Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Das Amtsgericht Lüdenscheid erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf den Hilfsantrag der Klägerin mit Zustimmung der Beklagten an das Amtsgericht Olpe.
G r ü n d e:
2Das angerufene Gericht ist örtlich unzuständig. Insbesondere liegt kein Fall von § 29 Abs. 1 ZPO vor. Danach ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Das ist der Wohnsitz der Beklagten (§ 269 Abs. 1 BGB). Die in der letztgenannten Norm vorgesehenen Ausnahmen greifen nicht ein. Weder ist ein Ort für die Leistung bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses zu entnehmen. Mangels einer Vereinbarung kommt hier nur der zweite Ausnahmefall in Betracht und wird – wie die Klägerin zutreffend ausführt - vom BGH, Versäumnisurteil vom 08.12.2011, III ZR 114/11, juris, bejaht. Damit hat der BGH die vorausgegangene Entscheidung des Kammergerichts (KG), Urteil vom 05. Mai 2011 – 20 U 251/10 –, juris, aufgehoben, in der dieses – unter Aufgabe seiner vorhergehenden Rechtsprechung - einen einheitlichen Erfüllungsort am Sitz der Klinik in sehr enger Anlehnung an BGH, X ARZ 91/03, Beschluss vom 11.11.2003 abgelehnt und dogmatisch sauber begründet hat. Die Auffassung des BGH überzeugt dagegen nicht (vgl. Kerwer in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Wedt/Würdinger, jurisPK BGB 9. Auflage, § 269 BGB Rn 18 m. w. N.; Musielak/Voit/Heinrich, 17. Aufl. 2020, ZPO § 29 Rn. 20; Bendtsen in: Saenger, Zivilprozessordnung, 8. Auflage 2019; § 29 ZPO Rn 7; NK-BGB/Martin Schwab, 2. Aufl. 2012, BGB § 269 Rn. 23-25; Altmiks, jurisPR-MedizinR 2/2012 Anmerkung 1; Balthasar JuS 2004, 571; Kerwer/Voit MedR 2011, 818; Katzenmeier/Reisewitz MedR 2014, 757; OLG Zweibrücken, Urteil vom 27. Februar 2007 – 5 U 58/06 –, juris; besonders deutlich zuvor bereits Prechtel, MDR 2006, 246, 247: „nicht mehr ernsthaft vertretbar“).
3Vielmehr handelte es sich dann um eine vom Gesetz nicht gedeckte und der Sache nach nicht gerechtfertigte Privilegierung des Krankenhauses gegenüber anderen Gläubigern von Geldforderungen. Das würde sich insbesondere auch mit dem Schuldnerschutz nicht vertragen, der bereits mit der Reform der Zuständigkeitsvorschriften durch das Gesetz vom 21.03.1974 (BGB l I 753) gestärkt werden sollte (so ausdrücklich BGH, X ARZ 91/03, Beschluss vom 11.11.2003).Dabei beschränkt sich die Argumentation des BGH nicht auf den dort gegenständlichen Anwaltsvertrag. Vielmehr lehnt es der BGH ganz allgemein ab, einen einheitlichen Erfüllungsort allein im Hinblick auf die vertragstypische Leistung zu bejahen. Nach Ansicht des BGH verleiht allein der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses am Kanzleisitz dem Anwaltsvertrag „keine Natur, die es rechtfertigte oder gar erfordert, dass die … Mandanten ihre Verpflichtung nicht wirksam an ihrem jeweiligen … Wohnsitz erfüllen können”. Wollte man nämlich allein die vertragscharakteristische Leistung für den einheitlichen Erfüllungsort genügen lassen, käme es „praktisch bei jedem Vertragstyp zu einem einheitlichen Leistungsort für beide Vertragsparteien, was mit der Regelung des § 269 I BGB unvereinbar” sei.Das entscheidende Argument des BGH liegt also darin, dass die herkömmliche Lehre es nicht erlaubt, zwischen verschiedenen Vertragstypen sachgerecht zu differenzieren. Dementsprechend kann auch bei Verträgen mit vertragscharakteristischen Leistungen ein einheitlicher Erfüllungsort „nur angenommen werden, wenn weitere Umstände festgestellt werden können, wie sie beispielsweise beim klassischen Ladengeschäft des täglichen Lebens bestehen …, bei dem üblicherweise die beiderseitigen Leistungspflichten sogleich an Ort und Stelle erledigt werden, oder regelmäßig bei einem Bauwerksvertrag vorliegen, weil auch der Besteller am Ort des Bauwerks mit dessen Abnahme eine seiner Hauptpflichten erfüllen muss und es interessengerecht ist, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung dort durchgeführt werden kann, wo auf Grund der räumlichen Nähe zum Bauwerk eine Beweisaufnahme … regelmäßig wesentlich einfacher und kostengünstiger geschehen kann als an dem auswärtigen Wohnsitz des Auftraggebers”.
4Der BGH stellt mit dieser Argumentation klar, dass der einheitliche Erfüllungsort nunmehr einen Ausnahmefall darstellt, der anhand des konkreten Einzelfalles begründet werden muss (Balthasar JuS 2004, 571, 572). Hinreichende Gründe dafür fehlen hier jedoch.
5Die vom BGH bei seinem genannten Versäumnisurteil hervorgehobenen Aspekte der besonderen Ortsgebundenheit der Beherbergungs-, Behandlungs- und Pflegeleistungen sagen zur maßgeblichen Frage, wo die Patientin ihre Gegenleistung zu erbringen hat, nichts aus (Katzenmeier/Reisewitz a. a. O. 758); ebenso wenig zu einem Schwerpunkt des Vertrages, wenn man die genannten Leistungen der Klägerin und die Zahlungspflicht der Beklagten als gleichgewichtig gegenüberstellt. Anders als bei alltäglichen Ladengeschäften, bei denen die Entgeltleistung regelmäßig sofort und vor Ort erbracht wird, kann die Klinikpatientin die Honorarzahlung ohne weiteres auch im Voraus oder im Nachhinein von ihrem Wohnsitz aus erbringen. Daran ändert auch § 8 Abs. 7 S. 1 KH-Entgeltgesetz nichts. Denn die Norm sagt lediglich etwas über den Zeitpunkt der Honorarzahlung aus, nicht jedoch über deren Ort. Im Rahmen der Vertragsfreiheit kann letztlich jede Vertragsdurchführung von der Zahlung eines Vorschusses abhängig gemacht werden, so dass eine etwaige Vorschusspflicht nicht gerade den Krankenhausaufnahmevertrag seiner Natur nach kennzeichnet (KG a. a. O.).
6Abgesehen davon zeigt gerade der vorliegende Fall mit dem Behandlungszeitraum 26. bis 27.09.2018 und der Rechnung vom 23.10.2018, dass der Gesichtspunkt der zeitlichen Komponente keine Rolle spielt. Zu diesem Zeitpunkt war für die Klägerin objektiv völlig gleichgültig, an welchem Ort die Beklagte ihre Gegenleistung vorgenommen hätte (vgl. AG Köln NJW-RR 1995, 185, 186).
7Wenn der BGH zur Rechtfertigung seiner Ansicht ferner ausgeführt, der Patient habe sich am Ort der des Krankenhauses zur Behandlung bereit zu halten und zustimmend mitzuwirken, was nicht minderbewertet werden könne als in Betracht kommende einzelne Mitwirkungspflichten des Bestellers beim Bauwerkvertrag, überzeugt auch das nicht. Wie Katzenmeier/Reisewitz a. a. O. insoweit wiederum zutreffend ausführen, handelt es sich bei der Mitwirkung des Patienten - anders als bei der Abnahme nach § 640 Abs. 1 BGB – nicht um eine einklagbare Rechtspflicht, sondern um eine Obliegenheit. Sie betrifft zudem lediglich einen die Verwirklichung der Leistungspflicht der Klägerin berührenden Aspekt. Mit der Argumentation des BGH ließe sich bei nahezu jedem die physische Präsenz des Kunden erfordernden Dienstleistungsvertrag das Vorliegen eines einheitlichen Erfüllungsortes annehmen, was der Bestimmung des Erfüllungsortes der Geldleistung gem. §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB zuwiderliefe.
8Zudem ist der Bezug der Beklagten zu dem Krankenhaus der Klägerin nur vorübergehend und durch ihre Entlassung aufgehoben (LG Hagen MedR 2009, 675, 676).
9Hinzu kommt: Zu den nach § 269 Abs. 1 BGB zu berücksichtigenden "Umständen" gehört nach den Gesetzesmaterialien auch und gerade der "mutmaßliche Willen der Beteiligten". Der Beklagten als Patientin, die in der Regel das Wort "Gerichtsstand" gar nicht kennt, kann ein mutmaßlicher, auf einen ihr nachteiligen Gerichtsstand bezogener Wille nicht unterstellt werden (vgl. Siemon, MDR 2002, 366, 369; s. a. Balthasar a. a. O., 572 f.). Woraus der BGH in dem Versäumnisurteil seine gegenläufige Erkenntnis ableitet „Es entspricht seinem mutmaßlichen Willen, dass er die Kosten für eine solche Maßnahme aufbringt und dass dies auch am Ort seiner Behandlung erwartet wird“, verrät er nicht. Eine Grundlage ist dafür auch nicht erkennbar; sie bleibt Spekulation.
10Ferner wäre auch eine etwaige Beweisaufnahme über eventuelle Mängel der Leistung der Klägerin nicht – wie beim unbeweglichen Bauwerk – ortsabhängig. Sie würde daher durch eine Zuständigkeit des Gerichts am Sitz der Klägerin weder erleichtert noch verbilligt (vgl. Balthasar a. a. O., 572; Kerwer/Voit MedR 2011, 818, 819; s. a. Prechtel, a. a. O., 248; KG a. a. O.).
11Schließlich entspricht die hier vertretene Ansicht auch der Ansicht des BGH zu Mietschulden, die wie andere Geldschulden im Zweifel am Wohnsitz des Schuldners zu erfüllen sind und nicht etwa am Ort der Mietsache, obwohl den Mieter insoweit sogar einklagbare Vertragspflichten treffen (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2016 VIII ZR 222/15 juris). Das gilt auch bei der Grundstücksmiete (vgl. Schultzky in: Zöller, 33 Auflage, § 29 ZPO Rn 25.40 mit weiteren Nachweisen).