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Die Beklagte wird verurteilt, die vertraglich vorzuhaltende Wärmeleistung des Nahwärmeanschluss- und Liefervertrages vom 28.10. / 09.11.2018 betreffend die Verbrauchsstelle S.-straße in Y. mit Wirkung vom 01.12.2022 von 15 KW auf 7,5 KW anzupassen. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Kläger als Gesamtschuldner außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 367,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.07.2023 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000,00 EUR.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über die Anpassung der Mindestabnahmemenge aus eine Nahwärmelieferungsvertrag vor dem Hintergrund der seit dem 05.10.2021 geltenden Vorschrift des § 3 Abs. 1 AVBFernwärmeV.
3Die Beklagte betreibt im Neubaugebiet Q. in D. eine Wärmeerzeugungsanlage und das Nahwärmenetz. Die Kläger sind Kunden der Beklagten und werden von dieser mit Nahwärme versorgt. Das Grundstück der Kläger befindet sich im Neubaugebiet Q. und damit im räumlichen Geltungsbereich der kommunalen Satzung der Stadt D. über eine zentrale Nahwärmeversorgung vom 30.05.2017. § 5 dieser Satzung lautet u.a.:
4(1) Jeder Grundstückseigentümer im Geltungsbereich dieser Satzung, auf dessen Grundstück Wärme für Heizzwecke, Warmwasser oder sonstige Niedertemperaturzwecke verbraucht wird, ist verpflichtet, die Baulichkeiten, die Wärme benötigen, an die zentrale Nahwärmeversorgung anzuschließen, wenn das Grundstück durch eine Straße erschlossen ist, in der eine betriebsfertige Wärmeleitung vorhanden ist. Befinden sich auf einem Grundstück mehrere Gebäude, in denen Wärme benötigt wird, so ist jedes dieser Gebäude anzuschließen. Diese Verpflichtung obliegt den Grundstückseigentümern sowie sämtlichen Bewohnern der Gebäude und sonstigen Wärmeverbrauchern. Sie beginnt, sobald das Grundstück mit einem Gebäude oder mehreren Gebäuden bebaut ist oder mit der Bebauung begonnen wird.
5(2) Wenn und soweit ein Grundstück an die Nahwärmeversorgung angeschlossen ist, ist der Grundstückseigentümer dazu verpflichtet, den gesamten Wärmebedarf im Sinne des Abs. 1 dieser Satzung ausschließlich aus den Nahwärmeversorgungsanlagen zu entnehmen.
6Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage B2 (Bl. 47 ff.) verwiesen. Durch Vertrag vom 28.10./09.11.2018 sind die Parteien durch einen Nahwärmeanschluss- und Liefervertrag miteinander verbunden. Der Vertrag sieht u.a. folgende Regelungen vor:
7§ 1 Ziff. 4: „Die vorzuhaltende Wärmeleistung beträgt 15 kW (Mindestanschlusswert).“
8§ 11 Ziff. 1: „Der Vertrag tritt mit Unterzeichnung durch beide Vertragspartner in Kraft. Er hat eine 10-jährige Laufzeit, die mit der Inbetriebnahme der Nahwärmeübergabestation des Versorgers beginnt. Zugleicht beginnt auch die Wärmelieferungsverpflichtung des Versorgers.“
9§ 19 Ziff. 3: „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) in der jeweils gültigen Fassung. […] Ergänzende Bestimmungen des Versorgers zu der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) in der jeweils gültigen Fassung […].“
10Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Anlage ddkb01 (Bl. 8 ff.) verwiesen. Mit E-Mail vom 31.10.2022 forderten die Kläger die Beklagte auf, die Wärmelieferung zum 01.12.2022 auf 7,5 kW herabzusetzen. Die Beklagte wies die Forderung zurück. Mit Schreiben vom 26.01.2023 forderten die Kläger die Beklagte erneut erfolglos zur Vertragsanpassung auf. Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.03.2023 forderten die Kläger die Beklagte unter Bezugnahme auf den seit 2021 existierende Vorschrift des § 3 AVB FernwärmeV erneut zur Anpassung auf. Die Beklagte lehnte erneut ab.
11Die Kläger behaupten, im Laufe der Zeit habe sich herausgestellt, dass die Mindestanschlussleistung für das Gebäude der Kläger überdimensioniert sei. Für die Inanspruchnahme der anwaltlichen Hilfe seien Kosten in Höhe einer 1,6 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer in Höhe von 446,49 EUR entstanden. Die Kläger sind der Ansicht, der kommunale Anschluss- und Benutzungszwang gelte für das streitgegenständliche Grundstück nicht, weil § 5 der kommunalen Satzung nur für solche Grundstücke gelte, die durch eine Straße vollständig erschlossen wären, in der eine betriebsfertige Wärmeleitung vorhanden wäre. Das sei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht der Fall gewesen. Sie sind weiter der Ansicht, § 3 AVBFernwärmeV sei aufgrund des Wortlauts auf alle Wärmelieferungsverträge anwendbar und solche im Bereich eines kommunalen Anschluss- und Benutzungszwanges seien nicht ausgeschlossen.
12Die Kläger beantragen,
131) die vertraglich vorzuhaltende Wärmeleistung des Nahwärmeanschluss- und Liefervertrages vom 28.10. / 09.11.2018 betreffend die Verbrauchsstelle S.-straße in Y. mit Wirkung vom 01.12.2022 von 15 KW auf 7,5 KW anzupassen;
142) die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 367,23 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtsfähigkeit zu zahlen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beklagte ist der Ansicht, § 3 FernwärmeVO sei nicht anwendbar, da das streitgegenständliche Grundstück im Geltungsbereich eines Anschluss- und Benutzungszwangs liegt. Hierbei müsse berücksichtigt werden, dass die hohen Investitionskosten am Beginn des Vertragsverhältnisses nur aufgrund einer langfristigen Kalkulationsgrundlage getätigt worden seien. Eine Anpassung der auf 10 Jahre geschlossenen Verträge würde einen wirtschaftlichen Betrieb der Nahwärmeversorgungsanlage unmöglich machen. Der Anschluss- und Benutzungszwang liefe leer, wenn eine bedingungslose Anpassung der Verträge möglich wäre.
18Entscheidungsgründe:
19Die zulässige Klage ist begründet.
20I.
21Die Kläger haben einen Anspruch auf Anpassung der vorzuhaltenden Wärmeleistung von 15 kW auf 7,5 kW aus § 3 AVBFernwärmeV in Verbindung mit dem Nahwärmeanschluss- und Lieferungsvertrag vom 28.10./09.11.2018.
22Auch wenn sich die Parteien gem. § 1 Ziff. 4 Nahwärmeanschluss- und Liefervertrag auf die Mindestabnahmemenge von 15 kW / Jahr geeinigt haben, haben sie weiter gem. § 19 Ziff. 1 des Vertrages vereinbart, dass die AVBFernwärmeV in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden soll. § 3 Abs. 1 AVBFernwärmeV in der seit dem 05.10.2021 geltenden Fassung sieht vor, dass das Fernwärmeversorgungsunternehmen dem Kunden die Möglichkeit einzuräumen hat, eine Anpassung der vertraglich vereinbarten Wärmeleistung während der Vertragslaufzeit vorzunehmen. Diese Anpassung kann einmal jährlich mit einer Frist von vier Wochen zum Ende eines Kalendermonats erfolgen und bedarf keines Nachweises, sofern sich die Leistung nicht um mehr als 50 Prozent reduziert. Weitere Anforderungen stellt die Vorschrift nicht.
23Diese Voraussetzungen liegen vor, denn die Kläger haben mit E-Mail vom 31.10.2022 erstmalig die Anpassung der Leistung um 50 % zum 01.12.2022 und damit innerhalb der 4-Wochen-Frist des § 3 Abs. 1 FernwärmeV verlangt.
24Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, § 3 FernwärmeV finde keine Anwendung, da das streitgegenständliche Grundstück im Geltungsbereich eines kommunalen Anschluss- und Benutzungszwangs liegt, kann dem nicht gefolgt werden. Hierbei kann dahinstehen, ob die Satzung der Stadt D. über eine zentrale Nahwärmeversorgung vom 30.05.2017 mit bestehendem kommunalen Anschluss- und Benutzungszwang überhaupt Anwendung findet, denn schon der Wortlaut der Vorschrift des § 3 Abs. 1 FernwärmeV sieht eine solche Einschränkung nicht vor, sodass die Vorschrift grundsätzlich auf alle Fernwärmelieferungsverträge anwendbar ist und nicht nur auf solche, die sich außerhalb eines kommunalen Anschluss- und Benutzungszwangs befinden. Der von den Beklagten angeführte Referentenentwurf des BMWK vom 25.07.2022 hätte insoweit lediglich klarstellende Wirkung. Soweit sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06.07.2011 (Az.: VIII ZR 37/10) beruft, ist diese im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Diese Verhält sich im Hinblick auf die Leistungsreduzierung zu einem Vertragsverhältnis, das schon im Vertrag zwischen Versorger und Abnehmer Regelungen zu einer Leistungsreduzierung vorsah. Ferner beziehen sich die Ausführungen des BGH auf Preisanpassungsklauseln, die sich am Maßstab des § 24 AVBFernwärmeV a.F. messen lassen mussten, was hier nicht streitgegenständlich ist, denn der § 3 Abs. 1 AVBFernwärmeV n.F. verhält sich nicht zur Preis-, sondern zur Mengenanpassung. Im Gegensatz zu § 24 AVBFernwärmeV a.F. sieht dieser keine besonderen Voraussetzungen vor, die Menge anzupassen. Hierfür spricht auch die Begründung zur Verordnung zur Umsetzung der Vorgaben zur Fernwärme und Fernkälte in der Richtlinie (EU) 2018/2022 sowie der Richtlinie (EU) 2018/2001 vom 25.06.2021 (BT-Drs. 310/21). Dort führt der Verordnungsgeber auf S. 14 ff. aus, die Regelungen dienten einer verbraucherfreundlichen Ausgestaltung der Fernwärmeregelungen und der Umsetzung der Forderungen der Verbraucherschutzministerkonferenz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Fernwärmemarkt. Aufgrund der unregulierten Monopolstellung im Fernwärmemarkt sei es den Verbraucherinnen und Verbrauchern unmöglich, von wettbewerbsfähigen Preisen zu profitieren. Durch die Regelung solle Flexibilität für Verbraucherinnen und Verbraucher geschaffen werden, sodass die Wärmeleistung entsprechend den Bedarfen des Kunden angepasst werden könne. Ein Nachweis sei nicht erforderlich, soweit der Zielwert nicht unterhalb des Schwellenwerts von 50 % liege. Durch die Beschränkung der Häufigkeit auf eine jährliche Anpassungsmöglichkeit bestehe eine ausreichende Planungssicherheit für die Versorgungsunternehmen. Diese Wertungen würden unterlaufen werden, wenn die Beklagte aufgrund der in ihrer durch den kommunalen Anschluss- und Benutzungszwang erzwungenen Vertragsgrundlage eine Anpassung des Mindestabnahmewertes negieren könnte. Die AVBFernwärmeV wurde auch in Kenntnis der anfänglich hohen Investitionskosten mit der o.g. Intention verabschiedet, sodass aufgrund dieser Wertung des Verordnungsgebers die von der Beklagten geäußerten Interessen keine Berücksichtigung finden können. Darüber hinaus haben sich die Kläger ausweislich § 4 Ziff. 4.1 des Nahwärmeanschluss- und Liefervertrages verpflichtet, einen Investitionskostenbeitrag in Höhe von 6,69 EUR netto / qm Bemessungsfläche zu leisten, der mit gesonderten Rechnung fällig wurde. Es wäre unbillig, die Kläger noch darüber hinaus durch die § 3 Abs. 1 AVBFernwärmeV widersprechende auf 10 Jahre festgeschriebene Mindestabnahmemenge an den Investitionskosten zu beteiligen, obwohl ein Verbrauch in dieser Größenordnung gar nicht stattfindet. Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass gerade durch das Schaffen von Anreizen zu einer niedrigen Abnahmemenge das Ziel der Nahwärmeversorgung im Sinne der Präambel der Nahwärmesatzung – nämlich den Schutz der Luft und des Klimas und die Luftreinhaltung im Stadtgebiet D. – effektiv zu fördern geeignet ist.
25Auch § 315 Abs. 1 BGB führt zu keiner anderen Auslegung. Diese Vorschrift sieht eine Zweifelsfallregelung vor, dass die einseitige Leistungsbestimmung im Zweifel nach billigem Ermessen zu treffen ist. Allerdings liegt kein solcher Zweifel vor. Die Vorschrift des § 3 AVBFernwärmeV sollte nach obigen Ausführungen gerade eine einfache Möglichkeit zur Vertragsanpassung im Sinne des Verbraucherschutzes und der Wettbewerbsförderung schaffen. Eine entsprechend verbraucherfreundliche Auslegung ist geboten.
26II.
27Die Kläger haben einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 367,23 EUR gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB. Die Beklagte befindet sich seit dem 01.12.2022 in Verzug mit der ihr obliegenden Vertragsanpassungspflicht. Hierbei setzt das Gericht einen Gegenstandswert von 2.115,75 EUR an. Hierbei ist entsprechend § 9 ZPO der 3,5-fache Wert des Jahresbezuges zu berücksichtigen. Auf der öffentlich zugänglichen Internetseite der Beklagten (https:() Stand 27.02.2024) ist ersichtlich, dass der jährliche Grundpreis je kW Leistung 80,60 € brutto beträgt. Bei 15 kW entsteht somit ein Grundpreis von 1209,00 € und bei 7,5 kW ein Grundpreis von 604,50 €. Der wirtschaftliche Wert der Anpassung für die Kläger liegt damit in der 3,5-fachen jährlichen Differenz nach § 9 ZPO analog. Da der Gebührensprung erst bei 3.000,01 EUR erfolgt, ist dies im Ergebnis nicht von Bedeutung.
28Der Anspruch auf Zinszahlung ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB seit Rechtshängigkeit.
29III.
30Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und auf § 709 ZPO.
31Der Streitwert wird entsprechend obiger Ausführungen auf 2.115,75 EUR festgesetzt.