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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.856,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2021 zu zahlen sowie den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.626,49 € freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
2Die Parteien sind über eine Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht miteinander verbunden.
3Mit Versicherungsbeginn zum 01.12.2004 schlossen die Parteien die Police Nr. … mit vereinbartem Leistungsstadium zum 01.12.2019, mit einer garantierten Kapitalabfindung i.H.v. 18.226,00 € sowie einer garantierten Jahresrente von 1620,00 € ab.
4Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zugrunde (vgl. Anlage K2a, Bl. 98 ff d. A.)
5Dort heißt es u.a.:
6„§ 1 Was ist versichert?
7(3) Anstelle der Rentenzahlung leisten wir zum Leistungsdatum die vereinbarte Kapitalabfindung, wenn
8• die versicherte Person diesen Termin erlebt,
9• das Kapitalwahlrecht eingeschlossen ist und
10•uns ein Antrag auf Kapitalabfindung spätestens 3 Monate vor dem Leistungsdatum zugegangen ist.
11[…]
12§ 16 Was gilt für Mitteilungen, die sich auf das Versicherungsverhältnis beziehen?
13(1) Mitteilungen, die das bestehende Versicherungsverhältnis betreffen, müssen stets schriftlich erfolgen. Für uns bestimmte Mitteilungen werden wirksam, sobald sie uns zugegangen sind. Vermittler sind zu ihrer Entgegennahme nicht berechtigt.“
14Mit Schreiben aus Juni 2018 (Anl. K3) bot die Beklagte dem Kläger die Nutzung des elektronischen Kundenportals „… .de“ an. In dem Schreiben heißt es:
15„Nachdem sie sich erstmals eingeloggt haben, stimmen sie einfach den Nutzungsvereinbarungen für das elektronische Postfach zu. Einige wenige rechtlich vorgeschriebene Schriftstücke werden wir Ihnen auch in Zukunft in Papierform zusenden.“ (Bl. 19 der Akte)
16Der Kläger begann die Nutzung des elektronischen Kundenportals und stimmte dort auch der Nutzungsvereinbarung zu.
17Dort heißt es:
18„§ 3 Vereinbarung der Nutzung des elektronischen Postfachs
19(1) Der Nutzer des elektronischen Postfachs erklärt sich damit einverstanden, dass T ihm ausgewählte Nachrichten und Dokumente, die für den elektronischen Versand geeignet sind, ausschließlich elektronisch über das elektronische Postfach zur Verfügung stellt. Der Nutzer kann die im Kundenpostfach zugestellten Dokumentenanhänge ansehen, ausdrucken und herunterladen.
20[…]
21(5) T behält sich vor, die Auswahl der in das elektronische Postfach einzustellenden Dokumente zusätzlich postalisch zur Verfügung zu stellen, wenn dies gesetzliche Vorgaben erforderlich machen oder es aufgrund anderer Umstände unter Berücksichtigung der Nutzerinteressen zweckmäßig erscheint.“ Anl. B3, Bl. 91 f. d. A.)
22Der Kläger wurde über jedes in das Kundenportal hochgeladene Schriftstück per E-Mail von der Beklagten informiert.
23Der Kläger schaute sodann lediglich einmal im Jahr in das Kundenportal um die jährlichen Informationen für seine Einkommensteuererklärung zu erhalten.
24Über das elektronische Kundenportal übersandte die Beklagte am 31.07.2019 und am 15.10.2019 (vergleiche Anlagenkonvolut K4) Schreiben zum Vertragsablauf mit einem Hinweis auf das Kapitalwahlrecht.
25Der Kläger hatte lediglich am 12.05.2019 und am 20.01.2021 in das Postfach Einsicht genommen. Er stellte erst am 03.02.2021 per Fax den Antrag auf Auszahlung als Kapitalzahlung. Die Beklagte verweigerte dies auch nach Fristsetzung. Danach beauftragte der Kläger einen Rechtsanwalt.
26Der aktuelle Vertragswert im Februar 2021 hätte 31.818,68 Euro betragen. Bis einschließlich Oktober 2021 erhielt der Beklagte Rentenzahlungen.
27Der Kläger behauptet, er habe sich darauf verlassen, dass ihm wichtige Schriftstücke weiterhin per Post zugeschickt werden würden.
28Der Kläger beantragt,
29die Beklagte zu verurteilen,
302.
31an den Kläger EUR 30.198,22 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
323.
33den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.626,49 freizustellen.
34Die Beklagte beantragt,
35die Klage abzuweisen.
36Die Beklagte erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit Renten von Juli bis Oktober in Höhe von 341,36 Euro (4 x 85,34 Euro).
37Die Klageschrift ist der Beklagten am 26.07.2021 zugestellt worden.
38Entscheidungsgründe:
39Die zulässige Klage ist überwiegend begründet, da der Kläger einen Anspruch auf Zahlung der Kapitalabfindung in Höhe von 29.856,86 Euro gegen die Beklagte aus § 1 VVG i.V.m. dem Versicherungsvertrag hat.
40Die Parteien verbindet ein Vertrag über eine aufgeschobene Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht.
41Der Kläger hat im Februar 2021 sein Kapitalwahlrecht ausgeübt. Das war noch rechtzeitig, obwohl Leistungsbeginn bereits der 01.12.2019 gewesen wäre.
42Der Kläger muss nach den Versicherungsbedingungen das Kapitalwahlrecht drei Monate vor dem Leistungsdatum ausüben, allerdings muss er – das ergibt sich aus der ergänzenden Vertragsauslegung – von der Beklagten rechtzeitig darauf hingewiesen werden.
43Die gesamte Verwaltung des Vertrages liegt im Bereich der Beklagten, die bei diesem über viele Jahre laufenden Anlageprodukt diejenige ist, die die Fristen verwaltet. Ein einseitiges Recht, das der Versicherungsnehmer erst nach vielen Jahren Vertragslaufzeit ausüben kann, verliert ohne erneuten Hinweis seinen Inhalt, da es faktisch vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht ausgeübt würde, mangels Erinnerung an dieses Recht.
44Durch das Einstellen der Dokumente in das elektronische Postfach hat die Beklagte ihre Hinweispflicht nicht erfüllt.
45Grundsätzlich ist eine Kommunikation auf elektronischem Wege zulässig. Der Kläger hat diesen Kommunikationsweg auch freiwillig eröffnet. Er hat die fakultative Möglichkeit, die ihm im Jahr 2018 angeboten wurde, angenommen, das Kundenkonto angelegt und die Nutzungsbedingungen dazu akzeptiert.
46Der Kläger durfte aber davon ausgehen, relevante Schriftstücke per Post zu erhalten. Das ergibt sich zum einen aus dem Anschreiben aus Juni 2018. In diesem heißt es: „Einige wenige rechtlich vorgeschriebene Schriftstücke werden wir Ihnen auch in Zukunft in Papierform zusenden.“ Daraus ergibt sich für den Versicherungsnehmer, dass er weiterhin schriftlich über einige Dinge informiert werden wird. Da der durchschnittliche Versicherungsnehmer aber rechtsunkundig ist, ist ihm nicht klar, welche Dokumente dies sein werden.
47Dazu kommt, dass in den Versicherungsbedingungen in § 16 geregelt, dass Mitteilungen, die das bestehende Versicherungsverhältnis betreffen, stets schriftlich erfolgen müssen. Der Versicherungsnehmer geht also von Schriftform aus. Wenn dies – was möglich ist – abgeändert werden soll, so muss der Versicherungsnehmer allerdings klar erkennen können, welche Schriftstücke nicht mehr schriftlich übersandt werden.
48Das ist nicht geschehen. In § 3 der Nutzungsbedingungen zum Postfach ist von „geeigneten“ bzw. „ausgewählten“ Nachrichten die Rede. Die Formulierung legt nahe, dass die Beklagte ein gewisses Ermessen hat, welche Nachrichten sie ins Postfach einstellt. Es wird gerade nicht deutlich, dass das Postfach der einzige und gewöhnliche Kommunikationsweg ist.
49Diese Unsicherheit wird verstärkt durch die Formulierung in § 3 Abs. 5 der Nutzungsbedingungen: „T behält sich vor, die Auswahl der in das elektronische Postfach einzustellenden Dokumente zusätzlich postalisch zur Verfügung zu stellen, wenn dies […] aufgrund anderer Umstände unter Berücksichtigung der Nutzerinteressen zweckmäßig erscheint.“ Auch hier scheint für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer eine Öffnungsklausel für wiederum nicht genau definierte, relevante Unterlagen vorgesehen zu sein.
50Die Unklarheiten in den allgemeinen Bedingungen der Beklagten gehen zu ihren Lasten, § 305 c Abs. 2 BGB, sodass die Schriftformklausel der AVB nicht durch die Vereinbarungen zum elektronischen Postfach abbedungen worden ist.
51Die Anspruchsberechnung, insbesondere der Vertragswert, ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Klägerseite hat bereits bis Juni gezahlte Renten in Abzug gebracht. Die Beklagte hat die Hilfsaufrechnung mit unstreitig geleisteten Rentenbeträgen in Höhe von 341,36 Euro erklärt. Dadurch erlosch der Klageanspruch in dieser Höhe, §§ 387, 389, 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB.
52Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
53Der Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 286 Abs. 1, 257 BGB. Die Beklagte war nach Fristsetzung in Verzug mit der Leistung.
54Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
55Der Streitwert wird auf 30.198,22 EUR festgesetzt.