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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
2Der Beklagte ist Gesellschafter und Mitbegründer der Gemeinschaftspraxis O - Zentrum für Reproduktionsmedizin F. O ist eines der ältesten und größten Institute Deutschlands, das sich auf die Behandlung von Kinderlosigkeit spezialisiert hat, darunter auch mittels einer Fremdsamenspende, der sog. heterogenen Insemination.
3Die Klägerin behauptet, sie sei aufgrund einer Fremdsamenspende im Rahmen einer Behandlung durch den Beklagten am 08.03.1991 zur Welt gekommen. Ihre Mutter sei im Juni 1990 wegen Unfruchtbarkeit ihres Ehemannes bei dem Beklagten für eine Fremdsamenspende in Behandlung gewesen, um schwanger zu werden. Das Erstgespräch habe am 09.01.1990 stattgefunden. Aufgrund eines ärztlichen Behandlungsvertrages zwischen den gesetzlichen Eltern der Klägerin und dem Beklagten habe die Mutter der Klägerin im Juni 1990 in einem Abstand von 3 Tagen mehrere Inseminationen erhalten.
4Die Klägerin möchte wissen, wer ihr leiblicher Vater ist. Sie ist der Ansicht, dass der Beklagte Aufbewahrungs- und Auskunftspflichten hinsichtlich der sie betreffenden Behandlungsunterlagen habe und behauptet, solche Unterlagen seien auch nach wie vor vorhanden.
5Die Klägerin beantragt,
6den Beklagten zu verurteilen, innerhalb einer angemessenen vom Gericht zu bestimmenden Frist Auskunft über die Identität des genetischen Vaters der Klägerin zu erteilen;
7für den Fall, dass die Auskunft nicht fristgerecht erfolgt: den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Geld zu verurteilen, deren Summe den Betrag von 2000,00 € nicht unterschreiten sollte;
8festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der Vaterschaftstests zu übernehmen, die dadurch erforderlich werden, dass der Beklagte mehrere Personen benennt, die als mögliche genetische Väter der Klägerin in Betracht kommen.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Der Beklagte behauptet, die Behandlungsunterlagen, aus denen die Behandlung der Mutter der Klägerin hervorgehe, seien nicht mehr vorhanden. Sämtliche Behandlungsunterlagen aus dem Jahr 1990/91 seien nämlich nach Ablauf von 10 Jahren, mithin im Jahr 2000/01, vernichtet worden. Der Beklagte ist der Ansicht, eine Aufbewahrungsvorschrift habe es zu dem Zeitpunkt der Vernichtung der Unterlagen nicht gegeben. Es sei ihm daher nicht mehr möglich, die beantragte Auskunft zu erteilen. Zudem meint der Beklagte, er habe eine ärztliche Schweigepflicht, weil er den Spendern seinerzeit Anonymität zugesichert habe. Dieser Pflicht müsse er nachkommen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die mit ihnen überreichten Unterlagen verwiesen.
13Entscheidungsgründe
14Die zulässige Klage, für deren Bearbeitung das Landgericht Essen auf Grund der Verweisung durch das Amtsgericht nach § 281 ZPO sachlich zuständig ist, ist unbegründet.
15Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Auskunft über die Identität des genetischen Vaters der Klägerin.
16Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 810 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Eine Einsicht in Urkunden nach § 810 BGB bzw. in analoger Anwendung dieser Vorschrift die Erteilung von Auskünften über den Inhalt dieser Urkunden kann im vorliegenden Falle nicht verlangt werden. Die Klägerin hat nicht das notwendige berechtigte rechtliche Interesse an der Einsichtnahme bzw. dem Erhalt der Auskünfte.
17Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der Interessen der Klägerin gegenüber den schutzwürdigen Belangen anderer Personen, hier sämtlicher möglicherweise in Betracht kommenden genetischen Väter, hat das Interesse der Klägerin zurück zu stehen. Es stehen sich bei der Abwägung zwei Ausprägungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Betroffenen gegenüber.
18Bei abstrakter Betrachtung haben beide betroffenen Grundrechtspositionen jeweils den gleichen Stellenwert. Unter Berücksichtigung der Intensität der jeweiligen Beeinträchtigungen im konkreten Fall ist allerdings dem Interesse auf Anonymität aller in Frage kommender Spender aus ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gegenüber dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG der Vorzug zu geben.
19Grundrechte wirken - als Abwehrrechte gegenüber staatlichem Handeln - grundsätzlich nicht unmittelbar zwischen Privatparteien. Sie entfalten eine mittelbare Drittwirkung zwischen den Parteien, da sie über unbestimmte Rechtsbegriffe in das Zivilrecht ausstrahlen. Eine solche Ausstrahlungswirkung kann im Rahmen des § 810 BGB über den Begriff des rechtlichen Interesses erfolgen; andererseits wirken sie auch im Rahmen einer Abwägung im Sinne der Verhältnismäßigkeit gemäß § 242 BGB und führen so im vorliegenden Fall zu einem Ausschluss des Anspruchs der Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen.
20Letzteres ist insbesondere deshalb der Fall, weil der Inhalt der betreffenden Urkunden besonders vertraulich ist und die Gewährung der Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen einen Vertrauensbruch gegenüber den Samenspendern, deren Samen in den drei betroffenen Tagen der Mutter der Klägerin eingepflanzt wurden, darstellen würde. Die Samenspender haben gerade aufgrund der zu erwartenden Anonymität ihre Spende gegeben. Sie haben darauf vertraut, dass ihre Namen nicht an die Eltern oder Kinder weitergegeben würden. Die Gewährung von Einsichtnahme würde deshalb einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Spender darstellen. Geschützt ist dabei das Recht des Spenders auf Achtung seiner personalen und sozialen Identität sowie der Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr. Geschützt sind daher insbesondere seine persönlichen Daten, seine Darstellung nach außen sowie seine soziale Geltung. Alle potentiell in Betracht kommenden genetischen Väter der Klägerin würden durch die unvermeidliche Offenlegung persönlicher Einzelheiten aus ihrer Intimsphäre und in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Praxis, mittels der Samenspende Geld zu verdienen ist dem Intimbereich eines Menschen zuzuordnen und unterliegt keinerlei Beurteilung durch das erkennende Gericht. Die Entscheidung für eine Samenspende ist eine sehr persönliche Entscheidung, die nicht nach Außen zu tragen ist und betrifft Belange, die innerhalb des sozialen Umfeldes der Spender nicht publik zu machen ist. Insbesondere ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass die in Frage kommenden Spender möglicherweise inzwischen eigene Familien gegründet haben, deren Bestand durch eine Durchbrechung des Geheimhaltungsinteresses unzweifelhaft in Gefahr geraten könnte.
21Die vorstehenden Gesichtspunkte erfahren dadurch eine noch größere Bedeutung, dass die Mutter der Klägerin innerhalb von drei Tagen mehrere Inseminationen erhalten hat. Es besteht zwangsläufig eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass mit der Erfüllung des Auskunftsbegehrens der Klägerin auch Daten von solchen Samenspendern offenzulegen wären, die im Nachhinein dann doch nicht als genetischer Vater der Klägerin anzusehen sind. Diese Personen, die in Wirklichkeit mit der Klägerin in keinerlei Verbindung stehen, würden mit noch höherer Intensität in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt als der tatsächliche Erzeuger.
22Das Gericht verkennt nicht das der Klägerin grundsätzlich zukommende Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BVerfGE 79, 256, 268 = NJW 1989, 891). Die Klägerin setzt sich seit der Erlangung des Wissens darüber, dass ihr rechtlicher Vater nicht ihr genetischer Vater ist, mit ihrer Identität auseinander. Sie möchte ihre genetischen Wurzeln kennenlernen, etwaige Halbgeschwister ausfindig machen, das Aussehen und die Charakterzüge des Vaters mit den eigenen abzugleichen sowie mögliche vererbliche Krankheiten ausschließen. Diese für sich gesehen sicherlich legitimen Interessen der Klägerin auf Erweiterung ihrer Familie durch den Kontakt zu etwaigen Halbgeschwistern kann aber kein Vorrang vor dem Schutz der Familien der jeweiligen Spender eingeräumt werden. Wie bereits ausgeführt wurde, drohen bei den Spendern die Zerstörung und der Verlust der engen Beziehung zu ihrer etwaigen eigenen Familie. Auch im Hinblick auf den Ausschluss erblicher Krankheiten muss darauf verwiesen werden, dass diese unter Umständen durch einen Arzt zu ermitteln bzw. auszuschließen sein können und daher nicht schutzwürdiger als das Geheimhaltungsinteresse der Spender sind. Auch das Wissen um Aussehen und Charakterzüge des genetischen Vaters lässt sich dem Schutz des familiären Lebens der jeweiligen Spender nicht überordnen. Der Eingriff in das Schutzgut Familie zu Lasten der Spender wirkt sehr viel intensiver als die mangelnde Kenntnis genetischer Charakteristika auf Seiten der Klägerin.
23Zusammengefasst tritt somit das Recht der Klägerin auf Kenntnis ihrer genetischen Abstammung hinter dem Recht der Spender auf Anonymität und informationelle Selbstbestimmung zurück. Diese Wertung schließt auch Ansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstiges Recht im Sinne dieser Norm sowie Forderungen aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte mit Wirkung für die Klägerin aus.
24Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Behandlungsunterlagen überhaupt noch vorhanden sind und ein Anspruch der Klägerin vielleicht schon allein nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist, kommt es nicht streitentscheidend an. Von daher bedarf es auch keiner weiteren Aufklärung des Sachverhalts unter Beachtung der seitens der Klägerin nach dem letzten mündlichen Verhandlungstermin diesbezüglich eingereichten Schriftsätze.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.