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Landgericht Kleve, 120 Qs 71/22

Datum:
14.11.2022
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
die 2. Strafkammer des Landgerichts Kleve
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
120 Qs 71/22
ECLI:
ECLI:DE:LGKLE:2022:1114.120QS71.22.00
 
Schlagworte:
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln bei Übernahme und Transport von Setzlingen der Hanfpflanze
Normen:
BtMG § 29a Abs. 2 Nr. 1, § 30 Abs. 1 Nr. 4
Leitsätze:

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln liegt bereits dann vor, wenn Setzlinge von Marihuanapflanzen übernommen und transportiert werden, die dazu bestimmt sind, in einer Plantage herangezüchtet zu werden, und die nach den Vorstellungen der damit befassten Personen eine möglichst hohe Menge an Tetrahydrocannabinol ausbilden und sodann als möglichst „gutes“ Marihuana gewinnbringend weiterveräußert werden sollen (entgegen BGH, Urteil vom 15.03.2012 – 5 StR 559/11).

 
Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschuldigten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.                          

Der Beschuldigte transportierte am 06.09.2022 mit dem von ihm gelenkten PKW VW Golf mit dem amtlichen niederländischen Kennzeichen NG-##### insgesamt 470 Hanfpflanzen aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland. Die Pflanzen wurden nach der Einreise des Beschuldigten bei einer auf der Bundesautobahn A 57 in Höhe der Anschlussstelle Sonsbeck durchgeführten Kontrolle der Bundespolizei entdeckt und sichergestellt. Der Beschuldigte gab in einer Spontanerklärung an, er sei auf dem Weg nach Köln und solle bei Ankunft eine Zieladresse erhalten; weitere Angaben zur Sache machte der Beschuldigte auch in der Folgezeit nicht.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Kleve am 07.09.2022 einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten wegen des dringenden Verdachts der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

Gegen den Haftbefehl richtet sich die von dem Verteidiger des Beschuldigten in dessen Namen eingelegte Haftbeschwerde, mit der geltend gemacht wird, es liege weder ein dringender Tatverdacht noch einer der vom Amtsgericht angenommen Haftgründe (Flucht- und Wiederholungsgefahr) vor.

II.                       

Die Haftbeschwerde des Beschuldigten ist unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft weiterhin vorliegen.

Untersuchungshaft kann gegen einen Beschuldigten gemäß § 112 StPO angeordnet werden, wenn er einer Straftat dringend verdächtig ist, ein Haftgrund (z.B. Fluchtgefahr) besteht und die Anordnung verhältnismäßig ist.

Beim derzeitigen Stand der Ermittlungen ergibt sich hier ein dringender Tatverdacht der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Soweit die Beschwerde darauf verweist, es handele sich bei den beim Beschuldigten sichergestellten Pflanze lediglich um Setzlinge, ändert dies grundsätzlich nichts an ihrer Eigenschaft als Betäubungsmittel. Cannabis zählt nach der Beschreibung in Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz zu den nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln; dies gilt für alle Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen. Eine der unter dem Begriff Cannabis in Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz unter a) bis e) aufgeführten Ausnahmen liegt hier nicht vor. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die sichergestellten Pflanzen aus einem Anbau stammen, der zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle erfolgt ist (vgl. dazu Punkt e) zur Beschreiben von Cannabis in Anlage I i. V. m. Anlage III).

Auch wenn die sichergestellten Pflanzen in einem frühen Wachstumsstadium waren und ein Gutachten über ihren Wirkstoffgehalt noch nicht vorliegt, waren sie ausweislich der gefertigten Lichtbilder doch bereits als Cannabispflanzen deutlich erkennbar. Die insgesamt 470 Pflanzen hatten bereits die typischen langgezogenen Blätter mit gezacktem Rand ausgebildet. Angesichts dieses Wachstumsstadiums besteht der dringende Verdacht, dass allein die sichergestellten Pflanzen bereits in ihrer Gesamtheit eine Menge an Tetrahydrocannabinol ausgebildet hatten, die die Grenze zur nicht geringen Menge dieses Wirkstoffs (7,5 g Tetrahydrocannabinol) übersteigt. Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auf die Feststellungen, die dem von der Beschwerde zitierten Urteil des BGH vom 15.03.2012 – 5 StR 559/11 – zugrunde lagen. In jenem Fall hatte der Betroffene 551 Setzlinge mit insgesamt 23 g Tetrahydrocannabinol transportiert.

Handeltreiben ist jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, einschließlich einmaliger, vermittelnder und unterstützender  Tätigkeiten (BGH St 50,252).

Soweit der 5. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 15.03.2012 die Auffassung vertreten hat, dass es sich bei einem Transport von Setzlingen noch fernab der Plantage, in die die Pflanzen eingebracht werden sollen, noch um eine – straflose – Vorbereitungshandlung handelt (BGH, a. a. O. zitiert nach juris, RdNr. 8), vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen (zweifelnd BGH, Urteil vom 29.09.2016 – 2 StR 591/15, RdNr. 17; ablehnend Patzak, Anm. zur Entscheidung vom 15.03.2012, in NStZ 2012, 515 f. sowie Patzak/Goldhausen, NStZ 2014, 384, 387).

Der Anbau von Cannabis-Pflanzen, der auf die gewinnbringende Veräußerung der herzustellenden Betäubungsmittel zielt, erfüllt den Tatbestand des Handeltreibens. Der Verbrechenstatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist dabei verwirklicht, wenn mit der Aufzucht der Pflanzen eine nicht geringe Menge des Betäubungsmittels erzielt werden soll (BGH, Urteil vom 19.02.2015 – 3 StR 546/14 –, Rn. 9, juris, mit weiteren Nachweisen). Bei diesem weiten Verständnis vom Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln stellt auch bereits die Übernahme von Setzlingen, die in einer Plantage bis zur Erntereife herangezogen werden sollen, unabhängig von der „Nähe“ der Setzlinge zu einer bestimmten Plantage einen Teilakt des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge dar. Für die Annahme eines Handeltreibens kommt es nämlich nicht darauf an, dass ein konkretes Umsatzgeschäft zum Zwecke der Weiterveräußerung des Rauschgifts von dem Täter ins Auge gefasst wird. Bereits der Ankauf von Betäubungsmitteln, die später an „Zwischenhändler“ (Dealer) oder Endverbraucher gegen Entgelt weitergegeben werden sollen, reicht aus, um den Tatbestand des Handeltreibens zu erfüllen. Darüber hinaus liegt Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann vor, wenn der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum Gewinn bringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit dem potenziellen Verkäufer eintritt, selbst wenn es zu einem Vertragsabschluss nicht kommt (BGH, Beschluss vom 26.10.2005 – GSSt 1/05 -, NJW 2005, 3790 mit weiteren Nachweisen). Im vorliegenden Fall ist durch den Transport der Setzlinge das Stadium des Geschehens, in dem allein über den Abschluss eines Geschäfts verhandelt wird, bereits überschritten; hier sind die Pflanzen, aus denen das verkaufsfähige Marihuana gewonnen werden soll, bereits in den Verkehr gelangt.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Übernahme von Hanf-Setzlingen ein Teilakt eines auf die gewinnbringende Weiterveräußerung von Betäubungsmitteln (Marihuana) gerichtetes Handelns. Die Pflanzen sind dazu bestimmt, in einer Plantage herangezüchtet zu werden, welche nach den Vorstellungen der damit befassten Personen eine möglichst hohe Menge an Tetrahydrocannabinol ausbilden und sodann als möglichst „gutes“ Marihuana, von dessen Qualität der erzielbare Verkaufspreis abhängt, gewinnbringend weiterveräußert werden sollen.

Der dringende Verdacht, dass dies auch hier der Fall ist, ergibt sich bereits aus der Menge der sichergestellten Pflanzen. Nach der vom Beschuldigten nach seiner Festnahme getätigten Spontanäußerung sollte er die Pflanzen zu einem ihm noch gesondert mitzuteilenden Zielort bringen. Eine Weitergabe einzelner Pflanzen an eine Vielzahl von Einzelpersonen war offensichtlich nicht geplant. Die Pflanzen hatte der Beschuldigte in den Niederlanden übernommen, die als Hauptumschlagplatz für Drogen in Europa bekannt sind und aus denen nach der Erfahrung der Kammer der größte Teil der zur Heranzucht in Indoor-Plantagen bestimmten Pflanzen stammen. In diesen Plantagen werden üblicherweise große, für eine Vielzahl von Endverbrauchern bestimmte Marihuanamengen produziert, wobei eine Ernte zu einem Ertrag von mehreren Kilogramm THC-reichem Pflanzenmaterial führt.

Selbst wenn man sich der hier vertretenen Auffassung nicht anschließt, derzufolge bereits die Übernahme der Pflanzen noch nicht den Tatbestand des Handeltreibens erfüllt, sondern lediglich eine Vorbereitungshandlung darstellt, führt dies nicht dazu, dass der Beschuldigte als straflos anzusehen ist. Es ist bereits an anderer Stelle ausgeführt worden, dass der dringende Verdacht besteht, dass die sichergestellten Pflanzen eine Gesamtmenge an Tetrahydrocannabinol enthalten, die den Grenzwert zur nicht geringen Menge deutlich übersteigt. In diesem Fall ist der Beschuldigte jedenfalls der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) dringend verdächtig.

Darüber besteht der dringende Tatverdacht einer Verabredung zu einem Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) bzw. des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG). Aus der Spontanäußerung des Beschuldigten bei seiner Festnahme kann geschlossen werden, dass der Beschuldigte mit weiteren Personen zusammengearbeitet hat (Lieferanten der Pflanzen, Betreiber der Plantage), die sich zusammengeschlossen haben, um durch den Betrieb einer oder mehrerer Plantagen eine große Menge zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmtes Marihuana zu erzeugen. Angesichts des Aufwandes, den der Betrieb einer Plantage erfordert (Pflege und Beaufsichtigung der Pflanzen, Ergreifen und Aufrechterhalten von Schutzmaßnahmen gegen eine Entdeckung der Plantage durch Dritte), liegt es nahe, dass hier eine Vielzahl weiterer Personen in das Tatgeschehen verstrickt ist. Dafür spricht ferner, dass der Beschuldigte im April 2022 nach Einreise auf der BAB 30 über den Grenzübergang Bad Bentheim ebenfalls wegen des Transports von seinerzeit 800 Cannabispflanzen in Erscheinung getreten ist. Soweit die Staatsanwaltschaft Osnabrück ein Strafverfahren gegen den Beschuldigten – möglicherweise im Hinblick auf die vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertretene Rechtsauffassung – nicht weiter betrieben hat, ist die Kammer an diese Entscheidung nicht gebunden. Zudem belegt die innerhalb kurzer Zeit zweimal in gleicher Weise gezeigte Vorgehensweise, dass der Beschuldigte tatsächlich im Zusammenwirken mit anderen Personen sich mit dem Zweck der Erzeugung von zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmtem Marihuana zusammengetan hat.

2) Derzeit besteht auch Fluchtgefahr, da die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte – wenn er sich auf freiem Fuße befände - dem Strafverfahren durch Untertauchen entzieht, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Selbst wenn der Beschuldigte angesichts der vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertretenen Auffassung nicht wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt werden sollte, stellen auch die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie die Verabredung zu einem Verbrechen des (bandenmäßigen) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ihrerseits Verbrechenstatbestände dar, die auch unter Berücksichtigung der von § 30 BtMG vorgeschriebenen Strafrahmenverschiebung zu mehrjährigen Haftstrafen führen können. Diese Strafdrohung bietet einen erheblichen Fluchtanreiz, dem anders als durch den Vollzug der Untersuchungshaft nicht begegnet werden kann. Der Beschuldigte hat in Deutschland keine sozialen Kontakte. Seine Familie lebt in den Niederlanden. Er verfügt über keine Arbeitsstelle; das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes wird auch mit der Beschwerdebegründung nicht geltend gemacht. Der Beschuldigte unterhält überdies nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen Kontakte zu Personenkreisen, die auch grenzüberschreitend mit der Erzeugung von/dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in großen Mengen befasst sind. Er kann mithilfe dieser Personen untertauchen und wäre für die Strafverfolgungsbehörden nicht greifbar.

Da trotz erweiterter Rechtshilfemöglichkeiten innerhalb der EU der Strafverfolgungsanspruch von der Justiz in Deutschland effektiver durchgesetzt werden kann, kann im Rahmen der Gesamtwürdigung ohne Verstoß gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot als Anhaltspunkt für Fluchtgefahr gewertet werden, wenn ein (deutscher oder ausländischer) Beschuldigter nur über einen Wohnsitz im Ausland verfügt (LG Kleve NStZ-RR 2011, 342; LG Kleve, Beschluss vom 7.7.2020 – 140 Ks 2/20; KK-StPO-Graf, 8. Aufl.2019, § 112 Rn. 21; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 112 Rn. 20a, vgl. insbesondere zu niederländischen Beschuldigten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteldelikten OLG Oldenburg StV 2010, 254 ff.; KK-StPO-Graf, 7. Aufl.2013, § 112 Rn. 22b).

3) Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch verhältnismäßig. Angesichts des dargestellten hohen Grades der Fluchtgefahr reichen mildere Maßnahmen (§ 116 StPO) nicht aus. Bei einer Straferwartung von 2 Jahren bis zu 11 Jahren und 3 Monaten (bei Verabredung zum Verbrechen des bandenmäßigen Handeltreibens) steht die bislang nicht einmal dreimonatige Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis. Ein Verstoß der Ermittlungsbehörden gegen das Beschleunigungsgebot (Art 6 MRK) ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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