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Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
Angewandte Gesetze: § 467 StPO.
G r ü n d e
2I.
3Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 42 Jahre alte Angeklagte ist ledig, hat keine Kinder und lebt in J zur Miete. Der Angeklagte verfügt über den Hauptschulabschluss und versucht auf dem zweiten Bildungsweg, an einem Bildungskolleg, das Abitur zu erlangen. Der gelernte Industriemechaniker finanzierte bisher seinen Lebensunterhalt durch Bezug von Bürgergeld, nunmehr hat er Bafög beantragt.
4II.
5Mit Anklage vom 28.06.2022 legte die Staatsanwaltschaft Hagen dem Angeklagten zur Last, am 09.11.2021 mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben.
6III.
7Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Denn die mit der Durchsuchung beim Angeklagten am 09.11.2021 aufgefundenen Beweismittel unterliegen einem Beweisverwertungsverbot, diese sind objektiv willkürlich und durch einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß erlangt. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass aus der bloßen Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung nicht ohne Weiteres ein Beweisverwertungsverbot folgt, eine „Früchte des verlorenen Baums – Doktrin“ ist dem deutschen Strafverfahrensrecht fremd. Denn nach ständiger Rechtsprechung ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd. Die Frage ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. So kann die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot nach sich ziehen (so und m. w. N.: BVerfG, Beschl. v. 20.09.2018 – 2 BvR 708/18, NJW 2018, 3571, 3573, BGH, Beschl. v. 04.06.2020 – 4 StR 15/20, NStZ 2020, 621, 622).
8Bereits der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Hagen vom 21.06.2021 weist einen schwerwiegenden Verfahrensfehler im genannten Sinn auf. Der Durchsuchungsbeschluss wurde am 21.06.2021 erlassen, er verweist jedoch zur Begründung des Tatverdachtes auf ein vermeintliches Betäubungsmitteldelikt vom 28./29.04.2021. Das bedeutet, dass der Durchsuchungsbeschluss auf ein Betäubungsmitteldelikt verweist, was bereits 2 Monate vor Erlass des Durchsuchungsbeschlusses begangen sein soll. Zwar genügt der einfache Tatverdacht als Anordnungsvoraussetzung des § 102 StPO, BGH, Beschl. v. 6.2.2019 − 3 StR 280/18, NStZ 2019, 546, 546 m.w.N., jedoch ist aufgrund des mit der Durchsuchung verbundenem erheblichen Grundrechtseingriffes in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Art. 2, Art. 1 GG und vor allen in Art. 13 Abs. 1 GG ein jeder Durchsuchungsbeschluss formell zwingend logisch auszugestalten und die Verhältnismäßigkeitserwägung entsprechend eng auszuführen. Insbesondere sind durch die gebotene Abwägung die Grundrechte und der Eingriff in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, wobei neben der Intensität des Grundrechtseingriffes auch der Verdachtsgrund zu würdigen ist (MüKO StPO - Hausschild, 2. Auflage 2023, § 102, Rn. 29).
9Der hier vorliegende Durchsuchungsbeschluss erscheint bereits aus logischen Gründen grob fehlerhaft. Als einfacher Tatverdacht formuliert der Beschluss, dass der Angeklagte am 28./29.04.2021 mit Betäubungsmitteln Handel getrieben haben soll. Die Durchsuchung, die zum Zweck erfolgt ist, Beweismittel, die den Tatverdacht zu begründen vermögen aufzufinden, ist jedoch erst 7 Monate nach dem vermeintlichem Handel mit Betäubungsmittel erfolgt. Insoweit erscheint es bereits aus logischen Gründen völlig ausgeschlossen, dass die Durchsuchung als unmittelbares Beweismittel die potentiell zur Tatdurchführung verwendeten Betäubungseismittel oder aber auch andere Beweismittel, die auf ein zum Durchsuchungszeitpunkt bereits 7 Monate zurückliegendes Betäubungsmittelgeschäft hinweisen könnten, aufzufinden vermag. Die auf den so formulierten Durchsuchungsbeschluss gestützte Durchsuchung vom 09.11.2021 der Wohnung des Angeklagten stellt bereits im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen kein geeignetes Mittel dar. Eine andere Wertung ergäbe sich nur, wenn die Durchsuchung zumindest wenige Tage nach der potentiellen Tat erfolgt wäre.
10Ob aus einem hypothetischem rechtmäßigen Ermittlungsverlauf eine andere Wertung erfolgen mag, kann dahinstehen (zum hypothetischer Ersatzeingriff: BGH, Urt. v. 17.2.2016 − 2 StR 25/15, NStZ 2016, 551, 552). Mithin gleichfalls verdeutlicht bereits diese eklatante Lücke von 7 Monaten zwischen möglicher Tat und Durchsuchung, dass die im Rahmen der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel objektiv willkürlich erlangt worden sind. Am 29.04.2021 hat der Zeuge U einen Sachverhalt zur Anzeige gebracht, der letztendlich die Durchsuchung zur Folge hatte. Zwar gab er an, dass er morgens seine Freundin, die Zeugin X, „völlig zugedröhnt“ an einer Bushaltestelle in der Nähe der Anschrift des Angeklagten aufgefunden habe. Der Zeuge KHK T hat jedoch unter dem 04.05.2021 ermittelt, dass es sich entgegen der Angaben des Zeugen U bei der Zeugin X bereits zum Zeitpunkt der Anzeige keinesfalls um die Freundin, sondern um die ehemalige Lebensgefährtin des Zeugen U gehandelt hat. Ferner ergaben die Ermittlungen des Zeugen KHK T, dass die Zeugin X gegen den Zeugen U ein Gewaltschutzverfahren eingeleitet hat und gegen den Zeugen U somit ein entsprechendes Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft Hagen geführt wird oder wurde. Bereits diese Tatsachen hätten dazu führen müssen, dass die Angaben des Zeugen U zumindest durch die Vernahme der Zeugin X überprüft werden. Insoweit drängen sich zu diesem Verfahrenszeitpunkt aus objektiver Sicht Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen U und auch der Verdacht auf, dass der Zeuge U letztendlich aus enttäuschten Gefühlen und möglicherweise aus Rachsucht die Zeugin X und den Angeklagten als ihren neuen vermeintlichen Partner in strafrechtliche Bedrängnis bringen wollte. Allein daher scheint bereits zu diesem Zeitpunkt die Vernahme der Zeugin U als zwingend. Dieser Eindruck wird letztendlich dadurch untermauert, dass der Zeuge T in seinem Vermerk festgehalten hat, dass der Zeuge U im Rahmen seiner Vernehmung einen rechthaberischen und unbelehrbaren Eindruck gemacht hat. Dabei räumte der Zeuge T in der mündlichen Verhandlung ein, übersehen zu haben, dass der Zeuge U und die Zeugin X im Rahmen der Anzeigenerstattung bereits getrennt gewesen sind. Gleichzeitig gab der Zeuge T an, einen möglichen Betäubungsmittelhintergrund des Zeugen U und der Zeugin X überprüft zu haben. Für die Zeugin X ergab diese Ermittlung keine Verbindung in die Betäubungsmittelszene, für den Zeugen U schon. Auch diese Tatsache erachtet das Gericht insbesondere im Lichte des Art. 13 Abs. 1 GG als zwingenden Grund, zunächst zumindest die Zeugin X zu vernehmen (BGH, Urt. v. 18.04.2007 – 5 StR 546/06, NStZ 2007, 601, 602). Die hier erfolgte Durchsuchung, die erst 7 Monate nach der vermeintlichen Tat und ohne vorher die fragwürdige Anzeige näher zu überprüfen erfolgt ist, erscheint als ob diese Durchsuchung auf „Zuruf“ durchgeführt worden sei und die Voraussetzungen des § 102 StPO der Beliebigkeit, der Willkür, Preis gegeben worden sind. Denn insbesondere das hohe Gut der Unverletzlichkeit der Wohnung erfordert, bei Hinweisen gleich welcher Art, den Aussagegehalt vor einer Durchsuchung auf Stichhaltigkeit und Substanz zu überprüfen, was hier nicht erfolgt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.07.2016 – 2 BvR 2474/14, NJW-Spezial 2016, 600, 600 -601). Schließlich darf eine Durchsuchung nicht bloßer Ausforschung und Suche nach Verdachtsgründen dienen, was hier mangels weiterer zureichender Ermittlungen gerade der Fall ist (BVerfG, Beschl. v. 24.01.2013 - 2 BvR 376/11; vgl. auch BGH, Beschl. v. 04.06.2020 – 4 StR 15/20, NStZ 2020, 621, 622, schwerwiegender Verfahrensfehler mangels konkreter Tatsache, die die Vermutung belegt).
11IV.
12Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 467 Abs. 1 StPO i.V.m. 464 Abs. 2 StPO.