Die Abgabe der Schüsse war nicht nach § 64 Abs. 1 Nr. 4 lit. a) PolG NRW gerechtfertigt, weil der Angeklagte den Schusswaffengebrauch entgegen § 61 Abs. 1 S. 1 PolG NRW nicht angedroht hat. Mangels gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben war eine solche Androhung auch nicht nach § 61 Abs. 2 PolG NRW entbehrlich.
1.
67Der gesetzliche Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB sieht für die gefährliche Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Da zur Überzeugung der Kammer jedoch feststeht, dass dem Angeklagten bei Begehung der Tat – vermeidbar – die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, war die Strafe gemäß § 17 S. 2 StGB einem nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen von einem Monat bis zu sieben Jahren und sechs Monaten zu entnehmen. Innerhalb dieses Strafrahmens hat sich die Kammer bei der Strafzumessung von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:
68Zu Lasten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er mit der Tat zwei verschiedene Qualifikationsmerkmale des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht und insgesamt fünf nicht gerechtfertigte Schüsse auf den Geschädigten abgegeben hat. Strafschärfend fiel weiter ins Gewicht, dass die Tat erhebliche Folgen zeitigte, nämlich gravierende physische und psychischen Verletzungen bei dem Geschädigten hervorrief, wobei mit der Verkürzung seines rechten Beins ein irreversibler, körperlicher Schaden eintrat.
69Zugunsten des Angeklagten war jedoch zu werten, dass er sich geständig eingelassen, in dem Verfahren umfassend kooperiert und dadurch erheblich zur Aufklärung der Tat beigetragen hat. Zudem hat er sich im Rahmen der Hauptverhandlung bei dem Geschädigten entschuldigt, wobei die Kammer diese Entschuldigung als ernsthaft und aufrichtig verstanden hat.
70Ferner ist der Angeklagte strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten. Er wurde von seinen Kollegen und Vorgesetzten, die die Kammer als Zeugen vernommen hat, durchgehend als verlässlicher und pflichtbewusster Polizeibeamter sowie als „guter Kollege“ beschrieben, der in der Vergangenheit nie durch draufgängerisches oder überschießendes Vorgehen aufgefallen sei. Dass dies zutrifft, kommt zur Überzeugung der Kammer darin zum Ausdruck, dass er – wie er selbst nachvollziehbar bekundet hat – in seinen rund 24 Dienstjahren vor der Tat niemals von seiner Dienstwaffe Gebrauch gemacht hat. Auch seine Kollegen beim Kriminalkommissariat 00 haben glaubhaft bekundet, dass er im Rahmen seiner mehrjährigen Tätigkeit dort mit seiner Waffe keinen Schuss abgefeuert habe.
71Weiter war strafmildernd zu berücksichtigen, dass sich der Angeklagte binnen eines Sekundenbruchteils zwischen dem Einsatz seiner Schusswaffe und einem potentiell dauerhaften Entkommen des Geschädigten entscheiden musste, während er nach der vorangegangen Flucht des Geschädigten und der aufreibenden Verfolgungsjagd durch das (belebte) B1 in L unter erheblichem Stress und Druck stand und sich in einem äußerst angespannten körperlichen und mentalen Zustand befand. Zudem war eine Wirkung der (ersten) von ihm abgegebenen Schüsse für den Angeklagten objektiv nicht erkennbar, sodass er nachvollziehbar davon ausgehen konnte und musste, dass seine Schüsse den Geschädigten tatsächlich nicht getroffen hatten.
72Zugunsten des Angeklagten war weiter zu werten, dass er sich unmittelbar nach der Tat ernsthaft um die Rettung des Geschädigten bemüht und gemeinsam mit seiner Kollegin, der Zeugin 000, sofort erste Hilfe geleistet hat.
73Strafmildernd war ferner zu berücksichtigen, dass das hiesige Strafverfahren über zwei Jahre lang angedauert hat und mit erheblichen psychischen Belastungen für den Angeklagten einhergegangen ist. So sah er sich nicht nur einer minutiösen Presseberichterstattung, sondern auch ernstzunehmenden Drohungen Dritter gegen Leib und Leben ausgesetzt. Ferner drohen ihm durch die hiesige Verurteilung in einem etwaigen Disziplinarverfahren berufliche Nachteile in seinem Beamtenverhältnis.
74Insbesondere aber hat der Angeklagte – der seit vielen Jahren einer gesteigert „gefahrgeneigten“ Tätigkeit als Polizeibeamter nachgeht – bei der Tat kein eigensüchtiges, sondern ein uneigennütziges Motiv verfolgt. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass er weder aus Wut noch aus Frustration auf den Geschädigten geschossen hat, sondern weil er fest davon überzeugt war, dass dies die letzte Möglichkeit ist, den Geschädigten zu ergreifen, bevor dieser sich – nunmehr gewarnt – absetzen und weitere Gewalttaten begehen würde. Dass er – im Rahmen eines Augenblicksversagens – von einer expliziten verbalen Schussandrohung absah, war dabei (auch) dem Umstand geschuldet, dass es sich wie ausgeführt um ein sogenanntes „Turbulenzgeschehen“ handelte. Hinzu kommt, dass – wie die Beweisaufnahme weiter ergeben hat – der Angeklagte zwar mit dem Umgang der Waffe vorschriftsgemäß geschult wurde, die verpflichtende Schulung der Polizeibeamten bezogen auf die Verwendung der dienstlichen Schusswaffe jedoch nicht in engen Zeitabständen erfolgt und dort zwar auf die gesetzlichen Vorschriften hierzu verwiesen wird – die Frage, ob eher zurückhaltend zu agieren ist, wenn ein Schuss auf Flüchtende in Betracht kommt, aber nicht gesondert thematisiert wird.
75Aus Sicht der Kammer besteht dabei kein Zweifel daran, dass der Angeklagte durch das sich über acht unmittelbar aufeinanderfolgende Verhandlungstage erstreckende Verfahren (nur unterbrochen durch ein Wochenende) derart beeindruckt ist, dass er bei der weiteren Dienstausübung zurückhaltender agieren wird, was den Einsatz seiner Schusswaffe zur Verhinderung der Flucht von Verdächtigen/Beschuldigten anbetrifft. Dass er sein Verhalten reflektiert hat und dies kritisch bewertet, steht für die Kammer fest.
76Unter Abwägung sämtlicher vorstehender, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat die Kammer eine Freiheitsstrafe von
77acht (8) Monaten
78für tat- und schuldangemessen erachtet.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden. Die im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB vorzunehmende Sozialprognose fällt zu Gunsten des Angeklagten aus. Denn unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit, seines Vorlebens, der Umstände der Tat, seines Verhaltens nach der Tat, seiner Lebensverhältnisse und der Wirkungen, die von einer Aussetzung für ihn zu erwarten sind, besteht die begründete Erwartung, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen wird und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dafür spricht vorliegend bereits, dass der Angeklagte noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und es sich bei der Tat nach Auffassung der Kammer um ein einmaliges, einer Ausnahmesituation geschuldetes Fehlverhalten handelt, das sich nicht wiederholen wird. Er befindet sich in denkbar stabilen Lebensverhältnissen, ist weiterhin als Polizeibeamter tätig ist und lebt in geregelten sozialen Umständen. Nach dem persönlichen Eindruck, den die Kammer im Rahmen der Hauptverhandlung gewonnen hat, ist der Angeklagte von den Geschehnissen selbst schwer getroffen, sodass nach Auffassung der Kammer vorliegend nichts dafür spricht, dass der Angeklagte noch einmal mit dem Gesetz in Konflikt kommen wird.
Da es sich bei dem Tatmittel um eine Dienstwaffe handelt, die dem Angeklagten weder gehört noch zusteht, kam eine Einziehung nach § 74 StGB nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 472 StPO.