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1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 85.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2007, der Beklagte zu 2 erst seit dem 03.05.2007 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und sämtliche weiteren immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger aus der Nichterkennung und unzureichenden Behandlung des Kompartment-Syndroms am 22.05.2003 entstanden sind, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d:
2Der Kläger macht Ansprüche wegen angeblich fehlerhafter und mangels ausreichender Aufklärung rechtswidriger ärztlicher Behandlung geltend.
3Der am 21.04.1999 geborene Kläger musste mehrmals an der Speiseröhre und im Bereich seiner Hoden, Nieren und des Harnleiters operiert werden. Am 21.05.2003 wurde der Kläger zwischen 8 Uhr und 14:30 Uhr erneut urologisch operiert. Diese Operation war in urologischer Hinsicht erfolgreich und ist nicht Gegenstand des vorliegenden Prozesses. Vielmehr geht es um ein nach der Operation bei dem Kläger aufgetretenes Kompartment-Syndrom.
4Die vorgenannte Operation wurde laut Operationsbericht in Steinschnittlage durchgeführt. Weitere Angaben zur Lagerung finden sich in den Behandlungsunterlagen nicht. Nach der Operation wurde der Kläger auf der Intensivstation erstversorgt. Hier ist für 5 Uhr am Morgen des 22.05.2003 im Kurvenblatt vermerkt, dass beide Waden stark gespannt, prall und berührungsempfindlich seien. Es erfolgte eine Kühlung und Hochlagerung, ferner die Versorgung mit einer Salbe. Auch in der ärztlichen Dokumentation des Frühdienstes wie auch des Spätdienstes sind extrem geschwollene und druckempfindliche Waden beschrieben. Dasselbe gilt für den Nachtdienst. Eine am 22.05.2003 durchgeführte Sonografie erbrachte die Verdachtsdiagnose eines Kompartmentsyndroms, welches aber nach den Angaben der Mutter rückläufig sei, wie es in dem Befund vermerkt ist. Dieser Befund führte im Folgenden nicht zu Konsequenzen. Am 23.05.2003 erfolgte die Verlegung des Klägers auf die Normalstation. In dem Verlegungsbericht werden ebenfalls Wadenschwellung und Wadenschmerzen vermerkt. In dem Pflegeverlegungsbericht heißt es, die Unterschenkel seien massiv verhärtet und geschwollen. Am 25.05.2003 findet sich in der ärztlichen Dokumentation der Eintrag, die Beine seien beidseits geschwollen, laut Schwester jedoch rückläufig. Ähnliches findet sich am 27. und 29.05.2003, wobei die Schwellung als weiter rückläufig beschrieben wird.
5Am 02.06.2003 veranlassten die Mitarbeiter der Beklagten die Einholung eines neurologischen Konsils. Der Neurologe gelangte zu dem Ergebnis, dass beide Füße Zeichen einer Fußheberparese zeigten und ein Tibialis-Anterior-Syndrom vorliege. Am 03.06.2003 wurde zum Ausschluss einer Frakturschädigung eine Röntgenaufnahme des linken Unterschenkels in zwei Ebenen angefertigt.
6Identische Eintragungen zum Zustand der unteren Extremitäten des Klägers finden sich auch in der Pflegedokumentation.
7Im Entlassungsbrief empfehlen die Beklagten Krankengymnastik und gegebenenfalls die Anlage einer Peroneus-Schiene. Weiteres geschah nicht.
8Kurz nach der Entlassung, nämlich am 13.06.2003, stellten die Eltern des Klägers ihren Sohn wegen Persistenz der Schmerzen und Fehlhaltung beider Füße in der Neuropädiatrie der Universitätsklinik F bei Prof. Dr. W vor, der ein Kompartment-Syndrom für wahrscheinlich hielt und von einem neurologischen Notfall spricht. Er veranlasste eine systematische Schmerztherapie und neurologische Rehabilitation.
9Eine erneute neurologische Untersuchung am 25.06.2003 zeigte ein deutliches Schädigungsmuster im Bereich der rechten Unterschenkelmuskulatur.
10Wegen der Spitzfußstellung kam es am 24.07.2003 zu einer operativen Korrektur beider Füße im Universitätsklinikum E, Orthopädische Abteilung (Prof. Dr. L.
11Der Kläger wirft den Beklagten multiple Behandlungsfehler bei seiner Lagerung in der Operation vom 21.05.2003, ferner Fehler bei der postoperativen Diagnostik und Behandlung der sich schon früh abzeichnenden Problematik der Unterschenkel vor. Außerdem erhebt er die Aufklärungsrüge, weil seine Eltern nicht über das Risiko eines postoperativ auftretenden Kompartment-Syndroms aufgeklärt worden seien.
12In Folge dieser Fehler leide er bis heute an Schmerzen und Missempfindungen in beiden Beinen. Er habe Dysaesthesien bei Berühren der Unterschenkel und anfangs sei er sogar auf den Rollstuhl angewiesen gewesen. Er sei in seiner Lebensführung durch seine Beschränkungen stark eingeschränkt und müsse sich dauernder Nachbehandlungen unterziehen. Ferner habe er Albträume, die psychotherapeutisch behandelt worden seien. Er verlangt ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Größenordnung er mit 60.000,00 Euro angibt. Ferner begehrt er Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich sämtlicher materieller und weiterer immaterieller Schäden.
13Der Kläger beantragt,
14Die Beklagten beantragen,
16die Klage abzuweisen.
17Sie treten den Behandlungsfehlervorwürfen entgegen und tragen vor, das Problem einer Schwellung der Beine nach einer langandauernden Operation in Steinschnittlage sei bekannt. Solche Schwellungen bildeten sich jedoch erfahrungsgemäß immer durch konservative Maßnahmen ohne bleibende Schäden zurück. Das Auftreten eines Kompartment-Syndroms gehöre überdies nach langen Operationen in Steinschnittlage zu den typischen Komplikationen, die auch bei ordnungsgemäßer Lagerung auftreten könnten.
18Die Beklagten bestreiten ferner die Kausalität. Es lasse sich nämlich nicht feststellen, dass die Behandlungsverzögerung für die angeblichen Schäden des Klägers ursächlich geworden sei. Auch eine frühere Intervention hätte keine Vorteile gebracht.
19Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Direktors der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie der Charité (Kampus Virchow– Klinik) Prof. Dr. N. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten sowie wegen der mündlichen Anhörung auf das Protokoll der Sitzung vom 07.05.2008 Bezug genommen. Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist die Kammer auf die Gerichtsakte.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
21Die Klage ist begründet.
22Dem Kläger ist der Beweis grober Behandlungsfehler gelungen, so dass ihm gemäß §§ 280, 823 Abs.1, 253 BGB Ansprüche auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens zustehen.
23Im einzelnen hat der Sachverständige ausgeführt, dass zwar ein Lagerungsfehler nicht erkennbar sei. Insbesondere sei keine Abweichung vom Üblichen zu erkennen. Aus diesem Grunde sei auch nichts hinsichtlich der Lagerung zu dokumentieren. Wenn wie von den Beklagten vorgetragen regelmäßig eine Lagerungskontrolle und Wadenmassagen durchgeführt wurden, sei die Lagerung nicht fehlerhaft gewesen.
24Allerdings sei das Verhalten des Beklagten zu 2) sowie der Mitarbeiter der Beklagten in der Phase unmittelbar postoperativ unzureichend gewesen. Aufgrund des dokumentierten Zustands der Waden, nämlich pralle Schwellung und Schmerzhaftigkeit, hätte bereits am 22. und spätestens 23.05.2003 auf die als Operationsfolge nicht zu erklärende Symptomatik der Schwellung und der Schmerzen diagnostisch eingegangen werden müssen. In Anbetracht der langen Operationsdauer, der Lagerung in Steinschnittlage und der unmittelbar postoperativ beobachteten Komplikationen der Beine hätte unverzüglich eine genaue neurologische Untersuchung zum Ausschluss eines Kompartment-Syndroms stattfinden müssen. Wäre dies geschehen, so sei davon auszugehen, dass der Kläger bereits am 22.03.2003 operiert worden wäre, und zwar in Gestalt einer Fasziotomie. Die Verkennung der ab dem 22.05.2003 frühmorgens beschriebenen Schwellung und Schmerzen und die Nichtreaktion hierauf seien als grob fehlerhaft anzusehen.
25Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige verdeutlicht, dass bei der von ihm postulierte neurologische Untersuchung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereits Zeichen einer reduzierten Nervenleitungsgeschwindigkeit bemerkt worden wären, was er rechtlich zutreffend mit dem späteren Verlauf begründet.
26Noch einmal hat er wiederholt, dass bereits die Nichtreaktion auf die Symptome ein schwerer Fehler sei, den er allerdings nachvollziehen könne, weil offenbar sämtliche der Beteiligten noch nie ein Kompartment-Syndrom gesehen hätten. Das Kompartment-Syndrom sei allerdings ebenso wie seine Therapie in jedem studentischen Lehrbuch beschrieben. Es gehöre zum grundlegenden Fachwissen, was der Sachverständige dadurch verdeutlicht hat, dass ein Prüfling der Facharztprüfung bei Nichtberücksichtigung der Frage des Kompartment-Syndroms bei Vorgabe der hier vorliegenden Symptomatik die Prüfung nicht bestehen würde.
27Angesprochen auf den in den Behandlungsunterlagen aufgefundenen Sonografiebefund vom 22.05.2003 hat der Sachverständige seine Beurteilung nicht geändert und erläutert, dass eine solche Untersuchung die gebotene neurologische Abklärung nicht ersetze.
28Die Kammer folgt den Feststellungen des Sachverständigen. Sie sind in jeder Hinsicht überzeugend. Prof. Dr. N ist als Direktor einer universitären Kinderklinik in besonderem Maße zur Beurteilung der anstehenden Fragen berufen. Zudem verfügt er über große klinische Erfahrung, was den Feststellungen des Sachverständigen zu besonderer Überzeugungskraft verhilft. Sie stimmt im übrigen überein mit den forensischen Erfahrungen der Kammer aus diversen ähnlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen unzureichende Behandlungen von Kompartmentsyndromen zur Beurteilung standen.
29Aus den vorstehenden Feststellungen folgt in rechtlicher Hinsicht, dass die ausbleibende bzw. unzureichende Reaktion auf die bei dem Kläger unmittelbar postoperativ aufgetretene Symptomatik ein im Rechtssinne grober Behandlungsfehler ist. Es liegt ein Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln und gesicherte medizinische Erkenntnisse vor. Denn es gehört zum Grundwissen eines jeden Arztes, erst recht eines jeden Facharztes, dass bei der hier vorliegenden Symptomatik zumindest differentialdiagnostisch die Frage eines Kompartment-Syndroms ins Auge zu fassen ist. Bereits vor diesem Hintergrund ist die Nichtreaktion, zumindest aber die völlig unzureichende Reaktion der Beklagten ein unverständlicher Verstoß gegen diese Regel. Dies gilt um so mehr, als bereits am 22.05.2003 eine Ultraschalluntersuchung der Beine stattgefunden hat, nach der der untersuchende Arzt die Diagnose eines Kompartment-Syndroms erwähnt hat. Aus welchem Grunde die handelnden Ärzte aus dieser Diagnose keinerlei Konsequenzen gezogen haben, ist auch aus laienhafter Sicht gänzlich unverständlich und wird seitens der Beklagten auch nicht zu rechtfertigen versucht. Es gehört zum Grundwissen jeden Arztes, dass die einzige gegebenenfalls erfolgreiche Therapie des Kompartment-Syndroms die Faszienöffnung ist.
30Soweit der Sachverständige Verständnis für die Beklagten geäußert hat, gründet sich dieses nicht auf objektive Umstände der Behandlungssituation, sondern auf die bei den Beklagten vorliegende Unkenntnis insoweit. Der Sachverständige nimmt nämlich an, sämtliche der Beteiligten hätten offenbar noch nie ein Kompartment-Syndrom gesehen. Dies aber macht den Fundamentalverstoß gegen grundlegende ärztliche Regeln, der aus objektiver Sicht zu beurteilen ist, nicht zu einem einfachen Behandlungsfehler. Denn Grundlage der Beurteilung ist der Facharztstandard. Irgendwelche Umstände, die das Verharren der Beklagten in Untätigkeit nachvollziehbar machen könnten, sind nicht dargetan und auch nicht ersichtlich.
31Was die Folgen des Behandlungsfehlers anbetrifft, hat der Sachverständige eine sichere Aussage nicht machen können. In seinem Gutachten hat er hierzu ausgeführt, die vorhandenen Beschwerden beruhten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der nicht zeitgerecht erfolgten Faszienspaltung. In der mündlichen Anhörung hat er dies dahingehend konkretisiert, dass es keinesfalls sicher zu sagen sei, ob die Folgen durch eine Faszienspaltung minimiert worden wären, dies allerdings durchaus möglich sei. Diese Unsicherheit im Rahmen des Kausalverlaufs geht aufgrund der durch die grobe Fehlerhaftigkeit der Behandlung ausgelösten Beweislastumkehr im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität zu Lasten der Beklagten. Danach ist es jedenfalls nicht äußerst unwahrscheinlich, dass die bei dem Kläger noch heute im Bereich der unteren Extremitäten bestehenden Beschwerden auf die nicht rechtzeitige Faszienspaltung zurückzuführen sind.
32Diese Folgen stellen sich nach den Behandlungsunterlagen und den Angaben der Eltern, an deren Richtigkeit zu zweifeln die Kammer keinen Anlass hat, sondern sie im Gegenteil für nachvollziehbar und in jeder Hinsicht glaubhaft ansieht, folgendermaßen dar:
33Unmittelbare Folgen der Nichtreaktion der Beklagten sind die persistierenden, im wesentlichen unbehandelt gebliebenen Schmerzen bis zur Einleitung einer systematischen Schmerztherapie durch Prof. Dr. W. Zwar ist zu berücksichtigen, dass auch eine Faszienspaltung mit erheblichen Schmerzen einher gegangen wäre. Solche als Folge eines operativen Eingriffs auftretenden Schmerzen sind allerdings durch eine geeignete Schmerzmedikation beherrschbar. Es ist davon auszugehen, dass sich eine solche suffiziente Schmerztherapie einer operativen Faszienspaltung angeschlossen hätte, wie es nach den Erfahrungen der Kammer heute üblicher Standard ist. Eine solche suffiziente Schmerztherapie ist indessen nach Auftreten des Kompartmentssyndroms nicht erfolgt.
34Die operative Korrektur beider Füße durch Sehnenverlängerungen durch Prof. L (Operation vom 24.07.2003) ist ebenso Folge des Behandlungsfehlers wie die vorangehende Problematik des Klägers, nämlich eine massive Hypaesthesie im Bereich beider Unterschenkel und der Unmöglichkeit des Klägers zu stehen oder zu gehen. Auch nach der den Zustand des Klägers deutlich bessernden Operation durch Prof. Dr. L war der Kläger erheblich in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, wie sich aus dem Entlassungsbericht des Universitätsklinikums E vom 17.10.2003 ergibt.
35Ferner erschließt sich aus den Behandlungsunterlagen, dass das Kompartment-Syndrom zeitnah psychische Folgen gezeitigt hat, die sich abgrenzbar auf die Kompartmentproblematik zurückführen lassen. So ergibt sich aus dem psychologischen Bericht vom 26.09.2003 über eine Behandlung in der Zeit vom 14.07. – 12.09., dass der Kläger gelegentlich Alpträume hatte, die inhaltlich im Zusammenhang mit der Erkrankung seiner Unterschenkel und der damit zusammenhängenden Mobilitätseinschränkung standen.
36Bis heute hat der Kläger Probleme beim Gehen und Laufen. Er kann nicht längere Zeit stehen. Er trägt spezielle Schuhe zur Stützung des Fußgelenkes. Offenbar ist das Wachstum seiner Füße eingeschränkt. Nachvollziehbar ist auch die Angabe der Eltern, der Kläger habe infolge seiner Gehbehinderung Probleme in der Schule, weil er nicht an allen Spielen der Mitschüler teilnehmen könne, was auch zu Hänselungen seitens der Mitschüler führe. Das sich die daraus resultierende Belastung gelegentlich durch starke Aggressivität äußert, ist ebenfalls nachvollziehbar, ebenso wie der durch die Eltern mitgeteilte Umstand, dass der Kläger dieserhalb kinderpsychologisch behandelt wird. Folge des Behandlungsfehlers ist schließlich die nach wie vor regelmäßig durchzuführende Krankengymnastik.
37Bei der Bemessung des dem Kläger zuzuerkennenden Schmerzensgeldes hat die Kammer auf der Grundlage des vorstehend Ausgeführten zunächst den unmittelbar postoperativen Verlauf berücksichtigt. Dabei ist allerdings kein Ausgleich zu gewähren für das Auftreten des Kompartmentsyndroms, denn dieses ist nicht auf einen Fehler der Beklagten zurück zu führen. Fehlerhaft und deswegen in den Folgen zu entschädigen ist allerdings der Umstand, dass nicht bereits am 22.05.2003 durch eine Faszienspaltung auf die Symptomatik reagiert wurde und damit die Weiterentwicklung des Kompartment-Syndroms gestoppt wurde. Die nach dem 22.05.2003 bestehenden Schmerzen am Unterschenkel sind deshalb bei der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen. Dabei darf allerdings nicht außer Ansatz bleiben, dass auch eine Faszienspaltung im unmittelbar postoperativen wie auch weiteren Verlauf erhebliche Folgen mit sich bringt, nämlich insbesondere die lebenslang verbleibenden Narben. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist weiter der Umstand zu bewerten, dass der Kläger wegen des unbehandelten Kompartment-Syndroms die Operation in E über sich ergehen lassen musste. Dieser Verlauf ist in Anbetracht des Umstandes, dass der Kläger sich einige Wochen zuvor einer mehrstündigen urologischen Operation unterziehen musste und allein die Folgen dieser Operation eine beträchtliche Belastung für ein 4-jähriges Kind darstellen, wegen der zusätzlich hinzugetretenen Belastungen durch die nicht rechtzeitige Behandlung des Kompartment-Syndroms als besonders schwer zu bewerten.
38Hinzu kommen die funktionellen und ästhetischen Veränderungen am Unterschenkel des Klägers. Die funktionellen Beeinträchtigungen in Folge der neurologischen Ausfälle, wie sie sich aus den Befunden in den beigezogenen Behandlungsunterlagen wie auch aus den glaubhaften Darlegungen der Eltern des Klägers ergeben, haben ein besonderes Gewicht. Sie sind typische Folgen eines Kompartment-Syndroms. Dass eine nennenswerte Verbesserung zu erwarten wäre, ist nicht abzusehen. Im Gegenteil besteht die Gefahr, dass der Kläger wegen der Bewegungseinschränkungen seiner unteren Extremitäten auch Beschwerden in den höher liegenden Gelenken (Kniegelenk, Hüftgelenk) zu erleiden haben wird. Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sein könne, dass Folgeschäden infolge des Kompartment-Syndroms auch in den höher liegenden Gelenken zu späterer Zeit auftreten.
39Hieraus ergeben sich auch allgemeinen Beeinträchtigungen des Klägers im täglichen Leben. Nach glaubhafter Darstellung der Eltern hat der Kläger durch seine Beeinträchtigungen Nachteile in der Schule wie auch im privaten Leben zu erdulden. Laufen und Gehen ist ihm nur eingeschränkt möglich. Längeres Stehen bereitet ihm ebenfalls Probleme.
40Bei der Zuerkennung des Schmerzensgeldes von 85.000,00 Euro hat die Kammer sich auch an ihrer Entscheidung vom 19.03.2008 – 25 O 180/05 (www.nrwe.de) orientiert. Hier ist einem ähnlichen Fall ein Schmerzensgeld von 75.000,00 Euro zuerkannt worden, wobei die dort betroffene Klägerin 10 Jahre älter war als der Kläger, was eine maßvolle Erhöhung des Schmerzensgeldes im vorliegenden Fall rechtfertigt.
41Von der Zuerkennung einer Schmerzensgeldrente wegen der voraussichtlich den Kläger lebenslang begleitenden Problematik sieht die Kammer ab. Eine Schmerzensgeldrente bleibt schwersten Dauerschäden vorbehalten.
42Die Feststellungsanträge des Klägers sind ebenfalls begründet, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt. Die Kammer hat aus redaktionellen Gesichtspunkten die Anträge zu 2) und 3) des Klägers zu einem umfassenden Feststellungstenor zusammen gefasst.
43Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
44Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO.
45Streitwert:
46Antrag zu 1) 85.000,- €
47Antrag zu 2) + 3) 40.000,- €
48125.000,- €