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Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. November 2022 (4 StR 149/22) ist die Angeklagte pp. wegen Rechtsbeugung in 10 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in 6 Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch, schuldig.
Sie wird deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt.
Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie ihre jeweils notwendigen Auslagen. Dies gilt auch für die Kosten des Revisionsverfahrens und ihre insoweit notwendig gewordenen Auslagen.
Angewandte Vorschriften: §§ 133 Abs. 1, Abs. 3, 267 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 4, 339, 13, 52, 53 StGB
Gründe:
2Mit Anklageschrift vom 00.00.0000 (Bd. II Bl. 367 ff. d. A.) hat die Staatsanwaltschaft X. Anklage gegen die Angeklagte wegen Rechtsbeugung in 14 Fällen, davon in 9 Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung, erhoben.
3Mit Eröffnungsbeschluss vom 00.00.0000 (Bd. II Bl. 404 f. d. A.) wurde die Anklageschrift unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und die Hauptverhandlung im Zeitraum zwischen dem 00.00.0000 und dem 00.00.0000 an acht Hauptverhandlungstagen durchgeführt.
4Die Angeklagte wurde schließlich durch Urteil der N01 großen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 (Az. N02) (Bd. III Bl. 561 ff. d. A.) wegen Rechtsbeugung in 10 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in 6 Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
5Auf die Revision der Angeklagten ist das Urteil der N01 großen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 00.00.0000 (Az. N03) (Bd. IV Bl. 827 ff. d. A.) a) im Schuldspruch dahin geändert worden, dass in den Fällen II. 2. e) bis j) der Urteilsgründe (Taten zu Ziffern 6, 7, 8, 11, 13 und 14) jeweils die tateinheitliche Verurteilung wegen Urkundenunterdrückung entfällt, sowie b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben worden. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen worden. Die weiter gehende Revision ist verworfen worden.
6I.
7Die am 00. April 0000 geborene Angeklagte ist in Schwelm geboren und wuchs dort bei ihren Eltern auf. Trotz problematischer Geburt unter Einsatz einer Saugglocke und einer bestehenden Nabelschnurumschlingung, war zwar eine Beeinträchtigung, insbesondere eine Sauerstoffminderversorgung, befürchtet worden, tatsächlich aber nicht eingetreten. In den Brutkasten musste die Angeklagte nicht. Die frühkindliche Entwicklung verlief ohne größere Schwierigkeiten.
8Ihr Vater ist als technischer Zeichner beschäftigt und ihre Mutter, die sich mittlerweile in Rente befindet, war als PTA tätig. Die Angeklagte hat eine Schwester, die dreieinhalb Jahre jünger ist, Sozialpädagogik studiert hat und an einer Grundschule in V. tätig ist.
9Die Angeklagte besuchte in C. einen Kindergarten und wurde mit sechs Jahren auf einer Grundschule ebenfalls in C. eingeschult. Als Schülerin war die Angeklagte von außen betrachtet unordentlich; so war ihr Schulranzen, ebenso wie ihr Schreibtisch zu Hause, unordentlich und sie hatte keine saubere Handschrift. Sie war aber zu einem strukturierten Arbeiten fähig. Da ihr Vater häufiger nicht zu Hause war, stritten sich ihre Eltern zwar zeitweise, dennoch lebte die Angeklagte bis zum Ende der Grundschulzeit in einem harmonischen Elternhaus.
10Nach der Grundschulzeit wurde die Angeklagte auf dem Gymnasium eingeschult, was ihre Eltern Stolz machte. Die Schulzeit absolvierte sie ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Die Angeklagte war eine sehr ruhige Schülerin. Sie trat regelkonform auf und entwickelte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Sie arbeitete zu dieser Zeit ergebnisorientiert, indem sie sich im Unterricht zu Wort meldete, um sodann wieder Ruhe vor einer erneuten Befragung durch den Lehrer zu haben. Sie bezeichnete sich selbst als eher wenig strebsame, durchschnittliche Schülerin. Während der gesamten Schulzeit fehlte ihr der Anschluss an die Klassenkameraden, sie lief eher mit, war nicht die Beliebteste und hat sich häufiger gefragt, welches Verhalten die anderen von ihr erwarten würden. Im Jahr N04 legte sie das Abitur mit einer Durchschnittsnote von 2,1 ab.
11Als die Angeklagte 20 Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Dies hatte sich bereits zuvor angedeutet, nachdem sich der Vater der Angeklagten immer mehr aus dem Familienleben zurückgezogen hatte. Die Mutter der Angeklagten besprach ihre Probleme nicht mit dem Vater, sondern mit ihrer Tochter, der Angeklagten, die sie als ihre Vertrauensperson ansah. Die Angeklagte gab ihr schließlich den Rat, sich zu trennen. Zu der Trennung kam es dann letztlich als die jüngere Schwester der Angeklagten dem Vater davon erzählte, dass die Mutter auf Wohnungssuche war.
12Die Angeklagte hatte mit ihrer Mutter keinen offenen Streit. Vielmehr zeigte die Mutter bei einem der Mutter unliebsamen Verhalten der Angeklagten ihr die kalte Schulter und brachte sie so dazu, sich zu entschuldigen, bevor sie wieder mit ihr sprach. Die Mutter neigte auch dazu, der Angeklagten unangenehme Aufgaben aufzuerlegen.
13Nach der Trennung der Eltern verbesserte sich das Verhältnis der Angeklagten zu ihrem Vater erheblich. Sie sah ihn über Jahre wöchentlich an einem festen Termin. Die zuvor eher oberflächliche Beziehung wurde deutlich enger und besteht bis heute intensiv und vertrauensvoll fort. Die Mutter ist für die Angeklagte trotz aller Probleme auch heute noch ein großer Stützpfeiler. Sie ging eine neue Beziehung ein und zog N05 mit ihrem Lebenspartner und der jüngeren Schwester der Angeklagten zusammen, als die Angeklagte ihre erste eigene Wohnung bezog. Der Lebenspartner der Mutter war für die jüngere Schwester der Angeklagten wie eine Art Vaterersatz. Die Angeklagte selbst schätzte ihn. Der an Parkinson erkrankte und unter Asthma leidende Lebensgefährte der Mutter verstarb im Jahr N06 plötzlich und unerwartet nachts in der Wohnung.
14Die nach dem Tod ihres Lebensgefährten überforderte Mutter der Angeklagten, spannte die Angeklagte in ihren gesamten Tagesablauf ein. Da die Angeklagte zu dieser Zeit bereits als Richterin tätig war, war sie dadurch stark belastet. Auch heute noch kauft die Angeklagte, die als einzige in der Familie ein Auto besitzt, regelmäßig einmal im Monat für die Mutter ein. Die Angeklagte befindet sich dabei in dem Zwiespalt, dass sie sich einerseits in der Pflicht sieht, ihre Mutter zu unterstützen, andererseits aber davon überzeugt ist, dass es nicht ihre Aufgabe ist, das Wochenendprogramm der Mutter zu strukturieren.
15Nach dem Abitur beabsichtigte die Angeklagte zunächst, Psychologie zu studieren, wobei sie, um die Wartezeit für den Studienplatz zu überbrücken, in einer Buchhandlung arbeitete. Letztlich entschied sich die Angeklagte, Rechtswissenschaften in X. zu studieren, da sie das logische Denken sowie die juristische Herangehensweise an Probleme faszinierte. Die Angeklagte hatte kein typisches Studentenleben, da sie während des Studiums bei ihrer Mutter lebte und an den freien Tagen weiterhin in der Buchhandlung arbeitete. Die Angeklagte vermisste ein solches Studentenleben jedoch nicht und bedauert auch nicht, ein solches nicht gehabt zu haben.
16Das Studium fiel der Angeklagten nicht besonders schwer und es verlief ohne Komplikationen. Die Klausuren, auf die sie sich meist „auf den letzten Drücker“ vorbereitete, bestand sie in der Regel, zwar nie mit überragendem Ergebnis, sie benötigte im Vergleich aber auch weniger Vorbereitungszeit als ihre Kommilitonen. Nach Ablauf von acht Semestern legte sie N07 das erste juristische Staatsexamen ab. Danach absolvierte sie den Verbesserungsversuch, da sie mit ihrer Note und insbesondere mit der mündlichen Prüfung nicht zufrieden war, und verbesserte dadurch ihre Examensnote um eine Notenstufe.
17Während des Referendariats interessierte sich die Angeklagte besonders für das Strafrecht. Sie überlegte zwischenzeitlich, Staatsanwältin zu werden, wogegen sie den Beruf der Strafverteidigerin nicht als reizvoll empfand. Während ihrer Station bei der Staatsanwaltschaft X. war sie im Dezernat für Kapitalverbrechen eingesetzt, empfand die Tätigkeit dort aber als langweilig und gleichförmig. Sie war zudem mit einzelnen richterlichen Entscheidungen nicht zufrieden und glaubte teilweise, dass sie eine bessere Entscheidung hätte treffen können.
18Während des Rechtsreferendariats schenkte ihre Mutter ihr für jede Arbeit, die mit der Note vollbefriedigend bewertet wurde, wie besprochen, ein Taschenbuch, sodass die Angeklagte hierdurch eine Motivation – abhängig von der jeweiligen Station – entwickelte, stets eine gute Note zu erzielen. Die weiteren Tätigkeiten und Aufgaben während des Rechtsreferendariats, insbesondere die ihr zugewiesenen Aufgaben der Einzelausbilder, erledigte sie stets fristgemäß. Auch wenn sie damals jeweils nur eine Akte gleichzeitig zu bearbeiten hatte, erledigte sie diese meist eher zum Ende der ihr gesetzten Frist.
19Noch während des Rechtsreferendariats entschloss sich die Angeklagte nach dem zweiten juristischen Staatsexamen dazu, in den richterlichen Dienst eintreten zu wollen. Sie bereitete sich über mehrere Wochen intensiv auf die Prüfungen vor. Nachdem sie die zweite juristische Staatsprüfung bestanden hatte, bewarb sie sich im Frühjahr N05 für den richterlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen und wurde eingestellt (wird unter „II.A.“ weiter ausgeführt).
20Seit ihrer Krankschreibung ab dem 00.00.0000 begab sich die Angeklagte in Therapie bei dem Psychotherapeuten Herrn Dr. med. Rucki aus X., zunächst mit Sitzungen in einem wöchentlichen Rhythmus und nun in einem etwa vierwöchigen Rhythmus. Die einstweilige Anordnung betreffend ihre Amtsenthebung ist rechtskräftig, das Hauptsacheverfahren ruht bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens. Ihre Bezüge sind bei 70% geblieben. Einer anderen Tätigkeit geht die Angeklagte nicht nach.
21Die Angeklagte ist bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten; ihr Bundeszentralregisterauszug vom 00.00.0000 enthält keine Eintragung.
22II.
23A.
24Das Tatgeschehen ist durch die in Ziffer II. getroffenen Feststellungen des Urteils der N01 großen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 (Az. N02) wie folgt rechtskräftig festgestellt:
25„1. Werdegang im richterlichen Dienst / Tätigkeit am Amtsgericht K. und Arbeitsbelastung der Angeklagten
26Nachdem die Angeklagte im Jahr N05 in den richterlichen Dienst eingetreten war, erfolgte zunächst eine ca. einjährige Verwendung in einer erstinstanzlichen Zivilkammer am Landgericht U.. Im Anschluss war sie etwa neun Monate am Amtsgericht E. tätig, wo sie vornehmlich Bußgeldsachen bearbeitete, ehe sie dienstlich zwischen dem Amtsgericht G. und dem Amtsgericht K. geteilt war und nach einem Jahr vollständig an das Amtsgericht K. wechselte. Ende des Jahres N08 wurde sie dort zur Richterin auf Lebenszeit ernannt und bearbeitete seitdem mit der Hälfte ihres Arbeitskraftanteils Familiensachen und darüber hinaus insbesondere Straf- und Bußgeldsachen sowie einmal in der Woche Ermittlungsrichtersachen. Der Anteil der Verfahren betreffend ihrer Tätigkeit als Strafrichterin, machte dabei etwa ein Viertel ihres Arbeitskraftanteils aus.
27Die Angeklagte war innerhalb des Amtsgerichts, aber auch in der Anwaltschaft sowie bei der Staatsanwaltschaft eine angesehene Richterin. Sie war geschätzt und wurde aufgrund ihrer fachlichen Qualität in materiell-rechtlicher Hinsicht, aber vor allem aber auch in prozessrechtlicher Hinsicht, von dienstälteren Kollegen um Rat gebeten, sofern schwierigere Rechtsprobleme eine Beratung erforderten. Insbesondere wenn komplizierte rechtliche Probleme in familienrechtlichen Verfahren zu lösen waren, wurde die Angeklagte häufig angesprochen. Hierbei wurde die Angeklagte teilweise auch von Kollegen von anderen Amtsgerichten des Landgerichtsbezirks telefonisch kontaktiert, um gemeinsam rechtliche Probleme zu diskutieren. Daneben hat die Angeklagte gemeinsam mit Richter am Amtsgericht M. mit dem die Angeklagte persönlich befreundet war, geholfen, ein stark belastetes Dezernat einer Proberichterin, die kurzfristig nach K. abgeordnet worden war, mit zu bearbeiten, und hat damit auch gegenüber anderen Kollegen überobligatorisch Hilfe geleistet. Auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern des nichtrichterlichen Dienstes war die Angeklagte sehr beliebt und duzte sich mit den ihr zugeteilten Mitarbeitern der Geschäftsstelle.
28Auf der anderen Seite traten nach ihrer Ernennung auf Lebenszeit bereits ab dem Jahr N06 erste Unregelmäßigkeiten in der Aktenführung auf. So begann die Angeklagte, einzelne familienrechtliche Verfahren über längere Zeiträume unbearbeitet zu lassen, während sie im selben Zeitraum andere Verfahren ohne jede Beanstandung führte. Dies führte dazu, dass die im Jahr N09 verstorbene frühere Direktorin des Amtsgerichts S. immer wieder auf der Geschäftsstelle der Familienabteilung gezielt danach erkundigte, inwiefern die Angeklagte die ihr zugewiesenen Verfahren förderte. Diese Nachfragen erfolgten zuletzt nahezu wöchentlich. Mit dem Tod der damaligen Direktorin blieb dies für die Angeklagte aber ohne Konsequenzen und die Angelegenheit geriet zunächst in Vergessenheit.
29Jedenfalls ab dem Jahr N09 bemerkte Justizamtsinspektor A., der die von der Angeklagten geführten Strafverfahren auf der Geschäftsstelle der Strafabteilung bearbeitete, dass es auch dort zu Unregelmäßigkeiten gekommen war. So war ihm aufgefallen, dass in ca. 12 bis 13 Verfahren die Urteilsabsetzungsfristen teilweise um mehrere Tage, teilweise um mehrere Wochen und teilweise über ein Jahr hinaus versäumt worden waren. Herr A. notierte sich aufgrund dessen die betreffenden Aktenzeichen und sprach die Angeklagte mehrmals im Jahr N09 auf die Verfahren an. Diese wiegelte indes jeweils die Ansprachen ab und bearbeitete die Verfahren auch weiterhin nicht. Aufgrund dessen begab sich Herr A. im November N09 zunächst zu Richter am Amtsgericht O. und berichtete diesem von seinen Beobachtungen und der Reaktion der Angeklagten.
30Richter am Amtsgericht O. wartete zunächst ein paar Tage ab und sprach die Angeklagte sodann auf beobachtete Unregelmäßigkeiten in der Strafabteilung – von Problemen im familienrechtlichen Dezernat war ihm nichts bekannt – an und konfrontierte diese mit den Beobachtungen des Justizamtsinspektors A.. Die Angeklagte reagierte hierauf überrascht und entgegnete lediglich: „Ach? Ja, weiß ich auch nicht. Ich muss da mal nachgucken.“ Herr O. bot der Angeklagten sodann seine Hilfe an, da er aufgrund eigener Recherchen wusste, dass es sich bei den betreffenden Strafverfahren zum Teil um rechtskräftige Urteile handelte, die abgekürzt zu den Akten gebracht werden konnten. Ferner riet er der Angeklagten, die Urteile am kommenden Wochenende abzusetzen und später im Vermerkwege auszuführen, weswegen die Urteile zu spät zu den Akten gelangt seien. Nur wenige Minuten nach diesem für den Herrn O. unangenehmen Gespräch, kam die Angeklagte zu Herrn O. in dessen Büro und berichtete über eine andere Akte, als hätte es das vorangegangene Gespräch nicht gegeben.
31Nach dem besagten Wochenende kam es am Anfang der neuen Woche zunächst nicht erneut zu einem Gespräch zwischen der Angeklagten und Richter am Amtsgericht O.. Nachdem Herr O. die Angeklagte am folgenden Donnerstag auf die ausstehenden Urteile angesprochen hatte, berichtete diese davon, dass sie es noch nicht geschafft habe, die Urteile abzusetzen. Herr O. insistierte gegenüber der Angeklagten sodann erneut eindringlich, die Urteile endlich abzusetzen und begab sich sodann in einen mehrwöchigen Erholungsurlaub. Allerdings waren die Urteile auch bis Anfang N10 nicht abgesetzt worden, so dass sich Herr O. an seinen Kollegen, Herrn Richter am Amtsgericht Y. wandte und diesem berichtete, dass er nicht zur Angeklagten vordringe. Dieser entgegnete, dass auch er die Angeklagte nicht erreiche.
32Nachdem Herr A. zwischenzeitlich bemerkt hatte, dass die Urteile weiterhin nicht zu den Akten gebracht worden waren, berichtete er Ende Februar N10 der stellvertretenden Direktorin des Amtsgerichts, Frau Richterin am Amtsgericht P., von seinen Beobachtungen. Auslöser hierfür war maßgeblich, dass Herr A. die Akte betreffend der festgestellten Tat zu Ziffer 3 verfächert auf der Geschäftsstelle aufgefunden hatte und bei ihm der Eindruck entstanden war, dass ihm ein Fehler seitens der Angeklagten in die Schuhe geschoben werden sollte (wird unten näher ausgeführt). In diesem Gespräch schilderte Herr A. die vorgenannten Auffälligkeiten bei der Absetzung von Strafurteilen der Angeklagten und benannte anhand der von ihm geführten Liste sämtliche Verfahren, in der die Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 StPO nicht eingehalten worden war.
33Frau P. bat, nachdem Herr A. ihr hiervon berichtete, sodann die Direktorin des Amtsgerichts J. zu dem Gespräch hinzu. Dadurch, dass sich die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befand, betrat die Direktorin des Amtsgerichts J. nach Abschluss des Gesprächs aufgrund der ihr nunmehr bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten das Dienstzimmer der Angeklagten. Das Dienstzimmer der Angeklagten, welches über einen Garderobenschrank, einen Beistelltisch, einen Schreibtisch mit Computer, mehrere Aktenböcke sowie einem größeren Regal ausgestattet war, befand sich in einem äußerst unaufgeräumten Zustand. Akten lagen nahezu auf jeder verfügbaren Fläche und lagerten auch im Garderobenschrank. Insbesondere befanden sich im Büro verschiedene Sachstandsanfragen, nachdem ein Termin in einer Familiensache mit der Anordnung „weiteres von Amts wegen“ geendet hatte, ebenso wurde unter anderem eine Akte gefunden, in der Termin zur Bekanntgabe einer Entscheidung bestimmt worden war, aber weder eine Entscheidung getroffen wurde noch ein Terminprotokoll vorlag.
34Angesichts dieser Beobachtungen und der Schilderungen von Richterin am Amtsgericht P. bzw. Justizamtsinspektor A., beschloss die Direktorin des Amtsgerichts J. umgehend den Präsidenten des Landgerichts U. zu informieren. Dieser ordnete an, dass sämtliche Verfahrensakten aus dem Büro entfernt und die Akten für eine außerordentliche Geschäftsprüfung bereitgelegt werden sollten, die sodann am folgenden Montag, dem Tag der Rückkehr der Angeklagten aus dem Urlaub, durchgeführt wurde. Obgleich die Angeklagte bereits im Vorfeld durch Richter am Amtsgericht O. von der bevorstehenden Geschäftsprüfung erfahren hatte, reagierte sie hierauf in keiner Weise bestürzt, sondern erschien am Tag der Geschäftsprüfung wie gewohnt zum Dienst und nahm die Vorgänge gleichgültig hin.
35In den darauffolgenden Monaten befand sich die Angeklagte zunächst weiter im Dienst, wobei allerdings angesichts der beginnenden Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen, der Sitzungsbetrieb bzw. der Dienstbetrieb insgesamt deutlich reduziert war. Angesichts einer Präsidiumssitzung im Juni oder Juli N10 wurde entschieden, dass die Angeklagte das von ihr geführte Familiendezernat abgeben und stattdessen das bis zu diesem Zeitpunkt von Direktorin des Amtsgerichts J. geführte Ordnungswidrigkeitendezernat übernehmen solle. Das bisher von der Angeklagten geführte Familiendezernat wurde von der Direktorin des Amtsgerichts J. übernommen. Etwa zu dieser Zeit berichtete die Angeklagte gegenüber der Direktorin des Amtsgerichts J., dass sie sich auf die Warteliste für eine ärztliche Behandlung habe setzen lassen. Die Angeklagte arbeitete anschließend noch einige Wochen weiter und ist seit dem 00.00.0000 bis heute durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
36Die Wohnung der Angeklagten – einschließlich der Kellerräume – wurde am Morgen des 00.00.00 von der Polizei sowie unter Beteiligung von Oberstaatsanwalt F. durchsucht. Nachdem die Angeklagte die Wohnungstür selbstständig geöffnet hatte, betraten zunächst auf Bitten der Angeklagten für einen kurzen Moment nur Oberstaatsanwalt F. und KHK I. die Wohnung, die der Angeklagten sodann den Anlass der Durchsuchung erläuterten und die Angeklagte belehrten. Anschließend betraten auch die weiteren Beamten die Wohnung und begannen mit der Durchsuchung. Während ein Teil der Wohnung, insbesondere das Gäste-WC sowie der Flur, aufgeräumt wirkten, war. das Wohnzimmer vollgestellt und unaufgeräumt. Sowohl das Sofa, als auch ein dazugehöriger Beistelltisch waren übersäht mit zahllosen Gegenständen. Dasselbe galt auch für alle andere Ablageflächen und Teile des Fußbodens. Auch in dem von der Angeklagten als Arbeitszimmer bezeichneten Raum, der aber als solches kaum zu erkennen war, türmten sich zahllose Gegenstände, lose Unterlagen, Ordner und Bücher auf einem Regal oder lagen in Transportkisten, Kartons oder verstreut auf dem Bodenherum. Auch die Küche und das Schlafzimmer der Angeklagten befanden sich in einem vollgestellten und unaufgeräumten Zustand. Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Lichtbilder Nr. 5 – 19 (Blatt 99 – 106 d. A.) verwiesen.
37Nachdem sich die Polizeibeamten sich den zur Wohnung der Angeklagten gehörenden Kellerraum durch diese hatten aufschließen lassen, wurden dort auf dessen rechten Seite zwei übereinander gestapelte Umzugskartons aufgefunden. Im oberen Umzugskarton befand sich oben aufliegend ein blauer Beutel mit der Aufschrift „Klein“, in dem sich mehrere gerichtliche Verfahrensakten befanden. Nachdem der untere Umzugskarton geöffnet wurde, fanden sich auch dort mehrere Verfahrensakten oben aufliegend in dem Karton. Wegen der weiteren Einzelheiten der Auffindesituation wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Lichtbilder Nr. 22 – 25 (Blatt 107-109 d. A.) verwiesen. In den Umzugskartons wurden dabei unter anderem die Akten zu den unten festgestellten Taten zu Ziffer 6, 7, 8, 11, 13 und 14 aufgefunden. Daneben konnten noch drei familienrechtliche Verfahrensakten sowie eine zivilrechtliche Verfahrensakte aufgefunden und sichergestellt werden, die aller-dings nicht Gegenstand der Anklage sind.
38Neben den Verfahrensakten wurden im Rahmen der Durchsuchung in einem Umzugskarton diverse lose, nicht zu den Akten genommene Blätter, die Schriftverkehr von verschiedenen Verfahrensakten betrafen. Eine Vielzahl dieser Blätter betraf hierbei das familienrechtliche Verfahren N11, wobei der jüngste aufgefundene Schriftsatz in dieser Sache vom 00.00.00 datierte.
392. Festgestellte Taten
40Im Zuge der dienstlichen Tätigkeit der Angeklagten kam es konkret zu den nachfolgenden Taten:
41a) Tat zu Ziffer 1 (Az. N12)
42Am 00.00.0000 erließ die Angeklagte auf Antrag der Staatsanwaltschaft U. vom 00.00.0000 gegen L. einen Strafbefehl wegen Körperverletzung, durch den eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen á je 10,00 Euro festgesetzt wurde. Gegen den Strafbefehl legte L. am 00.00.0000 fristgerecht Einspruch ein. Die Angeklagte beraumte daraufhin für den 00.00.00 einen ersten Hauptverhandlungstermin an, zu dem L. und dessen Verteidiger erschienen waren. Am Ende des Termins wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und ein Fortsetzungstermin für den 00.00.0000 bestimmt. Unter dem 00.00.0000 stellte der Verteidiger des L. unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen Terminverlegungsantrag, weil letzterer verhandlungsunfähig erkrankt sei. Zum Termin am 00.00.0000 erschienen weder L. noch dessen Verteidiger.
43Die Angeklagte diskutierte sodann zunächst mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Herrn Oberamtsanwalt i.R. Z. ob das Verfahren ohne L. fortgeführt werden könne. Man kam zunächst überein, dass eine Verwerfung des Einspruchs angesichts des Fortsetzungstermins nicht möglich war. Nachdem Oberamtsanwalt i.R. H. sodann danach fragte, ob L. ordnungsgemäß zum Fortsetzungstermin geladen worden war, war sich die Angeklagte mit Oberamtsanwalt i.R. H. zunächst einig, dass nicht verhandelt werden könne und ein neuer Termin bestimmt werden müsse. Nach einiger rechtlicher Diskussion wurde sodann doch die Verhandlung in Abwesenheit für möglich erachtet und durchgeführt.
44In der Sache wurde sodann zunächst die vorbereitend geladene Zeugin Q. vernommen. Nach Abschluss der Beweisaufnahme beantragte Oberamtsanwalt i.R. Z. den L. zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen a 30,00 Euro zu verurteilen. Die Angeklagte entsprach diesem Antrag und verurteilte L. in dessen Abwesenheit zu der vorgenannten Geldstrafe. Das Protokoll dieser Sitzung unterzeichnete der Protokollführer D. auf der ersten Seite und auf der dritten Seite. Die Angeklagte unterzeichnete das Protokoll auf der dritten Seite und auf einer Anlage zum Protokoll, in der der Urteiltenor aufgeführt war, wobei auch die Anlage in der oberen rechten Ecke durch den Protokollführer, Herrn Justizamtsinspektor D., abgezeichnet wurde. Seite drei des Protokolls, vor der Anlage mit dem Urteilstenor, lautete hierbei:
45„Das Urteil wurde *)
46durch Verlesung der Urteilsformel und durch mündliche Mittelung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe wie Anlage verkündet:
47Im Namen des Volkes
48Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt.
49Das Protokoll wurde fertiggestellt am 00.00.0000“
50Es folgen die Unterschriften der Angeklagten und des Protokollführers.
51In der Folgezeit brachte die Angeklagte allerdings innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 StPO kein Urteil zu den Akten. Nachdem bei der Staatsanwaltschaft U. bis zum 00.00.0000 noch kein Urteil eingegangen war, fragte der zuständige Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft U., Herr Oberamtsanwalt T., telefonisch nach dem Stand des Verfahrens. In diesem Telefonat teilte die Angeklagte wahrheitswidrig mit, dass am 00.00.0000 ein Urteil ergangen sei, sie eine entsprechende Zustellverfügung aber erst heute, also am 00.00.0000, gefertigt habe. Spätestens aufgrund dieses Gesprächs mit Oberamtsanwalt T. bemerkte die Angeklagte, dass sie in der Sache das Urteil mit Gründen weder gefertigt noch zur Geschäftsstelle gebracht hatte.
52Die Angeklagte beabsichtigte spätestens zu diesem Zeitpunkt, die fehlende Absetzung des mit schriftlichen Gründen versehenen Urteils zu verschleiern. Hierzu entnahm sie zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt nach Beendigung des Telefonats mit Oberamtsanwalt T. das von ihr selbst und dem Protokollführer unterzeichneten Hauptverhandlungsprotokoll sowie die Anlage mit dem von ihr handschriftlich verfassten Urteilstenor aus der Akte. Anschließend ersetzte sie die Seiten eins und zwei des Protokolls durch zwei neue, von ihr nachträglich am Computer erstellte Seiten. Der Zweck dieser Abänderung lag darin, vorzuspiegeln, dass der Fortsetzungstermin am 00.00.0000 anders abgelaufen war, als dies tatsächlich der Fall war, und auf diese Weise den Umstand zu verschleiern, dass sie vergessen hatte, in dieser Sache das Urteil zu schreiben. Nach dem von ihr erstellten „Hauptverhandlungsprotokoll“ soll die Hauptverhandlung am 00.00.0000 mit der Begründung ausgesetzt worden sein, dass eine Verwerfung des Einspruchs angesichts des Umstandes, dass es sich um einen Fortsetzungstermin handele, nicht in Betracht komme. Zudem ist wahrheitswidrig ausgeführt, dass die Zeugin in den Sitzungssaal gerufen und wieder entlassen worden sei, ohne sie zu vernehmen. Das Protokoll endet schließlich der Wahrheit zuwider mit dem Beschluss „Ein neuer Termin wird von Amts wegen bestimmt“.
53Die von ihr neu erstellten Seiten eins und zwei des Hauptverhandlungsprotokolls heftete sie mit der Seite drei des ursprünglichen Hauptverhandlungsprotokolls, die wie ausgeführt sowohl ihre eigene als auch die Unterschrift des Protokollführers trug, wieder in die Akte. Die Originalprotokollblätter der Seite eins und zwei sowie die Anlage mit dem Urteilstenor legte sie an einem nicht näher aufklärbaren Ort innerhalb ihres Dienstzimmers ab.
54Nachdem auch in den folgenden Wochen die Akte mit Urteil nicht zur Staatsanwaltschaft U. gelangt war, fragte Oberamtsanwalt T. am 00.00.0000 gegenüber der Angeklagten erneut telefonisch nach dem Sachstand. In diesem Gespräch behauptete die Angeklagte der Wahrheit zuwider, dass am 00.00.0000 doch kein Urteil gesprochen worden sei; sie habe sich beim letzten Telefonat offenbar versprochen. Es sei am 00.00.0000 lediglich beabsichtigt gewesen, ein Urteil zu sprechen. „Demnächst“ solle die Sache erneut terminiert werden. Oberamtsanwalt T. nahm diese Ausführungen zwar etwas verwundert zur Kenntnis. Dadurch, dass die Angeklagte ihm bis zu diesem Tage jedoch nicht negativ aufgefallen war, sondern als fleißige und entscheidungsfreudige Richterin galt, und der damalige Sitzungsvertreter Oberamtsanwalt i.R. H. nur wenige Wochen nach der Sitzung vom 00.00.0000 in den Ruhestand getreten und nicht mehr ohne weiteres zu erreichen war, ging Oberamtsanwalt T. allerdings den widersprüchlichen Angaben der Angeklagten nicht weiter nach und notierte aufgrund der angekündigten Förderung des Verfahrens lediglich eine weitere Wiedervorlagefrist in der Handakte der Staatsanwaltschaft.
55Die Angeklagte beraumte schließlich einen Hauptverhandlungstermin für den 00.00.0000 an. In diesem Termin wurde L. zur Person sowie zur Sache vernommen. In diesem Termin wurde das Verfahren nach Vernehmung eines Zeugen ausgesetzt, um mit Beschluss vom 00.00.0000 ein anthropologisches Sachverständigengutachten einzuholen. Anschließend beraumte sie einen weiteren Hauptverhandlungstermin an und verlegte diesen zweifach, zuletzt auf den 00.00.0000.
56Nachdem die Angeklagte im Sommer N10 längerfristig erkrankt war, beabsichtigte Justizamtsinspektor A. das Büro der Angeklagten aufzusuchen, um zu prüfen, ob sich dort Akten bzw. Aktenbestandteile befinden, die dem Vertreter der Angeklagten vorgelegt werden müssen. Nachdem Herr A. gemeinsam mit einer Kollegin das auch zu diesem Zeitpunkt äußerst unordentliche sowie mit einer Vielzahl von Akten und Aktenbestandteilen versehene Büro betreten hatte und selbst in einer offenen Schreibtischschublade Dienstpost zu sehen war, beschlossen Herr A. und die Kollegin das Büro wieder zu verlassen und die Verwaltung des Amtsgerichts K. vom Zustand des Büros zu unterrichten. Der Grund hierfür lag darin, dass sie – aus Gründen des Eigenschutzes – keine Akten oder Aktenbestandteile aus dem Dienstzimmer der Angeklagten entnehmen wollten.
57Um zu prüfen, ob die von der Angeklagten in ihrem Dienstzimmer gelagerten Akten ihrem Vertreter vorzulegen waren und um die dort befindlichen Aktenbestandteile wieder dem Geschäftsgang zuzuführen, beschlossen die Direktorin des Amtsgerichts J. sowie die stellvertretende Direktorin, Richterin am Amtsgericht P., das Dienstzimmer der Angeklagten zu betreten. Beide teilten sich aufgrund der großen Unordnung auf und trugen aus verschiedenen Bereichen des Dienstzimmers, unter anderem vom Beistelltisch, dem Schreibtisch, dem Garderobenschrank sowie den unverschlossenen Schreibtischschubladen familienrechtliche und strafrechtlich Verfahrensbestandteile zusammen und legten diese zur besseren Ordnung auf separate Stapel. Im Zuge dessen fielen der Direktorin des Amtsgerichts J. in einem nicht mehr näher feststellbaren Bereich des Dienst-zimmers die ersten beiden Protokollblätter des Originalprotokolls vom 00.00.0000 in die Hände, ohne dass dies zunächst größere Aufmerksamkeit erweckte. Die Verfahrensbestandteile wurden sodann zu den jeweiligen Geschäftsstellen verbracht, um diese wieder dem Geschäftsgang zuzuführen.
58Nachdem Justizamtsinspektor A. die beiden Originalprotokollblätter zur Akte nehmen wollte, stellte dieser fest, dass sich in der Akte bereits ein vollständiges Protokoll der Sitzung vom 00.00.0000 befand. Herr A. informierte daraufhin die Direktorin des Amtsgerichts J., die ihrerseits den Protokollführer vom 00.00.0000, Justizamtsinspektor D., unterrichtete. Dieser teilte der Direktorin des Amtsgerichts nach Sichtung der beiden Protokollfassungen ohne zu Zögern mit, dass das Protokoll aus dem Dienstzimmer der Angeklagten angesichts der durch ihn angepassten Formulierungen aus den üblicherweise im Protokoll befindlichen Textbausteine das Originalprotokoll sei, während das in der Akte befindliche Protokoll gefälscht sein müsse.
59Die Direktorin des Amtsgerichts J. sperrte sodann umgehend die elektronische Zugangsberechtigung der Angeklagten, um weitere Manipulationen auszuschließen. Anschließend teilte sie der Angeklagten mit, dass sie ein gefälschtes Protokoll gefunden habe und ihr Zugang zum Amtsgericht gesperrt worden sei. Die Angeklagte erklärte gegenüber der Direktorin, dass sie sich das nicht erklären könne.
60Am 00.00.0000 wurde das Urteil vom 00.00.0000 ohne Gründe dem Verteidiger des L. zugestellt, der gegen dieses Urteil noch am selben Tag Berufung einlegte. Nach Vorlage der Akten bei der Staatsanwaltschaft U., erlangte diese von dem am 00.00.0000 gesprochenen Urteil und der Protokollfälschung Kenntnis und beantragte am 00.00.0000 gegenüber der N13 kleinen Strafkammer des Landgerichts U. die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO. Nachdem die Vorsitzende der N13 kleinen Strafkammer des Landgerichts U. am 00.00.0000 die Verteidigung um Zustimmung zur beabsichtigten Einstellung ersucht hat, wurde das Verfahren sodann am 00.00.0000 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
61b) Tat zu Ziffer 2 (Az. N14)
62Unter dem 00.00.0000 wurde TF. vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich wegen sexueller Belästigung, angeklagt.
63Die Angeklagte führte am 00.00.0000 im vorgenannten Verfahren eine Hauptverhandlung durch, in der TF. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt wurde. Am 00.00.0000 legte der Verteidiger des TF. gegen das Urteil ein nicht näher bezeichnetes Rechtsmittel ein. Die Angeklagte brachte innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 StPO, die mit Ablauf des 00.00.0000 endete, kein schriftliches Urteil zu den Akten. Stattdessen fertigte die Angeklagte zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 00.00.0000 und dem 00.00.0000 das Urteil und legte dieses um den 00.00.0000 auf ihren Aktenbock zum Abtragen. Zudem erstellte die Angeklagte eine Verfügung, mit der sie die Zustellung des Urteils verfügte, wobei die Verfügung von ihr wahrheitswidrig auf den 00.00.0000 rückdatiert wurde. Die Angeklagte tat dies, um vorzuspiegeln, dass sie das Urteil rechtzeitig zu den Akten gebracht habe. Das Urteil gelangte erst am 00.00.0000 auf die Geschäftsstelle der Strafabteilung, auf der der Eingang des Urteils für den 00.00.0000 vermerkt wurde.
64Am 00.00.0000 benannte der Verteidiger des TF. das eingelegte Rechtsmittel als Sprungrevision und beantragte die Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils vom 00.00.0000. Er rügte die Verletzung formellen und materiellen Rechts sowie einen Verstoß gegen § 338 Nr. 7 StPO.
65Unter dem 00.00.0000 gab die Angeklagte aufgrund der Ausführungen des Angeklagten in der Revisionsbegründung eine dienstliche Stellungnahme ab. Diese lautete:
66„Der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle wird richtig sein. Ich fertige meine Urteile selber. An Besonderheiten beim Abfassen des vorliegenden Urteils kann ich mich nicht erinnern. Die Verfügung bezüglich des Rechtsmittels datiert vom 00.00.0000. Am gleichen Tag wurde laut Computer-System auch die Datei mit dem Urteil erstellt. Warum die Akte gleichwohl erst am 00.00.0000 auf der Geschäftsstelle eingegangen ist, kann nicht mehr nachvollzogen werden.“
67In einer dienstlichen Stellungnahme vom 00.00.00 erklärte Justizamtsinspektor A., dass die Ausführungen des Verteidigers in dessen Revisionsbegründung zutreffend und der Eingang des Urteils mit Datum 00.00.0000 zutreffend bescheinigt worden sei.
68Unter dem 00.00.0000 gab die Angeklagte eine ergänzende dienstliche Stellungnahme ab. Diese hatte folgenden Inhalt:
69„Die von mir gefertigten Urteile nebst Verfügung werden üblicherweise unmittelbar nach Fertigstellung von mir unterschrieben und in den Geschäftsgang gegeben, indem ich die Akten auf den Aktenbock zum Abtragen lege. Vorliegend sind mir keine Umstände erinnerlich, die zu einer Abweichung von der dargestellten üblichen Vorgehensweise geführt haben.“
70Beide dienstlichen Stellungnahmen entsprachen nicht der Wahrheit. Die entsprechenden Handlungen der Angeklagten erfolgten, um die Überschreitung der § 275 Abs. 1 StPO genannten Frist zu verschleiern und um der Revision die Tatsachengrundlage zu nehmen.
71Die Generalstaatsanwaltschaft in BP. beantragte daraufhin unter dem 00.00.0000 die Revision des TF. als unbegründet zu verwerfen, weil diese den dienstlichen Stellungnahmen der Angeklagten Glauben schenkte und davon ausging, dass das Urteil tatsächlich von der Angeklagten am 00.00.0000 auf den Abtrag im Dienstzimmer gelegt und somit rechtzeitig zu den Akten gebracht worden war. Nach dieser Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft erörterte TF. mit seinem Verteidiger die Chancen und Risiken der Weiterverfolgung der Revision. Auf Anraten seines Verteidigers nahm VG. die Revision am 00.00.0000 zurück, obgleich der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO objektiv vorlag.
72c) Tat zu Ziffer 3 (Az. N15)
73Am 00.00.0000 erging gegen LN. Haftbefehl. Nachdem er einige Tage Untersuchungshaft verbüßt hatte, wurde der Haftbefehl zunächst am 00.00.0000 außer Vollzug gesetzt.
74Unter dem 00.00.0000 wurde LN. durch die Staatsanwaltschaft U. wegen vorsätzlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. angeklagt. Zudem wurde er am 00.00.0000 durch die Staatsanwaltschaft U. vor dem Amtsgericht – Strafrichter – in K. wegen sexuellen Übergriffs angeklagt. Zu einem ersten von der Angeklagten anberaumten Hauptverhandlungstermin am 00.00.00 war LN. nicht erschienen. Es wurde sodann für den 00.00.0000 ein neuer Hauptverhandlungstermin anberaumt, der damit endete, dass LN. zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt wurde und der Haftbefehl vom 00.00.0000 wieder in Vollzug gesetzt wurde.
75Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger von LN. am 00.00.0000 Berufung ein. Trotz des Umstands, dass die Frist des § 275 Abs. 1 StPO mit Ablauf des 00.00.0000 endete, fertigte die Angeklagte zunächst kein schriftliches Urteil. Obgleich LN. weiterhin Untersuchungshaft verbüßte und die Staatsanwaltschaft U. unter dem 00.00.0000, unter dem 00.00.0000 sowie dem 00.00.0000den Sachstand erfragte und angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogenen viermonatigen Untersuchungshaft um beschleunigte Bearbeitung bat, verfasste die Angeklagte erst zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt nach der ersten Sachstandsanfrage ein schriftliches Urteil, welches erst am 00.00.0000 zu den Akten gelangte, wobei die Angeklagte unter den schriftlichen Urteilsgründen verfügte:
76„II.
77Anzufertigen für die Akte
78Abschrift des Urteils zu Ziffer I.
79K., 00.00.0000
80Amtsgericht
81TJ.
82Richterin am Amtsgericht“
83Die Verfügung hatte die Angeklagte indes absichtlich zurückdatiert. Durch diese Maßnahme wollte die Angeklagte den Eindruck erwecken, dass sie das Urteil rechtzeitig, nämlich am 00.00.0000, zu den Akten gebracht hatte und ihr kein Fehler unterlaufen war. Flankiert wurde dies durch die wahrheitswidrige Verfügung der Angeklagten vom 00.00.0000, in der die Angeklagte auf der Rückseite des am 00.00.0000 zur Akte gelangten Urteils wahrheitswidrig verfügte, dass das Urteil rechtzeitig abgefasst und lediglich versäumt worden sei, die Zustellung des Urteils zu verfügen. Tatsächlich wurde am 00.00.0000 der Eingang der Akte durch die Geschäftsstelle vermerkt. Nachdem die Akte kurz darauf dem Landgericht U. vorgelegt und ein Termin für den 00.00.0000 anberaumt worden war, wurde die Berufung am 00.00.0000 aufgrund von weiteren anhängigen Verfahren am Amtsgericht Bocholt zurückgenommen.
84d) Tat zu Ziffer 4 (Az. N16 AG K.)
85Unter dem 00.00.0000 wurde AL. vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. angeklagt. Ihm wurde vorgeworfen, durch drei selbstständige Handlungen, zum einen eine vorsätzliche Körperverletzung, zum anderen eine versuchte gefährliche Körperverletzung sowie tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung begangen zu haben.
86Die Angeklagte beraumte für den 00.00.0000 eine Hauptverhandlung an und verurteilte AL. an deren Ende wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30,00 Euro. Am 00.00.0000 legte der Verteidiger gegen dieses Urteil Berufung ein. Die Angeklagte brachte das schriftliche Urteil innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 StPO, die mit Ablauf des 00.00.0000 endete, nicht zu den Akten. Nachdem der Verteidiger des AL. unter dem 00.00.0000 nach dem Sachstand fragte und mitteilte, dass in der Sache insbesondere kein Urteil vorliegen würde, bemerkte die Angeklagte ihren Fehler. Um diesen zu verschleiern, fertigte sie das Urteil nunmehr an und fügte am Schluss des Urteils eine Verfügung mit folgendem Inhalt bei:
87„II.
88Anzufertigen für die Akte
89Abschrift des Urteils zu Ziffer I.
90K., 00.00.0000
91TJ.
92Richterin am Amtsgericht“
93Ferner datierte die Angeklagte eine Zustellungsverfügung in der Akte auf den 00.00.0000 zurück und legte die Akte anschließend zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt, jedenfalls aber bis zum 00.00.0000, auf der Strafabteilung des Amtsgerichts bewusst in ein falsches Fach der Registratur, nämlich das Terminfach für Jugendsachen (Abteilung N17) welche ebenfalls durch Justizamtsinspektor A. bearbeitet wurden. Dadurch beabsichtigte die Angeklagte, von ihrem einem eigenen Fehlverhalten abzulenken und eine Fehlleistung des Justizamtsinspektors A. zu vorzutäuschen. Dieser fand die von der Angeklagten bewusst „verfächerte“ Akte am 00.00.0000 bei einer routinemäßigen Durchsicht und notierte im Rubrum den Eingang auf der Geschäftsstelle am 00.00.0000.
94Nachdem die Strafakte sodann unter dem 00.00.0000 durch die Staatsanwaltschaft U. an das Landgericht U. unter Hinweis auf die eingelegte Berufung übersandt worden war, wurde das Verfahren unter dem 00.00.0000 durch Beschluss des Vorsitzenden der N18 Kleinen Strafkammer gemäß § 153a Abs. 1 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von 700,00 Euro vorläufig eingestellt. Die endgültige Einstellung gemäß § 153a StPO erfolgte sodann am 00.00.0000 nach vollständiger Zahlung der vorgenannten Geldauflage.
95e) Tat zu Ziffer 6 (Az. N19)
96Unter dem 00.00.0000 wurde PH. vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. wegen Diebstahls angeklagt. Es folgte sodann unter dem 00.00.0000 eine weitere Anklage gegen ihn vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. wegen fünffachen Erschleichens von Leistungen und eine dritte Anklage vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. vom 00.00.0000 wegen Diebstahls in fünf Fällen. Am 00.00.0000 wurde er erneut wegen Erschleichens von Leistungen vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. angeklagt, ehe er unter dem 00.00.0000 wegen siebenfachen Erschleichens von Leistungen vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K., angeklagt wurde. Schließlich wurde unter dem 00.00.0000 ein Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gegen PH. gestellt, mit dem ihm ein weiterer Diebstahl vorgeworfen wurde.
97Die Angeklagte erließ in den fünf vorgenannten Anklageschriften am 00.00.0000, 00.00.0000 bzw. 00.00.0000 jeweils Eröffnungsbeschlüsse und beraumte für den 00.00.0000 Hauptverhandlungstermin an, in dem die einzelnen Verfahren verbunden wurden. Am Schluss der mündlichen Verhandlung wurde PH. wegen Diebstahls und Erschleichens von Leistungen in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und wegen Diebstahls in zwei Fällen und Erschleichens von Leistungen in sechs Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Gegen das Urteil legte die Verteidigerin des PH. am 00.00.0000 Berufung ein.
98Gleichwohl fasste die Angeklagte kein schriftliches Urteil ab. Stattdessen nahm sie die Akte zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt mit zu sich nach Hause. Dort verbrachte Sie die Akte zu einem ebenfalls nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt in einen Umzugskarton, den sie schließlich in dem zu ihrer Wohnung gehörenden Kellerraum deponierte, um die Akte nicht mehr bearbeiten zu müssen. Die Akte wurde im Zuge der oben beschriebenen Durchsuchung der Wohnung und des Kellerraums der Angeklagten am 00.00.0000 aufgefunden.
99Unter dem 00.00.0000 fragte die Staatsanwaltschaft U. – nach fünf vorangegangenen Sachstandsanfragen – eindringlich nach dem Sachstand und zeigte sich offenkundig erbost darüber, dass nach über einem Jahr kein Urteil zur Akte gelangt war. Die Angeklagte fertigte sodann am 00.00.0000 einen Vermerk, in dem sie wahrheitswidrig behauptete, dass sie die Akte zuletzt mit dem Urteil in Händen gehalten und die Zustellung des Urteils aufgrund der Rechtsmitteleinlegung verfügt habe. Zudem habe sie noch einen Verfügungsvordruck für die Verfügung bei Rechtsmitteln in Strafsachen ausgefüllt und unterschrieben. Die Akte sei seitdem aber verschwunden und der Verbleib lasse sich nicht mehr klären. Eine digitale Kopie des Urteils sei ebenfalls nicht (mehr) vorhanden.
100Dadurch, dass sich die Akte bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Geschäftsgang befand, zeigte Justizamtsinspektor A. am 00.00.0000 den Verlust der Akte gegenüber der Verwaltung des Amtsgerichts K. an. Die Akte wurde sodann bis zum 00.00.0000 rekonstruiert und anschließend dem Landgericht U. aufgrund des von der Verteidigerin des PH. eingelegten Rechtsmittels zugeleitet. Der Vorsitzende der N20 kleinen Strafkammer vermerkte daraufhin, dass das Urteil des Amtsgerichts noch nicht zugestellt worden sei und die Verteidigerin noch die Wahl des Rechtsmittels habe. Sodann verfügte er die Rücksendung der Akte zur Zustellung des Urteils bzw. Tenors. Mit Eingangsstempel vom 00.00.0000 reichte die Angeklagte ein Urteil ohne Gründe zu den Akten, dass schließlich unter dem 00.00.0000 von der Staatsanwaltschaft U. dem Landgericht U. vorlegt wurde.
101Das Verfahren wurde sodann auf Antrag der Staatsanwaltschaft U. mit Beschluss der N20 Kleinen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Zur Begründung führte die Kammer u.a. aus:
102„Das Verfahren wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft vorläufig eingestellt, weil angesichts des Zeitablaufs, des der Justiz anzulastenden Verfahrensgangs und der zumindest teilweise gesamtstrafenfähigen Verurteilung durch das AG K. vom 00.00.0000 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten die in diesem Verfahren zu erwartende Strafe nicht mehr beträchtlich ins Gewicht fallen würde. (…)“
103f) Tat zu Ziffer 7 (Az. N21)
104Unter dem 00.00.0000 wurden ZM. und KT. vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. wegen versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls angeklagt. Nachdem die Angeklagte die Anklage unter dem 00.00.0000 zur Hauptverhandlung zugelassen hatte, wurde am 00.00.0000 ein Hauptverhandlungstermin gegen ZM. und KT. durchgeführt, an deren Ende ZM. wegen versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 20,00 Euro und KT. wegen Beihilfe zum versuchten Diebstahl zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt wurde.
105Gegen dieses Urteil legte KT. am 00.00.0000 Berufung ein.
106Ein schriftliches Urteil fertigte die Angeklagte indes nicht an, sondern nahm die Akte zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt mit zu sich nach Hause. Dort verbrachte Sie die Akte zu einem ebenfalls nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt in einen Umzugskarton, den sie schließlich in ihrem zur Wohnung gehörenden Kellerraum deponierte, um die Akte nicht mehr bearbeiten zu müssen und sie dem Geschäftsgang zu entziehen. Die Akte wurde im Zuge der oben beschriebenen Durchsuchung der Wohnung und des Kellerraums der Angeklagten am 00.00.0000 aufgefunden.
107Eine Vielzahl von Anfragen der Staatsanwaltschaften U. (vom 00.00.0000, 00.00.0000, 00.00.0000 und 00.00.0000), V. (00.00.0000) wurden der Angeklagten zwar noch im Dienstzimmer ohne Akten vorgelegt, von dieser allerdings ebenfalls mit nach Hause genommen und dort in ihrem Keller gemeinsam mit anderen Bestandteilen von verschiedenen Verfahrensakten lose in einen Umzugskarton gelegt.
108Nachdem die Akten und Aktenbestandteile anlässlich der am 00.00.0000 durchgeführten Durchsuchung bei der Angeklagten aufgefunden und sichergestellt worden waren, gelangten diese wieder in den Geschäftsgang. Die Staatsanwaltschaft U. beantragte sodann unter dem 00.00.0000 die Berufung gemäß § 357 StPO analog auf den Mitangeklagten ZM. zu erstrecken. Das Berufungsverfahren ist derzeit noch nicht abgeschlossen.
109g) Tat zu Ziffer 8 (Az. N22)
110Am 00.00.0000 wurde AA. geb. Puksec durch die Staatsanwaltschaft U. vor dem Amtsgericht – Strafrichter – K. wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Nachdem die Anklage unter dem 00.00.0000 durch die Angeklagte zur Hauptverhandlung zugelassen worden war, wurde am 00.00.0000 ein erster Hauptverhandlungstermin und am 00.00.0000 ein Fortsetzungstermin gegen AA. durchgeführt, an deren Ende der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger des FJ. am 00.00.0000 Berufung ein.
111Die Angeklagte bearbeitete die Akte allerdings anschließend nicht mehr und fertigte insbesondere kein schriftliches Urteil an, obgleich die Staatsanwaltschaft U. unter dem 00.00.0000, 00.00.0000, 00.00.0000 und 00.00.0000 mehrmals nach dem Sachstand fragte. Vielmehr nahm sie die Akte zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt mit zu sich nach Hause. Dort verbrachte Sie die Akte zu einem ebenfalls nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt in einen Umzugskarton, den sie schließlich in ihrem zur Wohnung gehörenden Kellerraum deponierte, um die Akte nicht mehr bearbeiten zu müssen und sie dem Geschäftsgang zu entziehen. Die Sachstandsanfragen der Staatsanwaltschaft U. vom 00.00.0000, 00.00.0000 00.00.0000 und 00.00.0000 legte die Angeklagte als lose Blätter separat ebenfalls in einen der beiden Umzugskartons in ihren Keller, wo sie im Zuge der oben beschriebenen Durchsuchung der Wohnung und des Kellerraums der Angeklagten am 00.00.0000 zusammen mit der Akte aufgefunden wurden.
112Nachdem die Akte im Zuge der Wohnungsdurchsuchung im Keller der Angeklagten aufgefunden und sichergestellt werden konnte, gelangten die Akten wieder in den Geschäftsgang. Die Staatsanwaltschaft U. legte die Akte sodann aufgrund des gesprochenen Urteils unter dem 00.00.0000 dem Landgericht U. zur Entscheidung vor. Das Verfahren wurde anschließend bezüglich einer noch in der Akte vorhandenen Nebenklage zunächst der Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme zugleitet, die Nebenklage schließlich unter dem 00.00.0000 zugelassen und ein Hauptverhandlungstermin für den 00.00.0000 anberaumt.
113h) Tat zu Ziffer 11 (Az. N11)
114Unter dem 00.00.0000 stellte EZ. vor dem Amtsgericht – Familiengericht – K. einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe gegen seine minderjährigen Kinder YU., AJ. und JU., die jeweils durch ihre Mutter, EN., gesetzlich vertreten wurden. Inhalt des Antrages war ein geltend gemachter Anspruch auf Anpassung / Herabsetzung des an seine Kinder zu leistenden Unterhalts.
115Die Angeklagte leitete den Antrag unter dem 00.00.0000 den Antragsgegnern zur Stellungnahme zu, die unter dem 00.00.0000 beantragten, den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe zurückzuweisen. Nachdem der Antragsteller hierauf unter dem 00.00.0000 erwiderte, erließ die Angeklagte am 00.00.0000 einen Hinweisbeschluss, mit dem der Antragsteller darauf hingewiesen wurde, dass er seine fehlende Leistungsfähigkeit näher darzulegen habe und sein bisheriges Vorbringen zu unsubstantiiert ausfalle.
116Nachdem die Beteiligten unter dem 00.00.0000, 00.00.0000 und 00.00.0000 noch zur Akte schrieben, meldete sich der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegner und teilte mit, dass er von der Antragstellerseite insgesamt sechs Schriftsätze erhalten habe, die sämtlich nicht weitergeleitet worden seien. Obgleich der Verfahrensbevollmächtigte eine Äußerungsfrist gesetzt hatte, geschah auch in den kommenden Wochen nichts mehr. Vielmehr leitete die Mutter der vorbenannten Kinder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Antragsteller wegen unterbliebener Unterhaltszahlungen ein. Auch in den darauffolgenden Wochen erfolgte keine Sachentscheidung durch die Angeklagte, so dass der Antragsteller unter dem 00.00.0000 eine Untätigkeitsbeschwerde einlegte. Nachdem das Oberlandesgericht ZT. unter dem 00.00.0000 mitteilte, dass eine derartige Beschwerde nicht statthaft sei, nahm der Antragsteller seinen Antrag unter dem 00.00.0000 zurück.
117Am 00.00.0000 und 00.00.0000 erbat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegner zum einen um Rückruf und fragte zum anderen nach dem Sachstand, ehe die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle der Familienabteilung unter dem 00.00.0000 vermerkte, dass die Akte nicht aufzufinden und seit dem 00.00.0000 auf die Angeklagte ausgetragen sei.
118Nachdem anschließend mit der Rekonstruktion der Akte begonnen worden war, stellte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegner am 00.00.000 erneut eine Sachstandsanfrage.
119Zwischenzeitlich hatte die Direktorin des Amtsgerichts J. das Dezernat der Angeklagten übernommen. Die Direktorin des Amtsgerichts teilte den Verfahrensbevollmächtigten mit undatierter Verfügung mit, dass verschiedene Aktenbestandteile in Verlust geraten seien und die Angeklagte das Verfahren nicht bearbeitet habe. Schließlich wurde für den 00.00.0000 ein Verhandlungstermin anberaumt, der indes nicht mehr erforderlich war, weil sich die Beteiligten zwischenzeitlich auf einen Vergleich geeinigt hatten, der unter dem 00.00.0000 gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 278 Abs. 6 ZPO protokolliert wurde.
120Tatsächlich hat die Angeklagte zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt die Akte mit zu sich nach Hause genommen. Dort verbrachte Sie die Akte zu einem ebenfalls nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt in einen Umzugskarton, den sie schließlich in ihrem zur Wohnung gehörenden Kellerraum deponierte, um die Akte nicht mehr bearbeiten zu müssen und sie dem Geschäftsgang zu entziehen. Die Akte wurde im Zuge der oben beschriebenen Durchsuchung am 00.00.0000 zusammen mit den übrigen Akten im Keller der Angeklagten aufgefunden. Auch die weiteren verfahrensgegenständliche Schriftsätze der Beteiligten, zwei Schriftsätze vom 00.00.0000 sowie jeweils ein Schriftsatz 00.00.0000 und 00.00.0000 nahm die Angeklagte aus dem Geschäftsgang und verbrachte die jeweiligen Schriftstücke zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt nach Eingang der Schriftsätze beim Amtsgericht K. zu sich nach Hause und legte diese sodann im Keller in einen der Umzugskartons.
121i) Tat zu Ziffer 13 (Az. N23)
122Mit Schriftsatz vom 00.00.0000 stellte ZA. einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe gegen XZ., der in der Sache einen Stufenantrag betraf, mit dem der Antragsteller auf der ersten Stufe einen Auskunftsanspruch und auf der zweiten Stufe einen Ausgleichsanspruch nach Maßgabe der Auskunft ab dem 00.00.0000 begehrte. Die Angeklagte leitete den Antrag unter am 00.00.0000 zunächst zur Stellungnahme an die Antragsgegnerin weiter, die am 00.00.0000 auf den Antrag erwiderte. Nachdem der Antragsteller unter dem 00.00.0000 die Replik zur Akte reichte, bewilligte die Angeklagte – nachdem der Antragsteller unter dem 00.00.0000 eine Sachstandsanfrage an das Gericht gerichtet hatte – am 00.00.0000 Verfahrenskostenhilfe und leitete das schriftliche Vorverfahren ein.
123Unter dem 00.00.0000 erließ die Angeklagte einen Hinweisbeschluss und regte insbesondere an, den Auskunftsanspruch anzuerkennen. Nachdem die Antragsgegnerin unter dem 00.00.0000 auf den Hinweis erwidert und auch der Antragsteller unter dem 00.00.0000 Ausführungen gemacht hatte, beraumte die Angeklagte unter dem 00.00.0000 einen Güte- und Verhandlungstermin am 00.00.0000 an.
124Hiernach bearbeitete sie die Sache allerdings nicht mehr, sondern nahm die Akte zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt mit zu sich nach Hause. Dort verbrachte Sie die Akte zu einem ebenfalls nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt in einen Umzugskarton, den sie schließlich in ihrem zur Wohnung gehörenden Kellerraum deponierte, um die Akte nicht mehr bearbeiten zu müssen und sie dem Geschäftsgang zu entziehen. Verschiedene Sachstandsanfragen der Antragsgegnerin beantwortete die Angeklagte ebenso wenig wie die Schriftsätze vom 00.00.0000 und 00.00.0000, mit denen um Übersendung des Protokolls der Verhandlung bzw. um Festsetzung des Verfahrenswert ersucht wurde, sondern nahm die Anfragen als lose Blätter mit nach Hause und legte sie ebenfalls in einen der Umzugskartons.
125Nachdem die Akte im Zuge der Durchsuchung der Wohnung bzw. des Kellerraumes der Angeklagten aufgefunden wurde, gelangte diese wieder in den Geschäftsgang und am 00.00.0000 wurde ein Güte- und Verhandlungstermin durch die Direktorin des Amtsgerichts J. abgehalten. Diese teilte im Rahmen der Sitzung mit, dass der Termin am 00.00.0000 wohl noch durchgeführt worden sei, wobei weder das Protokoll des Termins zu den Akten gelangt noch dem Verfahren im Anschluss an den Termin Fortgang gegeben worden sei. Da der Antragsteller zu diesem Termin ohne seinen Rechtsanwalt erschienen war, wurde sein Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm Auskunft über ihr Einkommen zu erteilen, am Schluss der Sitzung durch Teil-Versäumnisbeschluss zurückgewiesen. Hiergegen legte der Antragsteller form- und fristgerecht Einspruch ein. Das Verfahren endete am 00.00.0000 mit einem Schlussbeschluss, mit dem der Teil-Versäumnisbeschluss aufrechterhalten wurde.
126j) Tat zu Ziffer 14 (Az. N24 SO AG RN.)
127Unter dem 00.00.0000 übersandte das Amtsgericht RN. unter dem Aktenzeichen N24 SO einen Sorgerechtsantrag an das Amtsgericht K., für den die Angeklagte zuständig war. Obwohl sie zunächst nur über die Übernahme des Verfahrens hätte entscheiden müssen, bearbeitete sie das Verfahren nicht.
128Vielmehr nahm die Angeklagte die Akte zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt mit zu sich nach Hause. Dort verbrachte Sie die Akte zu einem ebenfalls nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt in einen Umzugskarton, den sie schließlich in ihrem zur Wohnung gehörenden Kellerraum deponierte, um die Akte nicht mehr bearbeiten zu müssen und sie dem Geschäftsgang zu entziehen. Dort wurden sie zusammen mit den übrigen Akten bei der Durchsuchung am 00.00.0000 aufgefunden. Ob und wie das Verfahren geendet hat, konnte nicht festgestellt werden.
129k)
130Nachdem im Zusammenhang mit der außerordentlichen Geschäftsprüfung bemerkt worden war, dass Akten fehlten, wurde sie von der stellvertretenden Direktorin des Amtsgerichts, Richterin am Amtsgericht P. auf den Verbleib der Akten angesprochen. Die Angeklagte händigte daraufhin weitere Akten aus, die sich noch bei ihr zu Hause befunden hatten. Auf die ausdrückliche Frage von Frau P., ob sie noch weitere Akten bei sich zu Hause habe, erklärte die Angeklagte im Wissen darum, dass sich die unter II. 2 e) – j) aufgeführten Akten in ihrem Keller befanden, wahrheitswidrig, dass sich bei sich zu Hause keine weiteren Akten mehr habe.
1313. Einsichts- und Steuerungsfähigkeit
132Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Angeklagten war bei keiner der Taten […] aufgehoben […].“
133B.
134Die Kammer hat darüber hinaus folgende eigene Feststellungen getroffen:
135Während der Tatausführungen war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten auch nicht erheblich vermindert.
136III.
1371.
138Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem entsprechenden Bericht des Vorsitzenden über den bisherigen Gang des Verfahrens im Rahmen der Hauptverhandlung.
1392.
140Die in Ziffer I. dieses Urteils getroffenen Feststellungen zur Person der Angeklagten beruhen in erster Linie auf den zu Ziffer I. der im Wege des Selbstleseverfahrens verlesenen schriftlichen Urteilsgründen der N01 großen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 (Az. N02), die die Angeklagte am 00.00.0000, dem ersten Hauptverhandlungstag, gegenüber der Kammer als zutreffend bestätigt hat. Sie beruhen ferner auf der weiteren Einlassung der Angeklagten sowie auf den zeugenschaftlichen Angaben des Sachverständigen Dr. med. TZ. in seinem in der mündlichen Verhandlung erstatteten Sachverständigengutachten, der den Werdegang der Angeklagten anhand ihrer Angaben im Rahmen der Exploration, wie festgestellt, geschildert hat.
141Sie gründen des Weiteren auf dem die Angeklagte betreffenden und verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 00.00.0000.
1423.
143Soweit die Kammer unter II. B. eigene Feststellungen zur Sache getroffen hat, beruhen diese auf dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme.
144Die Angeklagte hat die Taten – wie durch Urteil der N01 großen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 (Az. N02) festgestellt – in ihrer mündlichen Einlassung in der Hauptverhandlung gegenüber der Kammer eingeräumt. Das war für die Kammer glaubhaft. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Angeklagte fälschlicherweise derart schwerwiegender Taten, wenn auch rechtskräftig festgestellter Taten, bezichtigen würde.
145Die Feststellung, dass keine verminderte Steuerungsfähigkeit der Angeklagten im Sinne des § 21 StGB bei den Tatausführungen vorlag, beruht auf den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. TZ. in seinem in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten forensisch-psychiatrischen Gutachten, wobei sich die Kammer dem Ergebnis der Begutachtung nach eigener Prüfung anschließt.
146Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die im Rahmen der höherfrequenten ambulanten Psychotherapie erarbeitete Hypothese zur Entstehung der Arbeitsstörung auf der Grundlage der Metapsychologie der Psychoanalyse zwar plausibel und nachvollziehbar erscheine, jedoch müsse diese ärztlich-therapeutische Grundüberlegung getrennt werden von der Einordnung der Arbeitsstörung in das juristische Begriffssystem der §§ 20, 21 StGB.
147Es müsse geprüft werden, ob die von der Angeklagten angegebene Arbeitsstörung im Sinne einer Prokrastination und den sich daraus ergebenden strafrechtlichen Konsequenzen einem der vier Eingangsmerkmale des § 20 StGB zuzuordnen ist.
148Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen liegen die ersten drei Eingangsmerkmale (eine krankhafte seelische Störung, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung oder eine Intelligenzminderung) nicht vor, aber auch eine andere schwere seelische Störung ist nicht gegeben.
149Konkret zu der Frage des Vorliegens einer krankhaften seelischen Störung hat sich der Sachverständige mit der im Rahmen des Revisionsverfahrens von dem Verteidiger der Angeklagten eingereichten Stellungnahme des Prof. Dr. med. PN. vom 00.00.0000 auseinandergesetzt. Die darin aufgeworfene Hypothese, wonach es bei der Angeklagten pränatal zu einer Hirnleistungsstörung gekommen sei, die dann zu dieser Arbeitsstörung geführt habe, halte der Sachverständige Dr. med. TZ. für unlogisch. Die Angeklagte habe nach der Geburt nicht in den Brutkasten gemusst, sodass nicht von einer gravierenden Störung auszugehen sei. Auch die frühkindliche Entwicklung verlief ohne größere Schwierigkeiten. Der weitere Werdegang der Angeklagten sei nicht mit einer solchen Exekutivfunktionsstörung vereinbar. Die Umstände, dass die Arbeitsstörung erst N06 eingesetzt und es der Angeklagten unter der Supervision durch den Zeugen O. gelungen sei, ihre Arbeit vollständig zu erbringen, ließen sich mit dem Bestehen einer organischen Störung, die ihre Ursache im pränatalen Stadium habe, nicht in Einklang bringen.
150Anhaltspunkte für andere psychische Störungen haben sich für den Sachverständigen ebenfalls nicht ergeben. Die Biografie der Angeklagten biete keine Hinweise für psychische Störungen. Die Beziehung zur Mutter sei sicher problematisch gewesen und sei dies auch noch, aber der Lebensweg weise sowohl im Hinblick auf die frühkindliche Entwicklung, die Schul- und Studienlaufbahn aber auch die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen keinerlei Besonderheiten auf. Im Gegenteil hätten Mitarbeiter des Amtsgerichts K. über die freundliche, zuverlässige und kommunikative Persönlichkeit der Angeklagten auch in den letzten Jahren berichtet.
151Da der psychische Befund der Angeklagten sowohl anlässlich der Exploration im Disziplinarverfahren im März N25, aber auch zu Beginn der Hauptverhandlung im Oktober N25 vor dem Landgericht unauffällig gewesen sei, fänden sich keine Anhaltspunkte für eines der nachfolgenden Störungsbilder, deren Symptomatik ebenfalls durch Arbeitsstörungen geprägt sein können: ausgeprägte Arbeitsstörung bei depressiven Erkrankungen, ängstlich-vermeidendes Verhalten bei erheblichen generalisierten Angststörungen oder durch Konzentrationsminderung und Hyperaktivität bedingtes Fehlverhalten im Rahmen von Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts-)-Störungen.
152Von der anderen schweren seelischen Störung werde gefordert, dass sie den Lebensweg der Angeklagten maßgeblich und im Zeitverlauf stabil beeinträchtigt hat. Um diese Zuordnung zu treffen, müsse die Funktionsbeeinträchtigung durch die Störung so ausgeprägt sein wie bei einer krankhaften seelischen Störung und die Einbußen an sozialer Kompetenz müssten mit denen einer psychotischen Erkrankung gleichzusetzen sein. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 00.00.0000 (Az. N26) hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass danach die betreffende Symptomatik in ihrer Gewichtung einer krankhaften seelischen Störung gleichen und in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen müsse.
153Soweit sich die Angeklagte zur Erklärung ihres Arbeitsverhaltens auf das Vorliegen einer Prokrastination beruft, hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass diese zwar bei der Angeklagten vorhanden sei, nicht aber ein solches Ausmaß erreiche, dass sie sich unter eine „schwere andere seelische Störung“ subsumieren lasse.
154Der Begriff der Prokrastination habe weder in die internationale Klassifikation psychischer Erkrankungen (ICD-10) der WHO, noch in das Diagnosemanual der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (DSM-5) Eingang gefunden. Trotzdem handele es sich hierbei um eine Verhaltensstörung, die für den Betreffenden mit erheblichem subjektivem Leidensdruck einhergehe und durchaus auch zu relevanten persönlichen Nachteilen führen könne.
155Prokrastination bedeute definitionsgemäß, dass Menschen sich in einem Konflikt zwischen dem, was man tun sollte, und dem, was man stattdessen gerne täte, befinden und dieser Konflikt so lange wie möglich zugunsten dessen gelöst wird, was man lieber macht. In typischer Weise führe die Beschäftigung mit den Alternativmöglichkeiten zumindest vorübergehend zu einer Druckentlastung, wobei der Sachverständige betont hat, dass sich die Angeklagte zwar mit Alternativen, aber juristischen Alternativen, beschäftigt hat, nicht etwa mit dem Lesen von Büchern oder dem Schauen von Fernsehen.
156Um das Arbeitsverhalten der Angeklagten zu verstehen, hat der Sachverständige verschiedene verhaltensanalytische Erklärungsmodelle herangezogen und hierzu erläutert, dass aus verhaltensanalytischer Sicht eine tatsächliche Überforderung der Angeklagten im Zusammenhang mit dem Tod des langjährigen Lebenspartners ihrer Mutter im Jahr N06 das auslösende Ereignis für das dysfunktionale Arbeitsverhalten sein könne. Die Angeklagte sei gezwungen gewesen, ihrer Mutter viele Dinge abzunehmen und für sie zu erledigen, was sich tatsächlich zu Lasten ihrer richterlichen Aufgaben ausgewirkt habe. Aus psychodynamischer Sicht, einem hypothetischen Erklärungsmodell nach Freud, habe sich die Angeklagte mit den Wünschen und Vorgaben ihrer Mutter (im Ich-Ideal verankert) identifiziert und dieser durch Parentifizierung viele unangenehme Aufgaben abgenommen. Als N06 dann plötzlich der Lebenspartner ihrer Mutter verstorben sei, habe sie in einem unbewussten Konflikt gestanden, einerseits ihrer Mutter zu helfen und deren Erwartungen an ihre Person nicht zu enttäuschen, andererseits ihren eigenen Wünschen nach Autonomie und Unabhängigkeit nachzukommen. Die durch diesen innerseelischen Konflikt generierten aggressiven Impulse der Mutter gegenüber habe sie jedoch nicht ausagiert (um diese davor zu schützen), sondern sie auf ihre richterlichen Aufgaben verschoben, die teilweise im Sinne einer Blockade nicht mehr haben ausgeführt werden können. Kurzfristig sei insgesamt ein relativ gesehen besseres Gefühl entstanden, langfristig habe die Angeklagte jedoch erhebliche psychosoziale Auswirkungen bis zum Eintritt eines Disziplinarverfahrens oder eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen sie verzeichnet.
157Beide Sichtweisen hätten jedoch nicht dazu geführt, dass sich die Angeklagte überlastet erlebt und diesbezüglich um Unterstützung gebeten habe.
158Der Sachverständige Dr. med. TZ. ordnet das Arbeitsverhalten der Angeklagten letztlich als Analogie zu sonstigen abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle (ICD-10 F 63.8) ein. In der ICD-10 werde diese Kategorie definiert als ein sich andauernd wiederholendes unangepasstes Verhalten, das nicht Folge eines erkennbaren psychiatrischen Syndroms ist und bei dem die betroffene Person den Impulsen, das pathologische Verhalten auszuführen, nicht widerstehen kann.
159Die von Boetticher vorgeschlagenen Ein- und Ausschlusskriterien zur Annahme einer schweren anderen seelischen Störung seien nicht erfüllt, wobei nicht einmal die Voraussetzung des Bestehens einer Persönlichkeitsstörung im psychiatrischen Sinne gegeben sei, so der Sachverständige. Die Angeklagte habe im Tatzeitraum über erhaltene Verhaltensspielräume verfügt und einen Großteil ihrer Aufgaben zeitgerecht zu erledigen vermocht. Die Realitätskontrolle habe durchgehend bestanden und der Angeklagten sei die Problematik ihres Arbeitsverhaltens stets bewusst gewesen. Es ließen sich keinerlei schwerwiegende Beeinträchtigungen über das Tatgeschehen hinaus identifizieren, dessen Beginn von der Angeklagten erstmals auf das Jahr N06 datiert wird.
160Die Angeklagte habe ihren Lebensweg bis zum Jahre N06 weitgehend als unauffällig beschrieben. Bereits in der Schulzeit, aber vor allem während des Jurastudiums als auch des nachfolgenden Referendariats, habe sie die ihr aufgetragenen Arbeiten zwar häufig „auf den letzten Drücker“ erledigt, jedoch sei es ihr immer gelungen, die betreffenden Arbeiten noch zeitgerecht zu erfüllen und abzuschließen, so dass sie in den Dienst als Richterin auf Lebenszeit berufen wurde und gemäß Einblick in die Personalakte von September N08 bis Dezember N06 als überdurchschnittlich in ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und Leistungen beurteilt wurde. Insoweit ließen sich vor N06 keine Hinweise erkennen, die als Zeichen auf eine Arbeitsstörung im Sinne der Prokrastination gewertet werden können.
161Erst ab N06 beschreibe die Angeklagte eine Störung des Arbeitsverhaltens im Sinne einer Blockade, aus der heraus die Tatvorwürfe entstanden sind. Allerdings seien nach Angaben der Angeklagten nur maximal 5 % ihres Arbeitsaufkommens von dieser Blockade beeinflusst gewesen, d. h. zu 95 % sei sie in der Lage gewesen, die betreffenden Verfahren zielgerichtet abzuarbeiten und die zugehörigen Urteile abzusetzen. Somit sei die Problematik nur auf einen Teilarbeitsbereich der Angeklagten beschränkt gewesen, d. h. das Arbeitsverhalten nicht global gestört, sondern nur bei der Bearbeitung einzelner Verfahren, wobei bis heute ein spezifischer Grund für die fehlende Bearbeitung der betreffenden Vorgänge nicht herausgefunden werden konnte. Anscheinend sei es der Angeklagten aber gelungen, bei Einführung einer externen Kontrolle bis zu ihrer Krankschreibung im Oktober N10 die zwischen Februar und Oktober N10 angefallenen Arbeiten vollständig zu bewältigen. In diesem Zeitraum sei es ihr also möglich gewesen, mit zumutbarer Willensanstrengung die ihr zugeteilten Arbeiten zu verrichten.
162Der Tod des Lebensgefährten der Mutter als auslösendes Ereignis sei aus Sicht des Sachverständigen auch schon nicht so gravierend gewesen, dass er eine solche Arbeitsblockade hätte auslösen können. Vergleichbare Krisensituationen mit typischen Belastungssituationen, wie beispielsweise der Verbesserungsversuch, habe die Angeklagte auch in der Vergangenheit problemlos bewältigen können.
163Gemessen an den Anforderungen des Bundesgerichtshofs hätte die Blockade überdies den gesamten Lebenslauf der Angeklagten durchziehen müssen. Das zuletzt gezeigte Verhalten der Angeklagten hätte sich schon durch die Kindheit – mit Nachhilfestunden oder Ähnlichem – ziehen müssen, was jedoch nicht der Fall war.
164Letztlich lässt sich die Einordnung des Verhaltens als Impulskontrollstörung auch nicht mit der der Angeklagten vorgeworfenen – aktiv begangenen – Protokollfälschung in Einklang bringen.
165Die Kammer schließt sich diesen in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. TZ. nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Der Sachverständige hatte bereits im Rahmen des Strafverfahrens vor der N01 großen Strafkammer den ihm vorliegenden Akteninhalt umfassend ausgewertet, an der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung teilgenommen, die Angeklagte ausgiebig exploriert, dies auch bereits im Rahmen des Disziplinarverfahrens, und seine hieraus gewonnenen Erkenntnisse seiner fachlichen Expertise zugeführt. Im Rahmen des Strafverfahrens vor der hiesigen 1. großen Strafkammer hat sich der Sachverständige zudem umfassend mit der im Rahmen des Revisionsverfahrens von dem Verteidiger der Angeklagten eingereichten Stellungnahme des Prof. Dr. med. PN. vom 00.00.0000 auseinandergesetzt. Die Kammer hat letztlich keine Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen.
166IV.
167Der Schuldspruch des Urteils der N01 großen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 ist, unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesgerichtshofes im Beschluss vom 00.00.0000, rechtskräftig.
168Die Angeklagte hat sich danach wegen Rechtsbeugung in 10 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in 6 Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch, nach §§ 133 Abs. 1, Abs. 3, 267 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 4, 339, 13, 52, 53 StGB strafbar gemacht.
169V.
170Bei der Bemessung der gegen die Angeklagte zu verhängenden Strafe hat sich die Kammer von folgenden Erwägungen leiten lassen:
1711.
172Für die wegen der Tat zu Ziffer 1 (Verfälschen des Protokolls und Weiterbearbeiten der Akte trotz gesprochenen Urteils) zu verhängende Einzelstrafe hat die Kammer den Strafrahmen des § 267 Abs. 3 S. 1 StGB, als dem verletzten Strafgesetz, das die schwerste Strafe androht (§ 52 Abs. 2 StGB), zugrunde gelegt, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht.
173Dabei konnte nach einer Gesamtwürdigung der Tatumstände und der Täterpersönlichkeit die Regelwirkung eines besonders schweren Falles der Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 4 StGB vorliegend nicht entfallen.
174Die indizielle Bedeutung eines Regelbeispiels kann durch andere Strafzumessungsfaktoren kompensiert werden mit der Folge, dass auf den normalen Strafrahmen zurückzugreifen ist. Das ist der Fall, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es müssen in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seine Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens als unangemessen erscheint (BGH, Urteil vom 13.01.1987 - 1 StR 654/86, NJW 1987, 2450, beck-online).
175Solche gewichtigen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
176Zwar war zu Gunsten der Angeklagten ihr vollumfängliches Geständnis und der Umstand, dass sie sich für ihr Fehlverhalten entschuldigt hat, zu berücksichtigen. Ebenso war erheblich zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass sie nicht vorbestraft ist.
177Ferner wertete die Kammer zu Gunsten der Angeklagten, die für die Angeklagte erheblichen Folgen für ihr weiteres Berufsleben, da durch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlichen Tat das Richterverhältnis nach § 24 Nr. 1 DRiG mit der Rechtskraft dieses Urteils endet, ohne dass es einer weiteren gerichtlichen Entscheidung bedarf. Auch dürfte die Angeklagte bei der Aufnahme einer anderen juristischen Tätigkeit, beispielweise einer Tätigkeit als Rechtsanwältin, erheblichen Schwierigkeiten begegnen. Die Kammer berücksichtigte ebenfalls zu Gunsten der Angeklagten die damit einhergehenden finanziellen Einbußen für die Angeklagte.
178Für die Angeklagte sprach ferner, dass die Tatbegehung nunmehr etwa 6 ½ Jahre zurückliegt und das Verfahren bereits eine lange Zeit, fast drei Jahre, andauert. Auch war zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie unter Prokrastination leidet, auch wenn diese Verhaltensstörung nicht das Ausmaß eines Eingangsmerkmals der §§ 20, 21 StGB erreicht, geht sie dennoch für den Betreffenden mit erheblichem subjektivem Leidensdruck einher und kann durchaus zu relevanten persönlichen Nachteilen führen.
179Schließlich war zu Gunsten der Angeklagten ganz maßgeblich zu berücksichtigen, dass diese als Erstverbüßerin besonders haftempfindlich ist, wobei insoweit belastend hinzukommt, dass ihre Haftempfindlichkeit angesichts ihrer beruflichen Tätigkeit als Richterin besonders hoch ausfällt.
180Zu Lasten der Angeklagten sprach jedoch, dass sie durch die Tat zwei Straftatbestände tateinheitlich verwirklicht hat.
181Bei der konkreten Strafzumessung erachtet die Kammer innerhalb des ermittelten Strafrahmens unter Abwägung aller vorgenannten für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände eine Einzelfreiheitsstrafe von
1822 Jahren
183für tat- und schuldangemessen.
1842.
185Hinsichtlich der Tat zu Ziffer 2 (Nichteinhalten der Urteilsabsetzungsfrist, Rückdatieren des Verfügungsdatums und Abgabe zweier unrichtiger dienstlicher Stellungnahmen) hat die Kammer den Strafrahmen des § 339 StGB zugrunde gelegt, der Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren vorsieht.
186Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat die Kammer sämtliche vorgenannten (V. 1., mit Ausnahme der straferschwerenden Berücksichtigung der Verwirklichung zweier Straftatbestände durch die Tat) Strafzumessungskriterien abgewogen, wobei die Kammer berücksichtigt hat, dass diese Tat nicht so lange wie die Tat zu Ziffer 1, aber dennoch über sechs Jahre, zurückliegt. Ebenso hat die Kammer berücksichtigt, dass die Hemmschwelle bei der Angeklagten zunehmend geringer geworden sein dürfte, da ihre Taten lange Zeit unentdeckt geblieben sind. Die Kammer sieht danach eine Einzelfreiheitsstrafe von
1871 Jahr und 8 Monaten
188als tat- und schuldangemessen an.
1893.
190Wegen der Taten zu Ziffer 3 und 4 (Nichteinhalten der Urteilsabsetzungsfrist und Rückdatieren des Verfügungsdatums trotz angeordneter Untersuchungshaft bzw. Nichteinhalten der Urteilsabsetzungsfrist und Rückdatieren des Verfügungsdatums und Verfächern der Akte) hat die Kammer wiederum den Strafrahmen § 339 StGB, der Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren vorsieht, entnommen.
191Die Kammer hat innerhalb des ermittelten Strafrahmens im Rahmen der konkreten Strafzumessung sämtliche vorgenannten (V. 1., mit Ausnahme der straferschwerenden Berücksichtigung der Verwirklichung zweier Straftatbestände durch die Tat) Umstände abgewogen, wobei die Kammer insbesondere bedacht hat, dass die Tat zu Ziffer 3 über sechs Jahre und die Tat zu Ziffer 4 über 4 ½ Jahre zurücklagen und, dass die Hemmschwelle bei der Angeklagten auch hier weiter gesunken gewesen sein dürfte, da ihre Taten lange Zeit unentdeckt geblieben sind. Danach hat die Kammer eine Einzelfreiheitsstrafe von jeweils
1921 Jahr und 3 Monaten
193für tat- und schuldangemessen erachtet.
1944.
195Für die wegen der Taten zu Ziffer 6, 7, 8, 11, 13 und 14 (verkündete Strafurteile nicht zu den Akten gebracht und unterlassene Verfahrensförderung) jeweils zu verhängenden Einzelstrafen ist die Kammer zunächst von dem Strafrahmen von Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren nach § 339 StGB, als dem verletzten Strafgesetz, das die schwerste Strafe androht (§ 52 Abs. 2 StGB), ausgegangen.
196Die Kammer hat bei diesen Unterlassungstaten die Strafe nach §§ 13 Abs. 1 und 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert, sodass ein Strafrahmen von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren und 9 Monaten maßgebend war.
197Die Frage, ob eine Strafrahmenmilderung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB geboten ist, muss der Tatrichter in einer wertenden Gesamtwürdigung der wesentlichen unterlassungsbezogenen Gesichtspunkte prüfen und seine Auffassung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise darlegen. Dabei sind vor allem diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die etwas dazu aussagen, ob das Unterlassen im Verhältnis zur Begehungstat weniger schwer wiegt oder nicht. Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, ob die gebotene Handlung von dem Unterlassungstäter mehr verlangt als den Einsatz rechtstreuen Willens (BGH, Beschluss vom 30.N012011 – 4 StR 241/11, BeckRS N05, 19758 Rn. 6, BGH, Beschluss vom 1N0110.1997 – 4 StR 487/97, NStZ 1998, 245, beck-online; vgl. BGH, Urteil vom 03.11.1981 – 1 StR 501/81 NJW 1982, 393, beck-online).
198Dies zugrunde gelegt hat die Kammer im Rahmen der vorzunehmenden wertenden Gesamtwürdigung insbesondere die Folgen der Verurteilung für die Angeklagte (Ende des Richterverhältnisses nach § 24 Nr. 1 DRiG, erhebliche Schwierigkeiten bei der Aufnahme einer juristischen Tätigkeit, finanziellen Einbußen) berücksichtigt und danach von der Milderungsmöglichkeit nach §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht.
199Innerhalb des ermittelten Strafrahmens unter Abwägung aller vorgenannten (V. 1.) für und gegen die Angeklagte sprechenden Strafzumessungskriterien, wobei die Kammer berücksichtigt hat, dass die Taten zwischen über 8 Jahren und etwa 5 ½ Jahren zurückliegen, und unter Berücksichtigung der niedrigen Hemmschwelle bei der Angeklagten hält die Kammer eine Einzelfreiheitsstrafe von jeweils
2008 Monaten
201für tat-und schuldangemessen.
202N13
203Bei der Bemessung der gegen die Angeklagte zu verhängenden Gesamtfreiheitsstrafe hat die Kammer nochmals sämtliche für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände und ihre Person abgewogen und gewürdigt. Die Kammer hat hierbei insbesondere zu Gunsten der Angeklagten bedacht, dass es sich bei den Taten zwar um eine Serie ähnlich gelagerter Taten über einen längeren Zeitraum hinweg handelte, zwischen denen aber ein enger sachlicher und situativer Zusammenhang besteht. Zu Lasten der Angeklagten sprach jedoch der Umstand, dass es sich in Anbetracht der Vielzahl der Taten nicht um einen Einzelfall handelt.
204Die Kammer erachtet danach unter angemessener Erhöhung der Einsatzstrafe von 2 Jahren Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von
2052 Jahren und 10 Monaten
206für tat- und schulangemessen.
207N01
208Die Kammer hat schließlich zu Gunsten der Angeklagten geprüft, ob es bei der Verfolgung der dem gegenständlichen Verfahren zugrundeliegenden Taten zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gekommen ist, hat dies jedoch nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls verneint.
209Nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch die Mitteilung des Präsidenten des Landgerichts U. vom 00.00.0000, einer Durchsuchung der Wohnung und des Kellerraumes der Angeklagten am 00.00.0000, endete das Ermittlungsverfahren mit der Abschlussverfügung vom 00.00.0000. Nachdem der Angeklagten die am 00.00.0000 beim Landgericht U. eingegangene Anklageschrift der Staatsanwaltschaft X. aufgrund der Verfügung vom 00.00.0000 am 00.00.0000 zugestellt war, wurden mit Verfügung vom 00.00.0000 Termine für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens abgefragt. Mit Beschluss vom 00.00.0000 ist die Anklageschrift zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden. Die Hauptverhandlung ist im Zeitraum zwischen dem 00.00.0000 und dem 00.00.0000 an 8 Hauptverhandlungstagen durchgeführt worden.
210Die Angeklagte wurde schließlich durch Urteil der N01 großen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 (Az. N02) wegen Rechtsbeugung in 10 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in 6 Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
211Die Urteilszustellung hat der Vorsitzende der N01 großen Strafkammer mit Verfügung vom 00.00.0000 veranlasst. Die Akten und Beiakten sind sodann mit Verfügung vom 00.00.0000 zu weiteren Veranlassung bezüglich der Revision der Staatsanwaltschaft übersandt worden. Nach der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft X. vom 00.00.0000 und Stellungnahme des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 00.00.0000 sind die Akten am 00.00.0000 beim Bundesgerichtshof eingegangen.
212Nach der Erklärung des Verteidigers der Angeklagten vom 00.00.0000, eingegangen beim Bundesgerichtshof am selben Tag, zu der Antragstellung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, ist auf die Revision der Angeklagten das Urteil der N01 großen Strafkammer des Landgerichts U. vom 00.00.0000 durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 00.00.0000 (Az. N03) a) im Schuldspruch dahin geändert worden, dass in den Fällen II. 2. e) bis j) der Urteilsgründe (Taten zu Ziffern 6, 7, 8, 11, 13 und 14) jeweils die tateinheitliche Verurteilung wegen Urkundenunterdrückung entfällt, sowie b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben worden. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen worden. Die weiter gehende Revision ist verworfen worden.
213Am 00.00.0000 ist die Akte aus der Revisionsinstanz zurückgelangt. Mit Verfügung vom 00.00.0000 wurden wiederum Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung abgefragt. Mit Beschluss vom 00.00.0000 hat die Kammer ihre Besetzung beschlossen und mit Verfügung vom selben Tag hat der Vorsitzende die Termine zur Hauptverhandlung bestimmt. Die Kammer hat die Hauptverhandlung am 00.00.0000 und am 00.00.0000 an zwei Hauptverhandlungstagen durchgeführt.
214Vor dem Hintergrund, dass zwischen dem Eingang der Anklageschrift am 00.00.0000 und dem Beginn der neuerlichen Hauptverhandlung am 00.00.0000, nach bereits durchgeführter erstinstanzlicher Hauptverhandlung und sich anschließendem Revisionsverfahren, das gerade Teil des rechtsstaatlichen Verfahrens ist, nicht einmal drei Jahre liegen, konnte die Kammer nach alledem keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung feststellen. Dennoch hat die Kammer die nicht unerhebliche Verfahrensdauer zu Gunsten der Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt.
215VI.
216Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465, 473 StPO. Die Angeklagte war – trotz eines Teilobsiegens – auch mit den Kosten des Revisionsverfahrens vollumfassend zu belasten. Im Rahmen der nach § 473 Abs. 4 StPO zu treffenden Billigkeitsentscheidung führt ein bloßer Teilerfolg – der hier vornehmlich in der Aufhebung des Strafausspruchs liegt – nur dann zu einer Kostenbelastung der Staatskasse, wenn anzunehmen ist, dass die Rechtsmittelführer das Rechtsmittel nicht eingelegt hätten, wenn die Entscheidung schon ursprünglich so ausgefallen wäre (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 6N13 Auflage 2022, StPO, § 473 Rn. 26 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall, denn das Ziel der unbeschränkt eingelegten Revision der Angeklagten war eine vollständige Aufhebung des Urteils mit anschließendem Freispruch.