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Der Antrag der Antragstellerin vom 28.09.2020 auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragstellerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der vollstreckbaren Forderung abzuwenden, wenn die Antragsgegnerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % der zu vollstreckenden Forderung leistet.
Tatbestand:
2Die Antragstellerin verlangt von der Antragsgegnerin die Weiterbelieferung in Fortsetzung eines Vertragswerkstättenvertrages.
3Die Antragstellerin ist Automobilhändlerin und betreibt eine Kfz-Werkstatt.
4Die Antragsgegnerin ist Importeurin der Marke U in Deutschland und unterhält ein selektives Vertriebssystem von Vertragshändlern und Vertragswerkstätten. Sie ist die deutsche Vertriebsgesellschaft des japanischen Herstellers U Corporation.
5Die Antragstellerin ist seit 25 Jahren autorisierte Vertragswerkstatt der Antragsgegnerin. Sie war 20 Jahre lang Vertragshändlerin der Antragsgegnerin, davon 16 Jahre lang ausschließlich Vertragshändlerin und Vertragswerkstatt der Antragsgegnerin.
6Die Antragstellerin ist zwischenzeitlich Vertragshändlerin für die Marken I und N. Ferner betreibt sie einen Gebrauchtwagenhandel.
7Nach Angaben der Antragstellerin erzielte diese 2018 eine Gesamtumsatz von 11.553.154,14 € und 2019 11.437.183,41 €. Hiervon entfiel ein Großteil auf den Autohandel.
8Die Antragsgegnerin kündigte den Vertragswerkstattvertrag mit der Antragstellerin mit Schreiben vom 01.09.2018 zum 30.09.2020. In dem Kündigungsschreiben wurde darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin zwar nicht beabsichtige, der Antragstellerin einen neuen U-Werkstattvertrag anzubieten, eine endgültige Entscheidung über eine mögliche Vertragsfortsetzung aber noch nicht getroffen worden sei.
9Im Sommer 2019 war der Mitarbeiter L der Antragsgegnerin in dem Betrieb der Antragstellerin. Der Inhalt des Gesprächs ist streitig.
10Am 07.07.2020 telefonierten die Mitarbeiterin Q der Antragsgegnerin mit dem Geschäftsführer T der Antragstellerin. Auch über den Inhalt dieses Telefonats besteht Streit.
11Anlässlich eines Telefonats am 24.08.2020 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin ihr keinen Folgevertrag anbieten werde. Ein anwaltliches Schreiben der Antragstellerin vom 11.09.2020 mit der Aufforderung, den Vertrag fortzusetzen, wurde von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 21.09.2020 abschlägig beschieden.
12Die Antragstellerin behauptet, sie habe mehrfach ihr Interesse an der Fortsetzung des Vertragswerkstattvertrages gegenüber der Antragsgegnerin bekundet. Bei einem Besuch im Sommer 2019 habe der Mitarbeiter L der Antragsgegnerin eine Vertragsverlängerung in Aussicht gestellt, wenn die Antragstellerin künftig ihren Bedarf an Motoröl über die Antragsgegnerin decken würde, was unstreitig aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung ab dem 11.09.2019 geschah. Die Antragstellerin habe sich auf die mündliche Zusage der Vertragsverlängerung verlassen. Zudem habe es im August 2019 ein positives Performancegespräch gegeben. Beanstandungen hinsichtlich der Einhaltung der U-Standards seien nicht erhoben worden.
13Entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin verfüge die Antragstellerin noch über die Signalisation von U. Hierzu verweist die Antragstellerin auf Fotografien gemäß Anlagen AST 13 ff., 24 ff.
14Die Antragstellerin beruft sich darauf, dass wesentliche Umsätze des Betriebs entfallen würden, wenn die Antragstellerin nicht mehr Vertragswerkstatt der Antragsgegnerin sei. Insbesondere seien bezahlte Garantiearbeiten und Serviceaktionen nicht mehr von ihr durchführbar, insbesondere Karosserie-Inspektionen, Garantiearbeiten, weitere Werkstattleistungen wie Rückruf- und Serviceaktionen sowie online abzurufende Serviceaktionen. Sie werde ihre Stammkunden, die während der Garantiezeit die erforderlichen Wartungen durchführen lassen wollen, verlieren. Diese würden durch den Wechsel der markenmäßigen Signalisation unmittelbar bemerken, dass die Antragstellerin nicht mehr Vertragswerkstatt sei. Insbesondere Kunden, die in der Regel Neuwagen erwerben würden und daher auf Vertragswerkstätten fokussiert seien, werde die Antragstellerin verlieren. Durch den Umsatzwegfall seien zweieinhalb Arbeitsplätze gefährdet.
15Die Antragstellerin erwirtschafte ihren Umsatz zu 80 % mit Stammkunden, von denen 25 % U-Kunden seien. Von einem durchschnittlichen Jahresumsatz der Werkstatt von etwas über 2 Million € entfielen ca. 400.000 € auf Umsätze mit U -Kunden. Es sei damit zu rechnen, dass mindestens drei Viertel des Umsatzes, also 300.000 €, wegfielen. 65.000 € Umsatz pro Jahr bzw. ca. 16 % entfielen auf von der Antragsgegnerin beglichene Werkstattleistungen, insbesondere Garantieaufträge.
16Auch der Ersatzteileverkauf werde zurückgehen. Ca. 10 % des Umsatzes erziele die Antragstellerin mit U -Ersatzteilen. Der Ertrag belaufe sich auf ca. 39 %. Bei einem Erwerb von Ersatzteilen von anderen Servicepartnern könne lediglich ein Rabatt von 10 % als Marge angesetzt werden. Der Versuch der Antragstellerin, am 02.10.2020 von der Antragsgegnerin ein Ersatzteil zu beschaffen, sei – was unstreitig ist – von der Antragsgegnerin abgelehnt worden.
17Werkstatterlöse der Marken N hätten 2018 bei ca. 282.000 € netto und 2019 bei ca. 333.000 € gelegen, bei der Marke I 2018 bei ca. 729.000 € und 2019 bei ca. 757.000 € sowie bei anderen Automarken 2018 bei 363.000 € und 2019 bei 307.000 €.
18Die Antragstellerin ist der Auffassung, sie könne als freie Werkstatt die verlorenen U -Kunden nicht kompensieren. In Betracht kämen Kunden nach Ablauf der Garantiefrist, die aber keine erheblichen Beträge in ihr Auto investieren würden.
19Nach der einschlägigen BGH-Rechtsprechung stehe der Antragstellerin ein Zulassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin als Vertragswerkstatt zu. Primär sei der Vertrag als ungekündigt zu behandeln, hilfsweise sei ein Anspruch auf Abschluss eines neuen Vertrages gegeben, äußerst hilfsweise bestehe jedenfalls ein weiterer Belieferungsanspruch.
20Die Kündigung sei ausgeschlossen, da ein Kontrahierungszwang bestehe. Dies folge aus §§ 19, 20 GWB. Ein Kontrahierungszwang ergebe sich auch aus EU-Recht. Zudem bestehe ein Beseitigungsanspruch gemäß § 33 Abs. 1 GWB, 1004 BGB. Zudem bestehe ein Schadensersatzanspruch.
21Die Kündigung sei ausgeschlossen, da die Antragsgegnerin die Selektionskriterien des selektiven Werkstattsystems erfülle. Die Selektionskriterien regelten die sachlichen Gründe für eine Ungleichbehandlung abschließend. Es komme auch nur auf die bisherigen Selektionskriterien an und nicht auf künftig zu erfüllende. Der Ausspruch der Kündigung gegenüber ausgesuchten Werkstätten, die die Selektionskriterien erfüllen, stelle eine unzulässige quantitative Selektion dar.
22Im Rahmen einer anzustellenden Interessenabwägung komme es auf die Abhängigkeit der Vertragswerkstatt vom Hersteller an. Die Antragsgegnerin sei marktbeherrschend, da nur sie die Zulassung als U -Vertragswerkstatt gewähren könne. Insoweit sei der dem Endkundenmarkt vorgelagerte Ressourcenmarkt abhängig vom nachgelagerten Markt der Vertragswerkstattkunden. Der Markt sei hier markenspezifisch abzugrenzen. Es bestehe eine unternehmens- und sortimentsbedingte Abhängigkeit. Sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Vertragswerkstätten würden nicht bestehen.
23Der Verfügungsgrund der Dringlichkeit sei gegeben. Auf eine Existenzgefährdung komme es nicht an. Ausreichend seien erhebliche wirtschaftliche Nachteile, die der Antragstellerin wie hier drohen würden. Erst mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 21.09.2020 habe festgestanden, dass kein neuer Vertrag angeboten würde. Entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin sei der Antragstellerin nicht schon am 07.07.2020 mitgeteilt worden, dass es keinen Folgevertrag geben würde.
24Die Antragstellerin beantragt,
25der Antragsgegnerin bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer festzusetzenden Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens Euro 250.000, Ordnungshaft höchstens zwei Jahre) bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptverfahrens aufzugeben,
26den als Anlage AST 1 beigefügten Vertragswerkstätten Vertrag vom 1.Juli/25.Mai 2011 vertragsgemäß fortzuführen, insbesondere die Antragstellerin mit U -Erzeugnissen im Sinne des § 1 Abs. 5, § 2 dieses Vertrages zu beliefern;
27hilfsweise,
28der Antragsgegnerin bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer festzusetzenden Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens Euro 250.000, Ordnungshaft höchstens zwei Jahre) bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptverfahrens aufzugeben,
29einen Vertragswerkstättenvertrag unter den von der Antragsgegnerin mit ihren anderen Servicepartnern vereinbarten Konditionen neu abzuschließen;
30äußerst hilfsweise,
31der Antragsgegnerin bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer festzusetzenden Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens Euro 250.000, Ordnungshaft höchstens zwei Jahre) bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptverfahrens aufzugeben,
32Maßnahmen zu unterlassen, die eine Weiterbelieferung der Antragstellerin auf der Basis des als Anlage AST 1 beigefügten Vertragswerkstättenvertrages vom 1.Juli/25.Mai 2011 entgegenstehen, insbesondere Maßnahmen zu unterlassen, die einer Weiterbelieferung mit U -Erzeugnissen im Sinne des § 1 Abs. 5, § 2 dieses Vertrages entgegenstehen.
33Die Antragsgegnerin beantragt,
34den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
35Die Antragsgegnerin meint, bereits der Verfügungsgrund liege nicht vor. Schon bei dem Telefonat am 07.07.2020 sei dem Geschäftsführer der Antragstellerin mitgeteilt worden, dass er kein Angebot auf Abschluss eines neuen Vertragswerkstättenvertrags ab Oktober 2020 erhalten werde. In dem Telefonat habe der Geschäftsführer der Antragstellerin auch mitgeteilt, dass die U -Signalisation bereits entfernt sei. Es fehle sowohl an der Dringlichkeit als auch an einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage der Antragstellerin.
36Es bestehe insbesondere kein Verfügungsanspruch.
37Der Antragstellerin sei der Abschluss eines Neuvertrages nicht zugesagt worden, insbesondere auch nicht von dem Mitarbeiter L . Dieser habe lediglich mitgeteilt, dass sich die Aussichten der Antragstellerin durch den künftigen Bezug von Öl bei der Antragsgegnerin verbessern würden.
38Der Status einer U -Vertragswerkstatt sei für die Antragstellerin nicht notwendig, um sich künftig in wirtschaftlich sinnvoller Weise als freie Werkstatt zu betätigen. Die Antragstellerin besitze weiterhin Zugang zu dem Ersatzteilmarkt. Die Umsätze mit Ersatzteilen seien auch niedriger als von der Antragstellerin angegeben, nämlich 2018 und 2019 je 120.000 € und 2017 ca. 162.000 €. Die Marge bei Ersatzteilen werde bestritten. Die Antragstellerin könne ferner auf das TechDoc-Programm der Antragsgegnerin zugreifen, um technische Informationen zu den Fahrzeugen abrufen zu können. Dass freie Werkstätten ein ausreichendes Betätigungsfeld hätten, belege der Umstand, dass bundesweit Stand 2019 von 36.600 Werkstätten ca. 21.570 freie Werkstätten seien. Die Anzahl freier Werkstätten habe zugenommen. Auch der DAT Report 2020 der Deutschen Automobil Treuhand belege die Nachfrage bei freien Werkstätten. Der Reparaturanteil bei freien Werkstätten liege mit 50 % über den von Vertragswerkstätten mit 34 %.
39Die Annahme der Antragstellerin zu Kundenverlusten sei spekulativ und unsubstanziiert. Der Umsatzrückgang sei auch der Höhe nach nicht plausibel. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin Umsätze aus Fahrzeughandel, insbesondere als Vertragshändlerin von I und N sowie aus dem Gebrauchtwagenhandel erziele. Daher sei der behauptete Umsatzrückgang bei der Antragstellerin insgesamt kaum spürbar. Der Wechsel der Signalisation belege, dass die Antragstellerin selbst keinen Wert mehr auf ihren Status als U -Vertragswerkstatt lege.
40Die Antragsgegnerin sei nicht marktbeherrschend und unterfalle daher nicht dem Missbrauchsverbot gemäß § 19 GWB. Für die Frage, ob der Markt anhand einer einzelnen Marke oder unter Berücksichtigung aller Marken abzugrenzen sei, komme es darauf an, ob nur mit einer bestimmten Marke eine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit bestehe, die Tätigkeit ausüben. Eine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit, als freie Werkstatt tätig zu sein, sei bei der Antragstellerin anzunehmen. Der Antragstellerin sei es nicht gelungen darzulegen, dass eine markenspezifische Marktabgrenzung vorzunehmen sei. Für eine wirtschaftliche Abhängigkeit genüge es nicht, dass der Umsatz in gewissem Umfange zurückgehe.
41Jedenfalls habe die Antragsgegnerin nicht missbräuchlich gehandelt. Der Antragstellerin sei eine Übergangszeit von über zwei Jahren eingeräumt worden. Eventuelle Investitionen der Antragstellerin hätten sich in dieser Zeit amortisiert. Im Übrigen könne die Antragstellerin auch künftig noch sinnvoll Werkstattarbeiten für U erbringen.
42Die Antragsgegnerin verfüge auch nicht über relative Marktmacht im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB. Es liege auch hier keine unternehmensbedingte Abhängigkeit vor. Die von der Antragstellerin angeführten Auftragsarbeiten für die Antragsgegnerin, Garantiearbeiten sowie Rückruf- und Serviceaktionen, seien eine wirtschaftlich zu vernachlässigende Größe. Die Antragsgegnerin habe der Antragstellerin 2018 24.010 € und 2019 33.368 € an Lohn für Werkstattleistungen gezahlt. Zudem gelte auch hier, dass die Antragstellerin Vertragshändlerin der Marken I und N sei und zudem mit Gebrauchtwagen handle.
43Die Antragstellerin erfülle nicht alle Selektionskriterien der Antragsgegnerin. Ab einer bestimmten Anzahl an Werkstattdurchgängen sei die Beschäftigung eines Systemtechnikers erforderlich. Ein Systemtechniker sei bei der Antragstellerin, obwohl sie die Anzahl der Werkstattdurchgänge erreiche, nicht vorhanden. Die Vertragswerkstatt müsse über ein EDV-System verfügen, das Fahrzeugdaten an die elektronisch Fahrzeugakte der Antragsgegnerin übermittle, was bei der Antragstellerin nicht der Fall sei. Ferner müsse die Vertragswerkstatt über eine den Standards entsprechende Signalisation verfügen, was bei der Antragstellerin ebenfalls nicht der Fall sei.
44Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
45Entscheidungsgründe:
46Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war als unbegründet zurückzuweisen, worauf die Beteiligten bereits in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden sind.
471.
48Für die Entscheidung kann dahinstehen, ob es bereits an einem Verfügungsgrund fehlt. Insbesondere bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob das Vorgehen der Antragstellerin als Selbstwiderlegung der Dringlichkeit zu verstehen ist, weil sie nicht hinreichend zeitnah um Rechtsschutz nachgesucht hat. Dabei kann auch dahinstehen, ob bereits bei dem Telefonat am 07.07.2020 dem Geschäftsführer der Antragstellerin unmissverständlich mitgeteilt worden ist, dass die Antragstellerin keinen Folgevertrag erhalten wird. Auch kann dahinstehen, ob die üblicherweise mit einem Monat zu bemessende Frist für ein gerichtliches Vorgehen zur Wahrung der Dringlichkeit hier anzuwenden ist, wenn der Vertrag am 30.09.2020 endete und innerhalb einer Frist von nicht einmal drei Monaten nicht zu erwarten war, eine vollstreckbare Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu erlangen.
492.
50Es fehlt für den Erlass einer einstweiligen Verfügung jedenfalls an einem Verfügungsanspruch.
51a.
52Ein vertraglicher Anspruch auf Vertragsfortsetzung bzw. Neuabschluss eines Vertragswerkstattvertrages entsprechend dem ersten Hilfsantrag ist nicht anzunehmen. Dies behauptet letztendlich auch die Antragstellerin nicht. Soweit sie aus einem Gespräch Mitte 2019 mit dem Mitarbeiter L der Antragsgegnerin und dem Abschluss einer Öl-Bezugsvereinbarung auf den Abschluss eines Folgevertrags vertraut hat, begründet dies noch keinen rechtlichen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages. Der Antragstellerin ist bekannt, dass entsprechende Verträge mit ihren umfassenden Regelungen stets schriftlich geschlossen werden. Sofern sie auf den Abschluss eines Folgevertrags vertraut haben mag, weil, wie die Antragsgegnerin eingeräumt hat, der Mitarbeiter L geäußert haben soll, die Öl-Bezugsvereinbarung werde die Chancen auf einen Folgevertrag erhöhen, begründet dies noch keinen vertraglichen Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin.
53b.
54Die Kündigung vom 21.09.2018 ist als wirksam anzusehen.
55aa.
56Die Kündigung erfolgte gemäß § 5 Ziffer 2 des Vertragswerkstattvertrages als ordentliche Kündigung mit einer Frist von 24 Monaten. Eine Begründung ist nach dem maßgeblichen Vertragstext zum Zeitpunkt der Kündigung nicht erforderlich, war aber dennoch dem Kündigungsschreiben zu entnehmen.
57bb.
58Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie die Anforderungen für das qualitativ-selektive Vertriebssystem der Antragsgegnerin erfüllt und deshalb bereits einen Anspruch auf Vertragsfortsetzung habe, mit der Folge, dass die Kündigung ihr gegenüber nicht wirksam sein.
59(1)
60Ein Kontrahierungszwang im Sinne eines einklagbaren Zulassungsanspruchs bei Erfüllung der qualitativen Anforderungen an ein solches Vertriebssystem wird nur unter den noch im Folgenden (s.u. lit. c) darzustellenden Anforderungen der §§ 19, 20 GWB angenommen (vergleiche hierzu Münchner Kommentar zum Wettbewerbsrecht/ Becker/Simon, Kfz-GVO Art. 1, Rn. 20, 22). Sofern sich ein Hersteller weigert, eine alle qualitativen Auswahlkriterien erfüllende Werkstatt aufzunehmen, riskiert er möglicherweise die Einordnung als von der Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung freigestelltes qualitativ-selektives Vertriebssystem. Daraus folgt aber noch kein Zulassungsanspruch des abgelehnten Bewerbers.
61(2)
62Ungeachtet dessen hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass die Antragstellerin gerade nicht alle – schon nach dem bisherigen Vertrag einzuhaltenden - Selektionskriterien erfülle. Dies betrifft die Beschäftigung eines Systemtechnikers (hierzu Anl. 1 des Vertrages, HR.1), die ausreichende Signalisation (Anl. 1 des Vertrages, FCI.5) sowie ein EDV-System, das die Übermittlung von Daten an die elektronische Fahrzeugakte der Antragsgegnerin ermöglicht (Anl. 1 des Vertrages, E.2 Ziffer 9). Die Antragstellerin ist diesem Vortrag in der mündlichen Verhandlung nicht mehr entgegengetreten. Damit kann die Auswahlentscheidung als qualitativ begründet und nicht als bloß quantitative Auswahl beurteilt werden.
63c.
64Der Antragstellerin steht auch kein kartellrechtlicher Anspruch gemäß §§ 33, 19, 20 GWB zu, wobei dahinstehen kann, ob der Anspruch auf Fortsetzung des alten Vertrages, Abschluss eines neuen Vertrages oder Behandlung wie ein Vertragsunternehmen gerichtet ist.
65aa.
66Es besteht zunächst kein Anspruch gemäß § 33 Abs. 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB wegen des missbräuchlichen Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens.
67Für die Entscheidung ist schon nicht anzunehmen, dass die Antragsgegnerin marktbeherrschend ist.
68(1)
69Abzustellen ist auf den Markt für Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten. Hierbei handelt es sich um einen dem Endkundenmarkt vorgelagerten Markt, auf dem sich die Werkstätten als Nachfrager und die Hersteller von Kraftfahrzeugen als Anbieter von Ressourcen für die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten gegenüberstehen (zitiert nach juris: BGH, Urteil vom 30.3.2011 – KZR 6/09 – MAN, Rz. 11 f.; Urteil vom 26.1.2016 – KZR 41/14 – Jaguar Vertragswerkstatt, Rz. 20 f.; Urteil vom 23.1.2018 – KZR 48/15 -, Rz. 23 m.w.N.). Dieser Markt ist regelmäßig markenübergreifend abzugrenzen. Anders kann es dagegen liegen, wenn freie Werkstätten, die Arbeiten an Pkw einer bestimmten Marke durchführen wollen, keine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit haben, diese Tätigkeit auch ohne den Status einer Vertragswerkstatt durchzuführen (BGH a.a.O.). Dann ist der vorgelagerte Ressourcenmarkt markenspezifisch abzugrenzen, mit der Folge, dass – da nur ein Markenhersteller Anbieter ist – Marktbeherrschung besteht.
70Für diese Beurteilung kommt es einerseits darauf an, ob der Antragstellerin als freie Werkstatt die technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, Werkstattleistungen ordnungsgemäß zu erbringen und andererseits, ob eine freie Werkstatt eine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit hat, diese Tätigkeit auszuüben. Sofern beide Fragestellungen zu bejahen sind, bleibt es bei der markenübergreifenden Marktabgrenzung.
71Die Darlegungs- und Beweislast liegt bei dem Werkstattunternehmer (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.3.2019 – VI-U (Kart) 16/18, Rz. 20 – zitiert nach Juris).
72(2)
73Für die erste Fragestellung, ob die Antragstellerin technisch imstande ist, ihre Leistungen ordnungsgemäß zu erbringen, hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass sie Zugang zu dem Informationssystem TechDoc auch freien Werkstätten zur Verfügung stelle. Zudem kann sich die Antragstellerin nicht darauf berufen, von der Antragsgegnerin keine Ersatzteile mehr zu beziehen, da sie unstreitig in der Lage ist, sich über andere Anbieter mit Originalersatzteilen zu versorgen. Dass die Antragstellerin hierfür eine geringere Gewinnmarge zu berücksichtigen hat, ändert nichts daran, dass sie auch künftig in der Lage ist, Reparaturen für die Marke U durchzuführen. Die Antragstellerin begründet den Umsatzwegfall auch nicht damit, dass sie künftig keine Reparaturleistungen mehr erbringen könne, sondern vielmehr mit dem Renommee als Vertragswerkstatt und der voraussichtlichen Kundenbindung an Vertragswerkstätten.
74(3)
75Für die Entscheidung ist ferner davon auszugehen, dass die Antragstellerin als freie Werkstatt eine wirtschaftlich sinnvolle Betätigungsmöglichkeit hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie denselben geschäftlichen Erfolg hat, den sie als Vertragswerkstatt hat. Es genügt, wenn sie als freie Werkstatt ebenfalls wirtschaftlichen Erfolg haben kann. Dabei ist von ihr zu erwarten, dass sie sich in ihrer geschäftlichen Betätigung auf die geänderte Sachlage ausrichtet.
76Bei der Beurteilung kommt es nicht primär darauf an, ob die von der Beklagten vertriebenen Fahrzeuge der Marke U insgesamt oder jedenfalls teilweise dem Premium-Segment zuzuordnen sind. Die Zugehörigkeit zum Segment hochpreisiger Pkw hat der BGH (Urteil vom 23.1.2018, a.a.O. Rz. 28) als Indiz gewertet, es könnten bestimmte Ansprüche, Erwartungen und Gepflogenheiten der Fahrzeugeigentümer auf dem Endkundenmarkt bestehen, so dass Endkunden auch nach Auslauf der Garantiefrist Vertragswerkstätten selbst bei höheren Preisen bevorzugen. Das ist sodann nur relevant, wenn freien Werkstätten angesichts dieses Endkundenverhaltens keine sinnvolle wirtschaftliche Betätigung verbleibt.
77Davon kann bei U nicht ausgegangen werden. Die bloße Behauptung, es sei damit zu rechnen, dass drei Viertel der U -Kunden wegfallen, ist spekulativ und berücksichtigt auch nicht, dass die Antragstellerin als freie Werkstatt Möglichkeiten hat, andere Kunden zu gewinnen.
78Dass freie Werkstätten ein ausreichendes Betätigungsfeld haben, belegt schon deren Anzahl, nämlich unwidersprochen Stand 2019 die Existenz von ca. 21.570 freien Werkstätten gegenüber 36.600 Werkstätten insgesamt, und dass die Anzahl freier Werkstätten zugenommen hat. Auch der DAT Report 2020 der Deutschen Automobil Treuhand belegt die Nachfrage an freien Werkstätten, da der Reparaturanteil bei freien Werkstätten mit 50 % über den von Vertragswerkstätten mit 34 % liegt.
79Dass die Antragstellerin gerade nicht auf die Marke U angewiesen ist, zeigt, dass lediglich 20 % des Werkstattumsatzes auf die Marke U entfällt, während der Großteil auf Werkstattleistungen für die Vertragshandelsmarken I und N entfällt. Zudem ist die Antragstellerin bereits jetzt in der Lage, mit übrigen Marken einen Umsatz in Höhe von ca. 300.000 € zu erzielen, der annähernd den Umsatz mit Fahrzeugen der Marke U erreicht.
80Der Antragstellerin ist es nicht gelungen darzulegen, dass Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten primär in Vertragswerkstätten durchgeführt würden, so dass ihr als freier Werkstatt kein hinreichender Geschäftsbereich verbleiben würde. Dieser Vortrag, als richtig unterstellt, könnte zu der Annahme führen, dass den freien Werkstätten in erheblicher Anzahl Kunden entzogen würden, so dass ein wirtschaftlich lohnenswertes Geschäft nicht verbleibt.
81Die allgemeine Angabe, der Umsatz mit U -Kunden würde zu drei Viertel entfallen, beruht wie schon dargelegt auf bloßer Spekulation der Antragstellerin. Sicher entfallen dürften Leistungen, die aufgrund des Vertragswerkstättenvertrags direkt mit der Antragsgegnerin abgerechnet werden, wie beispielsweise Garantiearbeiten. Dieser Anteil beträgt aber nach eigener Darstellung der Antragstellerin nur 16 % des Umsatzes mit U -Kunden. Es liegt auch nahe, dass die Antragstellerin solche Kunden verlieren wird, die nur Vertragswerkstätten aufsuchen. Es ist aber wie schon ausgeführt, nicht ersichtlich, dass es der Antragstellerin nicht gelingen könnte, die hieraus folgenden Umsatzverluste mit Kunden zu kompensieren, die an freien Werkstätten interessiert sind.
82Bei dieser Sachlage kann nicht die Annahme der Antragstellerin als hinreichend dargelegt angesehen werden, dass die konkreten Verhältnisse auf dem Endkundenmarkt bei U dazu führen, dass für freie Werkstätten im Bereich von Instandsetzung und Wartung kein wirtschaftlich sinnvolles Geschäftsmodell möglich ist.
83(4)
84Als Folge bleibt es bei der Abgrenzung des vorgelagerten Marktes in einer markenübergreifenden Betrachtung.
85Bei einer markenübergreifenden Marktabgrenzung (hierzu auch BGH, Urteil vom 30.3.2011 – KZR 6/09 – MAN) ist es evident, dass die Antragsgegnerin nicht marktbeherrschend ist. Die Marktbeherrschungsvermutung gemäß § 18 Abs. 4 GWB setzt nämlich voraus, dass ein Marktanteil von mindestens 40 % besteht.
86bb.
87Auch die Voraussetzungen des § 20 GWB – relative oder überlegene Marktmacht – liegen nicht vor.
88Ist von einer markenübergreifenden Marktabgrenzung auszugehen, spricht schon das gegen eine Abhängigkeit der Antragstellerin von der Antragsgegnerin, ohne ausreichende und zumutbare Möglichkeit, auf andere Unternehmen auszuweichen.
89Hiergegen spricht zudem die von der Antragstellerin verfolgte Mehrmarkenstrategie, die gerade eine Abhängigkeit von der Beklagten widerlegt. Selbst bezogen auf den Bereich der Werkstattleistungen für U ist nicht ersichtlich, dass freien Werkstätten durch den Vertragswerkstätten vertraglich oder nach dem typischen Kundenverhalten zugewiesenen Arbeiten keine wirtschaftlich sinnvollen Betätigungsmöglichkeiten verbleiben (s.o. (2. c. aa. (3)).
90d.
91Der Antragstellerin steht auch kein Anspruch aus § 33 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 AEUV zu.
92Hier kann auf den tragenden Gesichtspunkt der Entscheidung des OLG Frankfurt, Urteil vom 29.9.2015 – 11 U 8/15 (Kart) – verwiesen werden, der in der Revisionsentscheidung BGH, Urteil vom 23.1.2018 – KZR 48/15 – nicht beanstandet worden ist. Danach fehlt es bei einer einseitigen Auswahl an einer „Vereinbarung“ oder einer „abgestimmten Verhaltensweise“.
933.
94Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 6, 711 ZPO.
95Streitwert: 100.000 €