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Ein Obhutsverhältnis i. S. v. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB kann auch dann bestehen, wenn das Unterhalt begehrende Kind bei den Großeltern wohnt.
I.
Der Antragsgegner wird in Abänderung des Vergleichs vor dem Amtsgericht Marl wie zu Protokoll vom 13.03.2018, Az. 36 F383/17, verpflichtet, an den Antragsteller monatlichen Kindesunterhalt ab dem 01.09.2021 i.H.v. 387,50 € sowie ab dem 01.01.2022 i.H.v. 391,50 € bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zu zahlen.
II.
Der Widerantrag des Antragsgegners wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
2Die Mutter des Antragstellers und der Antragsgegner gaben am 27.09.2012 eine Erklärung über die gemeinsame elterliche Sorge vor dem Jugendamt der Stadt A. ab. Nach der Geburt des Antragstellers am 00.00.0000 wohnte die Kindesmutter mit diesem zunächst zwei Jahre bei ihren Eltern. Sodann zogen die Beteiligten gemeinsam in die Wohnung K.-Straße … in A.. Im Oktober 2017 trennten sich die Beteiligten, wobei der Antragsteller in der Obhut der Kindesmutter verblieb. Unter dem Az. 36 F 360/17 stritten die Beteiligten zunächst um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Antragsteller. Nach Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens erklärte sich der Antragsgegner mit dem Aufenthalt des Antragstellers bei der Kindesmutter einverstanden. Inzwischen lebt der Antragsteller bei den Großeltern mütterlicherseits während die Kindesmutter mit ihrem Lebensgefährten eine eigene Wohnung bewohnt. Grund hierfür ist -so der Vortrag des Antragstellers- dass dieser sich nicht mit dem neuen Lebensgefährten der Kindesmutter versteht.
3Mit Vergleich vom 13.03.2018 (vergleiche Protokoll vom 13.03.2018 in der Sache Amtsgericht Marl 36 F383/17 ) verpflichtete sich der Antragsgegner, an den Antragsteller monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 302 € zu zahlen.
4Mit Schreiben vom 30.08.2021, Bl. 11/12 der Akte, forderte der Antragsteller den Antragsgegner zur Auskunft sowie zur Zahlung von erhöhtem Kindesunterhalt auf.
5Die Kindesmutter geht einer Teilzeitbeschäftigung nach und erzielt monatliche Einkünfte i.H.v. rd. 1000 € netto. Der Antragsgegner arbeitet vollschichtig in der Altenpflege und erzielte ein monatliches Einkommen in Höhe von rund 2500 € netto. Er hat ein weiteres Kind T., geboren 00.00.0000.
6Der Antragsteller behauptet, die Kindesmutter habe täglichen Kontakt mit ihm und beaufsichtige seine Hausaufgaben. Sie nehme sämtliche Termine in der Schule war und organisiere seine Freizeitgestaltung wie z.B. den Schwimmkurs. Diesen habe sie wie auch weitere Kosten für die Schule bezahlt.
7Der Antragsteller beantragt,
8den Antragsgegner zu verpflichten an den Antragsteller unter Abänderung des Unterhaltsvergleichs vom 13.03.2018 in dem Verfahren 36 F 383/17 Kindesunterhalt für die Zeit vom 01.09.2021 bis 31.12.2021 in Höhe von monatlich 387,50 € und ab dem 01.01.2022 in Höhe von monatlich 391,50 € zu Händen der Kindesmutter zu zahlen.
9Der Antragsgegner beantragt,
10den Antrag zurückzuweisen.
11Der Antragsgegner beantragt seinerseits
12den vorgenannten Vergleich dahingehend abzuändern,
13dass der Antragsgegner dem Antragsteller beginnend ab Oktober 2021nur noch einen monatlichen Unterhalt i.H.v. 200 € schuldet.
14Der Antragsteller beantragt den Antrag zurückzuweisen.
15Der Antragsgegner hält den Antrag des Antragstellers vertreten durch die Kindesmutter für unzulässig, weil der Antragsteller bei den Großeltern lebt. Es bestehe daher keine gesetzliche Prozessstandschaft der Kindesmutter gemäß § 1603 Abs. 2 BGB. Vielmehr müsse ein Ergänzungspfleger zur Vertretung des Antragstellers im Unterhaltsverfahren bestellt werden. Zudem sei die Kindesmutter ebenfalls barunterhaltspflichtig. Die Kindesmutter komme mit ihrer teilschichtigen Tätigkeit ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit nicht nach.
16Der Antragsgegner behauptet weiter, er habe sich im September 2021 telefonisch mit der Kindesmutter dahingehend geeinigt, dass er einen monatlichen Unterhalt in Höhe von nur 200 € zahlen und die Kindesmutter für den restlichen Unterhalt des Antragstellers auf komme.
17Der Antrag des Antragstellers ist gemäß § 1603 ff. BGB begründet. Der Antragsgegner ist zur Zahlung von Barunterhalt nach der Einkommensgruppe drei und zweiten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle verpflichtet. Es liegt insoweit eine Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vor, als der Antragsgegner nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragstellers nunmehr über ein Einkommen i.H.v. 2500 € verfügt.
18Der Antragsteller kann gemäß § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB vertreten durch die Kindesmutter den Anspruch auf Barunterhalt geltend machen, weil er sich in der Obhut der Kindesmutter befindet. Obhut beschreibt die tatsächliche Sorge für das Kind in der elementare Bedürfnisse wie Gestaltung des Tagesablaufs, Erreichbarkeit bei Problemen und emotionale Zuwendung durch einen Elternteil sichergestellt ist, der sich vor dem anderen des Wohls des Kindes annimmt (BGH 12.03.2014, XII ZB 234/13, NJW 2014,1958). Eine Wohngemeinschaft zwischen Kind und Elternteil ist nicht gefordert. Obhut ist nicht beschränkt auf eine vom betreffenden Elternteil selbst unmittelbar geleistete Betreuung (OLG Brandenburg 6. November 2008,10 WF 107/08, FamRZ 2009,1228). Ausreichend ist, dass der Elternteil seine Betreuungsobliegenheit durch regelmäßige Kontakte mit dem Kind und der Betreuungsperson nachkommt (OLG Stuttgart, sechsten 20. Juli 2014,17 UF 284/14, FamRZ 2017,282). Nach den glaubhaften Angaben der Antragstellerin hat diese täglich mit dem Antragsteller in der benachbarten Wohnung ihrer Eltern Kontakt. Dies ist insbesondere deshalb nachvollziehbar, weil aus dem vorangegangenen Sorgerechtsverfahren enge persönliche Bindungen zwischen dem Antragsteller, der Kindesmutter und den Großeltern mütterlicherseits ersichtlich sind. Zeitweise hat die Kindesmutter selbst mit dem Antragsteller bei den Großeltern gewohnt. Es ist daher lebensnah anzunehmen, dass sie sich auch in ihrer jetzigen Lebenssituation vorrangig vor dem Antragsgegner um den Antragsteller kümmert. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass sie die Bezahlung von anfallenden Kosten für den Antragsteller übernommen hat. Ausweislich der mit Schriftsatz vom 22.07.2022 vorgelegten Materialliste kümmert sich die Kindesmutter darum, dass der Antragsteller die für die Schule erforderlichen Dinge die Hefte, Zeichenblöcke, Stifte und Sportsachen hat. Sie organisiert außerdem außerschulische Aktivitäten wie den Schwimmkurs. Es ist daher davon auszugehen, dass die Kindesmutter, die in der Vergangenheit auch allein mit dem Antragsteller zusammen gelebt hat, diesen in der jetzigen Wohnsituation weiterhin betreut.
19Die Kindesmutter zeigte sich im Termin vom 06.07.2022 auch über die Belange des Antragstellers informiert, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass sie dessen Betreuung allein den Großeltern überlässt. Zudem dürfte die Unterstützung der Großeltern allein den Zweck haben, der Kindesmutter ihre Lebenssituation zu erleichtern, ohne dass damit eine Entlastung des Antragsgegners von der Barunterhaltspflicht gewollt ist.
20Die Kindesmutter ist im Hinblick auf die von ihr erbrachten Betreuungsleistungen von der Barunterhaltspflicht gemäß § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB befreit. Im Übrigen erzielt sie ohnehin keine Einkünfte über dem Selbstbehalt von 1160 €. Auf ein etwaiges fiktives gemäß § 1603 Abs. 2 BGB anzurechnendes Einkommen der Kindesmutter müsste sich der Antragsteller nicht verweisen lassen.
21Es liegt auch keine Vereinbarung der Kindesmutter mit dem Antragsgegner über eine Freistellung von dem den Betrag von 200 € übersteigenden Kindesunterhalt vor. Selbst wenn die Kindesmutter in einem Telefonat im September 2021 dies telefonisch erklärt haben sollte, fehlte es an dem Willen, eine endgültige Regelung treffen zu wollen. Denn der Antragsteller hatte zu diesem Zeitpunkt bereits anwaltlich vertreten den Antragsgegner zur Zahlung von Unterhalt aufgefordert. Der Antragsgegner konnte die Kindesmutter daher nicht in der Weise verstehen, dass diese ohne Rücksprache mit ihrem Rechtsanwalt eine verbindliche Regelung am Telefon mit ihm treffen wollte. Im Übrigen hat eine Freistellungsvereinbarung zwischen den Eltern auch keinen Einfluss auf den Unterhaltsanspruch des Kindes.
22Der Antragsgegner ist daher entsprechend seinem unstreitigen Einkommen i.H.v. 2.500 Euro zur Zahlung von Kindesunterhalt nach der Einkommensgruppe 3 und 2. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle, Stand 01.01.2021 und 01.01.2022, verpflichtet.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 243 FamFG.
24Rechtsbehelfsbelehrung:
25Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die Beschwerde zugelassen hat. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Beschwerde ist bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Marl, Adolf-Grimme-Str. 3, 45768 Marl schriftlich in deutscher Sprache durch einen Rechtsanwalt einzulegen.
26Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Marl eingegangen sein. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.
27Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen.
28Darüber hinaus muss der Beschwerdeführer einen bestimmten Sachantrag stellen und diesen begründen. Die Frist hierfür beträgt zwei Monate und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Innerhalb dieser Frist müssen der Sachantrag sowie die Begründung unmittelbar bei dem Beschwerdegericht - Oberlandesgericht Hamm, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm - eingegangen sein.
29Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten sind.