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Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm durch den sexuellen Missbrauch am Wochenende des 00./00.00.1979 durch den ehemaligen Priester C. entstanden ist und noch entstehen wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 90 % und die Beklagte zu 10 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
2Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Schmerzensgeldanspruch wegen eines vermeintlichen sexuellen Missbrauchs durch den Zeugen C. geltend.
3In den Jahren 0000 bis 0000 war der 0000 geborene Zeuge C. als Kaplan der X. Kirchengemeinde in D. tätig. Im Jahr 0000 wurde der Zeuge C. durch die Beklagte in die Gemeinde M. in V. versetzt. Der Grund hierfür zwischen den Parteien streitig.
4Im Rahmen seiner Tätigkeit etablierte der Zeuge C. in D. ein Belohnungssystem in der Weise, dass besonders artige Jungen ihn im Pfarrhaus besuchen und bei ihm übernachten durften.
5Im Juni 1979 organisierte der Zeuge C. eine vierzehntägige Ferienfreizeit für Kinder aus der Gemeinde, unter ihnen der damals …-jährige Kläger, ins Schullandheim A.. In der Woche nach der Freizeit rief der Zeuge C. bei der Mutter des Klägers an und offerierte, dass Kinder aus der Ferienfreizeit als Belohnung bei ihm im Pfarrhaus übernachten dürften. Die Mutter des Klägers ging auf das Angebot ein.
6Der Kläger verbrachte sodann am Wochenende des 00./00.00.1979 die Nacht von Freitag auf Samstag im Pfarrhaus in der E.-Straße … in V.. Entgegen der Ankündigung fand sich der Kläger aber allein und nicht mit anderen Teilnehmern der Freizeit ein. Der genaue Ablauf dieser Nacht ist zwischen den Parteien streitig.
7In der Folgezeit wurde der Zeuge C. nach Bekanntwerden von Missbrauchsvorwürfen durch die Beklagte aus der Gemeinde versetzt.
8Der Kläger ist mittlerweile seit dem Jahr 0000 verheiratet. Er hat mit seiner Frau drei Kinder, die inzwischen 29, 27 und 22 Jahre alt sind.
9Im Jahr 2006 hat der Kläger per E-Mail-Kontakt mit dem Zeugen C. aufgenommen und u.a. im Jahr 2008 auch mit dem Erzbischöflichen Ordinariat per E-Mail kommuniziert. Der Inhalt der Korrespondenz ist nicht näher vorgetragen. Infolgedessen wurde gegen den Kläger durch die Staatsanwaltschaft Q. ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Erpressung geführt, im Rahmen dessen es zu einer Durchsuchung beim Kläger kam. Das Verfahren gegen den Kläger ist sodann gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden.
10Vorgerichtlich sind dem Kläger schlussendlich u.a. auch nach Prüfung durch die “Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA)“ 45.000,00 € gezahlt worden.
11Der Kläger behauptet, der Zeuge C. habe ihn in der streitgegenständlichen Nacht zunächst beim Fernsehen in dessen Wohnräumen mit Alkohol (Barcadi-Cola) gefügig gemacht. Hierdurch sei der Kläger willens- und wehrlos geworden. Der Zeuge C. habe sodann sowohl die Wohnungstür als auch die Zimmertür mit der Begründung „damit keine Einbrecher kämen“ abgeschlossen. Daraufhin habe er das Gesprächsthema gewechselt. Er habe vom Kläger wissen wollen, ob er seinen Penis „Schwanz“ oder „Pimmel“ nenne. Dabei seien die ersten körperlichen Annäherungen erfolgt, die der Kläger wie gelähmt geschehen lassen habe. Schließlich habe sich der Zeuge C. vollständig entkleidet. Der Kläger habe dessen erigiertes Glied anfassen und in den Mund nehmen müssen. Sodann sei er ebenfalls entkleidet worden. Im weiteren Verlauf habe der Zeuge in den Mund des Klägers ejakuliert. Im Nachgang habe der Zeuge die Zimmertür wieder aufgeschlossen. Der Kläger habe dann in einem anderen Zimmer geschlafen und habe am folgenden Morgen einen Zettel auf dem Nachttisch vorgefunden, in dem er aufgefordert worden sei, nach Hause zu gehen, mit niemandem darüber zu sprechen und alles schnell zu vergessen.
12In der Folge habe der Kläger das Erlebnis nicht vergessen können. Es habe ihn fortan beschäftigt. Aus einer Mischung zwischen Scham und Angst habe er es zunächst nicht geschafft, sich seiner Mutter zu offenbaren.
13Als der Zeuge in der Folgezeit versetzt worden sei, sei der Kläger durch andere Jugendliche getreten und verprügelt worden. Zudem sei ihm mit einer Spielzeug-Pistole mit Platzpatronen mehrfach so ins Ohr geschossen worden, sodass er tagelang auf dem rechten Ohr nichts habe hören können. Dies sei erfolgt, da man dem Kläger die Schuld für den Weggang des Zeugen gegeben habe.
14Der Kläger leide noch heute unter den Folgen des sexuellen Missbrauchs: er leide unter Angstzustände und Panikattacken, er sei nicht mehr fähig seinen Beruf auszuüben (im Einzelnen s.u.), Auto zu fahren, Zug zu reisen, öffentliche Plätze zu überqueren oder fremde Menschen anzusprechen. Es komme daher zu einem damit einhergehendes Vermeidungsverhalten. Er könne daher auch nur im Home-Office arbeiten. Schließlich leide er unter Agoraphobie.
15Es sei im Jahre 2006 in psychotherapeutischer Behandlung gewesen.
16Sein Grundvertrauen in die Menschen, in die Kirche und in Gott sei erschüttert. Seine Beziehung zu Gott, sein Gottesbild und sein Gebet seien beeinträchtigt. Er sei unsicher im Glauben und im spirituellen Leben.
17Der Kläger sei erfüllt mit großem Kummer. Er leide unter Scham- und Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen sowie mit einem Gefühl der Ohnmacht und Unzulänglichkeit. Auf der emotionalen Ebene seien Gefühle wie Trauer, diffuse Angst, Hilflosigkeit, Wut oder Zorn vorherrschend.
18Er leide unter einem kontinuierlichen Trauma, dem Gefühl ein Wrack zu sein, einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Schlafstörung, einem Burnout, Angstzuständen, dem Gefühl des Ermordetseins, einer Hypertonie (Bluthochdruck), Migräneattacken, Depressionen, einer Sozialphobie und hat eine MdE in Höhe von 20 %.
19Der Kläger beschreibt sein ganzes Leben als „Trümmerhaufen“; es sei „verpfuscht“.
20Der Kläger sei seit seiner Jugend alkoholabhängig. Der Kläger habe in dem Zeitraum von 1999 bis 2015 wegen starker Panikattacken nicht arbeiten können. Ab 1997 habe er zunächst in einem von seiner Ehefrau selbständig betriebenen Kinderhort gearbeitet. Zunächst sei es gelungen, die damit verbundene Arbeit mit der Erkrankung zu vereinbaren. Dieser Tätigkeit habe er aufgrund des Vorstehenden jedoch nicht mehr nachgehen können. Seit 2017 arbeite er 40 Stunden pro Woche und könne sich die Zeit frei einteilen, die Arbeit finde nur im Home-Office statt. Er könne auch nur im Home-Office arbeiten.
21Zudem seien folgende Aspekte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen:
22 Kampf um Akzeptanz als Missbrauchsopfer,
23 Beklagte als finanzkräftige Schuldnerin,
24 erwähnte organisierte Unterdrücken und Verschweigen des Missbrauchs durch die Beklagte,
25 Abschreckfunktion,
26 mittelbarer Strafcharakter des Schmerzensgeldes, v.a. strafrechtlicher Verjährung,
27 Alter des Klägers zum Tatzeitpunkt,
28 Regulierungsverhalten der Beklagten,
29 Verschleppung der Beklagten,
30 Ausnutzen kindliches Vertrauen.
31Zudem sei zu berücksichtigen, dass versucht worden sei, den Kläger durch ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren einzuschüchtern.
32Der Kläger erachtet ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 300.000,00 € für angemessen.
33Zu Gunsten des Klägers greife eine Beweislastumkehr entsprechend § 630 h Abs. 5 BGB analog. Zudem streite für den Kläger eine tatsächliche Vermutung.
34Es liege zudem ein Erwerbsschaden in Höhe von 643.883,52 € (Bl. 98 d.A.) vor, der von dem Kläger aber weder geltend gemacht noch näher ausgeführt wird.
35Der Kläger beantragt,
361. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
372. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren Schaden zu ersetzen, der dem Kläger durch den sexuellen Missbrauch am Wochenende des 00./00.00.1979 durch den ehemaligen Priester C. entstanden ist und noch entstehen wird.
38Die Beklage beantragt,
39die Klage abzuweisen.
40Die Beklagte behauptet, es sei in der streitgegenständlichen Nacht nur zu einer sexuellen Belästigung gekommen. Der Kläger und der Zeuge C. hätten unbekleidet zusammen im Bett gelegen. Versuche des Zeugen C., den Kläger zu berühren, habe dieser aber abgewehrt und C. habe dann auch gegen den Willen des Klägers keine weiteren Übergriffe versucht.
41Zudem sei es unzutreffend, dass der Zeuge C. aufgrund von sexuellen Missbräuchen nach D. versetzt worden sei. Der Wechsel sei damals turnusmäßig (4- Jahres-Rhythmus) erfolgt. Missbrauchsschilderungen von anderen Betroffenen aus der Zeit des Zeugen in D. lägen erst seit 2010 vor.
42Der Beklagte selbst habe erstmalig am 20.09.1979 durch ein Gespräch mit den Eltern eines betroffenen Jungen von den gegen C. gerichteten Vorwürfen erfahren. Dabei habe die Beklagte aber keine Kenntnis von dem Vorfall mit dem Kläger erlangt; Kenntnis hierüber habe sie erst deutlich später gehabt.
43Aufgrund des Vorstehende scheide eine Haftung der Beklagten aus. Eine eigene Pflichtverletzung der Beklagte liege nicht vor, da zum Tatzeitpunkt keine Kenntnis des Beklagten bestand. Etwaiges Nachtatverhalten der Beklagten sei für die Haftung dem Grunde nach unbeachtlich. Zudem sei der Beklagten ein etwaiges Fehlverhalten des Zeugen C. nicht zurechenbar, da dieser nur als Kaplan beschäftigt worden sei.
44Im Übrigen seien die Ansprüche des Klägers mit der bereits erfolgten Zahlung vollständig abgegolten.
45Zudem sei der Feststellungsantrag bereits unzulässig, da die behaupteten Schäden abschließend zu beziffern seien.
46Die Kammer hat den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2025 angehört und den Zeugen C. vernommen. Bezüglich des Inhalts der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.04.2025 Bezug genommen.
47Entscheidungsgründe:
48Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
49I.
50Die Klage ist zulässig. Insbesondere besteht ein Feststellungsinteresse des Klägers, da die Möglichkeit eines weiteren Schadeneintritts besteht. Insbesondere, da der Kläger zu einer konkreten psychischen Erkrankung vorträgt und nicht auszuschließen ist, dass sich aus dieser Erkrankung weitere Schäden durch Behandlungen oder in Form eines Erwerbsschadens zumindest ergeben können.
51II.
52Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
531.
54Der Klageantrag zu 2 ist teilweise begründet.
55a.
56Der Kläger hat aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG einen Anspruch auf Ersatz aller bereits entstandener und zukünftiger materieller Schäden, die kausal zur streitgegenständlichen Missbrauchstat entstanden sind.
57Die Haftungsvorschriften des § 839 BGB und des Art. 34 GG finden bei Amtspflichtverletzungen kirchlicher Beamter entsprechende Anwendung. Voraussetzung der Amtshaftung ist, dass der Schädiger, mag er auch kein Beamter im kirchenbeamtenrechtlichen Sinne sein, im Rahmen von kirchlichen Aufgaben tätig geworden ist, die außerhalb des rein fiskalischen Tätigkeitsbereiches der Kirche liegen und deren Erfüllung sich mithin als Ausübung eines öffentlichen Amtes iSv Art. 34 GG darstellt (BGH VersR 1961, 437 = BeckRS 1961, 30384015; BGHZ 154, 54 = NJW 2003, 1308). Dementsprechend können insbesondere die Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche Amtshaftungsansprüche auslösen, da es sich um allgemeingültige, drittschützende Pflichten handelt, andere Personen nicht an ihren Rechtsgütern zu schädigen (Gerecke/Roßmüller NJW 2022, 1911 Rn. 5; LG Köln, NJW 2023, 2496 Rn. 54-57, beck-online).
58Nach dem schriftsätzlich klägerseits vorgetragenen Tathergang, der sich in durch die Anhörung des Klägers konkretisiert und bestätigt hat, liegt eine der Beklagten zurechenbaren Amtspflichtverletzung des Zeugen C. vor. Schon die Tatsache, dass der Zeuge C. in die Arbeit bei der Pfarrei eingebunden war, indem er Jugendfreizeiten organisierte und betreute, bestätigt die Amtsbezogenheit der Tätigkeit des Zeugen. Auch hat der Zeuge C. den Kläger in seiner Position bei der Beklagten zu sich nach Hause eingeladen, sich diesen mit Alkohol gefügig gemacht, sich diesem körperlich angenähert und diesen dazu veranlasst, an ihm Oralverkehr vorzunehmen. Ohne die Position bei der Beklagten und ohne die vorangegangene Arbeit in der Pfarrei der Beklagten bestünde von Seiten des Klägers oder seiner Mutter keine hinreichende Vertrauensgrundlage für den Besuch des Klägers bei dem Zeugen. Die Handlungen des Zeugen C. stellen einen sexuellen Missbrauch und damit eine Amtspflichtverletzung des Zeugen C. dar. Indem er den Kläger durch Ausnutzen seiner Position als Kaplan bei der Beklagten zu sich nach Hause lockte, ist er auch im Rahmen von kirchlichen Aufgaben tätig geworden.
59Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer überzeugt, dass der Tathergang wie vom Kläger schriftsätzlich vorgetragen und von ihm mündlich bestätigt worden ist, stattfand.
60Nach dem in § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Die danach erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 06.05.2015, Az. VIII ZR 161/14).
61Die Kammer ist unter Zugrundelegung dieses Maßstabs davon überzeugt, dass sich die Darstellung des Klägers bestätigt hat.
62Der Kläger konnte im Rahmen seiner Parteianhörung glaubhaft den Ablauf schildern. Die Darstellung des Klägers war insoweit widerspruchsfrei und in sich stringent. Er konnte im Rahmen seiner Erläuterungen der Kammer den Tatablauf zudem detailreich und anschaulich beschreiben. Unter anderem konnte er der Kammer berichten, wie es zu dem Abend gekommen sei, wie der Zeuge C. die Außentür und Wohnzimmertür abgeschlossen habe und wie es zu den körperlichen Annäherungen des Zeugen C. kam. Zudem konnte er wiedergeben, dass ihm von dem ihm verabreichten Alkohol schlecht geworden sei und er vorher gar nicht gewusst habe, dass aus dem Penis auch ein Ejakulat herauskommen könne. Dieses habe ihn überrascht und er habe dies daraufhin unmittelbar ausgespuckt. Bei seiner Anhörung gelang es dem Kläger auch die Frage der Kammer und der Parteivertreter widerspruchsfrei und nachvollziehbar zu beantworten. Dabei gelang es dem Kläger unproblematisch zwischen einzelnen Abschnitten zu springen. Zudem konnte der Kläger neben Wiedergaben von einzelnen Gesprächsinhalten, auch seine eigene emotionale Wahrnehmung in der Situation anschaulich und glaubhaft schildern. Insoweit gab der Kläger zum Beispiel wieder, dass er damals gar nicht gewusst haben, was Sex sei. Überdies konnte der Kläger eine Reihe von Randgeschehen berichtet. Der Kläger berichtet insoweit, dass ihm der Zeuge C. bereits früher unangenehm aufgefallen sei, da dieser immer in die Duschen der Jungen geguckt habe. Zudem konnte der Kläger berichten, wie er nach der Tat am nächsten Morgen nach Hause gefunden habe und nicht gewusst habe, wie er das Geschehen seiner Mutter erzählen solle. Zudem erläuterte der Kläger, wie er sich einem Freund anvertraut habe und diesem das Geschehen mangels Verstandsreife nur damit erklären habe können, dass der Zeuge C. „Sex mit Kindern macht“.
63Die Glaubhaftigkeit der Parteianhörung des Klägers wird auch nicht durch die Zeugenaussage des Zeugen C. erschüttert. Soweit der Zeuge C. zwar einräumt mit dem Kläger nackt im Bett gelegen zu haben sowie ihn berührt und versucht zu manipuliert zu haben, aber bestreitet, diesem zum Oralverkehr veranlasst zu haben, folgt die Kammer dieser Zeugenaussage nicht. Der Zeuge C. ist insoweit nicht glaubhaft, da der Zeuge offenkundig Erinnerungslücken bezüglich der konkreten Tat aufweist. Der Zeuge konnte die Fragen der Kammer und Parteivertreter nur teilweise konkret beantworten und bezog sich oftmals auf allgemeine Ausführungen zu allen seinen Taten. Insbesondere wusste der Zeuge nicht, ob er dem Kläger Alkohol verabreichte, hielt es aber für nicht ausgeschlossen. Generell blieben die Aussagen des Zeugen zum Tatgeschehen oberflächlich und detailarm. Insoweit steht nach der Überzeugung der Kammer nicht fest, ob der Zeuge sich tatsächlich nicht an die Einzelheiten der Tat erinnert oder ob der Zeuge bewusst Angaben verschweigt. Jedenfalls erschüttert die Zeugenaussage die Glaubhaftigkeit der klägerischen Parteianhörung nicht. Der Zeuge gab nämlich selber an, dass er nicht ausschließen könne, dem Kläger Alkohol verabreicht zu haben. Zudem gab er auch an, dass es zumindest in einem Fall seiner sexuellen Missbräuche zum Oralverkehr gekommen sei. In Bezug auf den Kläger zeigte seine Aussage zudem deutlich, dass er keine eigene Erinnerung hatte, sondern nur einen Rückschluss zog, wie es gewesen sein müsste.
64Soweit der Kläger die Vernehmung des präsenten Zeugen N. beantragt hat, war diesem Beweisantrag nicht zu folgen, da die Kammer bereits nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme den klägerischen Vortrag zur eigenen Überzeugung zu Grunde legt.
65b.
66Hingegen ist der Feststellungsantrag in Bezug auf immaterielle Schäden unbegründet.
67Die Kammer erachtet den Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige immaterielle Schäden für unbegründet, da mit dem auf eine unbeschränkte Klage insgesamt zuzuerkennenden Schmerzensgeld nicht nur alle bereits eingetretenen, sondern auch alle erkennbaren und objektiv vorhersehbaren künftigen Verletzungsfolgen aus der Schädigungshandlung abgegolten werden (BGH NJW 2004, 1243). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen. Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Folge nicht umfasst und können deshalb die Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein (BGH NJW 2015, 1252 Rn. 8 mwN). Insbesondere angesichts des seit den streitgegenständlichen Taten verstrichenen langen Zeitraums kann nach Ansicht der Kammer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass mit weiteren, nicht vorhersehbaren Verletzungsfolgen zu rechnen ist. (LG Köln, NJW 2023, 2496 Rn. 78, 79, beck-online). Solche hat der Kläger auch weder schriftsätzlich noch in seiner persönlichen Anhörung dargestellt.
682.
69Der Klageantrag zu 1 ist unbegründet.
70Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf ein weiteres Schmerzensgeld aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG zzgl. Zinsen. Der ihm nach seinem eigenen Vortrag zustehende Schmerzensgeldanspruch ist bereits durch Zahlung der Beklagten in Höhe von 45.000,00 € durch Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 BGB erloschen.
71Im Rahmen der Rechtsfolge waren die Vorschriften des § 249 S. 2 BGB idF vom 1.1.1964 und des § 847 I 1 BGB in der Fassung vom 1.1.1964 anzuwenden.
72Gemäß § 847 I 1 BGB aF kann der Verletzte im Fall der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Fall der Freiheitsentziehung auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen.
73Der unbestimmte Rechtsbegriff der „billigen Entschädigung“ ist im Ergebnis nach dem Wortlaut, systematisch, historisch und teleologisch dahin auszulegen, dass bei der Bemessung der „billigen Entschädigung“ durch den Richter alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden dürfen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie die einzelnen Umstände bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu gewichten sind. Dabei stehen die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund. Bei den unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu berücksichtigenden Umständen hat die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen stets das ausschlaggebende Moment zu bilden; der von dem Schädiger zu verantwortende immaterielle Schaden, die Lebensbeeinträchtigung steht im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen immer an der Spitze. Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers. Ein allgemein geltendes Rangverhältnis aller anderen zu berücksichtigenden Umstände lässt sich nicht aufstellen, weil diese Umstände ihr Maß und Gewicht für die Höhe der billigen Entschädigung erst durch ihr Zusammenwirken im Einzelfall erhalten. Denn es geht bei der Bemessung der billigen Entschädigung um eine Gesamtbetrachtung. Erst dadurch, dass der (Tat-)Richter im ersten Schritt alle Umstände des Falls in den Blick nimmt, dann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist (BGHZ 212, 48 = NJOZ 2017, 746 Rn. 53 bis 56; LG Köln, NJW 2023, 2496 Rn. 74 ff., beck-online)
74Die Kammer erachtet unter Berücksichtigung des vorstehenden Maßstabs – den klägerischen Parteivortrag zugrunde gelegt – jedenfalls das bereits gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 45.000,00 € für angemessen.
75Dies beruht auf folgenden Erwägungen.
76Der Kläger hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung wie folgt vorgetragen:
77Der Kläger habe in Folge der Tat unter Anfeindungen anderen Jugendgruppen gelitten, da er für den Weggang des Zeugen C. verantwortlich gemacht worden sei. Er sei unter anderem zusammengetreten worden und ihm sei mit einer Karnevalspistole ins Ohr geschossen worden.
78Zudem habe der Kläger bereits unmittelbar nach der Tat mit dem Alkoholkonsum begonnen. Er habe unter anderem in der Bar seiner Mutter Cocktails und auf den wöchentlichen Skatabenden seiner Brüder Bier getrunken. Der Alkoholkonsum habe sich im Laufe der Zeit gesteigert. Der Kläger habe sodann zum Zeitpunkt seines Realschulabschlusses unter Konzentrationsschwierigkeiten gelitten und regelmäßig, unter anderem am Wochenende bereits schon ab mittags Alkohol getrunken. Auch heute trinke der Kläger täglich zwei bis drei Flaschen Bier oder Bacardi um einschlafen zu können, wobei seine Ehefrau darauf achte, dass sein Trinkverhalten nicht weiter ausarte.
79In der Folge habe der Kläger gerade so seinen Realschulabschluss gemacht und habe eine Ausbildung in einer Sanitärfirma absolviert. Sodann habe er über mehrere Jahre als Theaterleiter in drei Kinos gearbeitet. Im Rahmen dessen sei es sodann zu einer ersten Panikattacke beim Autofahren gekommen. Infolge der immer wieder auftretenden Panikattacken habe der Kläger die Tätigkeit als Theaterleiter nicht mehr ausführen können. Insbesondere habe er sich nicht mehr getraut Auto zu fahren. In der Folgezeit habe der Kläger bis 2001 noch kurze Zeit im privaten Kinderhort seiner Ehefrau gearbeitet. Der Kläger habe jedoch mit Beginn der Panikattacken abgebaut. Er sei schlank und sportlich fit gewesen. Ab 1999 habe er jedoch zugenommen und Schlafstörungen entwickelt. Um die Veränderungen zu überprüfen habe der Kläger eine Vielzahl von Ärzten aufgesucht und sei im Jahre 2006 an einen Psychiater überwiesen worden. Dort habe er 10 Sitzungen absolviert, bei der die Missbrauchsthematik als Ursache behandelt worden sei. Eine weitere Therapie habe der Kläger bis heute nicht mehr in Anspruch genommen. Von 2001 bis 2015 habe der Kläger Sozialleistungen bezogen und keine Tätigkeit ausgeübt, da er hierzu aufgrund der Missbrauchsfolgen nicht in der Lage gewesen sei. Er habe sodann 2015 an einer Fördermaßnahme des Jobcenters für kaufmännische Sachbearbeitung teilgenommen. Ab 2017 habe er wieder im kaufmännischen Bereich zu Arbeiten begonnen. Hierbei sei im nur die Arbeit aus dem Home-Office möglich.
80Bis heute leide der Kläger unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, Schlafstörungen mit nächtlichen Flashbacks, Angstzuständen, Anpassungsstörungen, einer Sexualstörung, Migräneattacken und Depressionen. Diese Beeinträchtigungen würden in unterschiedlicher Intensität, aber in regelmäßigen Abständen auftreten. Auch heute fahre der Kläger keine Autobahn mehr, da dies bei ihm ein Gefühl von Isolation und Eingesperrtsein auslöse. Er könne nicht spontan das Auto benutzen. In den Urlaub fahre er nur ungern. Er sei stattdessen auf die häusliche Sicherheit angewiesen, da er sich außerhalb seiner häuslichen Umgebung nicht wohl fühle.
81Zudem hat der Kläger schriftsätzlich vorgetragen, dass sein Grundvertrauen in die Menschen, in die Kirche und in Gott erschüttert seien. Er sei unsicher in seinem Glauben und seinem spirituellen Leben.
82Er leide unter Scham- und Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen sowie mit einem Gefühl der Ohnmacht und Unzulänglichkeit. Er fühle Trauer, diffuse Angst, Hilflosigkeit, Wut und Zorn.
83Unter Berücksichtigung des Vorstehenden erachtet die Kammer jedenfalls das bereits gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 45.000,00 € für angemessen. Hierbei berücksichtigt die Kammer zum einem die vorsätzlich begangene Missbrauchstat als solche sowie auch die durch den Kläger vorgetragenen Folgen. Die Kammer hat hierbei berücksichtigt, dass der Kläger in seinem privaten und beruflichen Leben nicht unerheblich eingeschränkt ist. Leitende Erwägungen für Kammer bei der Bemessung des Schmerzensgeldes waren insbesondere das klägerische Alter zum Zeitpunkt des Vorfalls, die erlittenen Anfeindungen des Klägers unmittelbar nach der Tat, die Einwirkungen auf seine persönliche Entwicklung, aber auch die vorgetragenen Dauerzustände in Folge des Vorfalls. Hierbei hat die Kammer insbesondere die entwickelte Alkoholproblematik, die Einschränkungen seiner beruflichen Tätigkeiten und die vorgetragenen psychischen Beeinträchtigungen bei der Bemessung berücksichtigt.
84Ein höheres Schmerzensgeld über 45.000,00 € erachtet die Kammer hingegen auch nach dem klägerischen Vortrag nicht für angemessen. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers ist es diesem gelungen sich ein Leben aufzubauen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Er hat sich, wenn auch unter Einschränkungen, wieder in das Berufsleben eingegliedert und konnte auch bezüglich einzelner psychischer Beeinträchtigungen eine Besserung beschreiben. Insoweit hat der Kläger mit Ausnahme der kurzzeitigen Therapie mit 10 Sitzungen im Jahr 2006 keine weitere Therapie begonnen und sieht offenkundig selbst keine Veranlassung eine weitere therapeutische Aufarbeitung vornehmen zu müssen. Zudem ist es dem Kläger selbst gelungen, sein als problematisch wahrgenommenes Trinkverhalten mit Unterstützung seiner Ehefrau im Griff zu behalten. Die beschrieben psychischen Beeinträchtigungen sowie die vorgetragenen emotionalen Belastungen als Opfer einer kirchlichen Missbrauchstat sind insoweit auch nicht geeignet ein höheres Schmerzensgeld zu begründen. Soweit der Kläger ebenfalls vorträgt, er sei in sein Glauben und spirituellen Leben beeinträchtigt, steht dies bereits im Widerspruch zu seinem eigenen Vortrag in der Parteianhörung, wonach er bereits zum Tatzeitpunkt „nichts mit der Kirche zu tun“ gehabt habe.
85Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat die Kammer auch die folgenden klägerseits vorgetragenen Aspekte im Rahmen seines Ermessens berücksichtigt und erachtet auch vor diesem Hintergrund ein erhöhtes Schmerzensgeld nicht für angemessen.
86 Kampf um Akzeptanz als Missbrauchsopfer
87 Beklagte als finanzkräftige Schuldnerin
88 organisierte Unterdrücken und Verschweigen des Missbrauchs durch die Beklagte
89 Abschreckfunktion
90 mittelbarer Strafcharakter des Schmerzensgeldes, v.a. strafrechtlicher Verjährung
91 Regulierungsverhalten der Beklagten
92Insbesondere erachtet die Kammer die Abschreckfunktion des Schmerzensgeldes für hinreichend berücksichtigt. Der streitgegenständliche Missbrauch in katholischen Kirche ist Gegenstand einer fortlaufenden innerkirchlichen und öffentlichen Aufklärungsarbeit. Es besteht daher nach der Auffassung der Kammer bereits eine hinreichende öffentliche Diskussion, die eine erhebliche Abschreckfunktion immanent hat.
93Soweit der Kläger auf die den mittelbarer Strafcharakter des Schmerzensgeldes (Sünefunktion) abgestellt, erachtet die Kammer auch diesen Aspekt als hinreichend berücksichtigt., insbesondere vor dem Hintergrund, dass zwar keine strafrechtliche Strafverfolgung stattgefunden hat, allerdings eine öffentliche Aufarbeitung stattgefunden hat, die eine erhebliche Rufschädigung der katholischen Kirche zur Folge hatte.
94Ebenso erachtet die Kammer die allgemeine bekannte organisierte Verschleierung der Missbrauchstaten durch die katholische Kirche als hinreichend berücksichtigt.
95Im Rahmen seines Ermessens hat sich die Kammer zudem, auch wenn diese keine Bindungswirkung entfalten, mit vergleichbaren Referenzentscheidungen auseinandergesetzt. Eine anderweitige Bemessung des Schmerzensgeldes war nach Sichtung dieser Referenzentscheidungen ebenfalls nicht angezeigt.
96Soweit der Klägervertreter im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf Referenzentscheidungen zu hohen Schmerzensgeldbemessungen im Rahmen von Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgestellt hat (z.B. BGH, NJW 1995, 861), ist hier zu berücksichtigen, dass in diesen Fällen die Schädiger mit Gewinnerzielungsabsicht handelten und der Abschreckfunktion eine deutlich höhere Bedeutung zu kam. Mit der vorliegenden Fallkonstellation haben diese Entscheidungen nichts zu tun.
97Soweit der Kläger zudem eine Einschüchterung durch das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und die Hausdurchsuchung im Jahr 2008 vorträgt, hat dies keine Bedeutung für die Bemessung des Schmerzensgeldes, da kein Bezug zur Beklagten besteht, vielmehr ist über die Art und Weise staatlicher Ermittlungsmaßnahmen alleine durch die zuständigen Stellen bei Staatsanwaltschaft und Gericht entschieden werden. Die bloße Erstattung einer Anzeige führt nicht zwangsläufig zu Ermittlungsmaßnahmen, letztentscheidend sind hier staatliche Stellen.
98III.
99Soweit der Kläger beantragt hat, der Beklagten aufzugeben, alle verfahrensrelevanten Unterlagen, über die er verfügt, insbesondere die Personalakte des Zeugen C., zur Verfügung zu stellen und Personen, die zu dem verfahrensgegenständlichen Vorgang etwas sagen können, von einer etwaigen Schweigepflicht zu entbinden, war diesem Antrag nicht zu folgen, da hier für die Kammer keine Entscheidungsrelevanz bestand.
100IV.
101Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
102V.
103Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.