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Nur der Versicherungsnehmer kann die Unwirksamkeit einer Prämienanpassung geltend machen, nicht aber der Versicherte.
Auch in der Gruppenversicherung stehen Ansprüche auf Rückzahlung überzahlter Prämien nur Versicherungsnehmer zu.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Bei der Beklagten ist der R.. mit Sitz in O. Versicherungsnehmer eines Gruppenversicherungsvertrages, dessen Gegenstand eine Kranken- und Pflegeversicherung ist. Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist seit dem 00.00.0000 versicherte Person im Rahmen dieser Gruppenversicherung. In den Vertrag sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung – AVB-G – N01 einbezogen.
3Die Prämien im Rahmen des Vertrags wurden mehrfach wegen einer Veränderung der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ geändert, was die Beklagte mit den als Anlagenkonvolut N02 vorgelegten Schreiben (= Bl. 180-246 d.A.) mitteilte. Die festgesetzten Beiträge wurden jeweils bezahlt.
4Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
5Die Klägerin trägt vor:
6Alle streitgegenständlichen Prämienanpassungen seien unwirksam, weil die Mitteilungsschreiben den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG nicht genügt hätten und dem Treuhänder vor seiner Zustimmung nicht alle nötigen Unterlagen vorgelegen hätten, um beurteilen zu können, ob die Limitierungsmittel ordnungsgemäß kalkuliert und verwandt worden seien. Die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmittelverwendung werde auch in der Sache bestritten.
7Demgemäß bestehe ein Zahlungsanspruch in Höhe von 2.638,72 €. Wegen der Zusammensetzung der Forderung wird auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 16.05.2023 (= Bl. 586 d.A.) verwiesen.
8Die Klägerin beantragt,
91.)
10festzustellen, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer N03 unwirksam sind:
11a) im Tarif TC 43 70,00 die Beitragsanpassung zum 01.04.2017 in Höhe von 3,08 €,
12b) im Tarif TC 43 / 55,00 die Beitragsanpassung zum 01.04.2017 in Höhe von 2,23 €,
13c) im Tarif KM / 25,56 die Beitragsanpassung zum 01.04.2019 in Höhe von 0,40 €,
14und der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen um insgesamt 5,71 € zu reduzieren ist;
152.)
16festzustellen, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer N03 unwirksam waren:
17a) im Tarif AM0 die Beitragsanpassung zum 01.04.2015 in Höhe von 41,17 €,
18b) im Tarif ZM3 die Beitragsanpassung zum 01.04.2018 in Höhe von 5,78 €,
19c) im Tarif SM6 die Beitragsanpassung zum 01.04.2018 in Höhe von 34,28 €,
20d) im Tarif PET die Beitragsanpassung zum 01.07.2020 in Höhe von 13,08 €
21und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war;
223.)
23die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite 2.638,72 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
244.)
25festzustellen, dass die Beklagte
26a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) und 2) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
27b) die nach 4a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat;
285.)
29die Beklagte zu verurteilen, die Klägerseite hinsichtlich der außergerichtlichen anwaltlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.212,61 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Sie wendet ein:
33Alle Beitragsänderungen seien materiell und formell wirksam. Die außergerichtliche Tätigkeit der Klägervertreter sei nicht erforderlich gewesen.
34Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
35Die zunächst beim Amtsgericht A. erhobene Klage ist von diesem mit Beschluss vom 14.02.2023 – N04.) wegen sachlicher Unzuständigkeit an das Landgericht Kleve verwiesen worden. Mit Schriftsatz vom 16.05.2023 hat die Klägerin ihre Anträge neu gefasst und die weitergehende Klage zurückgenommen. Das Gericht hat Hinweise erteilt mit Beschluss vom 19.01.2024 (Bl. 619 d.A.).
36Entscheidungsgründe:
37Die zulässige Klage ist unbegründet.
38I.
39Die Klage ist zulässig.
401.)
41Das Landgericht Kleve ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts A. nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO, aber auch nach § 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig. Es besteht keine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Kleve nach § 38 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 22 Abs. 2 AVB-G. Die Gerichtsstandsvereinbarung in § 22 AVB-G ist unwirksam, weil der Versicherungsnehmer als eingetragener Verein kein Kaufmann ist und ihm damit die Prorogationsfähigkeit fehlt. Es besteht kein Klever Gerichtsstand nach § 215 Abs. 1 S. 1 VVG, weil die Klägerin nur Versicherte und nicht Versicherungsnehmerin ist und der Versicherungsnehmer seinen Sitz in O. hat. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG begründet keinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherten (LG Kleve, Beschluss vom 18.09.2018 – 6 O 30/18 = VersR 2019, 183; Looschelders in: MüKo-VVG, 3. Aufl. 2024, § 215, Rn. 16). Das Landgericht Kleve ist auch nicht nach §§ 12, 17 ZPO örtlich zuständig, weil die Beklagte ihren Sitz ebenfalls in O. hat. Es ist aber gemäß § 39 S. 1 ZPO örtlich zuständig, weil die Beklagte sich rügelos zu Sache eingelassen hat. § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO steht dem nicht entgegen. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG und §§ 12, 17 ZPO sind keine ausschließlichen Gerichtsstände.
422.)
43Ob für alle Feststellungsanträge ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO besteht, kann vorliegend offenbleiben. Ein solches ist bei einer Feststellungsklage nur für ein zusprechendes Urteil eine Zulässigkeitsvoraussetzung. Ist der Feststellungsantrag aber unbegründet, kann er auch bei zweifelhaftem oder fehlendem Feststellungsinteresse in der Sache abgewiesen werden.
44II.
45Die Klage ist in der Sache unbegründet.
461.)
47Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die mit den Klageanträgen Nr. 1 und Nr. 2 begehrten Feststellungen.
48Die Klägerin ist nicht berechtigt, etwaige Unwirksamkeiten von Prämienänderungen nach § 203 VVG durch die Beklagte in dem streitgegenständlichen Gruppenversicherungsvertrag geltend zu machen, da sie unstreitig nicht Versicherungsnehmerin, sondern nur Versicherte ist. Vertragspartner der Beklagten ist nicht die Klägerin, sondern der R.. als Versicherungsnehmer.
49Trotz § 44 VVG hat der Versicherte nicht die Rechte eines Vertragspartners, soweit nichts Anderes vereinbart worden ist. Er kann insbesondere keine Gestaltungsrechte ausüben und dem Inhalt des Versicherungsscheins nicht wirksam widersprechen (OLG Hamm, Beschluss vom 03.05.2017 – 20 U 210/16 = VersR 2018, 380; Marlow in: BeckOK-VVG, Stand 01.02.2024, § 44, Rn. 3; Klimke in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 44, Rn. 2; Muschner in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl. 2020, § 44, Rn. 3; Schramm/Kassing in: Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht, 3. Aufl. 2022, § 44 VVG, Rn. 6). Demgemäß kann er auch die Unwirksamkeit von Vertragsänderungen – zu denen auch die Erhöhung der Versicherungsprämie durch den Versicherer gehört – nicht geltend machen, weil dies allein dem Versicherungsnehmer als Vertragspartner obliegt. Eine von § 44 VVG abweichende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Die AVB-G enthalten keine Klausel, welche dem Versicherten erlaubte, die Unwirksamkeit der festgesetzten oder geänderten Prämienhöhe gegen die Beklagte geltend zu machen. Eine von § 44 VVG abweichende Vereinbarung behauptet keine der Parteien.
502.)
51Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 2.638,72 € aus §§ 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1, 818 BGB.
52Die Beklagte ist nicht durch Leistung der Klägerin ohne rechtlichen Grund bereichert.
53Der Versicherte ist nicht Inhaber des Anspruchs auf Prämienrückerstattung, dieser Anspruch steht vielmehr dem Versicherungsnehmer zu (Koch in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 4. Aufl. 2023, § 44, Rn. 4; Klimke in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 44, Rn. 3; Muschner in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl. 2020, § 44, Rn. 3). Prämienschuldner ist nämlich der Versicherungsnehmer und nicht der Versicherte. Dass vorliegend abweichend von diesem Regelfall die Klägerin als Versicherte anstelle des Versicherungsnehmers Vertragsschuldner der Prämien wäre, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Den AVB-G lässt sich nicht entnehmen, dass die Klägerin statt des I. Schuldner der Prämienforderung sein sollte. § 17 Abs. 2, Abs. 3 AVB-G enthalten keine entsprechende Regelung, die Zahlungspflicht ist dort passivisch formuliert. § 17 AVB-G ist vielmehr dahingehend auszulegen, dass der Versicherungsnehmer im Verhältnis zur Beklagten Beitragsschuldner ist. Das ergibt sich zum einen aus dem allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsatz, dass der Vertragspartner Schuldner des Entgelts ist und u.a. auch aus der Regelung in § 17 Abs. 1 S. 2 AVB-G: „Die Fälligkeit des Beitrags richtet sich nach den mit dem Versicherungsnehmer im Gruppenversicherungsvertrag getroffenen Vereinbarungen.“ § 8 AVB-G enthält ebenfalls keine Übertragung etwaiger Kondiktionsansprüche, vielmehr handelt es sich um eine dem Umfang des § 44 Abs. 1 VVG entsprechende Rechtsübertragung.
54Soweit die Klägerin die Beiträge an die Beklagte gezahlt hat, hat sie damit als Dritte nach § 267 Abs. 1 BGB die Beitragsschuld des I. und zugleich ihre aus ihrem Vertragsverhältnis mit dem Versicherungsnehmer folgende Freistellungspflicht gegenüber dem I. erfüllt. Damit ist die Leistung der Klägerin im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1 BGB an den I. erfolgt, weil sie diesen von seiner Prämienzahlungspflicht freigestellt hat. Etwaige Ansprüche sind daher gegen diesen als ihren Vertragspartner zu richten.
553.)
56Mangels bestehender Hauptansprüche bestehen keine Ansprüche auf Nutzungsersatz, Zinsen und Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten.
57III.
58Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
59IV.
60Die Anordnungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr. 1, 711 ZPO.
61V.
62Streitwert: bis 6.000,- €
63Der Streitwert ergibt sich gemäß § 39 Abs. 1 GKG aus der Summe der Streitwerte der einzelnen Anträge. Dabei ist bei dem jeweiligen Antrag auf den jeweils höchsten im Verfahren geltend gemachten Wert abzustellen, weil teilweise Klagerücknahmen streitwertmäßig irrelevant sind (§ 40 GKG) und eine Wertaddition nach § 39 Abs. 1 GKG gerade nicht voraussetzt, dass die Ansprüche gleichzeitig geltend gemacht worden sind (Kurpat in: Schneider/Kurpat, Streitwertkommentar, 15. Aufl. 2022, Rn. 2.2551; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2023 – 13 W 3/23, juris).
64Demgemäß ist der (negative) Feststellungsantrag gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO mit dem 42fachen des streitigen Monatsdifferenzbetrages von 18,79 € - und damit insgesamt 789,18 € - zu bewerten.
65Der Zahlungsantrag ist mit dem Nennbetrag der höchsten im Verfahren geltend gemachten Hauptforderung von 4.963,42 € zu bewerten.
66Zinsen und Anwaltskosten sind wegen § 43 GKG, § 4 ZPO nicht streitwerterhöhend. Ob der geltend gemachte Anspruch auf Nutzungsersatz streitwerterhöhend ist, kann offenbleiben. Selbst wenn das der Fall ist, führt das nicht zu einem Gebührensprung.
67Rechtsbehelfsbelehrung zur Streitwertfestsetzung:
68Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Landgericht Kleve statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- € übersteigt. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Kleve, Schloßberg 1 (Schwanenburg), 47533 Kleve, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
69Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
70Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
71Unterschrift
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73Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.