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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.500,00 € zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt von der Beklagten im Rahmen des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen die Rückerstattung von Verlusten aus Online-Glücksspielen in Höhe von 3.500,00 €.
3Die Beklagte bietet Online-Glücksspiele von ihrem Firmensitz in Malta aus in Deutschland an. Der Kläger mit Wohnsitz in L nahm vom 20.05.2019 bis zum 29.04.2021 an den von der Beklagten auf der deutschsprachigen Webseite https://www.******.de angebotenen Online-Casino-Glücksspielen teil und erlitt hierbei letztlich Verluste in Höhe von insgesamt 3.500,- €, wegen deren Zusammensetzung im Einzelnen auf Bl. 9 bis 20 d. A. Bezug genommen wird.
4Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Rückzahlung dieser Verluste. Er ist der Meinung, die Beklagte habe gegen ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB verstoßen, indem sie illegales Online-Glücksspiel über ihre Websites in Deutschland ansässigen Spielern angeboten habe. Ein Anspruch auf Rückzahlung folge zudem aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB, da der Spielvertrag aufgrund des Verbotes gem. § 4 Abs. 4 des Glückspielstaatsvertrages 2012 (in der Fassung vom 15.12.2011; im Folgenden: GlüStV a.F.) nichtig gem. § 134 BGB sei und seine Zahlungen an die Beklagte somit rechtsgrundlos erfolgt seien. Zum Zeitpunkt der Zahlungen und der Veranlassung der einzelnen Casinospiele sei ihm die Rechtswidrigkeit nicht bewusst gewesen, weil er auf die europaweite Geltung der maltesischen Glücksspiellizenz der Beklagten vertraut habe, welche diese im Impressum auf der Webseite behaupte (SFM; Lizenznummer: ###). Erst nach späterer Konsultation eines Anwalts habe er erfahren, dass die von der Beklagten angebotenen Online-Glücksspiele an seinem Wohnort in Deutschland gesetzlich verboten seien. Zu keinem Zeitpunkt habe er außerhalb Deutschlands oder im Bundesland Schleswig-Holstein an den hier streitgegenständlichen Online-Glücksspielen teilgenommen. In keinem einzigen hier streitgegenständlichen Fall seien Sportwetten getätigt worden.
5Der Kläger beantragt,
6die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.500,00 € zu zahlen.
7Die Beklagte, der die Klage ausweislich des Auslandsrückscheins am 20.01.2022 zugestellt wurde, hat nicht reagiert und keinen Antrag gestellt.
8Entscheidungsgründe:
9Die Klage ist zulässig und begründet
10I.
11Die Klage ist zulässig.
12Da kein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist und das Gericht eine solche auch nicht für erforderlich hält, hatte das Gericht gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 861/2007 schriftlich zu entscheiden.
13Die Klage ist zulässig und der Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet, weil Gegenstand der Klage eine Forderung in Zivilsachen ist, deren Streitwert 5.000,00 € nicht überschreitet.
14Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Essen folgt aus Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO). Der Kläger ist im Hinblick auf den hier gegenständlichen Sachverhalt Verbraucher im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Danach ist Verbraucher eine Person, die den betreffenden Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dient. Da vorliegend keiner dieser Zwecke einschlägig ist, ist der Kläger als Verbraucher zu behandeln.
15Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 1 der Verordnung über die Konzentration der europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen nach der Verordnung (EG) Nr. 861/2007, die die Zuständigkeit für alle Amtsgerichtsbezirke in Nordrhein-Westfalen dem Amtsgericht Essen überträgt.
16II.
17Die Klage ist auch begründet.
181.
19Auf den Rechtsstreit ist deutsches Recht anwendbar. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts folgt aus Art. 6 Abs. 1 Rom-I-VO, wonach bei Verträgen mit Verbrauchern das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vorliegend Deutschland.
202.
21Da die Beklagte auf die Klage nicht reagiert hat, gilt der Vortrag der Klägerin gemäß § 138 Abs. 3 ZPO, der gemäß Art. 19 der Verordnung (EG) 861/2007 anwendbar ist, als zugestanden.
22Der Kläger hat danach gegen die Beklagte einen Rückzahlungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB hat, da er seine Spieleinsätze bei der Beklagten ohne rechtlichen Grund getätigt hat.
23Denn der Vertrag über die Teilnahme an dem von ihr betriebenen Online-Glücksspiel war gem. § 134 BGB i. V. m. § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. nichtig. Danach ist das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten. Die Antragsgegnerin hat gegen diese Verbotsnorm verstoßen, indem sie ihr Onlineangebot auch Spielteilnehmern aus Nordrhein-Westfalen, vorliegend dem Kläger, zugänglich gemacht hat. Das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. steht in Einklang mit Unionsrecht (BGH, Urteil vom 28.09.2011,MDR 2012, 350; BVerwG, Urteil vom 26.10.2017, BVerwGE 160, 193). Zwar besteht nach der Neuregelung des GlüStV 2021 die Möglichkeit der Erlaubnis für öffentliche Glücksspiele im Internet, § 4 Abs. 4 Satz 1 GlüStV 2021. Dass der Antragsgegnerin eine derartige Erlaubnis für den Betrieb von Online-Casinos erteilt worden ist, trägt sie jedoch nicht vor. Ohne entsprechende Erlaubnis sind das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet weiterhin verboten, § 4 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021. Im Übrigen ist für die Frage der Nichtigkeit eines Vertrages gem. § 134 BGB auf den hier maßgeblichen Zeitraum 2019 - 2021 abzustellen, da sich die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäftes grundsätzlich nach dem zum Zeitpunkt seiner Vornahme geltenden Recht richtet (BGH GRUR 2012, 1050, Rn. 21; BGH WM 2003, 1131; OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 249, 250). Im Fall der nachträglichen Aufhebung eines Verbotsgesetzes ist anerkannt, dass die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, das zuvor unter Verstoß gegen das aufgehobene Gesetz abgeschlossen wurde, hiervon grundsätzlich unberührt bleibt (BGH NJW 2008, 3069, Rn. 14; NJW-RR 1997, 641, 642). Etwas anderes kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn das Rechtsgeschäft gerade in der Erwartung und für den Fall geschlossen wird, dass das Verbotsgesetz aufgehoben werden wird (BGH WuM 2007, 440). Diese Voraussetzungen jedoch nicht vor.
24Dem Anspruch des Klägers steht die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2, 2. Hs. BGB nicht entgegen. Danach ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Gesetz- oder Sittenverstoß zur Last fällt.
25In der Rechtsprechung ist umstritten, ob die Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB in Fällen wie dem vorliegenden ebenso teleologisch reduziert werden sollte. Zum Teil wird eine teleologische Reduktion angenommen, weil die Intention des § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. unterlaufen würde, wenn die getätigten Spieleinsätze kondiktionsfest wären (LG Gießen, Urt. v. 25.01.2021 - 4 O 84/20 -, BeckRS 2021, 7521; LG Paderborn, Urteil vom 08.07.2021 - 4 O 323/20 -, BeckRS 2021, 20723 - zit. n. beckonline). Es gibt jedoch ebenfalls Entscheidungen, die eine teleologische Reduktion ablehnen, weil beim Glücksspiel der Spieler regelmäßig zumindest mit bedingtem Vorsatz handeln würde und auch weil dem Schneeballsystem immanent sei, dass es nicht aufgehen könne, beim Glücksspiel Gewinne aber möglich seien (LG München I, Urteil vom 13.04.2021 - 8 O 16058/20 -,BeckRS 2021, 11488; LG Duisburg, Urteil vom 19.10.2016 - 3 O 373/14 -, BeckRS 2016, 140146 - zit. n. OLG HammBeschluss vom 12.11.2021, Az. 12 W 13/21).
26Der BGH hat eine teleologische Reduktion der Kondiktionssperre für die nach einem Schneeballsystem organisierten "Schenkkreise" angenommen und hält dort eine "schutzzweckorientierte Einschränkung" für geboten, und zwar auch für den Fall, dass sich der Leistende der Einsicht der Sittenwidrigkeit möglicherweise leichtfertig verschlossen hat. Er hat dazu ausgeführt, dass die Kondiktionssperre nicht dazu führen dürfe, dass die Initiatoren der "Spiele", die mit sittenwidrigen Methoden erlangten Gelder im Ergebnis behalten dürften (BGH NJW 2006, 45, Rn. 12). Auch innerhalb der Leistungskondiktion sei der Schutzzweck der jeweiligen nichtigkeitsbegründenen Norm maßgebend, der nicht konterkariert werden dürfe (BGH NJW 2008, 1942, Rn. 10).
27Das für den hiesigen Gerichtsbezirk zuständige OLG Hamm hat hierzu ausgeführt, die Entscheidung des BGH spreche nicht gegen eine grundsätzliche Einschränkung der Kondiktionssperre für den Bereich der Online-Glücksspiele, da es bei der dortigen Entscheidung auf den Schutzzweck des hier maßgeblichen § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. nicht angekommen sei (OLG Hamm, Beschluss vom 12.11.2021, Az. 12 W 13/21). Sofern es einer Prüfung der Voraussetzungen des § 817 Satz 2 BGB im hier konkret zur Entscheidung dann noch ankomme, sei die bereicherte Beklagte diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastet, die sich auf die rechtshindernde Einwendung der Kondiktionssperre berufe. Zu diesen Voraussetzungen gehöre auch das vorsätzliche Handeln auf Seiten des Leistenden.
28In gleicher Richtung haben sich auch die Oberlandesgerichte Braunschweig (Beschluss vom 3.12.2021, Az. 8 W 20/21) und München (Beschluss vom 8.2.2022, Az. 21 W 1740/21) geäußert.
29Das Amtsgericht folgt der übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung.
30Der Kläger hat vorliegend vorgetragen, dass ihm die Illegalität seines Handelns nicht bewusst war, wobei sich durchaus die Frage stellt, ob er sich einer diesbezüglichen Einsicht möglicherweise leichtfertig verschlossen hat und letztlich ein bedingter Vorsatz anzunehmen wäre. Die beweisbelastete Beklagte hat sich jedoch nicht geäußert und sich weder auf die rechtshindernde Einwendung der Kondiksionssperre berufen noch zur Kenntnis des Kläger substatiiert vorgetragen und Beweis angeboten.
31Bei dieser Sachlage kommt es auf die subjektiven Voraussetzungen des § 817 Satz 2, 2. Hs. BGB, zu denen auch die Zurechnungsfähigkeit des Leistenden gehört, nicht mehr an. Danach kann eine Handlung einer Person nicht zugerechnet werden, wenn sie sie im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand der krankhaften Störung der Geistestätigkeit vornimmt, § 827 BGB analog (RGZ 105, 270, 272; Sprau in: Palandt, BGB, § 817, Rn. 17; Lorenz in: Staudinger, BGB, § 817, Rn. 23). Die Darlegungs- und Beweislast für eine fehlende Zurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt der jeweiligen Leistung trifft den Kläger als Leistenden (so RGZ 105, 270, 273). An einem entsprechenden substantiierten Vortrag der mangelnden Zurechnungsfähigkeit des Klägers fehlt es ebenso wie an einem diesbezüglichen Beweisantritt, jedoch kommt es aufgrund der fehlenden Geltendmachung der Kondiktionssperre und des nicht behaupteten und nachgewiesenen Vorsatzes des Klägers hierauf nicht mehr an.
32III.
33Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 16, 19 der Verordnung (EG) 861/2007 i.V.m. § 91 ZPO.
34IV.
35Das Urteil ist gemäß Art. 15 der Verordnung (EG) 861/2007 ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
36V.
37Der Streitwert wird auf 3.500,00 EUR festgesetzt.
38Rechtsbehelfsbelehrung:
39A.
40Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
411. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
422. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
43Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
44Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Essen zu begründen.
45Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Essen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
46Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
47B.
48Überprüfung des Urteils in Ausnahmefällen beim zuständigen Gericht gemäß Art. 18 VO (EG) Nr. 861/2007:
49Der Beklagte, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, ist berechtigt, beim zutändigen Gericht des Mitgliedsstaates, in dem das Urteil im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangen ist, eine Überprüfung des Urteils zu beantragen, wenn
50a)
51ihm das Klageformblatt oder im Fall einer mündlichen Verhandlung die Ladung zu dieser Verhandlung nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung hätte treffen können, oder
52b)
53er aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden daran gehindert war, das Bestehen der Forderung zu bestreiten,
54es sei denn der Beklagte hat gegen das Urteil kein Rechtsmittel eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.
55Die Frist für den Antrag auf Überprüfung des Urteils beträgt 30 Tage. Sie beginnt mit dem Tag, an dem der Beklagte vom Inhalt des Urteils tatsächlich Kenntnis genomen hat und in der Lage war, entsprechend tätig zu werden, spätestens aber mit dem Tag der ersten Vollstreckungsmaßnahme, die zur Folge hatte, dass die Vermögensgegenstände des Beklagten ganz oder teilweise seiner Verfügung entzogen wurden. Eine Verlängerung dieser Frist ist ausgeschlossen.
56Der Antrag ist schriftlich bei dem Amtsgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, zu stellen.
57C.
58Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Essen statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
59Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.