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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand:
2Der Kläger ist Adoptivsohn des am 00.00.0000 verstorbenen M (im Folgenden: Erblasser), dessen letzter Wohnsitz in X war. Der Erblasser, der die Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirlands besaß, hatte seit seinem 29. Lebensjahr in Deutschland gelebt.
3Mit notariellem Testament vom 13.03.2015 (Anlage K 1, Anlagenheft) setzte er die Beklagte zu 1), eine gemeinnützige GmbH mit dem Auftrag der Betreuung, Pflege und Förderung von geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen, als Alleinerbin ein. Die Beklagte zu 2) wurde testamentarisch als „executor“ benannt. Im Testament wählte der Erblasser für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das englische Recht als Teilrecht seines Heimatstaates. Als Grund hierfür nannte er die wegen seiner Geburt und seines früheren Wohnortes engere Verbindung. Alle zuvor vom Erblasser errichteten Verfügungen von Todes wegen wurden in dem Testament widerrufen.
4Der Nachlass besteht aus einer Immobilie in X mit einem geschätzten Wert von 380.000 EUR, einem Oldtimer Motrorrad (Wert ca. 20.000 EUR) sowie diversen weiteren Gegenständen.
5Der Kläger ist der Auffassung, die im Testament getroffene Gestaltung, verstoße gegen den deutschen ordre public gem. Art. 35 EuErbVO, da hierfür kein anderes Motiv bestanden habe, als ihn faktisch zu enterben und deutsche Pflichtteilsansprüche auszuschließen.
6Der Kläger behauptet, der Erblasser habe seit 2010 an Alzheimer-Demenz gelitten.
7Er ist der Auffassung, die Beklagte zu 2) schulde Auskunft, weil sie nicht nur executrix sondern auch Erbschaftsbesitzerin sei.
8Der Kläger beantragt,
91. die Beklagten zu 1) und zu 2) zu verurteilen, ihm Auskunft über den Bestand und den Wert des Nachlasses des am 00.00.0000 in Bonn verstorbenen M zu diesem Stichtag zu erteilen und zwar durch Vorlage eines von einem Notar aufgenommenen Verzeichnisses, das im Einzelnen umfasst:
10a) alle im Erbfall vorhandenen Sachen und Forderungen des Erblassers (Aktiva des Nachlasses) sowie alle Forderungen gegen diesen (Passiva des Nachlasses);
11b) alle ergänzungspflichtigen Schenkungen, die der Erblasser zu seinen Lebzeiten getätigt hat;
12c) den Verkaufspreis der zum Nachlass gehörenden Immobilie, Nweg 000 in 00000 X;
132. die Beklagten zu 1) und zu 2) zu verurteilen, den Wert dieser Immobilie sowie aller Nachlassgegenstände, insbesondere eines Oldtimer-Motorrades (einer Ducati 900 Mike Hailwood), einer Sammlung alter Fotoapparate, die u.A. Hasselblad umfasste und des in dieser Immobilie installierten Tonstudios, zu ermitteln.
14Die Beklagten beantragen,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagten bestreiten die Aktivlegitimation des Klägers. Weiterhin rügen sie, dass Landgericht Köln sei weder international noch örtlich zuständig. Sie sind der Auffassung, die Zuständigkeit englischer Gerichte ergebe sich aus Art. 6 lit.a EuErbVO. Zudem sei ausschlaggebend, dass der Erblasser in Bonn verstorben ist.
17Sie behaupten, der Erblasser habe in vollem Bewusstsein entschieden, mit seinem Nachlass die Beklagte zu 1) und deren Arbeit zu unterstützen. Die Beklagte zu 2) habe mit dem Erblasser seit 2005 eine Freundschaft verbunden. Zum Kläger habe der Erblasser keinen Kontakt mehr gehabt.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
21Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 4 der Verordnung (EU) NR. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO). Danach sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das ist unstreitig Deutschland.
22Eine Unzuständigerklärung nach Art. 6 EuErbVO kommt nicht in Betracht, weil der Erblasser nicht das Recht eines Mitgliedstaates gewählt hat. Das Recht, das der Erblasser nach Art. 22 EuErbVO zur Anwendung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen gewählt hat, ist ausweislich Ziff. II.1 des notariellen Testaments vom 13.03.2015 das englische Recht als Teilrecht der Rechtsordnung von Großbritannien. Großbritannien ist Drittstaat im Sinne der EuErbVO (Eichel in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Art. 1 EuErbVO (Stand: 01.03.2020), Rn. 21).
23Die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit bestimmt sich gemäß Art. 2 EuErbVO nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaates, also nach deutschem Recht. Damit ist das Landgericht Köln zuständig. Nach Art. 2 Abs. 4 S.1 IntErbRVG ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers hatte der Erblasser in X seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt. Dass der Erblasser – ebenso unstreitig – in Bonn verstorben ist, ist unerheblich, weil es auf den Ort des Versterbens nicht ankommt. Die Beklagten haben keinen Vortrag gehalten, aus dem sich ergeben würde, dass der Erblasser vor seinem Versterben an einem anderen Ort als X seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
24Die Aktivlegitimation des Klägers steht außer Zweifel. Sie ergibt sich bereits aus seiner Erwähnung im Testament des Erblassers. Der Erblasser ging also im Jahr 2015 ersichtlich davon aus, dass der Kläger sein Adoptivsohn sei. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass sich dies bis zum 00.00.0000, dem Todestag des Erblassers, geändert haben könnte, tragen die Beklagten nicht vor. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf den Vortrag der Beklagten, wonach die Beklagte zu 2) und den Erblasser eine langjährige Freundschaft verbunden habe, stellt sich das Bestreiten der Stellung als Adoptivsohn durch die Beklagten als Bestreiten ins Blaue hinein dar und ist unerheblich.
25Ein Auskunftsanspruch steht dem Kläger jedoch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Er ergibt sich insbesondere nicht aus § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn der Kläger ist nicht pflichtteilsberechtigt. Der Erblasser hat für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das englische Recht gewählt, das ein Pflichtteilsrecht nicht kennt. Diese Rechtswahl war auch wirksam.
26Gemäß Art. 22 Abs. 1 EuErbVO kann eine Person für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört. Der Erblasser verstarb am 00.00.0000, sodass die seit dem 17.08.2015 anzuwendende EuErbVO gilt. Der Erblasser war Zeit seines Lebens britischer Staatsangehöriger. Auch die formellen Anforderungen des Art. 22 Abs. 2 EuErbVO sind erfüllt. Die Tatsache, dass es sich um das Recht eines Drittstaates handelt, spielt gemäß Art. 20 EuErbVO keine Rolle.
27Bei der Wahl des Erbstatuts handelt es sich gem. Art. 34 Abs. 2 EuErbVO um eine Sachnormverweisung, sodass aufgrund der wirksamen Rechtswahl deutsches Erbrecht nicht anwendbar ist. Das führt entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu einem Verstoß gegen den deutschen ordre public, mit der Folge, dass gemäß Art. 35 EuErbVO die Anwendung des gewählten Rechts versagt werden darf, weil sie mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. Zwar kennt das englische Recht, anders als das deutsche, kein bedarfsunabhängiges Pflichtteilsrecht. Im englischen Recht ist nach dem Inheritance (Provision for Family and Dependants) Act 1975 eine Zuwendung aus dem Nachlass von einer konkreten Bedürftigkeit abhängig. Auch ist anerkannt, dass die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung von Kindern des Erblassers an dessen Nachlass durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet wird (BVerfG Beschluss v. 19.04.2005 – 1 BvR 1644/00), sodass diese zum deutschen ordre public gehört.
28Die bloße Abweichung von tragenden Prinzipien des deutschen Rechts reicht für die Feststellung eines Verstoßes gegen den ordre public indes nicht aus. Vielmehr muss die Abweichung in einem krassen Widerspruch zur deutschen Rechtsordnung stehen, wie aus dem Qualifizierungsmerkmal „offensichtlich“ in Art. 35 EuErbVO folgt, wobei es auf das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten Einzelfall ankommt (Ludwig in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Art. 35 EuErbVO (Stand: 01.03.2020), Rn. 6 f. und 9).
29Ein fehlendes Pflichtteilsrecht verstößt jedenfalls dann nicht gegen den deutschen ordre public, wenn volljährige, wirtschaftlich selbständige Abkömmlinge vom Erbfall betroffen sind (Ludwig in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Art. 35 EuErbVO (Stand: 01.03.2020), Rn. 9 und 17; Odersky in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, 59. EL April 2020, EuErbVO Art. 35 Rn. 16). Hier ist mangels gegenteiligen Vortrags davon auszugehen, dass der volljährige Kläger wirtschaftlich selbständig ist, zumal er keine Prozesskostenhilfe beantragt hat und gleichwohl in der Lage war, den Gerichtskostenvorschuss in Höhe von mehr als 9.500 € einzuzahlen.
30Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public könnte zwar anzunehmen sein, wenn der Erblasser die britische Staatsangehörigkeit nur zu dem Zweck erworben hätte, Pflichtteilsansprüche in Deutschland zu vermeiden. Dafür ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich. Vielmehr war der Erblasser in England geboren worden, hatte dort 28 Jahre gelebt und die britische Staatsangehörigkeit nie aufgegeben.
31Schließlich steht der Wirksamkeit der Rechtswahl nicht eine – wie vom Kläger behauptet – Geschäftsunfähigkeit oder fehlende Testierfähigkeit des Erblassers entgegen.
32Es kann hier dahinstehen, ob die Frage der Wirksamkeit der Rechtswahl nach deutschem Recht, mithin nach § 2229 Abs. 4 BGB, oder nach englischem Recht zu beurteilen ist. Jedenfalls fehlt es an hinreichend konkretem Vortrag des Klägers, der Anlass für eine Beweisaufnahme zum geistigen Zustand des Erblassers geben würde.
33Geht man vom deutschen Recht aus, spricht zunächst eine Vermutung für die Testierfähigkeit, weil dies der Normalfall ist. Sie wird gestützt durch den Vermerk im notariellen Testament, wonach der Notar sich durch die Verhandlung von der erforderlichen Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt habe. Der Kläger muss demgegenüber die Ausnahme, auf die er sich beruft, darlegen und ggf. beweisen (Weidlich in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 2229 Rn. 11). Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Errichtung des Testaments an (Weidlich ebd., Rn. 1), also auf den 13.03.2015. Hierzu enthält der klägerische Vortrag keine konkreten Angaben. Einen konkreten Zeitbezug weist lediglich der Vortrag des Klägers auf, es habe ein Telefonat zwischen dem Erblasser und seiner geschiedenen Frau stattgefunden, anlässlich dessen der Erblasser den Namen seines Adoptivsohnes nicht mehr gewusst habe und Fragen nach längst verstorbenen Verwandten gestellt habe, die er für lebendig gehalten habe. Dieses Telefonat sei in der zweiten Aprilhälfte 2010 geführt worden.
34Selbst wenn die Richtigkeit dieses Vortrags unterstellt wird, hat er keine Aussagekraft für die Frage der Geschäfts- oder Testierfähigkeit des Erblassers im März 2015. Es handelte sich um ein singuläres Ereignis. Der Kläger trägt nicht vor, dass solche oder ähnliche Gedächtnislücken beim Erblasser die Regel waren. Zudem wäre es unzulässig, aus etwaigen Erinnerungslücken auf eine Unfähigkeit des Erblassers, sich über die Tragweite seiner Anordnungen ein klares Urteil zu bilden und dann frei von den Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln, zu schließen. Das Gesetz verbindet nicht mit jeder geistigen Erkrankung oder Geistesschwäche des Testierenden seine Testierunfähigkeit (Weidlich ebd., Rn. 8).
35Der weitere Vortrag des Klägers, wonach der Erblasser in der Nachbarschaft „schon seit langem als verwirrt“ gegolten habe, es Gerüchte über eine Zwangsunterbringung gegeben habe und Nachbarn ihn verwirrt oder orientierungslos herum irrend gefunden hätten, ist ebenso unerheblich. Mangels jeglicher Zeitangaben (schon vor 2015 oder erst nach 2015?) ist unklar, welchen Rückschluss diese Angaben auf die Testierfähigkeit des Erblassers zulassen sollen.
36Entsprechende Erwägungen gelten, soweit man auf die Testierfähigkeit nach englischem Recht abstellen will. Insoweit fehlt es schon an schlüssigem Vortrag des Klägers dazu, dass der Erblasser am 13.03.2015 nicht in der Lage war, zu verstehen, dass er ein Testament errichtet, und „die Natur und den Wert des Nachlasses“ zu erkennen, ferner die „Folgen davon zu verstehen, bestimmte Personen zu Erben einzusetzen oder sie vom Erbe auszuschließen“.
37Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO.
38Streitwert: bis 6.000,00 € (isolierte Auskunftsklage)