Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Angeklagte A ist der Beihilfe zur schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit der unbefugten Herstellung von Bildaufnahmen, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen und eine nackte Person unter 18 Jahren darstellen sowie in Tateinheit mit der Herstellung einer jugendpornographischen Schrift schuldig.
Die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe wird für die Dauer von 1 Jahr zur Bewährung ausgesetzt.
Der Angeklagte L ist der Beihilfe zur schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit der unbefugten Herstellung von Bildaufnahmen einer Person, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt und eine nackte Person unter 18 Jahren darstellt sowie in Tateinheit mit der Verschaffung des Besitzes an einer jugendpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt und der Herstellung einer jugendpornographischen Schrift schuldig.
Er wird verwarnt.
Er wird deshalb zu einem Dauerarrest von 4 Wochen verurteilt.
Er wird mit einer Arbeitsauflage in Höhe von 60 Stunden belegt, abzuleisten binnen 9 Monaten und nach Weisung des Jugendamts.
Der Angeklagte I wird freigesprochen.
Von einer Auferlegung der Kosten zu Lasten der Angeklagten A und L wird abgesehen.
Das B des Angeklagten A und das Mobiltelefon I1 des Angeklagten L werden eingezogen.
Die Kosten des Verfahrens gegen den Angeklagten I sowie dessen notwendige Auslagen trägt die Landeskasse.
Angewendete Vorschriften bzgl. A: §§ 177 Abs.1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1, 184c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 6, 184b Abs.6, 201a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, Abs. 5, 205, 27 StGB, §§ 1, 3 JGG
Angewendete Vorschriften bzgl. L: §§ 177 Abs.1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1, 184c Abs. 1 Nr. 2 und 3, Abs. 6, 184b Abs.6, 201a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, Abs. 5, 205, 27 StGB, §§ 1, 3 JGG
Angewendete Vorschriften bzgl. I: § 467 StPO.
Gründe:
2(Abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO bzgl. der Angeklagten A und I)
3I. Prozessuales
4Mit Anklageschrift vom 08.10.2020 wurde gegen die hiesigen Angeklagten und den ehemals Mitangeklagten B1 Anklage erhoben. Kurz vor dem ersten Hauptverhandlungstag wurde aufgrund der Corona-Pandemie eine Abtrennung des Verfahrens gegen die nunmehr Angeklagten beschlossen, um eine gesundheitliche Gefährdung aller Sitzungsteilnehmer zu verringern.
5II. Angaben zur Person
61. A
7Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 17-jährige Angeklagte A wuchs als jüngstes von 4 Kindern bei beiden Eltern zunächst in Syrien auf. Er besuchte in Syrien den Kindergarten und die erste Klasse. Aufgrund des Bürgerkriegs musste die Familie in den Libanon fliehen und blieb dort für vier Jahre. Ein Schulbesuch war für den Angeklagten in dieser Zeit aufgrund seines Status als Flüchtling nicht möglich. Im Jahr 2013 – der Angeklagte war 10 Jahre alt – kam die Familie nach Deutschland und hier zunächst nach I2. Dort besuchte der Angeklagte die 3. – 5. Klasse. Den Unterricht Deutsch als Fremdsprache für Grundschulkinder gab es damals noch nicht, weshalb der Angeklagte sich die deutsche Sprache selbst aneignete, was ihm sehr gut gelungen ist. Von I2 aus zog die Familie nach E, wo der Angeklagte die 6. und 7. Klasse besuchte und schließlich nach F. Derzeit ist der Angeklagte auf einem Berufskolleg und strebt in diesem Sommer seinen Hauptschulabschluss nach Klasse 10 an. Nach dem derzeitigen Stand wird ihm dies auch gelingen. Er möchte danach den Realschulabschluss erwerben, weitere Pläne für die Zukunft hat er nicht.
8Die Eltern des Angeklagten haben sich mittlerweile getrennt. Der Angeklagte lebt bei seiner Mutter und hat regelmäßigen Kontakt zu seinem Vater. Aus einer früheren Ehe hat sein Vater noch drei weitere Kinder. Er hatte in Syrien einen Schuhladen und ist hier ohne Arbeit. Seine Mutter hat zeitweilig als Reinigungskraft gearbeitet. Seine älteren Geschwister (20, 23 und 30 Jahre alt) sind alle verheiratet und ausgezogen.
9Hobbies hat der Angeklagte momentan nicht, vor der Pandemie hat er das Fitnessstudio besucht.
10Der Bundeszentralregisterauszug enthält drei Eintragungen. Die Staatsanwaltschaft Essen sah wegen Körperverletzungshandlungen am 27.02.2019 und 25.01.2020 jeweils von der Verfolgung ab, gemäß § 45 Abs. 2 JGG (68 Js 271/19) und § 45 Abs. 1 JGG (64 Js 233/20). Am 04.11.2020 stellte das Amtsgericht Essen (67 Ls – 68 Js 375/20 – 91/20) ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung (Tatzeit 14.01.2020) gemäß § 47 JGG ein, ermahnte den Angeklagten und erteilte eine richterliche Weisung.
112. L
12Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 16-jährige Angeklagte L wuchs gemeinsam mit seinem drei Jahre älteren Bruder und seiner drei Jahre jüngeren Schwester bei beiden Eltern in Syrien auf. Im Alter von 6 Jahren, doch bevor er die Schule in Syrien besuchen konnte, floh seine Familie wegen des Bürgerkriegs nach Jordanien, wo die Familie vier Jahre blieb. Auch dem Angeklagten L war als Flüchtling ein Schulbesuch nicht erlaubt. Er half aber zeitweilig in einer Autowerkstatt aus. 2014 – der Angeklagte war 9 Jahre alt – starb sein Vater. Im Jahr 2015 floh die Mutter mit ihren beiden Söhnen über die Türkei nach Deutschland. Die kleine Schwester blieb alleine in Jordanien bei einem Onkel und kam erst viele Jahre später zu ihrer Familie nach Deutschland. Der Krieg und die Flucht haben den Angeklagten sehr beeindruckt und er hat bis heute psychische Probleme davongetragen.
13In den ersten zwei Jahren nach seiner Einreise lebte der Angeklagte in N und besuchte die Klasse Deutsch als Fremdsprache. Erstmals im Jahr 2017 besuchte der Angeklagte eine richtige Schule. Er besucht derzeit wegen einer Leseschwäche eine Förderschule und strebt einen Hauptschulabschluss nach Klasse 10 an. Für eine Arbeitsstelle hat er sich noch nicht beworben, hofft aber darauf, in einer Autowerkstatt arbeiten zu können.
14Zu seiner Mutter und seinen Geschwistern, mit denen er zusammen lebt, hat er ein gutes Verhältnis. Sein Bruder ist auf Arbeitssuche und seine Mutter besucht an zwei Tagen in der Woche einen Deutschkurs, da sie kaum Deutsch spricht.
15In seiner Freizeit möchte der Angeklagte gerne ins Fitnessstudio gehen, sobald dies wieder möglich ist. Er gibt an, ab und zu ehrenamtlich in einer Einrichtung für Behinderte auszuhelfen.
16Der Bundeszentralregisterauszug enthält eine Eintragung wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs (Tatzeit 05.04.2019). Von der Verfolgung sah die Staatsanwaltschaft ab, § 45 Abs. 1 JGG (12 Js 2827/19).
173. I
18Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 15-jährige Angeklagte I wurde am … in C2 geboren und ist der Älteste von sechs Geschwistern. Beide Elternteile haben einen Migrationshintergrund. Alle Familienmitglieder leben in einem Haushalt. Die Eltern sind nicht berufstätig und bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Leistungen des Jobcenters/SGB II. Bis auf die Mutter haben alle Familienmitglieder die deutsche Staatsbürgerschaft.
19Nach dem Kindergarten wurde der Angeklagte altersentsprechend eingeschult. Nach der Grundschule wechselte er zur Realschule und in der 6. Klasse erfolgte der Wechsel auf die Hauptschule. Seit Mitte des 7. Schuljahres ist er Schüler der O-Schule, einer Schule für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Eine dauerhafte Beschulung vor und nach der Untersuchungshaft in einer anderen Sache gestaltete sich aufgrund des oppositionellen und grenzüberschreitenden Verhaltens des Angeklagten schwierig. Seit einigen Monaten besucht der Angeklagte auf der O-Schule eine intensiv-pädagogisch betreute Klasse (IPG). In dieser Klasse befinden sich nur 8-9 Kinder und zwei Lehrer, die in kleinen Lerneinheiten unterrichten. Die Lehrer arbeiten u.a. mit einem Belohnungssystem. So kann der Angeklagte durch gutes Benehmen Punkte sammeln und ab einer bestimmten Punktzahl in der letzten Stunde eher gehen oder sogar einen ganzen Tag zu Hause bleiben. In der IPG-Klasse gibt es nicht die Möglichkeit, einen Schulabschluss zu erwerben. Sinn und Zweck ist es vielmehr, die Jugendlichen überhaupt an geordnetes Lernen heranzuführen und Grundlagen in Deutsch und Mathematik zu vermitteln. Der Angeklagte möchte die Schule schnellstmöglich verlassen und etwas mit Autos machen. Seit dem Wechsel in die IPG-Klasse verbesserte sich das Verhalten des Angeklagten zunächst merklich. Zwar stagnierte es um die Zeit der Herbstferien, als sich der Angeklagte trotz mehrfacher Hilfsangebote nicht um einen Praktikumsplatz kümmerte. Nachdem der Angeklagte dann zunächst die Schule wieder regelmäßig besuchte, fehlte er in den letzten Monaten fast durchgängig und nahm auch nicht am Online-Unterricht teil.
20Seit März 2019 ist der Angeklagte an die Institution „Kurve kriegen“ angebunden. Der zuständige Mitarbeiter, Herr I3, gibt an, dass der Angeklagte die Kontakte regelmäßig wahrnimmt. Der Angeklagte arbeitet jede Woche mehrere Stunden mit Herrn I3 in einem Einzelsetting. Insbesondere stehen das Erhöhen der Frustrationstoleranz sowie die Erarbeitung alternativer Handlungsstrategien zum aktuellen Rollenverhalten im Fokus. Zu Herrn I3 hat der Angeklagte Vertrauen aufgebaut – er bezeichnet ihn als „zweiten Vater“ – und lässt sich im Rahmen des Möglichen von diesem leiten. So benötige der Angeklagte stets einen gewissen Druck, doch lasse er sich bis auf wenige Ausnahmen darauf ein. Auch die Familie des Angeklagten begegnet dem Helfer vertrauensvoll. Herr I3 interveniert auch bei Gesprächen in der Schule sowie bei einer ambulanten Familienhilfe, die seit Februar mit zwei Fachkräften im Einsatz ist.
21Der Angeklagte wurde von der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Uniklinikums F1 untersucht. Es wurde eine dissoziale Verhaltensstörung diagnostiziert und ein unterdurchschnittlicher Intelligenzquotient von 79 festgestellt. Eine stationäre Therapie wurde dem Angeklagten nahe gelegt. Er selbst sieht die Notwendigkeit einer Therapie aber nicht. Der Angeklagte bekommt nach Bedarf Taschengeld von seinen Eltern. In seiner Freizeit spielt er mit der Q oder trifft er sich mit seinen Freunden.
22Bereits vor seinem 14. Lebensjahr wies der Angeklagte eine hohe Delinquenz auf. Ihm werden 25 Verfahren zur Last gelegt, deren er nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte, da er zum Zeitpunkt der Taten strafunmündig war. Sein Bundeszentralregisterauszug weist eine Vorstrafe auf. Das Landgericht Essen verurteilte ihn am 26.11.2020 (23 Ns – 64 Js 1286/19 – 65/20) wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Laut Bericht seiner Bewährungshelferin vom 30.04.2021 hält sich der Angeklagte momentan jedoch nicht an die Bewährungsauflage, die Schule zu besuchen. Er gibt hierzu an, sich vor seiner Klasse zu schämen, da die Klassenlehrerin vorgelesen habe, dass er in einem Vergewaltigungsverfahren angeklagt sei.
23III. Feststellungen
24Der anderweitig verfolgte Angeklagte B1 hatte die am … geborene Zeugin C über eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Als diese ihm gegenüber angab, dass die Zeugin C erzählen würde, dass er für ihren (C) Vater Koks verkaufe, wollte er sie zur Rede stellen. Die Zeugin C lehnte ein Treffen jedoch ab, woraufhin der B1 antwortete, dass man sich schon noch sehen werde.
25Am Abend des … befand sich die Zeugin C mit ihre Freundin E1 am Hauptbahnhof. Die Zeugin C hatte ihr von dem Zwist mit dem Angeklagten erzählt. Da sie wohl befürchtete, auf ihn zu treffen, bat sie ihre Freundin, sie nicht mit ihm allein zu lassen. Kurz darauf kam tatsächlich der B1, der sich zufällig am Bahnhof befand, gemeinsam mit den Angeklagten A und L und einer dritten männlichen Person auf die Zeugin C zu. Der B1 forderte sie auf, mit ihnen zu kommen. Die Zeugin C folgte dieser Aufforderung ohne zu zögern, obwohl ihre Freundin ihr abriet. Sie nahm aber an, sie könne die Unstimmigkeiten im Gespräch mit dem B1 aufklären. Gemeinsam mit dem B1, den Angeklagten A und L und dem dritten Jugendlichen verließ C das Bahnhofsgelände und lief in Richtung des Parks an der Q1. Als sie Polizeisirenen vernahmen, packte der B1 die Zeugin C an der Hand und zog sie rennend mit sich. Er erklärte ihr, dass er erst kurz zuvor in eine Schlägerei verwickelt gewesen sei und daher nicht auf die Polizei treffen wolle. Die Zeugin C folgte dem B1 freiwillig in Richtung I4-Straße. Sie war weiterhin in dem Glauben, dass der B1 nur mit ihr reden wolle. Zudem hatte sie aufgrund seines deutlich höheren Alters von zu dem Zeitpunkt 18 Jahren Respekt vor ihm und wollte ihm gegenüber nicht frech erscheinen. Als die Gruppe einen Garagenhof passierte, blieben sie kurz stehen. B1 beabsichtigte eigentlich, sich mit der Zeugin an einen unbeobachteten Ort zurückzuziehen. Er und die beiden Angeklagten sowie der vierte junge Mann stellten dann aber fest, dass dort zu viele Personen seien und liefen weiter. B1 fragte spätestens jetzt den Angeklagten A, ob sie in dessen Wohnung bzw. den dazugehörigen Keller, die sich in der Nähe befand, gehen könnten. Dieser lehnte das Ansinnen zuerst ab, gab auf weiteres Drängen des B1 jedoch nach, da dieser deutlich älter als die übrigen war und in dieser Gruppe das Sagen hatte. B1 hatte nämlich beschlossen, mit der Zeugin Geschlechtsverkehr zu haben, unabhängig davon, ob sie damit einverstanden wäre oder nicht. Bei dem Mehrfamilienhaus angelangt, klingelte der Angeklagte A. Seine Mutter öffnete und er ging nach oben in Richtung seiner Wohnung. Er wollte nicht, dass die anderen mit C die Wohnung der Familie betraten, weil seine Mutter anwesend war, und schickte sie in den Keller. Er selbst wollte nur kurz in der Wohnung bleiben und dann ebenfalls den Keller aufsuchen.
26B1, die Zeugin C, der Angeklagte L und eine weitere männliche Person gingen in den Keller. Auf die Frage der Zeugin, was sie denn hier machen würden, antwortete der B1 nur mit „Schsch“. Spätestens jetzt war der Zeugin klar, dass die Situation für sie gefährlich war. Sie lief jedoch nicht weg oder wehrte sich, da ihr bewusst war, dass sie gegen die drei männlichen Personen im Keller des Angeklagten A keine Chance haben würde. Sie war nun sehr eingeschüchtert. Im Keller betraten der B1 und die Zeugin C einen sehr kleinen Raum von wenigen Quadratmetern, der vom Kellerflur abging und dessen Tür offen stand, in dem sich eine Matratze, ein weißer Stuhl, eine ausrangierte Toilette und weiteres Gerümpel befanden. Die Zeugin C, die nunmehr große Angst hatte, fragte wiederholt, was dies solle und bot dem B1 an, „das Ganze“ doch anders zu klären. Er erklärte ihr, dass er blasen und ficken wolle. Er schubste die mittlerweile weinende C zu Boden und zog ihr die Hose herunter. Auf ihr Bitten aufzuhören ging er nicht ein. Die Zeugin wiederum sah keine Chance, durch Schreien oder Fluchtversuche ihrer Lage zu entkommen, da sie – zu Recht – annahm, B1 und der im Kellerflur anwesende Angeklagten L und die weitere männliche Person seien ihr körperlich deutlich überlegen. B1 versuchte zunächst vaginal in die Zeugin C einzudringen, was ihm aber nicht gelang, da sie zu große Schmerzen hatte. Danach zwang er sie, ihn oral zu befriedigen und hielt dabei ihren Kopf fest, bis er in ihren Mund ejakulierte. Das Ejakulat spuckte sie in ein Taschentuch, das der B1 sodann an sich nahm. Die Zeugin C weinte dabei, was dem B1 nicht gefiel. Er gab ihr daher wiederholt eine Backpfeife, welche die Zeugin C nicht sehr schmerzten, aber noch mehr verängstigten, so dass sie jeglichen Widerstand, auch verbalen, aufgab. B1 filmte dabei wiederholt, aber nicht durchgängig den Geschlechtsverkehr mit seinem Smartphone.
27Der Angeklagte L und die weitere männliche Person hatten gesehen, dass der B1 und die Zeugin C den Kellerraum betraten. Ihnen sowie dem Angeklagten A war bewusst, was der B1 dort mit C vorhatte. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt kehrte der Angeklagte A aus seiner Wohnung zurück und gesellte sich zu den Wartenden. Als B1 rief „Komm, film uns mal!“ begaben sich die Angeklagten L und A zu dem Kellerraum. Beide filmten das dortige Geschehen mit ihren Smartphones. Beide Angeklagten sahen, dass die Zeugin C weinte und sich von dem Angeklagten B1 wie eine Marionettenpuppe bewegen ließ. Die Zeugin C traute sich auch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, um Hilfe zu rufen. Sie schätzte ihre Situation so sein, dass sei gegenüber dem körperlich stärkeren B1 und den Angeklagten L und A, die den Ausgang versperrten und B1 teilweise anfeuerten, zumindest aber in seinem Tun bestärkten, keine Chance hatte und vielmehr womöglich sogar schlimmeres zu befürchten hätte. Der B1 fragte die Zeugin, ob sie ihn freiwillig oral befriedige, woraufhin sie mit „Nein“ antwortete. Erbost über diese Antwort schlug er ihr ins Gesicht. Daraufhin forderte er den Angeklagten L auf „Frag die, ob die das freiwillig macht“. Dieser kam der Aufforderung nach. Auf die Frage des L „Machst Du Anzeige?“ antwortete die Zeugin nunmehr mit „Nein“ und auf die weitere Frage „Also freiwillig ... blasen?“ mit „Ja“. Diese Unterhaltung mit dem Angeklagten L fand während der oralen Penetration durch den B1 statt und wurden von dem Angeklagten L gefilmt.
28Weiter zwang der B1 die Zeugin C zum vaginalen Geschlechtsverkehr, indem er von hinten in die vornüber gebeugte Zeugin C eindrang. Diese hielt sich an der Wand oder der Toilette fest und wurde vom B1 immer wieder in eine andere Position gerückt. Von den Angeklagten L und A erhielt der B1 währenddessen immer wieder – teils auf arabisch – Regieanweisungen („Nimm das, du Schlampe!“ „Komm hol deinen Penis von der Seite heraus (Zeig ihn)!“), welche die Zeugin C zum reinen Objekt herabwürdigten. Auch diese Tat wurde gefilmt.
29Da der vaginale Geschlechtsverkehr nicht zur Zufriedenheit des B1 klappte, musste sich die Zeugin C auf den Rücken legen, wo der B1 weiterhin den vaginalen Geschlechtsverkehr versuchte. Dies war für die Zeugin C äußerst schmerzhaft. Schließlich stand der B1 wieder auf, während die Zeugin C vor ihm knien musste. Er manipulierte sein Glied, stecke es der weinenden Zeugin C zwischendurch in den Mund und ejakulierte schließlich in ihr Gesicht. Begleitet von weiteren Anweisungen beider Angeklagten („Ejakuliere in ihrem Mund!“ „Jungs, der Reihe nach!“) filmte der Angeklagte L auch Teile dieses Geschehens. Die Zeugin C wischte das Ejakulat mit ihrem T-Shirt aus ihrem Gesicht.
30Insgesamt drehte der Angeklagte L drei Videos, auf denen der orale und vaginale Geschlechtsverkehr des B1 mit der Zeugin C zu sehen ist. Ebenso hatte sich der Angeklagte A zu der geöffneten Tür des Kellerraumes begeben, dem dortigen Geschehen zugeschaut und Teile davon mit seinem Smartphone gefilmt.
31Immer wieder weinte die Zeugin C und erklärte, dass sie das alles nicht wolle. Dies sahen und hörten auch die Angeklagten L und A. Sie wussten, dass C mit dem Geschlechtsverkehr nicht einverstanden war. Sie billigten aber das Verhalten des B1, deckten und bestärkten es durch ihre Anwesenheit und nahmen durch Kommentare und das – teils auf Aufforderung des B1 erfolgte – Filmen des Geschehens Einfluss. Dabei wussten sie, dass B1 sich falsch verhielt, ließen sich aber vom deutlich älteren B1 mitziehen und trugen sein Verhalten mit. Mit dem B1, der seit Ende 2015 in Deutschland ist, konnte sich die Zeugin C gut auf Deutsch unterhalten, ebenso mit den Angeklagten A und L. Als einer der Begleiter fragte, ob „er auch einmal dürfe“, verneinte die Zeugin C. B1 ließ schließlich von ihr ab.
32Gemeinsam verließen sie die Kellerräume. B1 warnte die Zeugin C, nicht zur Polizei zu gehen, da ansonsten schlimmeres passieren werde. Er forderte die Zahlung einer höheren Geldsumme binnen weniger Tage von ihr, anderenfalls werde er die aufgenommenen Videos verschicken. Auf der Straße bat die Zeugin C, die kein Guthaben mehr zum Telefonieren hatte, den B1 mit seinem Telefon telefonieren zu dürfen, was dieser ihr erlaubte. Die Zeugin C rief ihren Bekannten T an und bat ihn darum, sie nunmehr am Bahnhof F2 zu treffen und abzuholen. Danach trennte sich die Zeugin C von der Gruppe.
33Sie ging zurück zum Hauptbahnhof und fuhr von dort zum Bahnhof F2, wo sie in das Auto des Zeugen I5 stieg, der von T begleitet wurde, mit denen sie zuvor verabredet gewesen war. Beide hatten auf die Zeugin C gewartet, da sie eigentlich zu einem früheren Zeitpunkt verabredet gewesen waren, die Zeugin C hatte das Treffen aber telefonisch verschoben. Beiden fiel sofort auf, dass C viel ruhiger und verschlossener als üblich war und sie fragten sie, was los sei. Schließlich erzählte sie ihnen in groben Zügen, was soeben geschehen war. I5 und T überredeten C, bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Zu diesem Zwecke fuhren sei die Zeugin jedoch zunächst zur Wohnung ihrer Mutter, um eine Krankenversicherungskarte oder Ausweispapiere zu holen. Die Mutter händigte ihr die Personaldokumente aus, begleitete ihre Tochter jedoch nicht, da sie deren 5jährige Schwester ins Bett bringen musste. Die Zeugin C wurde sodann von T und I5 zur Polizei begleitet und später im Krankenhaus gynäkologisch untersucht.
34Am Folgetag ließ sich der B1 zumindest durch den Angeklagte L die drei Videos zuschicken, die von L angefertigt worden waren und zeigen, wie die Zeugin C ihn oral befriedigt und er vaginal von hinten in sie eindringt.
35Körperlich erlitt C leichte Kratzverletzung an Rücken, Armen und Gesäß und hatte Schmerzen im Genitalbereich. Die Zeugin hat seitdem versucht, die Tat zu vergessen. Die Umgebung um den Hauptbahnhof und den Tatort konnte sie mehrere Wochen nicht aufsuchen. Seit einigen Wochen hat die Zeugin eine Therapie bei einer Psychotherapeutin begonnen, um endlich das Geschehene verarbeiten zu können.
36IV. Beweiswürdigung
371. Persönliche Verhältnisse
38Die Feststellungen der Kammer zu den Personen der drei Angeklagten beruhen auf deren Angaben, den Erläuterungen der Jugendgerichtshilfe und den verlesenen Bundeszentralregisterauszügen vom 20.01.2021. Die Kammer hatte keinen Anlass die Angaben der Angeklagten anzuzweifeln.
392. Zur Tat
40a. Einlassungen
41Alle drei Angeklagten haben sich zur Tat eingelassen.
42aa. Einlassung L
43Der Angeklagte L hat sich überwiegend geständig eingelassen. B1, A, eine ihm unbekannte Person und er selbst seien am Abend des … ohne genauen Plan am Hauptbahnhof gewesen. Dort hätten sie die Zeugin C mit noch einem Mädchen getroffen. Das Mädchen sei sofort weggegangen und C sei mit dem B1 weitergelaufen. Er und die anderen seien den beiden hinterher gelaufen. Der Weg habe zum Theater und über einen Spielplatz geführt und bis zur Wohnung des A ca. 10 Minuten gedauert. Zwischendurch hätten sie Sirenen gehört und der B1 habe die Hand der Zeugin C genommen und sei mit ihr gerannt. An der Wohnung habe B1 zu dem Angeklagten A gesagt, dass man jetzt zu ihm nach Hause gehen würde. A habe zunächst abgelehnt, doch habe B1 gebettelt, so dass A schließlich den Keller geöffnet habe. B1 sei mit C in einen Raum gegangen. Der andere Junge und er hätten sich auf einen Tisch im Kellerflur gesetzt. In den Raum hätten sie nicht sehen können und hätten auch nichts gehört. A sei zunächst hoch in die eigene Wohnung gegangen, doch sei er bald wieder herunter gekommen. Danach habe B1 gerufen „Komm film uns mal!“ Er und der Mitangeklagte A seien zu dem Kellerraum gegangen. Als erstes habe A gefilmt. Danach habe B1 ihn aufgefordert „Frag mal ob freiwillig und film mal“. Das habe er gemacht und sie habe „Nein“ gesagt. Insgesamt habe er drei Videos gedreht. Dies seien die Videos, die auch in Augenschein genommen wurden. Auf den Videos seien seine eigene Stimme und die von A zu hören. Außerdem habe der B1 den A aufgefordert „Komm hol Deinen Penis raus und mach mit“ – das sei auch auf einem der Videos zu hören. Als er dort gestanden habe, habe er gesehen, dass die Zeugin C weinte. Er habe den B1 gefragt, warum sie weine und dieser habe ihm erklärt, dass sie weine, weil ihr das so gut tue. Da der B1 immer mit so vielen Mädchen schlafe, habe er sich nichts dabei gedacht. Nachdem der B1 und die Zeugin C fertig gewesen seien, hätten sie gemeinsam den Keller verlassen. C hätte kurz das Mobiltelefon des B1 benutzt, um ihren Onkel anzurufen, dann den B1 geküsst und umarmt und sich verabschiedet. Die Videos von seinem Handy habe er nur dem B1 geschickt und sie dann gelöscht. Von dem Angeklagten A hab er kein Video bekommen und auch kein Video auf dessen Handy angeschaut.
44bb. Einlassung A
45Der Angeklagte A hat sich in der Hauptverhandlung im Wesentlichen wie folgt eingelassen:
46B1, der Angeklagte L, ein B2 und er selbst seien am Hauptbahnhof gewesen, wo die Zeugin C und die E2 auf sie zugekommen seien. B1 habe C gerufen, man habe gequatscht und sei zusammen rumgelaufen. B1 und die C seien vorweg gelaufen. B1 habe gefragt, ob sie zu ihm nach Hause gehen könnten. Er selbst habe das erst nicht gewollt, sich aber dann überreden lassen. Er habe betont, dass er „damit“ nichts zu tun haben wolle. B1 und die Zeugin C seien runter in den Keller gegangen. Dort habe B1 den Angeklagten L gebeten, ein Video zu machen, um eine Sicherheit zu haben, damit sie den B1 nicht anzeige. Er selbst habe davon erst später gehört, da er oben in der Wohnung gewesen sei. Als er herunter gekommen sei, seien die Videos schon fertig gewesen. Eines der Videos habe er auf dem Handy des L gesehen. Er habe auch noch ein Video gedreht, das er aber später wieder gelöscht habe. Was darauf zu sehen gewesen sei, könne er nicht mehr erinnern bzw. er habe nur unbedeutendes Geschehen gefilmt. Er wisse auch nicht, ob die anderen angezogen gewesen seien oder nicht. Eigentlich habe er einfach nur den Raum gefilmt. Die Tür zu dem Kellerraum, in dem der B1 war, habe er nicht geöffnet. Die Zeugin C habe danach ganz normal und nicht verweint ausgesehen. Nachher habe die Zeugin C den B1 umarmt, noch kurz mit dessen Handy telefoniert und sich verabschiedet. Was der B1 und die C vorhatten, habe er vorher nicht gewusst.
47cc. Einlassung I
48Der Angeklagte I gab an, nicht dabei gewesen zu sein. Mit der ganzen Geschichte habe er nichts zu tun und habe erst viel später davon gehört.
49a. Zeugenaussage C
50Die Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen, nämlich dem sexuellen Verkehr zwischen B1 und C, beruhen im Wesentlichen auf der Aussage der Zeugin C. Sie sagte so aus, wie es die Kammer in ihren Feststellungen zugrunde gelegt hat.
51aa) Würdigung der Aussage C
52Ausgehend von der sog. Null-Hypothese ist die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aussage der Zeugin C unter Zurückweisung der Suggestions-, Projektions-, Komplott- und Lügenhypothesen als ausschließlich erlebnisfundiert zu bewerten ist. An der Verlässlichkeit ihrer Bekundungen bestehen keine vernünftigen Zweifel. Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass eine Situation vorliegt, bei der sich zum Kerngeschehen des strafrechtlichen Vorwurfs – hier B1 betreffend – zwei Darstellungen teilweise – was den Angeklagten A betrifft – unvereinbar gegenüber stehen, nämlich die Aussage der Zeugin C und anderseits die teilweise bestreitende Einlassung der Angeklagten und des B1, d.h. eine sog. „Aussage gegen Aussage“ Situation. Die Aussage der Zeugin verfügte jedoch über eine solche Qualität, dass die Kammer allein auf sie eine Verurteilung des B1 wegen Vergewaltigung und der hier noch Angeklagten zu stützten vermochte.
53Darüber hinaus wurde ihre Aussage durch weitere Beweismittel ganz wesentlich gestützt.
54Im Einzelnen:
55(1) Aussagetüchtigkeit
56Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin in ihrer Aussagetüchtigkeit derart erheblich eingeschränkt gewesen wäre, dass die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben erheblich in Zweifel zu ziehen wäre, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Die Zeugin zeigte sich anlässlich ihrer Vernehmung teils in bedrückter Grundstimmung, war jedoch zu jeder Zeit wach und orientiert. Ihre Auffassungsgabe war nicht beeinträchtigt. Sie war zu jeder Zeit in der Lage, ihre Gedanken geordnet wiederzugeben. Realitätsverlust oder außergewöhnliches Erleben waren bei der Zeugin nicht ansatzweise festzustellen. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte für Besonderheiten in der Persönlichkeit oder dem Werdegang der Zeugin festgestellt, die Anlass gegeben hätten, an ihrer Aussagetüchtigkeit zu zweifeln. Insbesondere ergaben sich auch aus dem sehr jungen Alter der Zeugin keine Einschränkungen.
57(2) Aussageinhalt
58Hinsichtlich des Aussageinhalts waren die Schilderungen der Zeugin C detailliert, in sich widerspruchsfrei und teilweise emotional begleitet, wie es in der Regel nur vor dem Hintergrund eigener realer Erlebnisse zu erwarten ist. Dabei hat die Kammer besonders berücksichtigt, dass die Zeugin ihre Aussage zum zweiten Mal tätigen musste. Bereits in dem Verfahren gegen B1 hatte die Zeugin detailliert zu dem Geschehen aussagen müssen. Im Vergleich zu dieser Aussage, die der Zeugin teilweise vorgehalten wurde, war die Aussage im jetzigen Verfahren dennoch erlebnisbasiert, offenkundig aus der eigenen Erinnerung erzählt und emotional begleitet. Die Aussage war sowohl hinsichtlich der Schilderung des Vorgeschehens als auch des Tatgeschehens detailliert. Die Zeugin konnte ihre Vorgeschichte mit dem B1 schildern und ebenso den Verlauf des Treffens unmittelbar vor und auch nach der Tat im Einzelnen beschreiben. Auch über den eigentlichen Tathergang berichtete die Zeugin detailreich. Die Aussage wies insbesondere diverse Realkennzeichen auf, die für die Glaubhaftigkeit der Aussage sprechen:
59Als speziellen Inhalt konnte die Zeugin die verschiedenen Interaktionen ab Betreten des Kellerraums und die Gespräche mit dem B1 zwischen den einzelnen Akten vor, während und nach der Tat schildern. So beschrieb sie, wie die Stimmung des B1 ab dem Zeitpunkt des Betretens des Kellerraums wechselte. Auf ihre Fragen, was das Ganze solle, habe er nicht mehr geantwortet, sondern sie auf den Boden geschubst, ihre Hose runtergezogen und gesagt, er wolle ficken und blasen. Ihr Flehen, aufzuhören, habe er ignoriert. Zwischen den einzelnen Sexualakten habe er sie immer wieder aufgefordert, mit dem Weinen aufzuhören. Sie konnte sich auch daran erinnern, dass ihr Handy kein Guthaben mehr gehabt habe und sie deshalb das Handy des Angeklagten nehmen musste, um ihre Freunde anzurufen. In diesem Punkt stimmt ihre Aussage mit der Einlassung der Angeklagten L und A überein. Beide schilderten, dass die Zeugin das Handy des Angeklagten nutzte, um jemanden (nach ihrem Kenntnisstand einen Onkel) anzurufen. Weiterhin erinnerte sich die Zeugin detailliert daran, dass sie nach der zweiten Ejakulation das Sperma mit ihrem T-Shirt weggewischt habe. Das T-Shirt sei weiß gewesen. Dies konnte die Zeugin nur aus ihrer Erinnerung wissen, da die noch zu erwähnenden Tatvideos in ihrer Abwesenheit in Augenschein genommen wurden. Daran, dass sie durch die Angeklagten und den B1 gefilmt wurde, vermochte sich die Zeugin noch gut zu erinnern, wenngleich diese Tatsache für sie von untergeordneter Bedeutung war. Die Zeugin konzentrierte sich bei ihrer Aussage vielmehr auf das, was mit ihr unmittelbar geschah. Sie wusste, dass sie zweimal gefragt wurde, ob sie freiwillig mitmache. Bei der ersten Frage hätte sie „Nein“ gesagt. Doch habe der Angeklagte sie danach leicht geohrfeigt. Aus Angst vor schlimmeren Repressalien habe sie daher bei der Wiederholung der Frage mit „Ja“ geantwortet. Die Zeugin schilderte, dass andere gelacht, zugeguckt und sich auf Arabisch unterhalten hätten. Am Ende hätte B1 ihr gedroht, keine Polizei zu rufen.
60Die Zeugin konnte ausgefallene Einzelheiten berichten. Sie gab auf Nachfrage wieder, dass auch einer der im Kellerflur stehenden Jugendlichen fragte, ob sie das gleiche für ihn machen würde. B1 habe geantwortet, dass sie das doch bestimmt für ihren Freund machen würde. Doch sie habe verneint. Das habe sie sich auch getraut, weil die Frage offensichtlich nicht ernst gemeint gewesen sei. Dementsprechend sei das Thema mit ihrer Ablehnung dann auch erledigt gewesen.
61Die Aussage der Zeugin wies als inhaltliche Besonderheit die durchgehende Schilderung eigener psychischer Vorgänge auf. So erklärte sie hinsichtlich des Vorgeschehens, dass sie trotz ihrer Vorbehalte im Vorhinein bei dem Zusammentreffen am Hauptbahnhof zunächst freiwillig mitgegangen sei, da sie annahm, B1 wolle nur mit ihr reden. Später habe sie sich nicht mehr getraut, sich loszumachen, da auch Kollegen des B1 zugegen gewesen seien. Auch laut um Hilfe zu rufen, habe sie sich nicht mehr getraut. Erst als sie die Kellerräume betreten hätte, habe sie aber wirklich Angst bekommen. Aber zu dem Zeitpunkt habe B1 gar nicht mehr mit ihr geredet. Die Zeugin beschrieb emotional besonders aufgewühlt, dass sie dem B1 Geld angeboten habe, damit er sich nicht an ihr sexuell vergehe. Darauf sei er nicht eingegangen, habe sie vergewaltigt und danach trotzdem auch noch Geld verlangt. Während die Zeugin sichtlich versuchte, die Geschlechtsakte neutral und zügig zu schildern, um die Aussage hierzu hinter sich zu bringen, wirkte sie über diese Forderung des B1 besonders empört.
62Die Zeugin beschrieb, dass sie während der Tat Angst gehabt habe. Sie habe immer wieder gesagt, dass er aufhören solle. Auf gar keinen Fall habe sie das gewollt. Sie habe immer wieder geweint – was auch auf den Videos zu sehen ist – und der B1 habe sie mit Backpfeifen und Worten aufgefordert, damit aufzuhören. Es hätten schon leichte Backpfeifen genügt, um sie zu der Aussage zu bewegen, dass sie freiwillig das Glied des B1 oral manipuliere und sich dabei von dessen Freunden filmen lasse.
63Die Zeugin erläuterte mehrfach, wie schmerzhaft die Taten für sie gewesen seien. So habe der B1 erst von vorne versucht in sie einzudringen. Weil das nicht ging, habe er sie hingelegt. In dieser Position sei es dann gegangen, jedoch verbunden mit viel Schmerzen. Da es aber nicht recht funktioniert habe, habe er aufgehört. Die Backpfeifen hätten ihr hingegen nicht wehgetan.
64Die Zeugin zeigte keine über die reine Beschreibung der Tat hinausgehende Belastungstendenz. Die einzelnen Akte schilderte sie nüchtern und zunächst detailarm. Nur auf Nachfrage ergänzte sie die bereits geschilderten Details und ihre Emotionen währenddessen. Insbesondere sagte die Zeugin von sich aus, dass die Schläge des B1 gegen ihre Wangen nicht weh getan hätten. Sie hätte allerdings deswegen Angst vor Schlimmerem gehabt. Ebenso gab sie an, dass B1 mit verschiedenen Handlungen aufgehört habe, als er merkte, dass es für sie zu schmerzhaft war. Nach der Tat habe man sie gehen lassen und B1 habe ihr sogar noch sein Handy zum Telefonieren überlassen. Sie betonte, dass der Angeklagte I nicht dabei gewesen sei. Da sie ihn kenne, sei sie sich sicher. Sie glaube auch, dass der Angeklagte L nicht zugegen gewesen sei. Sie gab aber wiederholt an, dass der Angeklagte A wohl mit im Keller gewesen sei, betonte aber, dass sie nichts Falsches sagen wolle, sich aber schon recht sicher sei.
65Die Zeugin gab Erinnerungslücken unumwunden zu und erklärte hierzu auch, dass sie sich nicht mehr so gut erinnern könne, weil sie nicht über den Abend nachdenken wolle. Sie versuchte nicht, diese Lücken durch mögliche Erklärungen auszufüllen. So schilderte sie die einzelnen Akte des vaginalen und oralen Geschlechtsverkehrs zunächst durcheinander und nur vereinzelt. Die Kammer erlangte aber den Eindruck, dass es der Zeugin vor allem darum ging, diesen Part ihrer Aussage so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Sie wirkte dabei zwar gefasst und versiert, aber auch sehr angespannt. Auf Vorhalte ihrer früheren Aussagen vermochte sie sich jedoch an die Reihenfolge zu erinnern. Im Wesentlichen wies die Aussage der Zeugin daher auch keine Lücken auf, sondern zeigte lediglich zeitweise Unsicherheiten hinsichtlich der Reihenfolge der Geschehnisse. In den äußerlichen Merkmalen deckt sich ihre Aussage auch mit der Einlassung des B1, der angab, dass es zu oralem und vaginalem Verkehr gekommen sei. Ebenso gab sie an, nicht mehr genau zu wissen, wer wann zugeschaut habe. Weitere Jugendliche seien vor der Tür gewesen und hätten auch zwischendurch zugeguckt und gelacht. Wer genau das gewesen sei und wann, könne sie aber nicht mehr sagen, weil sie darauf nicht sonderlich geachtet habe. Der A sei aber sehr wahrscheinlich dabei gewesen. Zudem seien A und B1 fast immer zusammen gewesen. Auf jeden Fall hätten die anderen Personen jedoch gesehen, dass sie weinte. Wie im Hinblick auf die Reihenfolge der Geschehnisse handelt es sich auch hier um eine nachvollziehbare Erinnerungslücke, da typischerweise zwar die Geschehnisse selbst, nicht aber zwangsläufig ihre Reihenfolge – sofern sie wie hier für den Gesamtablauf ohne Bedeutung ist – erinnert wird, und ebensowenig Nebengeschehen, das zum Zeitpunkt der Tat für die erlebende Person ohne oder mit wenig Bedeutung war - wie hier die Frage, wer wann exakt zuschaute.
66Die Aussage der Zeugin enthielt keine Widersprüche und war nachvollziehbar. Auch auf Nachfragen konnte die Zeugin klar antworten. Sie versuchte auch nicht aus Gefälligkeit, Erklärungen für ihr Verhalten zu erfinden.
67(3) Aussagekonstanz
68Auch hat die Zeugin sowohl das Vorgeschehen als auch den Tathergang und das Nachtatgeschehen ganz überwiegend konstant beschrieben.
69Dies ergibt sich aus den Angaben der Zeugin gegenüber dem Zeugen I5 sowie T unmittelbar nach der Tat, gegenüber der Polizeibeamtin L1 am Tag nach der Tat und gegenüber der Kammer im Rahmen der Hauptverhandlung.
70(a) Schilderung gegenüber I5 und T am …
71Dass sie von dem B1 vergewaltigt wurde, erzählte die Zeugin C auch ihren Bekannten T und I5 unmittelbar nach der Tat. Beide holten die Zeugin C weniger als eine Stunde nachdem sie den Keller verlassen hatte am Bahnhof F2 mit dem Auto des Zeugen I5 ab.
72T erklärte in der verlesenen Zeugenvernehmung vom 27.07.2020, er habe die Zeugin C über seine Großcousine kennengelernt, welche mit ihr befreundet sei. Er und sein Freund I5 seien mit C am Bahnhof verabredet gewesen, doch habe sie angerufen und mitgeteilt, dass sie sich um einige Stunden verspäten werde. C habe ihn gegen 20/21 Uhr angerufen und gesagt, dass sie sich nun treffen könnten. Beim Einsteigen ins Auto habe sie gewirkt, als hätte sie geweint und auf die ersten Fragen nicht geantwortet. Erst auf Nachfragen habe sie erzählt, dass sie von einem „J“ – der gängige Spitzname des B1 – in ein Haus gezogen und dort im Keller vergewaltigt worden sei. Dies hätten „J“ und ein Freund namens „B3“ – der Vorname des Angeklagten A – gefilmt. Beide seien wohl beste Freunde und würden immer zusammen abhängen. Bei der Schilderung habe die C recht normal, aber etwas introvertierter und schüchterner als sonst gewirkt. Sie beide und seine Cousine T1 (telefonisch) hätten C überredet, eine Anzeige zu erstatten. Vorher seien sie noch zur Mutter der C gefahren, um deren Krankenversichertenkarte zu holen.
73Die Angaben des T stimmen mit jenen des Zeugen I5 überein, sofern dieser sich noch erinnern konnte. Gemeinsam hätten sie die Zeugin C verabredungsgemäß am Bahnhof eingesammelt. Ob sie mit ihr verabredet waren oder ob sie die Zeugin C nur irgendwohin bringen sollten, vermochte der Zeuge nicht mehr zu erinnern. Sie habe im Auto sehr zurückhaltend und schüchtern gewirkt und nicht so quickfidel wie sonst. Auf Nachfragen habe sie mit der Sprache rausgerückt und erzählt, dass „der J“ sie angefasst und vergewaltigt habe. Von der Vergewaltigung seien auch Videos gefertigt worden. Erst habe sie nicht zur Polizei gewollt, doch dann habe sie ihre Angst deswegen überwunden. Von ihrer Mutter, die sich gar nicht interessiert habe, habe man die Krankenkassenkarte abgeholt und sei zur Polizei gefahren. Später hätten sie sie gegen 5 Uhr wieder eingesammelt und zur Cousine des T gebracht.
74(b) Vernehmung durch Zeugin L1 am 19.06.2020
75Gegenüber der Zeugin L1 schilderte sie das Tatgeschehen in allen Details so wie in der Hauptverhandlung. Insbesondere gab sie der Polizeibeamtin gegenüber an, dass B1 sie am Hauptbahnhof an der Hand genommen und sie sich nicht geweigert habe, mitzukommen. In der Aufregung über die Polizeisirenen sei sie mitgerannt und habe sich in den Keller ziehen lassen. Erst im Kellerraum habe B1 sie dann tatsächlich belästigt. Die Reihenfolge der sexuellen Übergriffe schilderte sie wie letztendlich in der Hauptverhandlung. Dabei sei sie gefilmt worden und zwar u.a. von dem Angeklagten A, aber auch vom B1. Zwischendurch habe sie zwei Backpfeifen bekommen, sie habe geweint und gesagt, dass sie das nicht wolle. Gewehrt habe sie sich aber nicht, da sie Angst gehabt habe. Am Schluss habe man sie gefragt, ob alles freiwillig geschehen sei. Während sie dies zunächst verneint habe, habe sie es später aus Angst vor weiteren Repressalien bejaht. Der Geschlechtsverkehr sei sehr schmerzhaft gewesen. Nach der Tat habe B1 ihr gedroht, dass er sie töten werde, wenn sie zur Polizei ginge. Außerdem werde er das Video an Freunde schicken, wenn er nicht binnen einer Woche 2.000 Euro von ihr bekomme. Auch die Zeugin L1 schilderte, dass die Zeugin C ruhig und gefasst gewirkt habe. Insgesamt habe sie aber glaubhaft ausgesagt und schlüssig und zusammenhängend erzählt und auf alle Fragen in Übereinstimmung mit vorher Gesagtem beantworten konnte.
76(c) Gerichtliche Vernehmung am 22.04.2021
77Gegenüber der Kammer schilderte die Zeugin C den Tatverlauf wie folgt:
78Gemeinsam mit ihrer Freundin E1 habe sie am Hauptbahnhof den B1 mit Freunden getroffen, der ihr gesagt habe, dass man reden müsse. B1 habe sie über eine D kennengelernt, jedoch nur oberflächlich. Sie habe gewusst, dass er einen schlechten Ruf habe und schon gehört, dass er andere Mädchen geschlagen habe. Sie habe aber immer gedacht, dass er doch nicht so schlecht sei.
79Am Bahnhof dabei gewesen sei ziemlich sicher auch der Angeklagte A. Auch den A habe sie schon vorher gekannt, er und B1 seien meistens zusammen gewesen. B1 habe sie mit sich gezogen und als Polizeisirenen zu hören waren, habe er sie am Arm gepackt und sei mit ihr gerannt, da er angeblich vorher in eine Schlägerei verwickelt gewesen sei. Die anderen seien hinterher gelaufen und in der Nähe des B4 hätten sie weitere Kollegen des B1 getroffen. Zuerst hätte die Gruppe einen Garagenhof betreten wollen, doch B1 und seine Kollegen hätten sich dagegen entschieden, da dort Personen gewesen seien. Sie seien zum Haus des B3 (A) gegangen und hätten geklingelt. Zwei oder eine Person seien hoch gegangen, der Rest sei in den Keller gegangen. Sie habe den B1 gefragt, was sie denn nun hier machen würden. Im Keller habe er ihr befohlen, leise zu sein und habe sie dann auf den Boden geworfen. Schon auf dem Weg, spätestens aber im Haus habe sie sich nicht getraut wegzulaufen, weil sie keine Chance gehabt hätte. Zuerst habe sie ja noch gedacht, dass B1 nur mit ihr reden wolle wegen eines Gerüchts, das D in die Welt gesetzt hatte. Er habe ihr aber nicht geglaubt.
80Im Keller habe B1 angefangen, sie auszuziehen. Sie habe gesagt, dass sie das nicht wolle. Das hätten auch die anderen Jungen gesehen, da sie vor der offenen Tür standen. Sie habe die aber nicht um Hilfe gebeten, weil sie Angst gehabt habe. Die genaue Reihenfolge wisse sie nicht mehr, aber es sei dann zu mehreren sexuellen Handlungen gekommen: Der B1 habe es von hinten versucht, doch das habe nicht geklappt, weil sie so angespannt gewesen sei. Dann seien zwei Kollegen gekommen und hätten zugeschaut. Einer davon sei ziemlich sicher der B3 gewesen, auch wenn sie nichts Falsches sagen wolle. Sie haben dem B1 einen blasen müssen und einer der zwei Jungen habe gefragt, ob sie das auch für ihn machen würde. Da habe sie „Nein“ gesagt. Mindestens einer der zuschauenden Jungs habe zwischendurch gefilmt. Beide hätten gelacht. B1 habe sie gefragt, ob sie das gerade freiwillig mache und sie habe „Nein“ gesagt. Daraufhin habe sie einen Klatsch ins Gesicht bekommen und sei dasselbe noch einmal gefragt worden. Diesmal habe sie mit „Ja“ geantwortet. Für die anderen sei es aber aus ihrer Sicht ganz klar gewesen, dass sie das nicht freiwillig mache. Denn sie habe die ganze Zeit geweint und gesagt, dass sie das nicht wolle. Zudem frage sie sich, wer freiwillig in einen Keller gehen und bei so etwas mitmachen würde. Irgendwann sei alles vorbeigewesen und sie hätten den Keller verlassen, auch die anderen Jungen. Von irgendwem habe sie ein Handy bekommen und Kollegen angerufen. B1 habe ihr gesagt, dass er die Videos verschicken würde, sollte sie ihm nicht Geld geben und dass es noch schlimmer werden würde, wenn sie zur Polizei ginge. Ihre Kollegen hätten sie am Hauptbahnhof abgeholt, denen habe sie alles erzählt und die hätten sie überredet, zur Polizei zu gehen.
81(d) Zusammenfassung
82Zusammenfassend hat die Zeugin damit auch das eigentliche Tatgeschehen ganz überwiegend konstant geschildert.
83Dass die Zeugin sich nicht mehr daran erinnern konnte, ob und welcher der Angeklagten Videoaufnahmen von den Taten machte, schmälert ihre Glaubhaftigkeit nicht. Denn die Zeugin gab an, dass sie von dem Geschehen im Kellerraum so beansprucht wurde, dass sie kaum wahrnahm, was außerhalb des Raumes geschah. Zwar sei ihr bewusst gewesen, dass die anderen Personen zum Teil zuschauten, doch habe sie nicht weiter darauf geachtet und nur das mitbekommen, was mit ihr geschah. Dies hält die Kammer für durchweg nachvollziehbar. An die Videoaufnahmen zur „Freiwilligkeit“ vermochte sich die Zeugin jedoch zu erinnern. Dies ist nachvollziehbar, da die Nachfrage aus Sicht der Zeugin besonders perfide sein musste. Zudem hatte sie in der Vernehmung durch die Zeugin L1 noch Aufnahmen durch die Freunde des Angeklagten in Erinnerung. Da drei Videos vorliegen, die vom Kellerflur aus aufgenommen wurden, war diese Angabe sicher zutreffend.
84(4) Aussagegenese
85Für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin C spricht auch die Aussagegenese. Den übereinstimmenden Angaben von T und I5 zufolge berichtete sie ihnen nur nach mehrfachem Insistieren vom Geschehen. Sie hätte, wenn die Freunde sie nicht gedrängt hätten, ihnen nichts erzählt und hätte auch zumindest am Tatabend die Polizei nicht informiert. Die Zeugin berichtete also nicht, weil sie sich aufspielen oder aus sonstigen Gründen eine Lügengeschichte erzählen wollte. Vielmehr widerlegt (auch) die Aussageentstehung die Lügenhypothese. Die fehlende Belastungstendenz der Zeugin gegenüber den Angeklagten zeigt sich auch darin, dass sie sich zunächst weigerte, mit T und I5 zur Polizei zu fahren. Letztlich willigte sie nur deswegen ein, weil, wie es der Zeuge I5 ausdrückte, sie auf jeden Fall auch ohne ihr Einverständnis zur Polizei gefahren wären, um Anzeige zu erstatten.
86Weil die Zeugin C, nachdem sie sich vom Angeklagten und seinen Begleitern getrennt hatte, umgehend zum Bahnhof F2 fuhr und dort die Zeugen T und I5 traf, denen sie vom Geschehen berichtete, ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte für eine Suggestion von außen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin zwischenzeitlich Kontakt zu anderen Personen hatte. Gegen eine Autosuggestion oder teilweise Lüge in dem Sinne, dass der Zeugin bewusst wurde, wie unangemessen die Situation für sie eigentlich war – Geschlechtsverkehr in einem dreckigen Keller, bei dem die Freunde des B1 zusehen – und sie, um ein etwaiges Einverständnis in diesen Geschlechtsverkehr zu vertuschen oder zu verdrängen, ihr freiwilliges Mittun leugnete, sprechen neben den bereits erwähnten Glaubhaftigkeitsanzeichen die im Folgenden näher erläuterten Videos.
87bb) Inaugenscheinnahme der drei Tatvideos
88Die Haupttat, so wie sie die geschädigte Zeugin C schildert, wird durch die Inaugenscheinnahme von drei Tatvideos bestätigt. Diese Videos konnten auf dem Mobiltelefon des B1 sichergestellt werden und wurden in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Alle zeigen ein Geschehen im von der Zeugin C geschilderten Kellerraum, von dem Fotos später von der Polizei gefertigt und ebenfalls von der Kammer in Augenschein genommen wurden.
89Auf dem ersten Video, das eine Gesamtdauer von 11 Sekunden hat, ist deutlich die Zeugin C zu sehen, die vor dem ebenfalls deutlich erkennbaren B1 mit heruntergezogenen Hosen kniet und den Oralverkehr durchführt. Die Zeugin wirkt monoton, passiv und sieht verweint aus. Die Person fragt mit ruhiger Stimme „Machst Du Anzeige?“, woraufhin die Zeugin C mit „Nein“ antwortet und sodann weiter den Oralverkehr durchführt. Von derselben Person wird nachgehakt „Also freiwillig blasen?“ und die Zeugin C antwortet mit einem kurzen Blick zur Kamera, die sich aus ihrer Sicht rechts befindet, mit „Ja“.
90Aus Sicht der Kammer bestätigt dies gerade die Angaben der Zeugin C, welche angab, aus Angst vor Repressalien gesagt zu haben, dass sie alles freiwillig mitmache, als ihr die Frage zum zweiten Mal gestellt wurde. Denn die Zeugin macht auf dem Video einen willenlosen, zumindest aber sehr unglücklichen Eindruck und es ist ihr deutlich anzusehen, dass sie geweint hat und nicht etwa, wie der Zeuge B1 erklärte, ihre Schminke verlaufen sei, weil er in ihr Gesicht ejakuliert habe. Spuren vom Wegwischen einer Substanz aus dem Gesicht sind im Video nicht zu erkennen. Die Schminke wirkt nur unmittelbar an den Augen leicht verlaufen, wie dies für Weinen typisch ist. Vor allem aber spricht der Blick der C gegen die Darstellung des B1. Sie schaut zwar teilweise in die Kamera, ihr Blick ist aber scheu, umherwandernd und flüchtig. Die gesamte Situation, nicht zuletzt die Umgebung, spiegelt das Gegenteil eines selbstbestimmten, einvernehmlichen, gleichberechtigten Geschlechtsakts wider.
91Für ihre Aussage spricht auch die Frage selbst: Die Zeugin wird während des Geschlechtsakts gefragt, ob sie dem B1 auch bestimmt freiwillig „einen bläst“ und er versichert sich bei ihr, dass sie auch keine Anzeige gegen ihn erstattet. Beide Fragen sind nicht nur ungewöhnlich, sondern deuten eher darauf hin, dass das Gegenteil der Fall ist. In Zusammenschau mit dem verstörten Eindruck, den Zeugin C macht, ist daher gerade von dem Fehlen einer Freiwilligkeit auszugehen und die Frage, ob Anzeige erstattet werde, vielmehr als Drohung anzusehen, keine Anzeige zu erstatten.
92Auf dem zweiten, deutlich längeren Video (70 Sekunden), steht die Zeugin C mit vorgebeugtem Oberkörper und heruntergezogener Hose vor einer ausrangierten Toilette. Hinter ihr steht der B1 und führt von hinten den vaginalen Geschlechtsverkehr bei ihr durch. Das Gesicht der Zeugin ist nicht zu sehen, doch trägt sie dieselbe Kleidung wie auf dem Video zuvor. Sie wird immer wieder von dem B1 in eine andere Position gerückt und ihre Körperhaltung wirkt willenlos. Auf arabischer Sprache ist eine Unterhaltung zwischen zwei männlichen Personen zu hören, die einer Regieanweisung gleichkommt. Es geht wiederholt darum, dass ein anderer seinen Penis herausholen und zeigen soll. Der Einlassung des L zufolge fordert B1 den Angeklagten A auf, sich zu beteiligen. Die Zeugin wird als Schlampe bezeichnet. Die Unterhaltung und Beschimpfung in der Gesamtschau mit dem willenlosen Verhalten der zum Tatzeitpunkt 14-jährigen Zeugin deuten darauf hin, dass der Geschlechtsakt gegen den Willen der Zeugin geschieht und stützen damit ihre Aussage.
93In dem dritten Video von 21 Sekunden kniet die Zeugin C vor dem B1. Dieser manipuliert sein Glied und hält es ihr direkt ins Gesicht. Die Zeugin C weint und dreht das Gesicht leicht zur Seite. Eine männliche Stimme fragt sie, weshalb sie weine und der B1 schiebt ihr sein Glied in den Mund. Am Schluss hält er ihren Hinterkopf fest, während er sein Glied weiterhin in ihren Mund schiebt. Während des Oralverkehrs sagt eine dritte männliche Stimme „Ejakuliere (Bring es) in ihrem Mund“ und „Geht, geht! Lasst sie! Geht, geht! Es reicht, es reicht.“ Auch diese Videosequenz macht aus Sicht der Kammer mehr als deutlich, dass die Zeugin nicht Partnerin des Geschlechtsakts ist, sondern Objekt. Da sie zudem weint, wird auch hierdurch ihre Aussage gestützt, dass sie durch den B1 zu den sexuellen Kontakten gezwungen wurde. Dies alles ist auch für die das Video filmenden und sich unterhaltenden Personen klar zu erkennen.
94c) Zeugenaussage des B1
95Der frühere Mitangeklagte B1 ist in diesem Verfahren als Zeuge gehört worden. Das durch die Kammer gegen ihn verhängte Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
96Er hat angegeben, dass er, A, L und eine vierte Person die Zeugin C am Hauptbahnhof getroffen hätten. Die Freundin der C habe weggemusst, aber C sei mit ihnen gegangen. Er habe mit C vorher keinen Streit gehabt, doch habe sie wohl behauptet, dass er für ihren Vater Drogen verkaufe. Sie habe daher mit ihm reden wollen und über A sei sie an seine Nummer gelangt. Das Treffen am Bahnhof sei aber zufällig gewesen und sie hätten nicht gestritten.
97Gemeinsam seien sie zum Haus des A gegangen, wo sie öfters abhängen würden. Dies sei seine Idee gewesen. Eigentlich seien sie immer dann dort, wenn die sehr strenge Mutter des A nicht da sei. Doch am Tattag sei die Mutter in der Wohnung gewesen, weshalb sie sich versteckt hätten und der A zunächst hoch gegangen sei. Alle anderen seien in den Keller gegangen. Dort hätte die Zeugin C ihn oral befriedigt und er sei in ihrem Gesicht gekommen, so dass die Schminke verlaufen sei. Danach hätten sie Sex miteinander gehabt. Alles sei freiwillig gewesen. Zu keinem Zeitpunkt habe die Zeugin gesagt, dass sie dies nicht wolle. Auch habe er sie nicht geschlagen oder zu irgendetwas gezwungen. Danach hätten sie sich angezogen und die Zeugin C hätte von ihrem Handy aus jemanden angerufen, um abgeholt zu werden. Die Zeugin habe noch erzählt, dass sie 2.000 Euro habe, die aus diversen Einbrüchen und aus der Verwertung der gestohlenen Gegenstände stammen würden. Dies habe er ihr jedoch nicht geglaubt und zu keinem Zeitpunkt von ihr Geld gefordert.
98Aus den genannten Gründen folgt die Kammer dieser Darstellung nicht, sondern erachtet die Aussage der Zeugin C als glaubhaft. Der Zeuge B1 hat zudem ein starkes Eigeninteresse an einer für ihn positiven Darstellung, da das Strafverfahren gegen ihn noch nicht abgeschlossen ist.
99d) Nachtatgeschehen
100Auch was das Geschehen nach der eigentlichen Tat betrifft, konnte die Kammer ihre Feststellungen auf die Aussage der Zeugin C, aber auch auf die Angaben von T, I5 und L1 stützen.
101Die Zeugin C sagte aus, dass sie sich nach dem Verlassen des Kellers mit T und I5 am Bahnhof F2 getroffen habe. Ursprünglich sei man früher verabredet gewesen, doch die beiden hätten auf sie gewartet. Sie sei in das Auto des Zeugen I5 gestiegen und habe dort angefangen zu weinen. Sie habe den beiden Zeugen nach anfänglichem Zögern erzählt, was geschehen war. Erst habe sie nicht zur Polizei gehen wollen, doch dann hätten ihre Bekannten sie überredet. Dann seien sie zu ihrer Mutter gefahren, um ihren Personalausweis zu holen. Ihre Mutter habe wegen der kleinen Schwester nicht mitkommen können. Sodann habe sie Anzeige erstattet und sei im Krankenhaus untersucht worden.
102Der Zeuge I5 sagte übereinstimmend mit der verlesenen Aussage des T aus, dass sie am Abend der Tat mit der Zeugin C verabredet gewesen seien. Etwas später als vereinbart hätten sie die Zeugin C am Bahnhof getroffen und sie sei zu ihnen ins Auto gestiegen. Im Auto hätte sie ihnen dann von der Vergewaltigung durch den Angeklagten erzählt. Beide Zeugen hätten sie intensiv überreden müssen, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten.
103T erzählte in Übereinstimmung mit der Zeugin C und dem Zeugen I5, dass sie noch bei der Mutter der Zeugin C Personaldokumente abgeholt hätten. Er und der Zeuge I5 hätten vor der Haustür gewartet, während die Zeugin C ihrer Mutter berichtete und die Dokumente holte. Als sie wiederkam, erzählte sie, dass ihre Mutter gesagt habe, dass es ja nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis so etwas passiere und dass sie nicht mitkommen könne, da sie die jüngere Schwester ins Bett bringen müsse. Die Mutter habe auch nicht wissen wollen, mit wem die Zeugin C unterwegs sei. Er und der Zeuge I5 hätten die Zeugin C dann zur Polizei gefahren, wo sie auch selbst kurz vernommen worden seien.
104Die Kammer hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Zeugen C, T und I5 zum Nachtatgeschehen. Alle drei schildern den Verlauf des Abends mit großer Übereinstimmung. Ihre Angaben wirken aber nicht abgesprochen, vielmehr schildert jeder die Eckpunkte der Geschehnisse glaubhaft aus seiner Perspektive. So konnte sich I5 an viele Details nicht mehr erinnern, weil er offensichtlich eher die Rolle des Fahrers hatte und sich dementsprechend an die Ereignisse erinnerte. T kannte C offenbar besser und hatte mehr Bezugspunkte zu ihr, zudem erfolgte seine Zeugenvernehmung mit deutlich weniger zeitlichem Abstand zur Tat als die Vernehmung des I5 vor der Kammer. In den wesentlichen Punkten stimmen die Aussagen aller drei Zeugen lückenlos überein.
105Die Zeugin L1 schildert das Aussageverhalten von C am Tag nach der Tat als gewollt emotionslos und nüchtern. Ersteres sei ihr jedoch nicht durchgehend gelungen, vielmehr seien auch Tränen gerollt. Auch dies ist stimmig zum Gesamteindruck der Kammer von der Zeugin C.
106e. Feststellungen zur Tatbeteiligung des Angeklagten L
107Dass der Angeklagte L vor der Kellertür stand, während B1 die C vergewaltigte, das Geschehen teilweise filmte und später an den B1 schickte, steht fest aufgrund der Einlassung des L, der Aussage der Zeugin C und den in Augenschein genommenen Videos. Der Angeklagte L hat eingeräumt, teilweise zugeschaut und gefilmt zu haben, während B1 die Zeugin C zum Oral- und Vaginalverkehr zwang. Er habe – so wie von der Kammer festgestellt – drei Videos gedreht und C gefragt, ob sie Anzeige erstatten werde und ob sie freiwillig handele. Später habe er die Videos an B1 geschickt. Diese Einlassung des L wird durch die Videos bestätigt. Auf allen drei Aufnahmen sind Stimmen weiterer männlicher Personen zu hören. Eine der Stimmen weist dieselbe raue Tonlage auf wie die des Angeklagten L. Davon konnte sich die Kammer während der Hauptverhandlung selbst einen Eindruck verschaffen, ohne hierzu ein Gutachten einholen zu müssen, zumal L auch unumwunden zugab, dass dies seine Stimme sei. In einem Video rede auch der B1, ebenso sei A zu hören. Die Aussage der C, L sei nicht dabei gewesen, steht der Glaubhaftigkeit der Einlassung des L nicht entgegen. Denn er gab seine Teilnahme unumwunden zu. Insbesondere aber gab die Zeugin C an, dass sie kaum darauf geachtet habe, was außerhalb des Raumes geschehe. Den Angeklagte L kannte sie nicht. Es ist daher durchaus glaubhaft, dass sie sich sein Gesicht daher auch nicht eingeprägt hat, das des A, den sie gut kannte, hingegen schon. Schließlich war sie auch in besonderem Maße darum bemüht, nur das zu sagen, woran sie sich glasklar erinnerte und wiederholte dies während der Verhandlung mehrfach. Sie machte auf die Kammer zwar keinen eingeschüchterten, aber einen überaus vorsichtigen Eindruck. Dass sie wiederholt angab, sie wolle nichts Falsches sagen und sei sich nicht ganz sicher, führt die Kammer darauf zurück, dass die junge Zeugin durch die wiederholte Zeugenvernehmung – sie musste nach den polizeilichen Vernehmungen auch bereits im Verfahren gegen den B1 aussagen – leicht beeinträchtigt war.
108Dass der Angeklagte L seine Videos später versandte, steht fest aufgrund seiner eigenen Einlassung sowie der Tatsache, dass die Videos auf dem Handys des B1 sichergestellt werden konnten. Zudem konnte ein entsprechender Sendebericht auf dem Smartphone des B1 gesichert werden. Die polizeilichen Vermerke zum Auffinden der Daten auf den Smartphones hat die Kammer verlesen.
109f. Feststellungen zur Tatbeteiligung des Angeklagten A
110Dass der Angeklagte A ebenfalls vor der Tür stand und filmte, steht fest aufgrund der Aussage der Zeugin C und der Einlassung des Angeklagten L. Die Einlassung des A, er sei in seiner Wohnung gewesen und als er wieder heruntergekommen sei, seien bereits alle wieder angezogen gewesen und die Zeugin C habe ganz normal und nicht verweint ausgesehen, ist hierdurch widerlegt; ebenso seine Behauptung, er habe nur ein Video von den Räumen oder vollständig bekleideten Personen gedreht. L hat eindeutig angegeben, dass A neben ihm gestanden habe, als sie vor dem Kellerraum standen und zusahen, wie B1 die Zeugin C vergewaltigte. A habe als erster ein Video von B1 und C während des sexuellen Verkehrs gedreht, welches er selbst aber nicht gesehen habe. Gemeinsam hätten sie das Tatgeschehen kommentiert, so dass auf dem Video auch die Stimme des A zu hören sei. Die Kammer hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Einlassung des L. Denn der Angeklagte hat diese Einlassung von sich aus, widerspruchsfrei und ohne Belastungstendenz abgegeben. Insbesondere hat er nicht versucht, seinen eigenen Tatbeitrag dadurch zu verharmlosen, dass er angab, nicht der einzige gewesen zu sein, der filmte. Seine Einlassung wird insofern durch die drei aufgenommenen Tatvideos bestätigt, als dass darauf mehrere Stimmen zu hören sind. Die Kammer selbst vermochte aber genauso wenig die Stimme des A darauf zu erkennen wie der gerichtlich beauftragte phonetische Gutachter N1. Dieser erläuterte in seiner schriftlichen Einschätzung, dass die Sprachsequenzen auf den Videos entweder zu kurz gewesen seien (nur 3,8 und 0,8 Sekunden auf dem 2. Video und 2,5 Sekunden auf dem 3. Video), um anhand dessen eine Stimme zu identifizieren oder dass die Tonqualität so schlecht gewesen sei, dass ein Stimmvergleich anhand dessen nur ungefähre Wahrscheinlichkeiten liefern könne.
111Die Einlassung des L wird aber bestätigt durch die Aussage der C. Sie war sich so gut wie sicher, dass der Angeklagte A zuschaute und kommentierte. Sie gab an, den A schon vorher gekannt zu haben. Dies bestätigt auch der Zeuge B1. Er gab sogar an, dass C über den A an seine Telefonnummer gelangt sei und ihn kontaktiert habe. Zwar sagte sie erst aus, dass sie sich nicht erinnern könne, ob dieser wirklich dabei gewesen sei, gab jedoch später an, dass sie schon sehr sicher sei, dass auch A dabei gewesen sei. Sie betonte mehrfach, nichts Falsches sagen zu wollen, dass sie versuche das Geschehen zu vergessen und bei der eigentlichen Tat nur auf den B1 als ihren Peiniger geachtet zu haben. Dass A generell dabei war, steht aber bereits aufgrund seiner eigenen Einlassung und der Tatsache, dass sie im Keller seines Hauses waren, fest. Die vorsichtige Einlassung der Zeugin C, dass er auch zugeschaut habe, ist daher so zu werten, dass ihre Erinnerung zwar mit der Zeit verblasst ist und sie durch die mehrfachen Vernehmungen verunsichert ist, ihr daher aber gefolgt werden kann, wenn sie angibt, „ziemlich sicher“ zu sein. Zudem spricht dafür auch die Konstanz ihrer Aussage in diesem Aspekt. Gegenüber der Zeugin L1 schilderte sie am Tag nach der Tat, dass sie in das Haus des B3 gegangen seien. Dieser sei zunächst hoch gegangen, während alle anderen den Keller betreten hätten. A sei aber später hinunter gekommen, habe an der Tür gestanden und ein Video gemacht. Dort hätten auch weitere männliche Personen gestanden, und einer habe sie gefragt, ob dies freiwillig geschehe. Wer dies gewesen sei, habe C ihr, der Zeugin L1, nicht sagen können. Auch auf Nachfrage sei die Zeugin C ganz sicher gewesen, dass das Tatgeschehen auf jeden Fall durch A gefilmt worden sei. Insgesamt habe die Zeugin C auf sie einen ruhigen und gefassten Eindruck gemacht und die Tat sehr gut schildern können. Sie, die Zeugin L1, habe Erfahrung in der Vernehmung von Vergewaltigungsopfern und anhand der Schilderungen der C den Eindruck gewonnen, dass die Tat auch wirklich so passiert sei. Insbesondere habe die Zeugin auch ihr gegenüber schon klar angegeben, woran sie sich erinnern konnte und woran nicht. Die Kammer hat wiederum keinen Anlass gehabt, an der Aussage der Zeugin L1 zu zweifeln. Diese konnte sich noch sehr gut an die Zeugenvernehmung erinnern und schilderte ihren Eindruck von der Zeugin in eigenen Worten und ohne Belastungstendenz.
112Hinzu kommt, dass die Einlassung des A wiederholt in sich widersprüchlich war. Mal schilderte er, er habe B1 und C gefilmt, sie seien zu dem Zeitpunkt aber angezogen gewesen, mal habe er nur den Kellerraum gefilmt – obwohl dieser gänzlich unspektakulär, geradezu häßlich war und dem A ohnehin bekannt, da er in diesem Haus wohnt. Mal sprach er von „unseren Videos“, die aufgenommen worden seien, und korrigierte sich dann. Außerdem versuchte er, durch Mimik und Gestik sowohl auf die Aussage des B1 als auch auf jene der C Einfluss zu nehmen.
113g. Feststellungen zur Erkennbarkeit der fehlenden Freiwilligkeit durch die Angeklagten
114Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass es für die Angeklagten A und L erkennbar war, dass B1 die Zeugin C zu den sexuellen Handlungen zwang. Sie ist insofern den Einlassungen der Angeklagten nicht gefolgt. Der Angeklagte L gab an, gesehen zu haben, dass die Zeugin C weinte. Doch habe ihm der B1 versichert, dass sie weine, weil sie so zufrieden sei. Dies hält die Kammer für abwegig und bereits in sich nicht glaubhaft. Dagegen spricht zudem die gesamte Situation und der Eindruck der Zeugin C zur Tatzeit, wie ihn sich die Kammer durch Inaugenscheinnahme der Videos selbst verschaffen konnte. Die Zeugin C wurde mehrfach in einem dreckigen Kellerraum, in dem u.a. eine ausrangierte Toilettenschüssel stand, von dem B1 zu sexuellen Handlungen gezwungen. Die Zeugin ist erst 14 Jahre alt, wobei die Angeklagten ihr Alter jedenfalls ungefähr erkannten, und andere Jugendliche schauten zu. Allein diese Tatsachen sprechen gegen einvernehmliche sexuelle Akte. Zudem ist aber auch auf den Videos zu sehen, dass die Zeugin C weinte. Dass sie weinte, haben auch die Angeklagten wahrgenommen. Der Angeklagte A gab dies in der Hauptverhandlung zwar nicht mehr an, doch sagte er bei seiner Beschuldigtenvernehmung gegenüber der Zeugin C1, dass die Zeugin C geweint hätte und noch Tränen im Gesicht hatte, als sie bekleidet den Kellerraum verließ. Die Zeugin C1 hatte den Angeklagten wenige Tage nach der Tat vernommen, die Kammer hat an der Richtigkeit ihrer Aussage keine Zweifel.
115Die Kammer hat bei der Frage der Erkennbarkeit auch den kulturellen Hintergrund der Angeklagten A und L bedacht. Beide stammen aus Syrien und sind seit 2013 bzw. 2015 in Deutschland. Besonders das Verhalten des Angeklagten A hat der Kammer verdeutlicht, dass die Angeklagten noch immer ein anderes Rollenverständnis haben als es in Deutschland üblich und im Grundgesetz verankert ist. Die Kammer hat daher durchaus berücksichtigt, dass es aus Sicht der Angeklagten zunächst einer Einwilligung gleichgekommen sein könnte, dass C dem B1 und den anderen Jungen in den Keller folgte, ohne sich zu wehren. Doch selbst wenn die Angeklagten dieser Annahme unterlegen wären, war für sie spätestens als sie den B1 und die Zeugin C im Kellerraum beim Oral- und Vaginalverkehr beobachteten und sahen, wie die Zeugin C dabei weinte und sich wie eine Marionette bewegen ließ, klar erkennbar, dass die Zeugin nicht freiwillig mitwirkte, sondern durch den B1, die räumliche Situation und die zahlenmäßige Überlegenheit der vier Jugendlichen dazu gezwungen wurde.
116Ferner war es für die Angeklagten erkennbar, dass ihre eigene Präsenz vor der Kellertür sowie ihre Kommentare dazu beitrugen, dass die Zeugin C sich nicht wehrte und sie es B1 somit deutlich erleichterten, C mehrfach zu misshandeln. Denn B1 rief die Angeklagten gerade zu dem Zweck herbei, um dokumentieren zu lassen, dass C auf seine Frage, ob sie freiwillig mitmache, mit „Ja“ antwortete. Zuvor hatte sie aber mit „Nein“ geantwortet, woraufhin B1 sie geohrfeigt und die Frage wiederholt hatte. Erst der zweite Teil des Wortwechsels wurde von L gefilmt. Den ersten Versuch hatten die Angeklagten aber bereits mitbekommen. Es war für sie somit klar, dass die Zeugin C gerade nicht freiwillig mitwirkte und das Gegenteilige nur nach Gewalteinwirkung angab. Dass die Zeugin erst mit „Nein“ antwortete und der B1 sie sodann ohrfeigte, steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Zeugenaussage C fest. Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass die Angeklagten dies auch mitbekamen, da sie vor der Tür standen. Zudem suggeriert dies auch die Art der Fragestellung des L, wie sie auf dem Video zu hören ist: Er fragt die Zeugin C direkt, ob sie Anzeige erstatten werde und versichert sich sodann noch einmal, ob sie „also freiwillig?“ handele. Er will mit seinen Fragen und deren Dokumentation ganz eindeutig so sicher wie möglich gehen, dass C angibt, freiwillig mitzumachen. Angesichts der Tatumstände deutet dies aus Sicht der Kammer aber gerade auf das Gegenteil hin.
117h. Feststellungen zum Vorsatz der Beihilfehandlung
118Beiden Angeklagten war es bewusst, dass sie es durch ihre Präsenz und ihr Handeln dem B1 erleichterten, die C zu vergewaltigen, ihn dabei bestärkten und durch ihre Kommentare zu weiteren Handlungen anfeuerten. Dies nahmen sie zumindest billigend in Kauf. Zunächst waren B1 und C allein im Kellerraum, doch dann rief B1 die beiden Angeklagten hinzu. Den Angeklagten war klar, dass sie der C nicht nur den einzigen Fluchtweg versperrten, als sie in der Kellertür standen und zuschauten, sondern den B1 auch anfeuerten. Denn sie gaben dem B1 Regieanweisungen wie „Zeig Deinen Penis“ und „Beweg ihn in ihrem Mund“. Hierdurch bestärkten sie ihn darin, dass sein Handeln nicht unrecht sei und ermutigten ihn, damit fortzufahren. Dass ihre Zurufe diese Wirkung hatten, war ihnen bewusst und von ihnen gerade erwünscht, dass er auf die Zurufe reagierte, etwa indem er rief „Jungs, der Reihe nach“. Die Kammer konnte zwar nicht mehr feststellen, wer welche Aussage tätigte. Doch ähnelten sich die Rufe der zuschauenden Angeklagten in Art und Inhalt, so dass es keine Rolle spielt, wer genau was sagte. Den Angeklagten war weiterhin bewusst, dass sie die Demütigung der C verstärkten, indem sie das Tatgeschehen filmten und – im Falle des L – ihre erzwungene Aussage, sie mache freiwillig mit, erfragten und aufnahmen.
1191. Tatbeitrag des I / Freispruch
120Zur Überzeugung der Kammer steht bereits nicht fest, dass der Angeklagte I am Tattag zugegen war. I hat sich so eingelassen, dass er mit dem ganzen nichts zu tun gehabt habe, nicht dabei gewesen sei und erst viel später davon erfahren habe. Diese Einlassung wird durch die Einlassungen der Angeklagten sowie durch die Zeugenaussagen C und B1 bestätigt. Alle haben übereinstimmend angegeben, dass der I nicht dabei gewesen sei. Die Zeugin C hatte im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage am 27.08.2020 zwar erst noch angegeben, dass ein B5 (I) dabei gewesen sei. Diese Aussage hat sie jedoch später eindeutig zurückgenommen und ausgesagt, I, den sie kenne, sei nicht dabei gewesen. Da die Zeugin im Gegensatz zu ihrer Aussage zu A, den sie auch kannte, nicht angab, unsicher zu sein und nichts Falsches sagen zu wollen, war ihre Einlassung in der Hauptverhandlung nicht zu widerlegen.
121Der Angeklagte I war daher aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
122V. Rechtliche Würdigung
1231. L
124Der Angeklagte L hat sich durch sein Zuschauen, Kommentieren, Anfeuern und Filmen der Vergewaltigung der C durch B1 der Beihilfe zur schweren Vergewaltigung strafbar gemacht, §§ 177 Abs.1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1, 27 Abs. 1 StGB. Der entgegenstehende Wille der Zeugin C war sowohl aufgrund ihrer ersten Antwort auf die Frage, ob sie freiwillig mitmache mit „Nein“, als auch anhand ihrer Tränen für den Angeklagten erkennbar. Während der weiteren Geschlechtsakte war der entgegenstehende Wille der Zeugin weiterhin daran zu erkennen, dass sie fortwährend weinte. Indem er ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Kellertür stand, hat er ihr den Fluchtweg versperrt und verdeutlicht, dass sie B1 und den übrigen in diesem Keller ausgeliefert ist. Indem er den B1 anfeuerte, hat er diesen in seinem Tun bestärkt. Indem er Teile des Geschehens filmte, kommentierte und die C fragte, ob sie freiwillig mitwirke, hat er die der Vergewaltigung immanente Demütigung der C noch vertieft.
125Der Angeklagte handelte nach den Feststellungen zur Sache mit dem nach §§ 15, 16 Abs. 1 StGB erforderlichen Vorsatz. Auch wenn die Zeugin nur anfangs äußerte, der Angeklagte solle aufhören und sie wolle das nicht und für die Kammer nicht mehr feststellbar war, ob der Angeklagte L dies mitbekam, so kannte der Angeklagte aber jedenfalls ab dem Zeitpunkt, zu dem die Zeugin mit „Nein“ auf die Frage nach der Freiwilligkeit antwortete, und auch bei allen späteren Handlungen den Widerwillen der Zeugin. Dieser Widerwille zeigte sich nämlich in dem Weinen und in den marionettenhaften Bewegungen der Zeugin und war auch für den aus Syrien stammenden Angeklagten erkennbar. Die Tatsache, dass die Zeugin letztlich allen Aufforderungen des B1 folgte, ließ den Angeklagten nicht darauf schließen, dass die Zeugin in den Geschlechtsverkehr einwilligte. Denn die Zeugin hatte seine Frage, ob sie freiwillig mitwirke, erst verneint und nur im zweiten Anlauf bejaht, nachdem der B1 ihr eine Ohrfeige („Klatscher“) gegeben hatte.
126L handelte rechtswidrig und schuldhaft.
127Er hat sich weiter der Verbreitung und Herstellung jugendpornographischer Inhalte gem. §§ 184c Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB strafbar gemacht, indem er die Vergewaltigung filmte und die Videos später an B1 versandte. Denn er filmte sexuelle Handlungen von und an einer Person, die vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist, § 184c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB. Es handelt sich um Inhalte gem. § 11 Abs. 3 StGB, da die Videos Ton- und Bildträger sind.
128Durch dieselbe Handlung hat sich der Angeklagte auch der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen strafbar gemacht, § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Denn die Zeugin C befand sich in einem gegen Einblick besonders geschützten Raum und hatte den Angeklagten nicht zu Bildaufnahmen befugt. Da er die Zeugin C dabei filmte, wie sie an B1 erzwungenermaßen den Oralverkehr ausübt und von ihm penetriert wird, wurde mit der Aufnahme auch ihre Hilflosigkeit zur Schau gestellt. Denn die Zeugin C konnte sich aus äußeren Gründen nicht gegen die von dem B1 ausgehende Gefahr zur Wehr setzen. Durch die Aufnahme wurde der höchstpersönliche Lebensbereich der Zeugin C verletzt. Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der öffentlichen Sitzung am 22.04.2021 bejaht, § 205 Abs. 1 StGB.
129L handelte jeweils vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
1302. A
131Auch der Angeklagte A hat sich der Beihilfe zur schweren Vergewaltigung strafbar gemacht, §§ 177 Abs.1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1, 27 StGB, indem er in der Tür stand und dabei zusah, dem B1 Regieanweisungen gab und das Geschehen filmte. Ebenso wie L unterstützte auch er den B1 psychisch bei der Vergewaltigung seines Opfers und bestärkte ihn durch seine Kommentare, fortzufahren. Durch das Drehen eines Videos vertiefte auch er die Demütigung der C. Während der weiteren Geschlechtsakte war der entgegenstehende Wille der Zeugin C auch für den A, der zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt zuschaute, daran zu erkennen, dass sie fortwährend weinte. Indem er in der Kellertür stand, hat er ihr den Fluchtweg versperrt und verdeutlicht, dass sie B1 und den übrigen in diesem Keller ausgeliefert ist. Indem er den B1 anfeuerte, hat er diesen in seinem Tun bestärkt. Indem er Teile des Geschehens filmte, kommentierte und die C fragte, ob sie freiwillig mitwirke, hat er die der Vergewaltigung immanente Demütigung der C noch vertieft.
132Der Angeklagte handelte nach den Feststellungen zur Sache zudem mit dem nach §§ 15, 16 Abs. 1 StGB erforderlichen Vorsatz. Es gilt hierzu das wie zum Angeklagten L Ausgeführte. Der Angeklagte A verfügte zu dem Zeitpunkt, zu dem er an der Tür des Kellerraums stand, über die gleichen Erkenntnisse und Einsichten wie L.
133A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
134Durch das Filmen der Vergewaltigung der 14-jährigen C hat er sich der Herstellung jugendpornographischer Inhalte strafbar gemacht. Denn er filmte sexuelle Handlungen von und an einer Person, die vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist, § 184c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB.
135Durch dieselbe Handlung hat er sich ebenso wie L der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen strafbar gemacht, § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Erneut gilt hierzu das Gleiche wie zum Angeklagten L ausgeführt. Der Angeklagte A hat lediglich die von ihm gefertigten Videos nicht versandt.
136A handelte jeweils vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
1373. Konkurrenzen
138Die verwirklichten Straftatbestände stehen in Tateinheit zueinander.
139VI. Strafzumessung
1401. L
141a.
142Der Angeklagte L war zur Tatzeit 15 Jahre und 6 Monate alt und damit Jugendlicher, § 1 Abs. 2 JGG. Zweifel an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 3 S. 1 JGG haben sich nicht ergeben. Die Kammer hat zwar eine Reifeverzögerung festgestellt, doch war er reif genug, das Unrecht seiner Handlung einzusehen und hiernach zu handeln. Der Angeklagte ist verständig. In Anbetracht der Tatsache, dass er erst mit 10 Jahren erstmals am Sprachunterricht teilnahm und erst mit 12 Jahren mit einem regulären Schulbesuch begann, dennoch aber ein Hauptschulabschluss nach Klasse 10 erreichbar erscheint, geht die Kammer von einer mindestens durchschnittlichen geistigen Entwicklung aus.
143b.
144Die abzuurteilenden Taten offenbaren weder schädliche Neigungen bei dem Angeklagten, noch konnte die Kammer die Schwere der Schuld feststellen, § 17 Abs. 2 JGG.
145Zwar enthält der Bundeszentralregisterauszug eine Eintragung wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs. Vorbestraft ist der Angeklagte indes nicht. Die Kammer kann auch ansonsten schädliche Neigungen noch nicht erkennen. Der Angeklagte wusste, was er tat und der Zeugin C antat, handelte aber ganz klar als Mitläufer und wurde durch den älteren, psychisch und kognitiv überlegenen B1 mit hineingezogen. Er folgte diesem in den Keller und auf dessen Aufforderung, zu filmen und zu fragen. Doch handelte er nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Sog des Älteren, der aus seiner Sicht auch sexuell schon sehr erfahren und jedenfalls deutlich erfahrener als er selbst war. Ohne damit die Verwerflichkeit seines Handelns zu schmälern, ist daraus aber nicht erkennbar, dass der Angeklagte auch künftig zu strafbaren Handlungen neigen wird. Denn er hat sich von seinem alten Freundeskreis losgesagt, ist familiär und schulisch gut eingebunden und hat ein nicht unrealistisches Ziel für seine Zukunft vor Augen. Zudem hat er seinen Fehler nunmehr erkannt und stand in der Hauptverhandlung klar zu seinem Fehlverhalten, auch wenn sein Geständnis nach Überzeugung der Kammer nicht umfassend war.
146c.
147Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat die Kammer zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er sich von Anfang an geständig eingelassen und auch Angaben zu seinem Mittäter gemacht hat. Er hat zwar in einem Punkt – er habe gedacht, die C weine vor Glück – seinen Tatbeitrag verharmlost, doch hat er ansonsten alles unumwunden zugegeben. Die Kammer hat weiter auch bedacht, dass er früh entwurzelt wurde, auf der jahrelangen Flucht viel durchgemacht hat und dadurch von dem überlegenen B1 deutlich mehr zu beeinflussen war als ein Jugendlicher, der in gefestigtem Umfeld aufwächst. Er war außerdem lediglich Gehilfe der Vergewaltigung, kein Täter. Allerdings ermöglichte seine Anwesenheit ebenso wie die des A und des vierten Jugendlichen es B1 erst, die Tat umzusetzen, da ansonsten C deutlich realistischere Chancen auf Flucht gehabt hätte.
148Zu seinem Nachteil hat die Kammer gewertet, dass er es durch sein Video später dem B1 ermöglichte, die C zu erpressen. Weiterhin verletzte er durch sein Handeln gleich mehrere Gesetze. Die Tat – wenngleich der Angeklagte nicht Täter der Vergewaltigung war – hat der Zeugin C aus Sicht der Kammer schwer geschadet. Auch wenn sie bei allen Vernehmungen bemüht war, sachlich und emotionslos zu wirken, lastet das Geschehene schwer auf ihr. Es ist ihrer Persönlichkeit und Lebensumständen zuzuschreiben, dass sie sich erst spät um psychischen Beistand bemühte, um das an ihr begangene Verbrechen aufzuarbeiten. Hierzu hat der Angeklagte L erheblich beigetragen, indem er Gehilfe war und die Tat filmte. Gerade das Zusehen und die Kommentare von weiteren Anwesenden bedeuteten für die Zeugin C außerdem eine besondere Schmach und Demütigung.
149Die Kammer hält unter Abwägung aller tat- und täterbezogenen Strafzumessungserwägungen eine
150Verwarnung
151einen Dauerarrest von 4 Wochen und
152eine Arbeitsauflage in Höhe von 60 Stunden, abzuleisten binnen 9 Monaten und nach Weisung des Jugendamts
153für erzieherisch notwendig, aber auch angemessen und erforderlich. Der Dauerarrest soll dem Angeklagten die Möglichkeit geben, über das Unrecht seiner Tat zu reflektieren. Mit der Arbeitsleistung soll er im Rahmen seiner Möglichkeiten Wiedergutmachung anstreben.
1542. A
155a.
156Der Angeklagte A war zur Tatzeit 16 Jahre und 11 Monate alt und damit Jugendlicher, § 1 Abs. 2 JGG. Zweifel an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 3 S. 1 JGG haben sich nicht ergeben. Die Kammer konnte eine Reifeverzögerung nicht feststellen, er war reif genug, das Unrecht seiner Handlung einzusehen und hiernach zu handeln. Der Angeklagte A hat es trotzdem er jahrelang auf der Flucht war geschafft, sich in Deutschland gut zu integrieren. Er besucht mittlerweile das Berufskolleg. Dass er seinen Realschulabschluss erreicht, ist durchaus realistisch. Die deutsche Sprache hat er sich erstaunlich gut angeeignet. Auch seine rasche Auffassungsgabe spricht aus Sicht der Kammer trotz der entbehrungsreichen Fluchtjahre gegen eine Verzögerung seiner Entwicklung. Ebenso sind ihm die Unterschiede zwischen Recht und Unrecht sehr wohl bewusst. Dies wurde nicht zuletzt in der Hauptverhandlung deutlich, als der Angeklagte einerseits versuchte, auf Zeugen Einfluss zu nehmen, andererseits aber auch auf Intervention des Vaters des Angeklagten I in einer Sitzungspause im Anschluss den mutmaßlichen Namen des vierten Jugendlichen nannte. Auch im Verhältnis zu den Mitangeklagten wurde die intellektuelle Überlegenheit des Angeklagten A, die nicht allein auf sein höheres Alter zurückzuführen ist, erkennbar.
157b.
158Zugunsten des Angeklagten ist lediglich zu berücksichtigen, dass er es eingeräumt hat, ein Video gefertigt zu haben, wobei er zum Inhalt widersprüchliche und jedenfalls nicht geständige Angaben machte. Der Angeklagte ist zudem nicht vorbestraft, auch wenn der Bundeszentralregisterauszug Eintragungen enthält.
159Zu seinen Lasten ist zu werten, dass er durch eine Handlung gleich mehrere Gesetze verletzt hat. Er hat dem B1 den Keller seines Wohnhauses zur Verfügung gestellt und ihm die Tatbegehung dadurch maßgeblich erleichtert. Die Tat – wenngleich der Angeklagte nicht Täter der Vergewaltigung war – hat der Zeugin C aus Sicht der Kammer schwer geschadet. Hierzu gilt das bereits hinsichtlich des Angeklagten L Angeführte. Zudem hat der Angeklagte A im Gegensatz zum Angeklagten L eine nachhaltige Distanzierung von dem Geschehen im Keller vermissen lassen. Eher noch schien er sich zeitweise darüber und über die Hauptverhandlung selbst zu belustigen bzw. diese nicht ernst zu nehmen.
160c.
161Die Kammer vermochte bei dem Angeklagten dennoch schädliche Neigungen nicht mit der für eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe erforderlichen Sicherheit festzustellen. Auch nach Abschluss der Ermittlungen und dem Bericht der Vertreterin der Jugendgerichtshilfe ist nach Ansicht der Kammer ungewiss geblieben, ob der Umfang der vorliegenden schädlichen Neigungen ein solcher ist, der die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich macht. Insbesondere ist die Kammer aber auch nicht davon überzeugt, dass Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel ausreichen, um das Verhalten des Angeklagten zu sanktionieren und ihn nachhaltig zu beeindrucken.
162Für das Vorliegen von schädlichen Neigungen spricht, dass der Angeklagte bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr dreimal Verfahren wegen Körperverletzungsdelikten gegen ihn angestrengt wurden. Von einer Verfolgung wurde abgesehen, § 45 JGG, bzw. das Verfahren nach richterlicher Weisung eingestellt, § 47 JGG. Auch die hier abzuurteilende Tat offenbart eine Skrupellosigkeit und Rücksichtslosigkeit, welche die Kammer auch noch während der Hauptverhandlung bei dem Angeklagten deutlich wahrgenommen hat.
163Auf der anderen Seit ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich erfolgreich schulisch in Deutschland integriert hat, so dass ihm nun sogar der Realschulabschluss möglich ist. Er ist familiär ausreichend integriert und hat im Rahmen des ihm zuletzt auferlegten Täter-Opfer-Ausgleichs gut mitgewirkt.
164Insoweit lässt sich derzeit nicht mit abschließender Sicherheit beurteilen, ob bei dem Angeklagten tatsächlich schädliche Neigungen gegeben sind. Aufgrund dessen soll gemäß § 27 JGG die Schuld festgestellt werden. Die Entscheidung darüber, ob eine Jugendstrafe zu verhängen ist, soll für die Dauer von einem Jahr zur Bewährung ausgesetzt werden. Sollte es in der Zeit zu keinen weiteren Straftaten mehr kommen und der Angeklagte im Rahmen der Bewährungsauflagen und innerhalb seiner Leistungsfähigkeit die 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit ableisten und seinen Schulbesuch fortführen, wird der Schuldspruch nach Ablauf der Bewährungszeit getilgt. Sollte der Angeklagte jedoch erneut in irgendeiner Weise strafrechtlich in Erscheinung treten, so wird vom Vorliegen schädlicher Neigungen auszugehen sein und die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich sein.
165VII. Einziehung
166Die Entscheidung über die Einziehung der Mobiltelefone beruht auf §§ 184c Abs. 6, 184b Abs. 6, 201a Abs. 5, 74 StGB.
167VIII. Kosten
168Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 74 JGG bzw. – im Fall des Angeklagten I – § 467 StPO.