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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Klägerin fuhr am 24.02.2015 gemeinsam mit der Zeugin Y in der von der Beklagten betriebenen Straßenbahn der Linie 5 in Richtung Subbelrather Straße/Gürtel.
3Die Klägerin behauptet, sich bei einem Bremsmanöver der Straßenbahn während der Fahrt verletzt zu haben. Insoweit behauptet sie, sie habe in unmittelbarer Annäherung an die Haltestelle ihren Sitzplatz verlassen und sich zur Tür begeben, weil sie die Straßenbahn an der Haltestelle Subbelrather Straße/Gürtel habe verlassen wollen. Sie habe sich dann an der Haltestange ausreichend mit der rechten Hand festgehalten. Weil zwei Jugendliche die Gleise hätten überqueren wollen, habe der Straßenbahnfahrer plötzlich und für sie unerwartet voll abbremsen müssen, wodurch sie nach vorne geschleudert worden sei. Sie habe sich infolge der starken Vollbremsung nicht mehr festhalten können und sei mit der – bereits vorgeschädigten, aber beschwerdefreien – linken Hand gegen eine der Haltestangen gestoßen. Dadurch habe sie erhebliche Verletzungen erlitten. Es habe sich zunächst ein Hämatom entwickelt. Später sei eine Handgelenkskontusion diagnostiziert und am 12.05.2015 eine Operation erforderlich geworden, da die tiefe Schicht der ECU-Sehnenscheide gerissen sei. Eine Bewegungseinschränkung, Schmerzen sowie eine Kraftminderung habe persistiert, ein Wiedereingliederungsversuch ab dem 10.08.2015 erfolglos abgebrochen werden müssen. Es sei ferner eine Infiltrationsbehandlung durchgeführt und das Handgelenk ruhig gestellt worden. Am 31.05.2016 habe sie infolge der Verletzungsfolgen erneut operiert werden müssen. Sie sei bis dato arbeitsunfähig. Mit der Klage macht die Klägerin ihren Verdienstausfallschaden, die Kosten des Jobtickets und ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 12.000 € geltend. Sie begehrt darüber hinaus die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten und die Erstattung ihrer vorgerichtlichen Anwaltskosten. Wegen der Einzelheiten dieser Schadenspositionen und der Zusammensetzung der Klageforderung wird auf die Klageschrift Bezug genommen.
4Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, 1) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Verdienstausfall für den Zeitraum Mai 2015 bis einschließlich Februar 2016 in Höhe von 1.444,37 € netto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2016 zu zahlen, 2) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 759,86 € netto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.06.2016 zu zahlen, 3) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 714,40 € netto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.06.2016 zu zahlen, 4) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.06.2016 zu zahlen, 5) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aufgrund des Sturzes der Klägerin in der von der Beklagten betriebenen Straßenbahnlinie 5 in Köln am 24.02.2015 zu zahlen, sofern kein Anspruchsübergang auf Dritte stattgefunden hat, 6) die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.171,67 € zu zahlen. Sie hat die Klageanträge in der Folge mehrfach modifiziert.
5Die Klägerin beantragt nunmehr,
61. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Verdienstausfall für den Zeitraum Mai 2015 bis einschließlich Februar 2016 in Höhe von 1.308,56 € netto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.06.2016 zu zahlen,
72. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 759,86 € netto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.06.2016 zu zahlen,
83. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 714,40 € netto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.06.2016 zu zahlen,
94. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.06.2016 zu zahlen,
105. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aufgrund des Sturzes der Klägerin in der von der Beklagten betriebenen Straßenbahnlinie 5 in Köln am 24.02.2015 zu zahlen, sofern kein Anspruchsübergang auf Dritte stattgefunden hat,
116. die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.171,67 € zu zahlen.
127. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Verdienstausfall für den Zeitraum März 2016 bis Oktober 2016 in Höhe von 1.407,82 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Die Beklagte bestreitet die klägerseits behauptete Verletzung entsprechend dem geschilderten Unfallgeschehen mit Nichtwissen. Sie bestreitet ferner, dass die klägerseits behaupteten Verletzungsfolgen aus dem geschilderten Unfallgeschehen herrühren bzw. mit diesem in einem kausalen Zusammenhang stehen. Sie behauptet, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin seien vielmehr allein auf die Vorschädigung der Hand zurückzuführen. Die Beklagte beruft sich auf ein anspruchsausschließendes Mitverschulden der Klägerin und behauptet hierzu, die Klägerin habe sich offenbar nicht in der gebotenen und zu fordernden Weise festgehalten. Daher sei sie für etwaige Verletzungen selbst verantwortlich. Die Beklagte bestreitet eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin und macht im einzelnen Einwendungen gegen die geltend gemachten materiellen Schadenspositionen geltend. Wegen der diesbezüglichen weiteren Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung Bezug genommen. Die Beklagte hält das geltend gemachte Schmerzensgeld für übersetzt.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden Bezug genommen.
17Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 17.01.2017 durch Zeugenvernehmung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 17.01.2017 Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
201.
21Ein Anspruch aus §§ 823, 831, 249 ff. BGB bzw. §§ 611 ff., 280, 278, 249 ff. BGB scheitert bereits unter Zugrundelegung des eigenen Sachvortrags der Klägerin daran, dass eine Pflichtwidrigkeit des Straßenbahnführers nicht zu erkennen ist. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin führte er die Vollbremsung deshalb durch, weil Jugendliche vor der Straßenbahn die Gleise vorschriftswidrig überquerten. Dies stellt einen nachvollziehbaren Grund für die Durchführung einer Vollbremsung dar. War die Bremsung aber verkehrsbedingt zwingend erforderlich, kann eine schuldhafte Pflichtwidrigkeit nicht erblickt werden.
222.
23Auch ein Anspruch der Klägerin aus – verschuldensunabhängiger – Gefährdungshaftung ist nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht gegeben, §§ 1 I HaftpflichtG, 249 ff. BGB.
24Zwar haftet die Beklagte als Betreiberin der Straßenbahn unter Zugrundelegung des von der Klägerin behaupteten Unfallereignisses dem Grunde nach für etwaige bei dem Betrieb der Straßenbahn erlittenen Verletzungen. Wird bei dem Betrieb einer Schienenbahn der Körper eines Menschen verletzt, so ist der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet, § 1 I HaftpflichtG. Ein Fall höherer Gewalt im Sinne des § 1 II HaftpflichtG dürfte ebenfalls nicht vorliegen. Die insoweit zu stellenden Anforderungen sind hoch.
25Jedoch ist die Haftung der Beklagten aus Sicht der Kammer auch auf der Grundlage der klägerischen Einlassung in der mündlichen Verhandlung wegen eines anspruchsausschließenden Mitverschuldens der Klägerin ausgeschlossen, § 254 I BGB. Denn bei der Entstehung des Schadens hat ein ganz erhebliches Mitverschulden der Klägerin mitgewirkt, das die Betriebsgefahr der Beklagten im Rahmen der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile im Ergebnis gänzlich zurücktreten lässt. Gemäß § 4 der Verordnung über Allgemeine Beförderungsbedingungen sind Fahrgäste verpflichtet, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen. Gegen diese Pflicht hat die Klägerin vorliegend verstoßen.
26Welche Anforderungen an den Passagier einer Straßenbahn im Rahmen des zu prüfenden Mitverschuldens zu stellen sind, ist stets eine Einzelfallfrage und anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Falles zu beurteilen. Es ist dabei in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Betriebsgefahr des Betreibers der Straßenbahn unter dem Gesichtspunkt des schwerwiegenden Selbstverschuldens des Fahrgastes gänzlich zurücktreten kann, wenn sich der Fahrgast nicht ausreichend festgehalten hat (LG Köln Urteil vom 02.04.2009, 29 O 134/08, AG Köln 136 C 49/14, Urteil vom 31.07.2015). Ob stets ein Festhalten mit beiden Händen erforderlich ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich gesehen (vgl. LG Köln a.a.O.). Erforderlich ist jedoch zumindest, dass der Fahrgast verkehrsangepasste Sicherheitsvorkehrungen zur Verschaffung eines sicheren Halts und zur Vermeidung von Sturzereignissen ergreift. Insbesondere im Stadtverkehr muss ein Fahrgast dabei auch mit plötzlichen Bremsmanövern jederzeit rechnen und diese bei der Wahl der Sicherheitsvorkehrungen in Rechnung stellen (LG Köln a.a.O.; AG Köln 123 C 390/14, Beschluss vom 25.02.2015; AG Köln 136 C 49/14, Urteil vom 31.07.2015). Kommt ein Fahrgast bei einem Bremsmanöver der Straßenbahn zu Fall, spricht bereits der erste Anschein dafür, dass er sich nicht ausreichend festgehalten hat (LG Köln a.a.O.; AG Köln 123 C 390/14, Beschluss vom 25.02.2015; AG Köln 136 C 49/14, Urteil vom 31.07.2015). Berücksichtigung finden kann im Rahmen des Mitverschuldens auch, ob ein vorhandener Sitzplatz ohne zwingende Notwendigkeit frühzeitig verlassen wurde (LG Köln a.a.O.).
27Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegt ein Verstoß gegen § 4 der Verordnung über Allgemeine Beförderungsbedingungen und damit ein schwerwiegendes Mitverschulden der Klägerin vor. Die Klägerin hat ihren Sitzplatz nach eigener Einlassung ohne zwingenden Grund bereits verlassen, bevor die Straßenbahn zum Stillstand gekommen war. Sie hat sodann einen Stehplatz an die Tür eingenommen, ohne sich dort einen ausreichenden Halt zu verschaffen. Ein Festhalten mit beiden Händen, so wie von der Rechtsprechung teils gefordert, hat selbst die Klägerin nicht behauptet, sondern sich vielmehr dahingehend eingelassen, sich mit der rechten Hand an der neben der Tür befindlichen Haltestange festgehalten zu haben. Soweit die Klägerin meint, sie habe sich durch dieses Festhalten einen ausreichend sicheren Halt verschafft, ist das Gegenteil durch das von ihr glaubhaft bekundete Unfallereignis bewiesen. Die Klägerin wird sicherlich – das stellt auch die Kammer in Rechnung – von der Vollbremsung überrascht worden sein. Diese war plötzlich und unerwartet. Jedoch muss von einem Fahrgast im Stadtverkehr immer mit plötzlichen verkehrsbedingten Vollbremsungen gerechnet werden. In unmittelbarer Nähe der Haltestellen müssen auch die Gleise verbotswidrig überquerende Personen stets in Rechnung gestellt werden. Dementsprechend muss sich gerade ein Fahrgast, der seinen Sitzplatz im Bereich der Haltestelle verlassen hat, einen so sicheren Halt verschaffen, dass er derartige plötzliche Vollbremsungen abfangen kann, ohne zu stürzen. Ob dies uneingeschränkt und in jedem Einzelfall auch für Vollbremsungen der Straßenbahn aus voller Fahrt heraus gelten kann, braucht vorliegend nicht abschließend entschieden werden. Denn derartiges ist weder von der Klägerin noch von der Zeugin Y geschildert worden. Vielmehr fuhr die Straßenbahn auch nach ihren übereinstimmenden Bekundungen zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nur noch mit minimaler Geschwindigkeit, da sie sich bereits im Bereich der Haltestelle befand und ihren Haltepunkt fast erreicht hatte. Sie rollte nur noch. In einer solchen Situation ist es dem Passagier nach der sicheren Überzeugung der Kammer unschwer möglich, sich durch Festhalten – auch durch ein solches mit nur einer Hand – einen sicheren Halt zu verschaffen, der es ermöglicht, Unfallereignisse der von der Klägerin und der Zeugin geschilderten Art zu vermeiden. Wenn es in einer solchen Situation und unter den vorgenannten Umständen dennoch zu einem Sturz bzw. einem Beinahe-Sturz der von der Klägerin geschilderten Art kommt, dann lässt dies aus Sicht der Kammer nur den zwingenden Rückschluss auf einen nicht ausreichend sicheren Halt zu. Das schwere Mitverschulden der Klägerin überwiegt die (reine) Gefährdungshaftung der Beklagten in einem Maße, das nur das vollständige Zurücktreten der Betriebsgefahr als angemessen erscheinen lässt.
28Die Nebenforderungen teilen das rechtliche Schicksal der Hauptforderungen.
29Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I, 269, 709 S. 1, 2 ZPO.
30Streitwert:
31Bis zum 01.12.2016: 19.918,63 €
32(Klageantrag zu 1: 1.444,37 €,
33Klageantrag zu 2: 759,86 €,
34Klageantrag zu 3: 714,40 €,
35Klageantrag zu 4: 12.000 €,
36Klageantrag zu 5: 5.000 €,
37Klageantrag zu 6: -, § 4 ZPO)
38Vom 01.12.2016 bis zum 16.01.2017: 21.704,99 €
39(wie oben zuzüglich Klageantrag zu 7: 1.786,36 €)
40Seither: 21.190,64 €
41(Klageantrag zu 1: 1.308,56 €,
42Klageantrag zu 2: 759,86 €,
43Klageantrag zu 3: 714,40 €,
44Klageantrag zu 4: 12.000 €,
45Klageantrag zu 5: 5.000 €,
46Klageantrag zu 6: -, § 4 ZPO
47Klageantrag zu 7:1.407,82 €)