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Die Klage wird abgewiesen
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung von 2.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
Die Sicherheitsleistung kann durch eine selbstschuldnerische unbefristete Bürgschaft einer dem Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken angeschlossenen Bank oder einer Sparkasse in der Bundesrepublik Deutschland erbracht werden.
Tatbestand
2Die Klägerin macht als gesetzliche Krankenversichererin einen Schadensersatzanspruch der bei ihr versichert gewesenen Frau ... geltend.
3Die Beklagte zu 1.), deren persönlich haftende Gesellschafterin die Beklagte zu 2.) ist, betreibt das Altenpflegeheim "Haus ... in E. Seit dem 07.02 .1995 lebte dort Frau ... Sie litt an einer mittelschweren senilen Demenz vom Alzheimer Typ und war in die Pflegestufe C + eingeordnet. Die Krankheit äußerte sich u.a. darin, daß sie zeitlich, örtlich und personell wenig orientiert war. Nach einer Auskunft der Beklagten zu 1.) vom 18.09.1996 an die Klägerin bestand schwere Pflegebedürftigkeit. Als Grund wurde "geronto-psychiatrischer Pflegefall" angegeben.
4Nachdem sich Frau ... zu Beginn ihres Aufenthaltes bei der Beklagten zu 1.) nicht immer ausreichend orientieren konnte, was bei dementen Bewohnern typisch für die erste Zeit des Heimaufenthaltes ist, gelang ihr das immer besser. Ausweislich der Pflege-dokumentation der Beklagten unternahm sie ab April 1995 allein und in Begleitung ihrer Zimmernachbarin längere Spaziergänge. Nach der Pflegedokumentation fand sie am 13.03.1995 das Bad nicht und am 16.03.1995 ihr Zimmer nicht. In der Nacht versahen auf zwei Stationen der Beklagten zu 1.) mit insgesamt 60 Betten zwei Pflegekräfte Dienst. Bei Frau ... wurden Kontrollgänge gegen 21.00 Uhr, 24.00 Uhr, 03.00 Uhr und 06.00 Uhr durchgeführt.
5In der Nacht zum 04.06.1995 stürzte Frau ... in ihrem Zimmer, als sie auf dem Weg zur Toilette war. Sie erlitt eine Oberschenkelhalsfraktur. Bis zum 04.07.1995 wurde sie stationär behandelt. Die Klägerin übernahm die Kosten hierfür i.H.v. 13.447,10 DM. Ausweislich der Pflegedokumentation fand Frau ... am 14.07.1995 nicht die Toilette.
6Frau ... verstarb am Morgen des 16.07.1995.
7Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stünde gegen die Beklagten ein gemäß § 1165GB X auf sie übergegangener Anspruch aus positiver Vertragsverletzung und §§ 823, 831 BGB zu. Die Beklagte zu 1.) habe eine ihr obliegende Sorgfaltspflicht verletzt, indem sie keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen habe, Frau ... vor einem Sturz zu bewahren. zumindest hätte ein Bettgitter angebracht und verhindert werden müssen, daß Frau ... ihr Bett eigenmächtig verläßt. Das sei erforderlich gewesen, weil, wie sich aus der Auskunft vom 18.09.1996 ergebe, Frau ... schwer pflegebedürftig gewesen sei.
8Die Klägerin beantragt,
9die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 13.447,10 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20.01.1997 zu zahlen.
10Die Beklagten beantragen,
11die Klage abzuweisen.
12Die Beklagten behaupten, Frau ... sei in körperlicher Hinsicht noch rüstig gewesen. Die Einstufung in die Pflegestufe C + sei nicht wegen Gebrechlichkeit, sondern ausschließlich wegen der Notwendigkeit gerontopsychiatrischer Betreuung erfolgt. Es sei trotz aller Bemühungen um die Sicherheit der Heimbewohner nicht möglich, völlig auszuschließen, daß ein alter Mensch auch in vertrauter Umgebung stürze.
13Entscheidungsgründe:
14Die Klage ist unbegründet
15Die Klägerin hat keine Ansprüche gegen die Beklagte. Ein Anspruch läßt sich weder aus positiver Vertragsverletzung noch aus unerlaubter Handlung herleiten.
16Die Verletzung einer Sorgfalts- oder Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zu 1.) kann ebensowenig festgestellt werden wie eine Aufsichtspflichtverletzung von Pflegekräften.
17Aus dem Heimbetreuungsvertrag erwächst dem Träger die vertragliche Nebenpflicht, dafür Sorge zu tragen, daß kein Heimbewohner zu Schaden kommt. Diese Pflicht ist allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Unmögliches kann dem Träger eines Pflegeheimes nicht abverlangt werden. Darüber hinaus ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung des körperlichen und geistigen Zustandes sowie der Würde des einzelnen Heimbewohners abzuwägen, welche seiner Sicherheit dienende Maßnahme als verhältnismäßig angesehen werden kann. Dabei sind auch therapeutische Zielvorstellungen zu beachten.
18Eine lückenlose nächtliche Überwachung von Frau ... war der Beklagten zu 1.) nicht möglich. Sie war insbesondere auch nicht erforderlich. Durch vier nächtliche Kontrollgänge bei Frau ... hat die Beklagte zu 1.) bereits mehr getan als in anderen Altenheim oft üblich. Es bestand keinerlei Anlaß, häufiger nach Frau ... zu schauen. Wie sich aus der Pflegedokumentation ergibt, war Frau ... körperlich rüstig. Sie hat regelmäßig ohne Hilfe lange Spaziergänge unternommen. Anzeichen, daß sie fallen würde, bestanden daher nicht. Soweit sich die Klägerin darauf bezieht, daß Frau ... schwer pflegebedürftig war und im März sowie im Juli 1995 die Toilette nicht gefunden hat, rechtfertigt das keine andere Beurteilung. Die schwere Pflegebedürftigkeit bestand aus gerontopsychiatrischen, nicht aus körperlichen Gründen. Bei Frau ... bestand eine mittelschwere Demenz des Alzheimer Typs, nicht irgendeine körperliche Gebrechlichkeit. Die von der Klägerin angesprochene Desorientierung trat zum einen in der Anfangszeit, in welcher demente Patienten häufig noch nicht ausreichend in der neuen Umgebung orientiert sind, zum anderen nach ihrer einmonatigen Abwesenheit im Krankenhaus auf. In der übrigen Zeit war sie im Haus dagegen ausreichend orientiert. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß sie den Weg von ihrem Bett zur Tür nicht allein finden und ohne Schwierigkeiten bewältigen konnte. Auf dem Weg zur Tür ist sie aber gestürzt.
19Entgegen der Auffassung der Klägerin war keineswegs angezeigt, mit einem Bettgitter zu verhindern, daß Frau ... in der Nacht eigenständig ihr Bett verläßt. Die Anbringung eines Bettgitters stellt, wenn es nicht ausdrücklich von dem Betroffenen gewünscht wird, eine Freiheitsberaubung dar. Im Hinblick auf die Demenz von Frau ... wäre selbst eine Einwilligung nicht zweifelsfrei wirksam, so daß zur Rechtfertigung der Freiheits-beraubung entweder eine vormundschaftliche Genehmigung einzuholen gewesen wäre oder das Bettgitter dringend erforderlich gewesen wäre, um eine unmittelbar drohende Gefährdung von Frau ... auszuschließen. Angesichts der körperlichen Rüstigkeit von Frau ... wäre weder eine Genehmigung erteilt worden noch war zu besorgen, daß Frau ... aus dem Bett fiel oder beim selbständigen Laufen stürzte. Allein die immer, auch bei nicht dementen und jüngeren Menschen bestehende Möglichkeit, daß sie stürzen könnten, rechtfertigt es nicht, Heimbewohner mittels eines Bettgitters unter Verschluß zu halten.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 108 Nr. 11, 111 ZPO.