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Die Eröffnung der Hauptverhandlung wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten hat die Staatskasse zu tragen.
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Ergebnis
Nach den Ergebnissen der Ermittlungen besteht im Hinblick auf die von der Staatsanwaltschaft Duisburg mit Anklageschrift vom 10.02.2014 erhobenen Anklagevorwürfe gegenüber sämtlichen Angeschuldigten aus tatsächlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht gemäß §§ 203, 204 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO).
Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens nur, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens die Angeschuldigten einer Straftat hinreichend verdächtig erscheinen. Hinreichender Verdacht besteht bei vorläufiger Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung. Der hinreichende Verdacht kann aus tatsächlichen Gründen verneint werden, wenn nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten das Gericht am Ende wahrscheinlich freisprechen wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 203 Rn. 2).
Im Rahmen der anzustellenden Beweisbarkeitsprognose gilt es zu prüfen, ob der Nachweis des Tatverdachts mit den prozessual zulässigen Mitteln gelingen wird (Schneider, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 203 Rn. 7). Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist dabei zwar nicht unmittelbar anwendbar, aber für die bei der Eröffnungsentscheidung zu treffende Beweisbarkeitsprognose mittelbar von Bedeutung. Ist nicht zu erwarten, dass tatsächliche Zweifel in der Hauptverhandlung überwunden werden können, so wirkt sich dies auf die Eröffnungsentscheidung aus, weil wegen der dann gebotenen Anwendung des Zweifelssatzes durch das erkennende Gericht die Verurteilung prozessual nicht wahrscheinlich und daher die Eröffnung abzulehnen ist (vgl. KG, Beschl. vom 28.08.2000 – 1 AR 869/00, 4 Ws 134/00 –, juris mit weiteren Nachweisen). Insofern gilt, dass auch ein Zweifelsfall mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnisse der Hauptverhandlung notwendig sind, regelmäßig bereits die Annahme hinreichenden Tatverdachts gemäß § 203 StPO rechtfertigt. Die Eröffnungsentscheidung soll jedenfalls erkennbar aussichtslose Fälle ausfiltern, der Hauptverhandlung ansonsten aber nicht – insbesondere nicht im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung hinsichtlich sensibler Beweisfragen – vorgreifen (vgl. etwa BGH, BeckRS 2010, 10962 Rn. 33, 60; OLG Stuttgart, BeckRS 2014, 16657; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2009, 88; Schneider, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 203 Rn. 5). Ein verständliches
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Interesse an der öffentlichen Erörterung des Tatvorwurfs in einer Hauptverhandlung kann den hinreichenden Tatverdacht nicht ersetzen (vgl. Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 203 Rn. 19 mit weiteren Nachweisen).
Im Hinblick auf den durch die Staatsanwaltschaft Duisburg im Rahmen der Anklageschrift vom 10.02.2014 konkretisierten Tatvorwurf (B.) besteht nach diesen Grundsätzen – aus tatsächlichen Gründen – gegenüber sämtlichen Angeschuldigten kein hinreichender Tatverdacht.
Zum einen liegt nach dem Ermittlungsergebnis hinsichtlich de Geschädigten K der Beleg einer Schädigung durch die angeklagte Tat nicht vor, da d Geschädigte K nicht infolge der „Menschenverdichtung“ im Bereich der östlichen Rampe, sondern aufgrund schädigenden Verhaltens eines anderen Veranstaltungsbesuchers verletzt wurde, weswegen die von ihm erlittenen Verletzungen nicht auf die den Angeschuldigten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen zurückzuführen sind (C.I.).
Zum anderen besteht aus diversen, im Folgenden näher ausgeführten Gründen – auch unter Berücksichtigung der regelmäßig kursorischen Funktion des Zwischenverfahrens, in dem bei der zu treffenden Prognoseentscheidung für das Tatgericht ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum besteht (vgl. OLG Nürnberg, NJW 2010, 3793) – kein Beweis für das Bestehen der von der Anklage angenommenen konkreten Sorgfaltspflichten der Angeschuldigten, für die Verletzung dieser Sorgfaltspflichten sowie für die Ursächlichkeit bzw. Realisierung solcher Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg (C.II.).
Es verbleiben auf der Grundlage des vorliegenden Ermittlungsergebnisses nach dessen umfassender Würdigung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.02.2015, III-1 Ws 418/14) nicht nur überwindbare Zweifel, für deren Klärung die überlegenen Erkenntnismittel der (öffentlichen) Hauptverhandlung im Rahmen unmittelbarer Beweisgewinnung gegenüber dem vergleichsweise defizitären Beschlussverfahren des § 203 StPO herangezogen werden könnten. Dies wäre etwa der Fall, wenn es – wie vorliegend nicht anzunehmen – auf den persönlichen Eindruck des Gerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen bei sich widersprechenden Aussagen (vgl.
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OLG Stuttgart, BeckRS 2014, 16657 sowie BeckRS 2015, 14495; OLG Koblenz, NJW 2013, 98; KG, BeckRS 2014, 11294), zur Klärung innerer Vorgänge bei den Angeschuldigten durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen (vgl. OLG Stuttgart, NStZ-RR 2012, 117) oder entscheidend auf die Auswertung und Bewertung voneinander abweichender wissenschaftlicher Standpunkte von Sachverständigen aufgrund persönlicher Eindrucksbildung ankäme. Auch unter Berücksichtigung der besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung erscheint vorliegend eine Verurteilung aber unwahrscheinlich, weshalb eine Eröffnung ausscheidet (vgl. OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2009, 88). Es handelt sich nach derzeitigem Ermittlungsstand vielmehr bereits aufgrund der Unverwertbarkeit des Gutachtens des durch die Staatsanwaltschaft Duisburg im Ermittlungsverfahren beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. T, das überdies auch inhaltlich das Bestehen der von der Anklage angenommenen Sorgfaltspflichten, die angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen sowie deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg nicht tragfähig belegt, aber auch aufgrund der (nicht im Zwischenverfahren durch – dort unzulässige, weil wesentliche – weitere Ermittlungen zu behebenden) Lückenhaftigkeit des zudem teilweise in zentralen Punkten zur Anklageschrift sogar gegenläufigen oder diese inhaltlich nicht deckenden Ermittlungsergebnisses um einen erkennbar aussichtslosen Fall, der so keine Grundlage für eine Eröffnung des Hauptverfahrens bietet.
Es obliegt zudem gerade nicht dem Gericht, im Zwischenverfahren – hier fehlende – wesentliche Teile des Ermittlungsverfahrens nachzuholen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 03.02.2014, III-2 Ws 614/13; OLG Karlsruhe, StV 2004, 325, 326; LG Berlin, NStZ 2003, 504). § 202 StPO erlaubt lediglich „einzelne Beweiserhebungen“ (Paeffgen, in: SK-StPO, 5. Aufl., § 202 Rn. 2). Davon sind solche Nachermittlungen umfasst, die eine bloße Ergänzung eines von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bereits weitgehend aufgeklärten Sachverhalts bezwecken (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 03.02.2014, III-2 Ws 614/13; LG Berlin, NStZ 2003, 504; OLG Karlsruhe, StV 2004, 325, 326; OLG Celle, StV 2012, 456). Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung eines von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Anklagevorwurfs sind indes gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. etwa OLG Celle, StV 2012, 456; Schneider, in KK-StPO, 7. Aufl., § 202 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 202 Rn. 1); § 202 StPO ist restriktiv auszulegen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 03.02.2014, III-2 Ws 614/13). Eine Ermittlungsanordnung des Ge-
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richts nach § 202 StPO darf gerade nicht darauf hinauslaufen, dass dadurch erst die Voraussetzungen eines hinreichenden Tatverdachts geschaffen würden (LG Berlin, NStZ 2003, 504). Es ist nämlich nicht Aufgabe des Tatgerichts, ein entsprechendes Beweisprogramm im Zwischenverfahren abzuarbeiten und damit quasi eine „Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung“ durchzuführen (vgl. LG Berlin, NStZ 2003, 504; Paeffgen, in: SK-StPO, 5. Aufl., § 202 Rn. 3).
I.
Den Angeschuldigten wird durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.02.2014 zur Last gelegt, „durch fehlerhaftes und pflichtwidriges Verhalten bei der Planung, Genehmigung, Umsetzung und Kontrolle der „Loveparade 2010“ am 24. Juli 2010 in Duisburg“ fahrlässig den Tod von 21 Menschen sowie die Verletzung von 18 Menschen verursacht zu haben. Die mit der Anklage „exemplarisch auf 18 infolge der Menschenverdichtung im Bereich der östlichen Rampe schwer verletzte Personen“ vorgenommene Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO entfällt durch die Zulassung von weiteren Verletzten als Nebenkläger durch die Kammer gemäß § 395 Abs. 5 S. 2 StPO im Hinblick auf den gegenüber d Angeschuldigten A , B , C , D , F und E erhobenen Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung im Amt gemäß §§ 229, 340 Strafgesetzbuch (StGB) zum Nachteil von 25 weiteren Verletzten (damit vorgeworfen: Fahrlässige Körperverletzung im Amt zum Nachteil von 43 Verletzten) sowie im Hinblick auf den gegenüber d Angeschuldigten G , J , H und I erhobenen Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB zum Nachteil von acht weiteren Verletzten (damit vorgeworfen: Fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil von 26 Verletzten).
Unter ergänzender Berücksichtigung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen hat die Kammer folgende Anklagevorwürfe als von der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.02.2014 umgrenzt und umfasst angesehen:
D Angeschuldigten J , G , H und I (als Mitarbeitern der M ) wird vorgeworfen, eine sorgfaltswidrige Planung im Hinblick auf die Eignung des Ein- und Ausgangssystems zum Durchfluss der prognostizierten Besucherströme vorgenommen und bei der Genehmigungsbehörde, dem Amt für Baurecht
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und Bauberatung der Stadt Duisburg (Amt 62), eingereicht zu haben. Die durch sie erfolgte Planung sei im Hinblick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe (an der planerisch engsten Stelle: 18,28 Meter) und des Tunnels unter keinen Umständen geeignet gewesen, die erwarteten Besucherströme zwischen 15 und 19 Uhr sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zu führen, da es – hinsichtlich der prognostizierten Besucherströme unter Berücksichtigung der Ge-staltung des Geländes – zwangsläufig zu einer Überschreitung der anhand des wissenschaftlich anerkannten – und im Rahmen der Planung damit zwingend zu beachtenden – Höchstwerts von 82 Personen/Meter/Minute zu ermittelnden maximalen Durchflusskapazität habe kommen müssen. Ebenfalls hätten d Angeschuldigten J , G , H und I am Veranstaltungstag (24.07.2010) die von der Genehmigungsbehörde vorgegebene Auflage, nämlich die Rampe Ost als „Fluchtweg“ von Hindernissen freizuhalten, nicht umgesetzt. Vielmehr sei es dort zu einer genehmigungswidrigen weiteren Verengung auf 10,59 Meter durch nicht entfernte Zaunbauten gekommen, was das bestehende „Durchflussdefizit“ weiter vergrößert habe.
D Angeschuldigten D , F und E (als mit der Genehmigungserteilung befassten Sachbearbeitern des Amts 62, Sachgebiet 34 der Stadt Duisburg) wird vorgeworfen, bei der Genehmigungserteilung außer Acht gelassen zu haben, dass nach der vorliegenden Planung die prognostizierten Besucherströme mit Blick auf die Durchgangsbreiten der Rampe Ost und des Tunnels unter Berücksichtigung des wissenschaftlich anerkannten Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute zwischen 15 und 19 Uhr unter keinen Umständen hätten sicher auf das Gelände geführt werden können. Sie sollen zusätzlich die Prüfung versäumt haben, ob das erforderliche Einvernehmen zwischen dem Betreiber und den für Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörden über das Sicherheitskonzept nach § 43 Abs. 2 Sonderbauverordnung NRW (SBauVO NRW) erzielt worden sei, welches tatsächlich nicht vorgelegen habe. Vor Öffnung des Geländes am 24.07.2010 hätten sie die Kontrolle der baulichen Anlagen im Hinblick auf die Umsetzung der erteilten Genehmigung pflichtwidrig unterlassen, indem sie nicht geprüft hätten, ob die Auflagen eingehalten wurden. Sie hätten die (fortbestehende) zusätzliche Verengung auf der Rampe Ost erkennen und deren Beseitigung veranlassen sowie die auflagenwidrig unzureichende Anpralllast der Zäune zum Anlass eines Eingreifens nehmen müssen.
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D Angeschuldigten B (als Leiterin des Amts 62 der Stadt Duisburg) und C (als Leiter der Abteilung 62-3 des Amtes 62 der Stadt Duisburg) wird vorgeworfen, es unterlassen zu haben, d Angeschuldigten D , F und E ordnungsgemäß zu überwachen, die aus den vorgeworfenen Planungsfehlern folgende fehlende Genehmigungsfähigkeit zu erkennen und einzugreifen sowie für eine Anwesenheit von Mitarbeitern des Bauamtes am Veranstaltungstag und für eine Auflagenkontrolle bzw. abschließende Kontrolle auf dem Veranstaltungsgelände mit der Folge der Beseitigung der genehmigungswidrigen zusätzlichen Verengung durch Zaunbauten auf der Rampe Ost und der nicht hinreichend standfesten Zäune zu sorgen.
D Angeschuldigten A (als Beigeordnetem der Stadt Duisburg mit dem Geschäftsbereich Amt 62) wird vorgeworfen, er habe sich trotz konkreter Anzeichen, dass seine Mitarbeiter den Prüfungs- und Überwachungspflichten nicht nachkämen, nicht persönlich die Ergebnisse der baurechtlichen Prüfung vorlegen lassen. Er habe darauf hinwirken müssen, dass eine rechtswidrige Genehmigung nicht erteilt werde. Zwischen dem 13. und dem 16.07.2010 habe er pflichtwidrig und vorwerfbar entschieden, dass die mit der Genehmigungserteilung befassten Mitarbeiter am Veranstaltungstag nicht im Dienst sein und die Einhaltung der Auflagen der am 23.07.2010 (unter dem Datum 21.07.2010) erteilten Genehmigung folglich nicht überwachen sollten.
II.
Die Anklage stützt den Vorwurf, das Ein- und Ausgangssystem der Versammlungsstätte sei nicht geeignet gewesen, die zu- und abströmenden Besucher sicher zu führen, was zu den Todesfällen und Verletzungen am 24.07.2010 geführt habe, auf das Gutachten des von der Staatsanwaltschaft Duisburg im Ermittlungsverfahren beauftragten britischen Sachverständigen Prof. Dr. T.
Dieses Gutachten kann jedoch – auch unter Einbeziehung der nach der Anklageerhebung erfolgten diversen weiteren Ausführungen von Prof. Dr. T in E-Mails an die Staatsanwaltschaft bzw. in seinen Antworten auf die ihm mit Beschluss der Kammer vom 17.02.2015 im Zwischenverfahren gestellten Fragen – weder das Bestehen der von der Anklage angenommenen Sorgfaltspflichten belegen noch den Beweis für die
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den Angeschuldigten mit der Anklageschrift vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen und deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg erbringen.
Denn das Gutachten ist wegen erheblicher Verstöße von Prof. Dr. T gegen Grundpflichten eines Sachverständigen unverwertbar (1.) und lässt sich zudem auch nach seinem Inhalt nicht als tragfähiger Beleg der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen sowie deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg heranziehen (2.).
1.
Einen Sachverständigen treffen im Vorfeld, bei und nach der Gutachtenerstattung diverse Pflichten. Dabei handelt es sich insbesondere um die Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität, die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung, die Pflicht zur Offenlegung der Heranziehung von Hilfskräften für unterstützende Vorbereitungsarbeiten und die Pflicht zur verantwortlichen Überwachung dieser Hilfskräfte, die Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung, die Pflicht zur Beachtung des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik, die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen sowie die Schweigepflicht.
Eine Verletzung dieser grundlegenden Pflichten kann zur Unverwertbarkeit der Ausführungen des Sachverständigen führen. Dies ist vorliegend aufgrund der Art und des Gewichts der Verstöße gegen grundlegende Gutachterpflichten durch Prof. Dr. T der Fall:
Prof. Dr. T verletzte seine Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität, indem er sich in einem von ihm gehaltenen und auf seiner Homepage (bis zu dessen Entfernung) abrufbarem Vortrag sowie in seinem im Jahr 2014 veröffentlichten Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ speziell zu konkreten Fehlern bei der Planung und Genehmigung der Loveparade 2010 sowie den (vermeintlich) am Veranstaltungstag vorliegenden Gegebenheiten unsachlich äußerte. Diese Äußerungen lassen wiederum aufgrund ihres Inhalts und ihrer Vielzahl Rückschlüsse auf eine innere Haltung zu, die seine
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Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit gegenüber den Angeschuldigten störend beeinflussen kann. Denn Prof. Dr. T behauptet nicht nur in seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“, bei der Planung der Loveparade seien Daten (Planzahlen zu Besucherströmen) „manipuliert“ worden und „einfache Mathematik“ oder gar „einfachste Mathematik“ bzw. „Mathematik für Anfänger“ nicht angewendet worden, die sein Sohn im Alter von vier Jahren bereits beherrscht habe. Auch in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ äußert er an verschiedenen Stellen, einfache mathematische Rechenwege seien von den „Teams, die die Veranstaltung geplant und genehmigt haben“, nicht beachtet worden. Darüber hinaus legt er sich in seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ auch auf konkrete Besucherzahlen bei der Loveparade 2010 in Duisburg fest, obwohl er solche konkreten Zahlen tatsächlich nicht (auch nicht schätzungsweise) nennen kann, sondern sie – wie er allerdings nicht kenntlich macht und nur auf Nachfrage mitteilt – nur als „zur Veranschaulichung des Problems“ genannte Zahlen verstanden wissen will. Prof. Dr. T schildert schließlich in diesem Vortrag auf der Basis dieser nicht tatsächlich ermittelten, sondern lediglich „gegriffenen“ Zahlen ein – in dieser Form tatsächlich nicht ermitteltes – „Überfüllungsszenario“. Dies lässt für einen vernünftigen Angeschuldigten eine Beeinträchtigung der Neutralität von Prof. Dr. T ihm gegenüber besorgen.
Daneben legt Prof. Dr. T sich in den Vorträgen „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ und „Crowd Safety – Major City Events (Space, Time, Direction, Flow), Emergency Planning Society – Webinar 1st July 2013” sowie in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ konkret und fallbezogen bereits darauf fest, dass „Planungsfehler, Genehmigungsfehler und betriebliche Fehler“ gemacht wurden und ein „Durchsatzproblem“ im Sinne eines „Designfehlers“ bzw. die „Diskrepanz zwischen dem Fassungsvermögen (Fläche) eines Raums und der Anzahl von Menschen (…), die versuchen in diesen Raum zu gelangen“, zu den Verletzungen/Todesfällen bei der Loveparade führten, was zu der weiteren Besorgnis führt, Prof. Dr. T könne von dieser Einschätzung auch im Falle sich in einer etwaigen Hauptverhandlung ergebender anderer bzw. weiterer Erkenntnisse aufgrund seiner bereits getätigten und für eine breite Öffentlichkeit zugänglichen Äußerungen nicht abrücken. Denn ein
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solches Abrücken von seiner bereits öffentlich kundgemachten Position könnte für ihn mit einem – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlust einhergehen und daher seiner Neigung, auch anderen Erkenntnissen offen gegen-überzustehen, abträglich sein. So leitet er gerade aus seinem Einsatz als Sachverständiger anlässlich der Loveparade in Duisburg in seinem Fachbuch eine besondere Reputation her („WARUM SIE UNS ZUHÖREN SOLLTEN?“).
Hinzu kommt, dass die Gesamtumstände der Gutachtenerstellung weitere Zweifel an der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität von Prof. Dr. T wecken. Prof. Dr. T ging davon aus, nicht eigenverantwortlich als unabhängiger Sachverständiger, sondern als Angestellter der Buckinghamshire New University bzw. des weltweit tätigen Sicherheitsunternehmens G4S das Gutachten zu erstellen. Er ließ deshalb die Herangehensweise für sein Gutachten durch die Universität bzw. G4S (fremd-)bestimmen, räumte Repräsentanten der Universität bzw. der Haftpflichtversicherung Änderungsbefugnisse ein, die diese auch wahrnahmen, „um sicherzustellen, dass weder der Ruf der Universität noch der von G4S leidet“, und legte ihnen das Gutachten zur „QA“ (Qualitätssicherung) sowie Gutachteninhalte „zur abschließenden Genehmigung“ vor, womit er ihnen die Letztverantwortlichkeit (auch) für den Inhalt des Gutachtens übertrug. Überdies beauftragte Prof. Dr. T bei der Gutachtenerstellung Hilfskräfte – F und S –, deren Aufgabenerfüllung er mangels eigener deutscher Sprachkenntnisse nicht überprüfen konnte, mit der Auswahl der der Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente, so dass er für die Auswahl der Dokumente nicht die Verantwortung übernehmen kann. Schließlich verstieß er gegen seine Verschwiegenheitspflicht, indem er sich in seinen Vorträgen und seinem Fachbuch zu dem von ihm begutachteten Thema äußerte und dabei Inhalte seines Gutachtens benutzte sowie Informationen, die Akteninhalt waren, darstellte und öffentlich kommentierte. Zusammen mit seinen unsachlichen Äußerungen sowie der öffentlichen Festlegung auf bestimmte Ursachen für die Ereignisse bei der Loveparade 2010, die jeweils schon für sich allein diese Besorgnis begründen, rechtfertigen auch diese Umstände die Besorgnis der Befangenheit.
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Prof. Dr. T verletzte daneben – was bereits im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände der Gutachtenerstellung die Besorgnis seiner Befangenheit mitbegründet – die Pflichten zur persönlichen Gutachtenerstattung und zur verantwortlichen Überwachung der eingesetzten Hilfskräfte, denn er ließ wesentliche Aufgaben (die Auswahl der seiner Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente), zu denen er selbst als beauftragter Sachverständiger berufen gewesen wäre, durch Dritte ausführen, deren Aufgabenausführung er mangels eigener deutscher Sprachkenntnisse nicht überprüfen konnte. Damit kann er nicht die Verantwortung für die Auswahl der der Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente übernehmen. Neben den von seinen Mitarbeiterinnen ausgewählten und der Begutachtung zugrunde gelegten Dokumenten gibt es indes weitere, beispielsweise das polizeiliche Einsatzkonzept insbesondere zu den zur Besucherstromsteuerung geplanten Vorsperren betreffende, Dokumente, die für die ihm aufgegebene Begutachtung relevant sein könnten.
Prof. Dr. T verletzte überdies seine Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse.
Denn er beschränkte die Anknüpfungstatsachen seines Gutachtens auch innerhalb seines Fachgebietes von Anfang an selektiv, indem er seine Mitarbeiterinnen, denen er die Auswahl der seinem Gutachten zugrunde gelegten Dokumente übertrug, anwies, ihm lediglich Dokumente zur Frage „War das Gelände sicher?“ herauszusuchen, obwohl er nach dem ihm von der Staatsanwaltschaft gestellten Gutachtenauftrag („Was waren die Ursachen der Menschenverdichtung am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg (unter Berücksichtigung der Planungen sowie der Durchführung) und welche Möglichkeiten der Verhinderung gab es?“) gehalten war, sämtliche in Betracht kommenden Ursachen zu begutachten, und nicht nur solche, die die Sicherheit des Geländes betrafen.
Zudem legte er seinem Gutachten die Planzahlen aus einem „Bewegungsmodell Elßner-V 2 0.xls“ zugrunde, ohne seine Annahme, diese Zahlen hätten bei
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der zu Genehmigungszwecken vorgelegten Planung tatsächlich Verwendung gefunden, begründen zu können.
Darüber hinaus basiert seine Begutachtung, obwohl er dies nicht nachvollziehbar belegen kann, auf der Annahme, die – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen zu Besucherströmen stimmten mit den tatsächlichen Besucherzahlen überein. Damit setzt er jedoch die von ihm für „manipuliert“ gehaltene Planung und die realen Umstände – nicht nachvollziehbar und damit gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse verstoßend – gleich. Denn es war ihm weder möglich, konkrete Angaben zu den tatsächlichen Besucherzahlen zu machen, noch diese annäherungsweise mittels einer Schätzung zu ermitteln, was gegebenenfalls seine Annahme eines Eintreffens der Planzahlen hätte bestätigen können. Des Weiteren konnten selbst unter Annahme der in seinem Gutachten errechneten maximalen Anzahl der das Veranstaltungsgelände bei jederzeitiger Maximalauslastung der Vereinzelungsanlagen – wobei er selbst nicht von deren planerisch absehbarem Versagen ausgeht – pro Stunde betretenden Besucher (43.788 Besucher) die von ihm zugrunde gelegten Planzahlen jedenfalls in der Zeit von 12 bis 19 Uhr (stündlicher Zustrom von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern) auf dem Gelände nicht erreicht werden. Prof. Dr. T setzt sich ferner nicht damit auseinander, in welchem Verhältnis die von ihm angenommene Anzahl der abströmenden Besucher aufgrund des von ihm selbst als auf maximal 43.788 Besucher limitiert angesehenen Zustroms ebenfalls zu verringern wäre. Innerhalb seiner verschiedenen Ausführungen geht er zudem nicht nachvollziehbar von unterschiedlichen (geplanten) Bemaßungen der „Eingangssysteme“ aus und kommt dadurch zu verschiedenen Werten zur maximalen Anzahl von Besuchern, die das Veranstaltungsgelände pro Stunde betreten konnten. Aus den Ausführungen von Prof. Dr. T ergeben sich darüber hinaus Hinweise darauf, dass die Planzahlen auf dem Veranstaltungsgelände tatsächlich gerade nicht erreicht wurden.
Überdies berücksichtigte Prof. Dr. T den geplanten Abgang von Zuschauern über die Rampe West in seinen Berechnungen mit nicht nachvollziehbarer
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Begründung nicht, was einen Verstoß gegen die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse darstellt.
Indem seine Einschätzungen zur Frage, inwieweit eine gegebenenfalls fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war(en), in sich widersprüchlich und nicht verständlich bleiben, verletzte er ebenfalls seine Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse.
Ferner verletzte Prof. Dr. T die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, indem seine Ausführungen zu der Anzahl der sich hinter den Polizeiketten stauenden Besucher nicht nachvollziehbar sind.
Schließlich verletzte er die Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung dadurch, dass er sein Gutachten „speziell“ auf die im „Anhang B – Amtlich übersetzte Dokumente“ angeführten Dokumente stützte, obwohl es weitere, von ihm unberücksichtigt gelassene Dokumente gibt, die für die ihm aufgegebene Begutachtung relevant sein könnten.
Prof. Dr. T verletzte des Weiteren seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen. Denn er befasste sich in seinem Gutachten nicht wie von der Staatsanwaltschaft vorgegeben mit der konkreten Durchführung der Loveparade, wozu auch die konkreten Abläufe am Veranstaltungstag gehören, sondern nahm (lediglich) eine Risikoanalyse im Hinblick auf die Planung vor der Veranstaltung vor, wobei er prüfte, ob unter Verwendung weniger grundlegender Plandokumente planerische Grundprobleme hinsichtlich der Geländekapazität des Einlassbereichs vorlagen (“several potential problems lying in wait“), die nach seiner Ansicht zu einem Versagen der Genehmigung im Vorfeld hätten führen müssen. Die von ihm vorgenommene Risikoanalyse beruht überdies auf von ihm für „manipuliert“ gehaltenen Planzahlen und ist schon aus diesem Grund nicht geeignet, auch nur ihre Funktion als Risikoanalyse zu erfüllen, denn eine solche Risiko-
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analyse kann nur dann ein etwa bestehendes Risiko abbilden, wenn die tatsächlich zu erwartenden Besucherzahlen dazu verwendet werden.
Schließlich verletzte Prof. Dr. T seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen, indem er den Tunneldurchfluss trotz Behauptung fehlender „Zweckeignung“ nicht berechnete, die Begutachtung ohne ausreichende (Grund-)Kenntnisse des deutschen Rechts, insbesondere unter Verwendung eines unzutreffenden, unter anderem Ursächlichkeit und Vorhersehbarkeit unzulässig vermengenden Kausalitätsbegriffs, durchführte und das Gutachten aus Sicht eines „britischen Gutachters zur Beratung bei fremdsprachigen Fällen“, hier ohne Beachtung der nationalen (deutschen) technischen Normen, erstellte.
2.
a.
Aus dem Gutachten lässt sich auch inhaltlich eine Verletzung des – überdies von Prof. Dr. T inhaltlich nicht tragfähig begründeten – Sorgfaltspflichtmaßstabes zur Berücksichtigung einer Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute für die (Durchgangs-)Wege des Ein- und Ausgangssystems einer solchen Versammlungsstätte nicht herleiten.
So benennt Prof. Dr. T zwar einen Wert von 82 Personen/Meter/Minute, um die maximale Durchflussmenge für Zugangs- und Ausgangswege zu berechnen. Prof. Dr. T kommt auch – allerdings unter Anwendung der (von ihm für „manipuliert“ gehaltenen) Planzahlen aus einem „Bewegungsmodell Elßner-V 2 0.xls“ und ohne seine Annahme, diese Zahlen hätten bei der Planung tatsächlich Verwendung gefunden, nachvollziehbar begründen zu können – zu dem Ergebnis, die Veranstaltung hätte – auf der Basis dieser von ihm als erwartet angenommenen Besucherzahlen – nicht genehmigt werden dürfen. Dies lässt den Rückschluss darauf zu, dass er von der Verletzung eines bei gebotener Sorgfalt zu berücksichtigenden Durchflussmaximalwertes von 82 Personen/Meter/Minute bei der zu Genehmigungszwecken vorgelegten Planung der Zugangs- und Ausgangswege der Versammlungsstätte ausgeht. Eine Verletzung einer – unterstellten – Sorgfaltspflicht der Planung mit einer Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute für die (Durchgangs-)
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Wege des Ein- und Ausgangssystems einer solchen Versammlungsstätte wird aber weder durch das Gutachten von Prof. Dr. T vom 14.03.2013 noch durch seine nachfolgenden diversen Ausführungen tragfähig belegt.
Denn Prof. Dr. T ermittelt bereits den maximalen Tunneldurchfluss nicht und damit auch nicht, ob der Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute in dem Tunnel bzw. in dem westlichen und/oder östlichen Tunnelabschnitt planerisch überschritten wurde. Vielmehr führt er in seinem Gutachten vom 14.03.2013 hierzu – wie auf dieser Grundlage auch die Anklage annimmt – lediglich aus, auch der Tunnel sei – neben den Vereinzelungsanlagen West und Ost und der Rampe Ost – zu eng dimensioniert und „aufgrund der potentiellen Überfüllung während der Spitzenzeiten des Umstellungszeitraumes im Tunnel-/Rampensystem (Zustrom + Abstrom)“ nicht „für den Zweck geeignet“ gewesen; „beim Tunnel/bei der Rampe“ handele es sich „um ein kombiniertes Strömen - in das System hinein und wieder heraus“. Obwohl Prof. Dr. T damit auch den Tunnel (pauschal) einerseits als systemrelevant, andererseits als falsch dimensioniert bewertet, verhalten sich die Ausführungen in seinem Gutachten nicht zu konkreten Berechnungen in Bezug auf die Durchflusskapazität des Tunnels, die den – begründeten – Schluss, auch der Tunnel habe einen „Dimensionierungsfehler“ aufgewiesen, tragen könnten. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015, den erstmals im Mai 2015 von ihr beauftragten Ermittlungen der tatsächlichen Maße des Tunnels komme keine Relevanz für das Verfahren zu, denn der Vorwurf der Fehldimensionierung des Tunnels stellt einen Teilaspekt des Anklagevorwurfs dar.
Darüber hinaus berücksichtigt Prof. Dr. T bei den Bewertungen einer Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute nicht die von ihm selbst angenommene Limitierung der Anzahl der (stündlich) maximal auf das Gelände gelangenden Besucher durch die Vereinzelungsanlagen. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. T im Gutachten vom 14.03.2013 betrug die kombinierte Zustromkapazität aus beiden Einlasssystemen (Vereinzelungsanlagen West und Ost) maximal 43.788 Besucher pro Stunde, wobei er allerdings die zu einer Berechnung der Dimensionierung der Vereinzelungsanlagen erforderlichen Maße nicht tragfähig herleitet. Dass ein Versagen der Vereinzelungsanlagen schon planerisch angelegt
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gewesen wäre, so dass sie ihre limitierende Beschränkung zu irgendeinem Zeitpunkt der Veranstaltung verloren hätten, wird von Prof. Dr. T nicht vertreten. Insofern wäre bei der Bewertung, ob die erwarteten Besucherströme sicher auf das Gelände geführt werden bzw. dieses verlassen konnten, die Limitierung der auf das Veranstaltungsgelände gelangenden Besucherzahl durch die Vereinzelungsanlagen zu berücksichtigen gewesen, was indes nicht erfolgte. Prof. Dr. T setzt sich schließlich nicht damit auseinander, in welchem Verhältnis auch die Anzahl der abströmenden Besucher aufgrund des von ihm selbst als limitiert angesehenen Zustroms zu verringern wäre.
Überdies berücksichtigt Prof. Dr. T auch den geplanten Abstrom von Besuchern über die Rampe West bei den Durchflussberechnungen zur Rampe Ost mit nicht nachvollziehbarer Begründung nicht. Insofern bezieht er nicht ein, dass nach der Planung unter Berücksichtigung auch der (lediglich) für den Abstrom vorgesehenen Rampe West nicht der gesamte erwartete Besucherstrom über die Rampe Ost fließen würde.
Im Ergebnis ist durch die Ausführungen von Prof. Dr. T nicht belegt, dass unter Berücksichtigung dieser Umstände – zu ermittelnder Tunneldurchfluss, Limitierung der auf das Gelände gelangenden Besucherzahl durch die Vereinzelungsanlagen (wobei zu ermitteln wäre, in welchem Verhältnis deshalb auch die Abstromzahlen zu kürzen wären) und Abstrom auch über die Rampe West – der Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute im Ein- und Ausgangssystem, insbesondere auf der Rampe Ost, überschritten wurde.
b.
Das Gutachten von Prof. Dr. T erbringt auch nicht den Beweis für die Kausalität bzw. Realisierung der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg.
Die in der Anklageschrift erfolgte Beschreibung des Geschehensablaufs sowie die Annahme der Kausalität bzw. der Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg beruhen wesentlich (jedenfalls) auf zwei durch die Anklage selbst als notwendig und unverzichtbar dargestellten tatsächlichen Umständen, nämlich
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dass zum einen die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planung angenommenen Besucherstromzahlen eingetroffen sind sowie dass zum anderen das Unglücksgeschehen ab 16.02 Uhr (bzw. „wahrscheinlich bereits gegen 15.30 Uhr“) nicht mehr zu verhindern war (im Folgenden als „Unumkehrbarkeitszeitpunkt“ bezeichnet).
Einen Beweis hierfür vermag das Gutachten von Prof. Dr. T entgegen der Annahme der Anklage nicht zu erbringen. Denn Prof. Dr. T nimmt lediglich eine „Risikoanalyse“ anhand von Planungsunterlagen vor, ohne die tatsächlichen Verhältnisse am Veranstaltungstag wie von seinem Gutachtenauftrag umfasst zu berücksichtigen. Aus seinen Ausführungen lässt sich überdies bereits der in der Anklage benannte „Unumkehrbarkeitszeitpunkt“ nicht herleiten und ebenfalls nicht darauf schließen, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) – wie von der Anklage angenommen – tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den Planungen eingetroffen sind.
Prof. Dr. T war vielmehr – unabhängig von der seiner Begutachtung unter Verstoß gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse zugrunde gelegten Annahme, die von ihm überdies für „manipuliert“ gehaltenen Planzahlen stimmten mit den tatsächlichen Besucherzahlen überein – eine Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen weder konkret noch annäherungsweise mittels einer Schätzung möglich. Mit Beschluss der Kammer vom 17.02.2015 wurde Prof. Dr. T insbesondere auch ersucht, für den Fall, dass sich eine zahlenmäßig genaue Festlegung in Bezug auf die Besucherzahlen nicht erreichen lasse, jeweils eine Größenordnung im Sinne einer annäherungsweisen Ermittlung anzugeben, mithin eine Schätzung vorzunehmen. Konkrete Zahlen konnte er nicht angeben und auch die im Falle der Unmöglichkeit konkreter Zahlenangaben erbetenen Schätzungen konnte Prof. Dr. T nicht vornehmen. Vielmehr führt er in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus, er habe nur anhand der vor der Veranstaltung verfügbaren Informationen Hinweise auf ein Störungspotential abschätzen können. Dies erlaubt jedoch nicht die Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen, weil bei einer solchen Vorgehensweise entsprechend einer abweichenden Zielrichtung die tatsächlichen Verhältnisse keine Berücksichtigung finden.
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Schließlich wird im Gutachten von Prof. Dr. T teilweise widersprüchlich, teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet, ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter (unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, Polizeiketten, Beiseiteziehen von Heraszaunelementen an der Vereinzelungsanlage West, Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich, abgedeckter Gullydeckel am Rampenfuß, unterbliebene Blockierung des oberen Bereichs der Rampe Ost durch Polizeifahrzeuge) für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war/waren, weshalb auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T nicht beurteilbar ist und damit unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde.
3.
Weitere Beweismittel für die von der Anklageschrift angenommenen konkreten Sorgfaltspflichten, für deren Verletzungen sowie für die Kausalität bzw. Realisierung solcher Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg sind nach umfassender Auswertung des Akteninhalts durch die Kammer nicht ersichtlich. Die Kammer ist zu weiteren Ermittlungen im Zwischenverfahren – über die bereits veranlassten hinaus – weder verpflichtet noch berechtigt, weil es sich dabei um wesentliche Ermittlungen handeln würde.
4.
Aus den Ermittlungsergebnissen zu den tatsächlichen Abläufen am 24.07.2010 lässt sich auch in einer Gesamtschau der Umstände nicht auf eine Kausalität bzw. Realisierung der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg schließen. Die Anklage nennt selbst eine Vielzahl von tatsächlichen Umständen, die in ihrer Gesamtheit – jedenfalls ohne die (indes nicht vorhandene) auch nur ungefähre numerische Erfassung des tatsächlichen Besucherprofils am 24.07.2010 sowie ohne eine Klärung, ob durch eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde – dagegen sprechen, dass es sich um einen plangemäßen Zu- und Abfluss der Besucherströme mit der Folge eines erfolgskausalen Durchflussdefizits zur Tatzeit handelte, so etwa die verspätete Öffnung des Ver-
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anstaltungsgeländes mit der Folge eines planwidrigen erheblichen Besucherstaus, die nicht vollständige Besetzung sämtlicher Schleusen der Vereinzelungsanlagen mit der Folge einer Kapazitätseinschränkung, das Nachlassen eines zunächst bestehenden Rückstaus vom Rampenkopf in die Rampe Ost hinein zwischen 16.00 und 16.10 Uhr nach dem Niederreißen von Zäunen auf der Rampe Ost, die Sperrung der Tunnel West und Ost durch Polizeiketten von etwa 15.50 Uhr bis 16.20 Uhr (West) sowie 15.57 Uhr bis 16.13/16.14 Uhr (Ost) mit hieraus folgender Bildung erheblichen „Personendrucks“ bei gleichzeitig nur kurzzeitiger Schließung der Vereinzelungsanlagen West und Ost ab 15.54 Uhr, der (planwidrige) Zufluss auf das Gelände auch über die westliche Rampe ab ca. 15.55 Uhr aufgrund polizeilicher Anordnung der Verwendung auch der Rampe West als Zugangsrampe, die Errichtung einer (auftragswidrig kurzzeitig in Richtung Tunnel durchlässigen) Polizeikette auf der Rampe Ost auf Höhe und unter Nutzung der von der Anklageschrift als (mit)kausal erachteten Verengung auf 10,59 Meter um 16.01 Uhr mit der Folge einer Durchflusssperre bis 16.28 Uhr und der Bildung eines „zunehmenden Rückstaus“, das Öffnen der Vereinzelungsanlage West gegen 16.02 Uhr und die endgültige Aufgabe der Vornahme von Personenkontrollen dort gegen 16.17 Uhr mit der Folge „ungebremst(en)“ Besucherzustroms, die Durchfahrt eines Rettungswagens durch die Vereinzelungsanlage West gegen 16.32 Uhr, wobei es bei einer Öffnung von Bauzäunen zu einem unkontrollierten Zustrom von Personen und damit einem weiter „erhöhten Zugang“ kam, die Minuten nach der Durchfahrt des Rettungswagens gegen 16.36 Uhr erfolgte Erweiterung der Öffnung durch Wegziehen weiterer Bauzaunelemente durch Ordner im Bereich der Vereinzelungsanlage West mit der Folge, dass „einige Minuten lang ungehindert Veranstaltungsbesucher in Richtung Tunnel beziehungsweise östliche Rampe“ strömten, schließlich „Intervallöffnungen“ der „Schleuse Ost“ trotz bestehender Polizeikette im Tunnel Ost ab 15.54 Uhr, um den „Druck stoßweise zu mindern“.
Damit ergibt sich aber spätestens mit Sperrung der Tunnel West und Ost durch die Polizeiketten von etwa 15.50 Uhr bis 16.20 Uhr (West) sowie 15.57 Uhr bis 16.13/16.14 Uhr (Ost) mit der Folge der Bildung erheblichen „Personendrucks“ bei gleichzeitig nur kurzzeitiger Schließung der Vereinzelungsanlagen West und Ost sowie mit Errichten der weiteren Polizeikette von 16.01 Uhr bis 16.28 Uhr in einer Engstelle der Rampe Ost als dem (nach den Planungen) einzigen Zugang mit der Folge einer Durchflusssperre und der Bildung eines „zunehmenden Rückstaus“,
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schließlich aufgrund der ab ca. 15.55 Uhr erfolgten Umleitung der Besucher über die Rampe West als weiterem – planwidrig geschaffenen – Zugangspunkt eine grundlegende tatsächliche „Umgestaltung“ des geplanten Ein- und Ausgangssystems (lediglich Zugang über die Rampe Ost) und der damit verbundenen (nach der Planung allenfalls durch Sperrungen der Vereinzelungsanlagen zu beeinflussenden) Führung der Besucherströme in dem Ein- und Ausgangssystem durch die vor Ort vorgenommenen (insbesondere polizeilichen) Maßnahmen.
Ebenso spricht das in der Anklageschrift wiedergegebene Ermittlungsergebnis dagegen, dass die Verengung der Durchgangsbreite der Rampe Ost durch die am Veranstaltungstag vorhandenen Zaundreiecke auf 10,59 Meter den „unglücksverursachende(n) Personenstau und die daraus resultierenden Todesfälle und Verletzungen mitverursacht“ hat. Denn ab 16.01 Uhr wurde der Personendurchfluss auf der Rampe Ost durch Positionierung einer Polizeikette genau auf Höhe der Zaundreiecke und unter Einbeziehung eben dieser „Engstelle“ in die Durchgangssperre zunächst im Wesentlichen sowie kurz darauf vollständig unterbunden. Daher musste jegliche einen Personendurchfluss an dieser Stelle etwa behindernde Auswirkung der Zaundreiecke und der durch sie bewirkten Verengung auf (nur noch) 10,59 Meter in Ermangelung zunächst eines nennenswerten sowie alsbald jedweden Personendurchflusses für die Dauer der Sperrung durch die Polizeikette entfallen. Die Anklage beschreibt überdies selbst nicht das engebedingte Entstehen einer Durchflussproblematik im Sinne eines personenstrombedingten Aufstauens gegenläufiger Personenströme im Bereich der Engstelle von 10,59 Meter, sondern die Bildung einer auch nach Auflösung der Polizeikette andauernden, weitgehend statischen Menschenansammlung als Folge einer durch Errichten der Polizeikette bezweckten und hervorgerufenen Komplettsperre. Dass die Engstelle zwischen den Zaundreiecken vor Errichten der Polizeikette um 16.01 Uhr und vor Eintritt des von der Anklage bezeichneten „Unumkehrbarkeitszeitpunkts“ 16.02 Uhr, „wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr“, tatsächlich eine durchflussrelevante Bedeutung im Sinne der tatsächlichen Überschreitung eines Durchflussmaximalwertes erlangt hätte, beschreibt die Anklage nicht und dies ergibt sich auch nicht aus dem Ermittlungsergebnis.
Damit ist nach derzeitigem Ermittlungsstand aber weder belegt, dass die Angeschuldigten die ihnen vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen begingen, noch dass
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diese Sorgfaltspflichtverletzungen (mit-)ursächlich waren bzw. sich im konkreten Taterfolg – wie vorgeworfen – realisiert haben.
II.
Unabhängig von der Unverwertbarkeit sowie fehlenden inhaltlichen Tragfähigkeit des
Gutachtens des Prof. Dr. T und der damit einhergehenden fehlenden Beweisbarkeit der sämtlichen Angeschuldigten auf dessen Grundlage vorgeworfenen Pflichtverletzungen sowie deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg fehlt es auch aus weiteren (tatsächlichen) Gründen am hinreichenden Tatverdacht gegenüber sämtlichen Angeschuldigten.
1.
Hinsichtlich d Angeschuldigten J , G , H und I – deren jeweilige rechtliche oder tatsächliche Übernahme einer Verkehrssicherungspflicht unterstellt – steht nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis bereits das vorgeworfene konkrete Maß der Sorgfaltspflicht zur Beachtung einer Maximaldurchfluss- bzw. Maximaldurchgangskapazität der Wege des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte von 82 Personen/Meter/Minute nicht fest. Ein solches folgt weder aus den durch die Anklageschrift herangezogenen Vorgaben der SBauVO NRW noch aus § 3 Bauordnung NRW (BauO NRW) oder aus den zum damaligen Zeitpunkt geltenden DIN-Normen bzw. der durch die Anklage insoweit (rechtsfehlerhaft) vorgenommenen Herleitung als „wissenschaftlich anerkannte(r) – und ihm Rahmen der Planung zwingend zu beachtende(r) – Höchstwert“. Auch aus allgemeinen Verkehrssicherungsgrundsätzen kann es nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht hergeleitet werden.
Insbesondere verlangten die nationalen DIN-Normen im Tatzeitraum (DIN EN 13200-1:2003, DIN EN 13200-3:2005, DIN 15750:2005) nicht eine rechnerisch zu bemessende Höchstdurchlass- bzw. -durchgangskapazität von Durchgangswegen der (regulären) Ein- und Ausgangssysteme von Versammlungsstätten im Freien. Das Bestehen einer dahingehenden allgemein anerkannten Regel der Technik im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW ergibt sich zudem nicht aus dem Ermittlungsergebnis, insbesondere auch nicht aus den sich hierzu schon nicht verhaltenden Ausführungen des Prof. Dr. T. Ob und inwieweit im Jahr 2010 unter dem Aspekt einer allgemei-
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nen Verkehrssicherungspflicht unabhängig von fehlenden Vorgaben in DIN-Normen bzw. öffentlich-rechtlichen Vorschriften d Angeschuldigten J , G , H und I die von der Anklage angenommenen konkreten Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Frage einer rechnerischen Bemessung der Durchgangskapazität der (Durchgangs-)Wege des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte oblagen, kann die Kammer ohne tragfähige sachverständige Ausführungen nicht aus eigener Sachkunde feststellen. Weitere Ermittlungen zur Bestimmung des konkreten Maßes der Sorgfaltspflicht konnten von der Kammer im Zwischenverfahren nicht durchgeführt werden, denn zu solchen wesentlichen Ermittlungen ist die Kammer weder berechtigt noch gehalten.
Ferner ist nach dem Ermittlungsergebnis die angeklagte Sorgfaltspflichtverletzung (Planung eines zwischen 15 und 19 Uhr aufgrund der planerischen Überschreitung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute nicht geeigneten Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte) auch deshalb nicht belegt, weil einerseits kein Beweis dafür besteht, dass – wie in der Anklage angenommen – nach der vorhandenen Planung die Rampe West tatsächlich erst ab etwa 18 Uhr als Ausgang genutzt werden sollte.
Andererseits sind wesentliche Voraussetzungen der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzung nicht ermittelt; insofern bedürfte es weiterer wesentlicher Ermittlungen.
Soweit die Anklage eine zu geringe planerische Breite der Rampe Ost (18,28 Meter an der schmalsten Stelle) als Teil des Ein- und Ausgangssystems (mit der Folge einer planerischen Nichtbeachtung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute) zugrunde legt und weiter anführt, dieser Höchstwert sei im Hinblick auf bestimmte Gegebenheiten weiter nach unten zu korrigieren, ist bereits ein entsprechend „nach unten“ korrigierter – insbesondere sachverständig tragfähig begründeter – Wert dem Ermittlungsergebnis und der Anklage nicht zu entnehmen. Die Anklage beziffert lediglich einen Durchflussmaximalwert im Ein- und Ausgangssystem, gibt aber nicht – auch nicht in Größenordnungen – an, in welchem Umfang dieser ggf. noch nach unten zu korrigieren sein soll, und vermag sich diesbezüglich auch nicht auf Ermittlungsergebnisse zu stützen.
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Die Anklage behauptet überdies, es habe fehlerhafte Planungen auch hinsichtlich des Tunnels sowie hinsichtlich einer „besondere(n) Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe“ (Rampenkopf) gegeben. Dies führt sie jedoch nicht näher aus; des Weiteren ergibt sich eine solche fehlerhafte Planung auch nicht aus dem Ermittlungsergebnis.
Soweit die Anklage eine fehlerhaft geplante Dimensionierung und Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen annimmt, fehlt es bereits an Ermittlungen zu den geplanten Maßen der Vereinzelungsanlagen als Grundlage einer solchen Annahme. Darüber hinaus lässt sich die von der Anklage, Prof. Dr. T folgend, angenommene Limitierung des Besucherzuflusses durch die Maximalkapazität der Vereinzelungsanlagen (43.788 Besucher pro Stunde) nicht mit der gleichzeitigen Annahme eines stündlichen Zustroms von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern auf das Gelände vereinbaren. Daher hätte in der Zeit zwischen 13 und 19 Uhr vielmehr nur eine zwischen 20% und 51% geringere Besucherzahl als von der Anklage als Zustrom zugrunde gelegt auf das Veranstaltungsgelände gelangen können.
Ferner berücksichtigt die Anklage bei der Berechnung der Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität weder einen aufgrund des limitierten Zustroms ebenfalls zu verringernden Abstromwert noch den planerischen Einsatz auch der Rampe West zu Abflusszwecken.
Schließlich werden die Planungen hinsichtlich eines so bezeichneten „Mitzieheffekts“ am Rampenkopf fehlerhaft beschrieben.
Die weitere hinsichtlich d Angeschuldigten J , G , H und I angeklagte Sorgfaltspflichtverletzung einer „Nichtumsetzung von Auflagen“ ist mangels inhaltlicher Einschlägigkeit der in Bezug genommenen – nur die Flucht- und Rettungswege und damit nicht die Rampe Ost betreffenden – „Auflage“ Nr. 6 der Nutzungsänderungsgenehmigung vom 21./23.07.2010 nicht belegt. Soweit der Anklageschrift (auch) der Vorwurf zu entnehmen ist, d Angeschuldigten J , G , H und I hätten durch ein fehlendes Freihalten der Rampe Ost von Hindernissen und damit die Aufrechterhaltung eines baugenehmigungswidrigen Zustands ihre aus der Gefahrenverantwortlichkeit im Vorfeld der Veranstaltung herrüh-
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rende Pflicht zur durchflusssicheren Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems verletzt, bleiben ebenfalls die bereits genannten wesentlichen Voraussetzungen der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzung unaufgeklärt; insofern bedürfte es weiterer wesentlicher Ermittlungen.
Ferner fehlt es hinsichtlich der Frage der Kausalität bzw. Realisierung der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg – unabhängig von der Unverwertbarkeit sowie fehlenden inhaltlichen Tragfähigkeit der diesbezüglichen Ausführungen des Prof. Dr. T – bereits an einem Beleg wesentlicher in der Anklageschrift hierzu behaupteter Umstände durch das Ermittlungsergebnis. So ergibt sich aus dem Ermittlungsergebnis insbesondere – entgegen den Behauptungen der Anklage – nicht, dass
bereits um 16.02 Uhr (bzw. „wahrscheinlich bereits gegen 15.30 Uhr“) der weitere Ursachenverlauf unumkehrbar war mit der Folge, „dass die zu diesem Zeitpunkt eingetretene endgültige Überlastung des Zu- und Abgangssystems zu einer Personenverdichtung in dem später tatsächlich eingetretenen Ausmaß führte“,
die Polizeiketten keinen Einfluss auf das Entstehen der „Menschenverdichtung“ hatten,
die prognostizierten Besucherströme jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr unter keinen Umständen sicher auf das Gelände geführt werden konnten.
2.
Auch hinsichtlich d Angeschuldigten D , F und E lässt sich auf der Grundlage des vorliegenden Ermittlungsergebnisses bereits eine konkrete Sorgfaltspflicht zur rechnerischen Überprüfung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute im Hinblick auf die Wege des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte zum maßgeblichen Genehmigungszeitpunkt nicht belegen. Auch insoweit ermangelt es zudem der Ermittlung der bereits genannten wesentlichen Voraussetzungen der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzung.
Soweit d Angeschuldigten D , F und E weiter vorgeworfen wird, die Prüfung versäumt zu haben, ob das erforderliche Einvernehmen nach § 43
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Abs. 2 SBauVO NRW erzielt worden sei, welches tatsächlich nicht vorgelegen habe, hatte bereits nach dem in der Anklageschrift wiedergegebenen wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen die gegebenenfalls versäumte Prüfung „keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den Todes- und Verletzungsfällen“.
Soweit d Angeschuldigten D , F und E schließlich vorgeworfen wird, es pflichtwidrig unterlassen zu haben, die baulichen Anlagen im Hinblick auf die Umsetzung der erteilten Genehmigung zu kontrollieren, indem sie (jeweils) nicht geprüft hätten, ob die Auflagen eingehalten würden, ist ebenfalls kein hinreichender Tatverdacht anzunehmen. Zum einen besteht bereits nach dem – in der Anklageschrift beschriebenen, zum erhobenen Anklagevorwurf gegenteiligen – Ermittlungsergebnis kein hinreichender Verdacht einer erfolgsursächlichen Sorgfaltspflichtverletzung aufgrund fehlender Überwachung einer auflagenwidrig unzureichenden Anpralllast der Zäune. Denn insofern führt die Anklage selbst aus, die Qualität des Zaunmaterials sei nicht erfolgsursächlich gewesen, vielmehr sei davon auszugehen, dass Zaunanlagen mit der geforderten Anpralllast die konkrete Gefahrensituation sogar verschärft hätten. Zum anderen scheidet mangels inhaltlicher Einschlägigkeit der in Bezug genommenen – nur die Flucht- und Rettungswege betreffenden – „Auflage“ Nr. 6 der Nutzungsänderungsgenehmigung vom 21./23.07.2010 ein hinreichender Verdacht einer sorgfaltswidrig unterbliebenen Kontrolle der Einhaltung dieser Auflage aus.
Hinsichtlich einer etwaig verletzten Pflicht zur Kontrolle der zusätzlichen Verengung auf der Rampe Ost auf 10,59 Meter als Verstoß gegen die Bauüberwachungspflicht stehen einerseits – die Dienstpflicht zur Anwesenheit d Angeschuldigten D , F und E unterstellt – der konkrete Umfang der Sorgfaltspflicht sowie andererseits deren Verletzung nach dem Ermittlungsergebnis nicht fest. Denn eine solche Pflichtverletzung durch mangelhafte Bauüberwachung würde voraussetzen, dass das Ein- und Ausgangssystem der Versammlungsstätte unter Durchflussgesichtspunkten auch bei Berücksichtigung der Engstelle an den Zaundreiecken pflichtwidrig ausge-staltet war. Auch insoweit ermangelt es jedoch der Ermittlung der bereits genannten wesentlichen Voraussetzungen der vorgeworfenen Pflichtverletzung.
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Auch hinsichtlich der Frage der Kausalität bzw. Realisierung der vorgeworfenen Pflichtverletzungen im konkreten Taterfolg fehlt es – unabhängig von der Unverwertbarkeit sowie fehlenden inhaltlichen Tragfähigkeit der diesbezüglichen Ausführungen des Prof. Dr. T – bereits an einem Beleg wesentlicher, oben bereits genannter, in der Anklageschrift hierzu behaupteter Umstände durch das Ermittlungsergebnis.
3.
Soweit d Angeschuldigten B und C ein im Rahmen ihrer jeweiligen Garantenpflicht bestehendes Überwachungsdefizit hinsichtlich der Genehmigungserteilung durch d Angeschuldigten D , F und E vorgeworfen wird, besteht kein hinreichender Tatverdacht. Denn für einen solchen, aus der Strafbarkeit Dritter (hier d Angeschuldigten D , F und E ) abgeleiteten Vorwurf bedürfte es eines hinreichenden Tatverdachts in Bezug auf die diesen Angeschuldigten vorgeworfenen Pflichtverletzungen. Dieser besteht aus den vorstehend genannten Gründen nicht. Mangels hinreichenden Verdachts eines erfolgsursächlichen „Auflagenverstoßes“ bzw. „Überwachungsversagens“ hinsichtlich der zusätzlichen Verengung der Rampe Ost und/oder nicht hinreichend standfester Zäune fehlt es ebenfalls an einem hinreichenden Verdacht bezüglich des Anklagevorwurfs einer unterlassenen Anwesenheitsanordnung bzw. „Auflagenkontrolle“ vor Veranstaltungsbeginn durch d Angeschuldigten B und C .
Soweit schließlich d Angeschuldigten A vorgeworfen wird, er habe sich aufgrund vorliegender konkreter Anzeichen persönlich die Ergebnisse der baurechtlichen Prüfung vorlegen lassen und gewährleisten müssen, dass seine Mitarbeiter den Prüfungs- und Überwachungspflichten nachkommen, was er unterlassen habe, fehlt es am erforderlichen Nachweis entsprechender sowie darüber hinaus erfolgsursächlicher Pflichtverletzungen d Angeschuldigten D , F und E bzw. B und C . Entsprechendes gilt, soweit d Angeschuldigten A vorgeworfen wird, zwischen dem 13. und dem 16.07.2010 pflichtwidrig und vorwerfbar entschieden zu haben, dass die mit der Genehmigungserteilung befassten Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag weder im Krisenstab noch andernorts im Dienst sein und die Einhaltung der Auflagen der Genehmigung vom 21./23.07.2010 überwachen sollten.
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B. Tatvorwurf
I. Inhalt der Anklageschrift
1. Auslegungsgrundsätze
Im Rahmen der zu beurteilenden – nach dem Strafverfolgungswillen der Staatsanwaltschaft unteilbaren – Tat im prozessualen Sinne, mithin dem abgrenzbaren, nach natürlicher Auffassung einheitlichen geschichtlichen (Lebens-)Vorgang, innerhalb dessen die Angeschuldigten einen Straftatbestand verwirklicht haben sollen, ist die erhobene Anklage ausschlaggebend dafür, was dem Gericht zur Untersuchung und Entscheidung unterbreitet ist; sie muss die strafbare Handlung dafür in konkretisierbarer Weise schildern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 264 Rn. 2, 7a mit weiteren Nachweisen).
Wesentlicher – maßgeblicher – Inhalt der Anklageschrift ist dabei zunächst der Anklagesatz, in welchem die Tat mit Zeit und Ort als historisches Ereignis in der Weise geschildert werden soll, dass die Identität des gemeinten geschichtlichen Vorgangs klargestellt wird, so dass nicht unklar bleibt, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 200 Rn. 7). Die Anklageschrift hat die den Angeschuldigten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt ist und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (sog. Umgrenzungsfunktion; vgl. nur BGH, NJW 2010, 308; BGHSt 40, 44, 45 mit weiteren Nachweisen). Dabei muss die zu fordernde Schilderung umso konkreter sein, je größer – so bei vielschichtigen Sachverhalten der Fall – die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeschuldigte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 200 Rn. 7 mit weiterem Nachweis). Jedes gesetzliche Merkmal des äußeren und inneren Tatbestands ist durch eine Vorgangs- oder Zustandsbeschreibung zu belegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 200 Rn. 8). Fehlt es hieran, ist die Anklage unwirksam (vgl. BGHSt 40, 44, 45; BGH NStZ 1995, 245 mit weiteren Nachweisen).
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Bei der Auslegung der Anklage ist unter bestimmten Voraussetzungen auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ergänzend zu berücksichtigen, wobei an die Konkretisierung der Tat keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. etwa BGHSt 46, 130, 134; BGH, NStZ 2001, 656, 657; OLG Celle, StV 2012, 456). Die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen dürfen allerdings nur dann zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden, wenn sich aus dem Anklagesatz zumindest die Grundlagen einer Tatbeteiligung des jeweiligen Angeschuldigten ergeben (vgl. BGH, NJW 2010, 308; BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; Schneider, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 200 Rn. 30). Im Anklagesatz fehlende Angaben können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 200 Rn. 81 mit weiteren Nachweisen).
(Erst) im Rahmen der erhobenen Anklage bilden wiederum die vorangegangenen Ermittlungen, also die gesamten Akten, und nicht bloß die Anklageschrift die Grundlage für den Eröffnungsbeschluss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 203 Rn. 1).
Die Entscheidung im Zwischenverfahren muss den Anklagestoff erschöpfend und gleichzeitig behandeln (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 204 Rn. 6). Der Eröffnungsbeschluss bestimmt nämlich endgültig, welche Tat(en) das Gericht untersucht; es kann allerdings keine Tat Gegenstand eines Eröffnungsbeschlusses sein, die nicht in der Anklage enthalten ist und auf die sich der – innerhalb einer prozessualen Tat grundsätzlich unteilbare – Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft daher nicht bezieht.
2. Anklagevorwürfe
Den Angeschuldigten wird durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.02.2014 zur Last gelegt, „durch fehlerhaftes und pflichtwidriges Verhalten bei der Planung, Genehmigung, Umsetzung und Kontrolle der „Loveparade 2010“ am 24. Juli 2010 in Duisburg“ fahrlässig den Tod von 21 Menschen sowie die Verletzung
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von – nach dem Anklagevorwurf zunächst [Fußnote 1] – 18 Menschen verursacht zu haben (vgl. S. 4 der Anklageschrift, Bl. 36368 HA).
D Angeschuldigten J , G , H und I seien der fahrlässigen Tötung von 21 Veranstaltungsbesuchern gemäß § 222 StGB in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) mit fahrlässiger Körperverletzung an 18 weiteren Personen gemäß § 229 StGB hinreichend verdächtig (vgl. S. 554 der Anklageschrift, Bl. 36918 HA, dazu sogleich a.).
D Angeschuldigten D , F und E seien der fahrlässigen Tötung von 21 Veranstaltungsbesuchern gemäß § 222 StGB in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) mit fahrlässiger Körperverletzung im Amt an 18 weiteren Personen gemäß §§ 229, 340 Abs. 3 StGB hinreichend verdächtig (vgl. S. 554 der Anklageschrift, Bl. 36918 HA, dazu sogleich b.).
D Angeschuldigten B , C und A seien der fahrlässigen Tötung von 21 Veranstaltungsbesuchern durch Unterlassen gemäß §§ 222, 13 Abs. 1 StGB in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) mit fahrlässiger Körperverletzung im Amt durch Unterlassen an 18 weiteren Personen gemäß §§ 229, 340 Abs. 3, 13 Abs. 1 StGB hinreichend verdächtig (vgl. S. 554 der Anklageschrift, Bl. 36918 HA, dazu sogleich c.).
Nach den unter B. I. 1. bezeichneten Grundsätzen hat die Kammer – unter ergänzender Berücksichtigung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen (S. 70-453 der Anklageschrift, Bl. 36434-36817 HA sowie der Anlagen zur Anklageschrift) – folgende, innerhalb der zu betrachtenden prozessualen Tat hinreichend konkretisierte Anklagevorwürfe als von der vorgelegten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.02.2014 umgrenzt und umfasst angesehen:
a. Angeschuldigte J , G , H und I
[Fußnote 1: Vgl. hinsichtlich der entfallenden Verfolgungsbeschränkungen gem. §§ 395 Abs. 5, 154a StPO später B. II..]
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aa. Tathandlung
Nach dem Inhalt der Anklage seien d Angeschuldigte J als Gesamtleiter, d Angeschuldigte G als Produktionsleiter, d Angeschuldigte I als Verantwortlicher für die Sicherheit sowie d Angeschuldigte H als technischer Leiter der Veranstaltung aufgetreten und tätig gewesen. Im Rahmen der Planung der Loveparade 2010 habe allen vier Angeschuldigten – ungeachtet ihrer jeweiligen Funktionsbezeichnung – die Gewährleistung der Sicherheit der Veranstaltung oblegen (S. 4 der Anklageschrift, Bl. 36368 HA).
D Angeschuldigten J , G , H und I wird (jeweils) vorgeworfen, im Rahmen der Sicherheitskonzeption der Loveparade 2010 „schwerwiegende Planungsfehler“ begangen zu haben, welche sie bei pflichtgemäßer Prüfung hätten erkennen müssen (vgl. insbesondere S. 5, 6-10 der Anklageschrift, Bl. 36369, 36370-36374 HA). Den Angeschuldigten sei vorzuwerfen, ein ungeeignetes Ein- und Ausgangssystem für die Veranstaltung geplant zu haben (S. 125 der Anklageschrift, Bl. 36489 HA).
Im Einzelnen wäre ihnen bei einer sorgfaltsgemäßen Erstellung der Planungsunterlagen nämlich – so der Anklagevorwurf – jederzeit deutlich geworden, dass die prognostizierten Besucherströme mit Blick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe (18,28 Meter an der schmalsten Stelle) und des Tunnels – jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr – unter keinen Umständen sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs geführt werden konnten (S. 9, 129-130 der Anklageschrift, Bl. 36373, 36493-36494 HA). Insofern hätten d Angeschuldigten J , G , H und I den als Grundlage für die Berechnung der maximalen Durchflusskapazitäten von Personen an Zu- und Ausgangswegen wissenschaftlich anerkannten – und im Rahmen der Planung damit zwingend zu beachtenden – Höchstwert von 82 Personen/Meter/Minute den räumlichen Gegebenheiten gegenüberstellen müssen (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA). Der Höchstwert von 82 Personen/Meter/Minute setze dabei optimale Bedingungen, etwa keine Gegenläufigkeit oder Verschwenkung von Personenströmen, keine Abwinklung der Wegführung sowie ebene und befestigte Wege, voraus (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA). Da diese Bedingungen vorliegend erkennbar nicht gegeben gewesen seien, hätte der Höchstwert (überdies) „deutlich nach unten“ korrigiert werden müssen (S. 9, 129,
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130 der Anklageschrift, Bl. 36373, 36493, 36494 HA). Insbesondere hätten d Angeschuldigten J , G , H und I bei ihren Planungen die nach der Besucherprognose erwartete Gegenläufigkeit der Personenströme außer Acht gelassen (S. 9, 129 der Anklageschrift, Bl. 36373, 36493 HA) sowie die Abwinklung der Gehrichtung, Zusammenführung und Verschwenkung der Personenströme am Rampenfuß (S. 129, 130 der Anklageschrift, Bl. 36493, 36494 HA), fehlende Ausweichflächen im Bereich Tunnel Karl-Lehr-Straße / östliche Rampe (S. 131 f. der Anklageschrift, Bl. 36495 f. HA) und die enge – rückstaugefahrträchtige und die effektive Nutzung der ab etwa 18 Uhr als Ausgang geplanten westlichen Rampe beeinträchtigende – Situation am Rampenkopf (S. 132-134 der Anklageschrift, Bl. 36496-36498 HA) – auch unter Einbeziehung der Funktion der westlichen Rampe als Ausgang ab etwa 18 Uhr (S. 130 der Anklageschrift, Bl. 36494 HA) – nicht (hinreichend) berücksichtigt.
Zudem seien auch die Dimensionierung und die geplante Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen als Teil des Ein- und Ausgangssystems nicht geeignet gewesen, einen sicheren Durchfluss des erwarteten Besucherstroms zu gewährleisten (S. 9, 126-128 der Anklageschrift, Bl. 36373, 36490-36492 HA). Die Tore der Vereinzelungsanlagen hätten – ineffizient und in für die Bewältigung des erwarteten Besucherstroms nicht geeigneter Art und Weise (S. 126 der Anklageschrift, Bl. 36490 HA) – parallel zum Zustrom der Besucher angeordnet werden sollen, wobei – nach dem Inhalt der Anklageschrift – die geringste Durchlassbreite (Einlass) an der Vereinzelungsanlage West 5,9 Meter und an der Vereinzelungsanlage Ost 3 Meter betragen sollte [Fußnote 2], was im Hinblick auf den erwarteten Zu- und Abstrom unzureichend gewesen sei und zu Rückstau bzw. Wartenschlangen bei Zu- und Abstrom habe führen müssen, so dass die Besucher nicht sicher auf das Gelände geführt würden bzw. dieses verlassen könnten (S. 9, 126-128 der Anklageschrift, Bl. 36373, 36490-36492 HA). Die maximale Zustromkapazität der Vereinzelungsanlagen Ost und West habe nämlich – bei maximaler Kapazitätsauslastung – lediglich (insgesamt) 43.788 Menschen/Stunde (S. 127 der Anklageschrift, Bl. 36491 HA), die maximale Abstromkapazität lediglich 40.344 Menschen/Stunde (S. 128 der Anklageschrift, Bl. 36492 HA) betragen, so dass die erwarteten Besucherströme nicht hätten bewältigt werden können (S. 126-128 der Anklageschrift, Bl. 36490-36493 HA).
[Fußnote 2: Vgl. zu den von der Anklageschrift abweichenden Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. T später C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) (α).]
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D Angeschuldigten J , G , H und I sei bewusst gewesen, dass die Durchflusskapazität des Tunnels Karl-Lehr-Straße, der östlichen Rampe und der Vereinzelungsanlagen aufgrund der baulichen Gegebenheiten in kritischer Weise begrenzt gewesen sei (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA). Auf die Notwendigkeit einer Berechnung der Durchflusskapazitäten unter Berücksichtigung der räumlichen Gegebenheiten seien sie von d Zeugen E ausdrücklich hingewiesen worden. Die Gefahr einer „Menschenverdichtung“ am Rampenkopf und im Tunnel Karl-Lehr-Straße, die insbesondere bei einer Überschreitung der Durchflusskapazitäten zu erwarten gewesen sei und zu lebensgefährlichen Drucksituationen habe führen können, sei ihnen bewusst gewesen (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA). Sie hätten allerdings pflichtwidrig darauf vertraut, dass es nicht zu solchen Drucksituationen kommen werde (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA). Dabei sei in dem von d Angeschuldigten J , G , H und I selbst erstellten „Veranstaltungskonzept Sicherheit – interne Fassung“ vom 20.05.2010, welches dem Antrag vom 10.06.2010 als Anlage beigefügt gewesen sei, unter dem Punkt Gefahrprognose (0.02) ausdrücklich ausgeführt worden, dass die Hauptgefährdungen bei der Veranstaltung aus der großen Anzahl der Veranstaltungsbesucher und ihrer hohen Dichte an Punkten mit besonderer Attraktivität resultierten und insbesondere die Engstellen auf der Veranstaltungsstrecke als kritische Punkte eingestuft würden.
Ferner sei davon ausgegangen worden, die Floats würden die Besucher am Rampenkopf „in großer Zahl“ zum Weitergehen veranlassen (sogenannter Mitzieheffekt). Hierbei habe es sich jedoch um eine nicht durch belastbare Erfahrungswerte oder andere konkrete Erkenntnisse gestützte – unrealistische und letztlich unzutreffende – Prognose gehandelt (S. 10, 133 f. der Anklageschrift, Bl. 36374, 36497 f. HA). Namentlich die am Rampenkopf vorbeifahrenden Floats seien nicht geeignet gewesen, die geplante Zirkulation der Besucher auszulösen, um die ankommenden Veranstaltungsbesucher auf dem Gelände zu verteilen. Vielmehr habe es sich um einen geplanten Rundkurs der Floats gehandelt, so dass zu erwarten gewesen sei, dass die Besucher auf einem aus ihrer Sicht günstigen, leicht erhöhten Platz verweilten. Selbst wenn sich die Besucher einem Float angeschlossen hätten, hätte sich eine weitere Verdichtung des Besucherstroms am Rampenkopf gebildet, weil die Floats dort mehrfach vorbeifahren sollten, was zu einem „Stau“ am Kopf der östlichen Ram-
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pe geführt hätte. Geeignete Maßnahmen, um dieser Entwicklung zu begegnen, seien nicht geplant worden (S. 133 der Anklageschrift, Bl. 36497 HA).
„Nach alledem“ sei der Zu- und Abgang des Veranstaltungsgeländes aufgrund der fehlerhaften Planung „so schmal dimensioniert“ gewesen, dass es „angesichts der erwarteten Besucherzahlen dort zwangsläufig zu lebensgefährlichen Menschenverdichtungen“ habe kommen müssen. Den prognostizierten Besucherströmen habe insoweit kein ausreichender Raum zur Verfügung gestanden, um sich sicher zu bewegen (S. 10, 136 der Anklageschrift, Bl. 36374, 36500 HA).
D Angeschuldigten J , G , H und I hätten bei pflichtgemäßer, gewissenhafter Prüfung die „schwerwiegenden Planungsfehler“ – insbesondere hinsichtlich der Steuerung der prognostizierten Besucherströme über die Karl-Lehr-Straße, über die östliche Rampe und über eine besondere Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe sowie hinsichtlich der Konzeption der Vereinzelungsanlagen – erkennen müssen und den Genehmigungsantrag nicht beziehungsweise nicht in dieser Form stellen dürfen (S. 10, 136 der Anklageschrift, Bl. 36374, 36500 HA).
Am Veranstaltungstag, dem 24.07.2010, hätten d Angeschuldigten J , G , H und I im Rahmen der Durchführung der Veranstaltung, bei der sie anwesend und in leitender Funktion tätig gewesen seien, in pflichtwidriger und vorwerfbarer Weise in der Genehmigung vom 21./23.07.2010 erteilte sicherheitsrelevante Auflagen nicht umgesetzt (vgl. S. 18-19 der Anklageschrift, Bl. 36382-36383 HA).
Insbesondere sei die östliche Rampe, die zugleich als Fluchtweg vorgesehen gewesen sei, entgegen der Genehmigung nicht frei von Hindernissen gewesen. Zaunbauten hätten die für die Zuführung der Besucher nutzbare Durchgangsbreite der östlichen Rampe von 18,28 Metern genehmigungswidrig weiter verengt, so dass am Veranstaltungstag an der nunmehr engsten Stelle eine Durchgangsbreite von nur noch 10,59 Meter vorhanden gewesen sei (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA). Bei sorgfältiger und pflichtgemäßer Prüfung hätten d Angeschuldigten J , G , H und I diese weitere Verengung vor Öffnung des Veranstaltungsgeländes erkennen und entsprechend der Auflage in der Genehmigung für eine rechtzeitige Entfernung der Zaunbauten Sorge tragen müssen. Ihnen sei bekannt gewesen,
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dass sich auf der östlichen Zu- und Abgangsrampe keine Zaunbauten hätten befinden dürfen, die nicht Gegenstand der Genehmigung gewesen seien und den Rampenbereich zusätzlich verengt hätten. Indes hätten sie weder persönlich den Rückbau der in Rede stehenden Zaunbauten vorgenommen, noch hätten sie nachgeprüft, ob die ihnen nachgeordneten Mitarbeiter der M GmbH beziehungsweise Mitarbeiter von beauftragten Subunternehmen den Abbau dieser Zaunbauten im Weiteren genehmigungskonform vorgenommen hätten. Tatsächlich hätten sich die in Rede stehenden Zaunbauten auch noch während der Veranstaltung dort befunden. Dies sei jedenfalls für d Angeschuldigten G , H und I auch anhand der in der Einsatzleitung beziehungsweise der Sicherheitszentrale der M GmbH einsehbaren Videoaufzeichnungen des Bereichs der östlichen Zu- und Abgangsrampe erkennbar gewesen.
Da das Besucheraufkommen am Veranstaltungstag der Besucherprognose „weitestgehend“ entsprochen habe (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA), sei der als maximale Durchflusskapazität wissenschaftlich anerkannte – und hier ohnehin nach unten zu korrigierende – Wert von 82 Personen/Meter/Minute aufgrund dieser Verengung in noch erheblich weitergehendem Maße überschritten worden.
Faktisch wäre ein Besucherdurchfluss an der engsten Stelle zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr von durchschnittlich 175,09 Personen/Meter/Minute und im Einzelnen wie folgt abzuwickeln gewesen (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA):
15.00 Uhr - 16.00 Uhr: 165,25 Personen/Meter/Minute
16.00 Uhr - 17.00 Uhr: 157,38 Personen/Meter/Minute
17.00 Uhr - 18.00 Uhr: 228,20 Personen/Meter/Minute
18.00 Uhr - 19.00 Uhr: 149,51 Personen/Meter/Minute
„Infolgedessen“ sei die wissenschaftlich anerkannte – und von allen Angeschuldigten zu beachtende – maximale Durchflusskapazität auf der östlichen Rampe zeitweise um mehr als das Doppelte überschritten worden. Durch die Verengung der Durchgangsbreite auf 10,59 Meter seien der unglücksverursachende Personenstau und die daraus resultierenden Todesfälle und Verletzungen mitverursacht worden (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA).
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bb. Nicht umfasste bzw. unselbstständige Tatvorwürfe
Die Kammer hat nach Maßgabe der unter B. I. 1. dargestellten Kriterien weitere, in der Anklageschrift oder im Abschlussvermerk angesprochene Umstände als nicht vom Anklagevorwurf gegenüber d Angeschuldigten J , G , H und I umfasst oder lediglich als (unselbstständige) Teilaspekte des erhobenen Anklagevorwurfs angesehen.[Fußnote 3]
(1) Planerische Lage der Szenefläche (Floatstrecke)
Keinen weiteren durch die Anklage erfassten (selbstständigen) Vorwurf eines Planungsfehlers d Angeschuldigten J , G , H und I stellt der Vorwurf einer etwaigen fehlerhaften Planung der Lage der Floatstrecke durch deren planerische Situierung als Szenefläche „in den Rampenkopf der Rampe Ost hinein“ dar.
Dies ergibt sich bereits nach dem Wortlaut des Anklagesatzes, jedenfalls aber nach (klarstellender) Heranziehung der Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen.
Insoweit wird zunächst im Anklagesatz ausgeführt (Hervorhebungen durch die Kammer):
„Unmittelbar an das obere Ende der Rampe (sogenannter Rampenkopf) sollte die Fahrstrecke der sogenannten Floats angrenzen.“ (S. 7 der Anklageschrift, Bl. 36371 HA)
„Bereits in dem Grobkonzept d Angeschuldigten J vom 15. März 2010 wurden das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs als Veranstaltungsgelände und auch der Verlauf der Fahrstrecke der Floats festgelegt.“ (S. 8 der Anklageschrift, Bl. 36372 HA)
„D Angeschuldigten J , G , H und I war bewusst, dass die Durchflusskapazität des Tunnels der Karl-Lehr-Straße, der östlichen Rampe und der
[Fußnote 3: Darüber hinaus fehlte es insoweit aber auch an einem hinreichenden Tatverdacht, vgl. dazu später C. II. 4]
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Vereinzelungsanlagen aufgrund der baulichen Gegebenheiten in kritischer Weise begrenzt war. Auf die Notwendigkeit einer Berechnung der Durchflusskapazitäten unter Berücksichtigung der räumlichen Gegebenheiten waren sie von d Zeugen E ausdrücklich hingewiesen worden. Die Gefahr einer Menschenverdichtung am Rampenkopf und im Tunnel der Karl-Lehr-Straße, die insbesondere bei Überschreitung der Durchflusskapazitäten zu erwarten war und zu lebensgefährlichen Drucksituationen führen konnte, war ihnen ebenfalls bewusst.
Nicht zuletzt wurde in dem „Veranstaltungskonzept Sicherheit – interne Fassung“ vom 20. Mai 2010 davon ausgegangen, die Floats würden die Besucher am Rampenkopf in großer Zahl zum Weitergehen veranlassen (sogenannter Mitzieheffekt). Hierbei handelte es sich jedoch um eine nicht durch belastbare Erfahrungswerte oder andere konkrete Erkenntnisse gestützte – unrealistische und letztlich unzutreffende – Prognose.
Nach alledem war der Zu- und Abgang des Veranstaltungsgeländes aufgrund der fehlerhaften Planung so schmal dimensioniert, dass es angesichts der erwarteten Besucherzahlen dort zwangsläufig zu lebensgefährlichen Menschenverdichtungen kommen musste. Den Besuchern stand insoweit kein ausreichender Raum zur Verfügung, um sich sicher zu bewegen.
D Angeschuldigten J , G , I und H hätten bei pflichtgemäßer, gewissenhafter Prüfung die schwerwiegenden Planungsfehler – insbesondere hinsichtlich der Steuerung der Besucherströme über die Karl-Lehr-Straße, über die östliche Rampe und über eine besondere Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe sowie hinsichtlich der Konzeption der Vereinzelungsanlagen – erkennen müssen und den Antrag nicht beziehungsweise nicht in dieser Form stellen dürfen.“ (S. 9 f. der Anklageschrift, Bl. 36373 f. HA)
Bereits hiernach ist nicht anzunehmen, dass auch die Positionierung der Floatstrecke selbst – gegebenenfalls in Kombination mit planerischen Fehleinschätzungen zum sog. „Mitzieheffekt“ und zu etwaig diesbezüglich erforderlichen Ordnermaßnahmen – Gegenstand eines eigenständigen Vorwurfs zum Planungsverhalten d Angeschuldigten J , G , H und I sein soll. So findet sich ein hinreichend kon-
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kretisierter Vorwurf dergestalt, dass und inwiefern die Floatstrecke selbst sorgfaltswidrig zu nah an und/oder im Bereich der Rampe Ost situiert wäre, ausdrücklich nicht. Vielmehr wird im Anklagesatz – nach nicht wertender Wiedergabe des Umstandes, dass die Floatstrecke unmittelbar an das obere Ende der Rampe Ost angrenze – ausschließlich auf das planerische „Durchflussdefizit“ des gesamten Zu- und Abgangsbereichs – einschließlich und unter Hervorhebung „einer besonderen Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe“ – abgestellt, wobei als konkret erfolgsursächlich letztlich der Bereich der Verengung der Rampe Ost auf 10,59 Meter am Rampenfuß – und gerade nicht der Bereich des Rampenkopfes – eingestuft wird (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA, ferner die zusammenfassenden Ausführungen im Abschlussvermerk vom 10.02.2014, Bl. 34966 HA).
Im Anschluss an die Beschreibung der örtlichen Situation am Rampenkopf wird zudem zusammenfassend („nach alledem“) der (einheitliche) Vorwurf gegenüber d Angeschuldigten J , G , H und I beschrieben, dass der Zu- und Abgangsbereich des Veranstaltungsgeländes (einschließlich des Rampenkopfbereichs) aufgrund fehlerhafter Planung so schmal dimensioniert gewesen sei, dass es zwangsläufig zu „Menschenverdichtungen“ habe kommen müssen.
Die Heranziehung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen durch die Kammer belegt ebenfalls, dass in Bezug auf den Rampenkopf kein (selbstständiger) Vorwurf einer planerischen Fehlsituierung der Floatstrecke als Szenefläche erhoben wird, sondern vielmehr allein die planerisch defizitäre Geländegröße/-breite des Ein- und Ausgangssystems (auch im Bereich des Rampenkopfes) zur Bewältigung des (planerischen) Personenzustroms und Personenabstroms vorgeworfen werden soll. So heißt es nämlich dort (S. 132 ff. der Anklageschrift, Bl. 36496 ff. HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„Der Sachverständige Professor Dr. T führt ferner aus, dass der neuralgischen Situation am Rampenkopf in den Planungen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet wurde (vgl. Bl. 32661 ff. d. 4., Rn. 5.13.1 bis 5.13.10). Der Bereich wies nach den Berechnungen des Sachverständigen nicht die erforderliche Größe auf, um den gleichzeitigen Zu- und Abstrom abzuwickeln (vgl. Bl. 32650 d.A., Rn. 4.1.1; Bl. 32653 d. A., Rn. 5.2.3; Bl. 32663 d. A., Rn. 5.13.8). Es musste an
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dieser Stelle folglich zu einem Rückstau kommen, der in den einzigen Zu- und Abgangsbereich – die östliche Rampe – hineinreichte (vgl. auch Bl. 32640 ff. d. A., Rn. 3.5.1 bis 3.5.12; Bl. 32661 d.A., Rn. 5.13.1).“
Der Vorwurf bezieht sich mithin einheitlich auf die mangelnde Größe – und damit eine unzureichende Durchflusskapazität – auch des Rampenkopfbereichs zur Zu- und Abstrombewältigung.
Hiermit korrespondierend führt die Anklageschrift auf S. 412, Bl. 36776 HA aus:
„Kausal für das Unglücksgeschehen war (…) die Ungeeignetheit der Zu- und Abgangssituation, namentlich die mangelnde Kapazität der östlichen Rampe für die gleichzeitig ankommenden und abreisenden Veranstaltungsbesucher (…).“
Auch bei der – im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen erfolgenden – näheren Beschreibung der örtlichen Lage der Floatstrecke wird zwar auf deren unmittelbare Nähe zum Rampenkopf unter Angabe von Raummaßen hingewiesen, indes gerade nicht begründet, dass und inwiefern diese planerische Positionierung als solche fehlerhaft gewesen sei (S. 345 ff. der Anklageschrift, Bl. 36709 ff. HA, Hervorhebungen durch die Kammer); vielmehr heißt es rein deskriptiv:
„Die ab 14.00 Uhr befahrene Float-Strecke führte nach der Veranstaltungsbeschreibung auf dem Veranstaltungsgelände über einen Rundkurs von etwa einem Kilometer Länge in Endlosschleife rund um das ehemalige Güterbahnhofsgebäude, wobei sie in unmittelbarer Nähe am Kopf der östlichen Rampe entlang verlief. Hiernach stellte sich die Strecke wie folgt dar:
Die Floats konnten sich lediglich auf dieser Float-Strecke bewegen. Aufgrund der Beschaffenheit des Bodens auf dem übrigen Veranstaltungsgelände war dieser für die Floats nahezu unbefahrbar.
An der Stelle, an der die Floats am oberen Rampenkopf den unmittelbar an die Zu- und Abgangsrampe angrenzenden Bereich überquerten, bestand zwischen den den Zugangsweg der Besucher begrenzenden östlichen und westlichen
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Zäunen eine Durchgangsbreite von 17,85 Metern. Zwischen der östlichen Absperrung und den Gebäuden des ehemaligen Güterbahnhofs bestand ein Durchlass von 28,25 Metern. Unter Abzug der Breite der Float-Strecke von 11,03 Metern sowie des auf der dem Gebäude zugewandten Seite befindlichen Raums mit einer Breite von 7,28 Metern verblieb somit eine Durchgangsbreite von 9,94 Metern für die – wie geplant – gegen den Uhrzeigersinn auf das Gelände strömenden Besucher. Der Abstand zwischen der westlichen Rampenabsperrung und dem Gebäude betrug 31,27 Meter. Nach Abzug der Float-Strecke sowie der dem Gebäude zugewandten Besucherflächen verblieb eine Durchgangsbreite von 12,60 Metern für die auf das Gelände gelangenden Besucher.
Der Verlauf der Float-Strecke stand bereits bei dem ersten mit dem Float-Manager, d Zeugen P , durchgeführten Ortstermin auf dem Veranstaltungsgelände fest. Diese wurde von d Angeschuldigten G und H im März 2010 festgelegt.“
Weiter heißt es in den rechtlichen Ausführungen der Staatsanwaltschaft (S. 471 ff. der Anklageschrift, Bl. 36835 ff. HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„(a) Verstoß gegen § 3 Abs. 1 BauO NW
(…)
Einer besonderen Engstelle am Rampenkopf wurde in den Planungen überdies nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32661 ff. d. A., Rn. 5.13.1 bis 5.13.10). In diesem Bereich sollten zum einen die Veranstaltungsbesucher die Rampe hinunter strömen, um das obere Festgelände zu verlassen, zum anderen sollten die von den Vereinzelungsanlagen Ost und West ankommenden Besucher die Rampe hinauf strömen (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32624 d. A., Rn. 2.18.5; BI. 32631 d. A., Rn. 2.22.8). Der Bereich wies jedoch nicht die erforderliche Größe auf, um den gleichzeitigen Zu- und Abstrom abzuwickeln (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32650 d. A., Rn. 4.1.1; BI. 32653 d. A., Rn. 5.2.3; BI. 32663 d. A., Rn. 5.13.8). Es musste an dieser Stelle zu einem Rückstau, der in den einzigen Zu- und Abgangsbereich - die östliche Rampe –
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hineinreichte, kommen (vgl. zu den tatsächlichem Geschehen auch die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32640 ff. d. A., Rn. 3.5.1 bis 3.5.12; BI. 32661 d. A., Rn. 5.13.1).
Die bis zur Genehmigungserteilung am 23. Juli 2010 für diesen Bereich getroffenen Maßnahmen, um einer etwaigen Stauung dort entgegen zu wirken, waren – sowohl für sich genommen als auch in ihrer Gesamtheit – ungeeignet, das mit ihnen beabsichtigte Ziel zu erreichen. Namentlich die am Rampenkopf vorbeifahrenden Floats waren nicht geeignet, die geplante Zirkulation der Besucher auszulösen, um die ankommenden Veranstaltungsbesucher auf dem Gelände zu verteilen (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32661 d. A., Rn. 5.13.4; BI. 32663 d. A., Rn. 5.13.9). (…)
Geeignete Maßnahmen, um der Entwicklung am Rampenkopf zu begegnen, etwa ein proaktives Crowd-Management, wurden nicht geplant und waren zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung auch nicht vorhanden (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32645 d. A., Rn. 3.6.9).
Da nach alledem ein Versagen der Zu- und Abgangssysteme der zu errichtenden baulichen Anlagen und damit eine durch Staubildung verursachte Gefährdung der Veranstaltungsbesucher aus einer objektiven ex-ante-Perspektive zu erwarten waren, verstieß die erteilte Baugenehmigung gegen § 3 Abs. 1 BauO NRW und wäre nach § 75 BauO NRW zu versagen gewesen. Die seitens der M GmbH beantragten baulichen Anlagen waren - insbesondere hinsichtlich der geplanten Gestaltung des Zu- und Ausgangsbereiches zwischen den Vereinzelungsanlagen vor den Tunnelöffnungen, entlang des Tunnels Karl-Lehr-Straße und hinsichtlich der Vereinigung der Besucherströme am unteren Ende der Zu- und Abgangsrampe bis hin zu der planierten Float-Strecke unmittelbar vor der Einmündung der Zu- und Abgangsrampe auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs - unter keinem Gesichtspunkt geeignet, die prognostizierten Personenströme auf das und von dem Gelände zu leiten und legte unbehebbare und erhebliche Menschenverdichtungen im Bereich der Vereinzelungsanlagen und der östlichen Rampe nahe, die am 24. Juli 2010 auch tatsächlich eintraten und zu der Katastrophe führten.“
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Auch insoweit wird der Umstand der planerischen Situierung der Floatstrecke mithin nicht als eigenständiger Pflichtenverstoß angesprochen, vielmehr wird der Bereich des Rampenkopfes („bis hin zu der planierten Float-Strecke“) ausschließlich im Zusammenhang mit dem (einheitlichen) Vorwurf einer „engebedingten Durchflussschwäche“ des Ein- und Ausgangssystems genannt.
In den dort zum Beleg von Planungsmängeln – so auch hinsichtlich des Bereiches des Rampenkopfes – (alleine) in Bezug genommenen Ausführungen von Prof. Dr. T weist dieser zudem lediglich darauf hin, dass die „Parade (…) dicht am Eingangspunkt des Paradefestgeländes (d.h. an der oberen Seite der Rampe)“ verlaufe (Punkt 3.6.7 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40738 HA [Fußnote 4], Hervorhebung durch die Kammer) bzw. führte auf die ausdrückliche Frage der Staatsanwaltschaft, ob die Strecke der Floats zu dicht am Zutrittsbereich zum Festgelände verlaufe, unter Punkt 5.13.1 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40754 HA (Hervorhebung durch die Kammer) aus:
„Die Strecke der Floats verlief sehr dicht am oberen Ende der Rampe entlang… .“
In den das Gutachten vom 14.03.2013 zusammenfassenden Schlussfolgerungen von Prof. Dr. T wird (dem folgend) ein entsprechendes planerisches Versagen einer Fehlpositionierung der Floatstrecke nicht aufgezählt (vgl. Punkte 4.1 bzw. 4.2 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40743 HA).
Gegen die Annahme eines selbstständigen Vorwurfs sprechen schließlich auch die Ausführungen der Staatsanwaltschaft im Abschlussvermerk vom 10.02.2014 (Bl. 34966 ff. HA). Dort heißt es, die erzielten Ermittlungsergebnisse zum hinreichenden Tatverdacht insgesamt zusammenfassend (Hervorhebungen im Fettdruck durch die Kammer):
„Nach den Ergebnissen des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. T und der Auswertung der weiteren Beweismittel war für den Tod von 21 Veranstaltungsbesu-
[Fußnote 4: Neuübersetzung des Gutachtens: Bl. 40680-40770 HA, Gutachten in der der Anklage zugrunde liegenden Übersetzung: Bl. 32587-32667 HA.]
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chern und die Verletzung von wenigstens 652 weiteren Personen zum einen die Ungeeignetheit des von den verantwortlichen Mitarbeitern der M GmbH geplanten Zu- und Abgangssystems zum Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zur Bewältigung der erwarteten und am Veranstaltungstag auch tatsächlich eingetroffenen Besucher ursächlich. Aufgrund der Wahl und Ausgestaltung des Zu- und Abgangssystems über die Karl-Lehr-Straße und die östliche Rampe musste es angesichts der erwarteten und am Veranstaltungstag auch eingetroffenen Besucher in diesen Bereichen zwangsläufig zu lebensgefährlichen Personenstauungen kommen.
Zum anderen war die östliche Zu- und Abgangsrampe am Veranstaltungstag nicht frei von Hindernissen. Vielmehr verengten genehmigungswidrige Zaunbauten den für Veranstaltungsbesucher nutzbaren Zu- und Abgang auf 10,59 Meter, was den Personendurchfluss weiter erheblich reduzierte und das Entstehen der tödlichen Personenstauungen begünstigte.
Weitere Ursachen für die tödliche Menschenverdichtung auf der östlichen Rampe lagen nicht vor.“ (Bl. 34966 HA)
Auch diese Ausführungen der Staatsanwaltschaft belegen, dass die Anklage (allein) ein planerisches (tatsächlich durch Hindernisse noch verstärktes) Durchflussdefizit des Zu- und Abgangsbereichs zum Gelände des Alten Güterbahnhofs, nicht aber ein planerisches Lokalisierungsdefizit der Szenefläche – einschließlich der Floatstrecke – auf dem Gelände des Alten Güterbahnhofs zum Gegenstand haben soll.
(2) Gemeinsamer Ein- und Ausgang bei gleichzeitigem Zu- und Abstrom
Es ist nicht ersichtlich, dass es sich bei den Ausführungen der Staatsanwaltschaft zu dem gleichzeitigen Zu- und Abstrom von Besuchern um einen über den Vorwurf der Nichteignung des Ein- und Ausgangssystems unter Durchflussgesichtspunkten hinausgehenden eigenständigen Vorwurf handelt.
(Allein) im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen führt die Anklage im Rahmen der rechtlichen Ausführungen zur objektiven Sorgfaltspflichtverletzung d Angeschuldigten D (vgl. S. 468 der Anklageschrift, Bl. 36832 HA) in einem Absatz aus, dass „neben diesen Mängeln im Hinblick auf die Dimensionierung des Zu- und Ab-
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gangssystems“ ein solches – nach den Ausführungen von Prof. Dr. T – grundsätzlich auch nur für Zu- und Abstrom genutzt werden könne, wenn diese in unterschiedlichen Zeiträumen, etwa einem Zustrom am Morgen und einem Abstrom am Abend, erfolgten. Sofern sie zur gleichen Zeit erfolgten, sei es erforderlich, die Zu- und Abstromwege zu trennen. Eine derartige Planung sei nicht vorgesehen gewesen.
Die dort gewählte Formulierung („neben diesen Mängeln“) könnte zwar für die Eigenständigkeit eines entsprechenden Vorwurfs sprechen. Dieser Vorwurf findet sich indes – als selbstständiger Anklagevorwurf – weder im Anklagesatz noch in den weiteren rechtlichen Ausführungen zur Strafbarkeit der Angeschuldigten (insbesondere auch nicht bei der Begründung der Kausalität und des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs).
Zudem stellt sich der Vorwurf aber auch inhaltlich als Anwendungsfall des angeklagten (planerischen) Dimensionierungsdefizits dar, wovon auch die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift ausgeht. So heißt es in der Konkretisierung der Anklageschrift (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„Der Höchstwert von 82 Personen/Meter/Minute setzt dabei optimale Bedingungen, etwa keine Gegenläufigkeit oder Verschwenkung von Personenströmen, keine Abwinklung der Wegführung sowie ebene und befestigte Wege, voraus. Da diese Bedingungen vorliegend erkennbar nicht gegeben waren, hätte der Höchstwert deutlich nach unten korrigiert werden müssen. Insbesondere ließen d Angeschuldigten J , G , H und I bei ihren Planungen auch die nach der Besucherprognose erwartete Gegenläufigkeit der Personenströme außer Acht.“
Dies zeigt, dass aus der Gegenläufigkeit der Besucherströme lediglich eine – unbestimmte – Korrektur des Durchflussmaximalwertes „nach unten“ abgeleitet werden soll.
In der rechtlichen Würdigung geht die Anklageschrift nach Benennung des Umstandes (gemeinsamer Ein- und Ausgang bei gleichzeitigem Zu- und Abstrom) auf S. 468 der Anklageschrift, Bl. 36832 HA auf S. 469 f. der Anklageschrift, Bl. 36833 f. HA davon aus, dass es sich um keinen selbstständigen Vorwurf handelt. So wird dort zu-
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sammenfassend – neben den vorher abgehandelten „Dimensionierungsvorwürfen“ – ausgeführt:
„Die zuvor dargestellte Ungeeignetheit des Bereichs des Tunnels der Karl-Lehr-Straße und der östliche(n) Rampe, namentlich am Rampenfuß, der als Zu- und Abweg der Veranstaltung Loveparade 2010 zur zeitgleichen Nutzung geplant war, wird weiterhin dadurch belegt, (…)“
Gegen eine Einstufung als eigenständiger Anklagevorwurf spricht ferner die auf S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA im Abschnitt „e) Ermittlung der Besucherzahlen“ wiedergegebene Einschätzung:
„Kausal für das Unglücksgeschehen war vielmehr die Ungeeignetheit der Zu- und Abgangssituation, namentlich die mangelnde Kapazität der östlichen Rampe für die gleichzeitig ankommenden und abreisenden Veranstaltungsbesucher.“
Diese Einschätzung macht nämlich – die fehlende Eigenständigkeit des Vorwurfs der fehlenden Trennung von Zu- und Abstrom implizierend – das (Durchfluss-)Kapa-zitätsdefizit zum maßgeblichen (kausalen) Umstand, nicht aber einen (besucherzahl-unabhängigen) Umstand der Gleichzeitigkeit von „ankommenden und abreisenden Besuchern“ bei fehlender Wegetrennung. Schließlich steht nur dieses Ergebnis im Einklang mit den bereits dargestellten zusammenfassenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft zur Kausalität im Abschlussvermerk vom 10.02.2014 (Bl. 34966 HA).
(3) Sich kreuzende Personenströme
Soweit in der Anklageschrift (vgl. S. 13 der Anklageschrift, Bl. 36377 HA) ausgeführt wird, die Entfluchtungsanalyse der GmbH habe den ausdrücklichen Hinweis enthalten, dass gegenläufige und sich kreuzende Personenströme zu vermeiden seien, dies habe offenkundig den Planungen der M GmbH widersprochen, d Angeschuldigten G , H und J hätten – wie auch d Angeschuldigten D , F und E – Kenntnis von den Ergebnissen und den Prämissen der Analyse gehabt, gleichwohl hätten sie pflichtwidrig die offenkundige Unvereinbarkeit zwischen dem Vorhaben der M GmbH und der
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Entfluchtungsanalyse verkannt, begründet dies keinen selbstständigen Anklagevorwurf.
Zum einen stellt sich dieser Vorwurf inhaltlich allenfalls als Anwendungsfall des angeklagten (planerischen) Dimensionierungsdefizits dar, zumal es in der Konkretisierung der Anklageschrift heißt (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA, Hervorhebung durch die Kammer):
„Der Höchstwert von 82 Personen/Meter/Minute setzt dabei optimale Bedingungen, etwa keine Gegenläufigkeit oder Verschwenkung von Personenströmen, keine Abwinklung der Wegführung sowie ebene und befestigte Wege, voraus. Da diese Bedingungen vorliegend erkennbar nicht gegeben waren, hätte der Höchstwert deutlich nach unten korrigiert werden müssen. Insbesondere ließen d Angeschuldigten J , G , H und I bei ihren Planungen auch die nach der Besucherprognose erwartete Gegenläufigkeit der Personenströme außer Acht.“
Zum anderen wird im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen weiter ausgeführt (S. 239 der Anklageschrift, Bl. 36603 HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„ln einer der Entfluchtungsanalyse vorangestellten Risikobewertung wurde unter 1. das Risiko einer hohen Personendichte durch sich kreuzende Personenströme am Anfang und Ende der Veranstaltung aufgeführt. Als Gegenmaßnahme wurde em-pfohlen, Umkehrpunkte, starke Krümmungen und sich kreuzende Personenströme zu vermeiden. Für die in der Analyse simulierten Ergebnisse war daher auch die Bedingung vorausgesetzt, dass keine sich kreuzenden Personenströme vorkämen.“
Damit betrifft die Risikobewertung aber nur den Entfluchtungsfall und überdies lediglich die Zeitpunkte „Anfang und Ende der Veranstaltung“, während die Anklage auf ein Durchflussdefizit im „Normalbetrieb“ im Zeitraum von 15 bis 19 Uhr – mithin auf einen Zeitraum während der Veranstaltung – abstellt.
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(4) Fehlende Kompensierung von Überlastungen/kein hinreichender Platz für Notfälle
Soweit allein in der rechtlichen Würdigung auf S. 470 der Anklageschrift, Bl. 36834 HA ausgeführt wird, der Bereich des Tunnels und der östlichen Rampe sei – auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T – aufgrund der begrenzenden Betonwände ungeeignet gewesen, etwaige Überlastungen zu kompensieren, die „Grundsätze, dass es bei gefüllten beziehungsweise überfüllten Flächen eine Obergrenze für einen maximal sicheren Menschenstrom und eine maximal sichere Menschendichte“ gebe, seien bei den Planungen des Zu- und Abwegs durch den Bereich des Tunnels der Karl-Lehr-Straße und der östlichen Rampe unter Verstoß gegen „internationale Leitlinien“ nicht hinreichend berücksichtigt worden, hinreichender Platz für Notfälle sei insoweit nicht eingeräumt worden, um Menschen in einem Notfall zu transportieren bzw. um Platz für Notfalleinsatzfahrzeuge zu bieten, handelt es sich ebenfalls nicht um einen selbstständigen Anklagevorwurf.
Eine entsprechende eigenständige Nennung dieses Umstandes erfolgt nämlich zum einen im Anklagesatz nicht. Zum anderen führt die Anklage den Taterfolg gerade nicht ursächlich darauf zurück, dass Überlastungen nach Auftreten einer Notfallsituation durch übermäßige Enge im Rahmen der „Menschenverdichtung“ nicht hätten kompensiert werden können bzw. insoweit kein hinreichender Platz für Notfälle vorhanden gewesen sei. Ein entsprechender Vorwurf wird auch weder in der Konkretisierung der Anklageschrift noch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen erhoben. Welcher zusätzliche (Notfall-)Platzbedarf an welcher Stelle in welcher Form hätte eingeräumt werden müssen und inwieweit sich hieraus ein Ursachen-/Pflichtwidrig-keitszusammenhang zum ausweislich der Anklage durch die (plangemäße) Zu-/Ab-führung der Menschen eingetretenen Todes-/Verletzungserfolg herleiten ließe, ergibt sich aus dem Ermittlungsergebnis nicht.
Auch nach den zusammenfassenden Ausführungen im Abschlussvermerk vom 10.02.2014 (Bl. 34966 HA) stützt sich die Anklage auf ein planerisches Durchflussdefizit im Ein- und Ausgangssystem als ursächliche Pflichtverletzung, nicht aber auf eine fehlerhafte Evakuierungs-/Notfallplanung für den Bereich des Tunnels Karl-Lehr-Straße sowie der Rampe Ost.
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Soweit die Staatsanwaltschaft Duisburg schließlich in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 (Bl. 45192 HA) ausführt, weder die Veranstaltungsbeschreibung noch das Sicherheitskonzept würden konkrete Maßnahmen für den Notfall etwa einer „Menschenverdichtung“ benennen, das Sicherheitskonzept gebe lediglich präventive Maßnahmen im Normalbetrieb, nicht aber die Auflösung einer kritischen Situation an, ergibt sich auch hieraus nichts Abweichendes. Denn ein entsprechender konkretisierter Vorwurf hinsichtlich einer fehlerhaften „Notfallplanung“ ist – wie oben ausgeführt – nicht Gegenstand der Anklage, vielmehr wird dort eine fehlerhafte und erfolgskausale Planung des „Regelbetriebs“ als Vorwurf erhoben.
(5) Fehler bei „Crowd Control, Crowd Management sowie beim Orientierungssystem“
Soweit im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen auf Ausführungen von Prof. Dr. T zu etwaigen weiteren Planungsmängeln (S. 134-136 der Anklageschrift, Bl. 36498-36500 HA, unter Buchstaben ff)) Bezug genommen wird, im Einzelnen Fehler bei der sog. „Crowd Control“ durch mangelnde Überwachung der Zu- und Abstromrate und Berechnung der maximalen Strömungsrate, beim sog. „Crowd Management“ durch ein reaktives Personenstromsteuerungssystem ohne geeigneten Evakuierungsplan sowie beim „Orientierungssystem“ durch ein fehlendes klar erkennbares Auswegkonzept, fehlt es bereits an einer entsprechenden Zuordnung zu einem etwaigen tatrelevanten Verhalten einzelner Angeschuldigter.
Weder im Anklagesatz noch in den rechtlichen Ausführungen der Staatsanwaltschaft im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Strafbarkeit der jeweiligen Angeschuldigten wird überdies auf diese Ausführungen zur Begründung eines (eigenständigen) Pflichtenverstoßes verwiesen, zudem werden auch die etwaige Kausalität und der Pflichtwidrigkeitszusammenhang entsprechender (möglicher) Pflichtverletzungen nicht begründet. Soweit in den rechtlichen Ausführungen hinsichtlich d Angeschuldigten D im Zusammenhang mit der Prüfung eines Verstoßes der erteilten Genehmigung gegen § 3 BauO NRW auf S. 471 der Anklageschrift, Bl. 36835 HA ausgeführt wird, „insofern wären konkrete Überlegungen, etwa eindeutige Einsatzbefehle für das Crowd-Management, eine Ortsbestimmung der Pufferstellen, die Anzahl der Menschen, Zeit und Ort der Pufferung“ erforderlich gewesen, bezieht sich dies ausdrücklich („insofern“) auf die vorgenannten Pflichtenvorwürfe (beidseitiger Strom
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in einem gemeinsamen Flächensystem [Fußnote 5]) und begründet keinen selbstständigen Pflichtenverstoß.
Schließlich erlaubt auch die in den Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen auf S. 134 der Anklageschrift, Bl. 36498 HA gewählte einleitende Formulierung „Prof. Dr. T stellt in seinen Ausführungen vom 14. März 2013 zudem fest, welche weiteren Maßnahmen zu einer sicheren Besuchersteuerung überdies erforderlich gewesen wären, selbst wenn der Zu- und Abgangsbereich in seiner Dimensionierung genug Raum für die erwarteten und tatsächlich auch eingetroffenen Besucher geboten hätte.“, ausdrücklich nicht den Schluss, dass ein Verstoß (allein) gegen diese weiteren Anforderungen (kausal und zurechenbar) die letztlich den konkreten Taterfolg auslösende „Menschenverdichtung“ zwischen 16.30 und 17.15 Uhr am Fuß der Stellwerkstreppe verursacht bzw. gefördert hätte. Entsprechende Ermittlungsergebnisse liegen – gerade auch nach den zusammenfassenden Ausführungen im Abschlussvermerk vom 10.02.2014 (Bl. 34966 HA) – nicht vor, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt nicht davon auszugehen ist, dass die auf S. 134-136 der Anklageschrift, Bl. 36498-36500 HA bezeichneten Umstände d Angeschuldigten J , G , H und I als eigenständige (weitere) Tatvorwürfe zur Last gelegt werden (sollen).
(6) Nicht ursächliche Umstände
Soweit Umstände in der Anklageschrift ausdrücklich als nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht ursächlich für die Entstehung der „Menschenverdichtung“ und den konkreten Erfolgseintritt eingestuft werden (S. 383 der Anklageschrift, Bl. 36747 HA), hatte die Kammer – mit Ausnahme der von der Staatsanwaltschaft zwar ebenfalls als nicht ursächlich angesehenen, indes gleichwohl gegenüber d Angeschuldigten D , F und E im Anklagesatz angeführten Vorwürfe der Erteilung der Genehmigung trotz Nichtvorliegens des Einvernehmens gemäß § 43 Abs. 2 SBauVO NRW (S. 473-478 der Anklageschrift, Bl. 36837-36842 HA) sowie der fehlenden Auflagenkontrolle hinsichtlich der Anprallast der Zäune (S. 428 f. der Anklageschrift, Bl. 36792 f. HA) [Fußnote 6] – davon auszugehen, dass diese Umstände nicht zur Grundlage
[Fußnote 5: Vgl. hierzu oben B. I. 2. a. bb. (2).
Fußnote 6: Vgl. später C. III. 3. a..]
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eines Tatvorwurfs gegenüber d Angeschuldigten J , G , H und I gemacht werden.
Dabei handelt es sich um folgende, die Planung bzw. deren Ausführung betreffende Umstände:
- den (fehlenden) Einsatz von Security-Kräften, insbesondere auch von sog. „Pushern“ im Bereich der Rampe Ost (S. 383-389 der Anklageschrift, Bl. 36747-36753 HA, insbesondere S. 389 der Anklageschrift, Bl. 36753 HA)
- die Auswahl des Systems zur Feststellung des Befüllungsgrades des Geländes im Hinblick auf die Besucherzahlbeschränkung auf 250.000 Personen und die (personelle) Umsetzung dieses Systems am Veranstaltungstag (S. 405-412 der Anklageschrift, Bl. 36769-36776 HA) sowie die etwaig fehlende Eignung der damit betrauten Mitarbeiter des Ordnungsamtes (S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA), wobei – nach dem Ergebnis der Ermittlungen – ausdrücklich auch eine (drohende) Überschreitung der zulässigen Gesamtbesucherzahl von 250.000 Personen auf dem Gelände ausgeschlossen und als nicht ursächlich angesehen wird (S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA unten); kausal für das Unglückgeschehen sei vielmehr „die Ungeeignetheit der Zu- und Abgangssituation, namentlich die mangelnde Kapazität der östlichen Rampe für die gleichzeitig ankommenden und abreisenden Veranstaltungsbesucher“ gewesen (vgl. S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA unten)
- die fehlende Einrichtung einer elektro-akustischen Alarmierungsanlage (S. 426 der Anklageschrift, Bl. 36790 HA)
- die fehlende Einrichtung von Löwengängen im Tunnelbereich der Karl-Lehr-Straße (S. 427 f. der Anklageschrift, Bl. 36791 f. HA)
- die unzureichende Kanalschachtabdeckung im Bereich der Rampe Ost (S. 429-432 der Anklageschrift, Bl. 36793-36796 HA); zwar sei aufgrund der unsachgemäßen Abdeckung des Kanalschachtes die Gefahr des Ausrutschens, Stolperns und Fallens erhöht worden, sie sei jedoch nicht ursächlich für die Entstehung der „tödlichen Menschenverdichtung“ gewesen (S. 429-432 der Anklageschrift, Bl. 36793-36796 HA, insbesondere S. 432 der Anklageschrift, Bl. 36796 HA).
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- Kommunikationsdefizite in der Funkkommunikation der M GmbH (S. 436-438 der Anklageschrift, Bl. 36800-36802 HA, insbesondere S. 438 der Anklageschrift, Bl. 36802 HA) sowie der Handykommunikation (S. 438-440 der Anklageschrift, Bl. 36802-36804 HA, insbesondere S. 440 der Anklageschrift, Bl. 36804 HA)
- Entscheidungen in der Sicherheitszentrale der M GmbH (S. 444-446 der Anklageschrift, Bl. 36808-36810 HA)
- Entscheidungen in den anberaumten Telefonkonferenzen (S. 446-450 der Anklageschrift, Bl. 36810-36814 HA)
- ein Verstoß des genehmigten Rettungswegkonzepts gegen § 7 Abs. 3, Abs. 4 SBauVO NRW (S. 478-481 der Anklageschrift, Bl. 36842-36845 HA), im Einzelnen
durch eine zu lange Wegstrecke, die eine Person bei Betreten des Tunnels über die Rampe zurückzulegen habe, um ins Freie auf eine öffentliche Verkehrsfläche zu gelangen (über 30 Meter), als Verstoß gegen § 7 Abs. 3 SBauVO NRW (S. 478-479 der Anklageschrift, Bl. 36842-36843 HA) sowie
eine insgesamt unzureichende Breite der Rettungswege vom Veranstaltungsgelände unter fehlerhafter Abweichung der Baugenehmigung von den Vorgaben des § 7 Abs. 4 SBauVO NRW (S. 479-481 der Anklageschrift, Bl. 36843-36845 HA).
Im Übrigen führt die Staatsanwaltschaft im Abschlussvermerk vom 10.02.2014 darüber hinausgehend ausdrücklich (dort positiv feststellend) aus, dass nach dem Ergebnis der Ermittlungen lediglich zwei Ursachen für den Taterfolg vorlägen, nämlich zum einen die Ungeeignetheit des geplanten Zu- und Abgangssystems zur Bewältigung der erwarteten und eingetroffenen Besucherströme sowie zum anderen die fehlende Hindernisfreiheit der Rampe Ost unter zusätzlicher Verengung der Rampe Ost auf 10,59 Meter. Weitere Ursachen für die „tödliche Menschenverdichtung auf der östlichen Rampe“ werden dagegen ausgeschlossen (Bl. 34966 HA).
(7) Nur im Abschlussvermerk genannte Umstände
Soweit im Abschlussvermerk andere als die in der Anklageschrift (selben Datums) benannten Tathandlungen bezeichnet werden, hat die Kammer allein die Ausführun-
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gen in der Anklageschrift und die dort genannten Tathandlungen der Angeschuldigten nach den beschriebenen Grundsätzen als maßgeblich zu betrachten.
Zur Tathandlung d Angeschuldigten J wird im Abschlussvermerk angeführt, dass er „weiter an der Umsetzung und Durchführung der Loveparade 2010 mitwirkte und die Gesamtleitung der Veranstaltung wahrnahm“ (Bl. 35596 HA). In Bezug auf d Angeschuldigten G geht die Staatsanwaltschaft dort davon aus, dass er sich strafbar gemacht habe, „indem er weiter an der Umsetzung und Durchführung der Loveparade 2010 mitwirkte, etwa sich am Aufbau von Vereinzelungsanlagen und sonstigen Zaunbauten beteiligte sowie am Veranstaltungstag die Aufgaben des Produktionsleiters wahrnahm und die Versammlungsstätte trotz eines mangelbehafteten Sicherheitskonzeptes in Betrieb nahm“ (Bl. 35577 HA). Als Tathandlung d Angeschuldigten H wird benannt, dass er „bei der Durchführung der Veranstaltung, namentlich der Herrichtung des Geländes, dem Aufbau von Vereinzelungsanlagen und sonstigen Zaunbauten sowie der Freigabe des Veranstaltungsgeländes“ mitwirkte (Bl. 35565 HA). Für d Angeschuldigten I wird angeführt, dass er „bei der Durchführung der Veranstaltung“ mitwirkte, „namentlich durch seine Tätigkeit als Leiter aller privaten Sicherheitskräfte und einer damit verbundenen Umsetzung des unbrauchbaren Sicherheitskonzeptes im Rahmen des von ihm geleiteten Einsatzes der Ordnerkräfte auf dem Veranstaltungsgelände am 24. Juli 2010“ (Bl. 35588 ff. HA). Hierbei soll er die ihn treffenden Sorgfaltspflichten verletzt haben, „am Veranstaltungstag auf eine Absage der Veranstaltung hinzuwirken und seine Arbeit nicht aufzunehmen, sowie die ihn treffende Pflicht, die Vorgaben der behördlichen Genehmigung, namentlich unter Sicherheitsgesichtspunkten, vollständig umzusetzen“ (Bl. 35591 HA).
Soweit im Abschlussvermerk schließlich Verstöße gegen weitere öffentlich-rechtliche Vorschriften problematisiert werden, die wiederum nicht in der Anklageschrift in Bezug genommen werden, hatte die Kammer – unabhängig von jeglicher fehlender „Ursächlichkeitsbetrachtung“ auch im Abschlussvermerk – aufgrund fehlender Erwähnung in der Anklageschrift davon auszugehen, dass diese nicht Gegenstand des Anklagevorwurfs sein sollen (vgl. im Einzelnen die Ausführungen im Abschlussvermerk vom 10.02.2014, Bl. 35022 ff. HA). Der Annahme von dahingehenden weiteren Anklagevorwürfen steht überdies die ebenfalls im Abschlussvermerk erfolgende, alleini-
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ge Rückführung des Taterfolges auf zwei konkret bezeichnete Ursachen (Nichteignung des Zu- und Abgangssystems zur Personenstrombewältigung, zusätzliche Verengung der Rampe Ost) bei ausdrücklichem Ausschluss sämtlicher sonstiger – möglicher – Ursachenzusammenhänge durch die Staatsanwaltschaft entgegen (Bl. 34966 HA).
cc. Zusammenfassung
D Angeschuldigten J , G , H und I wird mithin vorgeworfen,
1.
(jeweils) im Vorfeld der Veranstaltung
eine sorgfaltswidrige Planung im Hinblick auf die Eignung des Ein- und Ausgangssystems zum Durchfluss der prognostizierten Besucherströme vorgenommen und eingereicht zu haben. Die durch sie erfolgte Planung sei im Hinblick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe (planerisch engste Stelle: 18,28 Meter) und des Tunnels unter keinen Umständen geeignet gewesen, die erwarteten Besucherströme zwischen 15 und 19 Uhr sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zu führen, da es – hinsichtlich der prognostizierten Besucherströme unter Berücksichtigung der Gestaltung des Geländes – zwangsläufig zu einer Überschreitung der maximalen – hier noch „nach unten zu korrigierenden“ – Durchflusskapazität von 82 Personen/Meter/Minute habe kommen müssen. Eine (erforderliche) Berechnung der „wissenschaftlich anerkannten“ und daher zu zwingend zu beachtenden Durchflussmaximalkapazität sei nicht erfolgt. Auch seien die Dimensionierung und Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen – im Hinblick auf deren Positionierung und Durchlassbreiten – nicht geeignet gewesen, einen sicheren Durchfluss des erwarteten Besucherstroms zu gewährleisten. Die Überschreitung der maximalen Durchflusskapazität habe die Gefahr von „Menschenverdichtungen“ in sich getragen, so insbesondere im Tunnel und auf der Rampe Ost, insbesondere auch am Rampenkopf der Rampe Ost, in dessen unmittelbarer Nähe die Floatstrecke verlaufen sei. Insoweit sei zudem eine unzutreffende Prognose durch d Angeschuldigten J , G , H und I erfolgt, da für den Rampenkopf von einem sog. „Mitzieheffekt“ hinsichtlich größerer Besuchermengen („in großer Zahl“) durch die Floats ausgegangen worden sei, der tatsächlich – wie zu erwarten – nicht eingetreten sei.
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„Nach alledem“ sei der Zu- und Abgang des Geländes für die erwarteten Besucherströme zu schmal dimensioniert gewesen, was zwangläufig lebensgefährliche „Menschenverdichtungen“ habe auslösen müssen.
2.
am Veranstaltungstag des 24.07.2010
(jeweils) die von der Genehmigungsbehörde vorgegebenen Auflagen nicht umgesetzt zu haben, nämlich die Rampe als „Fluchtweg“ von Hindernissen freizuhalten, vielmehr sei es zu einer genehmigungswidrigen weiteren Verengung auf 10,59 Meter durch nicht entfernte Zaunbauten gekommen, was das bestehende „Durchflussdefizit“ weiter vergrößert habe.
b. Angeschuldigte D , F und E
aa. Tathandlung
Nach der Anklage seien d Angeschuldigten D , F und E in der Abteilung 62-3 des Amtes für Baurecht und Bauberatung (Sachgebiet 62-34) der Stadt Duisburg die zuständigen Sachbearbeiter für das baurechtliche Genehmigungsverfahren gewesen (S. 4 der Anklageschrift, Bl. 36368 HA).
D Angeschuldigten D , F und E hätten auf der Grundlage des Antrages der Veranstalterin vom 10.06.2010 und der hierzu eingereichten Unterlagen am 23.07.2010 „in enger Begleitung durch d Angeschuldigten B und C “ die Errichtung und Nutzung von baulichen Anlagen zum Zwecke der Durchführung der Loveparade 2010 genehmigt (S. 5 der Anklageschrift, Bl. 36369 HA). Die Genehmigung habe „wesentliche Sicherheitsvorschriften“ der für die Veranstaltung einschlägigen Bauordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) sowie der Verordnung über Bau und Betrieb von Sonderbauten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17.11.2009 (SBauVO NRW) verletzt und sei daher formell und materiell rechtswidrig gewesen (S. 5 der Anklageschrift, Bl. 36369 HA). Im Falle einer pflichtgemäßen und sorgfältigen Prüfung des Vorhabens hätten d Angeschuldigten D , F und E die „schwerwiegenden Planungsfehler d Angeschuldigten J , G , I und H “ erkennen müssen und die Veranstaltung nicht bezieh-
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ungsweise nicht in der beantragten Form genehmigen dürfen (S. 5 der Anklageschrift, Bl. 36369 HA).
Das Vorhaben der M GmbH habe angesichts der geplanten Einzäunung des Veranstaltungsgeländes sowie der weiteren dort vorgesehenen baulichen Maßnahmen einer baurechtlichen Genehmigung bedurft (S. 10 der Anklageschrift, Bl. 36374 HA). Insoweit seien insbesondere die Vorschriften der BauO NRW und der SBauVO NRW zu beachten gewesen. Die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens der M GmbH habe nach dem Geschäftsverteilungsplan der Stadt Duisburg dem Sachgebiet 62-34 des Amtes für Baurecht und Bauberatung oblegen. Der zuständige Sachgebietsleiter, d Angeschuldigte D , habe gemeinsam mit dem Abteilungsleiter, d Angeschuldigten C , und der Amtsleiterin, d Angeschuldigten B , entschieden, dass der Antrag von einem Team und nicht von einem einzelnen Sachbearbeiter bearbeitet werden solle (S. 10 der Anklageschrift, Bl. 36374 HA). Diesem Team hätten ab Juni 2010 d Angeschuldigte D sowie d Angeschuldigten F und E angehört. Jedes Teammitglied sei dabei aufgrund seiner Dienststellung grundsätzlich befugt gewesen, eine Genehmigung wirksam zu erteilen oder zu versagen. D Angeschuldigten D , F und E hätten sich jedoch darauf verständigt, dass eine Entscheidung nur gemeinsam und übereinstimmend erfolgen sollte. Jeder der Angeschuldigten sei für sich zeichnungsbefugt gewesen (S. 10 der Anklageschrift, Bl. 36374 HA).
D Angeschuldigten D , F und E seien als Mitarbeiter einer kommunalen Genehmigungsbehörde hoheitlich tätig gewesen, so dass für sie insbesondere die Pflicht zum rechtmäßigen Handeln und zur Beachtung aller rechtlichen Vorgaben – sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht – bestanden habe. Daher hätten sie bei ihrer Dienstausübung, hier der Bearbeitung des „baurechtlichen Antrages“, sämtliche Vorschriften beachten müssen, welche die rechtmäßige Erledigung der ihnen übertragenen Amtsgeschäfte – namentlich auch die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung – regeln. Sofern öffentlich-rechtliche Vorschriften dem Vorhaben entgegenstünden, hätten sie eine Genehmigung nicht erteilen dürfen (S. 11 der Anklageschrift, Bl. 36375 HA).
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D Angeschuldigten D , F und E hätten das bauliche Vorhaben der M GmbH nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geprüft. Bei einer sorgfaltsgemäßen Prüfung der Planungsunterlagen wäre ihnen nämlich – so der Anklagevorwurf – deutlich geworden, dass die von der M GmbH prognostizierten Besucherströme mit Blick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe sowie des Tunnels – jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr – unter keinen Umständen sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs geführt werden konnten (S. 11 der Anklageschrift, Bl. 36375 HA). Wie d Angeschuldigten J , G , H und I hätten auch d Angeschuldigten D , F und E nicht den als Grundlage für die Berechnung der maximalen Durchflusskapazitäten von Personen an Zu- und Ausgangswegen wissenschaftlich anerkannten – und von ihnen ebenfalls zwingend zu beachtenden – Höchstwert von 82 Personen/Meter/Minute berücksichtigt. Sie hätten ferner die räumlichen Gegebenheiten und die nach der Besucherprognose erwartete Gegenläufigkeit der Personenströme im Hinblick auf die Prüfung der Durchflusskapazität der Zu- und Abwegung außer Acht gelassen (S. 11 der Anklageschrift, Bl. 36375 HA).
Gemäß der Besucherprognose der M GmbH sei für den Zeitraum zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr ein Aufkommen von 255.000 eintreffenden Besuchern und gleichzeitig 190.000 abwandernden Besuchern (= 445.000 Personen) erwartet worden. Hätten d Angeschuldigten D , F und E sorgfaltsgemäß die Durchflusskapazität an der – ausweislich der Planung – schmalsten Stelle der östlichen Rampe (18,28 Meter) berechnet, hätten sie festgestellt, dass in dem Zeitraum ein Personendurchsatz von durchschnittlich 101,43 Personen/Meter/Minute in diesem Bereich hätte abgewickelt werden müssen. Im Einzelnen hätten unter Berücksichtigung des erwarteten Zu- und Abstroms der Besucher folgende Werte errechnet und der Entscheidung zugrunde gelegt werden müssen (S. 11 der Anklageschrift, Bl. 36375 HA):
15.00 Uhr - 16.00 Uhr: 95,73 Personen/Meter/Minute
16.00 Uhr - 17.00 Uhr: 91,17 Personen/Meter/Minute
17.00 Uhr - 18.00 Uhr: 132,20 Personen/Meter/Minute
18.00 Uhr - 19.00 Uhr: 86,62 Personen/Meter/Minute
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Eine ordnungsgemäße Prüfung der Durchflusskapazitäten und der Sicherheit des Begegnungsverkehrs der prognostizierten Personenströme hätte somit ergeben, dass selbst der wissenschaftlich anerkannte – überdies nach unten zu korrigierende – maximale Personendurchsatz von 82 Personen/Meter/Minute zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr zum Teil erheblich überschritten werden würde. Eine entsprechende Berechnung beziehungsweise Gegenüberstellung sei jedoch zu keinem Zeitpunkt erfolgt (S. 12 der Anklageschrift, Bl. 36376 HA).
Zwar hätten bei d Angeschuldigten D , F und E bereits frühzeitig Bedenken bestanden, dass angesichts der zunächst – in der Summe am gesamten Veranstaltungstag – erwarteten Besucherzahl von 500.000 bis 600.000 Personen kein ausreichender Raum auf dem Veranstaltungsgelände vorhanden sei. Sie seien sich daher der aufgrund einer Überfüllung drohenden Gefahren für Leib und Leben der Besucher und der damit einhergehenden strafrechtlichen Konsequenzen für die Mitarbeiter der Genehmigungsbehörde durchaus bewusst gewesen. Indes hätten d Angeschuldigten D , F und E pflichtwidrig und vorwerfbar verkannt, dass für die Beurteilung der Sicherheit der baulichen Anlagen nicht allein die Anzahl der auf der Veranstaltungsfläche befindlichen Personen, sondern vielmehr die maximale Durchflusskapazität der östlichen Zu- und Abgangsrampe, des Tunnels der Karl-Lehr-Straße und der Vereinzelungsanlagen im Hinblick auf die dort erwarteten Personenströme zu berücksichtigen gewesen sei. Insoweit hätten sie weder den maximal als sicher einzustufenden Personendurchsatz des Zu- und Abgangsbereichs berechnet, noch hätten sie entsprechende Berechnungen bei der M GmbH angefordert. Demzufolge hätten sie auch nicht den maximal möglichen Personendurchsatz den tatsächlich erwarteten Besucherströmen gegenübergestellt (S. 12 der Anklageschrift, Bl. 36376 HA).
D Angeschuldigten D , F und E hätten „nach alledem“ bei einer ordnungsgemäßen Prüfung des Vorhabens der M GmbH erkennen müssen, dass die Veranstaltung nicht durchführbar und daher nicht genehmigungsfähig gewesen sei. Die Genehmigung hätte bereits deshalb versagt werden müssen (S. 12 der Anklageschrift, Bl. 36376 HA).
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Die Undurchführbarkeit der geplanten Veranstaltung habe sich d Angeschuldigten D , F und E auch aufgrund weiterer Umstände aufdrängen müssen (S. 12 der Anklageschrift, Bl. 36376 HA):
Bei einem Vergleich der von der M GmbH erstellten Besucherprognose mit der von d Angeschuldigten G in Auftrag gegebenen, erst im Juli 2010 vorgelegten Entfluchtungsanalyse der GmbH hätte sich ebenfalls offenkundig ergeben, dass die Führung aller Besucher über die östliche Rampe „unrealistisch“ gewesen sei (S. 12 der Anklageschrift, Bl. 36376 HA). In der Entfluchtungsanalyse der GmbH sei ausdrücklich aufgeführt gewesen, dass eine Entleerung des gesamten Veranstaltungsgeländes über die östliche und westliche Rampe bei einer erwarteten Besucherzahl von 250.000 Personen und einer zugrunde gelegten Durchgangsbreite von insgesamt rund 25 Metern drei Stunden und 48 Minuten „gedauert hätte“. Demnach hätte selbst bei einem Entfluchtungsszenario lediglich eine maximale Durchflusskapazität von nur 43,85 Personen/Meter/Minute erreicht werden können (S. 12 der Anklageschrift, Bl. 36376 HA). Eine derartige – „naheliegende“ – Berechnung hätten d Angeschuldigten D , F und E nicht vorgenommen (S. 13 der Anklageschrift, Bl. 36377 HA). Ein Vergleich dieses Wertes mit dem nach der Besucherprognose erforderlichen durchschnittlichen Personendurchsatz von 101,43 Personen/Meter/Minute im Zeitraum zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr hätte ergeben, dass erhebliche Staubildungen auf der östlichen Rampe und damit auch die Gefahr für Leib und Leben der Veranstaltungsbesucher sicher zu erwarten gewesen seien (S. 13 der Anklageschrift, Bl. 36377 HA). Ferner habe die Entfluchtungsanalyse der GmbH den ausdrücklichen Hinweis enthalten, dass gegenläufige und sich kreuzende Personenströme zu vermeiden seien. Auch dies habe offenkundig den Planungen der M GmbH widersprochen (S. 13 der Anklageschrift, Bl. 36377 HA). D Angeschuldigten D , F und E hätten – wie auch d Angeschuldigten G , H und J – Kenntnis von den Ergebnissen und den Prämissen der Analyse gehabt. Gleichwohl hätten sie pflichtwidrig die offenkundige Unvereinbarkeit zwischen dem Vorhaben der M GmbH und der Entfluchtungsanalyse verkannt (S. 13 der Anklageschrift, Bl. 36377 HA).
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Schließlich hätten d Angeschuldigten D , F und E die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens gesetzlich in § 43 Abs. 2 SBauVO NRW zwingend vorgeschriebenen Beteiligungen der für Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörden, insbesondere der Polizei, der Brandschutzdienststelle und der Rettungsdienste verkannt. Vor allem hätten sie die Prüfung versäumt, ob hinsichtlich des Sicherheitskonzeptes der Veranstaltung ein Einvernehmen mit den oben angeführten Behörden erzielt worden sei. Ein solches sei zu keinem Zeitpunkt hergestellt worden (S. 13 der Anklageschrift, Bl. 36377 HA), was indes nach dem Ermittlungsergebnis „keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den Todes- und Verletzungsfällen“ gehabt habe (vgl. S. 473 der Anklageschrift, Bl. 36837 HA).
Stattdessen hätten d Angeschuldigten D , F und E am 23.07.2010 im Dienstzimmer d Angeschuldigten D aufgrund einer gemeinsamen Entscheidung eine an die M GmbH gerichtete – „nach alledem“ formell und materiell rechtswidrige – Genehmigung gefertigt, welche d Angeschuldigte D sodann gezeichnet und die folgenden Wortlaut gehabt habe (S. 13 f. der Anklageschrift, Bl. 36378 f. HA):
„Sehr geehrte Damen und Herren,
unter den nachfolgend aufgeführten Nebenbestimmungen wird die vorübergehende Nutzungsänderung des ehem. Güterbahnhofsgeländes für die „Loveparade“ am 24.7.2010 genehmigt:
Abweichungen gemäß § 73 BauO NRW
Von folgenden Vorschriften wird einer Abweichung erteilt:
1.Abweichung von § 7 (4) SBauVO Teil 1 - Unterschreitung der erf. Fluchtwegausgangsbreiten
2.Abweichung von § 42 SBauVO - Verzicht auf Feuerwehrpläne
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Auflagen
Folgende Auflagen sind bei der Ausführung zu beachten:
3.Das Brandschutzkonzept des Büros Ö vom 22.07.2010 in Verbindung mit der Entfluchtungsanalyse der Firma T GmbH vom 13.7.2010 mitsamt der Nachträge vom 16.7.2010 und vom 20.07.2010 sind Bestandteil dieser Genehmigung.
4.Die maximale Personenzahl, die sich gleichzeitig auf dem Veranstaltungsgelände aufhalten darf, wird gemäß Brandschutzkonzept und Entfluchtungsanalyse auf 250.000 Personen begrenzt.
5.Die Zaunanlage, welche das Veranstaltungsgelände umfasst, ist so auszuführen, dass sie einer Anpralllast von mind. 2 kN / m standhält.
6.Die Breite der Fluchtwege auf der Ost- und Südseite des Geländes darf an keiner Stelle eine Breite von 10 m unterschreiten (s.a. Brandschutzkonzept). Die zuführenden Wegeflächen vom Notausgang zum Rettungsweg dürfen an keiner Stelle eine Breite von 7 m unterschreiten (s.a. Brandschutzkonzept). Die Fluchtwege dürfen an keiner Stelle durch Einbauten oder sonstige Hindernisse eingeschränkt werden.
7.Die Grüneintragungen in den Bauvorlagen sind aufgrund der geänderten Bauvorlagen für diese Genehmigung zu beachten.“
D Angeschuldigte D habe daneben insgesamt 812 Blatt der von der M GmbH eingereichten Planungsunterlagen mit dem Stempel „Gehört zum Bescheid, 23. Juli 2010“ und seiner Unterschrift versehen (S. 14 der Anklageschrift, Bl. 36378 HA). Bei diesen Unterlagen habe es sich unter anderem um einen Übersichtsplan vom 18.07.2010 (der auch sämtliche Zaunbauten ausgewiesen habe), die
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Veranstaltungsbeschreibung in einer Fassung vom 16.07.2010, ein Brandschutzkonzept in einer Fassung vom 22.07.2010, das Sicherheitskonzept in einer Fassung vom 28.06.2010, die Entfluchtungsanalyse der T GmbH vom 13.07.2010 sowie einen Nachtrag zur Entfluchtungsanalyse vom 20.07.2010 gehandelt (S. 14 der Anklageschrift, Bl. 36378 HA).
Den Angeschuldigten D , F und E habe als Mitarbeitern des insoweit ausschließlich zuständigen Amtes für Baurecht und Bauberatung die Überwachung der Umsetzung der von ihnen erteilten Genehmigung, insbesondere die Kontrolle der baulichen Anlagen auf dem Veranstaltungsgelände, oblegen (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA). Sie hätten sowohl vor Erteilung der Genehmigung bei einem Ortstermin am 21.07.2010 als auch bei den Begehungen am 23.07.2010 erkannt, dass Zaunbauten im Bereich der östlichen Rampe die dortige Durchgangsbreite unplanmäßig und genehmigungswidrig auf 10,59 Meter an der schmalsten Stelle verengt hätten. Dennoch hätten sie vor Öffnung des Geländes am 24.07.2010 pflichtwidrig nicht nachgeprüft, ob dieses genehmigungswidrige Hindernis beseitigt worden sei und „die übrigen baurechtlichen Auflagen“ eingehalten worden seien (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA). Eine Anweisung zur Beseitigung der die Rampe weiter verengenden Einbauten hätten sie bereits am 21.07.2010 erteilt. Ungeachtet dessen seien die Angeschuldigten D , F und E am Veranstaltungstag überhaupt nicht auf dem Veranstaltungsgelände anwesend gewesen und hätten demzufolge auch nicht die „erforderlichen Kontrollen“ vorgenommen (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA).
Infolgedessen sei die fortbestehende genehmigungswidrige Verengung des Zu- und Abgangsbereichs am Fuß der östlichen Rampe unerkannt und unbeanstandet geblieben (S. 20 der Anklageschrift, Bl. 36384 HA). Die Angeschuldigten hätten „nach alledem“ die für die „Menschenverdichtung“ und die daraus resultierenden Todesfälle und Verletzungen mitursächliche, genehmigungswidrige Verengung erkennen und die Veranstalterin vor Veranstaltungsbeginn zu einer sofortigen Beseitigung dieser Hindernisse – gegebenenfalls durch eine sofort vollziehbare bauordnungsrechtliche Verfügung – veranlassen müssen (S. 20 der Anklageschrift, Bl. 36384 HA).
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Darüber hinaus sei den Angeschuldigten D , F und E auch bekannt gewesen, dass eine weitere sicherheitsrelevante Auflage von der M GmbH nicht beachtet worden sei (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). Sie hätten bereits vor Genehmigungserteilung gewusst, dass die von der Veranstalterin bereits errichtete Zaunanlage nicht einer Anpralllast von mindestens 2 kN/m (Kilonewton pro laufendem Meter) standhalte und damit nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche, was indes nach dem Ermittlungsergebnis „nicht ursächlich für die Menschenverdichtung auf der Rampe und die hieraus resultierenden tödlichen Verletzung(en)“ gewesen sei, vielmehr sei „davon auszugehen, dass Zaunanlagen mit der geforderten Anpralllast die konkrete Gefahrensituation sogar verschärft hätten“ (S. 429 der Anklageschrift, Bl. 36793 HA). Selbst im Rahmen der nachmittäglichen Geländebegehung am 23.07.2010 hätten die Angeschuldigten D , F und E noch die unzureichende Anpralllast der Zäune erkannt (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36285 HA). Sie hätten dies jedoch nicht zum Anlass genommen, vor Veranstaltungsbeginn auf die Erfüllung der Auflage hinzuwirken beziehungsweise im Falle der Nichterfüllbarkeit die Veranstaltung durch Erlass einer bauordnungsrechtlichen Verfügung zu untersagen (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). In Abstimmung mit den Angeschuldigten C und B hätten die Angeschuldigten D , F und E stattdessen von der Veranstalterin lediglich ein schriftliches – aber erst nach der Veranstaltung vorzulegendes – Sachverständigengutachten zur Belastbarkeit der Zäune gefordert (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA).
bb. Nicht umfasste bzw. unselbstständige Tatvorwürfe
Soweit – unter dem Aspekt einer fehlerhaften Genehmigungserteilung bzw. einer pflichtwidrigen Bau-/Auflagenüberwachung – die unter B. I. 2. a. bb. (1) bis B. I. 2. a. bb. (7) dargestellten Umstände (soweit genehmigungsrelevant) als weitere selbstständige Tatvorwürfe gegenüber den Angeschuldigten D , F und E in Betracht kommen könnten, wird auf die dortigen – hier entsprechend geltenden – Ausführungen Bezug genommen.
Soweit die Staatsanwaltschaft Duisburg in der Stellungnahme vom 14.09.2015 im Hinblick auf einen am Veranstaltungstag – von ihr hinsichtlich der tatsächlichen Bemaßungen allerdings nicht ermittelten – von der Planung abweichenden Zaunaufbau bzw. dessen Veränderung ausführt, „eine Überprüfung des ordnungsgemäßen Auf-
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baus und Verbleibs der Zäune am Veranstaltungstag hätte durch die angeschuldigten Mitarbeiter des Bauordnungsamts erfolgen müssen“ (Bl. 45212 HA), begründen diese Ausführungen, weil nicht weiter konkretisiert und zudem in der Anklage nicht enthalten, keinen weiteren Anklagevorwurf.
cc. Zusammenfassung
Den Angeschuldigten D , F und E wird mithin jeweils vorgeworfen,
1.
im Vorfeld der Veranstaltung bei der Genehmigungserteilung
- außer Acht gelassen zu haben, dass nach der vorliegenden Planung die prognostizierten Besucherströme mit Blick auf die Durchgangsbreiten der Rampe Ost und des Tunnels zwischen 15 und 19 Uhr unter keinen Umständen hätten sicher auf das Gelände geführt werden können. Der wissenschaftlich anerkannte Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute für das Ein- und Ausgangssystem sei hinsichtlich der Rampe Ost, des Tunnels sowie der Vereinzelungsanlagen nicht berücksichtigt worden. Es hätten nach den prognostizierten Zahlen vielmehr durchschnittlich 101,43 Personen/Meter/Minute abgewickelt werden müssen, im Einzelnen zwischen 15 und 16 Uhr 95,73 Personen/Meter/Minute, zwischen 16 und 17 Uhr 91,17 Personen/Meter/Minute, zwischen 17 und 18 Uhr 132,20 Personen/Meter/Minute sowie zwischen 18 und 19 Uhr 86,62 Personen/Meter/Minute. Der maximal mögliche Personendurchsatz sei nicht den tatsächlich erwarteten Besucherströmen gegenübergestellt worden.
- die Prüfung versäumt zu haben, ob das erforderliche Einvernehmen nach § 43 Abs. 2 SBauVO NRW erzielt worden sei, welches tatsächlich nicht vorgelegen habe.
2.
vor Öffnung des Geländes am 24.07.2010
85
die Kontrolle der baulichen Anlagen hinsichtlich der Umsetzung der erteilten Genehmigung pflichtwidrig unterlassen zu haben, indem sie nicht geprüft hätten, ob die Auflagen eingehalten würden. Die Angeschuldigten D , F und E hätten (jeweils) die (für den Taterfolg mitursächliche) zusätzliche (fortbestehende) Verengung auf der Rampe Ost erkennen und deren Beseitigung veranlassen sowie die auflagenwidrig unzureichende Anpralllast der Zäune zum Anlass eines Eingreifens nehmen müssen.
c. Angeschuldigte A , B und C
aa. Tathandlung
Nach der Anklage sei d Angeschuldigte A zur Tatzeit Beigeordneter der Stadt Duisburg gewesen und habe als Dezernent des Stadtentwicklungsdezernats (Dezernat V) fungiert, dem das Amt für Baurecht und Bauberatung (Amt 62) der Stadt Duisburg zugeordnet gewesen sei (S. 4 der Anklageschrift, Bl. 36368 HA). D Angeschuldigte B sei zur Tatzeit Leiterin des Amtes für Baurecht und Bauberatung (Amt 62) der Stadt Duisburg, d Angeschuldigte C Leiter der im Amt 62 der Stadt Duisburg für die Erteilung einer baurechtlichen Genehmigung zuständigen Unteren Bauaufsicht (Abteilung 62-3) gewesen (S. 4 der Anklageschrift, Bl. 36368 HA).
Die Angeschuldigten A , B und C hätten in ihrer Eigenschaft als Vorgesetzte der Angeschuldigten D , F und E die ihnen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens obliegenden Aufsichts- und Überwachungspflichten nicht ordnungsgemäß wahrgenommen (S. 5 der Anklageschrift, Bl. 36369 HA). Obwohl den Angeschuldigten B und C zahlreiche Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass den Gefahren der beantragten Nutzung, namentlich der Bewältigung der großen Besucherströme auf dem Veranstaltungsgelände, im Genehmigungsverfahren nicht hinreichend Rechnung getragen worden sei, hätten sie in pflichtwidriger und vorwerfbarer Weise keine nähere Prüfung des Vorhabens veranlasst und sich auch nicht vergewissert, dass die Veranstaltungsplanung diesen Gefahren ausreichend Rechnung trage (S. 5 der Anklageschrift, Bl. 36369 HA). Der Angeschuldigte A habe sich nicht über die Einzelheiten des Vorhabens informiert, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass das Genehmigungsverfahren in be-
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sonderem Maße seiner Überprüfung und kritischen Begleitung bedurft hätte (S. 5 der Anklageschrift, Bl. 36369 HA). Eine pflichtgemäße Prüfung des Vorhabens durch die Angeschuldigten A , B und C hätte dazu geführt, dass die fehlerhafte Planung erkannt und die Veranstaltung nicht bzw. nicht in der beantragten Form genehmigt worden wäre (S. 5 der Anklageschrift, Bl. 36369 HA).
(1) Angeschuldigte B und C im Vorfeld der Veranstaltung (Genehmigungsverfahren)
Die Angeschuldigten B und C seien ebenso wie ihre Mitarbeiter zum rechtmäßigen Handeln verpflichtet gewesen (S. 15 der Anklageschrift, Bl. 36379 HA). Ihnen habe es im Rahmen ihrer amts- beziehungsweise abteilungsleitenden Funktion oblegen, die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung ihrer Mitarbeiter zu überwachen. Sie hätten in ihrem Verantwortungsbereich Sorge dafür zu tragen gehabt, dass die zu prüfende bauliche Anlage nur entsprechend den gesetzlichen Vorgaben – insbesondere mit Blick auf die Sicherheit – genehmigt werde. Sie seien mithin verpflichtet gewesen, die mit der Genehmigung für die Errichtung der baulichen Anlage betrauten Sachbearbeiter zu überwachen und gegebenenfalls durch Anweisungen zur rechtmäßigen Amtsausübung anzuhalten. Diesen Pflichten seien die Angeschuldigten B und C nicht nachgekommen. Sie hätten ihre Mitarbeiter, die Angeschuldigten D , F und E , nicht hinreichend überwacht, obwohl sie genügend Anlass gehabt hätten, an der ordnungsgemäßen Bearbeitung des Genehmigungsverfahrens durch diese zu zweifeln (S. 15 der Anklageschrift, Bl. 36379 HA).
Den Angeschuldigten B und C hätten sämtliche Planungsunterlagen vorgelegen. Sie seien fortwährend durch die Angeschuldigten D , F und E über den Sachstand informiert worden. Darüber hinaus hätten sie selbst an einer Vielzahl von Besprechungen sowohl des Genehmigungsteams als auch an externen Besprechungen teilgenommen. Ihr Kenntnisstand habe somit demjenigen ihres Genehmigungsteams entsprochen (S. 15 der Anklageschrift, Bl. 36379 HA). Sie hätten schließlich auch Durchschriften der unmittelbar zuvor erteilten Genehmigung erhalten (S. 15 der Anklageschrift, Bl. 36379 HA).
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Bei einer ordnungsgemäßen Überwachung der Angeschuldigten D , F und E hätten auch die Angeschuldigten B und C „die schwerwiegenden Planungsfehler“ erkennen müssen (S. 15 der Anklageschrift, Bl. 36379 HA). Insbesondere hätte ihnen auffallen müssen, dass die von der M GmbH prognostizierten Besucherströme wegen der Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe sowie des Tunnels – jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr – unter keinen Umständen sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs geführt werden konnten (S. 15 der Anklageschrift, Bl. 36379 HA). Die Angeschuldigten B und C hätten auch die ihnen bekannten Inhalte der Entfluchtungsanalyse – insbesondere die enthaltenen Widersprüche – pflichtwidrig und vorwerfbar nicht zum Anlass genommen, ihre Aufsichtspflichten ordnungsgemäß auszuüben. Sie hätten die Angeschuldigten D , F und E vor der Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Genehmigung nicht zu einer Prüfung der maximalen Durchflusskapazität und der Möglichkeit einer sicheren Bewältigung der erwarteten gegenläufigen Personenströme – gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen – angehalten (S. 15 der Anklageschrift, Bl. 36379 HA). Bei der gegebenen Sachlage hätten die Angeschuldigten B und C im Rahmen ihrer Aufsichts- und Überwachungsfunktion erkennen müssen, dass die Veranstaltung nicht durchführbar und somit nicht genehmigungsfähig gewesen sei. Sie hätten folglich – gegebenenfalls in Form einer Anweisung – darauf hinwirken müssen, dass die formell und materiell rechtswidrige Genehmigung nicht erteilt werde (S. 15 der Anklageschrift, Bl. 36379 HA).
(2) Angeschuldigte A im Vorfeld der Veranstaltung (Genehmigungsverfahren)
D Angeschuldigte A sei als Dezernent des Stadtentwicklungsdezernats (Dezernat V) Vorgesetzter aller im Amt für Baurecht und Bauberatung tätigen Mitarbeiter einschließlich der Amtsleiterin gewesen (S. 16 der Anklageschrift, Bl. 36380 HA). Er sei ebenso wie seine Mitarbeiter als Hoheitsträger zum rechtmäßigen Handeln verpflichtet gewesen. Ihm habe es im Rahmen seiner Funktion als Dezernent oblegen, die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch seine Mitarbeiter zu überwachen. Er habe in seinem Verantwortungsbereich dafür Sorge zu tragen gehabt, dass die zu prüfende bauliche Anlage nur entsprechend den gesetzlichen Vorgaben – insbeson-
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dere mit Blick auf die Sicherheit – genehmigt werde (S. 16 der Anklageschrift, Bl. 36380 HA).
Grundsätzlich habe d Angeschuldigte A als Dezernent zwar auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung der in seinem Geschäftsbereich anfallenden Aufgaben durch die ihm nachgeordneten Mitarbeiter vertrauen dürfen. Konkrete Anzeichen, die im Einzelfall auf Probleme bei der ordnungsgemäßen Antragsprüfung hindeuten, hätte d Angeschuldigte A dagegen zum Anlass nehmen müssen, sich etwa von d Angeschuldigten B im Rahmen seiner Aufsichtsführung entsprechend berichten zu lassen. Soweit hinsichtlich bestimmter Gesichtspunkte eine sorgfältige, vollständige und ordnungsgemäße baurechtliche Prüfung fraglich gewesen wäre, hätte er sich im Einzelfall auch die Ergebnisse einzelner baurechtlicher Prüfungen vorlegen und erläutern lassen müssen, namentlich bei sicherheitsrelevanten Aspekten. Er hätte zudem gewährleisten müssen, dass die zuständigen Mitarbeiter ihren Prüfungs- und Überwachungspflichten in vollem Umfang nachkämen (S. 16 der Anklageschrift, Bl. 36380 HA). Derartige konkrete Anzeichen, die d Angeschuldigte A zum Einschreiten hätten veranlassen müssen, hätten hinsichtlich des Genehmigungsverfahrens im Zusammenhang mit der Loveparade 2010 vorgelegen (S. 16 der Anklageschrift, Bl. 36380 HA).
Bei der Loveparade 2010 habe es sich um die größte Musikveranstaltung, die in Duisburg bis dahin stattfinden sollte, gehandelt. Bereits angesichts der Anzahl der erwarteten Besucher und des allgemein bekannten Umstandes, dass diese Besucher lediglich über einen Zu- und Abgang das Gelände betreten und verlassen sollten, hätte er Sorge dafür tragen müssen, dass unter Sicherheitsgesichtspunkten insbesondere die Lenkung der Besucherströme bei der Genehmigungserteilung eingehend geprüft werde (S. 16 der Anklageschrift, Bl. 36380 HA). Die fehlende Erfahrung der Mitarbeiter der Stadt Duisburg mit einer Veranstaltung dieser Größenordnung und die deshalb zu erwartenden Schwierigkeiten der baurechtlichen Prüfung hätten ihn zudem veranlassen müssen, die Prüfungen zu begleiten und sich über die Ergebnisse zu unterrichten (S. 16 der Anklageschrift, Bl. 36380 HA).
Jedenfalls habe für d Angeschuldigte A ein konkreter Anlass bestanden, an der ordnungsgemäßen Prüfung der sicherheitsrelevanten Genehmigungsvoraus-
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setzungen im Amt für Baurecht und Bauberatung zu zweifeln und für eine solche Sorge zu tragen. Es hätten ihm Anhaltspunkte vorgelegen, dass die Angeschuldigten B und C die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben bei der Prüfung der beantragten Baugenehmigung nicht sorgfaltsgemäß überwachten und die ordnungsgemäße Prüfung der Sicherheit der baulichen Anlage durch die Angeschuldigten D , F und E nicht gewährleistet gewesen sei (S. 17 der Anklageschrift, Bl. 36381 HA). Bereits einem von de Angeschuldigte A gegengezeichneten Schreiben d Angeschuldigten D an die M GmbH vom 14.06.2010 sei zu entnehmen gewesen, dass eine Vielzahl von Antragsunterlagen gefehlt habe und eine ordnungsgemäße Prüfung des Bauantrages zu dieser Zeit – nach eigener Einschätzung der Angeschuldigten D , F und E – noch unmöglich gewesen sei. So hätten etwa ein Brandschutzkonzept, die Endfassung eines Sicherheitskonzeptes und ein Nachweis der erforderlichen Rettungswege gefehlt. In dem Schreiben vom 14.06.2010 sei auch ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Gesamtbreite der ausgewiesenen Notausgänge weit hinter den gesetzlichen Vorgaben zurückbleibe. D Angeschuldigten A sei überdies bekannt gewesen, dass die fehlenden Unterlagen überwiegend auch bis zum 14.07.2010 noch nicht vorgelegt worden seien. Darüber hinaus habe ihm ein Vermerk d Angeschuldigten B zu einem Gespräch vom 18.06.2010 vorgelegen, dem er habe entnehmen können, dass sie durch den Dezernenten des Dezernats für Sicherheit und Recht (Dezernat II), den Zeugen R , aufgefordert worden sei, von den Vorschriften der BauO NRW und der SBauVO NRW im Einzelfall aus Praktikabilitätsgründen abzuweichen. D Angeschuldigte A habe handschriftlich auf dieser Vorlage notiert, dass er „aufgrund dieser Problemstellung eine Zuständigkeit und Verantwortung von V / 62“ ablehne. Ihm sei mithin bekannt gewesen, dass die Planungen problembehaftet gewesen seien und bis zu diesem Zeitpunkt einzelnen wesentlichen Sicherheitsaspekten nicht hinreichend Rechnung getragen worden sei. Weiterhin sei d Angeschuldigten A bekannt gewesen, dass die M GmbH begonnen habe, beantragte bauliche Anlagen zu errichten, obwohl eine Baugenehmigung noch gar nicht erteilt worden sei. Insbesondere habe er vor der Genehmigungserteilung gewusst, dass die von der M GmbH bereits errichtete Zaunanlage nicht einer Anpralllast von mindestens 2 kN/m habe standhalten können und damit nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe (S. 17 der Anklageschrift, Bl. 36381 HA).
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„Nach alledem“ habe sich d Angeschuldigte A veranlasst sehen müssen, das Genehmigungsverfahren zur Loveparade 2010 – insbesondere auch hinsichtlich der Gewährleistung der Sicherheit der Veranstaltungsbesucher – persönlich zu prüfen und die einzelnen Arbeitsschritte der Angeschuldigten B , C , D , F und E eingehend zu überwachen (S. 17 der Anklageschrift, Bl. 36381 HA). Diesen Pflichten sei er nicht nachgekommen. Er habe es sogar unterlassen, sich über den Fortgang und den Inhalt des Genehmigungsverfahrens, etwa hinsichtlich der Bewertungen zur Zulässigkeit und Sicherheit der zu errichtenden baulichen Anlagen und des ihm als einzigen Aus- und Eingang bekannten Tunnel- und Rampenbereiches, umfassend unterrichten zu lassen (S. 17 der Anklageschrift, Bl. 36381 HA). Hätte er sich indes pflichtgemäß in das Genehmigungsverfahren eingebracht, hätte er erkennen müssen, dass die Angeschuldigten B , C , D , F und E ihrerseits ihre Prüfungs- und Überwachungspflichten vernachlässigt und deshalb die schwerwiegenden Planungsfehler insbesondere hinsichtlich der Durchflusskapazitäten des Zu- und Abgangsbereichs nicht erkannt hätten (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA). Folglich hätte auch d Angeschuldigte A bei der gegebenen Sachlage erkennen müssen, dass die Veranstaltung nicht durchführbar und somit nicht genehmigungsfähig gewesen sei. Er hätte dementsprechend – gegebenenfalls in Form einer Anweisung – darauf hinwirken müssen, dass die formell und materiell rechtswidrige Genehmigung nicht erteilt werde (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA).
(3) Angeschuldigte B , C und A vor Veranstaltungsbeginn (Bauüberwachung)
Den Angeschuldigten B und C sei bekannt gewesen, dass eine abschließende Kontrolle der baulichen Anlagen vor Beginn der Veranstaltung nicht erfolgt sei (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA). Sie hätten überdies gewusst, dass die Angeschuldigten D , F und E – und auch sonstige Mitarbeiter des insoweit ausschließlich zuständigen Amtes für Baurecht und Bauberatung – am 24.07.2010 auf dem Veranstaltungsgelände nicht anwesend sein würden und somit am Veranstaltungstag keine Auflagenüberwachung beziehungsweise abschließende Kontrolle erfolgen sollte (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA). Hierzu hätten sie die Angeschuldigten D , F und E auch nicht angehalten (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA). Vielmehr habe d Angeschuldigte B bereits in ei-
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nem Schreiben an d Angeschuldigten A vom 13.07.2010 die Abwesenheit aller Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag angeregt (S. 20 der Anklageschrift, Bl. 36384 HA). In diesem Schreiben heiße es unter anderem wörtlich (S. 20 der Anklageschrift, Bl. 36384 HA):
„(…) Wie üblich werden wir die Auflagen bezüglich der Bauten (Zäune, Fluchtwegeausschilderung usw.) vor Beginn der Veranstaltung kontrollieren und versuchen, das am 22. beziehungsweise 23.07.2010 abschließend zu klären.
Wie Sie mit Herrn Beigeordneten R besprochen haben, gehe ich jedoch davon aus, dass weder ich noch meine Mitarbeiter am 24.07.2010 anwesend sein sollen. Wir haben bis dahin unsere vorbereitenden Tätigkeiten erledigt, die Entscheidungen aus der Situation heraus müssen dann Polizei und Ordnungsamt treffen. Dabei geht es ja dann nicht mehr alleine um den Veranstaltungsort, sondern den gesamten Ablauf der Veranstaltung.
Den Gerüchten nach soll der sogenannte Krisenstab zur Loveparade einberufen werden. Dies ist bisher noch nicht erfolgt. Grundsätzlich sind Herr C und ich dort Mitglied. Ich kann aber den Sinn in unserer Anwesenheit nicht erkennen. Wenn wir vor Ort sind, wird das natürlich dazu führen, dass wir bei Verstößen gegen unsere Auflagen grundsätzlich sagen müssen, dass bezüglich des Veranstaltungsgeländes dann nicht alle rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Dazu braucht uns der Krisenstab aber nicht, da Ihnen die Auflagen ja dann vorab bekannt sind. (…)“
D Angeschuldigte A habe daraufhin zwischen dem 13. und dem 16.07.2010 pflichtwidrig und vorwerfbar entschieden, dass die mit der Genehmigungserteilung befassten Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag weder im Krisenstab noch andernorts im Dienst sein und die Einhaltung der Auflagen der Genehmigung vom 21./23.07.2010 überwachen sollten. Seine Entscheidung habe er d Angeschuldigten B mitgeteilt (S. 20 der Anklageschrift, Bl. 36384 HA).
Aus diesem Grund seien Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung, insbesondere die Angeschuldigten B , C , D , F und E , am Veranstaltungstag nicht anwesend gewesen und hätten nicht überprüft, ob die Auflagen
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der erteilten Genehmigung beachtet worden seien (S. 20 der Anklageschrift, Bl. 36384 HA). Infolgedessen sei die fortbestehende genehmigungswidrige Verengung des Zu- und Abgangsbereichs am Fuß der östlichen Rampe unerkannt und unbeanstandet geblieben (S. 20 der Anklageschrift, Bl. 36384 HA).
Eine – ausschließlich dem Amt für Baurecht und Bauberatung obliegende – Kontrolle der Einhaltung der Genehmigungsauflagen am Veranstaltungstag sei somit gänzlich unterblieben. Den Angeschuldigten B und C sei dies bekannt gewesen. Pflichtwidrig und vorwerfbar hätten sie es insoweit unterlassen, die Angeschuldigten D , F und E zu den notwendigen Überprüfungen am Veranstaltungstag anzuhalten. Mangels Anwesenheit am Veranstaltungstag sei pflichtwidrig nicht erkannt worden, dass sicherheitsrelevante Auflagen der erteilten Genehmigung nicht beachtet bzw. genehmigungswidrige Hindernisse nicht beseitigt worden seien (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA).
Die Angeschuldigten A , B und C hätten – wie die Angeschuldigten D , F und E – „nach alledem“ die für die „Menschenverdichtung“ und die daraus resultierenden Todesfälle und Verletzungen mitursächliche, genehmigungswidrige Verengung erkennen und die Veranstalterin vor Veranstaltungsbeginn zu einer sofortigen Beseitigung dieser Hindernisse – gegebenenfalls durch eine sofort vollziehbare bauordnungsrechtliche Verfügung – veranlassen müssen (S. 20 der Anklageschrift, Bl. 36384 HA).
Darüber hinaus sei auch den Angeschuldigten A , B und C – wie den Angeschuldigten D , F und E – bekannt gewesen, dass eine weitere sicherheitsrelevante Auflage von der M GmbH nicht beachtet worden sei (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). Sie hätten bereits vor Genehmigungserteilung gewusst, dass die von der Veranstalterin bereits errichtete Zaunanlage nicht einer Anpralllast von mindestens 2 kN/m habe standhalten können und damit nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). Selbst im Rahmen der nachmittäglichen Geländebegehung am 23.07.2010 hätten die Angeschuldigten D , F und E noch die unzureichende Anpralllast der Zäune erkannt. Sie hätten dies jedoch nicht zum Anlass genommen, vor Veranstaltungsbeginn auf die Erfüllung der Auflage hinzuwirken beziehungsweise im
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Falle der Nichterfüllbarkeit die Veranstaltung durch Erlass einer bauordnungsrechtlichen Verfügung zu untersagen (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). In Abstimmung mit den Angeschuldigten C und B hätten die Angeschuldigten D , F und E stattdessen von der Veranstalterin lediglich ein schriftliches – aber erst nach der Veranstaltung vorzulegendes – Sachverständigengutachten zur Belastbarkeit der Zäune gefordert. Diese Vorgehensweise habe d Angeschuldigte B ihrerseits zuvor mit de Angeschuldigte A abgesprochen (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA).
bb. Nicht umfasste bzw. unselbstständige Tatvorwürfe
Soweit – unter dem Aspekt einer defizitären Überwachung des Genehmigungsverfahrens sowie der Bau-/Auflagenkontrolle – die unter B. I. 2. a. bb. (1) bis B. I. 2. a. bb. (7) und B. I. 2. b. bb. dargestellten Umstände als weitere selbstständige Tatvorwürfe gegenüber den Angeschuldigten B , C und A in Betracht gezogen werden könnten, wird auf die dortigen – hier entsprechend geltenden – Ausführungen der Kammer Bezug genommen.
cc. Zusammenfassung
(1) Angeschuldigte B und C
Den Angeschuldigten B und C wird mithin vorgeworfen,
- im Vorfeld der Veranstaltung (jeweils)
unterlassen zu haben, die Angeschuldigten D , F und E ordnungsgemäß zu überwachen, die aus den vorgeworfenen Planungsfehlern folgende fehlende Genehmigungsfähigkeit zu erkennen und einzugreifen.
- vor Veranstaltungsbeginn (jeweils)
unterlassen zu haben, für eine Anwesenheit von Mitarbeitern des Amts für Baurecht und Bauberatung und für eine Auflagenkontrolle bzw. abschließende Kontrolle mit der Folge der Beseitigung der genehmigungswidrigen zusätzlichen Verengung durch
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Zaunbauten auf der Rampe Ost und der nicht hinreichend standfesten Zäune zu sorgen.
(2) Angeschuldigte A
D Angeschuldigten A wird vorgeworfen, er habe
- im Vorfeld der Veranstaltung
sich trotz konkreter Anzeichen, dass seine Mitarbeiter den Prüfungs- und Überwachungspflichten nicht nachkommen, nicht persönlich die Ergebnisse der baurechtlichen Prüfung vorlegen lassen; stattdessen habe er es unterlassen, sich über den Fortgang und den Inhalt des Genehmigungsverfahrens umfassend unterrichten zu lassen, etwa hinsichtlich Bewertungen zur Zulässigkeit und Sicherheit der zu errichtenden baulichen Anlagen und des ihm als einzigen Ein- und Ausgang bekannten Tunnel- und Rampenbereichs. Er hätte darauf hinwirken müssen, dass eine rechtswidrige Genehmigung nicht erteilt werde.
- vor Veranstaltungsbeginn
zwischen dem 13. und dem 16.07.2010 pflichtwidrig und vorwerfbar entschieden, dass die mit der Genehmigungserteilung befassten Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag weder im Krisenstab noch andernorts im Dienst sein und die Einhaltung der Auflagen der Genehmigung vom 21./23.07.2010 folglich nicht überwachen sollten, weshalb Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag nicht anwesend gewesen seien und nicht überprüft hätten, ob die Auflagen der erteilten Genehmigung beachtet würden, so dass die fortbestehende genehmigungswidrige Verengung des Zu- und Abgangsbereichs am Fuß der östlichen Rampe sowie die nicht hinreichende Standfestigkeit der Zäune unerkannt und unbeanstandet geblieben seien.
d. Ursachenzusammenhang/Taterfolg
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aa. Für den Taterfolg ursächliche Umstände
Nach der Konkretisierung der Anklage sei es „infolge des bezeichneten Fehlverhaltens aller Angeschuldigten“ am 24.07.2010 zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr im Bereich der Zu- und Abgangsrampe auf dem Veranstaltungsgelände zu einer „Menschenverdichtung“ von „mehreren zehntausend Personen“ gekommen (S. 6 der Anklageschrift, Bl. 36370 HA). Aufgrund des innerhalb dieser Menschenmenge entstandenen Drucks hätten 21 Personen tödlich verlaufende Verletzungen erlitten (S. 6 der Anklageschrift, Bl. 36370 HA). Mindestens 652 weitere Personen hätten insoweit zum Teil schwere Verletzungen, etwa Quetschungen, Knochenbrüche und Prellungen erlitten; viele hätten das Bewusstsein verloren oder seien durch die erlittene Todesangst sowie die wahrgenommenen Unglücksszenen psychisch erheblich traumatisiert worden (S. 6 der Anklageschrift, Bl. 36370 HA).
Das Veranstaltungsgelände sei am 24.07.2010 entgegen der ursprünglichen Planung erst mit einer Stunde Verspätung gegen 12.00 Uhr auf entsprechende Anweisung d Angeschuldigten H geöffnet worden (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). Bereits zwischen 13.00 Uhr und 14.15 Uhr hätten sich an der Vereinzelungsanlage West „mehrere zehntausend Besucher“ gestaut, so dass die Zäune an der Vereinzelungsanlage überrannt zu werden drohten (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). Ab etwa 14.30 Uhr sei der Besucherstrom am Kopf der östlichen Rampe ins Stocken geraten, da die eintreffenden Besucher nicht auf das noch weitgehend leere Festgelände gelaufen, sondern „in großer Zahl“ am Rampenkopf stehengeblieben seien, um von dort die seit 14.00 Uhr vorbeifahrenden Floats zu betrachten (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). Der Rundkurs der Floats auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs habe direkt am Rampenkopf vorbeigeführt, so dass die eintreffenden Besucher – entgegen der in den Planungsunterlagen pauschal aufgestellten Annahme – keine Veranlassung gehabt hätten, den Floats zu folgen (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA). Vielmehr hätten die Besucher vom Rampenkopf aus sämtliche Floats betrachten können und seien daher dort verweilt. Der in den Planungen angenommene „Mitzieheffekt“ der Floats sei somit ausgeblieben. Zudem seien die ankommenden Besucher dort auf einen zunehmenden Strom abwandernder Personen getroffen, was ein ungehindertes Passieren des Rampenkopfes zusätzlich erschwert und die „Menschenverdichtung“ weiter verstärkt habe (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA).
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Bis etwa 15.15 Uhr hätten sich die Besucher lediglich am oberen Rampenkopf gestaut. Etwa ab diesem Zeitpunkt sei der Rückstau der Besucher am Rampenkopf so rasch angewachsen, dass die „Menschenverdichtung“ bis 15.30 Uhr bereits die gesamte Rampenbreite sowie etwa ein Drittel der Rampenlänge ausgefüllt habe. Ein Passieren des Rampenkopfes sei infolgedessen nahezu unmöglich geworden. Der Personenfluss auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs sei beinahe zum Erliegen gekommen (S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA).
Zur Unterbrechung des Personenzuflusses seien unter anderem die Vereinzelungsanlagen vorübergehend gesperrt worden (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA). Ferner seien zwischen 15.50 Uhr und 15.57 Uhr zwei Polizeiketten im östlichen und westlichen Verlauf des Tunnels der Karl-Lehr-Straße eingezogen worden, um einen weiteren Anstieg der Personendichte im Bereich des Rampenkopfes durch „auf die Veranstaltung strömende“ Zuschauer zu verhindern. Schließlich sei um 16.01 Uhr eine dritte Polizeikette im unteren Bereich der östlichen Rampe, und zwar in der dort durch die genehmigungswidrigen Zaunbauten bewirkten Verengung, eingerichtet worden. Diese habe verhindern sollen, dass ein gegenläufiger Personenstrom, der das Veranstaltungsgelände in Richtung Karl-Lehr-Straße/Tunnel habe verlassen wollen, auf die Sperrmaßnahmen in den Tunnelabschnitten auflaufe (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA). Gleichwohl sei es nicht gelungen, die „Menschenverdichtung“ am Rampenkopf aufzulösen (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA).
Jedenfalls ab 16.02 Uhr habe sowohl für die Polizei beziehungsweise das Ordnungsamt als auch für die Veranstalterin keine Möglichkeit mehr bestanden, die Zuspitzung der Situation zu verhindern. Der „letztlich tödliche Verlauf der Menschenverdichtungen“ auf der Rampe sei nicht mehr abwendbar gewesen (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA).
An der Vereinzelungsanlage West habe bereits wenige Minuten nach der Schließung ein enormer Personendruck auf die in diesem Bereich befindlichen Zäune geherrscht. Das gesamte Ordnerpersonal sei nunmehr für das Halten jener Zäune benötigt worden. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Einlassschleusen nicht mehr besetzt gewesen seien, so dass die Besucher unkontrolliert in den Tunnel der Karl-
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Lehr-Straße eingelaufen seien. Bereits gegen 16.00 Uhr sei es darüber hinaus zu einem ersten gewaltsamen Zaundurchbruch an der Vereinzelungsanlage West gekommen. Die ansteigende Personendichte habe im weiteren Verlauf dazu geführt, dass Personen an verschiedenen Stellen die Zäune gewaltsam geöffnet hätten, um auf diese Weise auf das Veranstaltungsgelände zu gelangen. Da die einströmenden Besuchermengen nicht mehr hätten aufgehalten werden können und die Vereinzelungsanlage überrannt zu werden drohte, habe sie gegen 16.02 Uhr geöffnet und gegen 16.17 Uhr endgültig aufgegeben werden müssen (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA).
Eine „vergleichbare Situation“ sei an der Vereinzelungsanlage Ost entstanden. Die Ordner dort hätten aufgrund des erheblichen Personendrucks die Vereinzelungsanlage immer wieder öffnen müssen, hätten die Anlage allerdings halten können (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA).
Der unkontrollierte Besucherzustrom habe bewirkt, dass der Druck auf die Polizeiketten im westlichen und östlichen Tunnelbereich innerhalb von wenigen Minuten erheblich angestiegen sei (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA). Die Polizeisperren seien infolgedessen im östlichen Verlauf des Tunnels gegen 16.13 Uhr und im westlichen Verlauf des Tunnels gegen 16.20 Uhr durchbrochen worden (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA). Die Besucher seien sodann in Richtung der östlichen Zu- und Abgangsrampe geströmt, an deren unterem Ende sich die beiden Besucherströme vereint hätten und in einem 90°-Winkel auf die Rampe geschwenkt seien. Angesichts des Aufeinandertreffens der Besucherströme sowie der bereits auf der Rampe aufgestauten Besucher sei es zwischen den Vereinzelungsanlagen und dem Rampenkopf rasch zu einem Personenstau von „vielen zehntausend Besuchern“ gekommen (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA). Dieser Personenstau habe seine größte Dichte vor den genehmigungswidrigen Zauneinbauten auf der Rampe erreicht (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA), auf deren Höhe sich die dritte Polizeikette befunden habe. Diese sei gegen 16.28 Uhr aufgelöst worden, da die Polizeikräfte dem beidseitigen Druck der Besucher nicht mehr hätten Stand halten können (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA).
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Der in der Folgezeit immer größer werdende Druck habe binnen weniger Minuten – ab etwa 16.40 Uhr – dazu geführt, dass sich die Besucher im Tunnelbereich der Karl-Lehr-Straße, am Rampenfuß und auf der östlichen Zu- und Abgangsrampe nicht mehr hätten fortbewegen können. Der Druck auf die Besucher sei schließlich derart angestiegen, dass diese ihre Bewegungen nicht mehr hätten kontrollieren können und übereinander gestürzt seien (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA).
„Etwa ab diesem Zeitpunkt“ habe eine Personendichte von mindestens sieben Personen pro Quadratmeter geherrscht (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA).
In dieser Situation hätten die Menschen versucht, über vermeintliche Rettungsmöglichkeiten auf das obere Veranstaltungsgelände zu gelangen. Sie hätten daher in Richtung eines am Fuß der östlichen Zu- und Abgangsrampe auf der Karl-Lehr-Straße aufgestellten Containers, auf der Rampe aufgestellter Lichtmasten, vor allem aber einer Treppe zu einem Stellwerkshäuschen gedrängt, so dass die Personendichte dort zusätzlich angestiegen sei. Insbesondere im Bereich dieser Treppe sei es daher zu unkontrollierten, wellenartigen Bewegungen der Menge und starken Kompressionen gekommen, bei denen zahlreiche Personen angehoben worden seien, gestürzt seien und anschließend bewegungsunfähig übereinander gelegen hätten (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA).
Aufgrund der hohen Personendichte und des innerhalb dieser Menschenmenge entstandenen Drucks hätten 21 Personen tödlich verlaufende Verletzungen in Form multipler Quetschungen sowie schwerer Thoraxkompressionstraumata mit Behinderung der Atemexkursionen (Perthes-Druckstauung) erlitten (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA).
Noch an Ort und Stelle sei der Tod der Veranstaltungsbesucher S , B , L , R , S , S , Z , T , S , L , M , B , M , H , M und M festgestellt worden. Der Veranstaltungsbesucher M sei am 24.07.2010 um 18.28 Uhr im Klinikum W verstorben. Die Veranstaltungsbesucherin L sei
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am 24.07.2010 um 21.20 Uhr im Klinikum W verstorben. Die Veranstaltungsbesucherin C sei am 25.07.2010 um 0.21 Uhr im J Krankenhaus in Duisburg verstorben. Die Veranstaltungsbesucherin H sei am 26.07.2010 um 19.11 Uhr im B Krankenhaus in Duisburg verstorben. Die Veranstaltungsbesucherin K sei am 28.07.2010 um 8.55 Uhr im B Krankenhaus in Duisburg verstorben (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA).
Wenigstens 652 weitere Personen hätten zum Teil erhebliche physische Verletzungen beziehungsweise psychische Traumatisierungen erlitten (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA).
Wegen der Komplexität des Verfahrensgegenstandes sei die Strafverfolgung insoweit „exemplarisch“ auf 18 infolge der „Menschenverdichtung“ im Bereich der östlichen Rampe schwer verletzte Personen beschränkt worden (S. 24-26 der Anklageschrift, Bl. 36388-36390 HA):
Die Zeugin D sei ohnmächtig geworden und habe eine Thoraxprellung, eine Distorsion der Lendenwirbelsäule, eine Schädelprellung, einen Schock sowie eine Quetschung beider Beine erlitten. Sie sei aufgrund dieser Verletzungen in der Zeit vom 24.07.2010 bis zum 06.08.2010 stationär behandelt worden.
Der Zeuge G habe sich massive Quetschungen des Thorax und des linken Oberarms zugezogen. Eine ebenfalls erlittene posttraumatische Belastungsstörung sowie schwere Depressionen hätten zudem zu einer stationären psychiatrischen Behandlung geführt.
Die Zeugin G habe Prellungen beziehungsweise „blaue Flecken“ an beiden Beinen sowie Beschwerden an Wirbelsäule und Hals davon getragen. Auch sie habe sich wegen einer schweren psychischen Traumatisierung in stationärer Behandlung befunden.
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Die Zeugin G sei ohnmächtig geworden und habe eine Prellung des rechten Oberschenkels verbunden mit Blutergüssen und „blauen Flecken“ sowie anschließender Bildung eines Seroms erlitten, das operativ behandelt worden sei.
Die Zeugin H sei ebenfalls ohnmächtig geworden und habe eine schwere Knie- und Schienbeinprellung, die einer einwöchigen stationären Behandlung bedurfte, erlitten. Darüber hinaus habe sie sich aufgrund einer psychischen Traumatisierung in psychologische Behandlung begeben.
Die Zeugin H habe einen epileptischen Anfall erlitten und sei dabei ohnmächtig geworden, was einen dreitägigen Krankenhausaufenthalt zur Folge gehabt habe. Aufgrund einer schweren psychischen Traumatisierung sei sie darüber hinaus über mehrere Wochen in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt worden.
Die Zeugin H , nunmehr B , sei ohnmächtig geworden und habe einen Rippenbruch, eine Verdrehung der Wirbelsäule, Quetschungen sowie Hämatome am ganzen Körper erlitten. Sie sei bis zum 28.07.2010 stationär behandelt worden.
Der Zeuge J habe einen Abbruch im Sprunggelenk (des sogenannten Volkmannschen Dreiecks), eine Fraktur des rechten Waden- und Schienbeins, eine Knochenabsplitterung an der Ferse, eine Thrombose sowie ein Trauma erlitten. Er sei bis zum 05.08.2010 stationär behandelt und mehrfach operiert worden.
Die Zeugin K habe sich schwere multiple Prellungen sowie Lähmungserscheinungen in den Armen zugezogen. Sie sei bis zum 29.07.2010 stationär behandelt worden.
Der Zeuge K habe einen Bruch des Sprunggelenks und des Wadenbeins sowie einen Bänderabriss rechts (Weber-C-Fraktur) erlitten. Er sei stationär behandelt und operiert worden. [Fußnote 7]
[Fußnote 7: Vgl. hierzu später C. I..]
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Der Zeuge K sei zunächst ohnmächtig und im Weiteren aufgrund von Quetschungen und Hämatomen am linken Bein, einer Rippenprellung sowie Quetschungen der Leber und der Nieren bis zum 30.07.2010 stationär behandelt worden. Darüber hinaus habe er ein psychisches Trauma erlitten.
Die Zeugin M habe sich vier Rippen gebrochen und sich einen Abriss des Kreuz- und Innenbandes des linken Knies, eine Meniskusverletzung sowie einen Riss des linken Schienbeinkopfes zugezogen. Ferner habe sie eine psychische Traumatisierung erlitten. Nach einer Operation habe sie sich bis zum 31.08.2010 in stationärer Behandlung befunden.
Die Zeugin M sei zunächst ohnmächtig geworden. Sie habe überdies ein Schädel-Hirn-Trauma, Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper, Nierenblutungen sowie eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Sie sei anschließend eine Woche stationär behandelt worden und habe sich darüber hinaus einer Traumatherapie unterziehen müssen.
Die Zeugin R habe sich einen Abriss des Kreuzbandes zugezogen und sei darüber hinaus psychisch traumatisiert worden. Einer Erstbehandlung am 24.07.2010 sei eine mehrwöchige psychiatrische Behandlung gefolgt.
Die Zeugin S sei ohnmächtig geworden und habe noch vor Ort reanimiert werden müssen. Sie habe Prellungen im Wirbelsäulenbereich, einen Bluterguss in der Lunge sowie eine Quetschung des Thorax erlitten. Sie sei aufgrund ihrer körperlichen Verletzungen bis zum 29.07.2010 stationär behandelt worden und habe anschließend aufgrund einer psychischen Traumatisierung weiter betreut werden müssen.
Der Zeuge S habe einen Bruch des Brustbeins sowie Prellungen erlitten und sei bis zum 29.07.2010 in stationärer Behandlung verblieben. Er sei zudem psychisch traumatisiert worden und habe mehrere Wochen psychotherapeutisch betreut werden müssen.
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Der Zeuge Z habe sich eine Quetschung des Brustkorbes zugezogen. Er habe zudem ein Taubheitsgefühl in seinen Fingern festgestellt. Er sei ferner psychisch traumatisiert und infolgedessen stationär betreut worden.
Schließlich habe der Zeuge S , der sich als Polizeibeamter zum Zeitpunkt des Unglücks in unmittelbarer Nähe des Unglücksortes aufgehalten und als Ersthelfer sowohl den Tod einiger Besucher festgestellt als auch mehrere Menschen aus ihrer hilflosen Lage befreit habe, aufgrund der Ereignisse eine schwere psychische Traumatisierung erlitten, die eine langfristige Traumatherapie bei stationärer psychiatrischer Behandlung zur Folge gehabt habe.
bb. Für den Taterfolg nicht ursächliche Umstände
Insgesamt stellten sich folgende – die bereits genannten, d.h. die Planung/deren Ausführung, die Genehmigungserteilung/Bau- und Auflagenüberwachung sowie eine insoweit fehlende Aufsicht betreffende [Fußnote 8], sowie weitere, auf ein Handeln Dritter zurückgehende – Umstände nach dem Ergebnis der Ermittlungen (ausdrücklich) als nicht (mit-)ursächlich für den Tod bzw. die Verletzung von Menschen im Bereich der „Menschenverdichtung“ am Fuß der Rampe Ost dar:
- der (fehlende) Einsatz von Security-Kräften, insbesondere auch von so bezeichneten Pushern im Bereich der Rampe Ost (S. 383-389 der Anklageschrift, Bl. 36747-36753 HA, insbesondere S. 389 der Anklageschrift, Bl. 36753 HA)
- die Errichtung der Polizeiketten in den beiden Tunnelabschnitten der Karl-Lehr-Straße sowie auf der Rampe Ost selbst (S. 389-402 der Anklageschrift, Bl. 36753-36766 HA, insbesondere S. 401 f. der Anklageschrift, Bl. 36765 f. HA sowie S. 495-497 der Anklageschrift, Bl. 36859-36861 HA); so sei stattdessen „die völlige Überlastung des Zu- und Abgangssystems aufgrund der schwerwiegenden Planungsfehler Ursache für den Eintritt des Taterfolges“ (S. 497 der Anklageschrift, Bl. 36861 HA)
[Fußnote 8: Vgl. bereits auch oben B. I. 2. a. bb. (6), B. I. 2. b. bb. sowie B. I. 2. c. bb..]
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- die Einfahrt eines Fahrzeuges (VW Transporter) der 1. Technischen Einheit (TEE) Bochum in den Tunnel- und den Rampenbereich ab ca. 16.15 Uhr (S. 402 f. der Anklageschrift, Bl. 36766 f. HA)
- die Ablösung der Kräfte im Einsatzabschnitt Schutz der Veranstaltung zwischen 14.00 und 16.00 Uhr, insbesondere der 4. BPH durch die Kräfte der 15. BPH auf der Rampe Ost gegen 15.30 Uhr (S. 403-405 der Anklageschrift, Bl. 36767-36769 HA)
- die Auswahl des Systems zur Feststellung des Befüllungsgrades des Geländes im Hinblick auf die Besucherzahlbeschränkung auf 250.000 Personen und die (personelle) Umsetzung dieses Systems am Veranstaltungstag (S. 405-412 der Anklageschrift, Bl. 36769-36776 HA) sowie die etwaig fehlende Eignung der damit betrauten Mitarbeiter des Ordnungsamtes (S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA), wobei – nach dem Ergebnis der Ermittlungen – ausdrücklich eine (drohende) Überschreitung der zulässigen Gesamtbesucherzahl von 250.000 Personen auf dem Gelände ausgeschlossen und als nicht ursächlich angesehen wird (S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA unten); kausal für das Unglückgeschehen sei vielmehr „die Ungeeignetheit der Zu- und Abgangssituation, namentlich die mangelnde Kapazität der östlichen Rampe für die gleichzeitig ankommenden und abreisenden Veranstaltungsbesucher“ (vgl. S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA unten)
- die fehlende Einrichtung einer elektro-akustischen Alarmierungsanlage (S. 426 der Anklageschrift, Bl. 36790 HA)
- die fehlende Einrichtung von Löwengängen im Tunnelbereich der Karl-Lehr-Straße (S. 427 f. der Anklageschrift, Bl. 36791 f. HA)
- die Qualität des verwendeten Zaunmaterials; vielmehr sei davon auszugehen, dass Zaunanlagen mit der geforderten Anpralllast die konkrete Gefahrensituation sogar verschärft hätten (S. 428 f. der Anklageschrift, Bl. 36792 f. HA, was dennoch von der Staatsanwaltschaft gegenüber den angeschuldigten Mitarbeitern der Stadt Duisburg zum Anklagevorwurf erhoben wurde, S. 21 der Anklageschrift, Bl. 36385 HA)
- die unzureichende Kanalschachtabdeckung im Bereich der Rampe Ost (S. 429-432 der Anklageschrift, Bl. 36793-36796 HA); zwar sei aufgrund der unsachgemäßen Abdeckung des Kanalschachtes die Gefahr des Ausrutschens, Stolperns und Fallens erhöht worden, sie sei jedoch nicht ursächlich
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für die Entstehung der „tödlichen Menschenverdichtung“ (S. 429-432 der Anklageschrift, Bl. 36793-36796 HA, insbesondere S. 432 der Anklageschrift, Bl. 36796 HA)
- Kommunikationsdefizite in der Funkkommunikation der Polizei (S. 432-436 der Anklageschrift, Bl. 36796-36800 HA, insbesondere S. 436 der Anklageschrift, Bl. 36800 HA), der Funkkommunikation der M GmbH (S. 436-438 der Anklageschrift, Bl. 36800-36802 HA, insbesondere S. 438 der Anklageschrift, Bl. 36802 HA) sowie der Handykommunikation (S. 438-440 der Anklageschrift, Bl. 36802-36804 HA, insbesondere S. 440 der Anklageschrift, Bl. 36804 HA)
- Fehler in der Einsatzleitung der Polizei (S. 440-444 der Anklageschrift, Bl. 36804-36808 HA)
- Entscheidungen in der Sicherheitszentrale der M GmbH (S. 444-446 der Anklageschrift, Bl. 36808-36810 HA)
- Entscheidungen in den anberaumten Telefonkonferenzen (S. 446-450 der Anklageschrift, Bl. 36810-36814 HA)
- Entscheidungen im Krisenstab der Stadt Duisburg (S. 450-453 der Anklageschrift, Bl. 36814-36817 HA)
Folgende weitere Umstände werden in den rechtlichen Ausführungen unter „IV. Strafrechtliche Würdigung“ (als Bestandteil des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen) insoweit genannt, als sie nach dem Ermittlungsergebnis „keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den Todes- und Verletzungsfällen“ besäßen, indes belegten, dass „maßgeblichen Vorschriften und Umständen nicht die notwendige Aufmerksamkeit“ gewidmet worden sei (vgl. S. 473 der Anklageschrift, Bl. 36837 HA); auch insoweit wird durch die Staatsanwaltschaft mithin keine Kausalitätsbeziehung zum konkreten Taterfolg hergestellt:
- das Nichtvorliegen eines Einvernehmens gemäß § 43 Abs. 2 SBauVO NRW (S. 473-478 der Anklageschrift, Bl. 36837-36842 HA, was dessen ungeachtet gegenüber den angeschuldigten städtischen Bediensteten als Anklagevorwurf erhoben wurde, S. 13 der Anklageschrift, Bl. 36377 HA)
- ein Verstoß des genehmigten Rettungswegkonzepts gegen § 7 Abs. 3, Abs. 4 SBauVO NRW (S. 478-481 der Anklageschrift, Bl. 36842-36845 HA), im Einzelnen
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durch eine zu lange Wegstrecke, die eine Person bei Betreten des Tunnels über die Rampe zurückzulegen habe, um ins Freie auf eine öffentliche Verkehrsfläche zu gelangen (über 30 Meter), als Verstoß gegen § 7 Abs. 3 SBauVO NRW (S. 478-479 der Anklageschrift, Bl. 36842-36843 HA) sowie
eine insgesamt unzureichende Breite der Rettungswege unter fehlerhafter Abweichung der Baugenehmigung von den Vorgaben des § 7 Abs. 4 SBauVO NRW (S. 479-481 der Anklageschrift, Bl. 36843-36845 HA).
Darüber hinausgehend schließt die Staatsanwaltschaft im Abschlussvermerk vom 10.02.2014 ausdrücklich sämtliche sonstigen Ursachen außer einerseits der Ungeeignetheit des Zu- und Abgangssystems zur Bewältigung der erwarteten und eingetroffenen Besucher sowie andererseits der „genehmigungswidrigen“ Verengung der Rampe Ost durch Zaunbauten als erfolgsursächlich aus (vgl. Bl. 34966 HA).
II. Erweiterung der Anklage durch zugelassene Nebenklagen
Die mit der Anklage „exemplarisch auf 18 infolge der Menschenverdichtung im Bereich der östlichen Rampe schwer verletzte Personen“ vorgenommene Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO entfällt gemäß § 395 Abs. 5 S. 2 StPO im Hinblick auf den gegenüber den Angeschuldigten A , B , C , D , F und E erhobenen Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung im Amt gemäß §§ 229, 340 StGB zum Nachteil von A , A , B , B , B , D , V , E , F , F , G , H , H , K , K , L , N , O , O , R , T , T , Z , Y und F sowie im Hinblick auf den gegenüber den Angeschuldigten G , J , H und I erhobenen Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB zum Nachteil von D , F , H , K , N , R , Z und Y .
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Hinsichtlich der Angeschuldigten J , G , H und I betrifft der Anklagevorwurf (nach Wegfall der vorgenommenen Strafverfolgungsbeschränkung) damit die fahrlässige Tötung von 21 Veranstaltungsbesuchern gemäß § 222 StGB in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) mit fahrlässiger Körperverletzung an 26 weiteren Personen gemäß § 229 StGB; hinsichtlich der Angeschuldigten D , F und E die fahrlässige Tötung von 21 Veranstaltungsbesuchern gemäß § 222 StGB in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) mit fahrlässiger Körperverletzung im Amt an 43 weiteren Personen gemäß §§ 229, 340 Abs. 3 StGB, schließlich hinsichtlich der Angeschuldigten B , C und A die fahrlässige Tötung von 21 Veranstaltungsbesuchern durch Unterlassen gemäß §§ 222, 13 Abs. 1 StGB in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) mit fahrlässiger Körperverletzung im Amt durch Unterlassen an 43 weiteren Personen gemäß §§ 229, 340 Abs. 3, 13 Abs. 1 StGB.
Denn gemäß § 395 Abs. 5 S. 1 StPO berührt eine Beschränkung nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Dies haben die o.g. Personen jeweils getan. Durch entsprechende Beschlüsse der Kammer wurde festgestellt, dass D , F , H , K , N , R , Z und Y zum Anschluss als Nebenkläger an die öffentliche Klage gegen sämtliche Angeschuldigte sowie A , A , B , B , B , V , E , F , G , H , K , L , O , O , T , T und S F zum Anschluss als Nebenkläger an die öffentliche Klage lediglich gegen die Angeschuldigten A , B , C , D , F und E berechtigt sind. Bei Zulassung des Nebenklägers entfällt nach § 395 Abs. 5 S. 2 StPO eine Beschränkung nach § 154a StPO, soweit sie die Nebenklage betrifft.
Insofern wird die Anklage der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.02.2014 in Bezug auf die Nebenkläger – soweit ihr Anschluss an die öffentliche Klage vollumfänglich bzw. teilweise berechtigt ist – erweitert. Dabei ist nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen von folgenden Verletzungen der (nicht bereits in der Anklage schon als Verletzte benannten) Nebenkläger auszugehen:
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A erlitt psychische und physische Schädigungen, unter anderem Schmerzen im linken Arm.
A erlitt ebenfalls psychische und physische Schädigungen.
B erlitt eine Knieverdrehung und hatte in der Folge Schmerzen im Knie bei speziellen Bewegungen. Er bekam einen Stoß in das Gesicht und erlitt dadurch eine Prellung der linken Ober- und Unterlippe und eine Schmelzabsplitterung der lnzisalkante am Zahn 23.
B erlitt Schmerzen im Bereich des Thorax und der Beine. Darüber hinaus wurde er psychisch traumatisiert.
B erlitt eine Prellung des Steißbeines und leidet seit dem Vorfall unter psychischen Problemen. Er war nach dem Vorfall längere Zeit durch seinen Hausarzt arbeitsunfähig krankgeschrieben.
D erlitt eine Ellenbogenprellung rechts, eine Rücken- sowie eine Thoraxprellung und litt unter Angst- und Spannungszuständen. Vom 27.07.2010 bis zum 06.08.2010 war er arbeitsunfähig. Noch im Jahr 2011 befand er sich in nervenärztlicher Behandlung und litt an einer posttraumatischen Belastungsreaktion mit zeitweilig auftretender Angst und Panikattacken.
V erlitt starke Quetschungen am Oberkörper und wurde ohnmächtig. Zwei Tage wurde sie stationär im Krankenhaus behandelt. Auch danach litt sie unter Schlafstörungen und panischen Angstzuständen.
E zog sich multiple Schürfwunden, eine BWS-Prellung sowie eine HWS-Prellung zu. Sie war vom 25.07.2010 bis zum 26.07.2010 deswegen in stationärer Behandlung.
F erlitt Schmerzen, insbesondere im Brustbereich, Atemnot und Todesangst. Sie litt unter seelischer Belastung und hatte Schlafstörungen.
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F erlitt eine posttraumatische Belastungsstörung, wegen der sie vom 16.09.2010 bis zum 12.11.2010 sowie vom 08.01.2014 bis zum 15.02.2014 stationär behandelt wurde. Zwischen den stationären Aufenthalten befand sie sich weiter in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung.
G erlitt eine Oberschenkelprellung rechts. Er leidet zudem an einem posttraumatischen Belastungssyndrom sowie einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10 F32.2G). Vom 26.07.2010 bis zum 31.07.2010 war er arbeitsunfähig krankgeschrieben. Ende 2014 hatte er noch Restbeschwerden in Form von Schlafstörungen.
H erlitt eine posttraumatische Belastungsstörung, wegen der er mehrfach stationär behandelt wurde.
H erlitt psychische und physische Schädigungen, unter anderem bekam sie zeitweise keine Luft mehr.
K erlitt Prellungen und ein Trauma.
K zog sich multiple Prellungen im Thoraxbereich zu, die zu belastungs- und bewegungsabhängigen Schmerzen im gesamten Thoraxbereich führten. Überdies erlitt er ein posttraumatisches Belastungssyndrom mit Angstzuständen und Schlaflosigkeit.
L hatte Schmerzen am ganzen Körper und war bewusstlos. Zudem litt er nach dem Vorfall unter einem Taubheitsgefühl am rechten Unterschenkel, Schlafstörungen und Panikattacken.
N erlitt eine Thoraxprellung links, eine Schürfung der linken Beckenseite sowie eine Abdomenprellung links. Zudem leidet er seit dem Vorfall unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom.
O erlitt psychische und physische Schädigungen.
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O erlitt ebenfalls psychische und physische Schädigungen, sie hatte unter anderem zeitweise Atemnot, weil sie eingequetscht wurde.
R erlitt eine Thoraxprellung rechts, eine Bissverletzung am linken Oberarm sowie Kratzwunden an Bauch und Becken. Überdies litt sie unter einer posttraumatischen Belastungsreaktion, wegen der sie in psychologischer Behandlung war.
T erlitt eine akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0 G).
T erlitt ebenfalls eine akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0 G).
Z litt unter psychischen Problemen nach einem Trauma. Er war deswegen in psychologischer Behandlung, nahm an einer kognitiven Verhaltenstherapie und einer „EMDR-Therapie“ teil.
Y erlitt diffuse Prellungen am gesamten Körper sowie Hämatome an den Armen und Beinen und am gesamten Körper. Sie litt zudem unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit depressiven Episoden, Panikattacken und Schlafstörungen.
F erlitt Hämatome und Prellungen des Rumpfes sowie einen traumatischen Schock.
C. Fehlender hinreichender Tatverdacht aus tatsächlichen Gründen
Gegenüber sämtlichen Angeschuldigten fehlt es aus tatsächlichen Gründen an einem hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich einer Straftat in Bezug auf die in der Anklageschrift enthaltenen Tatvorwürfe.
I. Tatverdacht gegen sämtliche Angeschuldigte (Tatvorwürfe zu Lasten des Geschädigten K )
Soweit die Anklageschrift als eine der 18 „exemplarisch“ ausgewählten, „infolge der Menschenverdichtung im Bereich der östlichen Rampe schwer verletzten Personen“
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K anführt, besteht kein hinreichender Tatverdacht, dass die von diesem erlittenen Verletzungen auf die „Menschenverdichtung“ im Bereich der östlichen Rampe zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr und damit auf die – siehe dazu sogleich II. bis V. – den Angeschuldigten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen zurückzuführen sind.
K gab ausweislich des Protokolls seiner zeugenschaftlichen Vernehmung vom 29.09.2010 (Bl. 10284-10290 HA) Folgendes zur Ursache der von ihm erlittenen Verletzungen an:
„Gegen 15:00 Uhr sind wir dann losgegangen zum Veranstaltungsgelände. Wir mussten auch durch den Tunnel. Dann kamen wir dahin, wo es dann rechts hoch zum Gelände ging. Da sind wir aber höchstens 50 Meter weit gekommen. Dann kam alles ins Stocken und es ging nicht mehr vor und nicht mehr zurück.
An den Seiten sind da so Hänge. Da waren die Leute dann schon dabei, die Zäune umzuschmeißen und die Hänge hochzuklettern. Wir sind auch den Hang hoch, aber nicht um zu flüchten, sondern um zu gucken, ob wir von da aus weiter kommen.
lch war dann höchstens zehn oder 15 Minuten da oben. Da ging es aber auch nicht weiter. Dann wurde ich angerempelt und bin den Hang runter gefallen. Dabei habe ich mich verletzt.“ (Bl. 10285 HA)
Nach seinen eigenen Angaben sind damit die von ihm erlittenen Verletzungen gerade nicht auf die „Menschenverdichtung“ im Bereich der östlichen Rampe zurückzuführen, sondern vielmehr auf ein Anrempeln durch einen Dritten auf dem Gelände oberhalb der Rampe. Insofern handelt es sich nicht um einen Teil der den Angeschuldigten mit der Anklageschrift zur Last gelegten Tat.
Der mit Verfügung vom 30.03.2015 (Bl. 43546 HA) geäußerten gegenteiligen Einschätzung der Staatsanwaltschaft Duisburg, wonach das Geschehen zum Nachteil des K Teil der angeklagten Tat sei, ist nicht zu folgen. Zwar trifft es zu, dass die angeklagte Tat – wie von der Staatsanwaltschaft ausgeführt – alle mit dem Vorwurf zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände umfasst, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun des/der Angeklagten bzw. Angeschuldigten unter irgendeinem
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rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen, zu qualifizieren oder zu mildern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 264 Rn. 2b mit weiteren Nachweisen). Dies ändert aber nichts daran, dass eine Verletzung, die gerade nicht auf dem den Angeschuldigten vorgeworfenen Verhalten beruht, diesen auch nicht zur Last gelegt werden kann.
Hier ist das zur Verletzung des D T K führende Geschehen nicht als ein „unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar“ erscheinendes Verhalten der Angeschuldigten einzuordnen. D T K wurde nach seiner eigenen Aussage nicht verletzt, weil die Angeschuldigten die ihnen zur Last gelegten Pflichtverletzungen (siehe dazu sogleich II. bis V.) begingen, sondern weil ein Dritter ihn anrempelte, nachdem er sich bereits auf dem Gelände oberhalb der Rampe befand, und er daraufhin einen Hang hinunterfiel. Dafür, dass dieses verletzungsursächliche Anrempeln durch den Dritten auf einem den Angeschuldigten vorgeworfenen Pflichtenverstoß beruhte, gibt es indes keine Anhaltspunkte und somit erst recht keinen hinreichenden Tatverdacht.
Auch der – von der Staatsanwaltschaft in der Verfügung vom 30.03.2015 angeführte – Umstand, dass T K ausdrücklich in der Anklageschrift als Verletzter bezeichnet ist und das Geschehen zu seinem Nachteil nicht lediglich zum besseren Verständnis der gesamten Umstände erwähnt sei, kann nicht dazu führen, das Geschehen zu seinem Nachteil zu einem Teil der angeklagten Tat werden zu lassen. Denn die „ausdrückliche“ Bezeichnung als Verletzter in der Anklageschrift ist für die Frage des Bestehens hinreichenden Tatverdachts ohne Aussagekraft, soweit tatsächlich – wie hier der Fall – keine Verletzung durch die angeklagte Tat vorliegt.
II. Tatverdacht gegen die Angeschuldigten J , G , H und I (Tatvorwürfe zu Lasten der weiteren Geschädigten)
Ein hinreichender Tatverdacht wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB bzw. fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB setzt – unter anderem – die Wahrscheinlichkeit für den Taterfolg kausaler Sorgfaltspflichtverletzungen durch die Angeschuldigten J , G , H und I , die sich im konkreten Taterfolg realisiert haben (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 15 Rn. 16 c), voraus.
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Diese ist nach dem vorliegenden Ergebnis der Ermittlungen nicht anzunehmen.
1. Konkurrenzen
Die den Angeschuldigten J , G , H und I vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen sind als einheitliche Tat im Sinne von natürlicher Handlungseinheit (§ 52 StGB) einzuordnen.
Eine solche natürliche Handlungseinheit und damit nur eine Tat liegt vor, wenn zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein einheitliches Tun erscheint (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., Vor § 52 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen). Dies ist hier der Fall, denn eine sorgfaltswidrige Planung einerseits und die Nichtumsetzung von Auflagen der Genehmigungsbehörde für das zuvor geplante Projekt – die dieses sicherer machen sollten und damit bei sorgfaltsgemäßer Planung auch schon zuvor hätten Berücksichtigung finden müssen – andererseits stehen (als Ausdruck einheitlicher Verkehrssicherungsverantwortung) in einem solchen Zusammenhang.
2. Angeklagte Sorgfaltspflichtverletzungen
Ein hinreichender Verdacht hinsichtlich der mit der Anklageschrift vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen ist nach gegenwärtigem Ermittlungsstand aus tatsächlichen Gründen nicht gegeben.
a. Rechtliche Grundlagen
Den gegenüber den Angeschuldigten J , G , H und I erhobenen Anklagevorwürfen kann nach den folgenden Maßstäben strafrechtliche Relevanz inne wohnen:
aa. Grundsätze der Gefahrenverantwortlichkeit
Gemäß § 38 Abs. 1 SBauVO NRW ist der Betreiber einer Versammlungsstätte für die Sicherheit der Veranstaltung und die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich, wobei als Betreiber angesehen wird, wer rechtlich befugt und tatsächlich imstande ist, bestimmenden Einfluss auf eine Anlage auszuüben (vgl. etwa BVerwGE 90, 255,
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262). Nach § 38 Abs. 4 SBauVO NRW ist der Betreiber zur Einstellung des Betriebs verpflichtet, wenn für die Sicherheit der Versammlungsstätte notwendige Anlagen, Einrichtungen oder Vorrichtungen nicht betriebsfähig sind oder wenn Betriebsvorschriften nicht eingehalten werden können. Dabei gehört zu den umfassten Betreiberpflichten, wenn es die Veranstaltung erfordert, gemäß § 43 Abs. 1 SBauVO NRW die Aufstellung eines Sicherheitskonzepts, wobei darunter die Gesamtheit der Maßnahmen verstanden wird, die für die sichere Durchführung einer Veranstaltung notwendig und im Fall von Störungen, Unfällen oder Notfällen zu ergreifen ist (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten [Fußnote 9], 3. Aufl., § 43, S. 498 sowie 4. Aufl., § 43, S. 609). Nach § 38 Abs. 2, Abs. 5 SBauVO NRW bestehen zudem insoweit Delegierungsmöglichkeiten.
Auch im Rahmen dieser verwaltungsrechtlichen Betreiberverantwortlichkeit des § 38 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 SBauVO NRW hinsichtlich der SBauVO NRW unterfallender Versammlungsstätten [Fußnote 10] gelten indes die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu Verkehrssicherungspflichten und der damit einhergehenden – nicht aus § 38 SBauVO NRW abzuleitenden – strafrechtlichen Verantwortlichkeit; das Strafrecht kennt keine „Verantwortung des Betreibers“, vielmehr ist das persönliche, vorwerfbare, schadensursächliche oder schadensmitbegründende Fehlverhalten von natürlichen Personen maßgeblich (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 444 sowie 4. Aufl., § 38, S. 529).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (vgl. etwa BGH, NJW 2009, 240 ff.; BGHZ 103, 338, 340). Diese Sicherungspflicht wird nicht bereits durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst; da eine absolute Sicherung gegen Gefahren und Schäden nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen solchen absoluten Schutz ausgerichtet sind, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den
[Fußnote 9: Soweit auch im Folgenden die 3. Auflage und die 4. Auflage des Werks zitiert werden, berücksichtigt die 3. Auflage den im Jahr 2010 gültigen Rechtsstand auf der Grundlage der Musterversammlungsstättenverordnung (MVStättV) 2005, während die 4. Auflage bereits die MVStättV 2014 berücksichtigt
Fußnote 10: Vgl. dazu später im Einzelnen C. III. 2. a. aa..]
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Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. BGH, NJW 2009, 240 ff. – juris Rn. 16). Haftungsbegründend wirkt demgemäß die Nichtabwendung einer Gefahr erst dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. etwa BGH, NJW 2009, 240 ff. unter Verweis auf BGHR, BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 31).
Diese in der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind maßgebend auch für die Bestimmung der strafrechtlichen Anforderungen an die im Einzelfall gebotene Sorgfaltspflicht (vgl. BGH, NJW 2009, 240 ff. – juris Rn. 16; Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 444 sowie 4. Aufl., § 38, S. 529). Ausgangspunkt ist jeweils das Maß der Gefahr mit der Folge, dass die Sorgfaltsanforderungen umso höher sind, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, NJW 2009, 240 ff.; ferner zur Abhängigkeit zwischen dem Maß der Gefahr und der Sorgfaltspflicht BGHSt 37, 184, 187; 47, 224, 230 f.; Landau, Das strafrechtliche Risiko der am Bau Beteiligten, wistra 1999, 47, 49). Dabei begründet zum einen die rechtliche Verantwortlichkeit, darüber hinaus aber zum anderen regelmäßig auch die tatsächliche Übernahme eines entsprechenden Pflichtenkreises diesbezügliche Sorgfaltspflichten (vgl. BGH, NJW 2009, 240 ff. mit weiteren Nachweisen).
In Bezug auf (Groß-)Veranstaltungen kann die schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflichten für den Veranstalter bzw. für die von diesem beauftragten Personen nach den beschriebenen Grundsätzen strafrechtliche Konsequenzen haben (vgl. Funke/Müller, Eventrecht, 3. Aufl., Rn. 802). Dem Veranstalter obliegt nämlich eine Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf die Gefahren, die von seiner Veranstaltung ausgehen (vgl. BGH, NJW 1975, 533). Diese Verkehrssicherungspflicht beinhaltet eine Pflicht zum Handeln zur Gefahrenabwehr auf Grund der selbst gesetzten Gefahr und der für die Gefahrenquelle übernommenen Verantwortung (vgl. Funke/Müller, Eventrecht, 3. Aufl., Rn. 802). Diese Verantwortung trifft nicht nur den Veranstalter selbst, sondern auch die einzelne Person, die die Erfüllung der mit der Verkehrssicherungspflicht zusammenhängenden Aufgaben aufgrund rechtlicher und/oder tatsächlicher Verantwortung übernimmt (vgl. Funke/Müller, Eventrecht, 3. Aufl.,
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Rn. 802), unabhängig davon, welche formale Stellung diese Person in der Organisation des Veranstalters hat (vgl. BGH, NJW 1975, 533, 534; LG Waldshut-Tiengen, NJW 2002, 153).
Der Verkehrssicherungspflichtige ist als Garant durch (rechtliche bzw. tatsächliche) Übernahme von Gefährdungsverantwortung verpflichtet, alles Erforderliche und Zumutbare zu tun, damit Personen beim Besuch der Veranstaltung nicht zu Schaden kommen. Dies gilt sowohl für die „Normalorganisation“ – mithin für den Veranstaltungsbetrieb und den Unterhalt der baulichen, technischen Anlagen einschließlich der Planung und Durchführung von Veranstaltungen – als auch für die so genannte „Notfallorganisation“ in Form von Maßnahmen für den Eintritt von Schadensfällen in Form von plötzlich und unerwartet auftretenden Situationen, die mit dem eigentlichen „Kerngeschäft“, der Durchführung der Veranstaltung, nicht in unmittelbarer Verbindung stehen, sich jedoch massiv auf die Sicherheit der Personen in der Versammlungsstätte auswirken können (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 431, 437: z.B.: Feuer, Bombendrohung, technischer Störfall, Einbruch, Unfall, Hochwasser, Eis, Schnee, Sturm, Umweltschäden; ferner 4. Aufl., § 38, S. 534). Hierfür sind etwa Alarm-/Gefahrenabwehrpläne bzw. Ereigniskonzepte vorzusehen (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 437; 4. Aufl., § 38, S. 535).
Im Rahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen diese Grundsätze der Gefahrenverantwortlichkeit dazu, dass die in der Veranstalterorganisation in Ausfüllung ihrer rechtlichen und/oder tatsächlichen Verkehrssicherungsverantwortung handelnden oder entscheidenden natürlichen Personen – bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen – dafür auch strafrechtlich verantwortlich sein können, wenn es innerhalb ihres jeweiligen „Herrschaftsbereichs“ zu Schäden für Besucher, Mitarbeiter und Dritte kommt, soweit sich solche Auswirkungen durch die Einhaltung von baulichen, technischen und betrieblichen Vorschriften und/oder durch sonstige geeignete planerische und organisatorische Maßnahmen vermeiden lassen (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 432; 4. Aufl., § 38, S. 529). Sind dabei mehrere Personen an einer gefahrenträchtigen Maßnahme beteiligt, sind sie zudem untereinander verpflichtet, sich in zumutbarer Weise gegenseitig zu informieren und abzustimmen, um vermeidbare Risiken für Dritte auszuschalten.
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Insbesondere dann nämlich, wenn erkennbar Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind, die vor Beginn der eigentlichen gefahrträchtigen Handlung durchgeführt werden müssen, muss sich der für die Gefahrenquelle Verantwortliche im Rahmen des ihm Zumutbaren vergewissern, dass der für die notwendige Sicherung Verantwortliche seine Aufgabe erfüllt hat, und darf nicht blindlings darauf vertrauen, dass dies auch zutrifft (vgl. BGH, NJW 2009, 240 ff.).
bb. Folgen der bauaufsichtsrechtlichen Genehmigung
Die der Veranstalterin gemäß § 75 BauO NRW erteilte bauaufsichtsrechtliche Genehmigung hinsichtlich der vorgenommenen Nutzungsänderung entlastet die Angeschuldigten J , G , H und I – deren jeweilige rechtliche oder tatsächliche Übernahme einer Verkehrssicherungspflicht unterstellt [Fußnote 11] – nicht von der aus Verkehrssicherungsgrundsätzen abgeleiteten (auch strafrechtlich relevanten) Sicherheitsverantwortlichkeit in Bezug auf Leib und Leben der Veranstaltungsbesucher.
Bei den angeklagten Erfolgsdelikten der §§ 222, 229 StGB handelt es sich nicht um verwaltungsakzessorisch ausgestaltete Tatbestände, bei denen einer verwaltungsrechtlichen Genehmigung – unter Umständen – Tatbestandswirkung zukäme (vgl. zu den Anforderungen etwa BGH, NJW 2005, 2095; BGH, NJW 2000, 1732). Eine (tatbestandliche) Beachtlichkeit der behördlichen Genehmigung ergibt sich vielmehr bei Tatbeständen, etwa des Ausländer- und Umweltstrafrechts, welche – anders als die §§ 222, 229 StGB – für ein unerlaubtes und deshalb strafbares Handeln oder Unterlassen das Fehlen einer (unter Umständen auch rechtswidrigen) verwaltungsrechtlichen Erlaubnis bereits tatbestandlich vorsehen bzw. voraussetzen, weshalb zum Beispiel eine nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften wirksam erteilte Aufenthaltsgenehmigung im Rahmen des § 95 Aufenthaltsgesetz oder Gestattungsakte der Genehmigungsbehörden hinsichtlich einer wesentlichen Änderung oder des Betriebs einer kerntechnischen Anlage im Rahmen des § 327 StGB Tatbestandsausschlusswirkung entfalten (vgl. etwa BGH, NJW 2005, 2095; BGH, NJW 2000, 1732; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2011, 28 f.; LG Hanau, NJW 1988, 571).
[Fußnote 11: Vgl. dazu im Folgenden C. II. 2. a. cc..]
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Auf Rechtswidrigkeitsebene vermag indes eine behördliche Erlaubnis ein tatbestandsmäßiges Handeln nur dann möglicherweise zu rechtfertigen, wenn das beeinträchtigte Rechtsgut zur Verfügung der öffentlichen Gewalt steht; Leib und Leben stehen jedoch nicht zur Disposition des Staates (vgl. OLG Düsseldorf, 3 Ws 649/02, OLGSt § 222 Nr. 10; Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff., Rn. 63c). Den Verwaltungsbehörden fehlt es insoweit bereits an einer Dispositionsbefugnis über die betroffenen Individualrechtsgüter, zumal es auch an einer hinreichend konkreten Ermächtigungsgrundlage zur Gestattung von Grundrechtseingriffen bei den Drittbetroffenen fehlt (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff., Rn. 63c).
Im vorliegenden Fall erfolgte die Erteilung der maßgeblichen bauaufsichtlichen Genehmigung zudem zeitlich nach der den Angeschuldigten J , G , H und I vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzung in Form eines sicherheitsrelevanten, erfolgsursächlichen Planungsfehlers; eine Legalisierungswirkung einer (nachträglichen) Genehmigung hinsichtlich eines pflichtwidrigen Planungsvorverhaltens ist indes nicht zu begründen, vielmehr vermag eine Tätigkeit nur dann kein Anknüpfungspunkt mehr für strafrechtliche Sanktionen zu sein, wenn diese Tätigkeit von einer (insoweit dispositionsbefugten) Verwaltungsbehörde zuvor genehmigt worden war (vgl. Hundt, Die Wirkungsweise der öffentlich-rechtlichen Genehmigung im Strafrecht, 1993, S. 1).
Hinsichtlich der Verletzung von Individualrechtsgütern soll eine Rechtfertigungswirkung überdies nach herrschender Ansicht nur für – hier nicht vorliegende – geringfügige Individualrechtsgutsbeeinträchtigungen gelten können; ferner kann von der Nichtigkeit einer verwaltungsrechtlichen Genehmigung ausgegangen werden, wenn – was bei Zutreffen des Anklagevorwurfs im Raum steht – ihre Inanspruchnahme (offensichtlich) zu einer konkreten Gefahr des Todes oder von schweren Körperverletzungen anderer Personen führen würde (vgl. Hundt, Die Wirkungsweise der öffentlich-rechtlichen Genehmigung im Strafrecht, 1993, S. 121, 164 f., 167 mit weiteren Nachweisen).
Die auf den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflichtigkeit beruhende (strafrechtlich relevante) Planungsverantwortlichkeit kann ferner über das in öffentlich-
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rechtlichen Vorschriften bestimmte Maß hinaus gehen [Fußnote 12], womit bereits auch keine Übereinstimmung zwischen Genehmigungsbefugnis und Genehmigungsgegenstand anzunehmen ist und auch insoweit keine Dispositionsbefugnis der genehmigenden Stelle besteht. Ein Fall möglicher Verwaltungsrechts- bzw. Verwaltungsaktsakzessorietät liegt mithin nicht vor (vgl. zu den Begrifflichkeiten Hundt, Die Wirkungsweise der öffentlich-rechtlichen Genehmigung im Strafrecht, 1993, S. 19 f.)
Erst recht gilt dies für die – ohnehin nicht den Genehmigungsgegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung darstellende – vorgeworfene planwidrige Durchführung der Veranstaltung, soweit, wie weiter vorgeworfen, am Veranstaltungstag von der Planung in verkehrsgefährdender Art und Weise (durch zusätzliche Verengung der Rampe Ost) abgewichen wird.
Soweit schließlich in der von den Verteidigern d Angeschuldigten I (vgl. Bl. 44247, 44252 HA) aufgegriffenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.03.1975 (4 StR 28/75 = JurionRS 1975, 11938) für den Fall der Emission giftiger Dämpfe durch den genehmigten Betrieb einer Industrieanlage – allgemein – ausgeführt wird, dass auf Ebene der Rechtswidrigkeit auf Grund zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlicher Vorschriften erlaubten Verhaltens die Rechtswidrigkeit eines tatbestandmäßigen Verhaltens gemäß §§ 223, 232, 47 StGB (a.F.) entfallen könne, ist die Fallkonstellation mit der vorliegenden bereits deshalb nicht vergleichbar, weil es dort nach den getroffenen Feststellungen nicht um den Vorwurf des Erstellens und Einreichens einer fahrlässig fehlerhaften – Leib und Leben gefährdenden – (Bau-)Planung ging, es überdies technisch nicht möglich war, die für die konkreten Verletzungen ursächlichen Weichmacherdämpfe bei Betrieb der Anlage zu beseitigen und die Angeklagten zudem zu einer Einstellung des Betriebes nicht befugt waren, weshalb ausnahmsweise auch eine (gesetzliche) Duldungspflicht der Betroffenen hinsichtlich des genehmigten Betriebs der Anlage bestehen konnte. Weder bestehen aber vorliegend entsprechende (gesetzliche) Duldungspflichten der betroffenen Veranstaltungsbesucher, noch war eine anderweitige als die vorgeworfene Planung durch die Angeschuldigten (technisch) unmöglich. Schließlich lässt aber auch der Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung offen, ob eine behördliche Genehmigung in
[Fußnote 12: Vgl. sogleich C. II. 2. a. dd. (2) (d).]
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dem konkret betroffenen (zudem nicht vergleichbaren) Fall die Rechtswidrigkeit überhaupt entfallen lassen könnte.
cc. Verkehrssicherungspflichtigkeit
Da die von der Anklage angenommene konkrete Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Planung und Ausführung des Ein- und Ausgangssystems der Veranstaltungsstätte nicht feststeht, [Fußnote 13] kann dahin stehen, inwieweit die Angeschuldigten J , G , H und I überhaupt jeweils nach den beschriebenen Grundsätzen für die Sicherheit des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte aus rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen (verkehrssicherungs-)verantwortlich waren, ihnen mithin jeweils entweder aufgrund rechtlicher Verpflichtung und/oder aufgrund tatsächlichen Verhaltens eigenverantwortlich die Gewährleistung der Sicherheit der Veranstaltung, einschließlich des die Anklagevorwürfe betreffenden Aspektes der Personenstrombewältigung im Ein- und Ausgangssystem der Versammlungsstätte, nach den beschriebenen Grundsätzen oblag.
Hinsichtlich d Angeschuldigten J , den die Anklage als den für die „Gesamtleitung verantwortlichen Mitarbeiter der M GmbH“ und daher auch Sicherheitsverantwortlichen betrachtet (vgl. S. 548 f. der Anklageschrift, Bl. 36912 f. HA), wäre etwa zu beachten, dass sich die Gesamtverantwortung für Fragen der Sicherheit nicht pauschal von der Geschäftsführung einer Betreibergesellschaft auf einzelne Mitarbeiter oder Sonderfunktionsträger delegieren lässt (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 432; 4. Aufl., § 38, S. 529). Aufgrund des Zusammenwirkens einer Vielzahl von Mitarbeitern und externen Hilfskräften entsteht an den Schnittstellen etwa zwischen interner Projektleitung, Veranstaltungsservice, technischem Service sowie den eingesetzten Sicherheitskräften und Ordnerdiensten vielmehr weitreichender organisatorischer Regelungsbedarf, wobei es Aufgabe der Geschäftsführung der Betreibergesellschaft ist, eindeutig und widerspruchsfrei festzulegen, welche Aufgaben und Befugnisse die einzelnen Funktionsträger im Rahmen der Planung, der Aufbauphase, der Abnahme und der Veranstaltungsdurchführung haben und auf welche Weise sie „ablauforganisatorisch“ zusammenwirken (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten,
[Fußnote 13: Vgl. dazu sogleich C. II. 2. a. dd. (2).]
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3. Aufl., § 38, S. 432; 4. Aufl., § 38, S. 529). Die Geschäftsführung trägt hierfür die primäre (unter Umständen dann auch strafrechtlich relevante) Organisationsverantwortung und muss sich (im Falle entsprechender eindeutiger und widerspruchsfreier Festlegungen), um – neben den mit Sicherheitsfragen rechtlich wie tatsächlich eigenverantwortlich befassten Personen – selbst ihrer Gesamtverantwortung auch aus Sicht des Strafrechts angemessen gerecht zu werden, von der Wirksamkeit der getroffenen Festlegungen regelmäßig zumindest stichprobenartig überzeugen (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 432; 4. Aufl., § 38, S. 529). Erfolgt hingegen keine entsprechend eindeutige und widerspruchsfreie Festlegung, bleibt es bei einer Verantwortung auf Geschäftsführungsebene (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 432; 4. Aufl., § 38, S. 530).
Soweit die Anklage überdies bezüglich der Angeschuldigten H und G deren Verkehrssicherungsverantwortlichkeit im Hinblick auf die Personensicherheit bei der Besucherführung im Ein- und Ausgangssystem aus § 40 Abs. 1 SBauVO i.V.m. Ziff. 4.4 der „DIN 15750:205-08“ (gemeint: DIN 15750:2005-08) als „technischer Leiter“ (Angeschuldigter H , vgl. S. 532 f. der Anklageschrift, Bl. 36896 f. HA) bzw. aus der Betreiberverantwortlichkeit des § 38 Abs. 1, Abs. 4 SBauVO NRW als „Produktionsleiter“ (Angeschuldigt G , vgl. S. 539 f. der Anklageschrift, Bl. 36903 f. HA) herleitet, erscheint zweifelhaft, ob diese angeführten normativen Vorgaben überhaupt jeweils einen entsprechenden Pflichtenkreis der Angeschuldigten begründen. So enthalten zum einen weder § 40 SBauVO NRW noch die DIN 15750:2005-08 konkrete Vorgaben zu Aspekten der Besucherstromsteuerung, insbesondere keine Vorgaben zur zu beachtenden Durchflusskapazität. [Fußnote 14] Zum anderen bleibt unklar, inwieweit aus der Stellung als Produktionsleiter die (ohnehin öffentlich-rechtliche [Fußnote 15]) Betreiberverantwortlichkeit des § 38 SBauVO NRW hergeleitet werden soll. Als Betreiber wird nämlich diejenige natürliche oder juristische Person angesehen, die rechtlich befugt und tatsächlich imstande ist, bestimmenden Einfluss auf eine Anlage auszuüben, was zunächst diejenigen Organisationen sind, die als Eigentümer, Pächter, Mieter oder Betriebsführer/Betreibergesellschaft – hier die M GmbH, ver-
[Fußnote 14: Vgl. später C. II. 2. a. dd. (2).
Fußnote 15: Vgl. oben C. II. 2. a. aa..]
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treten durch ihre Geschäftsführung – zur Durchführung von Veranstaltungen berechtigt und zum Unterhalt der Versammlungsstätte verpflichtet sind (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 38, S. 432; 4. Aufl., § 38, S. 526), wobei nach dem Ermittlungsergebnis nicht ersichtlich ist, inwieweit dies auf d Angeschuldigte G als Produktionsleiter zutreffen soll.
Soweit die Anklage (S. 8 der Anklageschrift, Bl. 36372 HA) ausführt, d Angeschuldigte G habe „unter Mitwirkung der Angeschuldigten J , H und I “ eine Besucherprognose erstellt, „welche neben einer tabellarischen Aufstellung der erwarteten Besucherzahlen eine Beschreibung des Zu- und Abstromverhaltens und der Verweildauer der Veranstaltungsbesucher (teilweise auch als Bewegungsmodell bezeichnet) beinhaltete“, bleibt unklar, auf welches Planungsdokument insoweit Bezug genommen werden soll und wer dieses zu welchem Zeitpunkt konkret in welcher Form anfertigte. Abweichend – indes ebenfalls unklar hinsichtlich der einzelnen vorgeworfenen Handlungen der Angeschuldigten J , G , H und I – heißt es auf S. 7 der Anklageschrift, Bl. 36371 HA: „Auch in die Erstellung (…) einer Besucherprognose waren die Angeschuldigten G , J , H und I in jeweils entscheidender Funktion eingebunden. Sie tauschten sich fortwährend untereinander in Grundsatzfragen, etwa hinsichtlich der Besucherführung, aus.“. Auf S. 11 f., 15 der Anklageschrift, Bl. 36375 f., 36379 HA, wird dagegen von den „von der M GmbH prognostizierten Besucherströme(n)“ sowie der „Besucherprognose der M GmbH“ ausgegangen. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird eine Beteiligung d Angeschuldigten I an der Erstellung einer Besucherprognose im Abschnitt „cc) Besucherprognose“ (S. 102 ff. der Anklageschrift, Bl. 36466 ff. HA) über den Erhalt einer E-Mail d Angeschuldigten G hinaus (S. 107 der Anklageschrift, Bl. 36471 HA) nicht begründet. D Angeschuldigte H soll bei der Modifizierung einer Entwurfsfassung „einbezogen“ worden sein (S. 106 der Anklageschrift, Bl. 36470 HA) sowie eine E-Mail mit Änderungsbedarfsangaben hinsichtlich des Tunnelbereichs erhalten haben (S. 107 der Anklageschrift, Bl. 36471 HA). Hinsichtlich der maßgeblichen tabellarischen Prognoseangaben, die offensichtlich auch auf S. 8 der Anklageschrift, Bl. 36372 HA, in Bezug genommen sein sollen, heißt es sodann nunmehr gänzlich ohne Erwähnung einer Beteiligung der Angeschuldigten J , H und I (Hervorhebungen durch die Kammer):
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„Auf Basis dieser schriftlichen Ausführungen erarbeitete d Angeschuldigte G in Absprache mit dem Zeugen E eine tabellarische Darstellung der erwarteten Besucherzahlen sowie des Zu- und Abstromverhaltens der Loveparade-Besucher. (…) Diese Tabelle war auch Gegenstand der von der M GmbH in Auftrag gegebenen Entfluchtungsanalyse der T GmbH vom 13. Juli 2010. Sie wurde den Mitarbeitern des Amtes für Baurecht und Bauberatung vor dem 20. Juli 2010 übersandt und ist Gegenstand der Genehmigung vom 23. Juli 2010.“ (S. 110 f. der Anklageschrift, Bl. 36474 f. HA)
„Die durch d Angeschuldigten G erstellte Besucherprognose wurde durch den Ständigen Stab des Polizeipräsidiums mit der Bitte um Bewertung an das Polizeipräsidium Dortmund weitergeleitet.“ (S. 111 der Anklageschrift, Bl. 36475 HA)
Schließlich ist nicht erkennbar, wie die Anklageschrift – jedenfalls ohne auf dahingehende sachverständige Ausführungen zurückgreifen zu können – rechtfertigt, dass die Angeschuldigten J , G , H und I – so denn jeweils rechtlich und/oder tatsächlich für die den Anklagevorwurf betreffende Sicherheitsplanung verantwortlich – über die öffentlich-rechtlichen Vorgaben hinaus auch den „Stand der Technik“ bzw. die „wissenschaftlich anerkannten Erkenntnisse“ zu berücksichtigen hätten, während der nach dem Anklagevorwurf für sämtliche Angeschuldigte (auch für die Angeschuldigten D , F , E , C , B und A ) herangezogene und vermeintlich verletzte § 3 Abs. 1 (S. 2) BauO NRW ausdrücklich (lediglich) die (sicherheitsrelevanten) allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Prüfungsmaßstab der einzuhaltenden Bausicherheit erhebt (vgl. S. 533 der Anklageschrift, Bl. 36897 HA für d Angeschuldigte H , S. 539 der Anklageschrift, Bl. 36903 HA für d Angeschuldigte G , S. 545 der Anklageschrift, Bl. 36909 HA für den Angeschuldigten I , S. 551 der Anklageschrift, Bl. 36915 HA für d Angeschuldigte J ).[Fußnote 16]
dd. Sorgfaltspflichtverletzung im Planungszeitraum
Auf der Grundlage des vorliegenden Ermittlungsergebnisses scheidet zum einen – eine Verkehrssicherungspflichtigkeit der Angeschuldigten J , G , H und
[Fußnote 16: Vgl. im Einzelnen sogleich C. II. 2. a. dd. (2) (c).]
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I jeweils unterstellt – eine Bestimmung des konkreten Maßes der Sorgfaltspflicht der Angeschuldigten im Hinblick auf eine zu beachtende Durchfluss-/Durch-gangskapazität von Wegen des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte aus (im Folgenden (1) und (2)). Zum anderen fehlt es an der erforderlichen Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzung (im Folgenden (3)).
(1) Pflichten in Bezug auf das Ein- und Ausgangssystem
Zu den Pflichten der nach den beschriebenen Grundsätzen verkehrssicherungspflichtigen Personen gehört grundsätzlich auch die den Anklagevorwürfen (im Ergebnis) zugrunde liegende zunächst generelle Pflichtenanforderung, im Vorfeld der Veranstaltung eine sorgfältige (risikominimierende) Planung im Hinblick auf die erwarteten Besucherströme vorzunehmen und dabei zu prüfen, ob die erwarteten Besucherströme zu jedem Zeitpunkt im Veranstaltungsablauf sicher auf das und von dem Gelände geführt werden können. Auch der Zu- und Abgang zu/von einer Veranstaltung unterliegt nämlich der Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters bzw. des sicherheitsverantwortlichen Personals nach den beschriebenen Grundsätzen (vgl. etwa BGH, NJW 1990, 905; OLG Sachsen-Anhalt, NJW-RR 2014, 202; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 26; OLG Köln, NJW-RR 2003, 85). Insbesondere gilt dies für Gefahren, die aus der Leitung des Besucherstroms resultieren können (BGH, NJW 1990, 905). Die bauliche Gestaltung der für Zuschauer vorgesehenen Ein- und Ausgänge muss dabei nicht nur den allgemeinen Anforderungen an einen möglichst gefahrlosen baulichen Zustand genügen, vielmehr sind insoweit schon angesichts des oft erheblichen Besucheraufkommens und des damit verbundenen besonderen Gefahrenpotentials im Allgemeinen strengere Maßstäbe an die Verkehrssicherung anzulegen, insbesondere im Vergleich zu den bei privat genutzten Gebäuden erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 26).
(2) Konkretes Maß der Sorgfaltspflicht
Nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis steht jedoch die konkret hinsichtlich der Wegeführung des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte angenommene Sorgfaltspflicht (planerische Beachtung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute) aus den folgenden Gründen nicht fest:
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Das konkrete Maß der bestehenden Verkehrssicherungspflichten ist zunächst weder durch öffentlich-rechtliche, insbesondere bauordnungsrechtliche Bestimmungen (vgl. OLG Köln, VersR 1992, 512), noch durch DIN-Normen oder andere technische Regelungen (vgl. z.B. BGH, NJW 2004, 1449, 1450; BGH, NJW 1984, 801) abschließend geregelt. Dies gilt hinsichtlich der Bestimmung der bestehenden Sorgfaltspflichten der verkehrssicherungspflichtigen Personen sowohl für die zivilrechtliche als auch für die strafrechtliche Verantwortlichkeit (vgl. BGH, NJW 2009, 240).
Indes spiegeln insbesondere DIN-Normen – auch wenn es sich bei diesen nicht um mit Drittwirkung versehene Normen im Sinne hoheitlicher Rechtssetzung, sondern um auf freiwillige Anwendung ausgerichtete Empfehlungen des „DIN Deutschen Instituts für Normung e.V." handelt (vgl. BGH, NJW 2004, 1449) – den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider und sind somit zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen in besonderer Weise geeignet (vgl. BGH, NJW 2004, 1449 mit weiteren Nachweisen). Anerkannt ist jedoch auch, dass Bestimmungen wie Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften oder DIN-Normen im Allgemeinen keine abschließenden Verhaltensanforderungen gegenüber den Schutzgütern enthalten (vgl. BGH, NJW 2004, 1449; BGH, NJW 1984, 801; OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.07.2015, 4 U 804/15 - Juris). Ferner können DIN-Normen hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben, weil die technische Entwicklung und wissenschaftliche Erkenntnis in einem ständigen Wandel begriffen sind; ob es sich so verhält, kann zuverlässig nur durch Einholung eines sich damit auseinandersetzenden Sachverständigengutachtens geklärt werden (vgl. BGH, NJW 2013, 2271, 2271 f. mit weiteren Nachweisen).
Vorliegend ergibt sich weder aus den (sonder-)bauordnungsrechtlichen Vorgaben der SBauVO NRW (dazu (a)) noch aus den im Tatzeitraum (im Jahr 2010) geltenden einschlägigen – § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW konkretisierenden – DIN-Normen (dazu (b)) die dem Anklagevorwurf gegenüber den Angeschuldigten J , G , H und I zugrunde liegende Sorgfaltspflicht zur Beachtung einer maximalen Durchfluss- bzw. Durchgangskapazität von 82 Personen/Meter/Minute bei (Durchgangs-)Wegen des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte. Die Herleitung in der Anklage als für die veranstaltungsbauliche (Sicherheits-)Planung im
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Rahmen des § 3 Abs. 1 BauO NRW zu beachtender „wissenschaftlich anerkannter Höchstwert“ geht fehl, denn § 3 Abs. 1 BauO NRW erhebt die hiervon zu unterscheidenden allgemein anerkannten Regeln der Technik zum zu beachtenden Sorgfaltsmaßstab (dazu (c)). Schließlich ist nicht ersichtlich, ob und inwiefern – unabhängig von einer fehlenden dahingehenden normativen Vorgabe zum relevanten Zeitpunkt im Jahr 2010 – die konkret angeklagte Sorgfaltspflicht tatsächlich anzunehmen ist (dazu (d)).
(a) Sonderbauverordnung NRW
Die SBauVO NRW enthält – nach derzeitigem wie damaligem Stand im Jahre 2010 – keine spezifische Regelung hinsichtlich der Anforderungen an die personenstrombezogene Eignung des Ein- und Ausgangssystems einer Versammlungsstätte, so gerade auch nicht unter Kapazitäts-/Durchflussgesichtspunkten der Zu-/Abgangswege. Insbesondere enthält die SBauVO NRW keine Vorgabe der notwendigen Prüfung der schmalsten oder einer sonstigen Stelle der Wegeführung des Ein- und Ausgangssystems einer Versammlungsstätte unter Durchflussgesichtspunkten durch rechnerische Überprüfung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute.
Soweit die Anklage in den rechtlichen Ausführungen die Herleitung eines Wertes von 83,3 Personen/Meter/Minute (und gerade nicht 82 Personen/Meter/Minute) als allgemein bestehende Durchfluss- bzw. Durchgangskapazitätsvorgabe für Zu-/Ab-gangswege der Ein- und Ausgangssysteme von Versammlungsstätten (im Freien) auf § 7 Abs. 4 SBauVO NRW gründet (vgl. S. 489 der Anklageschrift, Bl. 36853 HA), ist dies rechtsfehlerhaft, da sich § 7 Abs. 4 SBauVO NRW zum einen ausschließlich auf (Ausgangs-)Breiten von Rettungswegen zu Entfluchtungszwecken, nicht aber darüber hinaus auf den Personendurchsatz von Durchgangswegen der (regulären) Ein- und Ausgangssysteme einer Versammlungsstätte bezieht (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 7, S. 207; 4. Aufl., § 7, S. 219). Schutzziel der Bestimmung ist nämlich eine möglichst sichere und schnelle Räumung im Gefahrenfall über die vorhandenen Rettungswege, nicht aber die – den Anklagevorwurf betreffende – Personenstromsteuerung im (regulären) Betrieb des Ein- und Ausgangssystems einer Versammlungsstätte (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 7, S. 199; 4. Aufl., § 7, S. 230 f.).
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Zum anderen liegt der Vorschrift des § 7 Abs. 4 SBauVO NRW – unabhängig von dem hier ohnehin vorliegenden behördlichen Dispens von der erforderlichen Rettungswegbreite sowie der nicht belegten Rettungswegeigenschaft der Rampe Ost [Fußnote 17]– gerade eine abstrakte Betrachtungsweise zugrunde, aus der eine konkrete (Räumungs-)Zeitberechnung nicht abgeleitet werden darf (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 7, S. 207; 4. Aufl., § 7, S. 219).
(b) DIN-Normen (§ 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW)
Auch unter dem Gesichtspunkt einer durch DIN-Normen abgebildeten allgemein anerkannten Regel der Technik im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW ergibt sich die in der Anklage behauptete konkrete Sorgfaltspflicht nicht.
(aa) Anwendbarkeit von § 3 BauO NRW
Die an die Musterversammlungsstättenverordnung (MVStättV) angelehnte SBauVO NRW stellt in Ausfüllung der Ermächtigungsgrundlage des § 85 BauO NRW zunächst keine in sich abgeschlossene Regelung dar; vielmehr gelten für Tatbestände, für die die SBauVO NRW keine speziellen – erleichternden oder erschwerenden – Regelungen enthält, unverändert die Vorschriften der BauO NRW fort, mithin gerade auch die Vorgaben des § 3 BauO NRW (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., Einführung, S. 80; 4. Aufl., Einführung, S. 26). Soweit das von den Verteidigern d Angeschuldigten C vorgelegte Gutachten des Rechtsanwalts Dr. S („Baurechtliche Beurteilung der Loveparade 2010 in Duisburg vom 06.02.2015“, Bl. 43406 ff. HA, im Folgenden: Gutachten Dr. ) die Anwendbarkeit des § 3 BauO NRW anzweifelt und auf verdrängende Spezialvorschriften verweist, gilt dies auch nach den dortigen Ausführungen nur insoweit, als eine abschließende Regelung in der SBauVO NRW vorhanden ist; jedenfalls bleibt aber – wie auch die dort vorgenommene Verweisung auf den Kommentar Schönenbroich/Kamp (vgl. Bl. 43484 HA, dort auf Kraack, in: Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 2012, § 54 Rn. 23) zeigt – die Möglichkeit besonderer Anforderungen über § 3 BauO NRW im Baugenehmigungsverfahren für den Fall gegenüber der SBauVO NRW atypischer Fälle bei im Einzelfall bestehenden Gefahren erhalten (vgl. Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 2012, § 54 Rn. 23). Um einen solchen atypischen Fall handelte es sich hier aber jedenfalls, da Ein- und Ausgangssysteme einer Versammlungsstätte im
[Fußnote 17: Vgl. später C. II. 2. a. ee. (1) (a).]
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Freien über mehrere 100 Meter Länge (Vereinzelungsanlage/Tunnel/Rampe Ost bis zum Beginn der Szenefläche/Floatstrecke am oberen Ende der Rampe Ost/Rampe West) nicht der Vorstellung des Verordnungsgebers der vorwiegend für große Mehrzweckhallen sowie Sportstätten (mit Ein- und Auslasstoren) konzipierten Regelungen für Versammlungsstätten mit mehr als 1.000 oder sogar 5.000 Besucherplätzen entsprechen und in das Regelungskonzept der SBauVO NRW nicht als Regelfall aufgenommen sind (vgl. Begründung und Erläuterung zur Versammlungsstättenverordnung NRW (VStättVO NRW), Fassung 14.11.2006, unter 1., Seite 2). [Fußnote 18]
(bb) Durchfluss- bzw. Durchgangskapazität von (Durchgangs-)Wegen des Ein- und Ausgangssystems
Soweit § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW darauf verweist, dass die entsprechenden allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten sind, fehlt es bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2010 an einer entsprechenden Vorgabe der durch die Anklageschrift in Bezug genommenen Maximaldurchfluss- bzw. Maximaldurchgangskapazität von (Durchgangs-)Wegen von Ein- und Ausgangssystemen durch DIN-Normen.
Die zu diesem Zeitpunkt bestehenden einschlägigen Regelungen, die durch die Staatsanwaltschaft erstmals in der Stellungnahme vom 14.09.2015 erwähnte und zur Akte gereichte DIN-Norm Zuschaueranlagen Teil 1: Kriterien für die räumliche Anordnung von Zuschauerplätzen – Anforderungen (DIN EN 13200-1:2003), welche mittlerweile durch die Fassung DIN EN 13200-1:2012 ersetzt wurde, sowie die (noch geltende) DIN-Norm Zuschaueranlagen Teil 3: Abschrankungen – Anforderungen (DIN EN 13200-3:2005), die sich beide gemäß ihrer Ziffer 1 (Anwendungsbereich) jeweils auch auf provisorische – nicht ortsfeste – Veranstaltungsorte im Freien (wie denjenigen der Loveparade 2010) beziehen, enthalten nämlich keine konkreten Vorgaben zur Frage der Durchfluss- bzw. Durchgangskapazität von (Durchgangs-)We-gen von Ein- und Ausgangssystemen von Versammlungsstätten.
[Fußnote 18: Vgl. später C. III. 2. a. aa. (2).]
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(α) DIN EN 13200-1:2003
Die DIN EN 13200-1:2003 enthält keine Vorgaben zur Durchfluss- bzw. Durchgangskapazität von (Duchgangs-)Wegen des Ein- und Ausgangssystems.
Vielmehr bezieht Ziffer 3.14 der DIN EN 13200-1:2003 den dort allein verwendeten Begriff der Durchlasskapazität ausschließlich auf „Zu- oder Ausgangsbreiten“ von „Öffnungen“, nicht aber von Wegen.
Dort heißt es nämlich:
„Durchlasskapazität: Zuschauerzahl, die in einer festgelegten Zeit sicher eine vorgegebene lichte Zu- oder Ausgangsbreite einer Öffnung passieren kann.“
Dies beinhaltet – da auf Öffnungen abstellend – keine Vorgabe für (Durchgangs-) Wege des Ein- und Ausgangssystems.
Auch der durch die Staatsanwaltschaft Duisburg in der Stellungnahme vom 14.09.2015 (Bl. 45205 HA, dort fehlerhaft als Vorgänger-DIN-Norm angenommene) herangezogene Normentwurf aus dem Jahre 1998 (prEN 13200-1:1998) versteht den Begriff des Ausgangs in Ziffer 3.13 ausdrücklich als „einzelnen Durchgang, durch den die Zuschauer den Zuschauerbereich betreten oder verlassen können“, nicht aber auch als vom Eingang wegführenden bzw. zum Ausgang hinführenden (Durchgangs-)Weg, was auch das entsprechende dortige Bild 9 (vgl. S. 18 des Normentwurfs) sowie die die jeweiligen Eingangs- und Ausgangsbereiche umfassende Be-griffsdefinition in Ziffer 3.3 des Entwurfs zum Zuschauerbereich verdeutlichen.
Ziffer 3.14 der DIN EN 13200-1:2003 enthält zudem keine konkrete normative Vorgabe für die festzulegenden (Durchgangs-)Zeiten oder (Durchgangs-)Breiten von Wegen der (regulären) Ein- und Ausgangsysteme von Versammlungsstätten.
Überdies ist nach Ziffer 8 der DIN EN 13200-1:2003 [Fußnote 19] die im Sinne der Ziffer 3.14 zu verstehende Durchlasskapazität der Ausgänge lediglich als Prüfungspunkt für den
[Fußnote 19: Nunmehr Ziffer 7 DIN EN 13200-1:2012 bzw. der dortige Anhang E.]
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(durch die Anklage nicht in Bezug genommenen) Fall der (Gesamt-)Evakuierung des Zuschauerbereichs zu beachten. Nach der Anmerkung zu Ziffer 8 können hierfür, soweit keine nationale Gesetzgebung existiert, die in Anhang E (informativ) festgelegten Werte angewendet werden, wobei Anhang E ebenfalls im Zusammenhang mit der (Gesamt-)Evakuierung im Notfall und bezogen auf (Rettungsweg-)Aus-gangsbreiten ausführt (Hervorhebungen durch die Kammer):
„(…)
- Bemessung von Rettungswegen:
Die Mindestbreite eines Ausgangs eines Zuschauerbereichs muss 1,20 m betragen.
- Durchlasskapazität
1) Auf einer ebenen Fläche können 100 Menschen einen Ausgang dieser Breite in 1 min angemessen passieren. (…)“
Damit betreffen die Vorgaben aber gerade nicht die Durchfluss- bzw. Durchgangskapazität von (Durchgangs-)Wegen des Eingangs- und Ausgangssystems, sondern die Breite von (Rettungsweg-)Ausgängen im (Gesamt-)Evakuierungsfall.
Überdies erlaubt schließlich Anhang E ausdrücklich eine Abweichung von diesen Werten innerhalb einer Risikobeurteilung und stellt damit den rechnerisch sich ergebenden Wert von 83,33 Personen/Meter/Minute (und nicht 82 Personen/Meter/Minute) – im Gegensatz zur Anklageschrift, die überdies den Wert von 82 Personen/Meter/Minute als wissenschaftlich anerkannten Höchstwert bezeichnet, [Fußnote 20] der zwingend zu beachten sei (vgl. S. 9 Anklageschrift, Bl. 36373 HA) – gerade nicht als „zwingend zu beachtenden Höchstwert“ auf.
Soweit die Kammer im Zwischenverfahren Prof. Dr. T um Auskunft über etwaige, durch ihn berücksichtigte nationale (DIN-)Normen gebeten hat, hat dieser ausgeführt, dass es „keine spezifischen Anweisungen bezüglich der Bestimmungen des deutschen Rechts“ gegeben habe und er beauftragt worden sei, „die zur Verfügung ge-
[Fußnote 20: Den Wert von 83,3 Personen/Meter/Minute nennt die Anklage lediglich auf S. 489 der Anklage, Bl. 36853 HA, als aus der SBauVO NRW herzuleitenden Wert für Entfluchtungssituationen.]
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stellten Informationen innerhalb der Grenzen seines Fachgebiets zu prüfen“ (Bl. 44732 HA). [Fußnote 21] Jedenfalls nimmt Prof. Dr. T inhaltlich lediglich auf eine die britische Umsetzung der einheitlichen Europäischen Norm EN 13200-1:2003 auszugsweise abbildende Sekundärquelle aus dem Jahr 2008 zur Sicherheitsplanung von Sportstätten Bezug („Green Guide – Leitlinie zur Sicherheit an Sportstätten“ [Fußnote 22]).
Indes fügt die durch Prof. Dr. T verwendete Sekundärquelle („Green Guide“) dem Original der britischen Norm den dort fehlenden – rechnerisch fehlgehenden – Klammerzusatz „(equal to 82 spectators per metre width per minute)“ (entspricht 82 Zuschauern pro Meter Breite pro Minute) hinzu. Tatsächlich ergibt sich – wie auch Prof. Dr. T zuletzt in seinen Antworten vom 26.06.2015 gegenüber der Kammer einräumt (Bl. 44733 HA) – aus den Empfehlungen im Annex E ein abweichender Durchlasskapazitätswert von 83,33 Zuschauern/Meter/Minute, welchen indes weder Prof. Dr. T seinen inhaltlichen Betrachtungen noch die Staatsanwaltschaft der Anklage als „wissenschaftlich anerkannten – und im Rahmen der Planung zwingend zu beachtenden – Höchstwert“ (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA) zugrunde gelegt hat.
Im Übrigen enthält zunächst auch der in der Sekundärquelle referierte Bezug auf den britischen Standard lediglich einen Verweis auf den informativen Anhang der britischen Norm BS EN 13200-1:2003, welche hiernach ebenfalls lediglich eine entsprechende „empfohlene Durchgangsrate“ für Ausgänge beinhaltet (vgl. Bl. 44732 HA), hingegen keine (zwingenden) konkreten Vorgaben für die Durchgangskapazität von (Durchgangs-)Wegen des Ein- und Ausgangssystems. Überdies geht Ziffer 10.5 des „Green Guide“ zum einen von einer Berechnung der Maximalkapazität von Ausgängen unter Beachtung verschiedener Faktoren (z.B. dem konkreten Zuschauerprofil sowie den örtlichen Gegebenheiten) aus. Zum anderen verweist Ziffer 10.5 des „Green Guide“ (5. Auflage) darauf, dass in der Vorauflage des „Green Guide“ (4. Auflage 1997) bis zum Jahr 2008 – mithin noch mehrere Jahre nach Veröffentlichung der Europäischen Norm EN 13200-1:2003 – sogar (außer für Treppenbereiche) ein
[Fußnote 21: Vgl. hierzu auch C. II. 2. b. cc. (4) (e).
Fußnote 22: Vgl. http://www.t......pdf.]
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Durchflussmaximalwert von 109 Personen/Meter/Minute als Empfehlung verwendet wurde.
In dem (durch Prof. Dr. T in seiner Antwort nicht angeführten) maßgeblichen normativen Teil der britischen Norm (BS EN 13200-1:2003) verweist schließlich Ziffer 8 und der entsprechende dortige Anwendungsvermerk darauf, dass der Faktor der Durchlasskapazität (lediglich) für den Fall der Evakuierung von Zuschauerbereichen unter Anwendung des (informativen) Annex E bestimmt werden kann. Überdies erlaubt auch hier Annex E eine Abweichung von den sich daraus ergebenden Werten (83,3 Zuschauer/Meter/Minute) aufgrund einer Risikobeurteilung, stellt mithin gerade keinen „zwingend zu beachtenden Höchstwert“ auf.
(β) DIN EN 13200-3:2005
Daneben befasst sich Ziffer 5.8.2 der DIN EN 13200-3:2005 unter dem Gliederungspunkt „5.8 Zugänge und Drehkreuze“ mit dem Erfordernis der Besucherstromerfassung für sämtliche Sektionen von Zuschaueranlagen (Hervorhebung durch die Kammer):
„Beim Betreten sämtlicher Sektionen der Zuschaueranlagen (…) müssen die Zuschauer zum Zeitpunkt ihres Zugangs genau gezählt werden, und ihre Anzahl muss geregelt werden um sicherzustellen, dass es nicht zu Überfüllung kommt und dass das sichere Fassungsvermögen nicht überschritten wird.“
Fassungsvermögen ist dabei nach Ziffer 3.12 der DIN EN 13200-1:2003 (bzw. nunmehr Ziffer 3.14 der DIN EN 13200-1:2012) die Gesamtzahl der Zuschauer, für die eine Zuschaueranlage oder aber auch ein Teil davon (Block oder Sektor) ausgelegt ist. Dementsprechend erachtet die DIN EN 13200-3:2005 die Einhaltung des sektionsspezifisch zu betrachtenden, sicheren Fassungsvermögens und die Vermeidung von Überfüllungssituationen durch Zuschauerzählung und Anzahlregelungsmaßnahmen grundsätzlich als zum Regelstand der Technik gehörig.
Jedoch enthält die DIN-Norm zum einen keine konkreten Vorgaben dazu, welche konkreten Maßnahmen zur Regelung der Zuschaueranzahl in der Veranstaltungsplanung vorzusehen sind, insbesondere nicht, ob insoweit eine rechnerische Maxi-
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malauslegung der schmalsten Stelle der Zu-/Abgangswege eines Ein- und Aus-gangssystems – wie von der Anklage als zwingend angenommen – mit 82 Personen/Meter/Minute vorzusehen ist. Dass zum anderen das Unterlassen von Zählungsmaßnahmen bzw. einer entsprechenden konkreten Anzahlregelung im Sinne der Ziffer 5.8.2 der DIN EN 13200-3:2005 pflichtwidrig erfolgt und zudem ursächlich für den Taterfolg gewesen sein könnte, ist – hiervon unabhängig – nicht Gegenstand des Anklagevorwurfs.
(γ) DIN 15750:2005
Soweit die Anklage selbst (abweichend von der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 14.09.2015, dort Bl. 45205-45208 HA) – für die Beurteilung der Sorgfaltspflichten d Angeschuldigten H – die DIN 15750:2005-08 (dort als DIN 15750:205-08 bezeichnet) heranzieht (vgl. S. 533 der Anklageschrift, Bl. 36897 HA), welche gemäß deren Ziffer 1 Leitlinien für technische Dienstleistungen in Versammlungsstätten festgelegt, enthält diese keine Vorgabe zur Frage der Durchfluss- oder Durchgangskapazität von (Durchgangs-)Wegen der Ein- und Ausgangssysteme von Versammlungsstätten.
(δ) DIN EN 13200-7:2014
Hingegen wird ein ausdrücklich das Passieren von Zugangs- oder Ausgangswegen betreffender Begriff der „Durchgangskapazität“ dann im Jahr 2014 unter Ziffer 3.14 der DIN EN 13200-7:2014 (Zuschaueranlagen – Teil 7: Eingangs und Ausgangsanlagen und Wege) neben dem Begriff der weiterhin Zu- und Ausgangsbreiten betreffenden „Durchlasskapazität“ (nunmehr Ziffer 3.15) wie folgt eingeführt:
„Durchgangskapazität: Anzahl der Personen, die auf einer Wegbreite von einem Meter je Minute das spezifizierte Element des Zugangs- oder Ausgangsweges passieren kann.“
Hierbei handelt es sich gerade nicht – wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 (Bl. 45207 HA) anzunehmen scheint – um eine (dann auch überflüssige) „Kodifizierung“ des bereits geltenden Normstandes. Vielmehr wurde – im Nachgang zu den Ereignissen der Loveparade 2010 – insoweit unter Ziffer 6.9 der DIN EN 13200-7:2014 eine normative Verpflichtung zur Beachtung von Durchgangs-
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kapazitäten von Durchgangswegen, die zu einem (regulären) Zugangs- oder Ausgangsweg gehören, anhand der erwarteten Zuschauerprofile unter Berücksichtigung eines Maximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute (unter Inkaufnahme ungleichmäßiger, gelegentlich stockender Besucherbewegungen) statuiert:
„Durchgangswege, die zu einem Zugangs- oder Ausgangsweg gehören, dürfen nicht schmaler als 1200 mm sein. Die maximale Durchgangskapazität auf einem ebenen Durchgangsweg darf nicht mehr als 82 Personen/m/min betragen. Bei dieser Durchgangskapazität wird die Bewegung ungleichmäßig sein und gelegentlich stocken; die geeignete Durchgangskapazität muss entsprechend der erwarteten Zuschauerprofile gewählt werden.“
Ferner wurden weitergehend auch – etwa in den Ziffern 4.1, 5.2, 5.3, 5.4, 5.5, 5.6.3 sowie in den Ziffern 6 und 7 der DIN EN 13200-7:2014 – konkrete normative Anforderungen an (reguläre) Eingangs- und Ausgangsanlagen im Hinblick auf einzuhaltende Personenstromsteuerungsgrundsätze vorgesehen.
Eine entsprechende DIN-Vorgabe für Durchgangswege der (regulären) Ein- und Ausgangssysteme von Versammlungsstätten bestand im Jahre 2010 hingegen nicht.
(ζ) Zusammenfassung
Zusammenfassend verlangten die (nationalen) DIN-Vorgaben im Tatzeitpunkt bei Durchgangswegen der (regulären) Ein- und Ausgangssysteme von Versammlungsstätten (im Freien) nicht eine rechnerisch zu bemessende Höchstdurchlass- bzw. Höchstdurchgangskapazität von 82 Personen/Meter/Minute.
(c) „Wissenschaftlich anerkannter Höchstwert“ (§ 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW)
Die nach § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW zu beachtenden allgemein anerkannten Regeln der Technik bedürfen indes nicht zwingend einer förmlichen Anerkennung; insoweit ist jedoch regelmäßig – wie auch durch die Staatsanwaltschaft Duisburg im Ermittlungsverfahren grundsätzlich geschehen – die Beauftragung eines Sachverständigen erforderlich, um den konkreten Prüfungsmaßstab zu ermitteln (vgl. etwa BGH, NJW 2014, 620 f.; Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, 60. AL, Februar 2008, sowie 39. EL, Oktober 2001, § 3 Rn. 45, 52). Inwiefern das allgemeine
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Bausicherheitsgebot des § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW – unabhängig von der im Jahr 2010 fehlenden DIN-Normierung hinsichtlich der Frage der konkret-rechnerischen Durchgangskapazitätsprüfung von Wegen eines (regulären) Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte – die von der Anklage behauptete Sorgfaltsanforderung als allgemein anerkannte sicherheitsrelevante Regel der Technik im Jahr 2010 beinhaltete, bedarf daher (tragfähiger) sachverständiger Prüfung und Erörterung. Hieran fehlt es jedenfalls.
(aa) Allgemein anerkannte Regeln der Technik
Allgemein anerkannte Regeln der Bautechnik stellen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofes solche Prinzipien und Lösungen dar, die in der Praxis erprobt und bewährt sind sowie sich bei jedenfalls der Mehrheit der Praktiker durchgesetzt haben, wobei abweichende Meinungen nicht ins Gewicht fallen, solange sie vereinzelt bleiben (vgl. BVerfGE 49, 89, 135; BVerwG, NVwZ-RR 1997, 214; ferner RGSt 44, 76, 79; Esser/Keuten, NStZ 2011, 314, 317 mit weiteren Nachweisen). Zu ermitteln ist demnach die herrschende Auffassung unter den technischen Praktikern (vgl. jüngst etwa BGH, NJW-RR 2015, 778 unter Verweis auf BVerfGE 49, 89, 135 f.). Die Regeln müssen bei vorgebildeten Praktikern allgemein bekannt und anerkannt sein (vgl. zu § 319 StGB Fischer, StGB, 63. Aufl., § 319 Rn. 10). Eine Anerkennung in der Wissenschaft genügt hingegen nicht, um eine anerkannte Regel der Bautechnik zu begründen, ist aber umgekehrt auch nicht zu fordern (vgl. BVerfGE, 49, 89, 136; RGSt 44, 76; Esser/Keuten, NStZ 2011, 314, 317; Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 2012, § 3 Rn. 10).
Teilweise wird darüber hinaus auch weitergehend auf die Summe der im Bauwesen anerkannten wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen abgestellt, die durchweg bekannt und als richtig und notwendig anerkannt sind. Danach wäre eine Anerkennung in der Theorie und Praxis erforderlich, und zwar abgestellt auf den jeweiligen Einzelfall (vgl. etwa OLG Oldenburg, Urt. v. 28.02.2010, 2 U 62/11 – Juris Rn. 38; Busche in: Münchener Kommentar BGB, 6. Aufl., § 633 Rn. 17 mit weiteren Nachweisen; Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, 72. AL, Juli 2011, § 3 Rn. 48; jurisPK-BGB/Genius, 2014, § 633 BGB Rn. 29). Eine allgemein anerkannte Regel der Technik muss nach dieser Auffassung in der Wissenschaft
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anerkannt und damit theoretisch richtig sein und sich zudem in der Praxis durchgesetzt haben (vgl. RGSt 44, 76; Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 3 Rn. 58; jurisPK-BGB/Genius, 2014, § 633 BGB, Rn. 29). Insbesondere dürfen solche technischen Regeln in der Wissenschaft keinem Meinungsstreit ausgesetzt sein, müssen damit als theoretisch richtig feststehen sowie in dem Kreis der maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und auf Grund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sein (vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 28.02.2010, 2 U 62/11 – Juris Rn. 38; Busche, in: Münchener Kommentar BGB, 6. Aufl., § 633 Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Auch insoweit ist hingegen eine (alleinige) Anerkennung in der Wissenschaft nicht ausreichend.
Im Bauordnungsrecht und im Strafrecht (dort etwa ausdrücklich in § 319 StGB genannt) wird der Begriff „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ gleich verstanden (Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 3 Rn. 59).
(bb) Herleitung in der Anklageschrift
Die Anklage führt die Sorgfaltspflicht zum einen unter Rückgriff auf die Ausführungen von Prof. Dr. T auf einen „wissenschaftlich anerkannten Höchstwert“ (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA) – mithin auf eine (alleinige) Anerkennung in der Wissenschaft – zurück. Dies genügt indes – wie ausgeführt – nicht den Anforderungen an die Herleitung einer anerkannten Regel der Technik im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW, da hierfür in jedem Fall eine Anerkennung und Erprobung in der Praxis in vergleichbaren Fällen nachzuweisen wäre.
Zum anderen rekurriert die Anklage in den rechtlichen Ausführungen zur Sorgfaltspflicht der Angeschuldigten H , I und J (jeweils) auf den – von den anerkannten Regeln der Technik zu unterscheidenden – vermeintlich einzuhaltenden „Stand der Technik“ (vgl. S. 533, 545, 551 der Anklageschrift, Bl. 36897, 36909, 36915 HA), den aber § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW – anders als etwa § 5 Abs. 1 Nr. 2 Bundesimmissionsschutzgesetz – gerade nicht zur zu beachtenden Sorgfaltsanforderung erhebt (vgl. zu den Unterschieden etwa BVerfGE 49, 89, 135).
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Schließlich geht auch der ergänzende Hinweis der Staatsanwaltschaft in der Stellungnahme vom 14.09.2015 auf die Entfluchtungsanalyse und den dort angegebenen Wert von 1,33 P/ms (entsprechend 79,8 Personen pro Meter pro Minute) zur Herleitung einer entsprechenden Technikregel fehl (Bl. 45207 HA unter Verweis auf BMO S 07, elektronische Seitenzahl 107, 117), da dieser – dort aus Evakuierungsrichtlinien der Personenschifffahrt abgeleitete, zudem abweichende – Wert bereits nach den dortigen Ausführungen ausdrücklich die Durchflussbemessung von Ausgängen in Evakuierungssituationen betrifft.
(cc) Ausführungen von Prof. Dr. T
Unabhängig von der fehlenden Verwertbarkeit der Ausführungen des Prof. Dr. T aus weiteren Gründen [Fußnote 23] ergibt sich aus diesen inhaltlich nicht das Bestehen einer allgemein anerkannten Regel der Technik im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW dahingehend, dass ein Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute für das Ein- und Ausgangssystem einer solchen Versammlungsstätte im Tatzeitraum einzuhalten war.
Die lediglich allgemein gehaltenen Ausführungen des Prof. Dr. T in seiner ersten im Ermittlungsverfahren eingereichten Stellungnahme vom 09.12.2011 [Fußnote 24] – seit über 30 Jahren werde das „Level-of-Service-Konzept“ von Fruin als Maßstab für die „Berechnung von Menschenmengen“ verwendet (Bl. 28709 HA), bei „Personenströmungen/-bewegungen“ stellten 82 Personen pro Meter pro Minute bei 2 Personen pro Quadratmeter die „maximale Strömung“ dar (Bl. 28709 HA), „auf der Grundlage des Berechnungsverfahrens (Fruin) von 82 Personen pro Meter pro Minute (ergebe) sich eine OBERGRENZE“ (Bl. 28720 HA), „der Personenstrom (werde) normalerweise (HCM [Highway Capacity Manual]/Fruin) (für Auslegungszwecke) mit 82 Personen pro Meter pro Minute veranschlagt“ (Bl. 28725 HA) – begründen das Bestehen einer allgemein anerkannten Regel der Technik im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW nicht, weil sie sich nicht damit auseinandersetzen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich Entsprechendes in der praktischen Anwendung (in Deutschland) tatsächlich durchgesetzt hat.
[Fußnote 23: Vgl. hierzu später C. II. 2. b. cc..
Fußnote 24: Vgl. zur Gutachtenentstehung später C. II. 2. b. cc. (1) (c) (bb).]
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Soweit Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 14.03.2013 ausführt (Bl. 40687 HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„1.5.1 Internationale Bezugnahmen auf den Durchfluss von Menschenmengen, Sicherheit von Sportstätten (UK Green Guide, 5. Ausgabe), auf internationale Feuerwehrgesetze für öffentliche Versammlungsstätten, auf das Highways Capacity Manual (HCM) der USA und auf verschiedene, andere sicherheitsbezogene Orientierungshilfen für Menschenmengen definieren den Durchfluss von Menschenmengen auf Grundlage der Menschenmengendichte. Dies wurde erstmals 1971 von Dr. John Fruin definiert und ist eine etablierte Methode für die Planung von öffentlichen Versammlungsstätten.
1.5.2 Eine Durchflussmenge von 82 Menschen pro Meter pro Minute bei einer Dichte von 2 bis 3 Menschen pro Quadratmeter wird durch empirische Daten unterstützt.
1.5.3 Deshalb werden 82 Menschen pro Meter pro Minute verwendet, um die maximale Durchflussmenge für Zugangs- und Ausgangswege zu berechnen, und dies sollte für die schmalste Wegstelle berechnet werden.“,
ergibt sich hieraus ebenfalls nicht das Bestehen einer allgemein anerkannten Regel der Technik für die Berechnung einer Maximaldurchflusskapazität von 82 Menschen pro Meter pro Minute bei Wegen des Eingangs- und Ausgangssystems von Versammlungsstätten in Deutschland im Jahr 2010.
So fehlt es einerseits auch insoweit an einer Darlegung des konkreten Durchsetzungsgrades einer solchen etwaigen Regel in der maßgeblichen Praxis (Veranstaltungsstättenbau). Andererseits ermöglicht die in Punkt 1.5.1 des Gutachtens erfolgende Aufzählung von einigen (Sportstätten bzw. Autobahnen/Straßenraum betreffenden) Referenzwerken zudem (ohne näheren Fundstellennachweis) für den Aspekt
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des Zusammenhangs der Dichte von Menschenmengen mit der Durchflussmenge [Fußnote 25] sowie der Verweis in Punkt 1.5.2 des Gutachtens darauf, dass durch „empirische Daten“ eine Durchflussmenge von 82 Menschen pro Meter pro Minute bei einer Dichte von 2 bis 3 Menschen pro Quadratmeter unterstützt werde, nicht den – weder wissenschaftlich noch durch (einschlägige) fortdauernde Praxiserfahrungen belegten – Schluss in Punkt 1.5.3, dass „deshalb“ ein Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute für den konkreten Fall der Planung der (Durchgangs-)Wege des Eingangs- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte als allgemein anerkannte Regel der Technik zu verwenden sei. Dass nämlich bei einer Dichte von 2-3 Personen pro Quadratmeter ein Fluss von 82 Personen pro Meter pro Minute erreicht wird, sagt – selbst wenn man aus einem Rahmen (2-3 Personen pro m2) einen konkreten Durchflusswert (82 Personen/Meter/Minute) ableiten könnte – nichts darüber aus, welche konkreten Folgen eine Überschreitung eines solchen Wertes hätte, insbesondere mit welcher Wahrscheinlichkeit dann tatsächlich mit personenstrombedingten Verletzungsfolgen zu rechnen wäre bzw. entsprechend dem Anklagevorwurf der Personenstrom „unter keinen Umständen sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs geführt werden“ konnte (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36737 HA). [Fußnote 26]
Prof. Dr. T gibt zudem in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ (2014) an (S. 58 f. des Fachbuchs/Bl. 46522 f. HA, Bl. 46506 f. HA), die Durchflussmenge falle erst dann, wenn die Menschendichte sich auf über drei Menschen pro Quadratmeter erhöhe, wobei erst mit fünf Menschen pro Quadratmeter „Bewegung schwierig“ werde und das „potenzielle Risiko für Stolpern, Ausrutschen und Hinfallen“ sich erhöhe. Dabei wird in einer das Verhältnis von Personenstrom und Dichte betreffenden Abbildung (S. 59 des Fachbuchs/Bl. 46523 HA, Bl. 46507 HA bzw. S. 176 f. des Fachbuchs/Bl. 46548 HA, Bl. 46543 f. HA) ein Durchsatz von 82 Personen pro
[Fußnote 25: Vgl. insoweit auch die Ausführungen des Prof. Dr. T im Gutachten „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antworten auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, L. T, 19. März 2012 – V9“ auf Bl. 29873 HA (Hervorhebung durch die Kammer), wonach „im britischen Leitfaden für Veranstaltungen (UK Event Guidance), aus internationalen Personenstromzahlen, dem Dokument Safety at Sports Grounds (Sicherheit an Sportstätten), in internationalen Brandschutzvorschriften für öffentliche Gebäude und Veranstaltungsstätten sowie in verschiedenen anderen Leitfäden für die Sicherheit in Fußgängermengen (…) in der Regel die Zahl von 2-3 Personen pro Quadratmeter genannt“ werde. Dies sei „die Dichte, bei der man an Plätzen mit Menschenansammlungen noch laufen kann. Siehe Literaturhinweise“.
Fußnote 26: So geht etwa Ziffer 6.9 der DIN EN 13200-7:2014 davon aus, dass bei einer Durchgangskapazität von 82 Personen/Meter/Minute die Bewegung „ungleichmäßig sein“ und „gelegentlich stocken“ werde.]
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Meter pro Minute bei einer Dichte von bis zu drei Menschen pro Quadratmeter von ihm als „stabil“ angenommen. Ferner gibt Prof. Dr. T dort bezogen auf den konkreten Fall der Loveparade an (S. 176 f. des Fachbuchs/Bl. 46548 HA, Bl. 46543 HA, Hervorhebungen durch die Kammer), dass „im Veranstaltungsplan für die Love Parade (…) die Geländekapazität bei zwei Personen pro Quadratmeter berechnet“ worden sei, wobei er ebenfalls ausführt, „dass die optimalen Bedingungen für die Personenbewegung (Strom) zwei bis drei Personen pro Quadratmeter“ seien. Soweit er im Folgenden abweichende Bewertungen für „Abschnitte mit statischen/stehenden oder dynamischen/sich bewegenden Menschenmengen auf dem Gelände, an den Eingangs- und Ausgangspunkten oder rund um verschiedene Attraktionen auf dem Gelände“ fordert und anführt, der kritische Punkt sei „der besagte Punkt an der Rampe“ gewesen, da ein Strom in zwei Richtungen erwartet worden sei (S. 177 des Fachbuchs/Bl. 46548 HA, Bl. 46544 HA), lässt sich aus diesen (pauschalen) weiteren Ausführungen nicht der konkret angenommene Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute für das Ein- und Ausgangssystem der Veranstaltungsstätte der Loveparade 2010, insbesondere auch nicht für den Bereich der Rampe Ost, ableiten.
Zudem führt Prof. Dr. T in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ (2014) aus (S. 60 des Fachbuchs/Bl. 46524 HA, Bl. 46507 HA, Hervorhebungen durch die Kammer), die zur Verhältnisbestimmung zwischen Fließgeschwindigkeit von Menschenmassen und der Menschendichte herangezogenen Referenzen würden „nicht weit verbreitet gelesen oder verstanden“, seien „zu technisch“ und gehörten „nicht zur Pflichtlektüre“. Fehler bei Großveranstaltungen seien „zur Wiederholung verurteilt, bis dieses Material sowohl verstanden als auch angewandt“ werde. Diese Ausführungen von Prof. Dr. T, die auf eine bisher fehlende tatsächliche Durchsetzung dieser Annahmen in der Praxis abstellen, sprechen gerade gegen das Bestehen einer allgemein anerkannten Regel der Technik.
Schließlich ergibt sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. T nicht, warum zwingend (ausschließlich) der Durchfluss an der schmalsten Wegstelle des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte zu berücksichtigen sein soll. So führt Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 1.5.1 selbst aus, dass es sich (lediglich) um „eine etablierte Methode für die Planung von öffentlichen Versammlungsstätten“ (Bl. 40687 HA, Hervorhebung durch die Kammer) handele,
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was aber zum einen offen lässt, ob und gegebenenfalls welche anderen Methoden angewendet werden könnten, und zum anderen gerade nicht belegt, dass es sich entsprechend dem Anklagevorwurf um einen „im Rahmen der Planung zwingend zu beachtenden Höchstwert“ (vgl. S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36737 HA, Hervorhebung durch die Kammer) handelte. Soweit Prof. Dr. T darauf verweist, dass es sich bei der von ihm gewählten Methodik lediglich um eine „erste Näherung“ im Sinne einer Risikoanalyse als „anerkannte Methode“ handele, deren Gegenstand die Kennzeichnung und Verhinderung von Unfällen, nicht aber deren „genaue Vorhersage“ sei (Bl. 41163 HA), stellt dies zum einen die Eignung der gewählten Methodik zum Zwecke einer (durch die Staatsanwaltschaft beauftragten) konkreten Ursächlichkeitsbetrachtung generell in Zweifel [Fußnote 27], begründet zum anderen aber auch nicht, warum es sich bei dem gewählten Maßstab um eine allgemein anerkannte Regel der Technik nach den bezeichneten Grundsätzen handeln soll.
Dagegen könnten die – durch Prof. Dr. T insoweit nicht beanstandeten – Ausführungen im von den Verteidigern d Angeschuldigten J vorgelegten methodenkritischen Gutachten des Prof. Dr. T vom 26.08.2014 (Bl. 38565 ff. HA) sowie 16.03.2015 (Bl. 43107 ff. HA) auch gegen eine (ohne Nachweis der Durchsetzung in der Praxis auch nicht zur Begründung einer allgemein anerkannten Regel der Technik genügende) „zwingende“ wissenschaftliche Anerkennung eines solchen Standards sprechen. Nach dessen Ausführungen entspricht nämlich die durch Prof. Dr. T vorgenommene Kapazitätsbetrachtung lokaler Engpässe nicht dem „Stand der Technik“, da die vorgenommenen Berechnungen ohne Berücksichtigung des im Einzelfall vorliegenden komplexen Netzwerks an potentiellen Engstellen unterschiedlicher Art nicht zur Bewertung der Veranstaltungsplanung geeignet seien (Bl. 38579-38581 HA). Insbesondere sei die verwendete Berechnungsweise nicht dafür geeignet, zu untersuchen, welche Auswirkungen die beschränkte Kapazität einer Engestelle sowie Stauungen in diesem Bereich auf das Gesamtsystem hätten; ferner würden nur statische Methoden benutzt, während das Zusammenwirken von Engstellen, temporären Sperren und Rückstauungen nicht analysiert werde (Bl. 38579 f., 38582 HA). Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse (im Einzelnen die auf Bl. 38587 f. HA zitierten Werke) belegten hingegen, dass unterschiedliche Typen
[Fußnote 27: Vgl. später C. II. 2. b. cc. (4) (a).]
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von Anlagen und Personenströmen durchaus unterschiedliche Kapazitäten aufwiesen (Bl. 38580 HA). Das gewählte lokale Abschätzungsverfahren eigne sich nicht für die Bewertung des – im Einzelfall hier vorliegenden – komplexen Systems zusammenhängender Engstellen (Bl. 38580, 43112 HA). Auch gebe es keine Vorgabe dahin, dass eine Besucherprognose zu erstellen sei, anhand derer durch einfache Verhältnisgleichungen eine Abschätzung lokaler Kapazitäten von Engstellen zu erfolgen habe (Bl. 38584 HA).
Diesen Ausführungen ist Prof. Dr. T wiederum insoweit nicht entgegen getreten, als er diese Methodik selbst als alternative (umfassendere) Vorgehensweise („differenzierte Analyse“) für zulässig erachtet (Bl. 41168 HA). Dass es sich damit bei den Ausführungen von Prof. Dr. T um eine einzelne – den wissenschaftlichen Stand nicht abbildende – Außenseiteransicht (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 319 Rn. 10) handelte, ergibt sich somit aus dem Ermittlungsergebnis gerade nicht.
(d) Von Vorgaben in DIN-Normen bzw. öffentlich-rechtlichen Vorschriften unabhängige Anforderungen
Ob und inwieweit den Angeschuldigten J , G , H und I – deren jeweilige rechtliche oder tatsächliche Übernahme einer Verkehrssicherungspflicht unterstellt – im Jahr 2010 unter dem Aspekt der allgemeinen Verkehrssicherungsverantwortung unabhängig von fehlenden Vorgaben in DIN-Normen bzw. öffentlich-rechtlichen Vorschriften die von der Anklage angenommene konkrete Sorgfaltspflicht zur rechnerischen Bemessung der Durchgangskapazität der engsten Stelle eines Durchgangsweges des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte oblagen, kann die Kammer ohne dahingehende tragfähige sachverständige Ausführungen nicht aus eigener Sachkunde feststellen.
Voraussetzung für die Annahme einer – gegebenenfalls über DIN-Vorschriften hin-ausgehenden – Verkehrssicherungspflicht ist nämlich, dass sich vorausschauend für eine sachkundige Beurteilung die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können und dies nicht nur unter besonderen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, durch welche es ausnahmsweise zu einem Schaden kommt (vgl. BGH, NJW 2010, 1967 mit weiteren Nachweisen).
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Auszuwerten sind hierfür insbesondere die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalls, wobei den Ausgangspunkt jeweils das Maß der Gefahr mit der Folge darstellt, dass die Sorgfaltsanforderungen umso höher sind, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (vgl. etwa BGH, MDR 2008, 971; BGH, NJW 2009, 240 ff.; BGHSt 37, 184, 187; BGHSt 47, 224, 230 f.).
An entsprechenden Ausführungen eines Sachverständigen fehlt es zum einen – wie dargestellt – aus inhaltlichen Gründen mangels Tragfähigkeit der Ausführungen von Prof. Dr. T sowie zum anderen – aus im Folgenden noch darzustellenden Gründen – aufgrund der Unverwertbarkeit seines Gutachtens. [Fußnote 28]
Nach derzeitigem Ermittlungsstand gibt es neben dem einen Beweis für die von der Anklage angenommene Sorgfaltspflicht (Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute für die Planung der (Durchgangs-)Wege des Ein- und Ausgangssystems einer solchen Versammlungsstätte) nicht erbringenden Gutachten von Prof. Dr. T keine weiteren Beweismittel, die einen Beweis für die angenommene Sorgfaltspflicht ergeben könnten.
(e) Weitere Ermittlungen
Weitere Ermittlungen zur Bestimmung des konkreten Maßes der Sorgfaltspflicht konnten von der Kammer im Zwischenverfahren nicht durchgeführt werden.
Denn zu solchen Ermittlungen ist die Kammer vorliegend weder berechtigt noch gehalten. Es obliegt gerade nicht dem Gericht, im Zwischenverfahren wesentliche Teile des Ermittlungsverfahrens nachzuholen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 03.02.2014, III-2 Ws 614/13; OLG Karlsruhe, StV 2004, 325, 326; LG Berlin, NStZ 2003, 504). § 202 StPO erlaubt lediglich „einzelne Beweiserhebungen“ (Paeffgen, in: SK-StPO, 5. Aufl., § 202 Rn. 2). Davon sind solche Nachermittlungen umfasst, die eine bloße Ergänzung eines von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bereits weitgehend aufgeklärten Sachverhalts bezwecken (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 03.02.2014, III-2 Ws 614/13; LG Berlin, NStZ 2003, 504; OLG Karlsru-
[Fußnote 28: Vgl. zur fehlenden Verwertbarkeit der Ausführungen des Prof. Dr. T unten C. II. 2. b. cc..]
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he, StV 2004, 325, 326; OLG Celle, StV 2012, 456). Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung eines von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Anklagevorwurfs sind indes gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. etwa OLG Celle, StV 2012, 456; Schneider, in KK-StPO, 7. Aufl., § 202 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 202 Rn. 1); § 202 StPO ist restriktiv auszulegen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 03.02.2014, III-2 Ws 614/13). Eine Ermittlungsanordnung des Gerichts nach § 202 StPO darf gerade nicht darauf hinauslaufen, dass dadurch erst die Voraussetzungen eines hinreichenden Tatverdachts geschaffen würden (LG Berlin, NStZ 2003, 504). Es ist nämlich nicht Aufgabe des Tatgerichts, ein entsprechendes Beweisprogramm im Zwischenverfahren abzuarbeiten und damit quasi eine „Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung“ durchzuführen (vgl. LG Berlin, NStZ 2003, 504; Paeffgen, in: SK-StPO, 5. Aufl., § 202 Rn. 3).
Da sich das konkrete Maß der Sorgfaltspflicht aus dem von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. T nicht herleiten lässt, bedürfte es weiterer Ermittlungen. Insofern käme vor allem die Einholung eines neuen Gutachtens (eines anderen Sachverständigen) in Betracht. Dies ist der Kammer aus den ausgeführten Gründen im Rahmen des § 202 StPO nicht möglich. Dabei würde es sich gerade um eine „wesentliche Ermittlung“ zur Komplettierung eines unzulänglich belegten Anklagevorwurfs und nicht nur um „einzelne Beweiserhebungen“ handeln. Denn ein neues Sachverständigengutachten (oder auch eine Weiterbefassung eines bereits in Grundzügen mit der Sache vertrauten Sachverständigen bzw. hierzu zu Bestellenden) müsste sich insbesondere mit der Auswertung der (umfangreichen) Planungsunterlagen auseinandersetzen, um den insoweit konkret zu fordernden Pflichtenstandard zu bestimmen.
(f) Zusammenfassung
Das von der Anklageschrift angenommene konkrete Maß der Sorgfaltspflicht (erforderliche Berechnung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute für die Durchgangswegeführung des Ein- und Ausgangssystems) ergibt sich weder aus Vorgaben der SBauVO NRW noch aus den § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW konkretisierenden DIN-Normen oder als allgemein anerkannte Regel der Technik im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW (ein „wissenschaftlich anerkannter Höchstwert“ wird von der Vorschrift nicht in Bezug genommen). Ob den Angeschuldigten J , G
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, H und I unter dem Aspekt der allgemeinen Verkehrssicherungsverantwortung unabhängig von fehlenden Vorgaben in DIN-Normen bzw. öffentlich-rechtlichen Vorschriften die von der Anklage angenommene konkrete Sorgfaltspflicht zur rechnerischen Bemessung der Durchgangskapazität der Durchgangswege des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte oblag, kann die Kammer ohne dahingehende tragfähige sachverständige Ausführungen nicht aus eigener Sachkunde feststellen. Weitere Ermittlungen zur Bestimmung des konkreten Maßes der Sorgfaltspflicht konnten von der Kammer im Zwischenverfahren nicht durchgeführt werden, denn zu solchen Ermittlungen ist die Kammer vorliegend weder berechtigt noch gehalten.
(3) Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen der Sorgfaltspflichtverletzung
Überdies – selbst bei Annahme der von der Anklage unterstellten konkreten Sorgfaltspflicht (erforderliche Berechnung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute für die Durchgangswegeführung des Ein- und Ausgangssystems) – fehlt es an der Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzung.
So ermangelt es wesentlicher Ermittlungen sämtlicher Voraussetzungen einer (planerischen) Verkehrssicherungspflichtverletzung nach diesen Grundsätzen hinsichtlich der in der Anklageschrift in Bezug genommenen Eignung des (Gesamt-)Ein- und Ausgangssystems der betroffenen Versammlungsstätte (bestehend aus den Vereinzelungsanlagen West und Ost, den Tunneln West und Ost [Fußnote 29], der Rampe Ost mit einer „besonderen Engstelle am oberen Ende“ sowie der Rampe West) [Fußnote 30] einschließlich des so bezeichneten „Mitzieheffekts“.
(a) „Korrekturwert“ hinsichtlich der Rampe Ost
Soweit die Anklage eine zu geringe planerische Breite der Rampe Ost (18,28 Meter an der schmalsten Stelle) als Teil des Ein- und Ausgangssystems (mit der Folge einer planerischen Überschreitung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Perso-
[Fußnote 29: Mit Tunnel West wird der westliche übertunnelte Teil der Karl-Lehr-Straße bis zur Rampe Ost, mit Tunnel Ost der östliche übertunnelte Teil der Karl-Lehr-Straße bis zur Rampe Ost bezeichnet.
Fußnote 30: Vgl. zur Abgrenzung der Versammlungsstätte auch später C. III. 2. a. aa. (1) (b).]
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nen/Meter/Minute) zugrunde legt [Fußnote 31] und weiter anführt, dieser Höchstwert sei im Hinblick auf bestimmte Gegebenheiten weiter nach unten zu korrigieren (vgl. S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA), ist bereits ein entsprechend „nach unten“ korrigierter – insbesondere sachverständig tragfähig begründeter – Wert dem Ermittlungsergebnis und der Anklage nicht zu entnehmen. Die Anklage beziffert lediglich einen Durchflussmaximalwert im Ein- und Ausgangssystem, gibt aber nicht – auch nicht in Größenordnungen – an, in welchem Umfang dieser ggf. noch nach unten zu korrigieren sein soll, und vermag sich diesbezüglich auch nicht auf Ermittlungsergebnisse zu stützen.
(b) Durchflussmaximalwert in den Tunneln West und Ost
Über den Bereich der Rampe Ost hinaus bezieht die Anklageschrift auch „den Tunnel“ bzw. die beiden Tunnel West und Ost in den erhobenen Vorwurf eines planerisch „zu engen“ Ein- und Ausgangssystems ein, ohne aber deren maßgebliche Planbreiten anzugeben und diese rechnerisch in Bezug auf den – zu ermittelnden – planerisch jeweils zuzuordnenden stündlichen Besucheranteil (West/Ost) entsprechend den Ausführungen zur Rampe Ost überprüft zu haben.
So heißt es etwa auf S. 9 der Anklageschrift (Bl. 36373 HA, Hervorhebungen jeweils durch die Kammer):
„Bei einer sorgfaltsgemäßen Erstellung der Planungsunterlagen wäre jederzeit deutlich geworden, dass die prognostizierten Besucherströme mit Blick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe (18,28 Meter an der schmalsten Stelle) und des Tunnels – jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr – unter keinen Umständen sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs geführt werden konnten.“
Sowie weiter:
[Fußnote 31: Die tatsächlich am Veranstaltungstag vorhandene Verengung der Breite der Rampe Ost auf 10,59 Meter hat keine planerische Relevanz, vgl. die Ausführungen zum diesbezüglichen Anklagevorwurf unter C. II. 2. a. ee..]
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„Den Angeschuldigten (…) war bewusst, dass die Durchflusskapazität des Tunnels der Karl-Lehr-Straße, der östlichen Rampe und der Vereinzelungsanlagen aufgrund der baulichen Gegebenheiten in kritischer Weise begrenzt war.“
Ferner wird auf S. 10 der Anklageschrift (Bl. 36374 HA, Hervorhebung durch die Kammer) ausgeführt:
„Die Angeschuldigten (…) hätten bei pflichtgemäßer, gewissenhafter Prüfung die schwerwiegenden Planungsfehler – insbesondere hinsichtlich der Steuerung der Besucherströme über die Karl-Lehr-Straße, über die östliche Rampe und über eine besondere Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe sowie hinsichtlich der Konzeption der Vereinzelungsanlagen – erkennen müssen und den Antrag nicht beziehungsweise nicht in dieser Form stellen dürfen.“
Die demgemäß behauptete planerische Verletzung eines Durchflussmaximalwerts auch im „Tunnel“ (also beide Bereiche der Tunnelunterführungen West und Ost) im Zeitraum zwischen 15 und 19 Uhr ist durch das Ermittlungsergebnis nicht belegt.
So ermittelt Prof. Dr. T den maximalen Tunneldurchfluss in seinem Gutachten nicht. [Fußnote 32] Er führt hierzu lediglich aus, auch die (von ihm als systemrelevant eingestuften) Tunnel seien – neben den Vereinzelungsanlagen West und Ost und der Rampe Ost – zu eng dimensioniert und „aufgrund der potentiellen Überfüllung während der Spitzenzeiten des Umstellungszeitraumes im Tunnel-/Rampensystem (Zustrom + Abstrom)“ (vgl. Punkte 5.2.3, 5.2.4 und 5.29.1 des Gutachtens vom 14.03.2013) nicht „für den Zweck geeignet“ gewesen (vgl. Punkte 2.22.9 und 4.1.1 des Gutachtens vom 14.03.2013). Konkrete Berechnungen in Bezug auf die Durchflusskapazität der Tunnel, die den – begründeten – Schluss, auch die Tunnel hätten einen „Dimensionierungsfehler“ aufgewiesen, tragen könnten, führt er hingegen nicht durch.
Eine Verletzung des durch Prof. Dr. T angenommenen Durchflussmaximalwerts (82 Personen/Meter/Minute) – eine entsprechende Sorgfaltspflicht unterstellt – erscheint überdies nach den durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen ver-
[Fußnote 32: Vgl. C. II. 2. b. cc. (4) (c).]
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messenen variierenden Tunnelbreiten West und Ost zwischen 16,41 und 20,32 Meter (vgl. Bericht von KOK K und KHK E vom Landeskriminalamt NRW vom 31.07.2015, Sonderband LKA NRW Darstellung einer Großschadensanlage Vermessung Tunnelanlage, elektronische Seitenzahl 5 f.) mindestens fraglich. Denn bei einer angenommenen Mindestbreite des Tunnels von 16,41 Meter läge sowohl von der Ost- als auch von der Westseite unter Berücksichtigung eines unterstellten Maximalstroms von 82 Personen/Meter/Minute der Maximalpersonenfluss bei jeweils 80.737 Personen pro Stunde (insgesamt 161.474 Personen pro Stunde) [Fußnote 33]; so viele Besucher konnten aber nach den Ausführungen von Prof. Dr. T einerseits schon gar nicht durch die Vereinzelungsanlagen in die Tunnel gelangen [Fußnote 34], andererseits war aber auch nach der Anklageschrift in den Planungen (lediglich) ein maximaler stündlicher Besucherstrom von insgesamt 145.000 Personen (Zustrom plus Abstrom von 17 Uhr bis 18 Uhr) vorgesehen (S. 8 der Anklageschrift, Bl. 36372 HA).
Soweit die Staatsanwaltschaft „im Hinblick auf die in verschiedenen Zeugenaussagen zum Teil divergierenden Angaben zur Tunnelbreite“ erstmals im Mai 2015 klären ließ, ob im Rahmen der durch das Landeskriminalamt NRW vorgenommenen Tatortvermessung die Daten der gesamten Tunnelanlage erhoben wurden, sowie sodann unter Bezugnahme auf den Bericht des Landeskriminalamts NRW vom 31.07.2015 mit ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 mitteilt, dass den dortigen Vermessungen „keine weitergehende Relevanz für das Verfahren“ zukomme angesichts des Umstandes, dass die Messungen nicht den Bereich der Rampe bzw. der (hingegen ebenfalls nicht ausgemessenen) Vereinzelungsanlagen beträfen, ist diese Bewertung gerade auch im Hinblick auf den oben wiedergegebenen Anklageinhalt nicht nachvollziehbar. Zum einen stellt nämlich – wie ausgeführt – auch die Durchflusskapazität der Tunnelanlagen ausdrücklich einen Teilaspekt des erhobenen Anklagevorwurfs
[Fußnote 33: Selbst bei Annahme eines idealerweise zu beiden Tunnelwänden einzuhaltenden Abstandes von 40-45 cm (vgl. Punkt 2.14.8 des Gutachtens von Prof. Dr. T vom 14.03.2013, Bl. 40711 HA) ergäbe sich eine anzusetzende Mindestbreite des Tunnels von 15,51 m, was für die Tunnelseiten West und Ost jeweils zu einem Maximalpersonenfluss von 76.309 Personen pro Stunde (insgesamt 152.618 Personen pro Stunde) führen würde.
Nicht nachvollziehbar sind insofern die Ausführungen des – im Übrigen auch nicht von der Anklage als Beweismittel benannten – Dr. Oberhagemann (Bl. 883-895 HA) zum Personendurchfluss im Tunnel. Denn Dr. Oberhagemann führt – ohne Aktenkenntnis zu haben – lediglich aus, er habe anhand einer physikalischen Formel den maximalen Personenfluss im Tunnel in eine Richtung berechnet, wobei unklar bleibt, auf welcher Basis er seine Berechnungen vornahm.
Fußnote 34: Vgl. hierzu die Ausführungen unter C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd).]
148
der Ungeeignetheit des Ein- und Ausgangssystems dar, zum anderen aber bezeichnet der entsprechende Ermittlungsauftrag der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 27.05.2015 (Bl. 45266 HA) den Bereich der Tunnel ausdrücklich als „relevante Fläche“, für die die Zahl der tatsächlichen Besucher gezählt bzw. „hinreichend valide“ geschätzt werden solle. Ausweislich des weiteren Inhalts des Ermittlungsauftrags (Bl. 45266 HA) war das Ziel entsprechender Ermittlungen die „Aufklärung der tatsächlichen Breite des Tunnels (und zwar [eine] konkrete Berechnung der engsten Stelle!)“, was aber im Hinblick auf den erhobenen Anklagevorwurf nicht anders verstanden werden kann, als dass diese (relevanten) Zahlen dem staatsanwaltschaftlichen Ansatz der bei der Rampe Ost (selbst) durchgeführten Berechnungen folgend als rechnerische Bezugsgrößen für den – insoweit letztlich nicht belegten – Anklagevorwurf ermittelt werden sollten.
(c) „Rampenkopf“ der Rampe Ost
Soweit die Anklage zudem eine „besondere Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe“ (S. 10 der Anklageschrift, Bl. 36374 HA) in den Anklagevorwurf des planerischen Durchflussdefizits einbezieht, bleibt offen, um welche (Plan-)Stelle es sich in örtlicher Hinsicht konkret handeln soll und welche Planungsgebote bzw. planrechnerischen Anforderungen insoweit verletzt worden sein sollen.
Dies gilt auch unter Heranziehung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, in dem es insoweit heißt (Bl. 132 ff. der Anklageschrift, Bl. 36496 ff. HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„Der Sachverständige Professor Dr. T führt ferner aus, dass der neuralgischen Situation am Rampenkopf in den Planungen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet wurde (vgl. Bl. 32661 ff. d. A., Rn. 5.13.1 bis 5.13.10). Der Bereich wies nach den Berechnungen des Sachverständigen nicht die erforderliche Größe auf, um den gleichzeitigen Zu- und Abstrom abzuwickeln (vgl. Bl. 32650 d. A., Rn. 4.1.1; Bl. 32653 d. A., Rn. 5.2.3; Bl. 32663 d. A., Rn. 5.13.8). Es musste an dieser Stelle folglich zu einem Rückstau kommen, der in den einzigen Zu- und Abgangsbereich – die östliche Rampe - hineinreichte (vgl. auch Bl. 32640 ff. d. A., Rn. 3.5.1 bis 3.5.12; Bl. 32661 d. A., Rn. 5.13.1).“
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Entsprechende Berechnungen des Prof. Dr. T unter Inbezugnahme einer konkreten (zudem bemaßten) Planstelle des „Rampenkopfes“ finden sich entgegen der Anklageschrift in dessen Gutachten – insbesondere auch in den durch die Anklageschrift in Bezug genommen Fundstellen – nicht. Welche Größe zu welchem Zeitpunkt an welcher konkreten Stelle des „Rampenkopfes“ für welchen Zu-/Abstrom erforderlich gewesen wäre, erschließt sich nicht. Insbesondere wird einerseits ein nicht näher spezifizierter „Bereich“ in Bezug genommen, der nicht die erforderliche Größe aufgewiesen haben soll, während andererseits bereits im sich anschließenden Satz von „dieser Stelle“ ausgegangen wird, was auf ein punktuelles Durchgangsbreitendefizit an einer (nicht näher spezifizierten) konkreten Stelle des Rampenkopfes hinweisen könnte.
In seiner „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S _EN.DOC "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ (Bl. 41163-41177 HA) vom 28.11.2014 führt Prof. Dr. T schließlich aus:
„Die Veranstalter hatten Überlastung am Rampenkopf vorgesehen und für „Pusher“ gesorgt. Wir würden zustimmen, dass die Kapazität dieser Geländeabschnitte vor dem Ereignis hätte berechnet werden sollen, um die mögliche Größenordnung des Problems zu erkennen.“ (Bl. 41168 HA)
Damit stellt er aber – weiterhin ohne Durchführung von Durchflussberechnungen sowie abweichend von seinem bisherigen Gutachten – nunmehr auf „Geländeabschnitte“ am Rampenkopf ab, ohne diese überhaupt näher zu kennzeichnen.
(d) Fehlplanung der Vereinzelungsanlagen
Soweit die Anklage eine fehlerhaft geplante Dimensionierung und Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen annimmt, fehlt es bereits an Ermittlungen zu den geplanten Maßen der Vereinzelungsanlagen als Grundlage einer solchen Annahme. Überdies ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen die konkret vorgeworfene Fehlplanung der Vereinzelungsanlagen hinsichtlich einer (nach der Anklage letztlich erfolgsursächlichen) Überschreitung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute insbesondere auf der Rampe Ost gehabt haben soll.
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(aa) Ermittlung der Maße der Vereinzelungsanlagen
Es fehlt an wesentlichen Ermittlungen zur von der Anklage auch als Folge einer fehlerhaft geplanten Dimensionierung und Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen angenommenen Ungeeignetheit des (Gesamt-)Ein- und Ausgangssystems.
Prof. Dr. T geht im Gutachten vom 14.03.2013 sowie nachfolgend in weiteren E-Mails an die Staatsanwaltschaft von unterschiedlichen geplanten Bemaßungen der Vereinzelungsanlagen aus. [Fußnote 35] So gibt er im Gutachten vom 14.03.2013 unter den Punkten 2.10.3 und 2.10.4 die engste Stelle des Eingangssystems West mit 5,9 Meter und die des Eingangssystems Ost mit 3 Meter an. In seinen weiteren Ausführungen benennt er die Maße mit 6,9 Meter (West) und 2,6 Meter (Ost) (vgl. Bl. 41170 HA) sowie 5,9 Meter (West) und 2,6 Meter (Ost) (vgl. 41532 HA).
Prof. Dr. T führte auf die Frage der Kammer, woher er entnehme, dass es sich bei den von ihm verwendeten Plänen um maßstabsgetreue Pläne handele, in seinen Antworten vom 26.06.2015 lediglich aus, der Maßstab, den er verwendet habe, sei derselbe gewesen „wie in den Plänen, die T für deren Veranstaltungsortanalyse zugesandt und die während des Planungsprozesses hinsichtlich der Einhaltung der Evakuierungsbedingungen verwendet wurden“ (Bl. 44749 HA). Aus den von Prof. Dr. T sowohl in seinem Gutachten als auch in seinen weiteren Ausführungen angeführten Plänen lassen sich jedoch die zu einer Berechnung der Dimensionierung der Vereinzelungsanlagen erforderlichen Maßstäbe nicht tragfähig herleiten. [Fußnote 36]
Weitere Beweismittel zur Frage der Nichteignung des Ein- und Ausgangssystems aufgrund einer fehlerhaften Dimensionierung und einer fehlerhaft geplanten Ausge-staltung der Vereinzelungsanlagen liegen nicht vor.
(bb) Auswirkungen des Vorwurfs der Fehlplanung der Vereinzelungsanlagen
Überdies ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen die konkret vorgeworfene Fehlplanung der Vereinzelungsanlagen hinsichtlich einer (nach der Anklage letztlich erfolgsursächlichen) Überschreitung des Durchflussmaximalwerts von 82 Perso-
[Fußnote 35: Vgl. im Einzelnen dazu später unter C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) (α).
Fußnote 36: Vgl. hierzu im Einzelnen unten unter C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) (α).]
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nen/Meter/Minute insbesondere auf der Rampe Ost gehabt haben soll. Die hier angenommene Limitierung des Besucherzuflusses (43.788 Besucher pro Stunde) lässt sich jedenfalls nicht mit der gleichzeitigen Annahme eines stündlichen Zustroms von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern im Zeitraum von 13 bis 19 Uhr [Fußnote 37] auf das Gelände vereinbaren. Insofern ist auch unter anderem nicht ermittelt, in welchem Verhältnis die zu erwartenden Abflusszahlen aufgrund des faktisch durch die Kapazitätsgrenze der Vereinzelungsanlagen limitierten Zugangs gegenüber den Planzahlen zu kürzen wären.
Dabei lässt sich d Angeschuldigte H dahingehend ein, den Maximaldurchfluss der Vereinzelungsanlagen bei der Planung der Durchflussrate berücksichtigt zu haben (vgl. Bl. 24354 f. HA). So gibt d Angeschuldigte H insbesondere an, tatsächlich – unter Berücksichtigung des Maximaldurchflusses der Vereinzelungsanlagen sowie unter zusätzlicher Beachtung der Funktion der Rampe West – mit einem Wert von „46 Personen je Meter Wegbreite“ gerechnet zu haben (vgl. Bl. 24354 f. HA), wobei er verschiedene Werte als zugrunde liegende Richtzahl in Bezug nimmt (84 Personen/Meter/Minute, 109 Personen/Meter/Minute sowie 82 Personen/Meter/Minute), ohne sich auf einen aus seiner Sicht verbindlich zu beachtenden Höchstwert festzulegen.
Soweit die Anklage ausführt, die Dimensionierung und die Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen seien nicht geeignet gewesen, einen sicheren Durchfluss des erwarteten Besucherstroms zu gewährleisten, die Tore der Vereinzelungsanlagen hätten – ineffizient und in für die Bewältigung des erwarteten Besucherstroms nicht geeigneter Art und Weise (S. 126 der Anklageschrift, Bl. 36490 HA) – parallel zum Zustrom der Besucher angeordnet werden sollen, wobei – nach dem Inhalt der Anklageschrift – die geringste Durchlassbreite (Einlass) an der Vereinzelungsanlage West 5,9 Meter und an der Vereinzelungsanlage Ost 3 Meter betragen sollte, was im Hinblick auf den erwarteten Zu- und Abstrom unzureichend gewesen sei und zu Rückstau bzw. Warteschlangen bei Zu- und Abstrom führen musste, so dass die Besucher nicht sicher
[Fußnote 37: Soweit in diesem Beschluss abweichend ein Zeitraum von 12 bis 19 Uhr genannt wird, beruht dies auf den unterschiedlichen verwendeten Modellen zu den Besucherplanzahlen. Nach den – in der Anklage verwendeten – Planzahlen ergibt sich ein Zeitraum von 13 bis 19 Uhr, nach den von Prof. Dr. T zugrunde gelegten Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell Elßner-V 2 0.xls“ ein Zeitraum von 12 bis 19 Uhr, innerhalb dessen ein stündlicher Zustrom von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern erwartet wurde.]
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auf das Gelände geführt würden bzw. dieses verlassen könnten (S. 9, 126-128 der Anklageschrift, Bl. 36373, 36490-36492 HA), die maximale Zustromkapazität der Vereinzelungsanlagen Ost und West habe – bei maximaler Kapazitätsauslastung – lediglich 43.788 Menschen/Stunde (S. 127 der Anklageschrift, Bl. 36491 HA), die maximale Abstromkapazität lediglich 40.344 Menschen/Stunde (S. 128 der Anklageschrift, Bl. 36492 HA) betragen, so dass die erwarteten Besucherströme nicht hätten bewältigt werden können (S. 126-128 der Anklageschrift, Bl. 36490-36492 HA), bleibt offen, wie die Annahme einer Planung, die einen Rückstau vor dem Zugangssystem auslösen musste und damit den Zufluss zum Veranstaltungsgelände faktisch begrenzte, widerspruchslos vereinbar sein kann mit der gleichzeitigen Annahme eines stündlichen Zustroms von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern (zwischen 13 und 19 Uhr) auf das Gelände und dem darauf gestützten Vorwurf einer planerischen Überschreitung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute in den Tunneln sowie insbesondere auch auf der Rampe Ost.
Unabhängig davon, dass noch nach Anklageerhebung die Maße der Vereinzelungsanlagen und darauf beruhend der maximale Besucherzustrom auf das Gelände durch Prof. Dr. T wiederholt von den in der Anklageschrift enthaltenen Werten abweichend angegeben wurden [Fußnote 38], ohne dass dies zur Ermittlung der tatsächlich maßgeblichen Werte und gegebenenfalls einer entsprechenden „Anpassung“ der Anklage geführt hätte, ergibt sich nämlich bereits aus den Ausführungen in der Anklageschrift selbst, dass die in der Anklage angenommene Verletzung der Durchflussmaximalkapazität auf der Rampe Ost – die Durchflusswerte der Tunnel werden bereits nicht beziffert – in der vorgeworfenen Gestalt nicht vorgelegen haben kann:
Die Anklage geht insofern bezogen auf die planerisch engste Stelle auf der Rampe Ost (18,28 Meter) von folgenden Werten aus:
15.00 Uhr - 16.00 Uhr: 95,73 Personen/Meter/Minute
16.00 Uhr - 17.00 Uhr: 91,17 Personen/Meter/Minute
17.00 Uhr - 18.00 Uhr: 132,20 Personen/Meter/Minute
18.00 Uhr - 19.00 Uhr: 86,62 Personen/Meter/Minute.
[Fußnote 38: Siehe hierzu unter C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) (α).]
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Nach der Anklage war jedoch der Zufluss durch die Vereinzelungsanlagen (bereits planerisch) auf lediglich 43.788 Menschen/Stunde (S. 127 der Anklageschrift, Bl. 36491 HA) begrenzt, was hingegen die Anklageschrift bei der Angabe der etwaigen planerischen Überschreitung der Maximaldurchflusskapazität auf der Rampe Ost nicht berücksichtigt. Die in der Anklageschrift in Bezug genommenen Planzahlen gehen – die Begrenzung ignorierend – ersichtlich von dem Fall aus, dass sämtliche ankommenden Besucher quasi ungehindert (planerisch) durch die Vereinzelungsanlagen bewältigt werden konnten. Dies wird exemplarisch deutlich in der Konkretisierung der Anklageschrift (Bl. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA), wo nach Berechnung des durchschnittlich stündlich zwischen 15 und 19 Uhr abzuwickelnden Besucherdurchflusses in der Engstelle von 10,59 Meter (in Personen/Meter/Minute) unter Zugrundelegung der Planzahlen zum Besucherzu- und -abstrom ausgeführt wird:
„Infolgedessen war die wissenschaftlich anerkannte - und von allen Angeschuldigten zu beachtende - maximale Durchflusskapazität auf der östlichen Rampe zeitweise um mehr als das Doppelte überschritten.“
Diese Berechnungsweise kann indes nach dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft zur Gesamtkapazität des Eingangssystems nicht zutreffen, denn insoweit lässt die Anklage die (erstmals) im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen von ihr selbst genannte Limitierung des Besucherzuflusses durch die Vereinzelungsanlagen auf 43.788 Besucher pro Stunde unbeachtet. Ob überhaupt und bejahendenfalls zu welchem Zeitpunkt – gerade auch unter Berücksichtigung des weiteren Planelements des Vorsperrensystems durch die Polizei – ein „Überrennen“ bzw. eine Wirkungslosigkeit der Vereinzelungsanlagen planerisch determiniert war, so dass die Anzahl der ankommenden Besucher nunmehr derjenigen der auf das Gelände gelangenden Besucher entsprechen konnte, führt die Anklage nicht aus. Vielmehr nimmt auch Prof. Dr. T insoweit lediglich an, dass die Planung hinsichtlich der Vereinzelungsanlagen auf einen (erheblichen) Rückstau vor den Vereinzelungsanlagen so auch im Zeitraum 15 bis 19 Uhr – nicht aber auf deren grundsätzliche Funktionslosigkeit mit der Folge des Zuflusses auch des die Kapazitätsgrenzen der Vereinzelungsanla-
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gen überschreitenden Personenanteils – ausgelegt war. [Fußnote 39] Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft etwa auf S. 149 des Abschlussvermerks vom 10.02.2014 (Bl. 35114 HA), wonach der sich im Laufe des Veranstaltungstages entwickelnde Druck auf das Ein- und Ausgangssystem zu einem „Zusammenbruch der Vereinzelungsanlagen“ führen musste, finden in den dort zitierten Fundstellen des Gutachtens des Prof. Dr. T keine Entsprechung.
Dort heißt es lediglich (Bl. 40724 f. HA, Hervorhebung sowie [Klammer]-Anmerkung durch die Kammer):
„2.22.6 Der Tunnel-/Rampeneingang und das Ausgangssystem stellen ein zu erwartendes Problem dar und, basierend auf den Berechnungen, versagen diese in Bezug auf die numerischen Grenzwerte.
2.22.7 Die Eingangsmodellbildung zeigt, dass Warteschlangen im Laufe der Zeit beträchtlich wachsen. Dies stellt signifikante Herausforderungen dar, nicht zuletzt im Hinblick auf Verzögerungen am Eingang, auf Ansammlungen von Menschenmengen und auf den anschließenden Druck auf das Eingangssystem.
3.1.6 Wir betonen, dass das Eingangssystem nicht in der Lage war, die ankommenden Menschenmengen in der erwarteten Anzahl zu bewältigen und dass dies zu übermäßigen Verzögerungen und umfangreichen Warteschlangen an den Eingangssystemen (Ost und West) führte.
3.1.7 Letztlich führte das Aufbauversagen des Eingangssystems zu erhöhtem Druck und Risiko an den Zugangspunkten. Dies hatte beträchtliche [unausgeführt welche] Auswirkungen auf den Zwischenfall.“
[Fußnote 39: Vgl. Punkt 2.12.3 des Gutachtens vom 14.03.2013 (Bl. 40708 HA): „Wir betonen, dass es sich hierbei um einen vorhersagbaren Aufbau einer Warteschlange sowohl im Hinblick auf ihre Größe (Anzahl der Menschen) als auch ihrer Dauer handelt.“; ferner etwa Punkte 2.22.6 sowie 2.22.7 des Gutachtens vom 14.03.2013 (Bl. 40724 HA), Punkte 3.1.3, 3.1.6., 3.1.7 des Gutachtens vom 14.03.2013 (Bl. 40725 HA) sowie zusammenfassend Punkt 4.1.1 des Gutachtens vom 14.03.2013 (Bl. 40743 HA).]
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Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft in der Stellungnahme vom 14.09.2015 enthalten insoweit eine bloße Behauptung ohne Belegführung, als dort – komplett ohne Beweismittelreferenz – pauschal angeführt wird, dass die Stauungen vor und hinter den Vereinzelungsanlagen zu einem „Versagen des Zu- und Abgangssystems führen mussten“ (Bl. 45212 HA).
Auch in seiner „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S _EN.DOC "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ (Bl. 41163-41177 HA) erläutert Prof. Dr. T einerseits den Zusammenhang zwischen der begrenzten Kapazität der Vereinzelungsanlagen und der Durchflusssituation im Ein- und Ausgangssystem nicht (Verhältnis des dortigen Punktes 7. zu den Punkten 1.-6.), andererseits stellt er auch hier ausdrücklich darauf ab, dass es (im plangemäßen Betrieb) zu einer (von ihm konkret bezifferten) „Schlange“ außerhalb der Vereinzelungsanlagen, nicht aber zu einem „Überrennen“ der Vereinzelungsanlagen durch die erwarteten Personenströme komme, indem er ausführt:
„Daraus folgt, unter der Annahme, dass die Tore rechtzeitig öffneten, die Ankunftsraten wie erwartet eintrafen, dann würde man vernünftigerweise erwarten, dass die Schlange zwischen 12:00 und 17:00 Uhr von 8.260 auf 97.820 anwachsen würde.“ (Bl. 41171 HA)
Unter Beachtung der von der Anklageschrift angenommenen Limitierung des Besucherflusses auf 43.788 Besucher pro Stunde, ergäbe sich indes eine Kürzung der Zuflusswerte zwischen 20% und 51%. Aufgrund der (in der Anklageschrift zugrunde gelegten) Kapazitätsgrenze der Vereinzelungsanlagen und bereits bei Bestehenbleiben des planerischen Abflusswertes sowie der Annahme eines Abstroms allein über die Rampe Ost errechnet sich folgendes – von der Anklage erheblich abweichendes – zu erwartendes Durchflussprofil auf der Rampe Ost im Zeitraum zwischen 15 und 19 Uhr:
Uhrzeit |
Zustrom |
Abstrom |
15-16 Uhr |
43.788 (statt 55.000) |
50.000 |
156
16-17 Uhr |
43.788 (statt 55.000) |
45.000 |
17-18 Uhr |
43.788 (statt 90.000) |
55.000 |
18-19 Uhr |
43.788 (statt 55.000) |
40.000 |
Hieraus ergeben sich folgende abweichende Durchflusswerte bezüglich der Rampe Ost bei einem angenommenen planerischen Durchgangsmaß von 18,28 Meter:
15.00 Uhr - 16.00 Uhr: 85,51 Personen/Meter/Minute
16.00 Uhr - 17.00 Uhr: 80,95 Personen/Meter/Minute
17.00 Uhr - 18.00 Uhr: 90,09 Personen/Meter/Minute
18.00 Uhr - 19.00 Uhr: 76,39 Personen/Meter/Minute
Der Durchschnittswert beliefe sich insoweit auf 83,24 Personen/Meter/Minute, wobei die Anklage selbst aus § 7 Abs. 4 SBauVO NRW (hinsichtlich der Herleitung als Durchflussmaximalwert für den „Normalbetrieb“ rechtsfehlerhaft [Fußnote 40]) einen Durchflussmaximalwert von 83,3 Personen/Meter/Minute ableitet (S. 489 der Anklageschrift, Bl. 36853 HA). Insbesondere im unmittelbar dem Taterfolg vorgelagerten bzw. diesen bereits betreffenden Zeitraum von 16 bis 17 Uhr – nach der Anklageschrift sei spätestens um 16.02 Uhr (wahrscheinlich aber schon gegen 15.30 Uhr) „der tödliche Verlauf der Menschenverdichtung auf der Rampe nicht mehr abwendbar“ gewesen (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA), etwa ab 16.40 Uhr habe dann am Rampenfuß „eine Personendichte von mindestens sieben Personen pro Quadratmeter“ geherrscht (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA) – wäre ein Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute bereits ohne eine Kürzung des Abflusswertes nicht überschritten.
Es ist des Weiteren schon nicht ermittelt, in welchem Verhältnis die zu erwartenden Abflusszahlen aufgrund des faktisch durch die Kapazitätsgrenze der Vereinzelungsanlagen limitierten Zugangs gegenüber den Planzahlen zu kürzen wären. Die demgemäß ermittelten verringerten Abstromzahlen wären jedenfalls (rechnerisch) bei der Bestimmung des Durchflussprofils einzubeziehen. Weiter wäre überdies (rechnerisch) bei der Bestimmung des Durchflussprofils auf der Rampe Ost auch die – durch
[Fußnote 40: Vgl. C. II. 2. a. dd. (2) (a) sowie C. III. 2. a. aa. (2) (a).]
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die Anklage (fehlerhaft erst) ab etwa 18 Uhr angenommene – planerische Funktion der Rampe West als zusätzlicher regulärer Abgang zu berücksichtigen gewesen, was zwangsläufig zu einer weiteren Reduzierung jeweils des von der Anklage berechneten stündlichen Durchflusswertes auf der Rampe Ost sowie insbesondere auch des Durchschnittswertes des Personendurchflusses von 15 bis 19 Uhr geführt hätte. [Fußnote 41]
(e) Planerische Funktion der Rampe West
Zur planerischen Funktion der Rampe West führt die Anklageschrift Folgendes aus (S. 7 der Anklageschrift, Bl. 36371 HA a.E.):
„Eine kleinere, westlich gelegene Rampe sollte zu einem späteren Zeitpunkt (ab etwa 18 Uhr) – im Bedarfsfall – ausschließlich als Abgang dienen.“
Hierbei bleibt indes außer Acht, dass die für die Planung maßgebliche, weil zu Genehmigungszwecken beim Bauamt eingereichte Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010 einen Öffnungszeitpunkt der Rampe West erst gegen etwa 18 Uhr (zudem nur im Bedarfsfall) nicht vorsieht; vielmehr gibt die Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010 die Rampe West als regulären Ausgang ohne entsprechende zeitliche Beschränkung vor. [Fußnote 42] Nicht ermittelt – und von Prof. Dr. T mit nicht nachvollziehbarer Begründung nicht entsprechend berechnet [Fußnote 43] – bleibt damit, in welchem rechnerischen Maß aufgrund der (regulären) planerischen Verwendung auch der Rampe West zu Abgangszwecken die errechneten Werte hinsichtlich des vermeintlichen planerischen Durchflusskapazitätsdefizits insbesondere auf der Rampe Ost weiter anzupassen sind.
Zur Rampe West führt Prof. Dr. T aus:
„Wenn wir eine Näherungsanalyse auf die zweite Rampe anwenden (12m breit), mit 82 Personen pro Meter pro Minute, dann erhalten wir ~ 59.000 Menschen pro Stunde.“ (Bl. 41167 HA)
[Fußnote 41: Vgl. hierzu sogleich C. II. 2. a. dd. (3) (e).
Fußnote 42: Vgl. C. II. 2. b. aa..
Fußnote 43: Siehe dazu später C. II. 2. b. cc. (3) (d).]
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Eine rein rechnerische Einbeziehung der Rampe West ergäbe danach ein planerisches Gesamtdurchflusspotential von etwa 148.937 Personen/Stunde (89.937 Personen/Stunde über die Rampe Ost bei einer Durchgangsbreite der planerisch eng-sten Stelle von 18,28 Meter sowie etwa 59.000 Personen/Stunde über die Rampe West), was den dargestellten weiteren Aufklärungsbedarf verdeutlicht.
Auch insoweit verhält sich die Anklage schließlich nicht zu der entsprechenden Einlassung d Angeschuldigten H , den Maximaldurchfluss tatsächlich (auch) unter Beachtung der Funktion der Rampe West mit einem Wert von „46 Personen je Meter Wegbreite“ berechnet zu haben (vgl. Bl. 24354 f. HA).
(f) „Mitzieheffekt“
Soweit die Anklage hinsichtlich der Planung des Ein- und Ausgangssystems weiter ausführt, es sei im „Veranstaltungskonzept Sicherheit – interne Fassung“ vom 20.05.2010 davon ausgegangen worden, die Floats würden die Besucher am Rampenkopf „in großer Zahl“ zum Weitergehen veranlassen (sogenannter „Mitzieh-effekt“), hierbei habe es sich jedoch um eine nicht durch belastbare Erfahrungswerte oder andere konkrete Erkenntnisse gestützte – unrealistische und letztlich unzutreffende – Prognose gehandelt (S. 10, 133 f. der Anklageschrift, Bl. 36374, 36497 f. HA), fehlt es bereits an einer näheren (indes erforderlichen) Eingrenzung des Vorwurfs hinsichtlich der vermeintlich durch die Angeschuldigten geplanten konkreten Größenordnung eines etwaigen „Mitzieheffekts“, zumal die Anklage insoweit gerade nicht eine Unbestimmtheit der Planung zum Vorwurf macht.
Hiervon unabhängig wird auf eine – in der Liste der Beweismittel (S. 33 ff. der Anklageschrift, Bl. 36397 ff. HA) nicht erfasste – vorläufige (interne Entwurfs-)Fassung des Sicherheitskonzepts vom 20.05.2010 abgestellt (vgl. BMO V 3.2 Band 1, Bl. 287 ff., elektronische Seitenzahl 342 ff.). Dort heißt es ausdrücklich etwa vor dem Punkt 1.0 „Schutz vor Personenschäden“ im Sinne eines Fortschreibungsvorbehalts (BMO V 3.2 Band 1, Bl. 289, elektronische Seitenzahl 344, Hervorhebung durch die Kammer):
„Aus unserer Sicht kann den nachfolgend benannten Risiken, durch folgende Maßnahmen begegnet werden (Wird fortgeschrieben): …“
159
Die tatsächlich dem Bauamt zu Genehmigungszwecken überreichte und damit maßgebliche, letztgültige, mit dem Zugehörigkeitsvermerk (gestempelt als „gehört zum Bescheid“) versehene Planung in Form des Sicherheitskonzepts vom 28.06.2010 sowie der Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010 wird hingegen nicht in Bezug genommen und ausgewertet. In der (maßgeblichen) Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010 sowie im Sicherheitskonzept vom 28.06.2010 fehlt es an einer ausdrücklichen Planung wie im Anklagevorwurf (S. 10 der Anklageschrift, Bl. 36374 HA) behauptet, wonach die Floats die Besucher am Rampenkopf „in großer Zahl“ zum Weitergehen veranlassen würden (sogenannter „Mitzieheffekt“).
Im Einzelnen wird auf S. 8 der Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010 vielmehr ausgeführt:
„Das Paraden-Publikum nimmt an dem Float-Umzug teil, indem es rechts und links entlang der fahrenden Floats mitläuft. Inkl. des Fahrweges wird hierfür eine ca. 30m breite hergerichtete Paradestrecke für die Besucher zur Verfügung stehen, in deren Mitte sich die ca. 4m breite Fahrstrecke der Floats befindet.“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 35)
Ferner soll nach S. 4 der Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010 die Paradenstrecke links und rechts des Floatfahrwegs (13 Meter links und 13 Meter rechts der Fahrspur) als Bereich „für große Menschenmengen hergerichtet werden, die sich in permanenter Bewegung befinden“. (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 31)
Zudem heißt es unter Ziffer 3.3 „Publikumsbewegungen auf dem Gelände“ der Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010:
„Die Publikumsbewegungen auf dem Gelände werden durch Ordnerleitung in Fahrtrichtung der Parade geführt. Bis 14:00 Uhr (Paradenbeginn) werden gegenläufige Bewegungen (zum zielgerichteten Aufsuchen der einzelnen Floatpositionen) jedoch nicht behindert.“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 43, Hervorhebung durch die Kammer)
160
Unter Ziffer 1.03 des dem Bauamt überreichten Sicherheitskonzepts vom 28.06.2010 heißt es ergänzend (Hervorhebung durch die Kammer):
„1.03 Besucherführung (Massensteuerung) / Streckenüberwachung
Von Seiten der Veranstalterin ist die Besucherlenkung eines der zentralen Elemente des Sicherheitskonzeptes während der Veranstaltung. Mit Hilfe einer Web-Cam-Überwachung hat die „Float-Steuerung“ (LP-Lagezentrum II) jeder Zeit einen aktuellen Überblick über die gesamte Streckensituation. Darüber hinaus ist sie via Bündelfunk mit allen Fahrern der Floats in direktem Sprech-Kontakt. Sollte sich also in einem Strecken-Bereich eine kritische Situation ergeben, werden gezielt einzelne Floats (oder per Gruppenruf auch alle Floats zusammen) angesprochen und je nach Situation gesteuert. Dabei werden auch Strömungsbewegungen der Besucher beobachtet und in die operative Planung einbezogen. Die Sicherheitsbehörden erhalten bei Bedarf jeder Zeit Zugriff auf diese Informationen.
Erfahrungsgemäß orientieren sich die Besucher stark an der Floatbewegung. Stoppt ein Float, bleiben die Besucher auch stehen, bzw. zieht es die im Umfeld befindlichen Besucher zu sich hin. Biegt ein Float ab, folgt die Masse, auch wenn der vorherige Wagen evtl. in eine andere Richtung gefahren ist. So lassen sich die Besucher je nach Bedarf hervorragend dynamisch steuern. Sollte sich also beispielsweise der Besucherandrang so verdichten, dass es zu Stauungen kommt, werden die nachfolgenden Floats ggf. einige Zeit angehalten, bis sich die Situation vor Ort entzerrt hat.
Damit die im LP-Lagezentrum 2 beschlossenen Maßnahmen vor Ort auch garantiert umgehend realisiert werden, befindet sich auf jedem Float eine weisungsberechtigte Person der Veranstalterin, die entsprechende Anordnungen an Fahrer, Ordner und die Club-Verantwortlichen weiterleiten kann. Die Kommunikationsstruktur läuft auch hier über das Bündelfunksystem der Veranstalterin.
Die (zeitliche) Besucherbewegung auf der Fläche wird auf Grund der Abläufe in den Vorjahren wie folgt prognostiziert:
Die Strecke wird sich am Veranstaltungstag erst im Laufe des Nachmittags langsam füllen. Bis ca. 12/13 Uhr sind zumeist nur wenige Tausend Besucher vor Ort, die sich von Beginn an "einen guten Platz" in der Nähe ihres "Lieblings- Floats" sichern wollen und sich somit großzügig auf der Strecke verteilen. Mit Beginn der Parade um 14
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Uhr nimmt der Zustrom der Besucher langsam zu. Ab 18 Uhr ist die Veranstaltungsfläche rund um den Float-Rundkurs dann gut gefüllt.
Mit Beginn der Abschlusskundgebung um 17 Uhr wird sich der Publikumsschwerpunkt insbesondere auf dem Bühnenvorplatz verlagern und sich die Personendichte dort erhöhen. Wenn die ersten Floats das Veranstaltungsgelände verlassen (gegen 20/21 Uhr) haben sich große Teile der "Nachmittags-Besucher" bereits wieder auf den Heimweg gemacht, während die letzten neuen Besucher eintreffen, um das Programm auf der Abschlussbühne mitzuerleben.
Die Personenverteilung unterliegt also nicht nur durch die Bewegung der Floats, sondern auch durch das Zu- und Abströmen der unterschiedlichen Besucher-Gruppen, einem ständigen dynamischen Prozess.“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 203-204)
Danach ist nicht ersichtlich, dass in der allein maßgeblichen, weil dem Bauamt letztlich zu Genehmigungszwecken vorgelegten, Planung tatsächlich zum einen, wie vorgeworfen, ein Personensteuerungsverhalten durch die Floats konkret für die Situation am Rampenkopf vorgesehen wurde. Soweit es in der Veranstaltungsbeschreibung heißt: „Das Paraden-Publikum nimmt an dem Float-Umzug teil, indem es rechts und links entlang der fahrenden Floats mitläuft.“, betrifft dies nicht ausschließlich oder in besonderer Weise den Rampenkopf, sondern gleichermaßen die gesamte Floatstrecke, weshalb es nicht als spezielles Steuerungselement für den Rampenkopf in den Planungen enthalten ist. Zum anderen fehlen Angaben zu einer konkreten Größenordnung („in großer Zahl“) der durch einen etwaigen „Mitzieheffekt“ zum Weitergehen zu bewegenden Besuchermengen am „Rampenkopf“. Vielmehr sieht die Planung für den Fall, „dass es zu Stauungen kommt“, eine Intervention durch Anhalten der Floats und damit das Gegenteil eines „Mitzieheffekts“ vor.
Aus der Anklage ist überdies nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls wie sich die – tatsächlich vorhandene – Planung in ihrer Gesamtheit auf das planerische System der Zu- und Abgangsströme auswirken musste. So setzt sich die Anklage insbesondere nicht mit der sich aus den Planunterlagen ergebenden Verknüpfung von Personenstromerwartungen im Verhältnis zu den geplanten Floatbewegungen auseinander. Insbesondere ist nicht ermittelt, wie sich das geplante Floatbewegungsprofil (insbesondere geplante Fahr-/Stillstandszeiten) zu den jeweils erwarteten
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Besucherströmen verhält. Zudem bleibt unaufgeklärt, ob etwa – wie planerisch vorgesehen – Stillstandszeiten im Sinne der Ziffer 1.03 des Sicherheitskonzepts vom 28.06.2010 („Sollte sich also beispielsweise der Besucherandrang so verdichten, dass es zu Stauungen kommt, werden die nachfolgenden Floats ggf. einige Zeit angehalten, bis sich die Situation vor Ort entzerrt hat.“) die – nach Darstellung der Anklage – zwangsläufig zu erwartenden „Menschenverdichtungen“ hätten verhindern können. Insbesondere bleibt insoweit unbeantwortet, ob damit zu rechnen war, dass bei Verdichtung des Besucherandrangs durch ein Anhalten von Floats entsprechend der vorhandenen konkreten Planung in Ziffer 1.03 des Sicherheitskonzepts vom 28.06.2010 die „Situation vor Ort entzerrt“ werden konnte.
Unabhängig hiervon hätte es eines Abgleichs des Planstandes mit den tatsächlichen Verhältnissen am Veranstaltungstag am Rampenkopf und der eingetroffenen Personenströme einerseits sowie des tatsächlichen Floatbewegungsprofils andererseits bedurft, um zu beurteilen, ob sich der Vorwurf insoweit fehlerhafter Planung auch tatsächlich ausgewirkt bzw. realisiert hat.
Soweit die Anklage auf S. 401 der Anklageschrift, Bl. 36765 HA ausführt (Hervorhebungen durch die Kammer):
„Der Stau am Rampenkopf lockerte sich mit der Einrichtung der "Kette" am Kopf der Rampe. Der Rückstau in die Rampe hinein hatte in der Zeit ab 16.00 Uhr bis 16.10 Uhr etwas nachgelassen, da ab 16.15 Uhr keine Floats mehr durch den Bereich oberhalb der Rampe fuhren. Der Teil der Float-Strecke, der unmittelbar am Kopf der Zu- und Abgangsrampe vorbeiführte, war zwischen 14.25 Uhr und 14.56 Uhr sowie zwischen 16.15 Uhr und 17.00 Uhr von den Floats frei gehalten worden.“,
deutet sich zwar in der Anklage („da“) ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Anhalten der Floats und dem Nachlassen eines Rückstaus am Rampenkopf an, erschließt sich aber in der dargestellten zeitlichen Abfolge nicht.
(g) Zusammenfassung
Wesentliche Voraussetzungen der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzung (planerische Nichteignung des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte) sind
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nicht ermittelt; insofern bedürfte es jedenfalls weiterer wesentlicher Ermittlungen. Die Anklage behauptet zwar, es habe fehlerhafte Planungen auch hinsichtlich der Tunnel West und Ost sowie hinsichtlich einer „besondere(n) Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe“ (Rampenkopf) gegeben. Dies führt sie jedoch weder näher aus noch gibt es entsprechende Ermittlungsergebnisse. Soweit die Anklage eine fehlerhaft geplante Dimensionierung und Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen annimmt, fehlt es bereits an Ermittlungen zu den geplanten Maßen der Vereinzelungsanlagen als Grundlage einer solchen Annahme.
Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen die konkret vorgeworfene Fehlplanung der Vereinzelungsanlagen hinsichtlich einer (nach der Anklage letztlich erfolgsursächlichen) Überschreitung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute insbesondere auf der Rampe Ost gehabt haben soll. Die hier angenommene Limitierung des Besucherzuflusses (43.788 Besucher pro Stunde) lässt sich jedenfalls nicht mit der gleichzeitigen Annahme eines stündlichen Zustroms von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern im Zeitraum von 13 bis 19 Uhr auf das Gelände vereinbaren. Insofern ist auch nicht ermittelt, in welchem Verhältnis die zu erwartenden Abflusszahlen aufgrund des faktisch durch die Kapazitätsgrenze der Vereinzelungsanlagen limitierten Zugangs gegenüber den Planzahlen zu kürzen wären. Ferner berücksichtigt die Anklage bei der Berechnung einer Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität nicht den planerischen Einsatz auch der Rampe West zu Abflusszwecken. Schließlich werden die Planungen hinsichtlich eines so bezeichneten „Mitzieheffekts“ am Rampenkopf unvollständig und fehlerhaft erfasst.
ee. Sorgfaltspflichtverletzung am Veranstaltungstag
Am Veranstaltungstag selbst ist von Seiten des Verkehrssicherungspflichtigen grundsätzlich alles zu unterlassen, was bei Durchführung der Veranstaltung der eigenen Verkehrssicherungs(planungs)verantwortlichkeit in dem beschriebenen Sinne zuwiderlaufen könnte, so etwa auch der Verstoß gegen sicherheitsrelevante Auflagen der Genehmigungsbehörden, welche die Führung des Personenstroms im Ein- und Ausgangssystem betreffen. Insoweit können nämlich auch behördliche (drittschützende) Auflagen – so denn einschlägig – Anhaltspunkte für die konkrete Bestimmung des Inhalts der Verkehrssicherungspflicht bieten (vgl. OLG München, NJW-RR 2007, 1621).
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Dabei geht der insoweit gegenüber den Angeschuldigten J , G , H und I konkret erhobene Anklagevorwurf, die von der Genehmigungsbehörde vorgegebenen Auflagen (jeweils) nicht umgesetzt zu haben, nämlich die Rampe als „Fluchtweg“ von Hindernissen freizuhalten, vielmehr sei es zu einer genehmigungswidrigen weiteren Verengung auf 10,59 Meter durch nicht entfernte Zaunbauten gekommen, was das bestehende „Durchflusskapazitätsdefizit“ weiter vergrößert habe, mangels vorliegenden Auflagenverstoßes fehl (dazu (1)).
Den Ausführungen der Anklageschrift ist (auch) der Vorwurf zu entnehmen, die Angeschuldigten J , G , H und I hätten durch ein fehlendes Freihalten der Rampe Ost von Hindernissen und damit die Aufrechterhaltung eines baugenehmigungswidrigen Zustands ihre aus der Gefahrenverantwortlichkeit im Vorfeld der Veranstaltung herrührende Pflicht zur durchflusssicheren Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems der Veranstaltungsstätte bei Durchführung der Veranstaltung verletzt (dazu (2)). Auch insoweit besteht indes kein hinreichender Tatverdacht.
(1) Verstoß gegen „Auflage“ Nr. 6
Eine fehlerhafte Umsetzung von „baurechtlichen Auflagen“ [Fußnote 44] als Ansatzpunkt des angeklagten weiteren Sorgfaltspflichtverstoßes scheidet aus, da es sich bei der Rampe Ost, auf der sich die zum Gegenstand des Anklagevorwurfs erhobene (zusätzliche) Verengung auf 10,59 Meter befand, weder um einen Flucht-/Rettungsweg handelte, noch im Übrigen der inhaltliche Anwendungsbereich der ausdrücklich Flucht-/Rettungswege betreffenden „Auflage“ Nr. 6 der vorübergehenden Nutzungsänderungsgenehmigung vom 21./23.07.2010 (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 16 f.) betroffen ist.
(a) Flucht-/Rettungswegeigenschaft der Rampe Ost
Die „Auflage“ Nr. 6 des Genehmigungsbescheides lautet:
„Die Breite der Fluchtwege auf der Ost- und Südseite des Geländes darf an keiner Stelle eine Breite von 10m unterschreiten (s.a. Brandschutzkonzept). Die zuführenden Wegeflächen vom Notausgang zum Rettungsweg dürfen an keiner Stelle eine
[Fußnote 44: Im Abschlussvermerk wird indes nicht vom Vorliegen einer „Auflage“, sondern von einer „Inhaltsbestimmung zur Genehmigung“ ausgegangen, vgl. Bl. 35141 HA unter Verweis auf Bl. 35139 f. HA.]
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Breite von 7 m unterschreiten (s.a. Brandschutzkonzept). Die Fluchtwege dürfen an keiner Stelle durch Einbauten oder sonstige Hindernisse eingeschränkt werden.“
Die Anklage führt dazu im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen aus:
„Aufgrund der Gesamtlänge des Tunnels Karl-Lehr-Straße von ca. 400 Metern und der Tatsache, dass weitere Ausgänge auf öffentliche Verkehrsflächen zwischen der östlichen Rampe und der östlichen und westlichen Tunnelöffnung nicht vorhanden waren, lag die Wegstrecke, die eine Person bei Betreten des Tunnels über die Rampe zurückzulegen hatte, um ins Freie auf eine öffentliche Verkehrsfläche zu gelangen, deutlich über 30 Meter. Somit verstieß die Rettungswegführung über den Tunnel gegen die Vorschrift des § 7 Abs. 3 SBauVO NRW. Die Vorschrift begrenzt die zulässige Länge der Rettungswege bis zum nächsten Ausgang ins Freie. Sie knüpft dabei an den Begriff des sogenannten notwendigen Flures nach § 38 BauO NRW an. Flure sind geschlossene horizontale Verbindungen einzelner Nutzungseinheiten einer baulichen Anlage mit dem Freien. Soweit ein solcher Flur als Rettungsweg zu qualifizieren ist, handelt es sich gemäß § 38 Abs. 1 BauO NRW um einen sogenannten notwendigen Flur. Da es sich vorliegend bei dem Tunnel Karl-Lehr-Straße um einen Rettungsweg handelte, der ins Freie führte und als solcher in Bauunterlagen ausgewiesen war (BMO S6, Bl. 220), handelte es sich dabei auch um einen notwendigen Flur im Sinne des § 7 Abs. 3 SBauVO NRW. Gemäß § 7 Abs. 3 SBauVO NRW darf keine Stelle eines solchen notwendigen Flures weiter als 30 Meter von einem Ausgang ins Freie entfernt sein. Innerhalb des Tunnels waren die beiden nächstgelegenen Ausgänge ins Freie die am jeweiligen Ende der Karl-Lehr-Straße vor der östlichen beziehungsweise westlichen Tunnelöffnung liegenden Vereinzelungsanlagen. Folglich endete der Rettungsweg auch erst dort, mithin an der nächsten im Freien liegenden öffentlichen Verkehrsfläche außerhalb des Veranstaltungsgebietes (zum räumlichen Umfang der Genehmigung vom 23.Juli 2010 vgl. die Ausführungen unter II. 4. e), dd), (2)).“ (S. 478 f. der Anklageschrift, Bl. 36842 f. HA)
Ferner:
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„Die Planungen sahen insgesamt 23 Öffnungen in der Zaunanlage zuzüglich der beiden Rampen als Notausgänge vor (BMO S-6, Bl. 204 f.).“ (S. 479 der Anklageschrift, Bl. 36843 HA, Hervorhebung durch die Kammer)
Im Abschlussvermerk wird dabei ausdrücklich auch der Bereich der Rampe Ost unter dem Aspekt des (notwendigen) Flures als Rettungsweg i.S.d. § 6 Abs. 1 S. 2 SBauVO NRW klassifiziert.
Dort heißt es (Hervorhebung durch die Kammer):
„Auch bei der westlichen und östlichen Rampe sowie bei der Karl-Lehr-Straße einschließlich des Tunnels handelte es sich um Rettungswege im Sinne des § 6 Abs. 1 SBauVO NRW. Am Veranstaltungstag waren am Fuß der östlichen Rampe Schilder mit Richtungsangaben angebracht, denen die Besucher entnehmen konnten, dass der Weg über die Karl-Lehr-Straße der einzige Ausgang in den öffentlichen Straßenraum war. Da Tunnel und Tunnelwand nebst den Vereinzelungsanlagen vor dem Tunnelausgang die Veranstaltungsstätte nach außen begrenzten, befanden sich die Besucher erst jenseits der Vereinzelungsanlage im Freien. Die Besucher hatten von den Rampen kommend ausschließlich die Möglichkeit, den Tunnel zu durchschreiten und über die Tunnelausgänge den freien Straßenraum zu erreichen. Rampen und Tunnel waren angesichts dieser baulichen Gestaltung als Flur im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 SBauVO NRW zu qualifizieren.“ (Bl. 35050 HA)
Die vorgenommene Einstufung der Baulichkeit der Rampe Ost als Rettungsweg geht fehl.
(aa) Bestimmung der Rampe Ost als Flucht-/Rettungsweg
Rettungswege sind die allgemeinen Verkehrswege innerhalb und außerhalb baulicher Anlagen, die die Flucht der in der baulichen Anlage oder auf dem Grundstück befindlichen Menschen in kurzer Zeit ermöglichen sowie das rasche und ungehinderte Eindringen von Rettungskräften gestatten, und die dazu auch bestimmt sind (vgl. Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 2012, § 17 Rn. 88).
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Unabhängig davon, dass die „Auflage“ Nr. 6 ausdrücklich in ihrem maßgeblichen (die Hindernisfreiheit betreffenden) Satz 3 auf Fluchtwege und nicht Rettungswege abstellt und der Abschlussvermerk selbst diese „Auflage“ wegen der vorhandenen begrifflichen Differenzierung zwischen Flucht- und Rettungswegen als unbestimmt im Sinne des § 37 VwVfG NRW erachtet (vgl. Bl. 35141 f. HA), werden – begriffliche wie inhaltliche Synonymität unterstellt – die Flucht-/Rettungswege der Versammlungsstätte in der (als dem Bescheid zugehörig gestempelten) Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010 im Einzelnen aufgezählt, wozu die Rampe Ost aber gerade nicht gehört (vgl. im Einzelnen Flächenplanung Nr. 7-9 Bl. 5/24 der Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 32). Dementsprechend heißt es auch ergänzend auf Bl. 10/24 der Veranstaltungsbeschreibung vom 16.07.2010, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 37, unter dem Punkt „zu 2.2 c) Entfluchtungsflächen“ (Hervorhebungen durch die Kammer):
„Von allen Bereichen des Veranstaltungsgeländes sind Notausgänge erreichbar, die auf freie Fluchtflächen führen. Diese Flächen werden ausschließlich im Notfall genutzt, wenn eine Gefahrensituation die Öffnung eines Notausgangstores erfordert. Ansonsten werden sämtliche Entfluchtungsflächen freigehalten und sind für Besucher der Veranstaltung nicht zugänglich.“
Auch aus den übrigen Bauunterlagen/-vorlagen ergibt sich eine Einstufung der Rampe Ost als Flucht- bzw. Rettungsweg nicht. Im Sicherheitskonzept heißt es etwa ergänzend unter Ziffer 1.04 (Rettungswege und Entfluchtungsflächen, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 204):
„Sämtliche sicherheitsrelevanten Flächen sind im LP-Masterplan erfasst (…)“
Der (auch von der Staatsanwaltschaft) in Bezug genommene „Masterplan“ (vgl. die mit Zugehörigkeitsvermerk versehene Anlage B18 der Nutzungsänderungsgenehmigung, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 256 (= BMO S 006 (alt), Bl. 220, elektronische Seitenzahl 226 [dort Leerblatt in der elektronischen Fassung])) wiederum weist insoweit (wie auch der Entfluchtungsplan, BMO S 06, elektronische Seitenzahl 232 (= BMO S 006 (alt), Bl. 204, elektronische Seitenzahl 209)) zwar einen (Not-) Ausgang auf der Rampe Ost, nicht aber die Rampe Ost selbst als einen – für die
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Anwendbarkeit der „Auflage“ vorausgesetzten – Flucht- bzw. Rettungsweg (im Plan jeweils grün schraffiert) aus.
Hiermit in Einklang stehend führt die Staatsanwaltschaft im Abschlussvermerk selbst (zutreffend) aus, dass die östliche Rampe im Entfluchtungsplan den Feldern F und I zugeordnet wurde (BMO S 06, elektronische Seitenzahl 232 bzw. BMO S 006 (alt), Bl. 204, elektronische Seitenzahl 209) und damit nach dem Planstand gerade keine Entfluchtung der dort befindlichen Besucher über die Karl-Lehr-Straße vorgesehen war (Bl. 35057 HA). Ferner wurde auch der Tunnelbereich – wie die Staatsanwaltschaft ebenfalls zutreffend ausführt – in den Bauunterlagen nicht als Entfluchtungssektor betrachtet (Bl. 35057 HA). Nach dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen erfolgte schließlich auch tatsächlich keine Flucht- bzw. Rettungswegbeschilderung der Rampe Ost (S. 102 der Anklageschrift, Bl. 36466 HA).
Insoweit heißt es in der Anklageschrift:
„Auf den Rampen selbst wurden weder Schilder noch Banner angebracht. Auf eine Kennzeichnung der in der Planung als Notausgänge vorgesehenen Rampen wurde durch Verantwortliche der M GmbH ebenfalls verzichtet.“ (S. 102 der Anklageschrift, Bl. 36466 HA),
wobei dort fehlerhaft darauf abgestellt wird, dass die „Rampen“ „als Notausgänge“ vorgesehen seien, wobei aus dem vorhandenen Planmaterial – neben dem eingezeichneten Notausgang auf der Rampe Ost – keine weitere Notausgangseintragung auf bzw. hinsichtlich einer anderen Rampe (etwa der Rampe West) ersichtlich ist.
(bb) Rampe Ost als „notwendiger Flur“
Gleichfalls ergibt sich eine Flucht-/Rettungswegeigenschaft – unabhängig von der fehlenden Planauszeichnung bzw. Genehmigung nach entsprechender Grüneintragung – auch nicht aus einer Einstufung der Rampe Ost als sog. notwendiger Flur. So gehören gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 SBauVO NRW zwar insbesondere die frei zu haltenden Gänge und Stufengänge, die Ausgänge aus Versammlungsstätten, die notwendigen Flure und Treppen, die Ausgänge ins Freie, die als Rettungsweg dienenden Balkone, Dachterrassen und Außentreppen sowie die Rettungswege im Freien auf
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dem Grundstück regelmäßig zu den Rettungswegen von Versammlungsstätten. Die diesbezüglich angenommene Einstufung der Rampe Ost als „notwendiger Flur“ im Sinne dieser Vorschrift geht jedoch fehl. Nach der (anwendbaren) Definition des § 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 BauO NRW handelt es sich dabei nämlich um Flure innerhalb von Aufenthaltsräumen bzw. um Verbindungen von Aufenthaltsräumen mit Ausgängen ins Freie wie auch offene Gänge vor den Außenwänden, nicht aber um (sonstige) Wegeführungen einer Veranstaltungsstätte im Freien.
(Notwendige) Flure als Bestandteile von Rettungswegen verbinden vielmehr horizontal die Nutzungseinheiten mit den Treppenräumen bzw. dem Ausgang ins Freie (vgl. Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 2012, § 38 Rn. 1). Als Ausnahmeregelung für Gänge im Freien hat der Landesgesetzgeber in § 38 Abs. 5 BauO NRW lediglich offene Gänge vor den Außenwänden, mithin sog. „Laubengänge“, als notwendige Flure eingestuft, da diese den im Inneren der Gebäude liegenden Fluren in ihrer Bedeutung für die Erschließung von Nutzungseinheiten in mehrgeschossigen Gebäuden vergleichbar sind (vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, 77. AL, Dez. 2012, § 38 Rn. 3).
Dass dem die Vorgaben der BauO NRW konkretisierenden § 6 SBauVO insoweit ein von § 38 BauO NRW abweichender – weitergehender – Begriff des notwendigen Flures innewohnt, ist nicht begründbar; vielmehr gilt die Legaldefinition des notwendigen Flures auch für die aufgrund der BauO NRW erlassenen Vorschriften – so insbesondere die SBauVO NRW (vgl. Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 38 Rn. 3).
(b) Schutzzweck der „Auflage“ Nr. 6
Unabhängig davon – unterstellt der Bereich der Rampe Ost unterfiele tatsächlich der Rettungswegeigenschaft und wäre zudem von dem Begriff „Fluchtweg“ in Satz 3 der „Auflage“ Nr. 6 in Bezug genommen – bezieht sich das bereits aus §§ 7 Abs. 4 S. 2, 31 Abs. 2 SBauVO NRW abzuleitende, in der „Auflage“ Nr. 6 (deklaratorisch) wiedergegebene Einschränkungsverbot/Freihaltegebot – dem Schutzzweck eines Flucht-/Rettungswegs entsprechend – stets lediglich auf die notwendige Fluchtweg-/ Rettungswegbreite (vgl. Starke/Scherer/Buschhoff, Praxisleitfaden Versammlungsstättenverordnung, 2. Aufl., S. 50; vgl. ferner Begründung und Erläuterung zur Ver-
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ordnung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, Fassung 14.11.2006, S. 18; vgl. im Übrigen in diesem Sinne auch die Ausführungen der Staatsanwaltschaft im Abschlussvermerk vom 10.02.2014, Bl. 35064 HA).
Dass aber eine entsprechende Fluchtweg-/Rettungswegbreite größer als 10,59 Meter festgesetzt worden wäre, ist nicht ersichtlich. Vielmehr bestimmt die von den gesetzlichen Anforderungen des § 7 Abs. 4 SBauVO NRW dispensierende bauaufsichtsrechtliche Entscheidung lediglich für die Breite der „Fluchtwege“ auf der Ost- und Südseite des Geländes eine – auch im Falle der mit den Bauzäunen versehenen Rampe Ost nicht unterschrittene – fixe Breite von jedenfalls 10 Meter sowie für die zuführenden Wegeflächen vom Notausgang zum „Rettungsweg“ eine (noch geringere) fixe Breite von jedenfalls 7 Meter.
Schließlich aber wäre auch der inhaltliche Zweck der „Auflage“ Nr. 6, nämlich eine durch Hindernisse nicht beeinträchtigte Flucht von Menschen bzw. eine ungehinderte Rettung durch die Rettungsdienste zu ermöglichen, hinsichtlich des erhobenen Anklagevorwurfs der pflichtwidrigen zusätzlichen Verringerung der Durchflusskapazität des Ein- und Ausgangssystems nicht betroffen. Der Schutzzweck der Bestimmungen über Flucht-/Rettungswege liegt nämlich darin, die Versammlungsstätte im Gefahrenfall möglichst schnell und so zu räumen, dass alle Personen sicher ins Freie gelangen (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., § 7 S. 199; 4. Aufl., § 7, S. 219). Gegenstand der Anklage ist demgegenüber ausdrücklich nicht der Vorwurf, dass bei einer Entfluchtung/Rettung der Zuschauer aufgrund eines planerischen Enfluchtungsdefizits engebedingt Verletzungen/Todesfolgen auftraten, sondern vielmehr eine angenommene Erfolgsursächlichkeit des plangemäßen Zu- bzw. Abflusses im Normalbetrieb, welcher zwangsläufig im Zeitraum zwischen 15 und 19 Uhr zu einer akuten (den Tod bzw. Verletzungen bei den Opfern verursachenden) Verdichtungssituation am Rampenfuß der Rampe Ost geführt haben soll.
(2) Baugenehmigungswidriger Zustand der Rampe Ost
Den Angeschuldigten J , G , H und I wird (ebenfalls) vorgeworfen, sie hätten durch ein fehlendes Freihalten der Rampe Ost von Hindernissen (Verengung durch Zaunaufbauten auf 10,59 Meter) und damit durch die Aufrechterhaltung eines aufgrund der Abweichung der tatsächlichen Ausführung von den Bauplä-
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nen baugenehmigungswidrigen Zustands ihre Pflicht zur durchflusssicheren Ausge-staltung des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte verletzt.
Auch insoweit fehlt es indes an einem hinreichenden Tatverdacht. Denn wesentliche Voraussetzungen der von der Anklage angenommenen konkreten Sorgfaltspflicht sowie einer Sorgfaltspflichtverletzung hinsichtlich der Personenstromeignung des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte, die auch nach der Anklage die Grundlage für den weiteren erhobenen Tatvorwurf (fehlende Beseitigung der Verengung der Breite der Rampe Ost auf 10,59 Meter) bilden, sind nicht ermittelt. Ein – den Angeschuldigten vorgeworfenes – fehlendes Freihalten der Rampe Ost von Hindernissen und damit die Aufrechterhaltung eines baugenehmigungswidrigen Zustands mit der Folge eines Verstoßes gegen eine Pflicht zur durchflusssicheren Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems bei Durchführung der Veranstaltung setzt nämlich ebenfalls zum einen eine (tragfähige) Bestimmung des konkreten Maßes der Sorgfaltspflicht hinsichtlich des zu gewährleistenden sicheren Durchflusses voraus (dazu (a)), zum anderen die Feststellung der Verletzung dieser Sorgfaltspflicht unter Berücksichtigung der relevanten Durchflussfaktoren des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte (dazu (b)). Hieran mangelt es jeweils aufgrund fehlender wesentlicher Ermittlungen.
(a) Konkretes Maß der Sorgfaltspflicht
Das von der Anklageschrift angenommene konkrete Maß der Sorgfaltspflicht (erforderliche Berechnung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute als „wissenschaftlich anerkannter Höchstwert“ für die engste Stelle der Durchgangswegeführung des Ein- und Ausgangssystems) ergibt sich wie ausgeführt weder aus Vorgaben der SBauVO NRW noch aus den § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW konkretisierenden DIN-Normen bzw. als allgemein anerkannte Regel der Technik im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW. [Fußnote 45] Ob den Angeschuldigten J , G , H und I unter dem Aspekt der allgemeinen Verkehrssicherungsverantwortung unabhängig von fehlenden Vorgaben in DIN-Normen bzw. öffentlich-rechtlichen Vorschriften die von der Anklage angenommene konkrete Sorgfaltspflicht zur rechnerischen Bemessung der Durchflussmaximalkapazität der engsten Stelle (hier 10,59 Meter)
[Fußnote 45: Vgl. C. II. 2. a. dd. (2).]
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eines Durchgangsweges des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte mit 82 Personen/Meter/Minute oblag, vermag die Kammer ohne tragfähige sachverständige Ausführungen nicht aus eigener Sachkunde zu beurteilen. [Fußnote 46] Weitere – als wesentlich einzustufende – Ermittlungen zur Bestimmung des konkreten Maßes der Sorgfaltspflicht konnten von der Kammer im Zwischenverfahren nicht durchgeführt werden, denn zu solchen Ermittlungen ist die Kammer weder berechtigt noch gehalten. [Fußnote 47]
(b) Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen der Sorgfaltspflichtverletzung
Selbst bei Annahme der von der Anklage unterstellten konkreten Sorgfaltspflicht (erforderliche Berechnung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute für die Durchgangswegeführung des Ein- und Ausgangssystems bezogen auf die Verengung der Rampe Ost auf 10,59 Meter) – fehlt es an der Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen für die angeklagte Sorgfaltspflichtverletzung hinsichtlich der Eignung des (Gesamt-)Ein- und Ausgangssystems der betroffenen Versammlungsstätte. Die Verengung auf 10,59 Meter auf der Rampe Ost ist nämlich – so auch nach der Anklage – hinsichtlich einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zur durchflusssicheren Ausgestaltung im Gesamtzusammenhang des Ein- und Ausgangssystems der Veranstaltung (bestehend aus den Vereinzelungsanlagen West und Ost, den Tunneln West und Ost, der – auf 10,59 Meter verengten – Rampe Ost einschließlich einer „besonderen Engstelle am oberen Ende“ sowie der Rampe West) [Fußnote 48] zu bewerten.
Insofern behauptet die Anklage zwar, es habe fehlerhafte Planungen auch hinsichtlich der Tunnel West und Ost sowie hinsichtlich einer „besondere(n) Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe“ (Rampenkopf) gegeben. Dies führt sie jedoch weder näher aus noch gibt es entsprechende Ermittlungsergebnisse. [Fußnote 49] Auch werden die Planungen hinsichtlich eines so bezeichneten „Mitzieheffekts“ am Rampenkopf – wesentliche weitere Ermittlungen erfordernd – unvollständig und fehlerhaft erfasst. [Fußnote 50]
[Fußnote 46: Vgl. auch C. II. 2. a. dd. (2) (d).
Fußnote 47: Vgl. C. II. 2. a. dd. (2) (e).
Fußnote 48: Vgl. zur Abgrenzung der Versammlungsstätte auch später C. III. 2. a. aa. (b).
Fußnote 49: Vgl. C. II. 2. a. dd. (3) (c).
Fußnote 50: Siehe C. II. 2. a. dd. (3) (f).]
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Vor allem aber sind die planerischen Maße der Vereinzelungsanlagen nicht tragfähig ermittelt. Überdies ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen die nach der Anklage bestehenden Kapazitätsgrenzen der Vereinzelungsanlagen sowie der Einsatz auch der Rampe West zu Abflusszwecken auf die vorgeworfene Überschreitung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute insbesondere auf der Rampe Ost gehabt haben sollen. [Fußnote 51] Bei Beachtung der (in der Anklageschrift zugrunde gelegten) Kapazitätsgrenze der Vereinzelungsanlagen unter Bestehenbleiben des planerischen Abflusswertes sowie der Annahme eines Abstroms allein über die Rampe Ost errechnet sich folgendes – von der Anklage abweichendes – zu erwartendes Durchflussprofil auf der auf 10,59 Meter verengten Rampe Ost im Zeitraum zwischen 15 und 19 Uhr:
Uhrzeit |
Zustrom |
Abstrom |
15-16 Uhr |
43.788 (statt 55.000) |
50.000 |
16-17 Uhr |
43.788 (statt 55.000) |
45.000 |
17-18 Uhr |
43.788 (statt 90.000) |
55.000 |
18-19 Uhr |
43.788 (statt 55.000) |
40.000 |
Hieraus ergäben sich folgende abweichende – den Wert von 82 Personen/Meter/ Minute zunächst erheblich übersteigende – Durchflusswerte bezüglich der Rampe Ost bei einem angenommenen Durchgangsmaß von 10,59 Meter:
15.00 Uhr - 16.00 Uhr: 147,6 Personen/Meter/Minute
16.00 Uhr - 17.00 Uhr: 139,74 Personen/Meter/Minute
17.00 Uhr - 18.00 Uhr: 155,47 Personen/Meter/Minute
18.00 Uhr - 19.00 Uhr: 131,87 Personen/Meter/Minute
Der Durchschnittswert beliefe sich insoweit zunächst auf 143,67 Personen/Meter/Minute, wobei jedoch nicht ermittelt ist, in welchem Verhältnis auch die angenommenen Abstromzahlen aufgrund des zwischen 20% und 51% geringeren Zustroms zu kürzen wären. Die demgemäß ermittelten verringerten Abstromzahlen
[Fußnote 51: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (d) und (e).]
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wären jedenfalls (rechnerisch) bei der Bestimmung des Durchflussprofils einzubeziehen. Ferner wird vor allem die – durch die Anklage (fehlerhaft erst) für den Zeitraum ab etwa 18 Uhr angenommene – planerische Funktion der Rampe West als zusätzlicher (regulärer) Abgang, zumal auch von Prof. Dr. T mit nicht nachvollziehbarer Begründung nicht entsprechend berechnet [Fußnote 52], nicht rechnerisch einbezogen, so dass unaufgeklärt bleibt, in welchem Maß aufgrund der (regulären) planerischen Verwendung auch der Rampe West zu Abgangszwecken die errechneten Werte hinsichtlich des vermeintlichen planerischen Durchflusskapazitätsdefizits insbesondere auf der Rampe Ost weiter anzupassen sind.
Zur Rampe West führt Prof. Dr. T aus:
„Wenn wir eine Näherungsanalyse auf die zweite Rampe anwenden (12m breit), mit 82 Personen pro Meter pro Minute, dann erhalten wir ~ 59.000 Menschen pro Stunde.“ (Bl. 41167 HA)
Eine rein rechnerische Einbeziehung der Rampe West ergäbe danach ein planerisches Gesamtdurchflusspotential von etwa 111.102 Personen/Stunde (52.102 Personen/Stunde über die Rampe Ost bei einer Durchgangsbreite von 10,59 Meter sowie etwa 59.000 Personen/Stunde über die Rampe West), was den dargestellten weiteren Aufklärungsbedarf verdeutlicht.
b. Beweisbarkeit der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen
Für die den Angeschuldigten G , J , H und I vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen – eine sorgfaltswidrige Planung des Ein- und Ausgangs-systems zum Durchfluss der prognostizierten Besucherströme vorgenommen und eingereicht zu haben sowie am Veranstaltungstag durch ein fehlendes Freihalten der Rampe Ost von Hindernissen (Verengung durch Zaunaufbauten auf 10,59 Meter) und damit die Aufrechterhaltung eines baugenehmigungswidrigen Zustandes ihre Pflicht zur durchflusssicheren Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems verletzt zu haben – besteht nach dem derzeitigen Ermittlungsergebnis kein Beweis.
[Fußnote 52: Siehe dazu später C. II. 2. b. cc. (3) (d).]
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Für die für die Beurteilung des Vorwurfs der sorgfaltswidrigen Planung relevante Behauptung, die Rampe West habe erst ab etwa 18 Uhr als Ausgang dienen sollen, [Fußnote 53] fehlt es bereits an einem Beleg durch das Ermittlungsergebnis (aa.).
Das Gutachten des von der Staatsanwaltschaft als Sachverständiger bestellten Prof. Dr. T kann darüber hinaus den Beweis der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen sowohl inhaltlich (bb.) als auch aufgrund seiner Unverwertbarkeit wegen erheblicher Verstöße von Prof. Dr. T gegen Grundpflichten eines Sachverständigen (cc.) nicht erbringen.
Es sind auch keine anderen Beweismittel für einen solchen Beweis ersichtlich (dd.) und die Kammer ist im Zwischenverfahren weder gehalten noch berechtigt, weitere – hier wesentliche – Ermittlungen, die einen solchen Beweis erbringen könnten, durchzuführen (ee.).
aa. Behauptung, die westliche Rampe habe ab etwa 18.00 Uhr ausschließlich als Abgang dienen sollen
In der Anklage wird behauptet, die westliche Rampe habe (erst) ab etwa 18.00 Uhr als zusätzlicher Abgang dienen sollen. Dies ergibt sich jedoch nicht aus dem Ermittlungsergebnis.
Diese (fehlerhafte) Annahme hat auch maßgeblichen Einfluss auf die Beurteilung der Sorgfaltspflichtverletzung. [Fußnote 54]
In der Konkretisierung der Anklage heißt es:
„Eine kleinere, westlich gelegene Rampe sollte zu einem späteren Zeitpunkt (ab etwa 18.00 Uhr) - im Bedarfsfall - ausschließlich als Abgang dienen.“ (S. 7 der Anklageschrift, Bl. 36371 HA)
Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird hierzu weiter erläuternd ausgeführt:
[Fußnote 53: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (e) sowie C. II. 2. a. ee. (2) (b).
Fußnote 54: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (e) sowie C. II. 2. a. ee. (2) (b).]
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„Die westliche Rampe sollte ausschließlich als Ausgang dienen. Ein genauer Zeitpunkt zur Öffnung des Ausgangs auf der westlichen Rampe wurde in der Veranstaltungsbeschreibung jedoch nicht genannt.“ (S. 230 der Anklageschrift, Bl. 36594 HA)
„Diese Ausführungen des Sicherheitskonzepts wurden in der Veranstaltungsbeschreibung vom 28. Juni 2010 unter dem Punkt "1.3 Veranstaltungsgelände" und unter dem Punkt "3.2 Eingangssituation Karl-Lehr-Tunnel" insbesondere zur Frage des im Sicherheitskonzept nicht geregelten Zuflusses der Besucher zum Veranstaltungsgelände wie folgt ergänzt:
"Der reguläre Zu- und Abfluss der Besucher wird zentral über den Tunnel "Karl-Lehr-Straße" gesteuert. Hierzu stehen zwei Aufgänge zum Veranstaltungsgelände zur Verfügung. Der breitere, mittige Zugang (Zufahrt Firma S ) wird sowohl als Ein- wie auch als Ausgang genutzt, während der kleinere, westlich gelegene Zugang (ehem. Straße "Am Güterbahnhof) ausschließlich als Ausgang fungieren soll.““ (S. 248 der Anklageschrift, Bl. 36612 HA)
Die Behauptung, die Öffnung sei (erst) ab etwa 18 Uhr vorgesehen gewesen, wird wie folgt hergeleitet:
„Die Vertreter der M GmbH wiesen zudem in diesem Zusammenhang (gemeint ist eine Besprechung von 23.03.2010) auf die beabsichtigte Nutzung der kleineren westlichen Rampe als weiteren Ausgang ab 18.00 Uhr hin.“ (S. 160 der Anklageschrift, Bl. 36524 HA, Klammerzusatz durch die Kammer)
„Zudem sollte die westliche Rampe in der Hauptankunftszeit von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr gerade nicht geöffnet werden. Ausweislich der für die Genehmigung maßgeblichen Veranstaltungsbeschreibung vom 16. Juli 2010 sollte die westliche Rampe ausschließlich als Ausgang dienen und während des anhaltenden Zustroms von Besuchern geschlossen bleiben (BMO S-6, BI. 14, 20). In den Bauunterlagen wurde zwar keine genaue Zeit genannt, ab der eine Öffnung erfolgen sollte. Aufgrund der Planung, die eintreffenden Besucher ausschließlich über die östliche Rampe auf das Gelände zu leiten, konnte eine solche Zeit auch nicht genannt werden, da die Öffnung der Ausgangsrampe erst zu einem Zeitpunkt erfolgen konnte, wenn keine oder kaum noch eintreffende Besucher zu verzeichnen gewesen wären. Andernfalls hät-
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ten auch diese über die westliche Rampe das Gelände betreten können, was gerade verhindert werden sollte. In der AG 4-Besprechung vom 26. März 2010 (BMO S-16, BI. 423 = BMO S-49-2, BI. 30) wurde dazu angegeben, dass frühestens ab 18.00 Uhr mit einem Ende der Anreisezeit zu rechnen sei. Folglich konnte bei der Beurteilung der Besucherströme auch frühestens ab 18.00 Uhr mit einer Öffnung der westlichen Rampe gerechnet werden. Tatsächlich blieb die westliche Rampe auch geschlossen und wurde erst als Notmaßnahme gegen 16.00 Uhr geöffnet.“ (S. 468 der Anklageschrift, Bl. 36832 HA)
Weiter wird ausgeführt:
„Auch eine Einbeziehung der westlichen Rampe in die Betrachtung vermochte die vorstehende Beurteilung nicht zu relativieren, zumal diese nach den Planungen erst ab 18.00 Uhr geöffnet werden und lediglich dem Abstrom dienen sollte. Unterstellte man, dass die westliche Rampe bei Veranstaltungsbeginn geöffnet sowie für Zu- und Abstrom verwendet worden wäre, wäre neben den vorstehend beschriebenen Pro-blemen zusätzlich ein sehr komplexes System mit kombinierten Strömen von Zehntausenden von Menschen pro Stunde und einem gegenläufigen Strom in beide Richtungen in den Tunnel West entstanden (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32628 d. A., Rn. 2.20.3, 2.20.4; BI. 32650 d. A., Rn. 4.1.1., 4.1.2).“ (S. 130 der Anklageschrift, Bl. 36494 HA)
„Auch eine Einbeziehung der westlichen Rampe in die Betrachtung vermochte die vorstehende Beurteilung nicht zu relativieren. Unterstellte man, dass die westliche Rampe von Veranstaltungsbeginn an geöffnet sowie für Zu- und Abstrom verwendet worden wäre, wäre neben den vorstehend beschriebenen Problemen zusätzlich ein sehr komplexes System mit kombinierten Strömen von Zehntausenden von Menschen pro Stunde und einem gegenläufigen Strom in beide Richtungen in den Tunnel West entstanden (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32628 d. A, Rn. 2.20.3, 2.20.4; BI. 32650 d. A, Rn. 4.1.1., 4.1.2).“ (S. 468-469 der Anklageschrift, Bl. 36832-36833 HA)
„Schließlich musste die geplante Situation am Kopf der östlichen Rampe auch die effektive Nutzung der westlichen Rampe herabsetzen (vgl. die Ausführungen des
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Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32644 d. A., Rn. 3.6.2). Der Rundkurs sollte die Veranstaltungsbesucher gerade nicht zur westlichen Rampe, die ab 18.00 Uhr für den Ausgang geöffnet werden sollte, sondern zurück zur östlichen Rampe führen (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32663 d. A., Rn. 5.13.10). Lediglich für diese Besucher wäre der geplante Ausgang über die westliche Rampe ab 18.00 Uhr als solcher erkennbar gewesen. Die Veranstaltungsbesucher, die nicht den Floats folgten, hätten diesen Ausgang nicht erkennen können.“ (S. 134 der Anklageschrift, Bl. 36498 HA)
Dass die Nutzung der westlichen Rampe als Bereich, über den die Besucher die Szenefläche in Richtung Tunnel verlassen sollten, erst ab etwa 18 Uhr geplant war, ergibt sich – wie auch in der Anklage richtig angegeben – aus den Planungsunterlagen gerade nicht. Vielmehr heißt es in der „Veranstaltungsbeschreibung Loveparade 2010 – Duisburg“ neben der in der Anklage zitierten Passage unter Punkt 1.3 (siehe oben) in Punkt 2.2:
„Der zentrale Ein- und Ausgang zur bzw. von dem Veranstaltungsgelände erfolgt vom Karl-Lehr-Tunnel im südlichen Teil des Geländes über die mittlere (breite) Rampe. (Jetzige Zufahrt zur Baufirma S ) Als regulärer Ausgang soll zusätzlich die westliche (schmalere) Rampe genutzt werden. (ehem. Straße „Am Güterbahnhof“)“ (Seite 8/24 der „Veranstaltungsbeschreibung Loveparade 2010 – Duisburg“, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 35)
Insofern war eine Öffnung der westlichen Rampe als regulärer Ausgang(sweg) ohne Zeitangabe geplant, was bedeutet, dass dieser dauerhaft und gerade nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt, wie beispielsweise ab etwa 18 Uhr, geöffnet sein sollte. Allein diese Bestimmung als regulärer Ausgangsweg war Gegenstand der zu Genehmigungszwecken eingereichten – und damit maßgeblichen – Veranstaltungsplanung.
Soweit in der Anklage behauptet wird, die Vertreter der M GmbH hätten bei einer Besprechung vom 23.03.2010 auf die beabsichtigte Nutzung der westlichen Rampe als weiteren Ausgang ab 18.00 Uhr hingewiesen, wird dies durch keines der dafür benannten Beweismittel bestätigt.
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Weder in dem Protokoll vom 25. März 2010, BMO S 27, BI. 249 ff., elektronische Seitenzahl 254 ff., das im Übrigen inhaltsgleich ist mit dem ebenfalls als Beweismittel angegebenen Protokoll über die Vorstellung des Grobkonzeptes Loveparade 2010 am 23. März 2010 beim Ordnungsamt der Stadt Duisburg, BMO P 61.3, BI. 157 ff., elektronische Seitenzahl 167 ff., noch in der „Ausarbeitung der Rechtsanwälte H für die M GmbH vom 3. November 2010“ (benannt als „Dossier (Stand: 3. November 2010) zu den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Unglück am 24.7.2010 in Duisburg“, BMO V 66, BI. 85 ff., elektronische Seitenzahl 111 ff.) findet sich dergleichen. In dem – zwar als Fundstelle für das zuletzt genannte Dokument in der Anklage angegebenen, tatsächlich aber eine Zusammenfassung eines Ortstermins vom 22.06.2010 enthaltenden – Dokument BI. 23698 ff. HA findet sich ebenfalls nichts zu einer Öffnung der Rampe West als Ausgang erst ab etwa 18 Uhr. Auch im „Grob-Konzept Loveparade 2010 Duisburg, INTERNER Planungsstand vom 15.03.2010“ (BMO S 16, elektronische Seitenzahl 220-228) wird dazu nichts angegeben.
Den als Beweismittel hierzu benannten (vgl. S. 159 der Anklageschrift, Bl. 36523 HA) Aussagen der Zeugen K (BI. 12095 ff. HA), PHK F (BI. 17819 ff. HA), PD S (BI. 21640 f. HA), F (BI. 5968 ff. HA), K (BI. 22495 ff. HA) und POR K (BI. 16332 ff. HA sowie seine „Zusammenfassende Darstellung der Abläufe bei der Vorbereitung der Loveparade 2010 in Duisburg in der Zeit bis März 2010“ vom 23.08.2010, Bl. 16352 ff. HA) lässt sich nichts Derartiges entnehmen. Einzig PHK L gibt auf die Frage, wie die Rampe West genutzt werden sollte, an, diese „sollte bei Bedarf bei starkem Personenabfluss als Ausgang dienen, um den Begegnungsverkehr auf der großen Rampe zu verhindern“ (Bl. 16486 HA) bzw. sei „für den Notfall“ als Ausgang für die Besucher vorgesehen gewesen, die die Veranstaltung verlassen wollten (Bl. 16490 HA). Indem PHK L darauf abstellt, die Rampe West habe als Ausgang dienen sollen, „um den Begegnungsverkehr auf der große Rampe“, gemeint ist damit die Rampe Ost, „bei starkem Personenabfluss“ zu verhindern, bestätigt seine Aussage bereits inhaltlich nicht die Behauptung der Anklageschrift, denn nach allen Planzahlmodellen wurde ein starker Abstrom bereits ab 15 Uhr erwartet (50.000 abströmende Besucher zwischen 15 und 16 Uhr, 45.000 zwischen 16 und 17 Uhr,
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55.000 zwischen 17 und 18 Uhr, während zwischen 18 und 19 Uhr lediglich 40.000 abströmende Besucher erwartet wurden). Wenn also nach den Angaben von PHK L die Rampe West dazu dienen sollte, den Begegnungsverkehr auf der Rampe Ost bei starkem Personenabfluss zu verhindern, folgt daraus eine (beabsichtigte) Öffnung der Rampe West schon deutlich früher als ab etwa 18 Uhr. Eine – wie von der Anklage angenommene – zeitliche Beschränkung (erst ab einer bestimmten Uhrzeit) erwähnt auch PHK L nicht.
Auch aus dem Protokoll der „3. Besprechung der AG 4/Sicherheit am 26.3.2010“ vom 30.03.2010 (BMO S 16, elektronische Seitenzahl 446-450) ergibt sich nicht, dass – wie in der Anklage angegeben – „in der AG 4-Besprechung vom 26. März 2010 (BMO S-16, BI. 423 = BMO S-49-2, BI. 30) (…) dazu angegeben (wurde), dass frühestens ab 18.00 Uhr mit einem Ende der Anreisezeit zu rechnen sei.“ (S. 468 der Anklageschrift, Bl. 36832 HA). Insofern wird in der Anklage ein Zusammenhang zwischen dem erwarteten Ende der Anreisezeit und der Öffnung der Rampe West hergestellt („Andernfalls hätten auch diese über die westliche Rampe das Gelände betreten können, was gerade verhindert werden sollte. In der AG 4-Besprechung wurde dazu angegeben…“). Zutreffend ist daran allein, dass es in diesem Protokoll heißt: „Die Anreisezeit endete zwischen 18.00 bis 19.00 Uhr…“ (BMO S 16 neu, elektronische Seitenzahl 447). Indes bezieht sich die zu „TOP 2 der Veranstaltung (Vorstellung des Verkehrskonzeptes des VRR zur Loveparade)“ getätigte Äußerung auf die bereits im Jahr 2008 stattgefundene Loveparade in Dortmund („Die Erfahrungen aus Dortmund haben gezeigt…“, BMO S 16 neu, elektronische Seitenzahl 447) und zudem inhaltlich auch nur auf eine Besuchersteuerung im Bereich des Bahnhofs, mithin nicht eine solche auf dem Veranstaltungsgelände. Ein Bezug zur Rampe West ist dem Protokoll nicht zu entnehmen.
Darüber hinaus käme es zur Beurteilung der Planung auch nicht auf etwaige Äußerungen d Angeschuldigten G bei einer Besprechung – deutlich vor Einreichen der Planung – im März 2010, sondern auf die tatsächlich zu Genehmigungszwecken eingereichten Planungsunterlagen an, die eine zeitliche Beschränkung gerade nicht enthalten.
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Die von der Anklage bemühte Herleitung, warum die Rampe West erst ab etwa 18 Uhr geöffnet werden sollte (Rampe West sollte nur Ausgang sein, deshalb hätte sie erst geöffnet werden können, sobald nur noch wenige eintreffende Besucher zu verzeichnen gewesen wären, weil diese ausschließlich über die Rampe Ost zur Szenefläche geleitet werden sollten, dies sei frühestens ab 18 Uhr der Fall gewesen, vgl. S. 468 der Anklageschrift, Bl. 36832 HA), geht zudem fehl. Denn zum einen finden sich diese Überlegungen nicht in den für die Planung/Genehmigung allein relevanten eingereichten Planungsunterlagen, zum anderen ist der von der Staatsanwaltschaft gezogene Schluss, die Rampe West hätte, weil nur als Ausgang gedacht, erst geöffnet werden können, wenn es keinen (wesentlichen) Zustrom mehr gegeben hätte, weil sonst nicht hätte verhindert werden können, dass Besucher auch über die Rampe West auf die Szenefläche gelangen, weder überzeugend noch zwingend. Ein Zugang von Besuchern über die Rampe West hätte beispielsweise durch Ordner und/oder Zäune verhindert werden können.
bb. Beweis für die Sorgfaltspflichtverletzungen durch das Gutachten von Prof. Dr. T
Die Anklage stützt die gegenüber den Angeschuldigten J , G , H und I erhobenen Vorwürfe der Verantwortlichkeit für ein zur Führung der progno-stizierten Besucherströme ungeeignetes Ein- und Ausgangssystem auf die Ausführungen von Prof. Dr. T:
„Das von der M GmbH geplante Einlass- und Ausgangssystem war nicht geeignet, die ankommenden und abreisenden Besucher sicher zu führen (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T vom 14. März 2013, BI. 32631 d.A., Rn. 2.22.1, 2.22.2; BI. 32653 d. A., Rn. 5.2.1, 5.2.3; BI. 32660 d. A., Rn. 5.12.3, 5.12.4).“ (so die Ausführungen auf S. 465 ff. der Anklageschrift, Bl. 36829 ff. HA zur Strafbarkeit de Angeschuldigten D , auf die die Anklage für d Angeschuldigte H (S. 534 der Anklageschrift, Bl. 36898 HA: „Im Übrigen wird auf die Ausführungen zum strafrechtlich relevanten Verhalten d Angeschuldigten D hingewiesen.“), für d Angeschuldigte G (S. 539 der Anklageschrift, Bl. 36903 HA: „D Angeschuldigte G handelte ebenso wie d Angeschuldigte H objektiv sorgfaltswidrig.“), d Angeschuldigten I (S. 544 der Anklageschrift, Bl. 36908 HA: „Ebenso wie bereits zu den Angeschuldigten H und G ausge-
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führt, hat auch d Angeschuldigte I ihm obliegende Sorgfaltspflichten verletzt.“) und d Angeschuldigten J (S. 551 der Anklageschrift, Bl. 36915 HA: „Auf die Ausführungen zum strafrechtlich relevanten Verhalten d Angeschuldigten H wird hingewiesen.“) Bezug nimmt).
Prof. Dr. T wurde von der Staatsanwaltschaft Duisburg in einer Besprechung in Duisburg am 02.04.2011 mit der Erstellung eines Gutachtens zur Fragestellung: „Was waren die Ursachen der Menschenverdichtung am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg (unter Berücksichtigung der Planungen sowie der Durchführung) und welche Möglichkeiten der Verhinderung gab es?“ (Bl. 20832 HA) beauftragt (Bl. 20823 HA). In der (in Bezug auf den Begriff „Menschenverdichtung“ zweifelhaften) englischsprachigen Übersetzung des (undatierten) Bestellungsschreibens wurde diese Frage mit „What were the causes of the overcrowding on July 24, 2010 at the Loveparade in Duisburg and by what means could it have been prevented (with due regard to the planning and the execution in each case)?“ übersetzt (Bl. 20836 HA).
Das in der Folge von Prof. Dr. T erstellte Gutachten kann jedoch – auch unter Einbeziehung der nach der Anklageerhebung erfolgten diversen weiteren Ausführungen von Prof. Dr. T in E-Mails an die Staatsanwaltschaft bzw. in seinem „Gutachten Loveparade Duisburg – 24. Juli 2010, Antwort auf den Beschluss der 5. Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom 17.2.2015 einschließlich des Auftrags der Beantwortung der darin enthaltenen Fragen“ vom 26.06.2015 (im Folgenden als „Antworten vom 26.06.2015“ bezeichnet) – den Beweis für den Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzungen, so wie er in der Anklage erhoben wurde, nicht erbringen. Denn aus dem Gutachten lässt sich nicht tragfähig eine Verletzung des – unabhängig von dessen mangelndem Beleg [Fußnote 55] im Folgenden unterstellten – Sorgfaltspflichtmaßstabes der Berücksichtigung einer Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute für die (Durchgangs-)Wege des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte (hier bestehend aus den Vereinzelungsanlagen West und Ost, den Tunneln West und Ost, der Rampe Ost sowie der Rampe West) herleiten.
[Fußnote 55: Siehe oben C. II. 2. a. dd. (2).]
183
So benennt Prof. Dr. T zwar einen Wert von 82 Personen/Meter/Minute, „um die maximale Durchflussmenge für Zugangs- und Ausgangswege zu berechnen“ (vgl. Punkt 1.5.3 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40687 HA). Prof. Dr. T kommt auch – allerdings unter Anwendung der (von ihm für „manipuliert“ gehaltenen [Fußnote 56]) Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell E -V 2 0.xls“ und ohne seine Annahme, diese Zahlen hätten bei der Planung tatsächlich Verwendung gefunden, nachvollziehbar begründen zu können [Fußnote 57] – zu dem Ergebnis, die Veranstaltung hätte – auf der Basis dieser von ihm als erwartet angenommenen Besucherzahlen – nicht genehmigt werden dürfen. Dies lässt den Rückschluss darauf zu, dass er von einer Verletzung eines bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt zu berücksichtigenden Durchflussmaximalwertes von 82 Personen/Meter/Minute bei der Planung der „Zugangs- und Ausgangswege“ der Versammlungsstätte ausgeht. Eine Verletzung der – unterstellten – Sorgfaltspflicht der Berücksichtigung einer Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute für die (Durchgangs-)Wege des Ein- und Ausgangssystems einer solchen Versammlungsstätte wird aber weder durch das Gutachten von Prof. Dr. T vom 14.03.2013 noch durch seine nachfolgenden diversen Ausführungen tragfähig belegt.
Denn Prof. Dr. T ermittelt bereits den maximalen Tunneldurchfluss in seinem Gutachten nicht, sondern führt hierzu lediglich aus, auch die (von ihm als systemrelevant eingestuften) Tunnel seien – neben den Vereinzelungsanlagen West und Ost und der Rampe Ost – zu eng dimensioniert und „aufgrund der potentiellen Überfüllung während der Spitzenzeiten des Umstellungszeitraumes im Tunnel-/Rampensystem (Zustrom + Abstrom)“ (vgl. Punkte 5.2.3, 5.2.4 und 5.29.1 des Gutachtens vom 14.03.2013) nicht „für den Zweck geeignet“ gewesen (vgl. Punkte 2.22.9 und 4.1.1 des Gutachtens vom 14.03.2013). Konkrete Berechnungen in Bezug auf die Durchflusskapazität der Tunnel, die den Schluss, auch die Tunnel hätten einen „Dimensionierungsfehler“ aufgewiesen, begründen und tragen könnten, führt er hingegen nicht durch. [Fußnote 58] Es wird daher nicht durch die Ausführungen von Prof. Dr. T belegt, dass der Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute in den Tunneln (planerisch) überschritten wurde.
[Fußnote 56: Siehe dazu im Folgenden C. II. 2. b. cc. (1) (a) (aa) (α).
Fußnote 57: Siehe dazu im Folgenden C. II. 2. b. cc. (3) (b).
Fußnote 58: Vgl. C. II. 2. b. cc. (4) (c).]
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Darüber hinaus berücksichtigt Prof. Dr. T bei den Bewertungen einer Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute nicht die Limitierung der auf das Gelände maximal gelangenden Besucher durch die Vereinzelungsanlagen. Nach seinen Ausführungen im Gutachten vom 14.03.2013 betrug die kombinierte Zustromkapazität aus beiden Einlasssystemen (Vereinzelungsanlagen West und Ost) maximal 43.788 Besucher pro Stunde, [Fußnote 59] wobei er allerdings die zu einer Berechnung der Dimensionierung der Vereinzelungsanlagen erforderlichen Maße nicht tragfähig herleitet. Dass ein Versagen der Vereinzelungsanlagen schon planerisch angelegt gewesen wäre, so dass sie ihre limitierende Wirkung zu irgendeinem Zeitpunkt verloren hätten, wird von Prof. Dr. T nicht vertreten. Insofern wäre bei der Bewertung, ob die erwarteten Besucherströme sicher auf das Gelände geführt werden bzw. dieses verlassen konnten, die Limitierung der Besucheranzahl durch die Vereinzelungsanlagen zu berücksichtigen gewesen, was indes nicht erfolgt. Zudem setzt er sich nicht mit Fragen deshalb zu verringernder Abstromzahlen auseinander. [Fußnote 60]
Überdies berücksichtigt Prof. Dr. T den geplanten Abstrom von Besuchern über die Rampe West bei den Durchflussberechnungen zur Rampe Ost mit nicht nachvollziehbarer Begründung nicht. Insofern bezieht er nicht ein, dass nach der Planung unter Berücksichtigung der (lediglich) für den Abstrom vorgesehenen Rampe West nicht der gesamte erwartete Zu- und Abstrom über die Rampe Ost fließen würde. Nicht ermittelt ist deshalb, wie viele bzw. auch nur in etwa wie viele Besucher das Gelände über welche der beiden Rampen verlassen würden. Wenn auch Besucher (wie nach den Planungen der Fall) das Gelände über die Rampe West verlassen hätten, hätte dies zu einer geringeren Anzahl der das Gelände über die Rampe Ost verlassenden Besucher und damit zu einer geringeren Gegenläufigkeit der Ströme auf der Rampe Ost geführt und insofern auch Auswirkungen auf die Durchflusskapazität gehabt. [Fußnote 61]
[Fußnote 59: Bei seinen weiteren Ausführungen geht Prof. Dr. T von unterschiedlichen (geplanten) Bemaßungen der Eingangssysteme aus und kommt dadurch zu divergierenden Werten im Hinblick auf die maximale Anzahl von Besuchern, die das Veranstaltungsgelände pro Stunde betreten konnten, vgl. hierzu im Folgenden C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) (α).
Fußnote 60: Vgl. dazu im Einzelnen im Folgenden C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) sowie C. II. 2. a. dd. (3) (d).
Fußnote 61: Vgl. dazu im Folgenden C. II. 2. a. dd. (3) (e) sowie C. II. 2. b. cc. (3) (d).]
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Im Ergebnis ist nicht durch die Ausführungen von Prof. Dr. T belegt, dass unter Berücksichtigung dieser Umstände – zu ermittelnder Tunneldurchfluss, Limitierung der auf das Gelände gelangenden Besucherzahl durch die Vereinzelungsanlagen (wobei zu ermitteln wäre, in welchem Verhältnis deshalb auch die Abstromzahlen zu kürzen wären) und Abstrom auch über die Rampe West – der Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute im Ein- und Ausgangssystem, insbesondere an der planerisch (18,28 Meter) bzw. tatsächlich (10,59 Meter) engsten Stelle der Rampe Ost, überschritten wurde. [Fußnote 62]
cc. Verwertbarkeit des Gutachtens von Prof. Dr. T
Das Gutachten von Prof. Dr. T kann darüber hinaus keinen Beweis für die erhobenen Vorwürfe erbringen, weil es wegen erheblicher Verstöße von Prof. Dr. T gegen Grundpflichten eines Sachverständigen unverwertbar ist.
Einen Sachverständigen treffen im Vorfeld, bei und nach der Gutachtenerstattung diverse Pflichten, die er als „allgemeinen Standard der Sachverständigenarbeit“ (Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 1, Der Bausachverständige, Heft 3/2013, 57, 59) einzuhalten hat. Dabei handelt es sich insbesondere um die Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität, die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung, zur Offenlegung der Heranziehung von Hilfskräften für unterstützende Vorbereitungsarbeiten und zur verantwortlichen Überwachung dieser Hilfskräfte, die Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung, die Pflicht zur Beachtung des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik, die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen, die Pflicht zur Prüfung, ob der erteilte Begutachtungsauftrag in das eigene Fachgebiet fällt, die Pflicht zur Herbeiführung einer Klärung von Zweifeln an Inhalt und Umfang des Begutachtungsauftrags sowie die Schweigepflicht (Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 1, Der Bausachverständige, Heft 3/2013, 57, 60; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 334-369;
[Fußnote 62: Vgl. dazu C. II. 2. a. dd. (3) (d) und (e).]
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Keldungs/Arbeiter, Leitfaden für Bausachverständige, 3. Aufl., S. 8-10; Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 3. Aufl., Rn. 534-538a).
Eine Verletzung grundlegender Pflichten kann zur Unverwertbarkeit der Ausführungen des Sachverständigen führen (in Bezug auf einen Verstoß gegen die Pflicht zur Offenlegung der wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Gutachtens vgl. BGH, NJW 1992, 1817, 1819; in Bezug auf einen Verstoß gegen die Pflicht zur persönlichen Erstattung des Gutachtens vgl. KG, VersR 2005, 1412; Thüringer LSG, Beschluss vom 04.10.2004 – L 6 SF 584/04 –, juris; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 337; in Bezug auf einen Verstoß gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der Befundtatsachen vgl. Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50, 51; in Bezug auf einen Verstoß zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse vgl. Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50, 52). Eine solche Unverwertbarkeit besteht hier aufgrund der Art und des Gewichts der Verstöße gegen grundlegende Gutachterpflichten durch Prof. Dr. T.
(1) Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität
Prof. Dr. T verletzte seine Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität, indem er in einem von ihm gehaltenen Vortrag sowie in einer Fachbuchveröffentlichung unsachliche Äußerungen zur Loveparade 2010 tätigte sowie sich darin und in einem weiteren Vortrag auf bestimmte Gründe für das Unglücksgeschehen bei der Loveparade 2010 festlegte. Eine Gesamtwürdigung der Umstände, die für die Annahme einer fehlenden Unparteilichkeit und Objektivität von Prof. Dr. T sprechen – neben seinen schon für sich allein die Besorgnis der Befangenheit begründenden Äußerungen sowie der Festlegung auf bestimmte Ursachen für die Geschehnisse bei der Loveparade in den Vorträgen und der Fachbuchveröffentlichung auch die Umstände der Gutachtenerstellung sowie ein Verstoß von Prof. Dr. T gegen die Verschwiegenheitspflicht dadurch, dass er bei seinen öffentlichen Äußerungen zu dem von ihm begutachteten Thema Inhalte seines Gutachtens benutzte sowie Informationen, die Akteninhalt waren, darstellte und öffentlich kommentierte –, weckt weitere durchgreifende Zweifel an der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität von Prof. Dr. T.
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Die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität sind die grundlegenden Qualitäten der Sachverständigentätigkeit überhaupt (Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. 2007, Rn. 353; Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50). Deshalb kann ein Sachverständiger gemäß § 74 Abs. 1 S. 1 StPO aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Demnach findet gemäß § 24 Abs. 2 StPO die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen. Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grundsätzlich vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilen, wobei maßgebend der Standpunkt eines vernünftigen Angeschuldigten ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 24, Rn. 6, 8, jeweils mit weiteren Nachweisen). Ohne Bedeutung ist es, ob der Sachverständige wirklich befangen ist; es kommt nur darauf an, ob verständigerweise ein Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit gerechtfertigt erscheint und ob dem vernünftige, jedem unbeteiligten Dritten einleuchtende Gründe zugrunde liegen (BGH, BeckRS 2011, 14038; Senge, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 74 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen; Eisenberg, NStZ 2006, 368, 370). Mehrere Gründe sind dabei nicht nur für sich allein, sondern auch in ihrer Gesamtheit zu würdigen (BGH, NJW 1956, 271, 272; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 202; Eisenberg, NStZ 2006, 368, 370). Gründe für die Annahme einer Befangenheit können sich insbesondere aus solchen Umständen ergeben, die auf eine innere Haltung des Sachverständigen hinweisen, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit störend beeinflussen könnte (BGH, BeckRS 2011, 14038). Dabei sind an die Unparteilichkeit eines Sachverständigen hohe Anforderungen zu stellen, wie sich aus der Gleichstellung der Ablehnung von Sachverständigen mit der von Richtern ergibt (BGH, NJW 1995, 2930, 2931).
Als Sachverständiger kann nur ausgewählt werden kann, wer fachlich und persönlich geeignet ist. Die Person des Sachverständigen muss gerade Gewähr dafür bieten, dass kein Ablehnungsgrund nach § 74 StPO vorliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 73 Rn. 9; Krause in LR-StPO, 27. Aufl., § 73 Rn. 24) bzw. dass kein Grund vorliegt, der (direkt nach einer Auswahl als Sachverständiger) zur Entbindung von der Gutachterpflicht nach § 76 Abs. 1 S. 2 StPO führen würde. Denn nach § 76 Abs. 1 S. 2 StPO kann das Gericht einen Sachverständigen von der Gutachterpflicht entbinden, wenn dieser zur Erstattung des Gutachtens wegen (auch nicht gel-
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tend gemachter) Befangenheit ungeeignet ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 76 Rn. 3).
Hier bestehen Gründe, die zu einer – so auch schon von den Verteidigern d Angeschuldigten J , Rechtsanwalt Prof. Dr. G und Rechtsanwältin Dr. S , mit Schriftsatz vom 13.03.2015 (Bl. 43066 f. HA), von der Verteidigerin d Angeschuldigten H , Rechtsanwältin F , mit Schriftsatz vom 25.09.2015 (Bl. 45533 HA), von den Verteidigern d Angeschuldigten B , Rechtsanwälte Prof. Dr. P und Dr. E , mit Schriftsatz vom 04.11.2015 (Bl. 45993 HA) sowie von den Verteidigern d Angeschuldigten D , Rechtsanwältin P und Rechtsanwalt A , mit Schriftsatz vom 25.11.2015 (Bl. 46555 HA) angekündigten – Ablehnung von Prof. Dr. T nach § 74 StPO berechtigen bzw. nach einer Bestellung als Sachverständiger in der Hauptverhandlung sogleich zur Entbindung von der Gutachterpflicht nach § 76 Abs. 1 S. 2 StPO durch die Kammer führen würden.
(a) Unsachliche Äußerungen
Aus dem Inhalt des von Prof. Dr. T gemäß seinen Antworten vom 26.06.2015 etwa von Dezember 2013 bis November 2014 [Fußnote 63] auf seiner Homepage (www.h....com) veröffentlichten Vortrags „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ (Bl. 42327-42341 HA), den er während der Einführungsvorlesung in der Manchester Metropolitan University gehalten hat (Bl. 44741, 44742 HA), sowie aus den Ausführungen in seinem im Jahr 2014 veröffentlichten Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ lassen sich Rückschlüsse auf eine innere Haltung von Prof. Dr. T ziehen, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit den Angeschuldigten gegenüber störend beeinflussen kann.
[Fußnote 63: Hierzu führt Prof. Dr. T auf die Frage, unter welchen Umständen und aus welchem Grund die Vortragsfolien sowie die Audiodatei des Vortrages von seiner Homepage entfernt wurden, aus: „Die Webseite wird regelmäßig aktualisiert. Ein neuer Vortrag, eine Einführungsvorlesung (gefilmt und nun auf der Webseite verfügbar) mit aktualisierten Recherchematerialien und andere aktualisierte Informationen wurden ebenfalls auf die Webseite hochgeladen.“ (Bl. 44742 HA) Auf die weitere Frage, ob es vor der Entfernung Gespräche des Sachverständigen mit Dritten, die konkret oder allgemein gehalten die Entfernung zum Gegenstand hatten (bejahendenfalls wann und mit wem) gab, hat er weiter mitgeteilt: „Der Staatsanwalt teilte mir mit, dass der Vortrag auf der Webseite war und dass er die Love Parade erwähnt (ich denke, das war etwa im Sept. 2014 in einem kurzen Telefonat). Es gab jedoch keine bestimmte Anweisung, den Vortrag von der Webseite zu entfernen. Die Aktualisierung fand mehrere Wochen nach diesem Gespräch statt.“ (Bl. 44742 HA)]
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Zwar liegt ein Grund, der geeignet ist, die Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit in Frage zu stellen, in der Regel nicht vor, wenn sich der Sachverständige im Rahmen seiner Berufsausübung, etwa in Publikationen, bei Lehrveranstaltungen oder auf Fachtagungen, zu einer Frage aus seinem Fachgebiet allgemein äußert oder hierzu im Rahmen der Erstattung eines Gutachtens besonders Stellung nimmt. Innerhalb dieses Rahmens abgegebene Äußerungen rechtfertigen die Besorgnis einer Befangenheit grundsätzlich nicht, mag der Sachverständige dabei auch eine wissenschaftliche Meinung vertreten, die sich in einem anhängigen Strafverfahren zum Nachteil des Angeschuldigten bzw. Angeklagten auswirken würde (BGH, NJW 1995, 2930, 2931). Die Besorgnis der Befangenheit ist in der Regel auch nicht allein dadurch gegeben, dass sich der Sachverständige in Publikationen für ein breites Publikum plakativ äußert, wenn in diesem Rahmen gerade solche plakativen Äußerungen üblich sind, denn allein hieraus kann nicht ohne Weiteres auf die innere Einstellung eines Sachverständigen zum Gegenstand seines Gutachtens in einem gerichtlichen Verfahren geschlossen werden (OLG Düsseldorf, Beschl. vom 30.01.2014, 6 StS 1/12).
Die hier betroffenen Äußerungen von Prof. Dr. T stellen jedoch zum einen keine rein allgemeinen Äußerungen zu einer Frage aus seinem Fachgebiet dar, sondern verhalten sich speziell zu konkreten Fehlern bei der Planung und Genehmigung der Loveparade 2010 sowie den (vermeintlich) am Veranstaltungstag vorliegenden Gegebenheiten. Zum anderen – und insofern anders zu bewerten als die Konstellation, dass der Sachverständige sich nur plakativ äußert, woraus nicht ohne Weiteres auf seine innere Einstellung geschlossen werden kann – lassen sich hier aus den konkreten Umständen, insbesondere dem Inhalt der Äußerungen und ihrer Vielzahl, Schlüsse auf die innere Einstellung von Prof. Dr. T zum Gegenstand seines Gutachtens ziehen, die für einen vernünftigen Angeschuldigten die Besorgnis seiner Befangenheit rechtfertigen.
(aa) Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“
In dem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ äußert sich Prof. Dr. T unter anderem mit folgendem Inhalt zum Thema Loveparade (Bl. 42338-42341 HA):
„Ich werde jetzt abschließend noch zur Love Parade kommen und sehen, inwiefern, hätten wir diese Techniken hier angewandt, wie bei jedem anderen Vorfall, wir den
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Unfall hätten kommen sehen können. Das Veranstaltungsgelände hatte eine Engstelle. Das ist zunächst einmal das Veranstaltungsgelände. Die Menge sollte durch Tunnel auf der linken und auf der rechten Seite hereinkommen; der Bahnhof, Hauptbahnhof ist hier oben, und sie sollten auf diesen Straßen auf beiden Seiten um das Gelände herumlaufen, und auf einer Rampe sollten sie dann zusammengeführt werden, und das ist der einzige Zu- und Ausgang für ein Veranstaltungsgelände, und in einem Moment in der Mitte des Events erwartete man 145.000 Menschen, die diese Rampe hochgehen sollten, hoch und runter. Also ein Zugang von 90.000 und ein Abgang von 55.000. Sie haben also zwei Gruppen, unterschiedliche Dichten, sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in verschiedene Richtungen bewegend – das müssen Sie addieren, denn das ist die Gesamtbreite, die Sie brauchen. Verstehen alle dieses kleine Bisschen Mathematik? Wenn Sie Eingang und Ausgang im selben Bereich haben, müssen Sie „Ein“ und „Aus“ addieren, um sicher sein zu können, dass es breit genug ist. Das ist keine höhere Wissenschaft! Trotzdem wurde völlig versäumt, das anzuwenden.
Hier ist also mein Standortmodell, und wenn man sich das ansieht, ist Google Earth sicherlich eine tolle Sache: Man kann zu 2003 zurückgehen, und ich kann mir die Bilder Jahr für Jahr ansehen. Und in der Mitte der Rampe sehen Sie diesen kleinen Knubbel. Das ist tatsächlich das Tor. Es handelt sich um eine Brache. Und das ist das Sicherheitstor. Wenn ich also dieses Gelände in ein Modell umsetze, sieht es ungefähr so aus. OK? Es ist an der engsten Stelle 10,59 m breit, und ich erwarte, dass die Menschenmenge mit 154.000 [Fußnote 64] Personen in der Stunde hier durchgeht. OK, die Frage, die man stellen muss, ist: Warum wurde die einfachste Mathematik nicht angewandt? Weil man Risikobeurteilungen und Event-Pläne gerne als Text hat. Und wenn man das macht, liest es keiner. Und die Leute, die in den Meetings gesessen haben, nahmen an, weil man dazu eine Computersimulation durchgeführt hat, wird es alles funktionieren. Niemand hat die Grundlagen in Frage gestellt. Hier habe ich also meine Raum- und Richtungselemente für diesen einen Standort. Ich kann den Raum sehen, in dem sie arbeiten, ich kann die Richtungen sehen, in denen die Menschenmengen sich bewegen. Wir haben außerdem eine Grafik, die angefertigt wur-
[Fußnote 64: Bei der Angabe „154.000“ handelt es sich um eine fehlerhafte Wiedergabe der Originalfassung „145.000“ in der deutschen Übersetzung.]
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de, die Ihnen die Kapazität am Standort zeigt. Das hier ist also eine Summe aller ein- und abgehenden Personen, und dieser Wert darf zu keinem Zeitpunkt über die Genehmigungsbedingung von 235.000 Personen auf dem Gelände steigen.
Man hat die Daten also tatsächlich manipuliert, damit diese Kurve nie über diesen Wert steigt. Man hat einige Zugangs- und Abgangszahlen geändert und damit ein bisschen jongliert. Von allen Grundprinzipien wusste man also, dass die Gesamtkapazität dort „Herein“ minus „Heraus“ ist. Hereinkommen und Hinausgehen. Es wurde nie darüber nachgedacht, dass es im System eine Engstelle gibt, an der man Zu- und Abgänge addieren muss. Und das ist Mathematik für Anfänger. Das sind Sachen, die meine Kinder beherrschen, und mein Sohn hat sowas gemacht, als er vier war. Z + A, Zugänge plus Abgänge, dadurch kommt man auf die Summe der durchgehenden Menschen. Hier ist also mein Zeit- und mein Durchlaufelement. Und das sind die einzigen Sachen, die ich wirklich machen muss, um zu beurteilen, ob dieses Gelände für den Zweck geeignet ist. In der Planung also hätte das gemacht werden müssen. Die Genehmigung – dort hätte man prüfen und sicherstellen sollen, dass der Plan für seinen Zweck geeignet war. Und wenn wir über das Event-Verfahren nachdenken, haben wir drei Elemente. Wir haben Planung, wir haben Genehmigung – Zulassung, Anerkennung, und dann haben wir den Betrieb. Denn selbst wenn wir einen tollen Plan haben, können wir am Tag selbst immer noch den Karren in den Dreck fahren.
Sehen wir uns also diese abschließende Frage an. Können Sie Risiko erkennen? Dieses Konzept, das manchmal dynamische Risikobeurteilung genannt wird. Sehen wir uns die Love Parade an. Sie wissen, dass Leute das Gelände werden verlassen wollen, wenn die Parade zu Ende geht, was in der nächsten Stunde der Fall ist. Wir haben also ein volles Gelände, vielleicht 200.000 Personen auf diesem Gelände. Wir wissen, dass die meisten von ihnen das Gelände über den Weg diese Rampe herunter verlassen werden. Wir wissen, dass wir an den Toren, weil wir das auf unseren Kameras sehen können, 100.000 Personen haben, 50.000 an beiden Tunneleingängen, die die Zugangspunkte völlig verstopfen, und dass man die Menge in keiner Weise da herausbekommen kann. Und der Sicherheitsmanager sieht sich das an und sagte – grundsätzliche Frage: „Wie kriegen wir die Leute von dem Gelände herunter?“
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Die Frage, die mir von der Staatsanwaltschaft gestellt wurde, ist: „Zu welchem Zeitpunkt hätte die Katastrophe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch verhindert werden können?“ Planung: Wenn die einfache Mathematik angewandt worden wäre, hätte man, wie gesagt, das Veranstaltungsgelände nicht erlaubt. Von der Genehmigung her hätte es abgelehnt werden müssen. Von der operativen Seite her, nun, meine Tore öffnen spät, es bauen sich also Menschenmengen auf. Die Menge soll ungehindert fließen, doch die Schlangen lösen sich nie auf. Um 12 Uhr hätte ich also sehen müssen: Das hier läuft nicht nach Plan. Der Plan war: Ungehinderter Fluss. Aber hier habe ich immer noch eine Reihe von Möglichkeiten. Der Grund, warum diese Fahrzeuge hier stehen, ist, dass sie eine temporäre Sperre bilden, und wenn in diesem Bereich etwas passiert, sollen die Fahrzeuge oben entlang fahren und die Leute vom Gelände bringen. Am Gelände entlang verläuft nämlich eine Autobahn, und diese Autobahn war gesperrt worden. Wir haben jede Menge Platz, mit dem wir arbeiten können. Es wurden nicht zwei und zwei zusammengezählt. Wir haben also Planungsfehler, Genehmigungsfehler und betriebliche Fehler. Sie müssen also Ihre Risikobewertung als erste und wichtigste Methode zur Erfassung betrachten. In den Staaten hat man zwar eine andere Definition, aber wir sehen uns häufig die direkte und indirekte Ursache an. Kausalität im Recht als „was hat den Unfall verursacht?” Die Frage, die ich im letzten Abschnitt gestellt habe, ist „Was hat den Untergang der Titanic verursacht?” Die meisten Leute werden sagen, „der Eisberg“, oder „es gab nicht genug Rettungsboote“, „es traf sie total unvorbereitet, und sie hatten kein Management-Team vor Ort“, aber letzten Endes war es die Sicherheitskultur, die den Untergang verursacht hat – sie war ja das unsinkbare Schiff, also hat das nie jemand hinterfragt. „Das kann hier nicht passieren.“ Und in der Event-Branche ist das leider seit Hillsborough immer noch die vorherrschende Einstellung. „Oh, ein weiteres Hillsborough, nein, das gibt's hier nicht, wir sind viel besser, und wir wissen es auch besser.“ Und doch sehe ich es immer und immer wieder. Und die Liste, die ich hier am Anfang eingefügt habe, zeigt Ihnen, dass es endemisch ist. 20.000 Menschenleben, und das ist nicht alles, das sind nur die, die auf eine Folie passten. Und ich habe das noch nicht einmal aktualisiert, dieses Jahr sind nämlich mehrere Vorfälle passiert. Wenn wir also unsere Techniken für die Event-Planung, für die Risikobeurteilung, für die Übermittlung von Risiken über den gesamten Prozess hinweg, für das Erkennen von Risiken schon wenn sie sich entwickeln, verbessern können, das ist echte Risikobeurteilung bei Menschenmengen, Sicherheitstech-
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nik, und ich definiere das als technische Praxis, wenn man also zurückkehrt zur Entropietheorie, müssen Sie in der Lage sein, Informationen zu erfassen, sie so zu übermitteln, dass sie ohne Informationsverluste entschlüsselt und rekonstruiert werden können. Und unser Event-Planungsverfahren leistet das nicht, und auch unser Risikobeurteilungsprozess leistet das nicht.“
(α) „Manipulation“ von Daten
Indem Prof. Dr. T in diesem Vortrag behauptet, bei der Planung der Loveparade seien Daten (genehmigungsrelevante Planzahlen zu Besucherströmen) „manipuliert“ worden, damit die Summe aller ein- und abgehenden Personen zu keinem Zeitpunkt den genehmigten Wert von 235.000 Personen – tatsächlich durften sich gemäß der „Auflage“ Nr. 4 der Nutzungsänderungsgenehmigung vom 21./23.07.2010 maximal 250.000 Personen gleichzeitig auf dem Veranstaltungsgelände aufhalten – überschritt, dafür seien einige Zu- und Abgangszahlen geändert und es sei damit „ein bisschen jongliert“ worden („Wir haben außerdem eine Grafik, die angefertigt wurde, die Ihnen die Kapazität am Standort zeigt. Das hier ist also eine Summe aller ein- und abgehenden Personen, und dieser Wert darf zu keinem Zeitpunkt über die Genehmigungsbedingung von 235.000 Personen auf dem Gelände steigen. Man hat die Daten also tatsächlich manipuliert, damit diese Kurve nie über diesen Wert steigt. Man hat einige Zugangs- und Abgangszahlen geändert und damit ein bisschen jongliert.“), verlässt er einen neutralen Standpunkt.
Das von ihm verwendete Verb „manipulieren“ kann unter anderem bedeuten „durch bewusste Beeinflussung in eine bestimmte Richtung lenken, drängen“ (vgl. http://www.e.....de). Auch in der englischen Sprache ist eine solche Bedeutung des im Original von Prof. Dr. T in seinem Vortrag verwendeten Verbs „manipulate“ („See that they’ve actually manipulated the data in order that this curve never goes above there.“) vorhanden („alter or present (data) so as to mislead“, vgl. http://www.p.....com). Zwar sind sowohl in der deutschen als auch in der englischen Sprache jeweils ebenfalls andere Bedeutungen des Verbs „manipulieren“ bzw. „manipulate“ möglich; beispielsweise kann „manipulieren“ auch bedeuten „geschickt handhaben, mit etwas kunstgerecht umgehen“ (vgl. http://e.....), „manipulate“ kann damit korrespondierend bedeuten „handle or control in a skilful manner“
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(vgl. http://www.p.....com). Wenn aber ein verwendeter Ausdruck mehrere Bedeutungen haben kann, ohne dass eine davon beispielsweise aufgrund des Sinnzusammenhangs, in dem das Wort verwendet wird, klar ausgeschlossen werden kann, kann in der Verwendung dieses Begriffes ein Grund liegen, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen.
In der Bedeutung „durch bewusste Beeinflussung in eine bestimmte Richtung lenken, drängen“ enthält das Verb „manipulieren“ indes eine negative Bewertung eines Handelns. Die Äußerung von Prof. Dr. T „Man hat die Daten also tatsächlich manipuliert, damit diese Kurve nie über diesen Wert steigt.“ kann – wenn nicht muss – dahingehend verstanden werden, dass „man“ die Daten durch bewusste Beeinflussung so verändert hat, dass „die Kurve nie über diesen Wert steigt“. Diese Auslegung wird durch den Folgesatz „Man hat einige Zugangs- und Abgangszahlen geändert und damit ein bisschen jongliert.“ bestätigt. Indem Prof. Dr. T bekundet, dass Zu- und Abgangszahlen geändert wurden und mit ihnen „ein bisschen jongliert“ (im englischen Original „They’ve shifted some ingress and egress and they’ve shuffled that around.“) wurde, bringt er zum Ausdruck, eine Änderung sei lediglich vor dem Hintergrund erfolgt, die Zahlen „passend zu machen“. Dies lässt jedoch eine Deutung der Äußerung von Prof. Dr. T dahingehend zu, dass er davon ausgeht, es seien bewusst Zahlen verändert worden, damit die Besucherzahlen nie „die Genehmigungsbedingung von 235.000 Personen auf dem Gelände“ überstiegen, und es habe sich dabei nicht mehr um „ehrliche“ Planung gehandelt. Ob er tatsächlich so verstanden werden wollte oder etwas anderes meinte, ist nicht entscheidend. Denn für die Frage der Befangenheit kommt es nur darauf an, dass ein vernünftiger Angeschuldigter jedenfalls auch von dieser Deutung ausgehen darf.
Eine solche Bewertung durch Prof. Dr. T verlässt jedoch den Standpunkt eines neutralen Sachverständigen. Dieser ist vielmehr gehalten, die Tatsachen neutral zu (be)werten. Dass tatsächlich bewusst Zahlen verändert wurden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, bleibt überdies eine bloße Behauptung. Nachvollziehbare Erklärungen, warum Prof. Dr. T zu dieser Bewertung kommt, lassen sich nicht erkennen.
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Dabei dürfte gerade gegen die Richtigkeit seiner Behauptung sprechen, dass Rechtsanwalt E in seiner E-Mail vom 23.04.2010, 10.04 Uhr, Betreff: Versammlungsstättenverordnung an G und k @m .de (BMO V 59, elektronische Seitenzahl 136-138) ausführt:
„Lieber ,
lieber ,
wie besprochen habe ich mein Bewegungsmodell (vgl. meine E-Mail an vom 07.04.2010) noch einmal etwas überarbeitet und "sprachlich gefasst". Ich bitte Euch, Euch das Papier einmal durchzulesen und mir etwaige Gedanken/Anregungen etc. mitzuteilen. Vielleicht lasst Ihr auch noch einmal die weiteren Fachleute darüber schauen.
Wie ich mit schon besprochen habe, ist das alles Scharlatanerie. Andererseits ist es wohl nicht völlig an den Haaren herbeigezogen und zumindest plausibel. Was wir mit dem Stück Papier machen, wenn wir einmal fertig sind, müssten wir sicherlich noch besprechen. Gefertigt ist es vorsorglich für B . (…) Der Nutzen einer solchen Abschätzung ist, dass wir über konkrete (und durchaus handhabbare) Zahlen sprechen und nicht über irgendwelche Phantasiezahlen, die nur aus der Befürchtung geboren sind, man könnte etwas falsch machen. Der Nachteil ist natürlich, dass eine solche Prognose, insbesondere wenn sie auf einem Stück Papier steht, auch ihren Weg an Dritte finden kann. Ein weiterer Nachteil ist natürlich, dass alle Annahmen in diesem Stück Papier angreifbar sind und man auch leicht zu höheren Zahlen gelangen kann, z.B. wenn man die Attraktivitätswirkung insbesondere der Abschlusskundgebung höher ansetzt. Freilich gibt es nichts, was dafür spricht. (…)“
Wenn Rechtsanwalt E in dieser Mail äußert, die Zahleneinschätzung sei „wohl nicht völlig an den Haaren herbeigezogen und zumindest plausibel“ sowie es gebe nichts, was für die Annahme höherer Zahlen spreche, spricht dies gegen die Richtigkeit des Vorwurfs des bewussten Manipulierens von Daten. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angeschuldigten G , J , H und I von einer anderen Bewertung ausgingen; d Angeschuldigte G leitete diese E-Mail von Rechtsanwalt E per E-Mail vom 26.10.2010, 20.43 Uhr an .h @m .com mit dem Dokument „Zeitliche Besucherverteilung anlässlich der Loveparade 2010.rtf“ als Anlage weiter und schrieb dazu: „Moin anbei
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noch mal eine furchtbar juristisch-überladene Ausarbeitung von ...“ (BMO V 59, elektronische Seitenzahl 136). Dass er hinsichtlich der Ausführungen zu den Zahleneinschätzungen von einer anderen Bewertung als Rechtsanwalt E ausgeht, ergibt sich daraus nicht. Auch die Staatsanwaltschaft geht hiervon in der Anklageschrift nicht aus, denn darin wird ausgeführt: „Die seitens der M GmbH aufgestellten Besucherschätzungen entsprachen den tatsächlichen Annahmen der Angeschuldigten H , G , I und J in der Planungsphase der Veranstaltung.“ (S. 456 der Anklageschrift, Bl. 36820 HA mit weiteren Ausführungen hierzu).
Wenn die Staatsanwaltschaft nunmehr in der Stellungnahme vom 14.09.2015 (Bl. 45198 HA) ausführt, es sei „festzuhalten, dass, wie auch in der Anklageschrift vom 10.02.2014 im Einzelnen erläutert, eine „Manipulation“ der Daten dahingehend, dass sie „passend gemacht“ wurden, um den rechtlichen Vorgaben zu entsprechen, zweifelsfrei zu belegen“ sei, verlässt sie damit den Rahmen der von ihr selbst ihrer Anklageschrift zugrunde gelegten Ermittlungsergebnisse.
Fehl geht auch die Erwägung der Staatsanwaltschaft in der Stellungnahme vom 14.09.2015 (Bl. 45198 HA), die Annahme von Prof. Dr. T wirke zu Gunsten der Angeschuldigten, weil sie von einer verhältnismäßig geringen Besucheranzahl ausgehe, denn die angeschuldigten Mitarbeiter der M GmbH hätten die erwarteten Besucherzahlen gegenüber den eigenen Planungen dahingehend verringert, dass sie zu der verfügbaren Veranstaltungsfläche und dem vorgegebenen Richtwert von 2 Personen pro m2 passten. Diese Bewertung der Staatsanwaltschaft, der die Verteidiger d Angeschuldigten J , Rechtsanwalt Prof. Dr. G und Rechtsanwältin Dr. S , und der Verteidiger d Angeschuldigten G , Rechtsanwalt , mit eigenen Argumenten entgegentreten [Fußnote 65], deckt sich bereits nicht mit der
[Fußnote 65: Im Gegensatz zu der von der Staatsanwaltschaft vertretenen Annahme einer Verringerung der Besucherzahlen gehen die Verteidiger des Angeschuldigten J, Rechtsanwalt Prof. Dr. G und Rechtsanwältin Dr. S, davon aus, es habe sich „um weit überzogene Zahlen (gehandelt), die allein der Absicherung der Stadt im Hinblick auf die Werbung mit einer Besucherzahl von 1 Mio. dienten“ (Bl. 45426 HA). Auch der Verteidiger des Angeschuldigten G, Rechtsanwalt S, hält die Zahlen in der „Prognose“ Elßner für völlig übertriebene Maximalberechnungen, „um die Behörde auch wirklich nachhaltig auch dann noch beruhigen zu können, wenn unrealistische Maximalzahlen angenommen werden“ (Bl. 45747 HA). Die Zahlen seien im Zusammenhang der „medialen Besucherzahlen“ zu sehen, wie sie schon bei früheren Loveparade-Veranstaltungen übertrieben veröffentlicht worden wären (Bl. 45744 HA).]
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Äußerung von Prof. Dr. T („Man hat die Daten also tatsächlich manipuliert, damit diese Kurve nie über diesen Wert steigt. Man hat einige Zugangs- und Abgangszahlen geändert und damit ein bisschen jongliert.“, Hervorhebung durch die Kammer). Prof. Dr. T hat sich dadurch dahingehend festgelegt, dass sowohl Zu- als auch Abgangszahlen verändert wurden. Zu Einzelheiten hat er keine Angaben gemacht. Es bleibt damit die Möglichkeit, dass diese Äußerung den Angeschuldigten unterstellt, mit erhöhten Abgangszahlen kalkuliert zu haben, um die Gesamtbesucherzahl von 250.000 Personen auf dem Gelände nicht zu überschreiten. Ein derartiges, für einen vernünftigen Angeschuldigten nachvollziehbares Verständnis bleibt daher unausgeräumt. Dies hätte aber gerade Auswirkungen auf den Personendurchfluss, insbesondere auf der Rampe Ost, der sich so ebenfalls erhöhte, was gerade nicht zu Gunsten der Angeschuldigten wirkte.
Die fehlende Neutralität von Prof. Dr. T besteht auch – aus vernünftiger Sicht jedenfalls – gegenüber zumindest einigen der Angeschuldigten. Zwar verwendet Prof. Dr. T den Ausdruck „man“ (im englischen Original „they“), ohne konkrete Namensnennung dessen bzw. derer, der/die die Daten manipuliert haben soll(en), es lassen sich aber aus dem Zusammenhang Rückschlüsse darauf ziehen, wen er mit „man“ meint. Die von ihm so genannte Manipulation soll bei der Planung der Veranstaltung erfolgt sein. „Angesprochen“ werden mithin diejenigen, die die Veranstaltung geplant haben. Daran waren aber – so der Anklagevorwurf – die Angeschuldigten J , G , H und I beteiligt. Sie dürfen deswegen von einer inneren Haltung von Prof. Dr. T, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit ihnen bzw. ihrem Handeln gegenüber störend beeinflussen kann, vernünftigerweise ausgehen.
(β) Nichtbeachtung einfachster mathematischer Rechenwege
Indem Prof. Dr. T weiter in diesem Vortrag an verschiedenen Stellen behauptet, einfache bzw. einfachste mathematische Rechenwege („einfache Mathematik“ oder gar „einfachste Mathematik“ bzw. „Mathematik für Anfänger“), die sein Sohn im Alter von vier Jahren bereits beherrscht habe, seien nicht beachtet worden, sonst wäre die Veranstaltung nicht genehmigt worden („Es wurde nie darüber nachgedacht, dass es im System eine Engstelle gibt, an der man Zu- und Abgänge addieren muss. Und das ist Mathematik für Anfänger. Das sind Sachen, die meine Kinder beherrschen,
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und mein Sohn hat sowas gemacht, als er vier war. Z + A, Zugänge plus Abgänge, dadurch kommt man auf die Summe der durchgehenden Menschen.“, „Planung: Wenn die einfache Mathematik angewandt worden wäre, hätte man, wie gesagt, das Veranstaltungsgelände nicht erlaubt.“, „Warum wurde die einfachste Mathematik nicht angewandt?”), verlässt er einen neutralen Standpunkt.
Denn auf diesem Weg wertet er die bei der Planung sich ergebenden mathematischen Anforderungen als äußerst simple Rechenaufgaben, wie sie bereits von Kleinkindern zutreffend gelöst werden können. Damit bewertet er gleichzeitig allerdings auch den Schweregrad der – unterstellten – Sorgfaltspflichtverletzung der damit befassten Angeschuldigten. Denn wenn diese „einfachste Mathematik“ oder „einfache Mathematik“ bzw. „Mathematik für Anfänger“ oder Rechenwege, die der Sohn des Gutachters schon im Alter von vier Jahren beherrschte, nicht angewendet haben, wiegt die ihnen vorgeworfene Sorgfaltspflichtverletzung im Hinblick auf die Bewertung strafzumessungsrelevanter Schuld jedoch stärker, als wenn es sich um Fehler bei komplexen Sachverhalten gehandelt hätte.
Wenn Prof. Dr. T jedoch zu strafzumessungsrelevanten Umständen für eine breite Öffentlichkeit zugängliche Äußerungen tätigt, die zeigen, dass er die von den bzw. jedenfalls einigen der Angeschuldigten aus seiner Sicht begangenen Versäumnisse als solche bewertet, zu deren Vermeidung „einfachste Mathematik“ oder „einfache Mathematik“ bzw. „Mathematik für Anfänger“ ausgereicht hätte, wie sie auch von Kleinkindern beherrscht wird („Das sind Sachen, die meine Kinder beherrschen, und mein Sohn hat sowas gemacht, als er vier war.“), lässt dies Zweifel an seiner Neutralität diesen Angeschuldigten gegenüber aufkommen. Denn insbesondere Fehlgriffe in der Wortwahl des Sachverständigen oder abfällige, herabsetzende Äußerungen etwa durch unsachliche Werturteile können darauf hinweisen, dass dieser sein Gutachten nicht auf einer objektiven, unvoreingenommenen Grundlage aufgebaut hat bzw. weiter aufbauen wird (vgl. hierzu auch Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 220; Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 3. Aufl., Rn. 238 mit weiteren Nachweisen).
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(γ) Nennung von – tatsächlich nicht ermittelten – Besucherzahlen
Indem Prof. Dr. T sich schließlich in seinem Vortrag auf konkrete Besucherzahlen festlegt, tatsächlich aber solche konkreten Zahlen nicht (auch nicht schätzungweise) nennen kann, sondern sie – wie er allerdings nicht kenntlich macht – als nur „zur Veranschaulichung des Problems“ genannte Zahlen verstanden wissen will, verlässt er einen neutralen Standpunkt.
In seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ führt Prof. Dr. T aus:
„Wir haben also ein volles Gelände, vielleicht 200.000 Personen auf diesem Gelände. Wir wissen, dass wir an den Toren, weil wir das auf unseren Kameras sehen können, 100.000 Personen haben, 50.000 an beiden Tunneleingängen, die die Zugangspunkte völlig verstopfen, und dass man die Menge in keiner Weise da herausbekommen kann.“ (Bl. 42339 HA)
Befragt dazu, auf welchen Zeitpunkt/Zeitraum sich seine Äußerungen jeweils bezögen und wie er die genannten Zahlen ermittelt habe, hat Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 angegeben (Bl. 44774-44775 HA), er habe diese Zahlen „nur zur Veranschaulichung des Problems, eine Menschenmenge vom Eingangssystem weg zu führen, genannt“. Diese Zahlen sind insofern keine konkreten oder auch nur geschätzten Angaben der tatsächlich am Veranstaltungstag auf dem Gelände bzw. an den Tunneleingängen befindlichen Besucher. Prof. Dr. T macht jedoch nicht kenntlich, dass es sich nicht um tatsächlich ermittelte (oder geschätzte) Zahlen handelt. Vielmehr erweckt er den Eindruck, diese Zahlenangaben beruhten auf seinen Beobachtungen („Wir wissen, dass wir an den Toren, weil wir das auf unseren Kameras sehen können, (…)“), was die Validität dieser Zahlen zusätzlich stützen würde. Damit entfernt er sich weiter von dem Standpunkt eines objektiven und auf Neutralität bedachten Sachverständigen, zumal er auf Befragen der Kammer ausgeführt hat, mit den ihm zur Verfügung gestellten Bildern sei es aufgrund der Bildauflösung nicht möglich, eine genaue Zählung oder auch nur eine Schätzung vorzunehmen. [Fußnote 66] Von einem objektiven und auf Neutralität bedachten Sachverständigen wäre stattdessen – soweit im Rahmen seiner Verschwiegenheitspflicht öffentliche Äußerungen überhaupt zulässig sind – zu erwarten, dass er die Umstände ermittelt, bevor er sich zu
[Fußnote 66: Vgl. hierzu im Folgenden C. I. 2. b. cc. (3) (c) (cc).]
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ihnen äußert und keine konkreten Zahlen – noch dazu unter Verwendung von Formulierungen, die auf deren besondere Validität hindeuten, weil sie auf eigenen Beobachtungen des Gutachters beruhen sollen – nennt, die sich bei Nachfrage nur als „zur Veranschaulichung des Problems“ benannte (Phantasie-)Zahlen darstellen. Aus Sicht eines vernünftigen Angeschuldigten rechtfertigt auch dies die Besorgnis der Befangenheit, zumal eine numerische Veranschaulichung voraussetzt, dass Vergleichbarkeit gegeben ist, was hier daran scheitert, dass Prof. Dr. T keine konkreten Zahlen ermitteln bzw. schätzen konnte.
(δ) Darstellung eines – in dieser Form tatsächlich nicht ermittelten – „Überfüllungsszenarios“
Indem Prof. Dr. T darüber hinaus in diesem Vortrag auf der Basis dieser lediglich „gegriffenen“ Zahlen ein – in dieser Form tatsächlich nicht ermitteltes – „Überfüllungsszenario“ schildert, verlässt er ebenfalls einen neutralen Standpunkt.
In seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ führt er aus:
„Sie wissen, dass Leute das Gelände werden verlassen wollen, wenn die Parade zu Ende geht, was in der nächsten Stunde der Fall ist. Wir haben also ein volles Gelände, vielleicht 200.000 Personen auf diesem Gelände. Wir wissen, dass die meisten von ihnen das Gelände über den Weg diese Rampe herunter verlassen werden. Wir wissen, dass wir an den Toren, weil wir das auf unseren Kameras sehen können, 100.000 Personen haben, 50.000 an beiden Tunneleingängen, die die Zugangspunkte völlig verstopfen, und dass man die Menge in keiner Weise da herausbekommen kann.“ (Bl. 42339 HA)
Durch diese Äußerungen suggeriert er – ungeachtet seines fehlerhaften Verständnisses zum Zeitpunkt des Endes der Parade [Fußnote 67] sowie der planerischen Funktion der Rampe West [Fußnote 68] –, weit über 100.000 Personen (etwa 200.000 Personen sollen auf dem Gelände sein, wobei die meisten von ihnen planten, das Gelände in der nächsten Stunde über die Rampe hinunter zu verlassen) würden die Rampe zum Verlassen des Geländes nutzen, während sich gleichzeitig 100.000 Personen an den Eingängen befänden, die über die Rampe auf das Gelände zu gelangen versuchten.
[Fußnote 67: Siehe dazu C. II. 2. b. cc. (3) (b) (bb).
Fußnote 68: Siehe dazu C. II. 2. b. cc. (3) (d).]
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Eine solche Menschenmenge (deutlich über 200.000 Personen) habe jedoch offensichtlich nicht bewältigt werden können („dass man die Menge in keiner Weise da herausbekommen kann“). Dass tatsächlich so viele Besucher das Gelände verlassen bzw. auf das Gelände gelangen wollten, ist jedoch weder von Prof. Dr. T ermittelt worden noch ergibt sich Derartiges aus dem übrigen Ermittlungsergebnis; nach dem von Prof. Dr. T zugrunde gelegten „Bewegungsmodell E “ betrug der höchste Abstrom zwischen 15 und 19 Uhr vielmehr 55.000 Besucher pro Stunde. Prof. Dr. T will diese Zahlen – wie er jedoch erst auf Nachfrage der Kammer ausgeführt hat – lediglich „zur Veranschaulichung des Problems, eine Menschenmenge vom Eingangssystem weg zu führen, genannt“ haben. [Fußnote 69] Indem er sie in seinem Vortrag verwendete, ohne kenntlich zu machen, dass es sich dabei nicht um tatsächlich erhobene oder auch nur geschätzte Zahlen handelte, und zudem gerade diese Zahlen nach seiner Darstellung zu einem – in dieser Form tatsächlich nicht ermittelten – „Überfüllungsszenario“ führen, verlässt er einen neutralen Standpunkt, was die Besorgnis seiner Befangenheit aus Sicht eines vernünftigen Angeschuldigten mindestens verstärkt.
(bb) Fachbuch „Introduction to Crowd Science“
In seinem im Jahr 2014 veröffentlichten Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ führt Prof. Dr. T zum Thema Loveparade unter anderem aus:
„Die Love Parade (in Deutschland) wies ähnliche Merkmale auf: das Ankunftsprofil (die Menge und Geschwindigkeit, in der Menschen ankommen) übertraf die Durchlasskapazitäten der Öffnungssysteme und die Einlass-/Auslassmengen waren zusammen vorhersehbar größer als die physische Grenze des Systems, seine Durchlasskapazität. Noch einmal entstand ein verhängnisvolles Gedränge. Diese Vorfälle weisen ähnliche Merkmale auf; einfache mathematische Analysen zeigen die zugrundeliegenden Fehlermodi des Systems auf, und einfache Mathematik hätte dies bewiesen, bevor der Unfall Menschenleben forderte.“ (S. 33 des Fachbuchs/Bl. 46521 HA, Bl. 46506 HA, Hervorhebung durch die Kammer)
„Dabei ist die Gesamtzahl der Personen, die das System voraussichtlich betreten werden, zu addieren zur Gesamtzahl der Personen, die das System verlassen. Denn
[Fußnote 69: Siehe oben unter C. II. 2. b. cc. (1) (a) (aa) (γ).]
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in Teilen des Zugangs-/Abgangssystems verlief der Strom in beide Richtungen (Zufluss plus Abfluss).
Diese Berechnung fehlte im Veranstaltungsplan, obwohl die für den gesamten Tag erwarteten Personenzahlen aus den Daten klar hervorgingen. Hätte irgendjemand aus den Teams, die die Veranstaltung geplant und genehmigt haben, einfach nur die beiden Zahlen (Zugang und Abgang) addiert und die maximale Fließrate am engsten Abschnitt des System errechnet, so hätte er/sie diese Auslegung des Veranstaltungsgeländes in Frage gestellt und dann abgelehnt bzw. dies tun müssen.“ (S. 179 des Fachbuchs/Bl. 46549 HA, Bl. 46546 HA, Hervorhebung durch die Kammer)
Indem Prof. Dr. T auch in dieser Veröffentlichung an mehreren Stellen behauptet, einfache mathematische Rechenwege („einfache mathematische Analysen“, „einfache Mathematik“, „einfach nur die beiden Zahlen (Zugang und Abgang) addiert“) seien nicht beachtet worden, sonst wäre die Veranstaltung so nicht geplant bzw. nicht genehmigt worden („Hätte irgendjemand aus den Teams, die die Veranstaltung geplant und genehmigt haben, einfach nur die beiden Zahlen (Zugang und Abgang) addiert und die maximale Fließrate am engsten Abschnitt des System errechnet, so hätte er/sie diese Auslegung des Veranstaltungsgeländes in Frage gestellt und dann abgelehnt bzw. dies tun müssen.“), verlässt er einen neutralen Standpunkt. Denn auf diesem Weg bewertet er wiederum die bei der Planung/Genehmigung sich ergebenden mathematischen Anforderungen als (äußerst) simple Rechenaufgabestellungen und damit gleichzeitig auch den Schweregrad der – unterstellten – Sorgfaltspflichtverletzung der damit befassten Angeschuldigten. Gleichzeitig macht er durch seine Äußerung deutlich, wem er insofern unterstellt, einfache mathematische Rechenwege nicht angewendet zu haben: „Irgendjemand aus den Teams, die die Veranstaltung geplant und genehmigt haben“. Damit trifft diese Äußerung von Prof. Dr. T sämtliche Angeschuldigte, denn sie sind nach der Anklage dem „Planungsteam“ oder dem „Genehmigungsteam“ entweder direkt oder jedenfalls im weiteren Sinne zuzuordnen. Wenn Prof. Dr. T weiter ausführt, die Beteiligten hätten „einfache Mathematik“ bzw. „einfache mathematische Analysen“ nicht angewendet, wiegt die ihnen vorgeworfene Sorgfaltspflichtverletzung im Hinblick auf die strafzumessungsrelevante Schuld stärker, als wenn es sich um Fehler bei komplexen Sachverhalten gehandelt hätte.
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In anderem Zusammenhang führt Prof. Dr. T weiter aus:
„Das grundlegende Problem bei Veranstaltungen, die mit niedrigen Kosten und Gewinnspannen arbeiten und das höchste Risiko haben, ist, dass diese Veranstaltungen einfach nicht das Budget für solche Anforderungen (gemeint: Personenzähltechnologien) oder das grundlegende Verständnis für Probleme des Crowd Managements haben. Wenn die Verantwortlichen zum Beispiel ein Problem auf der Love Parade wahrgenommen hätten, würden sie in Überwachungsanlagen investiert oder das Design verändert haben? Eine Designänderung würde weniger kosten und wäre sicherer als die Überwachung einer gefährlichen zum Scheitern verurteilten Situation.“ (S. 221 des Fachbuchs/Bl. 46536 HA, Bl. 46514 HA)
Da Prof. Dr. T die Frage „Wenn die Verantwortlichen zum Beispiel ein Problem auf der Love Parade wahrgenommen hätten, würden sie in Überwachungsanlagen investiert oder das Design verändert haben?“ unbeantwortet lässt, besteht die Vermutung, dass es sich um eine rhetorische Frage handelt, und damit jedenfalls auch die Möglichkeit, dass Prof. Dr. T suggeriert, diese sei mit „nein“ zu beantworten. Daraus ergibt sich aber für einen vernünftigen Angeschuldigten ein Grund, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit von Prof. Dr. T zu hegen. Die suggerierte Antwort „nein“ lässt Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit den „Verantwortlichen“ gegenüber aufkommen. Denn dies würde bedeuten, dass er ihnen unterstellt, sie hätten auch beim Erkennen von Problemen aus Kostengründen keine Maßnahmen ergriffen und es damit sogar (mindestens bedingt) vorsätzlich zu den Unglücksgeschehnissen kommen lassen. Solche Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Ermittlungsergebnis aber nicht. Als „Verantwortliche“ bezeichnet Prof. Dr. T nach seinen weiteren Äußerungen „irgendjemand aus den Teams, die die Veranstaltung geplant und genehmigt haben“, d.h. jedenfalls auch die Angeschuldigten sind hiervon umfasst.
Da insbesondere Fehlgriffe in der Wortwahl des Sachverständigen oder abfällige, herabsetzende Äußerungen etwa durch unsachliche Werturteile darauf hinweisen können, dass der Sachverständige sein Gutachten nicht auf einer objektiven, unvoreingenommenen Grundlage aufgebaut hat bzw. weiter aufbauen wird, besteht auf-
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grund der genannten Ausführungen in dem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ die Besorgnis der Befangenheit von Prof. Dr. T.
(b) Festlegung auf bestimmte Ergebnisse
Aus dem Umstand, dass Prof. Dr. T sich für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu dem von ihm begutachteten Thema äußerte und sich dabei auf bestimmte Ergebnisse festlegte, lassen sich weitere Rückschlüsse auf eine innere Haltung von Prof. Dr. T ziehen, die seine Unparteilichkeit und Objektivität störend beeinflussen kann.
Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn der Sachverständige durch sein Verhalten den Eindruck erweckt, er habe seine Meinung schon vor dem Abschluss seiner gutachterlichen Untersuchungen gebildet (Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 3. Aufl., Rn. 239). Hier sind die gutachterlichen Untersuchungen auch nicht bereits mit der Erstellung des schriftlichen Gutachtens beendet gewesen, denn bei dem im Auftrag der Staatsanwaltschaft Duisburg zu erstattenden schriftlichen Gutachten handelte es sich lediglich um ein die Begutachtung durch den Sachverständigen in einer Hauptverhandlung vorbereitendes Gutachten. Das endgültige Gutachten wäre von dem Sachverständigen erst in der Hauptverhandlung und aufgrund der Ergebnisse der Beweisaufnahme in dieser zu erstatten.
Prof. Dr. T war auch bewusst, dass es nicht nur bei seinen schriftlichen Ausführungen im Gutachten vom 14.03.2013 bleiben, sondern er in einer möglichen Hauptverhandlung dieses gegebenenfalls nochmals erstatten bzw. Fragen hierzu beantworten sollte. Denn er gibt in seinen Antworten vom 26.06.2015 an, er sei von der Staatsanwaltschaft darüber informiert worden, dass er „ein Gutachten und eine Analyse gefolgt von zusätzlichen Fragen und dann (der) Möglichkeit einer Aussage vor Gericht (mündliche Aussage)“ zu erwarten habe (Bl. 44728 HA).
Durch seine für eine breite Öffentlichkeit zugänglichen Äußerungen zu dem zu begutachtenden Thema, sei es durch Veröffentlichung der eigenen Untersuchungsergebnisse oder durch sonstige Bekundungen zu dem Themenkomplex, besteht jedoch die Besorgnis, dass er nicht mehr offen und unvoreingenommen an etwaige von seinen bisherigen Erkenntnissen abweichende Ergebnisse einer Beweisaufnah-
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me in einer etwaigen Hauptverhandlung herangehen könnte. Denn in diesem Fall müsste er von seiner bereits öffentlich mit Vehemenz kundgemachten Position abrücken, was für ihn mit einem – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlust einhergehen und daher seiner Neigung, auch anderen Erkenntnissen offen gegenüberzustehen, abträglich sein könnte.
Dies gilt umsomehr, als Prof. Dr. T aus dem Umstand, das Unglück bei der Loveparade 2010 in Duisburg begutachtet zu haben, in der Öffentlichkeit eine besondere Reputation ableitet. So führt er zu Beginn der Einleitung seines Fachbuchs „Introduction to Crowd Science“ aus (Seite XV des Fachbuchs/Bl. 46518 HA, Bl. 46504 HA, Hervorhebung durch die Kammer):
„In den letzten zwei Jahrzehnten haben wir Computersimulationen, Softwaresysteme, Tools, Verfahren und Methodiken im Bereich Analysen von Gefahren in Menschenmengen und technische Sicherheitsplanung entwickelt. Diese Anstrengung war keine akademische Übung; die Tools wurden bei den weltweit größten und anspruchsvoll-sten Veranstaltungen eingesetzt. Dazu gehören Konstruktions- und Auslegungsaspekte der Dschamarat-Brücke (das Ritual zur Steinigung des Teufels, Teil der jährlichen Pilgerreise nach Mekka), die Hochzeitsfeierlichkeiten des britischen Königshauses 2011, Neujahrsveranstaltungen in London und Einsätze als Sachverständige bei mehreren gravierenden Fällen (Love Parade, Deutschland).“
Am Ende des Fachbuchs greift Prof. Dr. T seine Tätigkeit als Sachverständiger – nachdem er an mehreren Stellen des Fachbuchs die Loveparade thematisiert hat – nochmals auf (S. 243 des Fachbuchs/Bl. 46539 HA, Bl. 46516 HA):
„WARUM SIE UNS ZUHÖREN SOLLTEN?
Mit einem Wort, Erfahrung. Wir sind nicht neu in der Branche; unsere Arbeit umfasst 25 Jahre Arbeit mit Analysen von Gefahren in Menschenmengen und technische Sicherheitsplanung weltweit. Zum Nachweis haben wir unsere Projekterfahrungen kurz zusammenfasst.
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Sachverständiger: Clear Channel (Nachtclubüberfüllung), London Underground (Personenschaden), Massenevakuierung (Washington DC, US-Senat), US-Bundesstaat New York (Personenschaden), Love Parade (Duisburg, Deutschland), …“
Wenn Prof. Dr. T sich aber in seiner Veröffentlichung, in der er sich überdies konkret thematisch zur Loveparade 2010 äußert und auch eine Einschätzung abgibt, warum es zu den Geschehnissen kam, gerade mit seinem Einsatz als Sachverständiger bei der Loveparade rühmt und daraus eine besondere Reputation herleitet („WARUM SIE UNS ZUHÖREN SOLLTEN?“), besteht umsomehr die Besorgnis, dass er nicht mehr offen und unvoreingenommen an etwaige von seinen bisherigen Ergebnissen abweichende Erkenntnisse einer Beweisaufnahme in einer etwaigen Hauptverhandlung herangehen könnte, denn ein Abrücken von seiner bereits öffentlich kundgemachten Position könnte für ihn mit einem – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlust einhergehen und daher seiner Neigung, auch anderen Erkenntnissen offen gegenüberzustehen, abträglich sein.
(aa) Äußerung in einer Besprechung am 04.07.2011
Die ausweislich eines Vermerks von Staatsanwältin T (Bl. 23316 ff. HA) bei einer Besprechung am 04.07.2011 (Teilnehmer neben Prof. Dr. T waren Frau F , eine Dolmetscherin und Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Köln und der Staatsanwaltschaft Duisburg) von Prof. Dr. T geäußerte Einschätzung, das Unglücksgeschehen beruhe auf massiven Planungsfehlern, ist – entgegen der Annahme der Verteidiger der Angeschuldigten J (Bl. 43036 f. HA) und H (Bl. 45557 f. HA) – indes nicht als eine solche Vorfestlegung zu bewerten. Denn in dieser – überdies internen – Besprechung hat Prof. Dr. T ausweislich des Vermerks nur seine bisherigen Ergebnisse vorgestellt und sich hinsichtlich der Abläufe am Veranstaltungstag mit Blick auf die Sichtung noch zu übergebenden weiteren Materials nicht konkret äußern wollen. Insofern wird zum einen der Charakter des nur Vorläufigen herausgestellt, zum anderen erfolgten diese Äußerungen auch nur im internen Kreis der Ermittlungsbehörden, d.h. vor Mitarbeitern seiner Auftraggeberin, der Staatsanwaltschaft Duisburg, und den mit den Ermittlungen betrauten Kräften des Polizeipräsidiums Köln.
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(bb) Äußerungen in Vorträgen
Anders ist hingegen eine Äußerung von Prof. Dr. T in dem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ zum Thema Loveparade zu bewerten. In diesem Vortrag führt er unter anderem aus: „Wir haben also Planungsfehler, Genehmigungsfehler und betriebliche Fehler.“ Damit hat er sich auf drei Arten von Fehlern festgelegt, ohne kenntlich zu machen, dass dies lediglich sein vorläufiges Ergebnis ist.
In dem Vortrag „Crowd Safety – Major City Events (Space, Time, Direction, Flow), Emergency Planning Society – Webinar 1st July 2013” (Bl. 45048-45089 HA), der ausweislich des Vermerks von Oberstaatsanwalt N vom 24.09.2014 (Bl. 39151 HA) auf der Webseite www.h.....com eingestellt war, äußert Prof. Dr. T sich wie folgt:
„Heute Nachmittag werden wir über stadtweite Veranstaltungsplanung sprechen und dass diese erforderlich ist, wird wohl dann offensichtlich, wenn man sich die Geschichte der Unglücke und Zwischenfälle aus der ganzen Welt ansieht. Und das ist, wortwörtlich, nur die Spitze des Eisbergs, in etwa die letzten 20 Jahre und sie sind ein guter Hinweis auf das, was wir fundamentale Kausalität nennen. Und wenn man sich die Arten der Zwischenfälle ansieht, sehen wir hier rot hervorgehoben, dass diese vorwiegend Design-bezogen waren und der Ausdruck, den ich benutze ist "zu viele Leute, nicht genug Platz". Die Menschenmengendynamik in einer komplexen Umgebung zu verstehen ist unerlässlich, um diese Art von Veranstaltung sicher zu ge-stalten. Und das ist natürlich noch wichtiger, wenn man es mit Veranstaltungen in Großstädten zu tun hat.“ (Bl. 45071 HA)
Parallel zu diesem Vortrag zeigte Prof. Dr. T eine – ebenfalls ausweislich des Vermerks von Oberstaatsanwalt N auf der Homepage www.h.....com herunterladbare – Powerpoint-Präsentation. Die zu seinen oben zitierten Ausführungen passende Folie (Bl. 45049 HA, deutsche Übersetzung Bl. 45146 HA) listet vierzig Veranstaltungen in den Jahren 1989 bis 2013 in verschiedenen Städten auf, dabei wird jeweils die Anzahl der Toten und Verletzten sowie die Ursache des Geschehens genannt. Eine Zeile dieser Folie lautet:
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„2010 – 21 Tote, 511 Verletzte (zu viele Menschen) – Design (Durchsatz) – Duisburg, Deutschland“
Prof. Dr. T hat sich mithin in beiden Vorträgen auf die Gründe der Ereignisse festgelegt: Seiner Ansicht nach wurden bei der Loveparade „Planungsfehler, Genehmigungsfehler und betriebliche Fehler“ gemacht, die Ursache war ein „Durchsatzproblem (Designfehler)“. Insofern besteht die Besorgnis, dass er von der Benennung dieser – von ihm öffentlich als Gründe der Ereignisse benannten – Fehler auch im Falle von sich in einer etwaigen Hauptverhandlung ergebenden anderen oder weiteren Erkenntnissen nicht mehr abrücken würde, um so einem – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlust zu begegnen.
(cc) Äußerungen im Fachbuch „Introduction to Crowd Science“
In seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ (2014) führt Prof. Dr. T aus:
“Die Grundprinzipien für Anforderungen an den Platz für Menschenmengen, die Durchlasskapazitäten, die Durchflussmenge und -geschwindigkeit, die Dichte, die Überfüllung, die Gefahrenüberwachung und das Risikomanagement wurden bei allen großen Katastrophen entweder vernachlässigt oder falsch angewandt. Zum Beispiel weisen die Love Parade (Duisburg, 2010); Hillsborough (Vereinigtes Königreich, 1989); Mihong Park, Peking (China, 2004) und die Dschamarat-Brücke (Saudi-Arabien, 1990, 1994, 1997, 1998, 2001, 2004 und 2006) alle eine ähnlichen Diskrepanz zwischen dem Fassungsvermögen (Fläche) eines Raums und der Anzahl von Menschen auf, die versuchen in diesen Raum zu gelangen.“ (S. 33 des Fachbuchs/Bl. 46521 HA, Bl. 46505 HA)
„Der grundlegende Fehler liegt in der Systemauslegung, speziell dem Rampenhindernis. Die Rampe war an ihrer engsten Stelle 10,59 breit. Das ließe im besten Fall 82 Personen pro Meter und per Minute x 10,59 m = 868,38 (869) pro Minute = 52.102,8 (52.103) Personen pro Stunde zu. Dieses System hätte abgelehnt werden müssen; handelt es sich um einen gemeinsam genutzten Strom in zwei Richtungen sowohl für Zugang als auch Abgang? Es wurde für die Spitzenzeit ein Strom von 145.000 Personen pro Stunde erwartet. Dies ist dreimal höher als die Systemgrenze.“ (S. 178 des Fachbuchs/Bl. 46549 HA, Bl. 46545 HA).
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„Zum Beispiel entwickelte sich die Katastrophe auf der Love Parade (Duisburg 2010) aufgrund eines späten Beginns (eine Stunde später als geplant). Während das Gelände vorbereitet wurde, verzögerte sich der Eintritt und die Menschendichte baute sich außerhalb der Eingangsstelle auf. Als die Rampe nachgab und der Menschenstau auf der Rampe ein kritisches Niveau erreichte, sammelte sich der Menschenstau am Eingangssystem über das ausgelegte Fassungsvermögen hinaus an und war schwierig zu handhaben. Eingangsstellen gaben nach, die Rampe gab nach und die Menschenmenge floss in das System.“ (S. 215 des Fachbuchs/Bl. 46531 HA, Bl. 46511 HA)
Übereinstimmend mit den Äußerungen in seinen beiden Vorträgen, in denen er sich dahingehend festlegte, bei der Loveparade seien „Planungsfehler, Genehmigungsfehler und betriebliche Fehler“ gemacht worden, die Ursache sei ein „Durchsatzproblem (Designfehler)“ gewesen, beschreibt Prof. Dr. T auch in seinem Fachbuch als Ursache der Geschehnisse bei der Loveparade die „Diskrepanz zwischen dem Fassungsvermögen (Fläche) eines Raums und der Anzahl von Menschen (…), die versuchen in diesen Raum zu gelangen“, d.h. ebenfalls ein „Durchsatzproblem“. Ein solches lässt sich auch aus seiner Betrachtung ableiten, „der grundlegende Fehler (liege) in der Systemauslegung, speziell dem Rampenhindernis“, die engste Stelle der Rampe erlaube es nur rund 52.103 Personen pro Stunde, sie zu passieren, jedoch sei „für die Spitzenzeit ein Strom von 145.000 Personen pro Stunde erwartet“ worden, mithin ein solcher, der „dreimal höher als die Systemgrenze“ sei. Als weitere Umstände, die zu den Geschehnissen führten, gibt Prof. Dr. T den verspäteten Beginn und den damit verbundenen „Menschenstau am Eingangssystem über das ausgelegte Fassungsvermögen hinaus“ an, was ebenfalls auf ein „Durchsatzproblem“ schließen lassen könnte.
Aufgrund dieser Festlegung auf Ursachen der Geschehnisse bei der Loveparade in einer weltweit erhältlichen Veröffentlichung – ohne kenntlich zu machen, dass dies lediglich sein vorläufiges Ergebnis ist – besteht die Besorgnis, dass Prof. Dr. T von diesen Ursachen auch im Falle von sich in einer etwaigen Hauptverhandlung ergebenden anderen oder weiteren Erkenntnissen nicht mehr abrücken würde, um so einem – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlust zu begegnen.
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(c) Gesamtwürdigung
Eine Gesamtwürdigung der Umstände, die für die Annahme einer fehlenden Unparteilichkeit und Objektivität von Prof. Dr. T sprechen, d.h. seine – schon für sich allein die Besorgnis der Befangenheit begründenden – unsachlichen Äußerungen in dem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ sowie in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ und seine konkrete und fallbezogene Festlegung auf bestimmte Gründe für die Ereignisse in den Vorträgen „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ und „Crowd Safety – Major City Events (Space, Time, Direction, Flow), Emergency Planning Society – Webinar 1st July 2013“ sowie in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“, die Gesamtumstände der Gutachtenerstellung und sein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht, rechtfertigt die Besorgnis seiner Befangenheit.
(aa) Äußerungen in Vorträgen und im Fachbuch „Introduction to Crowd Science“
Die unsachlichen Äußerungen in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ und dem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ sowie die Festlegung auf bestimmte Gründe für die Ereignisse in diesem Vortrag und im Vortrag „Crowd Safety – Major City Events (Space, Time, Direction, Flow), Emergency Planning Society – Webinar 1st July 2013” sowie in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ rechtfertigen aus den dargestellten Gründen schon für sich allein betrachtet aus Sicht eines vernünftigen Angeschuldigten ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen.[Fußnote 70]
(bb) Gesamtumstände der Gutachtenerstellung
Die Gesamtumstände der Gutachtenerstellung führen zu weiteren Zweifeln an der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität von Prof. Dr. T, die die Besorgnis der Befangenheit verstärken. Denn es besteht die Besorgnis, dass Dritte bestimmenden Einfluss auf das Gutachten nehmen konnten und nahmen.
So ging Prof. Dr. T – obgleich persönlich von der Staatsanwaltschaft Duisburg beauftragt (vgl. das Beauftragungsschreiben der Staatsanwaltschaft Duisburg,
[Fußnote 70: Siehe oben unter C. II. 2. b. cc. (1) (a) und (b).]
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Bl. 20832 f. HA) – (irrig) davon aus, im Rahmen seiner Tätigkeit als Beschäftigter der Buckinghamshire New University bzw. des weltweit tätigen Sicherheitsunternehmens G4S mit der Gutachtenerstellung befasst und nicht als unabhängiger Sachverständiger beauftragt zu sein. Deshalb ließ er die Herangehensweise für sein Gutachten durch die Universität bzw. G4S (fremd-)bestimmen und hielt eine – auch durchgeführte – Prüfung seines Gutachtens durch Universitätsgremien bzw. die Haftpflichtversicherung seines Arbeitgebers für erforderlich.
Hierzu führte er aus:
„Ich war von 2010 bis 2014 nicht unabhängig von Bucks/G4S tätig. Es war mir in dieser Zeit untersagt, ohne vorherige Zustimmung/Vereinbarung Tätigkeiten außerhalb meines Arbeitsvertrags auszuführen. Der Vertrag für die Erbringung von Gutachterleistungen und die Berufshaftpflichtversicherung für diese Arbeit liefen über meine Arbeitgeber, G4S und die Bucks New University. Meines Wissens hatten die Versicherungsgesellschaft und die Rechtsabteilung der Universität im Rahmen der Vereinbarung auf einer Überprüfung des Dokuments durch Prof. K bestanden. Ich berichtete für diese Arbeit an Prof. K , der wiederum mit der Staatsanwaltschaft in Kontakt stand, speziell, was die Bereitstellung von Übersetzungsdiensten anbelangte.“ (E-Mail von Prof. Dr. T an Justizbeschäftigte H vom 13.04.2015, Bl. 43922-43923 HA)
„In Bezug auf Ihren zweiten Punkt wurde ich von der Universität und meinem damaligen Arbeitgeber (G4S) ausdrücklich instruiert, dass ich im Namen/Auftrag des International Centre for Crowd Management and Security Studies tätig sei. Die Bucks New University und das besagte Zentrum haben die gesamte Arbeit für das Projekt in Rechnung gestellt.“ (E-Mail von Prof. Dr. T an Justizbeschäftigte H vom 21.04.2015, Bl. 43999 HA)
„Es gab keine Unterstützung/Beratung bezüglich Fragen der deutschen Rechtsordnung, trotz Anfragen zu Referenzbegriffen. Bucks New University und G4S (mein Arbeitgeber) haben sich auf die Position eines britischen Gutachters zur Beratung bei fremdsprachigen Fällen geeinigt.“ (Bl. 44729 HA)
Das Gutachten wurde vor diesem Hintergrund wie folgt erstellt:
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Prof. Dr. T verfasste ein erstes Gutachten mit dem Titel „Duisburg – 24. Juli 2010, Loveparade – Vorfall, Sachverständigenbericht, Professor Dr. T FIMA, 9. Dezember 2011“ (Bl. 27750-27765 HA).
Dazu vermerkte Staatsanwältin T am 27.12.2011 (Bl. 27722 HA):
„Am 9. Dezember 2011 ging bei der Unterzeichnerin nach Dienstschluss eine E-Mail des der Unterzeichnerin persönlich nicht bekannten Prof. (C ) K von der Buckhamshire New University ein, mit der ein als „final report“ bezeichnetes Dokument in englischer Sprache übersandt wurde. Prof. K erwähnte in dieser E-Mail, dass weitere Dokumente existierten, diese jedoch noch der Überprüfung - nicht näher ausgeführt - bedürfen.
Das als „final report“ bezeichnete Dokument enthielt keine Autorisierung durch den Sachverständigen Prof. T, wie etwa eine Unterschrift. Auch drängten sich angesichts des Umfangs und der - soweit erkennbar - stichwortartigen Ausführungen Zweifel auf, dass es sich hierbei um das vollständige Sachverständigengutachten handelte.
(…)
Auf entsprechende Nachfrage bei Frau F übermittelte Prof. K am 15. Dezember 2011 weitere fünf Dokumente, wobei eines mit dem bereits am 9. Dezember 2011 übersandten identisch ist. Auch diese, eben nicht auf dem zuvor vereinbarten Postweg übersandten Dokumente waren vom Sachverständigen weder unterzeichnet noch in anderer Art nachvollziehbar autorisiert. (…)
Am 22. Dezember 2011 wurde Prof. K per E-Mail davon in Kenntnis gesetzt, dass die Übermittlung der Dokumente in einer die Autorisierung nachvollziehbar machenden Form zwingend erforderlich ist. Ferner wurde Prof. K gebeten, mit den zu übersendenden Dokumenten (Gutachten) schriftlich zu erläutern, in welcher Form die Gegenprüfung erfolgt sei.“
Am 19.01.2012 vermerkte Staatsanwältin T sodann (Bl. 28036 HA):
„Es konnte heute telefonisch Rücksprache mit dem Dekan der Buckinghamshire New University, Prof. K , gehalten werden. Prof. K erläuterte, dass die Verzögerung der Übermittlung des Sachverständigengutachtens in der Person des Prof. T begründet sei. Inzwischen seien aber alle Voraussetzungen für eine Übersendung
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des Gutachtens geschaffen worden, so dass der Eingang in den nächsten Tagen erwartet werden kann.“
Mit E-Mail vom 30.01.2012 teilte Prof. K Staatsanwältin T mit (Bl. 46723 HA):
„Ich habe soeben mit der Versicherungsgesellschaft telefoniert, die nicht in die Gänge gekommen ist, seit ich das letzte Mal mit Ihnen gesprochen habe. Sie schickt uns jetzt heute Nachmittag die ausgefüllten Unterlagen in Bezug auf die Versicherung von L zu. Dann kann ich Ihnen den Bericht direkt zusenden. Es tut mir leid, dass sich das verzögert hat, hoffe aber, dass damit die letzte Hürde genommen ist.“
Prof. K übersandte schließlich die erbetenen Ausfertigungen des Gutachtens und führte im Begleitschreiben aus (Bl. 28489 HA):
„Die Ausfertigungen sind mit dem offiziellen Stempel der Universität versehen und wurden vom Vorsitzenden des Universitätsrats, dem Vizekanzler sowie von L (T) unterzeichnet, da alle aus der Universität herausgehenden Unterlagen, die den
offiziellen Stempel der Universität tragen, von diesen beiden Personen unterschrieben werden müssen. Es tut mir leid, dass die Überprüfung der Versicherung so lange gedauert hat, aber wir sind jetzt mit der Abhandlung dieses Themas durch L (T) zufrieden.“
In der darin angesprochenen, von Prof. Dr. T sowie dem Vorsitzenden des Universitätsrats und dem Vizekanzler unterschriebenen Erklärung vom 11.01.2012 heißt es (Bl. 28490 HA):
„Die Universität hat den Bericht aus zwei Gründen überprüft: erstens um sicherzustellen, dass er nur die von der Staatsanwaltschaft gestellten Fragen beantwortet und zweitens mit Blick darauf, ob sich Aussagen in dem Bericht möglicherweise auf den Ruf des International Centre for Crowd Management & Security Studies an der Universität und den Ruf der Universität selbst auswirken könnten. Ich kann bestätigen, dass bei meiner Prüfung keinerlei Änderungen an Inhalt, Struktur, Thema oder Schlussfolgerungen erfolgten.“
In einer E-Mail an Staatsanwältin T vom 22.02.2012 wies Prof. K darauf hin, dass es aufgrund von Inkompatibilitäten der von Prof. Dr. T und der Universität
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bzw. G4S verwendeten Computerprogramme dazu gekommen sei, dass letzte Änderungen, die Prof. Dr. T an dem Gutachten vorgenommen habe, nicht „übersetzt“ worden seien. So führt er aus (Bl. 28655 HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„Es gibt einen kleineren Tippfehler bei 14,3 und 17,14 (18,25 geändert in 18,28), was zu einem Fehler von 0,16% in den Gesamtsummen führt (nicht signifikant). Auch wenn dies nicht signifikant ist, dachte ich, dass ich es sofort markiere, damit es falls nötig als Änderung für den endgültigen Bericht übermittelt werden könnte.“
Mit Schreiben vom 21.02.2012 (Bl. 28660 ff. HA) – sowie vorab bereits mit E-Mail vom 17.02.2012 von Staatsanwältin T an Prof. K (Bl. 28623 HA) übermittelt – stellte die Staatsanwaltschaft Duisburg Prof. Dr. T „in Ergänzung des Gutachtenauftrages vom 2. April 2011“ diverse Nachfragen (dort angegeben als „Status: 13. Februar 2012“) zu seinem Gutachten.
Mit E-Mail vom 23.03.2012 teilte Prof. K Staatsanwältin T mit (Bl. 46723 HA):
„Ich sitze an der abschließenden QA der Antworten, die L auf Ihre Fragen gegeben hat.“
In der Folge legte Prof. Dr. T das Gutachten „Duisburg - 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antworten auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9)“ (Bl. 29870-29893 HA) vor. Auf dem Deckblatt wird neben Prof. Dr. T auch K S aufgeführt, Frau S stellte jedoch nach den Angaben von Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 (Bl. 44805 HA) lediglich den Referenzabschnitt, d.h. den „Anhang B - Amtlich übersetzte Dokumente“, zusammen.
Zur Übersendung dieses Gutachtens vermerkte Staatsanwältin T am 29.03.2012 (Bl. 29669 HA):
„Es ging hier heute ein undatiertes Schreiben der Buckinghamshire New University ein, mit dem die autorisierten Antworten des Sachverständigen Prof. T auf die am 17. Februar 2012 übermittelten Nachfragen zu dem Sachverständigengutachten ein.
(…)
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Der Ausarbeitung lag eine neue Ausfertigung des ursprünglichen Gutachtens (Version 9.4) mit Stand vom 28. Februar 2012 bei. Diese Ausfertigung weicht lediglich unter „18. Conclusions“ von der bereits übersetzten Version ab. Außerdem wurde der bereits bekannte Tippfehler in den Berechnungen unter 14.3 und 17.14 berichtigt. (…)
Weiterhin wurde auch eine neue Version des Dokuments "Duisburg - Love Parade 24th July 2010 - Incident Analysis", Stand 17. Februar 2012 übersandt. Diese weicht auf den Seiten 10, 55, 80, 81 und 83 von der bisher bekannten und übersetzten Version des gleichnamigen Dokuments ab. Die Grafiken Seite 46, 47 und 66 wurden neu eingefügt. (…)“
Am 02.04.2012 fand auf Wunsch von Prof. Dr. T ein Besprechungstermin in Duisburg statt. Teilnehmer waren neben Prof. Dr. T mehrere Dezernenten der Staatsanwaltschaft, ein Angehöriger der Polizei, Frau S sowie eine Dolmetscherin. Staatsanwältin T vermerkte dazu (Bl. 29721 HA, Hervorhebung durch die Kammer):
„Nach Begrüßung der Anwesenden durch Oberstaatsanwalt O wurden mit Prof. T und seiner Assistentin, Frau S , die am 17. Februar 2012 übermittelten Nachfragen zu dem Sachverständigengutachten unter Einbeziehung der am 29. März 2012 hier eingegangenen Ausarbeitung des Sachverständigen erörtert. Hierbei wurde insbesondere erörtert, dass aufgrund der Besonderheiten des deutschen Strafrechts die Übersetzung einzelner Begriffe ins Englische bislang unzureichend, bzw. erläuterungsbedürftig war. Entsprechende Unstimmigkeiten wurden geklärt und die diesbezüglichen Nachfragen Prof. Ts beantwortet.
Vor diesem Hintergrund bat Prof. T ausdrücklich darum, die am 29. März 2012 hier eingegangene Ausarbeitung lediglich als Entwurf [Fußnote 71] anzusehen. Er kündigte an, in den nächsten Wochen eine Überarbeitung dieses Entwurfs in der Form eines ergänzenden Sachverständigengutachtens zu erstellen.“
[Fußnote 71: Insoweit in Abweichung von seinen Ausführungen auf die Frage der Kammer mit Beschluss vom 17.02.2015, warum bestimmte Bewertungen in der Ausarbeitung vom 19.03.2012, nicht aber im Gutachten vom 14.03.2013 getroffen worden seien, auf die er antwortete, das Gutachten vom 14.03.2013 habe sich auf bestimmte Fragen der Staatsanwaltschaft konzentriert, das „zweite Gutachten“ (gemeint ist das vom 14.03.2013) sei „in Antwort auf die speziellen Fragen der Staatsanwaltschaft“ erstellt worden, habe das frühere Gutachten aber nicht ersetzen oder zurückziehen sollen (Bl. 44784, 44797 HA).]
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Am 20.07.2012 informierte Prof. Dr. T per E-Mail Staatsanwältin T darüber, dass er sein Gutachten in der kommenden Woche an die Universität zur Qualitätssicherung senden wolle (Bl. 46723 HA):
„Wir werden jetzt diese Ergebnisse einbauen, sodass ich der Universität den Abschlussbericht Anfang nächster Woche zur QA zustellen werde.“
Damit korrespondierend teilte Prof. K am 14.08.2012 Staatsanwältin T per E-Mail mit (Bl. 42353 HA):
„Ich war in den letzten Monaten für die Universität am QS-Prozess beteiligt, um sicherzustellen, dass weder der Ruf der Universität noch der von G4S leidet.“
Nachdem sich Staatsanwältin T in der Folgezeit bereits mehrfach nach dem Sachstand erkundigt hatte, teilte Frau S per E-Mail am 29.01.2013 mit (Bl. 32236 HA):
„Ich warte selber noch auf eine genaue Deadline von der Universitaet und Professor T mit Abgabedatum. Ich denke, wir sind nicht weit davon entfernt, aber es scheint interne Diskussionen ueber Haftungsansprueche und aehnliches zu geben, welche im Moment zu dieser Verzoegerung fuehrt. Professor K und Professor T haben beide bereits als Gutachter in aehnlichen Faellen gearbeitet, aber dieser Fall, gepaart mit der deutschen rechtlichen Herangehensweise, scheint eine besondere Herausforderung darzustellen. (…)“
Auf weitere Nachfrage von Staatsanwältin T antwortete Prof. Dr. T am 18.02.2013 per E-Mail (Bl. 42355-42356 HA):
„Ich habe den Bericht am 12. Dezember 2012 sowohl an K als auch an Prof. K (für die Universität) zur QS geschickt. Am 11. Februar wurden einige (kleinere) Textänderungen vorgeschlagen, und ich habe diese zur abschließenden Genehmigung an K und Prof. K zurückgeschickt.“
Am 15.03.2013 ging schließlich das Gutachten von Prof. Dr. T vom 14.03.2013 bei der Staatsanwaltschaft Duisburg ein.
In die Gutachtenerstellung waren neben Prof. Dr. T jedenfalls auch Prof. K , Frau S und Frau F eingebunden.
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Hierzu gibt Prof. Dr. T an:
„Professor K und Frau S haben den Entwurf des zweiten Berichtes gelesen und machten Vorschläge zur Syntax/Sprache, um die möglichen Mehrdeutigkeiten bei der Übersetzung zwischen Englisch und Deutsch zu verringern.“ (E-Mail von Prof. Dr. T an OStA N vom 26.11.2014, Bl. 41318 HA)
Dazu teilt Frau S mit:
„Ich las verschiedene Versionen des Gutachtens "Korrektur" mit Hinblick auf die "Uebersetzbarkeit" ins Deutsche. Der Interpretationsspielraum sollte so gering wie moeglich sein, und das Gutachten so verstaendlich wie moeglich sein. Die endgueltige Wortwahl des Gutachtens lag jedoch zweifelsfrei bei Professor T.“ (E-Mail von Frau S an OStA N vom 24.11.2014, Bl. 40253 HA)
„In der Zeit meiner Mitarbeit war neben Professor T lediglich Professor C K als Repraesentant der Universitaet in das Projekt einbezogen. Er war zu keiner Zeit inhaltlich eingebunden. Seine Taetigkeit bezog sich, meines Wissens nach, nur auf die Abgabe des Gutachtens. Er las einige Versionen des Gutachtens Korrektur in Bezug auf Rechtschreibung und Grammatik, da, in meiner Erinnerung, das Gutachten den Stempel der Universitaet tragen sollte.“ (E-Mail von Frau S an OStA N vom 24.11.2014, Bl. 40253 HA)
Ferner äußert sich Prof. K wie folgt:
„Ich war nicht an dem Entwurf des Expertenberichtes beteiligt, ich hatte lediglich die Aufgabe den Bericht (Druckfehler, Satzbau, etc.) wie oben dargestellt zu bearbeiten.“ (E-Mail von Prof. K an OStA N vom 11.11.2014, Bl. 41231 HA).
Im Rahmen dieses – von Prof. Dr. T und Prof. K als „QA“, d.h. „quality assurance“ („Qualitätssicherung“, „QS“), bezeichneten (vgl. beispielsweise E-Mail von Prof. Dr. T an StA’in S vom 20.07.2012, Bl. 42351 HA und E-Mail von Prof. K an StA’in S vom 14.08.2012, Bl. 42353 HA) – Überprüfungsprozesses wurden „einige (kleinere) Textänderungen“ vorgeschlagen, die Prof. K und Frau S zur abschließenden Genehmigung vorgelegt wurden. Hierzu gibt Prof. Dr. T an:
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„Ich habe den Bericht am 12. Dezember 2012 sowohl an K als auch an Prof. K (für die Universität) zur QS geschickt. Am 11. Februar wurden einige (kleinere) Textänderungen vorgeschlagen, und ich habe diese zur abschließenden Genehmigung an K a und Prof. K zurückgeschickt.“ (E-Mail von Prof. Dr. T an StA’in S vom 18.02.2013, Bl. 42355-42356 HA)
Weiter führt er aus, es habe sich dabei um Korrekturen hinsichtlich Grammatik, Zeichensetzung und Formulierungen gehandelt (vgl. hierzu die Antworten vom 26.06.2015, Bl. 44729 HA). Prof. Dr. T betont jedoch, dass es nicht zu inhaltlichen Änderungen des Gutachtens als Folge dieses Überprüfungsprozesses gekommen sei (Bl. 41338 HA). So gibt er an:
„Professor K , Frau F und Frau S haben die Ansicht zu den systematischen Fehlern in der Planung und des Genehmigungsprozesses dieser Veranstaltung nicht beeinflusst.“ (E-Mail von Prof. Dr. T an OStA N vom 26.11.2014, Bl. 41318 HA)
„Es wurden eine Reihe von Korrekturen hinsichtlich Grammatik, Zeichensetzung und Formulierungen im Rahmen des Prozesses vorgeschlagen. Diese hatten keinen Einfluss auf die Meinung des Gutachters, die Struktur, den Inhalt oder die Schlussfolgerungen im Gutachten.“ (Bl. 44729 HA)
Schließlich führt er weiter aus, er allein trage die wissenschaftliche Verantwortung für das von ihm vorgelegte Gutachten (vgl. seine Antwort „Nein.“ auf die von der Staatsanwaltschaft gestellte Frage „Trägt außer Ihnen irgendjemand anders die wissenschaftliche Verantwortung für das Gutachten, das von Ihnen übermittelt wurde?“, Bl. 41319, 41336 HA).
Dazu gibt Prof. K an, er habe nicht zu der „Expertenmeinung“ von Prof. Dr. T „beigetragen“, was er hingegen wie folgt begründet:
„Als Herausgeber des Berichtes, der durch die Universität und das Büro des Staatsanwaltes angenommen wurde, erhielt ich Zugang zu dem Bericht, um sicherzustellen, dass er unparteiisch war und die Universität nicht in Verruf bringen würde. Das war meine einzige Aufgabe. Ich habe nicht zu der Expertenmeinung beigetragen, da ich Experte für die Schnittstelle zwischen Menschmassenregelung und der Wissen-
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schaft von Massen bin und nicht für die Dynamik oder Berechnung wie der Experte Prof. T und hinzugezogen wurde um diese meine Expertenmeinung in dem Bericht zu nutzen.“ (E-Mail von Prof. K an OStA N vom 11.11.2014, Bl. 41232 HA, Hervorhebung durch die Kammer).
Ferner gibt Frau F an, Prof. K habe ihr mitgeteilt, das Gutachten sei ihm zur Prüfung in sprachlicher Hinsicht vorgelegt worden. Sie führt insofern aus:
„Als Einschätzung auf der Basis des oben bereits beschriebenen professionellen Selbstverständnisses von Prof T, seine Erkenntnisse alleine zu bearbeiten und als professionelle Expertenmeinung auch nicht zu diskutieren würde ich es jedoch bezweifeln, dass eine inhaltliche Einflussnahme möglich gewesen wäre. Prof K teilte mir irgendwann mit, dass es dabei ja auch um Stil, Grammatik, Rechtschreibung etc ginge.“ (E-Mail von Frau F an OStA N vom 01.12.2014, Bl. 40952 HA)
Wenn ein Sachverständiger jedoch – und sei es nur irrig – davon ausgeht, nicht unabhängig, sondern für einen Dritten tätig zu werden und diesem deshalb weitgehende Kontrollmöglichkeiten und sogar die Letztverantwortlichkeit einräumt, führt dies zu Zweifeln an seiner Unabhängigkeit, denn der Sachverständige hat sein Gutachten eigenverantwortlich zu erstatten (vgl. OLG Frankfurt, VersR 1994, 610; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 3. Aufl., Rn. 342). Zwar führt Prof. Dr. T aus, er allein trage die „wissenschaftliche Verantwortung“ für das Gutachten, tatsächlich lagen die Bestimmung seiner Herangehensweise – die Universität bzw. G4S einigten sich für die Gutachtenerstattung durch Prof. Dr. T „auf die Position eines britischen Gutachters zur Beratung bei fremdsprachigen Fällen“ – sowie die Letztverantwortlichkeit (auch) für den Inhalt des Gutachtens hingegen bei Dritten. Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob auf Wunsch der „Kontrollinstanz“ tatsächlich Änderungen am Begutachtungsergebnis vorgenommen wurden. Für die Besorgnis der fehlenden Unabhängigkeit genügt es, dass der Sachverständige Dritten solche weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten einräumt.
Der Überprüfungsprozess des Gutachtens durch Prof. K und Frau S im Rahmen der Qualitätssicherung nahm zwei Monate in Anspruch („Ich habe den Bericht am 12. Dezember 2012 sowohl an K als auch an Prof. K (für die Universität) zur QS geschickt. Am 11. Februar [2013] wurden einige (kleinere) Text-
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änderungen vorgeschlagen, und ich habe diese zur abschließenden Genehmigung an K und Prof. K zurückgeschickt.“, E-Mail von Prof. Dr. T an StA’in S vom 18.02.2013, Bl. 42355-42356 HA, Hervorhebungen und Einfügung in [ ] durch die Kammer), was jedenfalls auf eine intensivere Befassung von beiden mit dem Gutachten hindeuten könnte. Dafür, dass dies tatsächlich der Fall war, spricht eine E-Mail von Frau S an Staatsanwältin T vom 29.01.2013, in der Frau S auf die Nachfrage von Staatsanwältin T zum Sachstand ausführt (Bl. 32236 HA):
„Ich warte selber noch auf eine genaue Deadline von der Universitaet und Professor T mit Abgabedatum. Ich denke, wir sind nicht weit davon entfernt, aber es scheint interne Diskussionen ueber Haftungsansprueche und aehnliches zu geben, welche im Moment zu dieser Verzoegerung fuehrt. Professor K und Professor T haben beide bereits als Gutachter in aehnlichen Faellen gearbeitet, aber dieser Fall, gepaart mit der deutschen rechtlichen Herangehensweise, scheint eine besondere Herausforderung darzustellen.“
Tatsächlich schlugen Prof. K und Frau S auch „eine Reihe von Korrekturen hinsichtlich Grammatik, Zeichensetzung und Formulierungen“ (Bl. 44729 HA) vor, deren Inhalt nicht aktenkundig wurde. Insofern ist schon nicht auszuschließen, dass durch Änderungen einzelner Formulierungen auch der Sinn einzelner Aussagen des Gutachtens verändert wurde. Den überarbeiteten Gutachteninhalt sandte Prof. Dr. T sodann „zur abschließenden Genehmigung“ (Bl. 42355-42356 HA) an beide zurück.
Damit bringt Prof. Dr. T jedoch zum Ausdruck, dass er nicht sich selbst, sondern vielmehr (unzulässigerweise) Dritte als Letztverantwortliche sah und ihnen diese Letztverantwortlichkeit auch einräumte. Zwanglos fügen sich in diese Sichtweise seine Äußerungen „Ich berichtete für diese Arbeit an Prof. K .“ (Bl. 43922 HA) sowie „Meines Wissens hatten die Versicherungsgesellschaft und die Rechtsabteilung der Universität im Rahmen der Vereinbarung auf einer Überprüfung des Dokuments durch Prof. K bestanden.“ (Bl. 43922 HA) ein, mit der Prof. Dr. T ebenfalls auf die aus seiner Sicht ihm übergeordnete Stellung von Prof. K als Universitätsrepräsentant bzw. als von der Haftpflichtversicherung geforderte Prüfinstanz im Gutachtenerstellungsprozess hinweist. Dazu passt auch die Äußerung von
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Prof. K , er sei am sogenannten QS-Prozess beteiligt gewesen, „um sicherzustellen, dass weder der Ruf der Universität noch der von G4S leidet“ (Bl. 42353 HA).
Dass Prof. K auch inhaltlich mit der Gutachtenerstellung befasst war, zeigt zum einen eine Formulierung, die er im Begleitschreiben zur Übersendung einer früheren Version des Gutachtens, dem Gutachten von Prof. Dr. T vom 09.12.2011 wählte. Dort führt er aus:
„Es tut mir leid, dass die Überprüfung der Versicherung so lange gedauert hat, aber wir sind jetzt mit der Abhandlung dieses Themas durch L (T) zufrieden.“ (Bl. 28489 HA)
Dies bringt zum einen zum Ausdruck, dass es – wie auch von Frau F angegeben („Prof K teilte mir irgendwann mit, dass es dabei ja auch um Stil, Grammatik, Rechtschreibung etc ginge.“ (Bl. 40952 HA, Hervorhebung durch die Kammer)) – nicht nur um eine grammatikalische, sondern auch um eine inhaltliche Prüfung – auch durch/für die Haftpflichtversicherung – ging, denn ansonsten wäre nicht nachvollziehbar, inwiefern Prof. K „jetzt mit der Abhandlung dieses Themas durch L (T) zufrieden“ wäre.
Zum anderen machte Prof. K auch in einer weiteren E-Mail an die Staatsanwaltschaft Duisburg vom 14.08.2012 deutlich, dass er sich über den QS-Prozess hinaus verantwortlich sah für die Erstellung des Gutachtens. In dieser E-Mail teilte er mit:
„Nach der Antwort von H brauchen wir einige Hilfe. (…)
Eine unserer größten Schwierigkeiten besteht darin, dass bei der Übersetzung einiger Originaldokumente einige Details nicht im Zusammenhang übersetzt wurden, und K bei der Betrachtung der Originaldokumente einige Unterschiede findet.
Ich möchte daher die beiden folgenden Möglichkeiten vorschlagen:
Entweder kommen/kommt L/K nach Deutschland, um für einige Tage mit der Staatsanwaltschaft bei der Klärung und den Querverweisen dieser Materialien zusammenzuarbeiten, oder wir nehmen als Unterstützung bei den Details in Bezug auf deutsches Recht die Dienste eines zweisprachigen Rechtssachverständigen in Anspruch.“ (Bl. 42353 HA, Hervorhebungen durch die Kammer)
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Auch der Umstand, dass Prof. K – unabhängig von der Frage der Richtigkeit dieser Einschätzung – Abweichungen von Gutachteninhalten in verschiedenen Versionen des Gutachtens „Duisburg – 24. Juli 2010, Loveparade – Vorfall, Sachverständigenbericht, Professor Dr. T FIMA, 9. Dezember 2011“ (als nicht signifikant) bewertete, zeigt seine inhaltliche Einbindung. So gab Prof. K zu den – die Bemessung der Durchflusskapazität durch die (geplante) engste Stelle auf der Rampe Ost von 18,28 Meter betreffenden – Punkte 14.3. und 17.14. (vgl. Bl. 28720, 28725 HA) an (E-Mail von Prof. K an StA’in S vom 22.02.2012, Bl. 28655 HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„Es gibt einen kleineren Tippfehler bei 14,3 und 17,14 (18,25 geändert in 18,28), was zu einem Fehler von 0,16% in den Gesamtsummen führt (nicht signifikant). Auch wenn dies nicht signifikant ist, dachte ich, dass ich es sofort markiere, damit es falls nötig als Änderung für den endgültigen Bericht übermittelt werden könnte.“
Insofern besteht jedenfalls die Besorgnis einer über ein bloßes „Korrekturlesen“ im Hinblick auf „Druckfehler, Satzbau, etc.“ hinausgehenden Befassung von Prof. K , was jedoch wiederum die Besorgnis weckt, dass dieser – im Einzelnen nicht mehr nachvollziehbaren – Einfluss auf das Gutachten nahm bzw. jedenfalls nehmen konnte.
Prof. Dr. T räumte zudem nicht nur den Repräsentanten seiner Arbeitgeber bzw. der Haftpflichtversicherung seines Arbeitgebers Eingriffsmöglichkeiten in sein Gutachten und sogar die Letztverantwortlichkeit für Gutachteninhalte ein, sondern erklärte sich darüber hinaus dazu bereit, seine Arbeitsergebnisse seinem Auftraggeber, der Staatsanwaltschaft Duisburg, vorzustellen, diese zu besprechen und „wesentliche Punkte in der Sache“ zu vereinbaren.
So fasste Prof. Dr. T in einer nach dem ersten Treffen mit Vertretern der Ermittlungsbehörden verfassten E-Mail vom 03.04.2011 seine Aufgaben zusammen und führte dabei unter anderem auf:
„Berichterstattung und Analyse
o Einreichung des Berichtsentwurfs zur Besprechung
o Treffen zur Besprechung und Vereinbarung von wesentlichen Punkten in der
Sache
223
o Vorlage der Materialien in der Sache“ (Bl. 20835, 20860 HA)
Dies geht über eine (konkrete) Anleitung durch den Auftraggeber deutlich hinaus, denn so wie Prof. Dr. T seine Aufgaben versteht, soll der „Berichtsentwurf“ und damit das gesamte Arbeitsergebnis zur Diskussion gestellt und es sollen „wesentliche Punkte in der Sache“ vereinbart werden.
Der Umstand, dass Prof. Dr. T die Fragen der Kammer vom 17.02.2015 nunmehr unabhängig von seinen Arbeitgebern und persönlich in seiner Freizeit beantwortete und in seinen Antworten vom 26.06.2015 angibt, seine früheren Ausführungen halte er weiter aufrecht (vgl. Bl. 44797 HA), kann nicht zu einer unabhängigen und persönlichen Erstattung des Gutachtens vom 14.03.2013 führen. Denn es besteht auch insoweit die Besorgnis, dass Prof. Dr. T lediglich die damaligen, schon veröffentlichten Äußerungen aufrecht erhalten und nicht von ihnen abrücken will, um so einem – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlust zu begegnen.
Als weiterer Umstand ist im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände der Gutachtenerstellung zu berücksichtigen, dass Prof. Dr. T wesentliche, von ihm mangels eigener deutscher Sprachkenntnisse nicht überprüfbare Aufgaben – die Auswahl der der Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente – von Hilfskräften, S F und K S , ausführen ließ, so dass er für die Auswahl der Dokumente nicht die Verantwortung übernehmen konnte, und damit gegen seine Pflichten zur persönlichen Gutachtenerstattung und zur verantwortlichen Überwachung der eingesetzten Hilfskräfte verstieß.[Fußnote 72]
(cc) Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht
Aus dem Umstand, dass Prof. Dr. T sich in Vorträgen und in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu dem von ihm begutachteten Thema konkret äußerte, dabei Inhalte seines Gutachtens benutzte sowie Informationen, die Akteninhalt waren, darstellte und öffentlich kommentierte und damit gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstieß, lassen sich Rückschlüsse
[Fußnote 72: Siehe dazu ausführlich unter C. II. 2. b. cc. (2).]
224
auf eine innere Haltung von Prof. Dr. T ziehen, die seine Neutralität störend beeinflussen kann.
Einen Sachverständigen trifft während und auch nach der Beendigung des Auftragsverhältnisses eine Schweigepflicht in Bezug auf die Kenntnisse, die er in Ausübung seiner Tätigkeit als Sachverständiger erlangt hat (Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage, Rn. 359; Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50, 54; Keldungs/Arbeiter, Leitfaden für Bausachverständige, 3. Auflage, S. 9). Diese Pflicht folgt als Nebenpflicht aus seiner Beauftragung (Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50, 54).
Hier unterzeichnete Prof. Dr. T unter dem Datum 02.04.2011 eine – englischsprachige – Verschwiegenheitsverpflichtung (“Commitment to secrecy“, Bl. 20827 HA) unter anderem mit folgendem Inhalt: “I have been advised that the duty to maintain secrecy applies to anything which is entrusted to or becomes apparent to me in the execution of my work or incidentally, or which will be entrusted or made apparent to me in the future.” (in der deutschen Fassung, Bl. 20825 HA wie folgt formuliert: „Ich bin darüber belehrt worden, dass sich die Verschwiegenheitspflicht auf alles erstreckt, was mir in Ausübung oder bei Gelegenheit meiner Tätigkeit anvertraut oder bekannt geworden ist oder noch anvertraut oder bekannt werden wird.“).
Dennoch verwendete er in seinen Vorträgen aus dem Jahr 2013 und in seinem im Jahr 2014 veröffentlichten Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ verschiedene Informationen, die als Akteninhalt seiner Verschwiegenheitspflicht unterlagen.
So führte er in seinem Vortrag „Crowd Safety – Major City Events (Space, Time, Direction, Flow), UK Cabinet Office Emergency Planning College 20th June 2013“ aus:
„Wenn wir uns nun wieder die Loveparade in Duisburg anschauen, gibt es denselben Ansatz. Dieses Bild zeigt den "Quetschpunkt" in dem markierten Bereich.
Hier wird also unser Gelände durch ein Bild von Google Earth dargestellt, und es gibt ein Diagramm mit der Beschränkung im System, wobei die schmalste Stelle dort 10,59 m breit ist.“ (Bl. 40074 HA)
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Zu diesem Vortrag gehört eine Powerpointpräsentation, bei der eine Folie einen Bereich eines Google Satellitenbildes des Geländes um die Rampe Ost zeigt. Darauf sind die Tunnel und die Rampe Ost gelbfarbig umrandet, wobei in dem Bereich, in dem die Zaundreiecke standen, die Umrandung sich deutlich verengt. Auf der Folie sind des Weiteren die Gangrichtungen aus den Tunneln zur Rampe Ost (dargestellt mit grünfarbigen Pfeilen) sowie von der Rampe Ost in Richtung der Tunnel (dargestellt mit rotfarbigen Pfeilen) eingezeichnet. Zwischen diesen Pfeilen ist mit gelbfarbigen Pfeilen der von Prof. Dr. T so genannte „Quetschpunkt", d.h. die schmalste Stelle eingezeichnet, diese ist beschriftet mit „10.59 m“ (Bl. 39191 HA).
Auch in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ geht Prof. Dr. T auf den Wert „10,59 Meter“ ein:
„In diesem engen Abschnitt, der Sperre, betrug die Breite 10,59 m.“ (S. 176 des Fachbuchs/Bl. 46548 HA, Bl. 46543 HA)
„Die Rampe war an ihrer engsten Stelle 10,59 m breit.“ (S. 178 des Fachbuchs/Bl. 46549 HA, Bl. 46545 HA)
Das Fachbuch enthält eine – der beschriebenen, auf Bl. 39191 HA abgebildeten Folie mit Ausnahme des Google Satellitenbilds als Hintergrund entsprechende – Abbildung (Abb. 6.19, S. 176 des Fachbuchs/Bl. 46548 HA, Bl. 46543 HA), die schematisch die Tunnel und die Rampe Ost darstellt, wobei die Rampe Ost in dem Bereich, in dem die Zaundreiecke standen, deutlich enger gezeichnet ist. Die Gangrichtungen aus den Tunneln zur Rampe Ost sowie von der Rampe Ost in Richtung der Tunnel sind mit Pfeilen eingezeichnet. Weitere Pfeile weisen auf die schmalste Stelle der Rampe hin, diese ist beschriftet mit „10.59 m“.
Der Wert „10,59 Meter“ ist jedoch eine Information, die Prof. Dr. T (jedenfalls auch) aus dem Inhalt der Ermittlungsakte (beispielsweise „Sperre grRampe.dwg“, FP1, Festplatte_T…_2,5Zoll, LP_Ramp_Cam, Duisburgh, TO-Vermessung CAD dwg-Dateien, _dwg-dateien), mithin aufgrund seiner Tätigkeit als Sachverständiger, bekannt war.
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In den zu seinem Vortrag „Keynote lecture MMU - 29th Nov 2013“ veröffentlichten Folien verwendete Prof. Dr. T eine Grafik der M GmbH „Gesamtpersonen auf VA-Fläche“ („Site capacity (235,000 at peak)“, Bl. 42310 HA). Diese Grafik findet sich im BMO V44 bis V46, elektronische Seitenzahl 94 (bzw. in der Prof. Dr. T zur Verfügung gestellten Fassung: FP1, Nachlieferung_T…_S , DVD_BMOs, BMO V, BMO V 046 T , Schriftstücke.pdf, elektronische Seitenzahl 71). Auch wenn diese Grafik (inzwischen) im Internet zu finden ist (https://g......pdf, dort Bl. 25), handelt es sich jedoch wiederum um eine Information, die Prof. Dr. T (jedenfalls auch) aus dem Inhalt der Ermittlungsakte, mithin aufgrund seiner Tätigkeit als Sachverständiger, bekannt war.
In seinem Vortrag „Keynote lecture MMU - 29th Nov 2013“ führt Prof. Dr. T zudem unter anderem aus:
„Der Grund, warum diese Fahrzeuge hier stehen, ist, dass sie eine temporäre Sperre bilden, und wenn in diesem Bereich etwas passiert, sollen die Fahrzeuge oben entlang fahren und die Leute vom Gelände bringen.“ (Bl. 42290 HA)
Gemeint damit können nur die Polizeifahrzeuge sein, die seitlich an der Rampe Ost abgeparkt waren, um – so eine Stellungnahme d Angeschuldigten G (Bl. 25067 HA), auf die sich Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 (Bl. 44790-44791 HA) bezieht – eine temporäre Sperrung des „Ausgangs am oberen Rampenkopf“ durchzuführen. D Angeschuldigte G führt hierzu aus, vor der Veranstaltung sei das Szenario durchgespielt worden, wie mit starken Publikumsbewegungen umzugehen sei, die beispielsweise wetterbedingt bei starken Regenfällen vom Veranstaltungsgelände in den Tunnel zurückströmen. Hierfür sei die temporäre Sperrung des „Ausgangs am oberen Rampenkopf“ als sinnvoll erachtet und deshalb vereinbart worden, dass die Polizei für dieses Szenario Einsatzkräfte bereitstelle, die im Nordbereich der Rampe eine Sperrung einrichten könnten. Die Einsatzleiter der Polizei hätten dem unter der Bedingung, dass während des gesamten Veranstaltungszeitraums in räumlicher Nähe Einsatzfahrzeuge der Polizei geparkt werden könnten, zugestimmt. Diese Kenntnis hat Prof. Dr. T (jedenfalls auch) aus dem Inhalt der Ermittlungsakte, mithin aufgrund seiner Tätigkeit als Sachverständiger, erlangt.
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Zwar führt Prof. Dr. T an, er habe sich in seinen Vorlesungen nur auf Informationen bezogen, die bereits vor seiner Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft öffentlich gewesen seien (Bl. 41156 HA, Bl. 41202 HA).
Es kann insofern jedoch dahinstehen, ob diese Einschätzung von Prof. Dr. T, die Informationen, auf die er sich bezogen habe, seien allesamt bereits zuvor „öffentlich“ gewesen, zutreffend ist. Denn darauf kommt es nicht entscheidend an. Wenn ein mit der Begutachtung beauftragter Sachverständiger Informationen, die Aktenbestandteil sind und ihm daher (jedenfalls auch) in seiner Funktion als Gutachter bekannt geworden sind, öffentlich macht bzw. darstellt oder kommentiert, stellt dies einen Verstoß gegen seine Schweigepflicht dar. Denn der Umstand, dass derjenige, der Kenntnis vom Akteninhalt hat, bestimmte Informationen – seien sie auch bereits so schon in der Öffentlichkeit verbreitet worden – darstellt oder kommentiert bzw. selbst mitteilt, lässt jedenfalls den Schluss zu, dass die veröffentlichten Informationen zutreffend sind und auch den Akteninhalt widerspiegeln.
(dd) Gesamtbetrachtung aller Umstände
In einer Gesamtbetrachtung – mehrere Gründe sind nicht nur für sich allein, sondern auch in ihrer Gesamtheit zu würdigen (BGH, NJW 1956, 271, 272; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 202) – verstärkt sich die Besorgnis der Befangenheit gegenüber der Würdigung der Einzelumstände nochmals.
Prof. Dr. T behauptet nicht nur in seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“, bei der Planung der Loveparade seien Daten (Planzahlen zu Besucherströmen) „manipuliert“ worden und „einfache Mathematik“ oder gar „einfachste Mathematik“ bzw. „Mathematik für Anfänger“, die sein Sohn im Alter von vier Jahren bereits beherrscht habe, nicht angewendet worden. Auch in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ äußert er an verschiedenen Stellen, einfache mathematische Rechenwege seien von den „Teams, die die Veranstaltung geplant und genehmigt haben“, nicht beachtet worden. Daneben gibt er in dem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ konkrete Besucherzahlen an, die er aber tatsächlich gar nicht (auch nicht schätzungsweise) ermittelt hat (und zu deren Ermittlung er sich auch nicht in der Lage sieht) und die er – wie er allerdings nicht kenntlich macht und nur
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auf Nachfrage durch die Kammer mitteilte – nur als „zur Veranschaulichung des Problems“ genannte Zahlen verstanden wissen will. Darüber hinaus schildert Prof. Dr. T in diesem Vortrag auf der Basis dieser nicht tatsächlich ermittelten, sondern lediglich „gegriffenen“ Zahlen ein – in dieser Form tatsächlich nicht ermitteltes – „Überfüllungsszenario“. Dies lässt aus Sicht eines vernünftigen Angeschuldigten den Schluss auf eine Beeinträchtigung der Neutralität des Sachverständigen ihm gegenüber zu. Darüber hinaus legt Prof. Dr. T sich – jeweils für eine breite Öffentlichkeit zugänglich und seine Reputation überdies in seinem Fachbuch ausdrücklich mit seiner gutachterlichen Tätigkeit im konkreten Ermittlungsverfahren verbindend – in den Vorträgen „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ und „Crowd Safety – Major City Events (Space, Time, Direction, Flow), Emergency Planning Society – Webinar 1st July 2013” sowie in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ konkret und fallbezogen bereits darauf fest, dass „Planungsfehler, Genehmigungsfehler und betriebliche Fehler“ gemacht wurden und ein „Durchsatzproblem“ im Sinne eines „Designfehlers“ bzw. die „Diskrepanz zwischen dem Fassungsvermögen (Fläche) eines Raums und der Anzahl von Menschen (…), die versuchen, in diesen Raum zu gelangen“ zu dem Geschehen bei der Loveparade führten, was zu der weiteren Besorgnis führt, Prof. Dr. T werde von dieser Einschätzung auch im Falle von sich in einer etwaigen Hauptverhandlung ergebenden anderen bzw. weiteren Erkenntnissen aufgrund seiner schon öffentlich gemachten Äußerungen nicht abrücken, um so einem – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlust zu begegnen.
Dazu kommt, dass die Gesamtumstände der Gutachtenerstellung sowie der Umstand, dass Prof. Dr. T gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstieß, Zweifel an seiner Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität wecken. Denn Prof. Dr. T ging davon aus, nicht eigenverantwortlich als unabhängiger Sachverständiger, sondern als Angestellter der Buckinghamshire New University bzw. des Sicherheitsunternehmens G4S das Gutachten zu erstellen. Er ließ deshalb die Herangehensweise für sein Gutachten durch die Universität bzw. G4S (fremd-)bestimmen, räumte Re-präsentanten der Universität bzw. der Haftpflichtversicherung seines Arbeitsgebers Änderungsbefugnisse ein, die diese auch wahrnahmen, „um sicherzustellen, dass weder der Ruf der Universität noch der von G4S leidet“, und legte ihnen das Gutachten zur „QA“ (Qualitätssicherung) sowie Gutachteninhalte „zur abschließenden Genehmigung“ vor, womit er ihnen die Letztverantwortlichkeit (auch) für den Inhalt des
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Gutachtens übertrug. Darüber hinaus beauftragte er bei der Gutachtenerstellung Hilfskräfte, deren Aufgabenerfüllung er mangels eigener deutscher Sprachkenntnisse nicht überprüfen konnte, mit der Auswahl der der Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente. Zusammen mit seinen unsachlichen Äußerungen sowie der öffentlichen Festlegung auf bestimmte Ursachen für die Ereignisse bei der Loveparade 2010, die jeweils schon für sich allein diese Besorgnis begründen, rechtfertigt dies die Besorgnis der Befangenheit.
(2) Pflichten zur persönlichen Gutachtenerstattung und zur verantwortlichen Überwachung der eingesetzten Hilfskräfte
Prof. Dr. T verletzte – was bereits im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände der Gutachtenerstellung die Besorgnis seiner Befangenheit mitbegründet – die Pflichten zur persönlichen Gutachtenerstattung und zur verantwortlichen Überwachung der eingesetzten Hilfskräfte, denn er ließ wesentliche Aufgaben, zu denen er selbst als beauftragter Sachverständiger berufen gewesen wäre, durch Dritte ausführen, ohne deren Aufgabenausführung überprüfen zu können.
Der Sachverständige ist nicht befugt, den Auftrag an eine dritte Person weiterzugeben oder sich von dieser bei der Gutachtenerstellung vertreten zu lassen. Er ist hingegen auch nicht verpflichtet, sämtliche für die Begutachtung notwendigen Tätigkeiten persönlich vorzunehmen, sondern darf bei der Vorbereitung und Abfassung des schriftlichen Gutachtens geschulte und zuverlässige Hilfskräfte – insbesondere zu einzelnen Untersuchungen – heranziehen und diesen unterstützende Dienste übertragen (BGH, VersR 1972, 927; OLG Nürnberg, Beschl. vom 16.05.2006 – 5 W 781/06 –, juris; BVerwG, NVwZ 1993, 771, 772; BVerwG, NJW 1984, 2645, 2646; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 339 mit weiteren Nachweisen; Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 1, Der Bausachverständige, Heft 3/2013, 57, 64). Allerdings ist die Grenze der erlaubten Mitarbeit – mit der Folge der Unverwertbarkeit des Gutachtens – überschritten, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit eines Dritten gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern delegiert (vgl. BGH, NStZ 2012, 103; ferner BSG, Beschl. vom 30.01.2006 – B 2 Z 358/05 B –, juris). Dies bedeutet, dass der Sachverständige trotz des Einsatzes von
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Hilfskräften weiterhin die Gesamtverantwortlichkeit tragen muss; dafür muss er beispielsweise die Untersuchungsergebnisse seiner Hilfskräfte überprüfen, d.h. eigenverantwortlich nachvollziehen und billigen, so dass er persönlich die Gewähr für die Richtigkeit des Gutachtens übernehmen kann (BGH, VersR 1972, 927; BVerwG, NVwZ 1993, 771, 772; BVerwG, NJW 1984, 2645, 2646; OLG Düsseldorf, Urt. vom 16.12.1999 – 8 U 60/99 –, juris; OLG Nürnberg, Beschl. vom 16. Mai 2006 – 5 W 781/06 –, juris; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 339 mit weiteren Nachweisen; Keldungs/Arbeiter, Leitfaden für Bausachverständige, 3. Aufl., S. 9; Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 1, Der Bausachverständige, Heft 3/2013, 57, 64). Eine solche Überprüfung setzt indes voraus, dass der beauftragte Sachverständige demselben oder einem übergeordneten Fachgebiet angehört wie die Hilfskraft, wobei er mindestens über dieselben Kenntnisse und Erfahrungen verfügen muss wie die Hilfsperson (OLG Nürnberg, Beschl. vom 16. Mai 2006 – 5 W 781/06 –, juris).
Der Umstand, dass Prof. Dr. T bei der Erstellung des von ihm im Auftrag der Staatsanwaltschaft Duisburg zu fertigenden Gutachtens Frau F und Frau S damit betraut hat, eigenständig sämtliche in deutscher Sprache vorliegenden Dokumente zu lesen und solche auszuwählen, die ihm „vorgestellt“ wurden, so dass er entscheiden konnte, welche Dokumente in die englische Sprache übersetzt werden sollten, um von ihm bei der Gutachtenerstellung berücksichtigt werden zu können, sie mithin eigenständige und von ihm mangels eigener deutscher Sprachkenntnissen nicht überprüfbare Aufgaben wahrnahmen, so dass er für die Auswahl der Dokumente nicht die Verantwortung übernehmen konnte, begründet einen Verstoß gegen seine Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung, der zur Unverwertbarkeit des Gutachtens führt.
Prof. Dr. T hat – so seine Angaben auf entsprechende Fragen der Staatsanwaltschaft (E-Mails von Prof. Dr. T an OStA N vom 26.11.2014, Bl. 41317-41321 HA und vom 11.11.2014, Bl. 41334-41342 HA) sowie die jeweils damit korrespondierenden Angaben von Frau F (E-Mail von Frau F an OStA N vom 01.12.2014, Bl. 40949-40954 HA) und Frau S (E-Mail von Frau S an OStA N vom 24.11.2014, Bl. 40252-40255 HA) – zunächst S F und später K S damit betraut, ihm bei der Begutachtung Hilfe zu leisten.
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Frau F assistierte ihm beim „ersten Bericht“ und war von April 2011, dem Treffen mit Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft in Duisburg, bis Dezember 2011 für ihn tätig. Dann musste sie ihre Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen beenden. Frau S war beim „zweiten Teil“ des Gutachtens von Februar 2012 bis März 2013 beteiligt. Sowohl Frau F als auch Frau S – beide deutsche Staatsangehörige – assistierten dergestalt, dass sie die in der deutschen Sprache vorliegenden Dokumente lasen und nach Vorgaben von Prof. Dr. T auswählten, welche Dokumente ihm überhaupt zur etwaigen Übersetzung in die englische Sprache vorgelegt werden sollten. Hierzu führt Prof. Dr. T im Einzelnen aus:
„Beide, Frau F und Frau S haben beim Lesen der Dokumente assistiert (alle in Deutsch) sodass wir die offiziellen Übersetzungen der Schlüsseldokumente – auf Anweisung – erhalten konnten.“ (Bl. 41318 HA)
„… Frau F und Frau S waren Deutsche und konnten so die riesige Masse der deutschen Dokumente zu dem Fall lesen und den Inhalt und Zusammenhang verstehen.“ (Bl. 41335 HA)
„Die einzige Aufgabe, die ich beiden gegeben habe, war die Dokumente zu lesen und die Risikobeurteilungen zu finden (es gab keine Risikobeurteilungen, die sie finden konnten) und irgendwelche Hinweise auf die Analyse der Tunnel, d.h., gab es irgendwelche nummerischen Bewertungen der Tunnel-/Rampen-Kapazität. Das Ziel war, die Bezugsdokumente zu finden, damit ich dann um eine offizielle Übersetzung nachsuchen konnte.“ (Bl. 41336 HA)
Die von ihnen für relevant gehaltenen Dokumente legten sie jeweils Prof. Dr. T vor, damit er diese – so er es für nötig hielt – übersetzen lassen konnte.
Dazu gibt Frau S an:
„Ich bin nicht inhaltlich in die Erstellung des Gutachtens eingebunden worden. Meine konkreten Aufgaben bezogen sich darauf, die Professor T auf Deutsch zur Verfuegung gestellten Materialien nach konkreten Fragestellungen seinerseits durchzulesen. Zum Beispiel fragte er, unter anderem, nach eventuellen Risikoanalysen, welche
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in der Planung der Veranstaltung verwendet worden waren. Ich stellte Professor T danach relevante Passagen verschiedenster Art vor. Er waehlte dann konkrete Passagen aus, welche offiziell uebersetzt wurden, so dass er sie als "beglaubigte" Grundlage seines Gutachtens verwenden konnte. (Professor T bestand darauf, nur beglaubigte Uebersetzungen zu bearbeiten.)“ (Bl. 40253 HA)
Frau F äußerte damit korrespondierend:
„Ich habe deutschsprachige Dokumente gelesen (jeweils in Absprache und mit Kenntnis der Staatsanwaltschaft) und mit Prof T diskutiert, welche Dokumente offiziell übersetzt werden müssten.“ (Bl. 40949 HA)
Zwar gibt Prof. Dr. T an, es habe eine Reihe von Diskussionen im Hinblick auf den Kontext und den Inhalt der offiziellen Übersetzungen und die Dokumentensuche während der Überprüfung gegeben und er habe seinen Mitarbeiterinnen auch Anweisungen erteilt, nach welcher Art von Dokumenten sie „suchen“ sollten bzw. für welche von den Mitarbeiterinnen ausgewählten Dokumente tatsächlich um eine offizielle Übersetzung bei der Staatsanwaltschaft gebeten werden sollte („Frau F und Frau S haben nur geholfen, Dokumente zu lesen (alle auf Deutsch), sodass wir offizielle Übersetzungen der Schlüsseldokumente erhalten konnten bezogen auf das Folgende: War das Gelände sicher, bei einem Minimum an Informationen (ein Geländeplan und Arbeitsblatt über vorhergesagte Menschenmassenbewegungen zum und vom Gelände)?“, Bl. 41334 HA). Dies bestätigt auch Frau S , die angab, die in der deutschen Sprache zur Verfügung gestellten Materialien nach konkreten Anweisungen von Prof. Dr. T gelesen zu haben.
Dennoch war die Auswahl der Dokumente durch seine Mitarbeiterinnen dahingehend, ob sie tatsächlich alle potentiell relevanten Dokumente „gefunden“ hatten, und/oder dahingehend, ob sie dieselben Dokumente, die er bei einer eigenen Sichtung für relevant gehalten hätte, auch für relevant hielten und ihm „vorstellten“, für Prof. Dr. T, der – wie er gegenüber dem Gericht (E-Mail von Prof. Dr. T an Ju-stizbeschäftigte K vom 07.04.2015, Bl. 43604 HA) klarstellte – selbst die deutsche Sprache weder sprechen noch lesen kann, nicht überprüfbar.
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Prof. Dr. T konnte insofern die Auswahl der Dokumente mangels entsprechender Sprachkenntnisse nicht überprüfen und kann dies im Zwischenverfahren nicht nachholen, so dass es ihm nicht möglich ist, für die – für die Gutachtenerstellung wesentliche – Auswahl der der Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente die Verantwortung zu übernehmen: Eine eigene Prüfung des (in weiten Teilen noch nicht übersetzten und hierfür zuvor erst noch zu übersetzenden) äußerst umfangreichen Aktenmaterials auf Relevanz durch Prof. Dr. T und Befassung mit dem Material wäre eine im Zwischenverfahren unzulässige wesentliche Ermittlung. Denn Prof. Dr. T müsste jedes von ihm für potentiell relevant gehaltene Dokument in Relation zu seinen bisherigen Ergebnissen setzen und beurteilen, ob sich dadurch Änderungen in seiner Begutachtung ergeben könnten. Dies käme einer Nachholung wesentlicher Teile des Ermittlungsverfahrens gleich und liefe auf eine weitgehende Neubegutachtung durch Prof. Dr. T hinaus.
Soweit die Kammer mit Beschluss vom 17.02.2015 Prof. Dr. T im Zwischenverfahren Fragen stellte und diesem Beschluss Dokumente beifügte, bezogen sich diese nur auf die gestellten Fragen und stellten keine Auswahl der der Begutachtung zugrunde zu legenden Dokumente dar. Insofern konnte hierdurch auch nicht die Dokumentensuche durch den Sachverständigen ersetzt werden.
Indes gibt es weitere Dokumente, die Prof. Dr. T seiner Begutachtung nicht zugrunde gelegt hat, die aber für diese – auch nach seiner Einschätzung, nur geländebezogene Dokumente zu benötigen,[Fußnote 73] – relevant sein könnten. So hat er beispielsweise keines der das polizeiliche Einsatzkonzept – insbesondere zu den zur Besucherstromsteuerung geplanten Vorsperren – betreffenden Dokumente berücksichtigt (vgl. hierzu nur exemplarisch neben einer Vielzahl von die Vorsperrenplanung und tatsächliche Vorsperrendurchführung betreffenden Dokumenten das Schreiben „Maßnahmen der Polizei aus Anlass der „Loveparade 2010“ in Duisburg am 24. Juli 2010, Geplante polizeiliche Vorsperren“ des PHK Fleming (Polizeipräsidium Duisburg) an die Stadt Duisburg vom 29.06.2010, BMO P 62.8 elektronische Seitenzahl 133-135, den Bericht „Maßnahmen der Polizei aus Anlass der „Loveparade 2010“ in Duisburg“ des LPD Simon (Polizeipräsidium Duisburg) an das Innenministe-
[Fußnote 73: Vgl. dazu C. II. 2. b. cc. (3) (a).]
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rium NRW vom 25.07.2010, BMO P 61.3, elektronische Seitenzahl 16-28, das Schreiben „(Vorläufiges) technisches Einsatzkonzept EA Raumschutz Ost“ des PR B (3. BPA NRW/Köln) vom 11.06.2010, BMO P 20, elektronische Seitenzahl 430-434, das Schreiben „Technisches Einsatzkonzept EA Raumschutz Ost“ des PR B (3. BPA NRW/Köln) vom 24.06.2010, BMO P 61.5, elektronische Seitenzahl 148-149 und den Bericht „Zeitlicher Ablauf der Geschehnisse im EA Raumschutz West“ des POR W (Bereitschaftspolizei Wuppertal) vom 27.07.2010, BMO P 22, elektronische Seitenzahl 13-16).
Diese Dokumente hätten durchaus für die Begutachtung von Bedeutung sein können, hätten sie doch Prof. Dr. T näheren Aufschluss über die zur Besucherstromsteuerung (zwischen dem Duisburger Hauptbahnhof und den Vereinzelungsanlagen) geplanten Vorsperren geben können, mit denen Einfluss auf die an den Vereinzelungsanlagen West und Ost ankommende Besuchermenge genommen werden sollte.
Prof. Dr. T hätte anhand dieser Dokumente prüfen können, inwieweit die von ihm anhand von Videoaufzeichnungen und Bildern angenommenen „Polizeikontrollen an den Zugangswegen“ (vgl. Punkt 5.7.3 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40749 HA sowie die Ausführungen von Prof. Dr. T zu den im Gutachten angesprochenen Polizeikontrollen in seinen Antworten vom 26.06.2015, Bl. 44776-44778 HA) den geplanten Vorsperren entsprachen bzw. diese tatsächlich vollzogen wurden.
Darüber hinaus hätte Prof. Dr. T aus diesen exemplarisch angeführten (und gegebenenfalls weiteren) Dokumenten Schlüsse dahingehend ziehen können, ob die von ihm unter Punkt 3.2.14 seines Gutachtens vom 14.03.2013 („Eine verspätete Eröffnung hätte von dem Moment an in einer Intervention (zwischen dem Eingangspunkt und dem Bahnhof - entlang der westlichen und östlichen Zulaufstrecken) resultieren müssen, als die Verspätung erwartet wurde, denn es war der Plan, den Menschenstrom an den Knotenpunkten der Eingangsstellen frei strömen zu lassen.“, Bl. 40727 HA) pauschal geforderte Maßnahme (Intervention) im Sinne von polizeilichen Vorsperren gegebenenfalls geplant war bzw. tatsächlich vollzogen wurde.
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(3) Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse
Prof. Dr. T verletzte seine Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung, indem er die Anknüpfungstatsachen seines Gutachtens auch innerhalb seines Fachgebiets von Anfang an beschränkte und sich lediglich Dokumente zur Frage „War das Gelände sicher?“ von seinen Mitarbeiterinnen, denen er die Auswahl der seinem Gutachten zugrunde gelegten Dokumente übertrug, vorlegen ließ (dazu (a)).
Prof. Dr. T verletzte zudem seine Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, indem er seinem Gutachten die Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell “ zugrunde legte, ohne seine Annahme, diese Zahlen hätten bei der Planung tatsächlich Verwendung gefunden, begründen zu können (dazu (b)).
Eine weitere Verletzung der Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse liegt darin, dass Prof. Dr. T, obwohl er dies nicht nachvollziehbar belegen kann, seiner Begutachtung die Annahme zugrunde legt, die – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen stimmten mit den tatsächlichen Besucherzahlen überein. Damit setzt er jedoch eine von ihm für „manipuliert“ gehaltene Planung und die realen Umstände gleich. Es war ihm weder möglich, konkrete Angaben zu den tatsächlichen Besucherzahlen zu machen, noch diese annäherungsweise mittels einer Schätzung zu ermitteln, was gegebenenfalls seine Annahme eines Eintreffens der erwarteten Planzahlen hätte bestätigen können. Vielmehr konnten selbst unter Annahme der in seinem Gutachten errechneten maximalen Anzahl der das Veranstaltungsgelände bei jederzeitiger Maximalauslastung der Vereinzelungsanlagen – wobei er selbst nicht von deren planerisch absehbarem Versagen ausgeht – pro Stunde betretenden Besucher die Planzahlen auf dem Veranstaltungsgelände nicht erreicht werden. Aus den Ausführungen von Prof. Dr. T ergeben sich überdies Hinweise darauf, dass die Planzahlen nicht erreicht wurden (dazu (c)).
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Die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse verletzte er des Weiteren, indem er den geplanten Abgang von Zuschauern über die Rampe West mit nicht nachvollziehbarer Begründung nicht berücksichtigte (dazu (d)).
Indem darüber hinaus seine Einschätzungen zur Frage, inwieweit eine gegebenenfalls fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war(en), in sich widersprüchlich und nicht verständlich bleiben, verletzte Prof. Dr. T seine Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse (dazu (e)).
Ferner verletzte er die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, indem seine Ausführungen zu der Anzahl der sich hinter den Polizeiketten stauenden Besucher nicht nachvollziehbar sind (dazu (f)).
Schließlich verletzte Prof. Dr. T die Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung dadurch, dass er sein Gutachten lediglich auf die im „Anhang B – Amtlich übersetzte Dokumente“ angeführten Dokumente stützte, obwohl es weitere Dokumente gibt, die für die ihm aufgegebene Begutachtung relevant sein könnten, die er jedoch nicht berücksichtigte (dazu (g)).
Ein Sachverständiger hat die konkreten Befundtatsachen, die er seiner Begutachtung zugrunde legt, gewissenhaft zu ermitteln und das Ergebnis seiner Ermittlungen unter Angabe des jeweiligen Nachweises offenzulegen (OLG Celle, Urt. vom 29.05.2000 – 4 U 45/00 –, juris; Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50, 51). Denn zu der von einem Gericht (oder von einem anderen Auftraggeber) zur eigenen Überzeugungsbildung zu leistenden (Über-) Prüfung der tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen, der Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Gutachten und der darin gezogenen Schlüsse auf ihre Tragfähigkeit ist die Kenntnis der einzelnen Umstände, die der Sachverständige seinem Gutachten zugrunde gelegt hat, erforderlich (BayObLG, Beschl. vom 14.01.1986 – 1 Z 92/85 –, juris; Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50, 51). Darüber hinaus hat er auch die gefundenen Ergebnisse nachvollziehbar zu begründen (Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50, 52). Dazu müs-
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sen die fachlichen Grundlagen und die einzelnen Denk- und Arbeitsschritte innerhalb der Begutachtung wenigstens so weit erläutert werden, dass ein Fachunkundiger verstehen kann, was aus welchen Gründen zur Auftragserledigung geschehen ist und weshalb der Gutachter sich für die gewählte Lösung entschieden hat (Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50, 53).
Hier war es für den Sachverständigen geboten, zunächst sämtliche, für seine Begutachtung relevanten Umstände zu ermitteln und nachvollziehbar begründet darzulegen, warum er diese Umstände seinem Gutachten zugrunde legt. Aufgrund der Fragestellung „Was waren die Ursachen der Menschenverdichtung am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg (unter Berücksichtigung der Planungen sowie der Durchführung) und welche Möglichkeiten der Verhinderung gab es?“ (Bl. 20832 HA) war es erforderlich, dass sich der Sachverständige innerhalb seines Fachgebietes mit allen in Betracht kommenden Ursachen auseinandersetzt und begründet, welche davon aus welchen Gründen relevant waren bzw. welchen gerade keine Ursächlichkeit zukam. Daran fehlt es hier indes aus den im Folgenden dargestellten Gründen:
(a) Auswahl der Anknüpfungstatsachen
Prof. Dr. T beschränkte die Anknüpfungstatsachen seines Gutachtens auch innerhalb seines Fachgebiets unzulässigerweise von Anfang an. Denn er wies seine Mitarbeiterinnen F und S , denen er die Auswahl der seinem Gutachten zugrunde gelegten Dokumente übertrug, [Fußnote 74] lediglich an, Dokumente zur Frage „War das Gelände sicher?“ herauszusuchen. Dies stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung dar.
Befragt zu den Aufgaben von Frau F und Frau S führt Prof. Dr. T aus:
„Frau F und Frau S haben nur geholfen, Dokumente zu lesen (alle auf Deutsch), sodass wir offizielle Übersetzungen der Schlüsseldokumente erhalten konnten bezogen auf das Folgende: War das Gelände sicher, bei einem Minimum an
[Fußnote 74: Siehe dazu unter C. II. 2. b. cc. (2).]
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Informationen (ein Geländeplan und Arbeitsblatt über vorhergesagte Menschenmassenbewegungen zum und vom Gelände)?“ (Bl. 41334 HA)
„Die einzige Aufgabe, die ich beiden gegeben habe, war die Dokumente zu lesen und die Risikobeurteilungen zu finden (es gab keine Risikobeurteilungen, die sie finden konnten) und irgendwelche Hinweise auf die Analyse der Tunnel, d.h., gab es irgendwelche nummerischen Bewertungen der Tunnel-/Rampen-Kapazität. Das Ziel war, die Bezugsdokumente zu finden, damit ich dann um eine offizielle Übersetzung nachsuchen konnte.“ (Bl. 41336 HA)
Damit beschränkte Prof. Dr. T aber seine Begutachtung von Anfang an – ohne dass er selbst den Inhalt der Ermittlungsakte kannte – auf wenige, von ihm bestimmte mögliche geländebezogene Ursachen, nämlich die „Sicherheit des Geländes“ bzw. die „Tunnel-/Rampen-Kapazität“, und ließ mögliche weitere Anknüpfungstatsachen außer Betracht. Denn er wies seine Mitarbeiterinnen lediglich an, ihm Dokumente zur Frage „War das Gelände sicher?“, zu deren Klärung es nach seiner Ansicht lediglich eines Geländeplans und eines „Arbeitsblatts über vorhergesagte Menschenmassenbewegungen zum und vom Gelände“ bedurfte, sowie zu den Punkten Risikobeurteilungen und Analyse der Tunnel-/Rampen-Kapazität (wobei er die Tunnelkapazität indes nicht prüfte [Fußnote 75]) vorzulegen.
Der ihm von der Staatsanwaltschaft gestellte Gutachtenauftrag lautete indes „Was waren die Ursachen der Menschenverdichtung am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg (unter Berücksichtigung der Planungen sowie der Durchführung) und welche Möglichkeiten der Verhinderung gab es?“ (Bl. 20832 HA). Hiernach war Prof. Dr. T gehalten, innerhalb seines Fachgebiets sämtliche in Betracht kommende Ursachen zu begutachten, und nicht nur solche, die die Sicherheit des Geländes betrafen. Dazu hätte er jedoch auch Ermittlungsergebnisse zu weiteren gegebenenfalls in Betracht kommenden Ursachen, die etwa eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter betreffen könnten, betrachten müssen. Dies wäre ihm indes nur möglich gewesen, hätte er über entsprechende Informationen aus der Ermittlungsakte verfügt. Indem Prof. Dr. T sich jedoch lediglich mit den
[Fußnote 75: Zu Einzelheiten siehe dazu im Folgenden C. II. 2. b. cc. (4) (c).]
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aufgeführten Umständen befasste und sich dazu Dokumente heraussuchen ließ, konnte er zu möglichen anderen bzw. weiteren Ursachen, zu denen er keinerlei Dokumente auswählen ließ, auch keine Untersuchungen vornehmen.
(b) Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell E “
Prof. Dr. T legt die im „Bewegungsmodell E “ (BMO V 64 neu, elektronische Seitenzahl 106) angegebenen Planzahlen zu Zu- und Abstrom von Besuchern in seinem Gutachten (Punkte 2.2, 2.3, 2.4, 2.5, 2.6, 2.14, 2.17.5, 2.21, 3.2.11, 3.2.12, 3.2.16, 3.7.14, 3.7.16 des Gutachtens vom 14.03.2013) als bei der Planung verwendete Zahlen zugrunde.
Weder aus dem Gutachten noch aus seinen nachfolgenden Ausführungen ergibt sich jedoch eine nachvollziehbare Begründung der Annahme, diese Zahlen hätten tatsächlich bei der Planung Verwendung gefunden. Insofern liegt ein Verstoß gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse vor.
(aa) Erläuterungen von Prof. Dr. T
Prof. Dr. T führt in seinen Antworten vom 26.06.2015 (Bl. 44733-44738 HA) aus, die Daten in dem Tabellenblatt „Bewegungsmodell E “ seien für das Sicherheitskonzept zur Beschreibung der Veranstaltungsortkapazität verwendet worden im Hinblick auf Auslastung und Zahl der Personen am Veranstaltungsort. Es gebe Unterschiede zur Tabelle „Besucherprognose LP2010.ppt“ (Sonderbände, Papierakte, Anlagen zu Zwischen- und Abschlussbericht der Stadt Duisburg, Anlagen zum Abschlussbericht der Stadt Duisburg Band 1 Anlagen 1 bis 54.pdf, elektronische Seitenzahl 353 sowie zitiert in der „Stellungnahme von H zum Sachverständigengutachten von Dr. T“, als Anlage einem Schriftsatz des Verteidigers des Angeschuldigten H , Rechtsanwalt S , vom 23.07.2012 beigefügt, dort Bl. 30919 R HA bzw. Bl. 31062 HA in der englischen Übersetzung, die Prof. Dr. T übermittelt wurde) und es gebe Bezüge zu den Daten im Sicherheitskonzept. In Abschnitt „0.02 Gefahrenprognosen“ des Sicherheitskonzepts gebe es einen Hinweis auf die Kapazität des Veranstaltungsorts („Nach der gegenwärtigen Prognose für die zu erwartende Gesamtbesucherzahl und deren zeitliche Verteilung ist auch ohne Eingriffe nicht damit zu rechnen, dass sich gleichzeitig mehr als 250.000 Personen auf dem Gelände
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aufhalten.“) und in Abschnitt 3 – gemeint dürfte hiermit allerdings Abschnitt 3 der Veranstaltungsbeschreibung (3.1 Zu- und Abstromverhalten der Besucher) sein und nicht des Sicherheitskonzepts, wie es aufgrund der Formulierung von Prof. Dr. T nahe läge, – sei angegeben, 90 % der Besucher (Besucher von auswärts) reisten mit dem Zug an und es gebe eine Unterteilung der Besucher bezüglich ihrer Verweildauer auf dem Gelände in „Hard core“ (gesamte Veranstaltung), Party-Besucher (fünf bis sechs Stunden) und 100.000-125.000 Besucher, die das Gelände nach der Abschlusskundgebung verließen, sowie eine genauso große Gruppe, die zur selben Zeit ankomme, zu der jene das Gelände verließen. Eine weitere Gruppe von „Schaulustigen“ werde zwei bis drei Stunden auf dem Gelände bleiben. Prof. Dr. T führt weiter aus, die Daten im „Bewegungsmodell E “ spiegelten diese Aussagen wider. Die Differenz zwischen beiden Tabellen sei eine zeitliche Verschiebung (später am Tag) und die Gesamtauslastung des Geländes sei von 245.000 in der Tabelle „Bewegungsmodell E “ auf 235.000 in der Tabelle „Besucherprognose LP2010.ppt“ reduziert worden.
(bb) Fehlerhaftigkeit der Erläuterungen
Diese Ausführungen sind teilweise schon inhaltlich nicht zutreffend.
So führt Prof. Dr. T aus, Abschnitt 3 (gemeint sein dürfte Abschnitt 3 der Veranstaltungsbeschreibung) besage, 100.000-125.000 Besucher würden das Gelände nach der Abschlusskundgebung verlassen (Bl. 44734-44735 HA, im englischsprachigen Original: “after the final rally“, Bl. 44654 HA). Dabei handelt es sich bereits um eine fehlerhafte Wiedergabe der Veranstaltungsbeschreibung; nach den Ausführung von Prof. Dr. T würde dies – das Ende der Abschlusskundgebung war ausweislich der Veranstaltungsbeschreibung für 24 Uhr geplant (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 28) – den Abstrom der genannten Besucherzahl um 24 Uhr bedeuten, was schon mit der weiter von ihm zitierten Planung einer „genauso große(n) Gruppe, die zur selben Zeit ankomme, zu der jene das Gelände verließe“ nicht zusammenpasst, sollte die Veranstaltung insgesamt doch um 24 Uhr enden (vgl. hierzu die entsprechenden Zeitangaben in der Veranstaltungsbeschreibung, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 28), was die Annahme einer zeitgleichen Ankunft von 100.000-125.000 Besuchern als abwegig erscheinen lässt.
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In anderem Zusammenhang gibt Prof. Dr. T dagegen an, das Weggangsprofil basiere auf der Annahme, dass etwa 100.000-125.000 Personen „am Ende der Parade (dem Beginn der Abschlusskundgebung)“ weggingen (Bl. 44782 HA, im englischsprachigen Original: „The departure profile was based on the assumptions of people leaving at the end of the parade (the start of the final rally).”, Bl. 44700 HA, Hervorhebung durch die Kammer). Insofern ist schon die deckungsgleiche Verwendung der Begriffe „Ende der Parade“ und „Beginn der Abschlusskundgebung“ zu beanstanden und offenbart eine unzureichende Befassung von Prof. Dr. T mit den ihm vorliegenden Dokumenten, denn ausweislich der Veranstaltungsbeschreibung sollte die Abschlusskundgebung um 17 Uhr (ausweislich des „Bewegungsmodells E “ hingegen erst um 18 Uhr) beginnen und die Parade bis circa 23 Uhr dauern, wobei ab circa 20.45 Uhr bis circa 23 Uhr die Floats nach und nach vom Veranstaltungsgelände abgezogen werden sollten (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 28-29).
Dieses falsche Verständnis der zeitlichen Einordnung des Endes der Parade und des Beginns der Abschlusskundgebung zeigt sich ebenfalls in den Ausführungen von Prof. Dr. T in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“, wenn er dort ausführt: „Das für 17 Uhr geplante Ende der Parade…“ (S. 178 des Fachbuchs/Bl. 46549 HA, Bl. 46545 HA). Gleiches gilt für die Ausführungen in seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“, wo er angibt: „Sie wissen, dass Leute das Gelände werden verlassen wollen, wenn die Parade zu Ende geht, was in der nächsten Stunde der Fall ist. Wir haben also ein volles Gelände, vielleicht 200.000 Personen auf diesem Gelände. Wir wissen, dass die meisten von ihnen das Gelände über den Weg diese Rampe herunter verlassen werden. Wir wissen, dass wir an den Toren, weil wir das auf unseren Kameras sehen können, 100.000 Personen haben, 50.000 an beiden Tunneleingängen, die die Zugangspunkte völlig verstopfen, und dass man die Menge in keiner Weise da herausbekommen kann.“ (Bl. 42339 HA). Wenn Prof. Dr. T ausführt, die Parade sei in der nächsten Stunde beendet und 100.000 Personen stünden „an den Toren“, um auf das Gelände zu gelangen, kann damit nur ein Zeitpunkt im Laufe des Nachmittags bzw. frühen Abends gemeint sein, denn nach den von ihm zugrunde gelegten Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell E “ war ein starker Zustrom nur bis 19 Uhr geplant, zwischen 19 und 20 Uhr wurden lediglich 15.000 Besucher, zwischen 20 und 21 Uhr 10.000 Besucher
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und danach keine Besucher mehr erwartet. In der Zeit zwischen 17 und 18 Uhr war hingegen ein Zustrom von 90.000 Besuchern erwartet, was zu den Ausführungen von Prof. Dr. T, 100.000 Menschen warteten „an den Toren“, zu passen scheint.
Abweichend von der o.g. Wiedergabe der Veranstaltungsbeschreibung durch Prof. Dr. T (100.000-125.000 Besucher würden das Gelände nach der Abschlusskundgebung verlassen) lautet der entsprechende Passus darin tatsächlich:
„Wegen der Attraktionsstruktur dürfte es hier eine Gruppe geben, die mehr die Parade interessiert und deshalb nach dem Beginn der Abschlusskundgebung, der als Höhepunkt sicherlich "mitgenommen" wird, wieder nach Hause fährt, und ein Teil, der sich mehr für die Abschlusskundgebung als solche interessiert und deshalb zum Beginn der Abschlusskundgebung anreist und wahrscheinlich während der Gesamtdauer der Abschlusskundgebung auf dem Veranstaltungsgelände sein wird.“ (vgl. BMO V 01, elektronische Seitenzahl 40, Hervorhebung durch die Kammer)
Die erwartete Zahl der nach dem Beginn der Abschlusskundgebung – also um bzw. kurz nach 17 Uhr – das Gelände verlassenden Besucher liegt auch nicht bei 100.000-125.000 wie Prof. Dr. T ausführt (Bl. 44737 HA und Bl. 44782 HA), sondern deutlich niedriger. Denn die abströmenden Besucher werden in dem von ihm zugrunde gelegten „Bewegungsmodell E “ von 17 bis 18 Uhr mit 55.000 angegeben. Die in der Tabelle „Besucherprognose LP2010.ppt“ angenommenen Werte decken sich hiermit. Auch aus der Veranstaltungsbeschreibung ergibt sich nicht – wie hingegen von Prof. Dr. T ausgeführt – die Annahme, etwa 100.000-125.000 Personen gingen „am Ende der Parade (dem Beginn der Abschlusskundgebung)“ weg. Denn darin wird die Gruppe der „Partybesucher“ auf 100.000-125.000 Personen geschätzt und nochmals unterteilt in „eine Gruppe (…), die mehr die Parade interessiert und deshalb nach dem Beginn der Abschlusskundgebung, der als Höhepunkt sicherlich "mitgenommen" wird, wieder nach Hause fährt, und ein Teil, der sich mehr für die Abschlusskundgebung als solche interessiert und deshalb zum Beginn der Abschlusskundgebung anreist und wahrscheinlich während der Gesamtdauer der Abschlusskundgebung auf dem Veranstaltungsgelände sein wird“ (vgl. BMO V 01, elektronische Seitenzahl 40).
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Prof. Dr. T erläutert seine Behauptung, die Zahlen aus der Tabelle „Bewegungsmodell E “ spiegelten die Aussagen aus Abschnitt „0.02 Gefahrenprognosen“ des Sicherheitskonzepts sowie Abschnitt 3 (gemeint dürfte Abschnitt 3 der Veranstaltungsbeschreibung sein) wider (Bl. 44735 HA), nicht näher.
Richtig ist daran, dass – korrespondierend mit Abschnitt 0.02 des Sicherheitskonzepts, wonach nicht mehr als 250.000 Personen gleichzeitig auf dem Gelände erwartet werden – das „Bewegungsmodell E “ als höchsten Wert der Besucher „Gesamt auf Fläche“ 245.000 in der Zeit von 18 bis 19 Uhr vorsieht. Inwiefern sich in der Tabelle – wie von Prof. Dr. T behauptet – die Aussagen aus Abschnitt 3 der Veranstaltungsbeschreibung widerspiegeln, bleibt indes nicht nachvollziehbar.
Überdies bestehen Widersprüche zwischen den Ausführungen von Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 und denen unter Ziffer 2.2.1 des Gutachtens vom 14.03.2013. Dort führt er noch aus:
„Wir sind uns dessen bewusst, dass in der Veranstaltungsbeschreibung (Seite 13/24) vom 16. Juli 2010 die Anzahl der Ankömmlinge vom Bahnhof und die Anzahl der einheimischen Besucher von der Tabelle unten abweicht (Bewegungsmodell E from Fvorauswertung H Ex1021_ll_D066_2_ehd2,PIGSP08_ Produktionsleitung - S S ). Für diese Analyse haben wir die kleineren, in den Beweismittelordnern dargelegten Zahlen verwendet.“ (Bl. 40432 HA, Hervorhebung durch die Kammer).
Insoweit erscheint seine Antwort vom 26.06.2015, wonach gerade für die Verwendung der Zahlen aus dem „Bewegungsmodell E “ spreche, dass sie die Zahlen aus dem Abschnitt 3 (gemeint der Veranstaltungsbeschreibung) widerspiegelten, er also gerade das Gegenteil von den im Gutachten vom 14.03.2013 angegebenen Abweichungen beschreibt, nicht nachvollziehbar. Denn in der Veranstaltungsbeschreibung wird unter 3.1 a) – wie Prof. Dr. T insoweit zutreffend in seinem Gutachten vom 14.03.2013 ausführt – zum Besucherpotential angegeben, es sei mit einem Maximum zwischen 80.000 und 100.000 lokalen Besuchern, 335.000 Besuchern, die den ÖPNV nutzen, sowie circa 50.000 individualanreisenden Besuchern zu rechnen (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 40). Im „Bewegungsmodell E
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“ werden hingegen als Gesamtsumme des „Zustrom VRR“ 310.000 Besucher, als Gesamtsumme des „Zustrom lokal“ 110.000 Besucher und als Gesamtsumme des „Zustrom individuell“ 50.000 Besucher (nur letztere Zahl damit übereinstimmend mit den diesbezüglichen Angaben in der Veranstaltungsbeschreibung) genannt, was wiederum seine noch im Gutachten vom 14.03.2013 vertretene These der Abweichungen bestätigt.
(cc) Begründungsdefizite der Erläuterungen
Überdies enthält die Antwort von Prof. Dr. T vom 26.06.2015 keine nachvollziehbare Begründung, warum er davon ausgeht, dass die Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell E “ tatsächlich im Rahmen der der Baugenehmigungsbehörde vorgelegten Veranstaltungsplanung verwendet wurden. Es mag zwar sein, dass dieses Modell im Rahmen der Planung zu irgendeinem Zeitpunkt – insoweit weist Prof. Dr. T in seiner Antwort darauf hin, ausweislich der Dateieigenschaften sei diese Tabelle am 07.04.2010 erstellt und am 03.05.2010 geändert worden (Bl. 44734 HA) – benutzt wurde. Allein der Umstand, dass die Veranstaltungsbeschreibung und das Sicherheitskonzept sowie eine weitere Tabelle zu Besuchererwartungen mit dem „Bewegungsmodell E “ jedenfalls teilweise übereinstimmen, wobei insoweit allerdings ungeklärt bleibt, was es zu bedeuten hat, dass es auch nach den Ausführungen von Prof. Dr. T teilweise abweichende Planzahlen gibt bzw. welche Schlüsse aus diesen Abweichungen zu ziehen sind, führt jedoch nicht dazu, dass davon ausgegangen werden kann, das „Bewegungsmodell E “ habe bei der der Baugenehmigungsbehörde vorgelegten Planung Verwendung gefunden.
Prof. Dr. T begründet insbesondere nicht, warum er anstelle des „Bewegungsmodells E “ nicht – wie die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift (vgl. die Tabelle auf S. 8 der Anklageschrift, Bl. 36372 HA) – die Personenstromzahlen aus der Entfluchtungsanalyse LoveParade 2010 der T vom 13.07.2010 (BMO V 02, elektronische Seitenzahl 196) – die, indem sie als zum Bescheid gehörend gestempelt, mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehen wurde (vgl. BMO V 02, elektronische Seitenzahl 132) – seinem Gutachten zugrunde gelegt hat.
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Wenn die Staatsanwaltschaft nunmehr in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 (Bl. 45197 HA) ausführt, die Zahlen aus dem „Bewegungsmodell E “ seien den Behörden nicht nur zu informatorischen Zwecken vorgelegt worden, sondern „mittelbar auch zum Gegenstand der Genehmigung geworden“, denn beispielsweise die T habe – beauftragt, die von der Genehmigungsbehörde eingeforderte Entfluchtungsanalyse zu erstellen – diese Zahlen von der M GmbH ebenfalls erhalten und ihrer zum Gegenstand der Genehmigung gemachten Entfluchtungsanalyse mit zugrunde gelegt, verkennt dies bereits, dass die in der Entfluchtungsanalyse genannten Planzahlen teilweise von denen im „Bewegungsmodell E “ abweichen:
So ist der Zustrom von 12 bis 13 Uhr im „Bewegungsmodell E “ mit 55.000 angegeben, in der Tabelle aus der Entfluchtungsanalyse mit 45.000, von 19 bis 20 Uhr wird im „Bewegungsmodell E “ ein Zustrom von 15.000 angenommen, in der Entfluchtungsanalyse von 30.000, von 20 bis 21 Uhr geht das „Bewegungsmodell E “ von einem Zustrom von 10.000 aus, die Entfluchtungsanalyse von 15.000. Von 21 bis 22 Uhr ist im „Bewegungsmodell E “ kein Zustrom mehr angegeben, in der Entfluchtungsanalyse hingegen noch ein solcher von 5.000. Auch beim Abstrom gibt es Unterschiede: Im „Bewegungsmodell E “ wird von 19 bis 20 Uhr ein Abstrom von 80.000 angenommen, in der Entfluchtungsanalyse von 70.000, von 21 bis 22 Uhr geht das „Bewegungsmodell E “ von 25.000 abströmenden Besuchern aus, die Entfluchtungsanalyse von 40.000, von 22 bis 23 Uhr wird im „Bewegungsmodell E “ ein Abstrom von 10.000, in der Entfluchtungsanalyse von 15.000 angenommen. Von 23 bis 24 Uhr gibt es keinen Abstrom im „Bewegungsmodell E “, nach der Entfluchtungsanalyse sollen in dieser Zeit 5.000 Besucher das Gelände verlassen. Im Übrigen weicht die Angabe zum Beginn der Abschlusskundgebung im „Bewegungsmodell E “ (18 Uhr) von derjenigen in der Entfluchtungsanalyse (17 Uhr) ab; letztere stimmt mit der Beschreibung in der Veranstaltungsbeschreibung überein („17:00 Uhr Beginn der Abschlusskundgebung (Bühnenprogramm)“, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 28).
Prof. Dr. T führt auf entsprechende Frage der Kammer aus (Bl. 44737-44738 HA), es scheine, die T habe mit den Zahlen aus der Besucherprognose
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LP2010.ppt (einer im Rahmen einer Powerpoint-Präsentation vorgestellten Besucherprognose; Sonderbände, Anlagen zu Zwischen- und Abschlussbericht der Stadt Duisburg, Anlagen zum Abschlussbericht Stadt Duisburg Band 1 Anlagen 1 bis 54.pdf, elektronische Seitenzahl 353) gearbeitet. Welche Folge diese Vermutung – die im Übrigen aufgrund der Übereinstimmung der Zu- und Abstromzahlen in beiden Tabellen zutreffend sein dürfte – hat, wird indes von Prof. Dr. T nicht weiter ausgeführt.
(c) Annahme des Eintreffens der erwarteten Planzahlen
Prof. Dr. T legt seiner Begutachtung, obwohl er dies nicht nachvollziehbar belegen kann, die Annahme zugrunde, die – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen stimmten mit den tatsächlichen Besucherzahlen überein. Damit setzt er jedoch die von ihm für „manipuliert“ gehaltene Planung und die realen Umstände – nicht nachvollziehbar und damit gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse verstoßend – gleich. Denn es war ihm weder möglich, konkrete Angaben zu den tatsächlichen Besucherzahlen zu machen, noch diese annäherungsweise mittels einer Schätzung zu ermitteln, was gegebenenfalls seine Annahme eines Eintreffens der Planzahlen hätte bestätigen können. Vielmehr konnten selbst unter Annahme der in seinem Gutachten errechneten maximalen Anzahl der das Veranstaltungsgelände bei jederzeitiger Maximalauslastung der Vereinzelungsanlagen pro Stunde betretenden Besucher die Planzahlen auf dem Gelände nicht erreicht werden. Dass ein Versagen der Vereinzelungsanlagen schon planerisch angelegt gewesen wäre, so dass sie ihre limitierende Beschränkung verloren hätten, wird indes von Prof. Dr. T nicht vertreten.[Fußnote 76] Im Gegenteil legt Prof. Dr. T an anderer Stelle seines Gutachtens die limitierende Wirkung der Vereinzelungsanlagen gerade seinen Berechnungen zugrunde, indem er die Länge der Besucherschlangen vor den Vereinzelungsanlagen aus der Zahl der stündlich erwarteten ankommenden Besucher abzüglich der von ihm errechneten Zahl der maximal stündlich das Gelände betretenden Besucher berechnet. Aus den Ausführungen von Prof. Dr. T ergeben sich zudem Hinweise darauf, dass die Planzahlen nicht erreicht wurden.
[Fußnote 76: Siehe oben unter C. II. 2. a. dd. (3) (d).]
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(aa) Belege für ein Eintreffen der erwarteten Planzahlen
Prof. Dr. T geht davon aus, dass die erwarteten Planzahlen hinsichtlich zu- und abströmender Besucher tatsächlich am Veranstaltungstag eintraten; warum er dieser Annahme folgt, kann er hingegen weder nachvollziehbar begründen noch belegen.
In seinem Gutachten vom 14.03.2013 führt Prof. Dr. T zu der Frage „Entsprach die Anzahl der im Vorfeld der Love Parade 2010 vom Organisator prognostizierten Besucher der tatsächlichen Zahl der Besucher, die die Veranstaltung an dem bewussten Tag besuchten?“ aus (Bl. 40749 HA):
„5.7.1 Ja. Es scheint, dass die prognostizierten Spitzenwerte übereinstimmten mit dem Ankunfts-/Weggangsprofil an dem bewussten Tag, so wie es durch die Öffnungszeit der Veranstaltung, der Abschlusskundgebung und dem Ende der Veranstaltung vorgegeben war.
5.7.2 Wir stellen ebenfalls fest, dass es sich bei der VRR-Kapazität und der Ankünfte aus der Umgebung um angemessene Schätzungen des Ankunftsprofils handelt.
5.7.3 Wir haben beobachtet, dass es Polizeikontrollen an den Zugangswegen, einen signifikanten Stau am Eingangssystem und ein schnelles Anwachsen der Menschenmenge/Gedränge an den Abstrompunkten zu den Zeiten und in dem Umfang gab, wie es der Veranstaltungsorganisator erwartet hatte.
5.7.4 Deshalb scheinen die kombinierten Zustrom-/Abstromzeiten und Menschenmengen-/ströme so zu sein wie sie erwartet wurden.“
Eine nachvollziehbare Erläuterung, warum er davon ausgeht, dass die erwarteten Planzahlen – wobei er wohl auch in diesem Zusammenhang die Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell E “ zugrunde legt – sich erfüllt zu haben „scheinen“, gibt er indes nicht ab. Allein die von ihm aufgeführten „Polizeikontrollen an den Zugangswegen“, der „signifikante Stau am Eingangssystem“ und das „schnelle Anwachsen der Menschenmenge/Gedränge an den Abstrompunkten“ können das Eintreffen der erwarteten Planzahlen nicht nachvollziehbar belegen, denn sie lassen in ihrer Allgemeinheit und ohne Bezug zu konkreteren (tatsächlich ermittelten oder auch
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nur ansatzweise geschätzten) Zahlen keinerlei Schluss auf eine auch nur ungefähr bezifferbare Anzahl von Personenmengen zu bestimmten Zeitpunkten zu.
Aber selbst wenn diese Parameter überhaupt irgendeinen Aufschluss zu auch nur ungefähren Zahlen geben könnten, beträfe dies lediglich Bereiche außerhalb des Veranstaltungsgeländes, gäbe jedoch keinen Aufschluss darüber, wie viele Besucher tatsächlich stündlich auf das Gelände gelangt sind. Prof. Dr. T bezieht sich nämlich lediglich auf die „Zugangswege“, einen Stau am (also vor dem) Eingangssystem sowie Gedränge an den „Abstrompunkten“. Die „Abstrompunkte“ befinden sich ausweislich der in seiner Antwort vom 26.06.2015 abgebildeten Screenshots vom Eingang West ebenfalls vor dem Veranstaltungsgelände. Auch die in Punkt 5.7.2 des Gutachtens vom 14.03.2013 angesprochene VRR-Kapazität sowie die „Ankünfte aus der Umgebung“ ermöglichen keine Erkenntnisse dazu, wie viele der anreisenden Besucher das Gelände tatsächlich betreten haben.
Bereits in der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ (Bl. 29870-29893 HA, dort Bl. 29876 HA) führt Prof. Dr. T auf die Frage „Entsprachen die durch den Veranstalter im Vorfeld der Loveparade 2010 prognostizierten Besucherzahlen den tatsächlich am Veranstaltungstag anwesenden Besuchern?“, aus:
„7.1. Es scheint, dass die prognostizierten Spitzen dem Zu-/Abflussprofil am Veranstaltungsort entsprachen.
7. 2. Die kombinierten Zu-/Abflusszeiten scheinen wie erwartet zu sein.“
Auch in dieser Ausarbeitung fehlt es jedoch an Ausführungen, auf welche Beobachtungen sich seine Angaben stützen.
Auf Nachfrage der Kammer begründet er seine Annahme eines Eintreffens der Planzahlen nicht nachvollziehbar. Er führt hierzu in seinen Antworten vom 26.06.2015 lediglich aus, das tatsächliche Ankunfts-/Weggangsprofil sei durch die Systemgeometrie beschränkt gewesen, die Länge der sich bildenden Schlangen habe daher unter Zugrundelegung des geschätzten Ankunfts-/Weggangsprofils festgestellt wer-
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den können (Bl. 44775-44776 HA). Hierzu verweist er auf seine Ausführungen im Gutachten vom 14.03.2013; darin berechnet er die Länge der Schlangen (angegeben in Personenzahlen) dadurch, dass er die Zahl der erwarteten ankommenden Besucher – von ihm für „manipuliert“ gehaltene Planung und reale Umstände insoweit gleichsetzend – abzüglich der von ihm errechneten Zahl der maximal stündlich das Gelände betretenden Besucher (43.788 Besucher/Stunde, Punkt 2.12.1 des Gutachtens vom 14.03.2013[Fußnote 77]) als Wert der vor den Einlasssystemen wartenden Besucher, d.h. der Schlangen, festlegt (vgl. Punkte 2.12.10, 2.12.12 des Gutachtens vom 14.03.2013). Diese Berechnung beruht aber ebenfalls nur auf – überdies nach seiner Auffassung „manipulierten“ – Planzahlen, deren Eintreffen am Veranstaltungstag die Frage der Kammer galt, und nicht auf tatsächlichen Werten.
Prof. Dr. T gibt auch weiter keine konkreten Berechnungen und/oder Beobachtungen an, die seine Ausführungen, die erwarteten Planzahlen hätten sich erfüllt, belegen können.
Zu der Frage, welche von ihm in Punkt 5.7.3 seines Gutachtens vom 14.03.2013 angegebenen Polizeikontrollen die Realisierung der prognostizierten Werte belegten, führt er in seinen Antworten vom 26.06.2015 (Bl. 44776-44778 HA) aus, auf Videoaufzeichnungen und Bildern gebe es Hinweise auf Polizeikontrollen der Personen, die sich auf das Eingangssystem zubewegten. So sei auf einer Videoaufzeichnung, die sich auf einer ihm zur Verfügung gestellten DVD befunden habe (damit dürfte er sich auf die Videodatei VIDEO_TS.IFO; FP1, CD_sDVD_sT…, 6_Videodokumentation, VIDEO-TS beziehen), die Polizeipräsenz an den Wegen zum Eingangssystem ersichtlich; es seien mehrere „Schlangensysteme“ betrieben worden. Konkrete Zahlen, beispielsweise dazu, wie viele Menschen durch Polizeikontrollen in „Schlangensystemen“ aufgestaut wurden, führt er insofern allerdings ebenso wenig an wie auch nur ansatzweise nachvollziehbar wird, auf welche Weise diese Ausführungen überhaupt einen Rückschluss auf das tatsächliche Eintreffen der Planzahlen zulassen könnten.
[Fußnote 77: Vgl. zu seinen nach Abgabe des Gutachtens vom 14.03.2013 erfolgten abweichenden Ausführungen zur maximalen Zahl der stündlich das Gelände betretenden Besucher im Folgenden unter C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) (α).]
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Zu der Frage, von welchem „Stau am Eingangssystem“ er ausgehe und wie viele Personen sich (gegebenenfalls in etwa) an welchen konkreten Einlasspunkten stauten, führt Prof. Dr. T aus (Bl. 44779-44880 HA), er meine den Eingang West. Auf Kameraaufzeichnungen sei eine Menschenschlange zu sehen, wobei dies nur Teilansichten seien, außerhalb der Reichweite der Kamera – unklar bleibt insofern, woher Prof. Dr. T diese Kenntnis haben könnte – seien noch mehr Menschen gewesen. Auch insofern benennt Prof. Dr. T keine konkreten (oder auch nur geschätzten) Zahlen zu der sich stauenden Menschenmenge.
Zu der Frage, was er mit einer „schnellen Ansammlung von Menschen“ (“rapid crowd build up“, in der Neuübersetzung des Gutachtens vom 14.03.2013 als „schnelles Anwachsen der Menschenmenge“ übersetzt) meine, d.h. wie viele Personen (gegebenenfalls in etwa) er damit habe bezeichnen wollen, und was er unter „Druck in der Menge an den Abstrompunkten“ (“pressure on the egress points“, in der Neuübersetzung des Gutachtens vom 14.03.2013 als „Gedränge an den Abstrompunkten“ übersetzt) verstehe sowie welche konkreten Punkte damit bezeichnet seien, führt Prof. Dr. T aus (Bl. 44780-44782 HA), es sei auf der iGuard Kamera 2 erkennbar, dass sich die Dichte der Menschen innerhalb von 9 Minuten – dies sei eine „visuelle Annäherung“ – verdoppelt habe. Dies habe er mit einer „schnellen Ansammlung von Menschen“ gemeint. Zum Beweis seiner These bildet Prof. Dr. T zwei Screenshots von am Eingang West wartenden Personen ab (vgl. Bl. 44781 HA), ohne jedoch anzugeben, welchen Zeitpunkt diese jeweils abbilden. Abgesehen von der zeitlich nicht näher eingegrenzten „visuellen Annäherung“ an eine Verdopplung der wartenden Besucher benennt Prof. Dr. T auch hier keine konkreten (tatsächlich ermittelten oder geschätzten) Zahlen zu der sich stauenden Menschenmenge.
Zu der Frage, wie sich der Umstand, dass das Gelände später als geplant geöffnet wurde (geplante Öffnung 11 Uhr[Fußnote 78], tatsächliche Öffnung 12.01 Uhr), zu der von ihm angenommenen Deckung insbesondere des tatsächlichen Weggangsprofils mit den prognostizierten Werten verhalte, gibt Prof. Dr. T an (Bl. 44782 HA), der verspätete Beginn habe zu längeren Schlangen geführt, die Anzahl der Personen, die am Ein-
[Fußnote 78: Nach der Veranstaltungsbeschreibung war eine Öffnung des Geländes für Besucher um 11 Uhr geplant (vgl. BMO V 01, elektronische Seitenzahl 28). Hiervon abweichend sind die Angaben zur Besucherzahl von 5.000 auf dem Gelände zwischen 10 und 11 Uhr im „Bewegungsmodell Elßner-V 2 0.xls“ sowie in der Entfluchtungsanalyse.]
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gang zum Gelände und am Einlasssystem warteten, sei gestiegen. Das Weggangsprofil basiere auf der Annahme, dass Personen am Ende der Parade, dem Beginn der Abschlusskundgebung, weggehen würden.[Fußnote 79] Es sei erwartet worden, dass etwa 100.000-125.000 Personen das Gelände gleichzeitig verlassen würden.
Abgesehen davon, dass Prof. Dr. T keine konkreten Angaben dazu macht, wie sich der Umstand, dass das Gelände später geöffnet wurde, zu den prognostizierten Zahlen verhält, ist seine Aussage, es sei erwartet worden, dass etwa 100.000-125.000 Personen „am Ende der Parade (dem Beginn der Abschlusskundgebung)“[Fußnote 80] das Gelände gleichzeitig verlassen würden, wiederum nicht zutreffend. Denn nach dem von ihm als Planzahlen zugrunde gelegten „Bewegungsmodell E “ ist der in Bezug genommene Abfluss von Besuchern zwischen 17 und 18 Uhr mit 55.000 angegeben (Beginn der Abschlusskundgebung laut Veranstaltungsbeschreibung: 17 Uhr) bzw. zwischen 18 und 19 Uhr mit 40.000 (Beginn der Abschlusskundgebung laut „Bewegungsmodell E “: 18 Uhr).
Prof. Dr. T erläutert zudem nicht, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang – unter Zugrundelegung der Begründungen zu den unterschiedlichen Motiven der Besucher in der Veranstaltungsbeschreibung (BMO V 50, elektronische Seitenzahl 144) – trotz einer verspäteten Öffnung die (geplante) Verweildauer der Besucher auf dem Veranstaltungsgelände eintrat und es damit zu einer Verschiebung der (prognostizierten) Weggangswerte um eine Stunde (Öffnung des Geländes statt wie ausweislich der Veranstaltungsbeschreibung geplant um 11 Uhr tatsächlich um 12.01 Uhr) oder zu einer kürzeren, weiter an dem Zeitpunkt „Beginn der Abschlusskundgebung“ orientierten Verweildauer kam und damit die Prognosen eintreffen konnten.
Offen bleibt weiter, wie sich die Ausführungen von Prof. Dr. T in Punkt 7.3. der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ (Bl. 29870-29893 HA, dort Bl. 29876 HA),
[Fußnote 79: Vgl. zu dieser nicht mit der Planung übereinstimmenden deckungsgleichen Verwendung der Begriffe „Ende der Parade“ und „Beginn der Abschlusskundgebung“ unter C. II. 2. b. cc. (3) (b) (bb) und die Beschreibung in der Veranstaltungsbeschreibung, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 28-29.
Fußnote 80: Vgl. zum fehlerhaften Verständnis der Gleichsetzung dieser Begriffe durch Prof. Dr. T oben unter C. II. 2. b. cc. (3) (b) (bb).]
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wonach die Personenverdichtung außerhalb der Einlassstellen größer als erwartet gewesen sei, zu seinen Ausführungen in Punkt 5.7 des Gutachtens vom 14.03.2013 verhalten, wonach sich das tatsächliche Ankunftsprofil mit den prognostizierten Werten decke. Hierzu befragt führt Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 ohne nachvollziehbaren Bezug zur Fragestellung aus:
„Es war klar, dass die Menschenmenge größer war als vom Veranstalter vorhergesehen, wie in "Love Parade 2010, Duisburg, Safety conception - constr. Control as of 28/06/2010 (Loveparade 2010, Duisburg, Sicherheitskonzept - BauA (Stand 28.06.2010)" dargelegt, bedeutet die Definition von "freier" Zugang für mich "frei fließender Zugang" und sehr kurze Schlangen.“ (Bl. 44773 HA)
(bb) Zahlenangaben im Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ nur „zur Veranschaulichung des Problems“
Auch die Zahlen, die Prof. Dr. T im Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ nennt, sind keine tatsächlich ermittelten oder geschätzten Besucherzahlen am Veranstaltungstag, sondern sollen nach seinen Antworten vom 26.06.2015 – entgegen der an sich klaren Formulierung – nur „zur Veranschaulichung des Problems“ dienen.
In dem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ gibt Prof. Dr. T an:
„Wir haben also ein volles Gelände, vielleicht 200.000 Personen auf diesem Gelände. Wir wissen, dass wir an den Toren, weil wir das auf unseren Kameras sehen können, 100.000 Personen haben, 50.000 an beiden Tunneleingängen, die die Zugangspunkte völlig verstopfen, und dass man die Menge in keiner Weise da herausbekommen kann.“ (Bl. 42339 HA)
Befragt dazu, auf welchen Zeitpunkt/Zeitraum sich seine Äußerungen jeweils bezögen und wie er die genannten Zahlen ermittelt habe, hat Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 angegeben (Bl. 44774-44775 HA), er habe diese Zahlen „nur zur Veranschaulichung des Problems, eine Menschenmenge vom Eingangssystem weg zu führen, genannt“. Diese Zahlen enthalten daher keine konkreten oder auch
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nur geschätzten Angaben zur Anzahl tatsächlich am Veranstaltungstag vor oder auf dem Gelände bzw. an den Tunneleingängen befindlicher Besucher.
(cc) Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen
Eine Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen war Prof. Dr. T weder konkret noch annäherungsweise mittels einer Schätzung möglich, so dass er einerseits auch nicht auf diese Weise seine Annahme des Eintreffens der erwarteten Planzahlen belegen kann. Andererseits folgt daraus, dass seine Angabe, die Planzahlen „scheinen“ eingetroffen zu sein, nicht auf konkret oder annäherungsweise ermittelten Zahlen beruht, und seine Begründung dafür, weshalb die Planzahlen eingetroffen zu sein „scheinen“ (Polizeikontrollen an den Zugangswegen, signifikanter Stau am Eingangssystem, schnelles Anwachsen der Menschenmenge/Gedränge an den Abstrompunkten, vgl. Punkt 5.7.3 des Gutachtens vom 14.03.2013), auch ihm keine konkrete Zählung oder auch nur Schätzung der am Veranstaltungstag auf dem Veranstaltungsgelände eingetroffenen Besucherzahlen ermöglicht, denn hierauf beruft er sich in Beantwortung der Aufforderung, die tatsächlichen Besucherzahlen am Veranstaltungstag zu zählen bzw. zu schätzen, gerade nicht.
Zur Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen gibt Prof. Dr. T an:
„Mit den zur Verfügung gestellten Bildern war es aufgrund der Bildauflösung nicht möglich, eine genaue Zählung vorzunehmen.“ (Bl. 44792 HA)
Weiter führt Prof. Dr. T aus, die ihm zur Verfügung gestellten Bilder des Videoüberwachungssystems iGuard seien von schlechter Qualität gewesen und hätten auch nur in Form von Standbildern vorgelegen. Teilweise hätten Videoaufnahmen keinen Zeitstempel, sondern nur Segmentzeiten aufgewiesen. Außerdem eröffneten die Bilder des Videoüberwachungssystems nur ein beschränktes Sichtfeld. Aufgrund dessen seien anhand von Videoaufnahmen keine genauen Zahlen feststellbar (Bl. 44755 HA). Andere Zählmethoden (Zählen mit einem Clicker, Videoverarbeitung) seien nur während der Veranstaltung möglich (Bl. 44755 HA); solche seien nicht vorgenommen worden. Er sei daher nicht in der Lage, die tatsächlichen stündlichen Flussraten zu bestimmen (Bl. 44759 HA).
254
Prof. Dr. T war auch – entgegen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015, wonach für eine mangels Möglichkeit einer konkreten Berechnung allein mögliche Schätzung der Besucherzahlen „mit dem Sachverständigen Prof. Dr. T der weltweit führende und besonders erfahrene Spezialist im Bereich des „Crowd Management“ zur Verfügung“ stehe (Bl. 45222 HA) – eine auch nur ansatzweise Schätzung gerade nicht möglich.
Die Kammer hat Prof. Dr. T mit Beschluss vom 17.02.2015 ersucht, verschiedene Zahlenwerte zu ermitteln. Gleichzeitig wurde er gebeten, für den Fall, dass sich eine zahlenmäßig genaue Festlegung nicht erreichen lasse, jeweils eine Größenordnung im Sinne einer annäherungsweisen Ermittlung anzugeben, mithin eine Schätzung vorzunehmen.
So wurde er ersucht, die Anzahl der Veranstaltungsbesucher, die sich gegen 12.01 Uhr jeweils vor den Vereinzelungsanlagen Ost und West versammelt hätten, anzugeben. Hierzu führt Prof. Dr. T aus, er könne die genaue Anzahl der abgefragten Besucher aufgrund des beschränkten Sichtfeldes des Videoüberwachungssystems nicht feststellen (Bl. 44755 HA).
Weiter wurde Prof. Dr. T gefragt, wie hoch am 24.07.2010 im Zeitraum von 12 bis 16 Uhr (mit der Bitte um jeweils stündliche Angaben) der tatsächliche Besucherzustrom (Ankunft an beiden Vereinzelungsanlagen Ost und West) sowie der tatsächliche Besucherabstrom (Verlassen der Veranstaltung über die Ausgänge bei den Vereinzelungsanlagen Ost und West) gewesen sei. Hierzu führt Prof. Dr. T aus (Bl. 44759 HA), es sei aufgrund der Beschaffenheit und Qualität der Videobilder der Eingangssysteme (iGuard-System-Video) und der „Beschränkungen des Systems“ nicht möglich, genaue Zählungen vorzunehmen. Die Kamerabilder von den Eingangssperren am Eingang West begännen um circa 13.34 Uhr, als sich „anscheinend“ bereits lange Schlangen vor den Eingängen Ost und West gebildet hätten. Die Aufzeichnungen der Rampen-Kamera (Kamera 13) begännen um 13.19 Uhr und zeigten, dass nur sehr wenige Personen (5-10 pro Minute) das Gelände verließen. Die Aufzeichnungen seien darüber hinaus nicht durchgehend und es werde von dem interessierenden Bereich auf allen Kamerapositionen weggeschwenkt.
255
Befragt nach dem tatsächlichen stündlichen Personenzufluss über die Rampe Ost in Richtung Szenefläche/Floatstrecke sowie dem tatsächlichen stündlichen Personenabfluss von der Szenefläche/Floatstrecke über die Rampe Ost in Richtung Karl-Lehr-Straße (Tunnel) jeweils zwischen 12 und 15.55 Uhr antwortet Prof. Dr. T, dass es ihm aufgrund der beschränkten Qualität der zur Verfügung stehenden Videos nicht möglich sei, diese Frage zu beantworten (Bl. 44759 HA).
Prof. Dr. T wurde überdies um Angaben dazu gebeten, wie viele Besucher im Zeitraum nach 15.55 Uhr (nach dem vorläufigen, zeitweisen Schließen der Vereinzelungsanlage West) bzw. 15.54 Uhr (nach dem vorläufigen, zeitweisen Schließen der Vereinzelungsanlage Ost) bis 17 Uhr den Bereich der Vereinzelungsanlage West bzw. den Bereich der Vereinzelungsanlage Ost in Richtung Tunnel/Karl-Lehr-Straße passierten. Hierzu führt er anhand von ihm ausgewählter Standbilder (vgl. Bl. 44760-44763 HA) aus, der Kamerawinkel der iGuard-Videoaufzeichnung zeige über lange Zeit das Eingangssystem West nicht. Es sei zwar ersichtlich, dass die Schlange länger werde, aber man könne nur Teile der Menschenmenge am Eingang West sehen. Erst ein Bild um 16.15 Uhr zeige das Eingangssystem, der Kamerawinkel habe sich bewegt. Allerdings beschränke „die Auflösung der zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen, Winkel und Schatten“ die Möglichkeit, eine genaue Zählung vorzunehmen. Weiter führt Prof. Dr. T zum Eingangsbereich der Vereinzelungsanlage Ost aus (Bl. 44764-44771 HA), dieser sei auf den Aufzeichnungen zu sehen und es sei erkennbar, dass die Menschen sich langsam bewegten, der Besucherfluss komme immer wieder zum Stillstand und fließe danach wieder. Eine Vergrößerung (Zoomen) der Bilder zeige jedoch deren „Auflösungsprobleme“. Damit ist Prof. Dr. T eine – von ihm auch nicht durchgeführte – Zählung oder auch nur Schätzung aufgrund der „Verpixelung“ der Bilder nicht möglich.
Soweit er in diesem Zusammenhang in seinen Antworten vom 26.06.2015 ausführt, er habe nur anhand der vor der Veranstaltung verfügbaren Informationen Hinweise auf ein Störungspotential abschätzen können (Bl. 44755 HA), erlaubt dies jedoch – unabhängig davon, dass er die von ihm zugrunde gelegten Planzahlen für „manipuliert“ hält – nicht die Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen, weil bei einer solchen Vorgehensweise die tatsächlichen Verhältnisse keine Berücksichtigung finden.
256
In der Antwort von Prof. Dr. T auf die von der Kammer mit Beschluss vom 17.02.2015 erbetenen näheren Ausführungen dazu, in welcher konkreten Größenordnung die unter den Punkten 2.12.10 sowie 3.2.11 des Gutachtens vom 14.03.2013 sowie in der „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S „Methodenanalyse des Expertenberichts“ erhoben wurden“ vom 28.11.2014 (Bl. 41171 HA) auf der Grundlage der Daten aus dem „Bewegungsmodell E “ durch ihn angenommenen Warteschlangen vor dem Einlasssystem am Veranstaltungstag im Zeitraum von 12 bis 17 Uhr tatsächlich vorhanden gewesen seien, wird zudem eine unzulässige Vermengung von – seiner Einschätzung nach „manipulierten“ und damit nicht tatsächlich den Erwartungen entsprechenden – Planzahlen und realen Umständen deutlich. Prof. Dr. T gibt an, die Aufzeichnungen des Videoüberwachungssystems machten eine Schätzung schwierig. Deshalb sei nur eine Schätzung möglich, wie er sie im Gutachten vom 14.03.2013 dargelegt habe: Anhand einer erwarteten Zustromrate und eines geschätzten Systemdurchsatzes könne die Zahl der Schlangestehenden geschätzt werden (Bl. 44771 HA). Diese Vorgehensweise basiert damit auf den – indes von ihm als „manipuliert“ angesehenen – Planzahlen und gibt keinerlei belastbare Auskunft darüber, ob und wenn ja in welcher Größenordnung und zu welchen Zeitpunkten es am Veranstaltungstag tatsächlich Warteschlangen vor den Einlässen gab.
Wenn aber die tatsächlichen Besucherzahlen am Veranstaltungstag weder konkret noch annäherungsweise mittels einer Schätzung ermittelt werden können, gibt es keine Basis, aufgrund derer Prof. Dr. T davon ausgehen kann (und darf), dass die den Planzahlen zugrundeliegenden Besuchererwartungen eingetroffen sind oder es so „scheint“. Eine bloße Behauptung eines – auch international auf seinem Fachgebiet anerkannten – Gutachters vermag die zu beweisenden Tatsachen nicht wahrscheinlich(er) zu machen. Vielmehr trifft ihn die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, der er nicht nachkommt.
(dd) Limitierung durch die Vereinzelungsanlagen
Vor allem aber konnten die von Prof. Dr. T zugrunde gelegten Besucherplanzahlen – schon nach seinen eigenen Ausführungen und unabhängig von der Bewertung als
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„manipuliert“[Fußnote 81] – am Veranstaltungstag auf dem Veranstaltungsgelände jedenfalls zwischen 12 bzw. 13 und 19 Uhr nicht erreicht werden. Denn selbst unter Annahme der von Prof. Dr. T errechneten maximalen Anzahl der das Veranstaltungsgelände pro Stunde betretenden Besucher bei jederzeitiger Maximalauslastung der Vereinzelungsanlagen am Veranstaltungstag – wobei er in seinen verschiedenen Ausführungen von unterschiedlichen (geplanten) Bemaßungen der „Eingangssysteme“ ausgeht und dadurch zu verschiedenen Werten im Hinblick auf die maximale Anzahl der das Gelände pro Stunde betretenden Besucher kommt, und auch nicht ermittelt hat, wie die tatsächlichen Maßverhältnisse der Vereinzelungsanlagen am Veranstaltungstag waren – konnten sich die erwarteten Planzahlen jedenfalls in diesem Zeitraum nicht erfüllen. Dass ein Versagen der Vereinzelungsanlagen schon planerisch angelegt gewesen wäre, so dass sie ihre limitierende Beschränkung zu irgendeinem Zeitpunkt verloren hätten, wird indes von Prof. Dr. T nicht vertreten.[Fußnote 82] Prof. Dr. T setzt sich zudem nicht damit auseinander, in welchem Verhältnis aufgrund des von ihm selbst als limitiert angesehenen Zustroms auch die Abstromwerte zu verringern wären.
(α) Geplante Kapazität der Vereinzelungsanlagen
Innerhalb seiner verschiedenen Ausführungen geht Prof. Dr. T von unterschiedlichen (geplanten) Bemaßungen der „Eingangssysteme“ aus und kommt dadurch zu verschiedenen Werten im Hinblick auf die maximale Anzahl von Besuchern, die das Veranstaltungsgelände pro Stunde betreten konnten:
So führt er unter Punkten 2.10.3 und 2.10.4 des Gutachtens vom 14.03.2013 noch aus, die geringste (geplante) Breite des Eingangssystems West habe 5,9 Meter betragen. Daraus – 5,9 Meter x 82 Menschen pro Meter pro Minute – ergebe sich eine maximale theoretische Durchflusskapazität von 29.082 Menschen pro Stunde. Weiter führt er unter Punkten 2.11.2, 2.11.3 und 2.11.4 des Gutachtens vom 14.03.2013 aus, die geringste Breite des Eingangssystems Ost habe 3 Meter betragen, was zu einer maximalen theoretischen Durchflusskapazität von 14.760 Besuchern aus östlicher Richtung führe. Die kombinierte Zustromkapazität aus beiden Einlasssystemen habe demnach maximal 43.788 Besucher pro Stunde betragen.
[Fußnote 81: Vgl. dazu oben unter C. II. 2. b. cc. (1) (a) (aa) (α).
Fußnote 82: Siehe oben unter C. II. 2. a. dd. (3) (d).]
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Diese Werte sind auch von der Staatsanwaltschaft der Anklage zugrunde gelegt worden (vgl. S. 465 f. der Anklageschrift, Bl. 36829 f. HA).
In seiner „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S „Methodenanalyse des Expertenberichts“ erhoben wurden“ vom 28.11.2014 (Bl. 41163-41177 HA, dort Bl. 41170 HA) führt Prof. Dr. T hingegen aus, die engste Stelle des Eingangssystems West sei 6,9 Meter breit gewesen, was zu einer Zustromkapazität von 33.948 Besuchern pro Stunde führe. Das Einlasssystem Ost habe an der schmalsten Stelle eine Breite von 2,6 Meter gehabt, was zu einer Zustromkapazität von 12.792 Besuchern pro Stunde führe. Die kombinierte Zustromkapazität (West und Ost) habe insofern bei maximal „~46.740 Personen pro Stunde“ gelegen.
In seinem „Bericht zu H und M EPJ Data Science 2012, 1:7, http://www.f......com, „Menschenmassen Katastrophen als System Versagen: Analyse der Love Parade Katastrophe““ vom 12.12.2014 (Bl. 41527-41536 HA, dort Bl. 41532 HA) führt Prof. Dr. T in einer nunmehr dritten Variante aus, die schmalsten Stellen der Eingangssysteme hätten 5,9 Meter im Westen und 2,6 Meter im Osten betragen. Unter Zugrundelegung dieser Werte ergebe sich ein maximaler Besucherzustrom von 41.874 Besuchern pro Stunde.
Prof. Dr. T gibt in seinen Antworten vom 26.06.2015 an (Bl. 44745 HA), die numerischen Berechnungen seien ohnehin nur eine „A-Priori-Annäherungsmethode“, es handele sich nicht um präzise Berechnungen. Es werde die Flussrate mit der Formel „Mindestbreite x 82 Personen pro Meter pro Minute“ berechnet, dies sei jedoch lediglich eine „Näherungsanalyse (“First-Pass-Approximation“) (oder eine grobe Kapazitätsanalyse)“. Dies lässt allerdings offen, weshalb er sich wechselnder Bemaßungen bedient mit der Folge, dass bei dieser nicht präzisen „Näherungsanalyse“ die Anzahl der pro Stunde maximal das Gelände durch die Eingänge West und Ost betretenden Besucher in seinen verschiedenen Ausführungen um über 10 % differiert und sich – weil er die schmalsten Stellen der Eingangssysteme unterschiedlich bemaßt – zwischen 41.874 und „~46.740“ Personen bewegt. Befragt danach, warum er diese unterschiedlichen Maße zugrunde gelegt habe, führt Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus (Bl. 44745-44751 HA), die unterschiedlichen Maßangaben be-
259
ruhten darauf, dass er verschiedene Daten gehabt habe und es keine Maße für die eingesetzten Zäune gegeben habe. Zunächst – von 2011 bis Dezember 2012 – habe er die Angaben aus der Datei „GPS_Ref25 LP 2011-Layout2:PDF“ verwendet, erst danach habe er die „CAD-Pläne“ bekommen. Darüber hinaus gebe es Unterschiede zwischen den „CAD-Plänen“ und den Bildern vom Veranstaltungsort, das „Sperren-Design“ zeige im „CAD-Plan“ zwei Abschnitte Heras-Sicherheitszäune, während der Veranstaltungsort vier Abschnitte Heras-Sicherheitszäune zu haben „scheine“.
Auf die Frage, woher er entnehme, dass es sich bei den von ihm verwendeten „CAD-Plänen“ um maßstabsgetreue Pläne handele, führt Prof. Dr. T aus, der Maßstab sei derselbe gewesen „wie in den Plänen, die T für deren Veranstaltungsortanalyse zugesandt und die während des Planungsprozesses hinsichtlich der Einhaltung der Evakuierungsbedingungen verwendet wurden“ (Bl. 44749 HA).
Aus den von Prof. Dr. T zitierten Plänen lassen sich indes Maßstäbe – mit der im Folgenden dargestellten Ausnahme – nicht ermitteln.
Einzig der von Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 2.15.1 referenzierte Plan „Ref23_LP 2010.dwg“ (FP1, CDs_DVDs_T…, 4_CAD_Planungsunterlagen, Veranstalter), der als „Entwurf LP_Übersicht“ betitelt ist, enthält eine Maßstabsangabe (Maßstab von 1 zu 1250). Dass dieser lediglich als Entwurf betitelte Plan Planungsgrundlage wurde, ist jedoch weder ermittelt noch ersichtlich.
Aus den Plänen in der Datei „18.07.10_GSP_Ref26_LP2011.dwg“ (FP1, CDs_DVDs_T, 4_CAD_Planungsunterlagen, Veranstalter), von denen Prof. Dr. T in seiner Antwort vom 26.06.2015 einen ausschnittsweise abbildet und aus denen sich ein Abstand zwischen den Standfüßen der Sperren von 4,8 bzw. 5,6 Meter ergeben soll (Bl. 44749-44750 HA), lassen sich diese Maßangaben nicht ableiten; sie sind dort nicht eingemessen. Die – im Übrigen wiederum nur als „Entwurf LP_Übersicht“ betitelten – Pläne weisen überdies keine Maßstabsangabe auf. Die Pläne „Lp A0 Quer“ und „LP_Übersicht“ enthalten die Angabe „Maßstab 1 zu X“, die Pläne „Layout1“ und „Layout2“ enthalten gar keine Angabe zu einem Maßstab, die Pläne „Layout3“ und „Layout4“ enthalten die Angabe „ohne Maßstab“.
260
Die Pläne in der Datei „Toi_Toi_16.07.2010_GSP_Ref25_LP2011.dwg“ (FP1, CDs_DVDs_T, 4_CAD_Planungsunterlagen, Veranstalter), aus denen sich nach Angabe von Prof. Dr. T in seiner E-Mail an Oberstaatsanwalt N vom 09.12.2014 (Bl. 41254 HA) die Ausmaße von 5,9 Meter Eingangs- und 6,9-7 Meter Ausgangsbreite des Eingangssystems West sowie eine kleinste Breite des Eingangssystems Ost von 2,6 Meter ergeben sollen, enthalten keine Maßstabsangabe. Die in der Datei enthaltenen Pläne „Lp A0 Quer“ und „LP_Übersicht“ enthalten die Angabe „Maßstab 1 zu X“, die Pläne „Layout1“ und „Layout2“ enthalten gar keine Angabe zu einem Maßstab, die Pläne „Layout3“ und „Layout4“ enthalten die Angabe „ohne Maßstab“.
Auch der Plan „GSP _Ref25_LP 2011 Layout2 (l).pdf“ (FP1, CDs_DVDs_T, 3_Datensicherung_EA_Aktenführung, Vom Komplex Veranstalter, FVorauswertung H Ex1021_11_DO66_2_ehd2, P1GSP08_Produktionsleitung - S ), aus dem sich nach Angabe von Prof. Dr. T in seiner E-Mail an Oberstaatsanwalt N vom 09.12.2014 (Bl. 41254 HA) die Ausmaße von 5,9 Meter Eingangs- und 6,9 bzw. 7 Meter Ausgangsbreite des Eingangssystems West ergeben sollen, enthält keine Maßstabsangabe.
In der von Prof. Dr. T in seiner E-Mail an Oberstaatsanwalt N vom 09.12.2014 (Bl. 41254 HA) ebenfalls referenzierten Datei „120380DEEN-E_H 3.5_EN.pdf“ (Bl. 31125 HA, vgl. Bl. 31345 HA, Bl. 31400 HA) weist die Planungszeichnung zum Eingangssystem Ost zwar eine Mindestbreite von 3 Meter auf. Ausweislich des zur Planungszeichnung gehörenden Textes wurde die Bemaßung jedoch erst nachträglich ausgeführt, wobei nicht ersichtlich ist, auf welcher Grundlage dies erfolgte.
Weitere in der Planung und im Genehmigungsverfahren verwendete Pläne enthalten auch nur teilweise Maßstabsangaben. Der mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehene, als zum Bescheid gehörend gestempelte Plan „GSP_Ref24_LP2010 Übersicht“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 256) enthält die Angabe „Maßstab 1 zu 1250“. Die im Genehmigungsverfahren vorgelegten – allerdings nicht mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehenen – Pläne „GSP_Ref24_LP2010, Übersicht Eingang
261
West“ und „GSP_Ref24_LP2010, Übersicht Sanitätsflächen“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 198 und 200), die die Eingänge West und Ost darstellen, enthalten die Angabe „ohne Maßstab“.
Prof. Dr. T führt in seiner E-Mail an Oberstaatsanwalt N vom 09.12.2014 (Bl. 41254 HA) darüber hinaus aus:
„Andere Dateien zeigen die Begrenzungen/Absperrungen in unterschiedlichen Aufstellungen mit unterschiedlichen Maßen.“
Die konkret (geplanten) Maße der Vereinzelungsanlagen sind nicht – auch nicht von Prof. Dr. T – ermittelt. Indem er dennoch konkrete Bemaßungen in seinem Gutachten verwendete, verstieß er gegen seine Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung. Daneben verstieß Prof. Dr. T gegen seine Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, weil er konkrete Zahlen dazu benennt, wie viele Besucher das Gelände pro Stunde betreten können, obwohl mangels konkret belastbarer Maße nicht feststellbar ist, wie viele Personen das Veranstaltungsgelände durch die Eingangssysteme West und Ost nach der Planung stündlich überhaupt maximal hätten betreten können. Schließlich beachtete Prof. Dr. T nicht, dass sich nach keiner seiner Berechnungsmethoden die Planzahlen auf dem Veranstaltungsgelände tatsächlich erfüllen konnten.
(β) Tatsächliche Kapazität der Vereinzelungsanlagen
Überdies ist nicht – auch nicht durch Prof. Dr. T – ermittelt, wie die tatsächlichen Maßverhältnisse der Vereinzelungsanlagen am Veranstaltungstag waren. Prof. Dr. T führt insoweit zutreffend in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus (Bl. 44752 HA), die tatsächlichen Maße der aufgestellten Absperrungen für das Eingangs-/Ausgangssystem stünden – soweit ihm bekannt – nicht zur Verfügung. Es sei ihm auch nicht möglich, nachträglich eine Messung vorzunehmen; die Qualität der Aufzeichnungen des Videoüberwachungssystems sei nicht ausreichend gut dafür (Bl. 44752 HA). Auch aus dem Akteninhalt ergeben sich keine diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse.
262
Die Vereinzelungsanlagen waren ausweislich der Aussage des Zeugen R M vom 25.11.2010 (Bl. 13761-13774 HA) jedenfalls nicht wie geplant aufgebaut. Der Zeuge M , der als Bauleiter der Firma D für den Zaunaufbau auf dem gesamten Gelände sowie den Straßen zuständig und mit dem Aufbau der Vereinzelungsanlagen befasst war, hat bekundet (Bl. 13764-13765 HA), der tatsächliche Aufbau der Vereinzelungsanlagen habe nicht mit den Vorgaben aus den – unklar welchen – Plänen übereingestimmt. Die Eingangsschleusen seien nicht wie im Plan vorgesehen verbaut worden, weil der Platz auf der Straße dafür nicht gereicht habe; die Straße sei nicht so breit gewesen wie im Plan eingezeichnet.
Auch die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 (Bl. 45209-45212 HA) davon aus, dass es zu einem von den Planungen abweichenden Aufbau der Vereinzelungsanlagen kam, was – im Einzelnen wiederum nicht ermittelte – Auswirkungen auf die Breite der Durchgänge und die Fließmenge zur Folge gehabt habe.
Ohne Kenntnis der tatsächlichen Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen am Veranstaltungstag ist jedoch nicht feststellbar, wie hoch die tatsächliche maximale Zuflusskapazität am 24.07.2010 war, weshalb Prof. Dr. T auch unter diesem Gesichtspunkt nicht davon ausgehen durfte, dass die Planzahlen (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) auf dem Gelände erreicht wurden.
(γ) Erreichen der Planzahlen bei Maximalauslastung der Vereinzelungsanlagen
Die Zahlen, die Prof. Dr. T zur Maximalauslastung des Eingangssystems bei von ihm angenommener jederzeitiger Maximalauslastung der Vereinzelungsanlagen zugrunde legt, konnten schon nach seinen eigenen Ausführungen den Wert der Planzahlen zum Zustrom nach dem „Bewegungsmodell E “ zwischen 12 und 19 Uhr bzw. nach den Personenstromzahlen aus der Entfluchtungsanalyse LoveParade 2010 der T vom 13.07.2010 zwischen 13 und 19 Uhr (Zustrom jeweils von 55.000 bis zu 90.000 Personen pro Stunde) nicht erreichen. Denn nach seinen divergierenden „Näherungsanalysen“ konnten selbst bei jederzeitiger Maximalauslastung der Eingangssysteme maximal zwischen 41.874 und 46.740 Besucher pro Stunde durch die Vereinzelungsanlagen Ost und West auf das Gelände gelangen. Damit konnte sich nach den Ausführungen von Prof. Dr. T der ge-
263
plante Zustrom von weit mehr als 46.740 Besuchern pro Stunde in der Zeit zwischen 12 bzw. 13 und 19 Uhr (nämlich von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern pro Stunde) nicht erfüllen. Dass die Vereinzelungsanlagen schon planerisch hätten versagen müssen, so dass sie ihre limitierende Beschränkung verloren hätten, wird von Prof. Dr. T nicht angenommen.[Fußnote 83] Prof. Dr. T setzt sich zudem nicht damit auseinander, in welchem Verhältnis aufgrund des von ihm als limitiert angesehenen Zustroms auch die Abstromwerte zu verringern wären.
(ee) Hinweise auf das Nichterreichen der Planzahlen
Aus den Ausführungen von Prof. Dr. T ergeben sich vielmehr Hinweise darauf, dass die Planzahlen nicht erreicht wurden.
Denn Prof. Dr. T verneint die Frage der Kammer aus dem Beschluss vom 17.02.2015, ob sich die prognostizierten Planzahlen von 17 bis 19 Uhr (Spitzenzustrom) tatsächlich auf dem Gelände bzw. im Bereich von Tunnel und Rampe realisiert haben können, wenn die Vereinzelungsanlagen am Veranstaltungstag bereits ab 16.57 Uhr (Vereinzelungsanlage West) bzw. 17.13 Uhr (Vereinzelungsanlage Ost) geschlossen waren (Bl. 44774 HA).
Seine weiteren Ausführungen hierzu („Die Näherungsanalyse, die nur aufgrund von im Vorfeld verfügbaren Informationen beruht, zeigt, dass die erwarteten Ankunfts-/ Weggangsraten die Kapazität des System überstiegen.“, Bl. 44774 HA) sind nicht nachvollziehbar. Prof. Dr. T legt sich aber jedenfalls fest, dass sich die prognostizierten Planzahlen im Zeitraum von 17 bis 19 Uhr gerade nicht realisiert haben.
Befragt dazu, wie er bewerte, dass der Zeuge Dr. D O in seiner „Analyse der Besucherzahlen und der Ereignisse auf der Rampe zum Veranstaltungsgelände während der Loveparade 2010 in Duisburg“ (Bl. 883-891 HA) zu dem Ergebnis komme, der tatsächliche Besucherzustrom habe in der Zeit von 14.00 bis 17.15 Uhr lediglich ca. 33.000 Personen/Stunde betragen, führt Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus, er stimme zu, dass das System nicht in der Lage gewesen sei, den ankommenden/weggehenden Besucherstrom zu bewältigen
[Fußnote 83: Siehe oben unter C. II. 2. a. dd. (3) (d).]
264
(Bl. 44752 HA). Die von Dr. O ermittelten Besucherzahlen hat er indes nicht in Frage gestellt.
Weiter befragt, wie er die von Prof. Dr. H und P M in der Veröffentlichung „Massenunglücke als systemisches Versagen: Analyse des Love Parade Unglücks“ (Sonderband Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H – Loveparade 2010, Bl. 55-112) referenzierte Zählung[Fußnote 84] bewerte, wonach der tatsächliche Besucherzu- und -abfluss erheblich unter den Planzahlen lag, führt Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus, die Flussrate von 82 Personen pro Meter pro Minute sei nur ein „Maximalwert unter Idealbedingungen“ und die eingehaltene Rate – wie von Prof. Dr. H angegeben – könne deutlich darunter liegen (Bl. 44753 HA).
(d) Abgang über die Rampe West
Prof. Dr. T berücksichtigt in den Durchflussberechnungen zur Rampe Ost mit nicht nachvollziehbarer Begründung den geplanten Abgang von Besuchern über die Ram-
[Fußnote 84:
Zugang
Zeit |
Minuten |
Gezählt/Min. |
Festgelegt |
Besucher |
Besucher/h |
Mopavent/h |
Real vs. Lopav |
13:27-13:40 |
13 |
300-350 |
350 |
4550 |
21000 |
60000 |
35,00% |
13:40-14:00 |
20 |
280-480 |
450 |
9000 |
27000 |
60000 |
45,00% |
14:00-14:20 |
20 |
350-550 |
500 |
10000 |
30000 |
55000 |
54,55% |
14:20-14:40 |
20 |
420-450 |
440 |
8800 |
26400 |
55000 |
48,00% |
14:40-15:00 |
20 |
350-600 |
500 |
10000 |
30000 |
55000 |
54,55% |
15:00-15:20 |
20 |
600-750 |
700 |
14000 |
42000 |
55000 |
76,36% |
15:20-15:40 |
20 |
450-680 |
660 |
13200 |
39600 |
55000 |
72,00% |
Ø |
55,06% |
Abgang
Zeit |
Minuten |
Gezählt/Min. |
Festgelegt |
Besucher |
Besucher/h |
Mopavent/h |
Real vs. Lopav |
13:27-13:40 |
13 |
3-7 |
5 |
65 |
300 |
0 |
#DIV/0! |
13:40-14:00 |
20 |
3-20 |
15 |
300 |
900 |
0 |
#DIV/0! |
14:00-14:20 |
20 |
6-16 |
10 |
200 |
600 |
10000 |
6,00% |
14:20-14:40 |
20 |
17-30 |
25 |
500 |
1500 |
10000 |
15,00% |
14:40-15:00 |
20 |
35-80 |
60 |
1200 |
3600 |
10000 |
36,00% |
15:00-15:20 |
20 |
40-80 |
60 |
1200 |
3600 |
50000 |
7,20% |
15:20-15:40 |
20 |
60-250 |
150 |
3000 |
9000 |
50000 |
18,00% |
Ø |
16,44% |
]
265
pe West nicht.[Fußnote 85] Damit liegt eine Verletzung der Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse vor.
In seinem Gutachten vom 14.03.2013 führt Prof. Dr. T zur Rampe West aus:
„2.20.3 Dies ist ein sehr komplexes System mit kombinierten Strömen von Zehntausenden von Menschen pro Stunde und einem Strom in beide Richtungen in den Tunnel West (wenn wir von der ursprünglichen Annahme des Veranstaltungsorganisators ausgehen, dass beide Rampen für den Zustrom und Abstrom verwendet werden).“ (Bl. 40721 HA, Hervorhebung durch die Kammer)
„3.6.1 Die zweite Rampe (unten mit roten Pfeilen abgebildet) wurde für den Abstrom geplant. Wir beziehen uns noch einmal auf den Geländeplan, um zu verstehen, weIche Auswirkungen die zweite Rampe auf den Gesamtbedarf auf der Hauptrampe gehabt haben könnte.“ (Bl. 40737 HA, Hervorhebungen durch die Kammer)
Unklar bleibt, wie sich diese Ausführungen zueinander verhalten, d.h. ob Prof. Dr. T bei seinen Ausführungen unter Punkt 3.6.1 (zutreffend) davon ausgeht, die „zweite Rampe“, d.h. die Rampe West, sei lediglich für den Abstrom vorgesehen. Jedenfalls unter Punkt 2.20.3 führt er – insoweit fehlerhaft – aus, die Rampe West sei nach der Planung sowohl für den Zustrom als auch für den Abstrom vorgesehen gewesen. In der „Veranstaltungsbeschreibung Loveparade 2010 – Duisburg“ heißt es jedoch vielmehr:
„Der reguläre Zu- und Abfluss der Besucher wird zentral über den Tunnel "Karl-Lehr-Str.“ gesteuert. Hierzu stehen zwei Aufgänge zum Veranstaltungsgelände zur Verfügung. Der breitere, mittige Zugang (Zufahrt Fa. S ) wird sowohl als Ein- wie auch als Ausgang genutzt, während der kleinere, westlich gelegene Zugang (ehem. Straße „Am Güterbahnhof") ausschließlich als Ausgang fungieren soll.“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 29, Hervorhebung durch die Kammer)
[Fußnote 85: Vgl. hierzu auch unter C. II. 2. a. dd. (3) (e).]
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„Der zentrale Ein- und Ausgang zur bzw. von dem Veranstaltungsgelände erfolgt vom Karl-Lehr-Tunnel im südlichen Teil des Geländes über die mittlere (breite) Rampe. (Jetzige Zufahrt zur Baufirma S ) Als regulärer Ausgang soll zusätzlich die westliche (schmalere) Rampe genutzt werden. (ehem. Straße „Am Güterbahnhof“)“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 35, Hervorhebung durch die Kammer)
Prof. Dr. T führt bei seinen Berechnungen zur Durchflusskapazität zudem nicht aus, welcher Anteil des von ihm zugrunde gelegten geplanten stündlichen Abstroms auf welche Rampe entfällt. Vielmehr geht er in seinen Ausführungen davon aus, dass der Zu- und Abstrom sich nach den Planungen ausschließlich eine „gemeinsame Fläche“ (womit er offensichtlich die Rampe Ost meint) teilt. So stellt er fest:
„2.21.1 Die transparente, rote Linie in der Grafik unten wurde bei 100.000 Menschen pro Stunde gezogen, um die gegenläufige Strömung in einer gemeinsamen Fläche darzustellen. Dies ist ein Näherungswert, der auf der Erfordernis basiert, hinreichend Platz für den Zustrom/Abstrom auf einer gemeinsamen Fläche bereitzustellen und davon ausgeht, dass es "Pufferung" geben wird. Der Abschnitt in der Grafik unten, wo die blaue Linie oberhalb der transparenten, roten Linie liegt, zeigt die Anzahl der Menschen an, die einer "Pufferung" bedürfen.“ (Bl. 40723 HA)
Sodann folgt eine Zeichnung mit der vertikalen Achsenbeschriftung „Zustrom/Abstrom, Rampenbedarf (Anzahl der Menschen)“ und der horizontalen Beschriftung „Zeit“, auf der drei Graphen abgebildet sind: „Ramp Demand = Rampenbedarf“, „Entering Ramp = Besucher, die die Rampe betreten“ und „Leaving Ramp = Besucher, die die Rampe verlassen“ (vgl. Bl. 40722 HA sowie die besser erkennbare Grafik im englischen Original, Bl. 32427 HA). Auch hier findet keine Unterteilung in Rampe West und Rampe Ost statt.
Weiter führt Prof. Dr. T aus:
„2.21.5 Um sicherzustellen, dass es ausreichend Platz gibt, um die Bewegung der Menschen in einem System mit gemeinsamer Fläche auf Basis der Daten
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des Organisators der Veranstaltung zu erleichtern, sollte kein Teil des gemeinsamen Flächensystems eine geringere Breite als 20,3 m aufweisen.“ (Bl. 40723 HA)
„5.12.4 Eine kompetente Person hätte eine einfache Kapazitäts-/Strömungsanalyse durch Aufaddieren der Durchflussmengen von Zustrom und Abstrom der Besucher durchführen müssen, weil bei dem System der Menschenstrom in zwei Richtungen (auf der Rampe) fließen sollte.“ (Bl. 40753 HA)
„5.29.1 Die erwarteten Menschenmengen überschritten die Mindestbreite (Abstrom und Zustrom) des Tunnel-/Rampensystems. Das Gelände hätte nicht genehmigt werden dürfen, da es eine grundsätzliche, numerische Analyse nicht besteht. Es ist einfach nicht breit genug für die erwarteten Menschenmengenbewegungen.“ (Bl. 40763 HA)
Hätte Prof. Dr. T hingegen berücksichtigt, dass der Abstrom plangemäß zusätzlich neben der Rampe Ost auch über die – nur hierfür vorgesehene – Rampe West erfolgen sollte, müssten sich daraus Auswirkungen auf die errechnete Durchflussmenge auf der Rampe Ost ergeben.[Fußnote 86]
Dies spricht Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 14.03.2013 hingegen nicht an. Er führt lediglich aus:
„3.6.3 Es ist jedoch eine natürliche Verhaltensweise der Menschen, ein Gelände wieder über den vertrauten Gehweg zu verlassen - nämlich die Hauptrampe hinunter, d.h. denselben Weg zu nehmen, den sie gekommen waren.“ (Bl. 40737 HA)
Dabei bleibt jedoch unklar, ob er davon ausgeht, dass dies für sämtliche Besucher gilt, d.h. dass tatsächlich damit zu planen war, dass die Besucher das Gelände ausschließlich wieder über die Hauptrampe (Rampe Ost) verließen. Insbesondere für Besucher, die sich – kurz bevor sie die Veranstaltung verlassen wollen – in der Nähe
[Fußnote 86: Siehe oben C. II. 2. a. dd. (3) (e).]
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der Rampe West aufhalten, erscheint dies fragwürdig, läge es für diese Besucher doch nahe, die Rampe West zum Abgang zu nutzen anstelle der weiter entfernt gelegenen Rampe Ost. Dagegen, dass Prof. Dr. T diese Erwägungen für alle Besucher gelten lassen will, sprechen jedenfalls seine weiteren Ausführungen, in denen er davon ausgeht, es sei möglich, Besucher zu einem anderen Ausgang zu lenken, es könne beispielsweise über „Pusher“ Einfluss auf das Abstromverhalten der Besucher genommen werden. In diesem Zusammenhang führt er aus:
„5.27.1 A) Ja, es war möglich die Besucher zu einem anderen Ausgang zu lenken. Dies geschah später nach dem Zwischenfall, um dem Rettungsdienst Zugang zu dem Ort des Zwischenfalls zu ermöglichen.“ (Bl. 40762 HA)
„3.6.4 Im Veranstaltungsplan wurden zwei Faktoren dargelegt; der Einsatz von „Pushern“, um die Menschenmenge um das Paradegelände herum zu verteilen, und die Paradestrecke (unmittelbare Nähe zur oberen Seite der Rampe). Dies wird Einfluss auf die Menschenmenge haben wie sie den Abstrompunkt wahrnimmt.“ (Bl. 40737 HA)
Allerdings thematisiert Prof. Dr. T in seiner „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ (Bl. 41163-41177 HA) einen Abstrom über die Rampe West und führt dazu aus:
„Wenn wir eine Näherungsanalyse auf die zweite Rampe anwenden (12m breit), mit 82 Personen pro Meter pro Minute, dann erhalten wir ~ 59.000 Menschen pro Stunde. Die Forderung für den Abfluss waren 80.000 pro Stunde zwischen 19.00 und 20:00 Uhr. Das übersteigt die Kapazität der zweiten Rampe um das Verlassen des Geländes der zu erwartenden 80.000 Menschen zu vereinfachen; es würde entweder gegenläufigen Strom auf der Hauptrampe bedeuten, oder Verdichtung/Überfüllung am Kopf der zweiten Rampe.“ (Bl. 41167 HA)
Prof. Dr. T berechnet insoweit lediglich, ob (nach dem von ihm zugrunde gelegten „Bewegungsmodell E “) für den gesamten geplanten Besucherabfluss zwischen 19 und 20 Uhr – damit für einen Zeitraum nach den tragischen Ereignissen
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und insofern für die Realisierung einer Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg nicht mehr relevant – die Kapazität der Rampe West gereicht hätte, was er verneint. Dabei berücksichtigt er hier wiederum nicht, dass nach der Veranstaltungsbeschreibung geplant war, dass Besucher über beide Rampen das Gelände verlassen sollten.
Auch in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ erfolgt eine Darstellung des Ein- und Ausgangssystems bei der Loveparade ohne Erwähnung der Rampe West. Prof. Dr. T führt insofern aus (Seite 175 des Fachbuchs/Bl. 46547 HA, Bl. 46542 HA):
„Das Veranstaltungsgelände hatte ein kombiniertes Eingangs-/Ausgangssystem, das einem auf dem Kopf stehenden „T“ ähnelte und, wie unten dargestellt, aus zwei Tunneln (Ost und West) und einer auf das Gelände führenden Hauptrampe bestand.“
Der verwendete Begriff „Hauptrampe“ könnte zwar darauf hindeuten, dass es neben dieser noch eine zweite Rampe gab; eine solche erscheint jedoch weder auf den von Prof. Dr. T eingefügten Abbildungen noch wird sie im Weiteren von ihm beschrieben. Vielmehr korrespondieren die diesbezüglichen Ausführungen in seinem Fachbuch mit denen in seinem Gutachten, in dem er bei der Berechnung des Durchflusses ebenfalls nur von einer Rampe ausgeht. So führt Prof. Dr. T auch in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ aus:
„Der grundlegende Fehler liegt in der Systemauslegung, speziell dem Rampenhindernis. Die Rampe war an ihrer engsten Stelle 10,59 m breit. Das ließe im besten Fall 82 Personen pro Meter und per Minute x 10,59 m = 868,38 (869) pro Minute = 52.102,8 (52.103) Personen pro Stunde zu. Dieses System hätte abgelehnt werden müssen; handelt es sich um einen gemeinsam genutzten Strom in zwei Richtungen sowohl für Zugang als auch Abgang? Es wurde für die Spitzenzeit ein Strom von 145.000 Personen pro Stunde erwartet. Dies ist dreimal höher als die Systemgrenze.“ (S. 178 des Fachbuchs/Bl. 46549 HA, Bl. 46545 HA)
Diese Ausführungen übersehen – ebenso wie diejenigen im Gutachten –, dass nach der Planung unter Berücksichtigung der zusätzlich für den Abstrom vorgesehenen
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Rampe West nicht der gesamte erwartete Zu- und Abstrom über die Rampe Ost fließen würde.
Es hätte insoweit einer näheren Betrachtung bedurft, wie viele Besucher das Gelände über welche der beiden Rampen verlassen würden. Wenn auch Besucher (nach den Planungen) das Gelände über die Rampe West verlassen hätten, hätte dies zu einer geringeren Anzahl der das Gelände über die Rampe Ost verlassenden Besucher und damit zu einer geringeren Gegenläufigkeit der Ströme auf der Rampe Ost geführt und insofern auch Auswirkungen auf die Durchflusskapazität und damit auf die Sorgfaltswidrigkeit der Planung gehabt. Zu diesen Fragen verhalten sich aber das Gutachten des Prof. Dr. T vom 14.03.2013 und auch seine späteren Ausführungen nicht.
(e) Fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder Eingreifen Dritter
Ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war/waren, wird im Gutachten von Prof. Dr. T – auch trotz der ihm von der Kammer mit Beschluss vom 17.02.2015 gestellten Fragen zu diesem Themenkomplex – teilweise widersprüchlich, teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet. Hierin liegt ein Verstoß gegen die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse.
Aufgrund der ihm von der Staatsanwaltschaft mit seiner Beauftragung gestellten Frage „Was waren die Ursachen der Menschenverdichtung am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg (unter Berücksichtigung der Planungen sowie der Durchführung) und welche Möglichkeiten der Verhinderung gab es?“ (Bl. 20832 HA) war Prof. Dr. T gehalten, innerhalb seines Fachgebiets sämtliche (in Betracht zu ziehenden) Ursachen der „Menschenverdichtung“ zu prüfen. Auf diese Klärung kommt es auch an, denn wenn eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter für die „Menschenverdichtung“ ursächlich gewesen wäre(n), wäre ein hinreichender Tatverdacht in Bezug auf die Kausalität bzw. Realisierung der den Angeschuldigten vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg in dem Fall ausgeschlossen, dass durch das Handeln Dritter ein gänzlich anderer, den
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Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt worden wäre (vgl. zu den Anforderungen BGH, NJW 1994, 205; OLG Celle, NJW 2001, 2816).
Nachdem Prof. Dr. T ein erstes Gutachten mit Datum 09.12.2011 vorgelegt hatte, stellte ihm die Staatsanwaltschaft Duisburg mit Schreiben vom 21.02.2012 (Bl. 28660 ff. HA) „in Ergänzung des Gutachtenauftrages vom 2. April 2011“ diverse Nachfragen (dort angegeben als „Status: 13. Februar 2012“) zu seinem Gutachten. Unter anderem galt ein Themenblock dieser Fragen unter der Überschrift „Zur Ursächlichkeit des Verhaltens Einzelner“ den Fragen, ob die „Menschenverdichtung“ etwa durch die Errichtung der Polizeiketten (mit-)verursacht wurde, ob das Überklettern anderer Personen im Rampenbereich ursächlich für die „Bildung des sog. Menschenberges, d.h. des Übereinanderliegens mehrerer Personen im Bereich der kleinen Treppe“ war, welche Bedeutung die Durchfahrt des Ambulanzfahrzeugs zwischen 16.23 Uhr und 16.32 Uhr am Eingang West hatte und ob die Abdeckung des Gullys mit einem Heras-Zaunelement eine Auswirkung auf die Ereignisse hatte (Bl. 28667-28668 HA).
Mit Beschluss vom 17.02.2015 stellte schließlich die Kammer Prof. Dr. T verschiedene ergänzende Fragen zu seinem Gutachten, unter anderem ebenfalls (nochmals) zu den Auswirkungen der Polizeiketten, des Beiseiteziehens der Heraszaunelemente zwischen 16.32 und 16.36 Uhr im Bereich der Vereinzelungsanlage West, der Einfahrt eines Polizeifahrzeugs um 16.48 Uhr aus dem Tunnel West in den Rampenbereich und der Abdeckung des Gullydeckels im Bereich des Rampenfußes mit einem Bauzaun sowie zu den potentiellen Auswirkungen einer Schließung der Vereinzelungsanlagen ab 15.50 Uhr und einer Blockierung des oberen Rampenbereichs mit Polizeifahrzeugen (vgl. Bl. 42438-42439 HA).
Trotz dieser mehrfachen Nachfragen bleibt Prof. Dr. T konkrete und nachvollziehbare Ausführungen zu diesen Fragestellungen im Hinblick auf die Kausalität der fehlerhaften Ausführung der Planung bzw. des Eingreifens Dritter (nicht der Angeschuldigten) schuldig. Es ist daher anhand seiner Ausführungen nicht möglich, andere Umstände, insbesondere Ausführungsfehler und/oder ein Eingreifen Dritter, als für die „Menschenverdichtung“ (allein-)ursächlich auszuschließen.
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Eine solche Bewertung seiner Ausführungen stellt keine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Im Rahmen der anzustellenden Beweisbarkeitsprognose gilt es zu prüfen, ob der Nachweis des Tatverdachts mit den prozessual zulässigen Mitteln gelingen werde (Schneider, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 203 Rn. 7). Hier lässt eine zusätzliche Befragung von Prof. Dr. T jedoch keinen weiteren Aufschluss erwarten. Denn Prof. Dr. T war mit diesen Themenkomplexen bereits wiederholt seit seiner Beauftragung im April 2011 – bei der Erstellung seines Gutachtens und nunmehr aufgrund der Fragen der Kammer aus dem Beschluss vom 17.02.2015 – befasst, ohne dass es ihm in seinen diversen Ausführungen gelingt, diese Fragen widerspruchsfrei bzw. nachvollziehbar zu beantworten.
(aa) Unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen
Ob eine fehlerhafte Ausführung der Planung durch eine unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen und damit ein Unterbrechen des Zustroms von Besuchern auf das Gelände für die „Menschenverdichtung“ (allein-)ursächlich gewesen sein könnte, ist nach den Ausführungen von Prof. Dr. T nicht nachvollziehbar.
Prof. Dr. T beantwortet die Frage, ob die in der „Veranstaltungsbeschreibung Loveparade 2010 – Duisburg“ der M Berlin vom 16.07.2010 (BMO V 1, elektronische Seitenzahl 28-51) unter 3.2, 3.3 und 4. sowie die im Dokument „Loveparade 2010, Duisburg, Sicherheitskonzept – BauA (Stand 28.06.2010)“ der M Berlin (BMO V 1, elektronische Seitenzahl 201-208) unter 1.02, 1.03, 1.04 und 1.07 geplanten Maßnahmen zur Steuerung von Personenströmen – die unter anderem auch eine Schließung der Eingangssysteme sowie den Einsatz von Ordnerkräften zur Entzerrung von Publikumsstauungen vorsehen – bei korrekter Anwendung die „Menschenverdichtung“ hätten verhindern können, mit „nein“ (Bl. 44782 HA).
Im Gegensatz hierzu führt er auf die Frage, ob die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe in diesem Ausmaß und zu diesem Zeitpunkt ebenfalls entstanden wäre, wenn die Vereinzelungsanlagen West und Ost ab 15.50 Uhr dauerhaft geschlossen gewesen wären, aus, „eine permanente Schließung der beiden Einlasssysteme West und Ost, zusammen mit einer Umleitung der Menschenmenge weg vom Tunnelsystem, hätte verhindern können, dass die Menschenverdichtung am
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Fuße der Stellwerkstreppe und im Bereich der Kreuzung der Rampe/Tunnel über die sicheren Grenzwerte ansteigt“ (Bl. 44787 HA). Damit übereinstimmend führt er ebenfalls in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus, das Halten der Polizeiabsperrung „im Bereich Tunnel/Rampe hätte die Menschenmengen in dem Bereich am unteren Ende der Rampe nicht daran gehindert, zusammenzufließen (Eingänge und Ausgänge Ost und West über die Rampe nach unten), wenn das Eingangssystem nicht permanent geschlossen und eine Umleitung am oberen Ende der Rampe umgesetzt worden wäre“; seines Erachtens hätten beide Maßnahmen ergriffen werden müssen, um eine Überfüllung am unteren Ende der Schnittstelle Rampe/Tunnel zu vermeiden (Bl. 44792-44793 HA).
Eine Schließung der Eingangssysteme West und Ost und die Mobilisierung von Ordnerkräften zur Entzerrung von Publikumsstauungen waren jedoch gerade Teil der Planung des Besucherflusses und als solche in der „Veranstaltungsbeschreibung Loveparade 2010 – Duisburg“ vom 16.07.2010 vorgesehen.
Dort wird unter 3.2 zur Eingangssituation Karl-Lehr-Tunnel angeführt:
„Ziel ist es, sowohl den reibungslosen Besucherfluss im Eingangsbereich zu gewährleisten, als auch auf Ereignisse auf dem Veranstaltungsgelände flexibel reagieren zu können. Das setzt die Möglichkeit voraus, den Zustrom in den Tunnel zu regulieren und die Zugänge ggf. komplett zu sperren.“ (BMO V 1, elektronische Seitenzahl 42)
Weiter sieht die Veranstaltungsbeschreibung unter 4.1 zur allgemeinen Sicherheitsplanung vor:
„Durch die ständige Überwachung des Veranstaltungsgeländes ist es der Veranstaltungsleitung im Lagezentrum jeder Zeit möglich die Gesamtauslastung des Geländes zu bewerten und je nach Bedarf entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Beispielsweise die Mobilisierung von Ordnerkräften zur Entzerrung von Publikumsstauungen, oder die temporäre Schließung der Einlass-Schleusen auf der Karl-Lehr-Str.“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 44)
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Wenn jedoch die Veranstaltungsbeschreibung die – von Prof. Dr. T als zusammen mit einer Umleitung der Besucher am oberen Ende der Rampe zur Verhinderung der „Menschenverdichtung“ ausdrücklich angeführte – Möglichkeit einer (temporären oder kompletten) Schließung der Einlassschleusen und damit einen Stopp des Besucherzuflusses sowie die Mobilisierung von Ordnerkräften zur Entzerrung von Publikumsstauungen gerade als Steuerungsmaßnahmen vorsieht, ist nicht nachvollziehbar, warum Prof. Dr. T die Frage, ob die in der „Veranstaltungsbeschreibung Loveparade 2010 – Duisburg“ vom 16.07.2010 unter 3.2 und 4. geplanten Maßnahmen zur Steuerung von Personenströmen bei korrekter Anwendung die „Menschenverdichtung“ hätten verhindern können, verneint. Denn insofern sind gerade die von ihm geforderten Maßnahmen Teil der Planung, d.h. geplant ist genau das, was nach seinen Ausführungen geeignet gewesen wäre, die „Menschenverdichtung“ zu verhindern.
Soweit Prof. Dr. T weiter ausführt, es habe bereits vor der Veranstaltung Informationen gegeben, die auf das Problempotential verwiesen hätten (Bl. 44782-44783 HA), und angibt:
„Der erwartete Besucherfluss überstieg das System (gemeinsame Zustrom-/ Abstromkapazität), das Potential der Schlangenbildung wurde nicht gewürdigt (Zustromsystem nicht in der Lage, den erwarteten Zustrom zu bewältigen. Abstrom während des Zustroms in gemeinsamen Bereichen überstieg die theoretischen Grenzen (EN 13200-1-2003) von 82 Personen pro Meter pro Minute.“ (Bl. 44783 HA),
weist dies keinen Bezug zur Fragestellung der Kammer auf. Prof. Dr. T wiederholt stattdessen lediglich seine These einer planerischen Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute im Ein- und Ausgangssystem.
Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 ausführt, Prof. Dr. T habe sich gerade nicht zu der Frage geäußert, ob eine permanente Schließung der beiden Einlasssysteme West und Ost, die nach seinen Ausführungen zusammen mit einer Umleitung der Menschenmenge weg vom Tunnelsystem hätte verhindern können, dass die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe über die sicheren Grenzwerte ansteigt, „zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch si-
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cher möglich gewesen wäre“ (Bl. 45214 HA, Hervorhebung durch die Kammer), wird dieses Verständnis der eindeutigen Formulierung der Antwort von Prof. Dr. T auf die Frage der Kammer nicht gerecht. Die Frage der Kammer (Punkt 9 c) des Beschlusses vom 17.02.2015) lautete:
„Zu Punkt 5.15 des Gutachtens vom 14.03.2013:
Wäre die „Menschenverdichtung“ am 24.07.2010 gegen 16:45 Uhr bis 17:15 Uhr am Fuße der Stellwerkstreppe in diesem Ausmaß und zu diesem Zeitpunkt ebenfalls entstanden, wenn die Vereinzelungsanlagen West und Ost ab 15.50 Uhr dauerhaft geschlossen gewesen wären?“
Darauf antwortete Prof. Dr. T (Bl. 44786-44787 HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
„Wir sehen, dass die Menschenmenge bereits in dem System (Kamera 14 – unten eingeblendet) und am unteren Ende der Stellwerkstreppe fließt.
(Es folgen zwei Screenshots: Kamera 13 – 15.50 und Kamera 14 – 15.50.)
Eine permanente Schließung der beiden Einlasssysteme West und Ost, zusammen mit einer Umleitung der Menschenmenge weg vom Tunnelsystem, hätte verhindern können, dass die Menschenverdichtung am Fuße der Stellwerkstreppe und im Bereich der Kreuzung der Rampe/Tunnel über die sicheren Grenzwerte ansteigt.“
Soweit die Staatsanwaltschaft weiter ausführt, „entsprechende Planungen und Vorkehrungen für geeignete Maßnahmen im Falle eines solchen „Teilabbruchs“ der Veranstaltung“ habe es nicht gegeben, „denn solche Überlegungen hätten, so die nicht unbegründete Annahme des Zeugen Rechtsanwalt E in einer E-Mail an d Angeschuldigt G vom 12. März 2010, zu einem möglichen „Veto“ der Behörden bezüglich der gesamten Veranstaltung führen können, soweit – was hier der Fall (gewesen sei) – nicht sichergestellt werden konnte, dass so ein Fall nicht eintritt“ (Bl. 45214 HA), bezeichnet der nach dem Ermittlungsergebnis nicht planungsverantwortliche Rechtsanwalt E mit dem Begriff des „Teilabbruchs“ nicht eine Sperrung der Vereinzelungsanlagen aufgrund einer Überfüllung des Ein- und Ausgangssystems. Vielmehr ist damit eine Sperrung der Vereinzelungsanlagen (allein) aufgrund einer Überfüllung der Fläche, d.h. einer Überschreitung der (zu genehmigen-
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den) Besucherzahlen (250.000 Personen gemäß „Auflage“ Nr. 4 der Nutzungsänderungsgenehmigung vom 21./23.07.2010) – wie sie ausweislich des Ermittlungsergebnisses gerade nicht vorlag (S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA) – angesprochen. So führt Rechtsanwalt E in der in Bezug genommenen E-Mail aus (BMO V 59, elektronische Seitenzahl 172, Hervorhebungen durch die Kammer):
„Unabhängig davon, brauchen wir irgend ein Kriterium für Besucheranzahl vs. Kapazität und dringend einen Vorschlag zur Entscheidungsfindung und zur Chain of command (möglichst ohne Einbeziehung städtischer Ordnungsbehörden). Die Sperrung der Zugängen (nicht wegen kurzfristiger Stockungen, sondern wegen Überfüllung) kommt einem (Teil-)Abbruch der Veranstaltung gleich und birgt dieselben Gefahren. Wird das bekannt, geht niemand mehr von der Fläche. D.h. die Sperrung wird dauerhaft. Außerdem, wenn Du ein paar Tausend Leute vor den Toren hast, kann Du den Zugang nicht ein "bisschen" aufmachen. Nähme man das ganze ernst, müsste man also warten, bis soviel abgeflossen ist, dass alle wartenden Besucher auf die Fläche können. Hallo ... ?“
(bb) Auswirkungen der Polizeiketten
Die Ausführungen von Prof. Dr. T dazu, ob die im Tunnel bzw. auf der Rampe Ost gebildeten Polizeiketten für die Entstehung und weitere Entwicklung der „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe im Sinne eines Eingreifens Dritter (allein-) ursächlich waren, bleiben nicht nachvollziehbar.
Prof. Dr. T stuft die Positionierung der Polizeiketten (ohne gleichzeitige Schließung der Eingangssysteme) als Fehler ein. Seiner Ansicht nach hätten sich die Überfüllung und die folgenden Reaktionen der Menschenmenge zwar „in ähnlicher Weise auch während der Hauptzustrom-/-abstromzeiten entwickelt“. Damit stellt er aber klar, dass sich das Geschehen aus seiner gutachterlichen Sicht nicht in der konkreten Gestalt wie tatsächlich erfolgt ereignet hätte. Da Prof. Dr. T auf ein nur ähnliches Geschehen zu den Hauptzustrom-/-abstromzeiten, mithin auf einen durch ihn nicht näher bezeichneten Zeitpunkt (irgendwann) innerhalb eines ggf. mehrstündigen Zeitraums und damit auf einen hypothetischen Verlauf abstellt, bedeutet dies aber, dass die Ereignisse nicht in ihrer konkreten Gestalt, mithin nicht in örtlicher und zeitlicher Hinsicht identisch sowie mit identischen Folgen, stattgefunden hätten. Nicht nach-
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vollziehbar bleibt nach seinen Ausführungen, wie sich die im Tunnel bzw. auf der Rampe gebildeten Polizeiketten auf die Entstehung und weitere Entwicklung der „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe konkret auswirkten.
Auf die Frage der Kammer aus dem Beschluss vom 17.02.2015, ob die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe in diesem Ausmaß und zu diesem Zeitpunkt auch entstanden wäre, wenn es die Einrichtung und Auflösung der drei Polizeiketten zwischen 15.50 Uhr und 16.30 Uhr (Tunnel West, Tunnel Ost, Rampe Ost) nicht gegeben hätte, antwortet Prof. Dr. T, eine Vorabanalyse zeige, dass die zu- und abströmende Besuchermenge die sichere Kapazität im Bereich der Stellwerkstreppe übersteige; dies sei nicht gewürdigt worden. Nach seiner Ansicht „hätten sich die Überfüllung und die folgenden Reaktionen der Menschenmenge in ähnlicher Weise auch während der Hauptzustrom-/abstromzeiten entwickelt“ (Bl. 44783 HA).
Er stufte allerdings bereits in der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ (Bl. 29870-29893 HA) die Polizeiketten als falsch positioniert ein und führte hierzu wie folgt aus:
„15.8. Die Polizeikette auf der Rampe hätte oben sein müssen (damit sich die Besucher auf dem Gelände verteilen hätten oder auf andere Auslassstellen hätten ausweichen können). Position am schmalsten Punkt und in den Tunneln zu beziehen (ohne GLEICHZEITIG AUCH die Einlassstellen zu blockieren) war ein Fehler.
15.9. Daher war die Polizeikette auf der Rampe am falschen Platz und konnte nicht dazu beitragen, den Abfluss zu fördern.“ (Bl. 29885 HA)
Diese Ausführungen will Prof. Dr. T auch nicht durch sein Gutachten vom 14.03.2013, das diese Passagen nicht mehr enthält, als ersetzt verstanden wissen. Vielmehr antwortet er auf die Frage, warum bestimmte Bewertungen in der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ getroffen worden seien, im Gutachten vom
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14.03.2013 sich aber nicht mehr wiederfänden, das Gutachten vom 14.03.2013 habe sich auf bestimmte Fragen der Staatsanwaltschaft konzentriert (Bl. 44784 HA), das „zweite Gutachten“ (gemeint ist das vom 14.03.2013) sei „in Antwort auf die speziellen Fragen der Staatsanwaltschaft“ erstellt worden, habe das frühere Gutachten aber nicht ersetzen oder zurückziehen sollen (Bl. 44797 HA).[Fußnote 87]
In seiner „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ vom 28.11.2014 (Bl. 41163-41177 HA) weist Prof. Dr. T – über seine Ausführungen unter Punkt 15.9. der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ (Bl. 29885 HA) noch hinausgehend – den Polizeiketten nicht nur fehlende Wirkung dergestalt zu, dass sie „nicht dazu beitragen (konnten), den Abfluss zu fördern“, sondern beschreibt ein Aufstauen der Menschenmenge auf beiden Seiten der – entgegen der Annahme von Prof. Dr. T noch bis 16.28 Uhr (vgl. S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA) bestehenden – Polizeikette in Höhe der Zaundreiecke auf der Rampe Ost, indem er angibt:
„Um (16:19 Uhr) kommen die Massen sowohl von Ost als von West am Fuß der Rampe an und die Verdichtung beginnt. Die Polizeiabsperrung an der Rampenverengung (10,59m) ist nicht länger in Funktion (auf beiden Seiten haben sich Menschenmassen aufgestaut).“ (Bl. 41175 HA)
Zu den Auswirkungen der Polizeiketten führt Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 5.28.1 (Bl. 40762 HA) auf die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt konkrete Maßnahmen des Veranstalters oder der Behörden nach Erkennen der Schadensmöglichkeit den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätten verhindern können, aus, dies sei „bis zu dem Zeitpunkt, als die Polizeiabsperrungen versagten (aufgrund der bis hinter die Polizeiabsperrungen strömenden Menschenmengen)“ möglich gewesen. Weiter gibt er an, es sei ein „unmittelbares Versa-
[Fußnote 87: Insoweit in Widerspruch zu dem Vermerk von Staatsanwältin T (Bl. 29721 HA) stehend, dass Prof. Dr. T ausdrücklich darum gebeten habe, die Ausarbeitung vom 19.03.2012 nur als Entwurf anzusehen.]
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gen“ gewesen, die Menschen an den Eingangspunkten weiter auf das Gelände zu lassen; der Plan sei gewesen, die Tore zu schließen.
In seinem Gutachten von 14.03.2013 führt Prof. Dr. T auf die Frage der Staatsanwaltschaft, „ab welchem Zeitpunkt (ungefähr) die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretende Gefahr der Verletzung von Leib und Leben der Besucher erkennbar“ für Polizeieinsatzbeamte gewesen sei, aus:
„5.21.3 C) Der Polizeichef hätte realisieren müssen, dass es eine gefährliche Situation war, als es für die Polizei erforderlich wurde, die Zutrittswege abzusperren und sich die Menschenmenge am Eingangssystem nicht verringerte. Es gab deutliche Anzeichen dafür, dass die Eingangspunkte zur Veranstaltung der Menschenmenge keine freie Zugänglichkeit ermöglichten.“ (Bl. 40760 HA)
Schon in seiner Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ gab Prof. Dr. T zu den Polizeiketten an:
„15.3. Die Polizeiketten hätten die Besucher nur dann zurückhalten können, wenn die Einlassschleusen die Besucher hinter der Polizeikette davon abgehalten hätten, in den Tunnel zu strömen.
15.4. Dieser kontinuierliche Besucherstrom am Einlass/Tunnel war die Ursache dafür, dass die Polizeikette in den Tunneln nicht funktionierte. Es handelt sich hier um ein Problem der Regelung und des Steuerung des Besucherstroms und eine Folge davon, dass die Einlasskontrollen mehr Leute in die Tunnel hinter der Polizeikette strömen ließen.“ (Bl. 29884 HA)
In seinen Antworten vom 26.06.2015 führt Prof. Dr. T hierzu weiter aus, die Strategie der Blockade der Tunnel durch die Polizeiabsperrungen habe „versagt“, weil die Polizeiabsperrungen, ohne eine permanente Schließung des Eingangssystems, die drohende Überfüllung am unteren Ende der Schnittstelle Rampe/Tunnel nicht verhindern konnten.
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Auf die Frage der Kammer, wie er in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 5.28.1 zu der Einschätzung gelange, dass die Polizeiabsperrungen (ausschließlich) „aufgrund der bis hinter die Polizeiabsperrungen strömenden Menschenmenge“ versagten, und ob es aus seiner Sicht nach dem ihm vorliegenden Bildmaterial ausgeschlossen sei, dass (auch) andere Gründe hierfür verantwortlich gewesen sein könnten, führt Prof. Dr. T – ohne sich mit dem zweiten Teil der Frage auseinanderzusetzen – lediglich aus, auf den Bildern der Kameraaufnahmen aus dem Tunnel sei zu sehen, dass sich hinter der Polizeiabsperrung eine Menschenmenge gebildet habe. Auf den Bildern der Rampenkamera, die allerdings erst ab 16.02 Uhr auf die Rampe zeige, sei ebenfalls zu sehen, dass sich hinter der Polizeiabsperrung eine Menschenmenge bilde (Bl. 44793-44797 HA). Damit schließt er aber gerade nicht aus, dass (auch) andere Gründe für das Versagen der Polizeiabsperrungen verantwortlich gewesen sein könnten.
Fehl geht die Interpretation der Ausführungen von Prof. Dr. T durch die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015, wonach „der Sachverständige erneut zu Recht eine Relevanz der Polizeiketten für den Tod der 21 Veranstaltungsbesucher und die Vielzahl an Verletzungen verneint“ habe (Bl. 45216 HA). Dies stützt die Staatsanwaltschaft auf die Ausführungen von Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 und nennt Bl. 44613 und 44622 f. HA als Fundstellen. Weder dort noch in seinen sonstigen Ausführungen finden sich derartige Angaben von Prof. Dr. T. Vielmehr führt er gerade aus, dass – hätte es die Einrichtung und Auflösung der drei Polizeiketten zwischen 15.50 Uhr und 16.30 Uhr nicht gegeben – „sich die Überfüllung und die folgenden Reaktionen der Menschenmenge in ähnlicher Weise auch während der Hauptzustrom-/abstromzeiten entwickelt“ hätte (Bl. 44613 HA = Bl. 44783 HA). Da Prof. Dr. T unter Hinwegdenken der Polizeiketten auf ein dann nur ähnliches Geschehen zu den Hauptzustrom-/-abstromzeiten, mithin auf einen durch ihn nicht näher bezeichneten Zeitpunkt (irgendwann) innerhalb eines ggf. mehrstündigen Zeitraums und damit auf einen hypothetischen Verlauf abstellt, verneint er – ohne zu beschreiben, woraus sich die Ähnlichkeit ergeben soll – gerade nicht die Relevanz der Polizeiketten, denn ein nur ähnliches Geschehen würde bedeuten, dass die Ereignisse nicht in ihrer konkreten Gestalt, mithin nicht in örtlicher und zeitlicher Hinsicht identisch sowie mit identischen Folgen, stattgefunden hätten.
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(cc) Beiseiteziehen von Heraszaunelementen an der Vereinzelungsanlage West
Ob das Beiseiteziehen von Heraszaunelementen an der Vereinzelungsanlage West (allein-)ursächlich war im Sinne eines Eingreifens Dritter, ist nach den Ausführungen von Prof. Dr. T nicht nachvollziehbar.
Denn die Ausführungen von Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 zu der Frage, ob die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe ebenfalls in diesem Ausmaß und zu diesem Zeitpunkt entstanden wäre, wenn es das Beiseiteziehen der Heraszaunelemente zwischen 16.32 Uhr und 16.36 Uhr im Bereich der Vereinzelungsanlage West nicht gegeben hätte, sind in sich widersprüchlich und bleiben ohne Gehalt.
So führt Prof. Dr. T hierzu aus:
„Der Heras-Zaunabschnitt wurde um circa 16:32 entfernt. Die Menschenmenge am unteren Ende der Rampe (…) ist schon über der sicheren Dichte (2-3 Personen pro Quadratmeter). Die Beobachtung der Druckwellen (Schockwellen) in diesem Bereich zeigt den engen körperlichen Kontakt der Einzelpersonen und dies ist bei etwa 6-7 Personen pro Quadratmeter zu beobachten. Das ist eine sehr riskante Situation. Die Menschenmenge, die um 16:32 in das System durch die entfernten Heras-Zäune hineinfließt, hätte sich bewegt und hätte wahrscheinlich zu dem sich am unteren Ende der Stellwerkstreppe entwickelnden Problem nicht beigetragen.“ (Bl. 44784-44785 HA)
Wenn sich aber die durch die entfernten Heraszaunelemente um 16.32 Uhr zusätzlich und planwidrig in das System gelangten Besucher nach den Ausführungen von Prof. Dr. T gerade „bewegen“, lässt dies nur den Schluss zu, dass sie sich entsprechend ihrem Ziel, die Szenefläche zu erreichen, in Richtung Rampe Ost und damit in Richtung der bereits aufgestauten Menschenmenge bewegten, d.h. diese zusätzlich vergrößerten. Inwiefern sie dann aber „wahrscheinlich zu dem sich am unteren Ende der Stellwerkstreppe entwickelnden Problem nicht beigetragen“ haben sollen, ist nicht nachvollziehbar. Insofern setzt Prof. Dr. T sich nicht damit ausein-
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ander, ob nicht gerade diese Vergrößerung der Menschenmenge für mehr Druck sorgte und wie sich dies ggf. auf die „Menschenverdichtung“ auswirkte.
(dd) Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich
Die Ausführungen von Prof. Dr. T zu der Frage, ob die Einfahrt eines Polizeifahrzeugs aus dem Tunnel West in den Rampenbereich um 16.48 Uhr für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war im Sinne eines Eingreifens Dritter, bleiben ebenfalls nicht nachvollziehbar.
So führt Prof. Dr. T hierzu aus:
„Die Menschenverdichtung war offensichtlich bevor das Polizeifahrzeug in den Rampenbereich einfuhr.“ (Bl. 44787 HA)
Allein der Umstand, dass sich die „Menschenverdichtung“ bereits gebildet hatte, trifft aber noch keine Aussage darüber, ob sie sich in demselben Ausmaß (mithin etwa mit identischer Personendichte) auch ohne die Einfahrt des Polizeifahrzeugs entwickelt hätte, denn insofern ist es jedenfalls möglich, dass durch den Platz, den das Fahrzeug benötigte, Menschen weggedrängt und zu der bereits bestehenden „Menschenverdichtung“ hingedrängt wurden, diese bzw. deren Personendichte somit vergrößerten bzw. erhöhten. Eine Auseinandersetzung hiermit lassen die Ausführungen von Prof. Dr. T vermissen.
(ee) Abgedeckter Gullydeckel am Rampenfuß
Ob die Abdeckung des Gullydeckels mit einem Bauzaun (allein-)ursächlich war für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe, ist nach den Ausführungen von Prof. Dr. T nicht nachvollziehbar.
Denn seine Ausführungen zu der Frage, ob die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe in diesem Ausmaß und zu diesem Zeitpunkt ebenfalls entstanden wäre, wenn der Gullydeckel im Bereich des Rampenfußes nicht mit einem Bauzaun abgedeckt gewesen wäre, sind in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar.
So beantwortet Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 diese Frage mit „ja“ und führt dazu aus:
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„Aufgrund der Näherungsanalyse, hätte es in diesem Bereich einen großen Stau gegeben, wenn die Menschenmenge ankommt und weggeht (Fluss in zwei Richtungen). Die Reaktion der Menschenmenge in einem solchen verstopften Bereich wäre die Suche nach einem Ausgang gewesen und die Sichtbarkeit der Stellwerkstreppe wäre attraktiv gewesen. Die Daten vom Veranstalter (vor der Veranstaltung) zeigen, dass die Zahl der Personen, die das Gelände verlassen, um 15:00 etwa 50.000 betragen hätte. Der kaputte Gullydeckel hätte vor der Öffnung des Geländes zu ern-sten Bedenken führen sollen. Da er abgedeckt wurde, mit Hilfe eines Heras-Zauns, war man sich bewusst, dass er ein mögliches Risiko darstellen könnte. Allerdings hätte meines Erachtens der Bereich aufgrund der Lage und der möglichen Risiken isoliert werden sollen.“ (Bl. 44787-44788 HA).
Inwiefern diese Ausführungen erläutern sollen, dass es auch zu demselben Geschehen zur selben Zeit gekommen wäre, wenn der Gullydeckel im Bereich des Rampenfußes nicht mit einem Bauzaun abgedeckt gewesen wäre, erschließt sich bereits nicht.
Noch unverständlicher wird die obige Antwort von Prof. Dr. T, wenn seine Ausführungen in der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ zu der Fragestellung „Hatte die Abdeckung des Gullys mit einem Heras-Zaunelement eine direkte Auswirkung auf die Ereignisse?“ herangezogen werden. Denn dort stellt er fest:
„20.1. Die Gefahr von Stolpern/ Ausrutschen und Fallen wurde durch den unebenen Boden und die Abdeckung des Gullys mit dem Heras-Zaunelement erhöht.
20.2. Diese Stolperfalle hätte sich direkt auf die Menge ausgewirkt. Doch Ursache des Vorfalls war es, dass es nicht gelang, den Personenstrom in den Bereichen Tunnel/Rampe zu beherrschen.“ (Bl. 29886 HA)
Diese Ausführungen, die im Gutachten vom 14.03.2013 nicht mehr enthalten sind, sollten nicht durch das Gutachten vom 14.03.2013 ersetzt werden. Denn Prof. Dr. T antwortet – zwar in anderem Zusammenhang, aber dort verallgemei-
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nernd – auf die Frage, warum bestimmte Aussagen in der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ getroffen wurden, im Gutachten vom 14.03.2013 sich aber nicht mehr wiederfänden, das Gutachten vom 14.03.2013 habe sich auf bestimmte Fragen der Staatsanwaltschaft konzentriert (Bl. 44784 HA), das „zweite Gutachten“ (gemeint ist das vom 14.03.2013) sei in Antwort auf die speziellen Fragen der Staatsanwaltschaft erstellt worden, habe das frühere Gutachten aber nicht ersetzen oder zurückziehen sollen (Bl. 44797 HA).[Fußnote 88]
Zu seinen o.g. Ausführungen unter Punkten 20.1. und 20.2. in der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ befragt, erläutert Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015, der Heras-Zaun als Abdeckung des kaputten Gullydeckels sei bei geringer Dichte eine Stolperfalle, bei hoher Dichte könne der Heras-Zaun nicht ausreichen, um den Druck der auf ihm stehenden Personen zu tragen. Deshalb hätte der Gullydeckel ab dem Moment, in dem das Problem festgestellt wurde, von der Menschenmenge freigehalten werden sollen (Bl. 44788 HA).
Wenn der abgedeckte Gullydeckel jedoch eine Stolperfalle darstellte bzw. dem Druck der auf ihm stehenden Personen nicht standhalten konnte, was ebenfalls das gefahrlose Passieren dieses Bereichs nicht erleichterte, und sich insofern die „Stolperfalle“ abgedeckter Gullydeckel „direkt auf die Menge ausgewirkt“ hätte, bleibt unverständlich, inwieweit Prof. Dr. T meint ausschließen zu können, dass dies Auswirkungen auf das Geschehen, d.h. die „Menschenverdichtung“, hatte.
[Fußnote 88: Insoweit in Widerspruch zu dem Vermerk von Staatsanwältin T (Bl. 29721 HA) stehend, dass Prof. Dr. T ausdrücklich darum gebeten habe, die Ausarbeitung vom 19.03.2012 nur als Entwurf anzusehen.]
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(ff) Unterbliebene Blockierung des oberen Bereichs der Rampe Ost durch Polizeifahrzeuge
Ob eine unterbliebene Blockierung des oberen Bereichs der Rampe Ost durch Polizeifahrzeuge (allein-)ursächlich war im Sinne einer fehlerhaften Ausführung der Planung, ist nach den Ausführungen von Prof. Dr. T nicht nachvollziehbar.
Die Ausführungen von Prof. Dr. T zu der Frage, ob die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe in diesem Ausmaß und zu diesem Zeitpunkt ebenfalls entstanden wäre, wenn der obere Bereich der Rampe (Ost) durch Polizeifahrzeuge blockiert worden wäre, bleiben nicht nachvollziehbar. Prof. Dr. T trifft in seinen Antworten vom 26.06.2015 hierzu keine klare Aussage und beschränkt sich auf einen Verweis auf die Planung (Bl. 44790-44792 HA). Allerdings lässt sich aus seinen Ausführungen an anderer Stelle seiner Antworten vom 26.06.2015 entnehmen, dass nach seiner Ansicht im Falle einer solchen Blockierung die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe nicht im selben Ausmaß und zum selben Zeitpunkt entstanden wäre. Konkrete Ausführungen zu dieser Fragestellung liegen jedoch nicht vor.
In seinen Antworten vom 26.06.2015 bezieht Prof. Dr. T sich auf eine Stellungnahme de Angeschuldigten G (Anlage zum Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt S vom 26.08.2011, Bl. 25008-25231 HA, dort Bl. 25067 HA), wonach vor der Veranstaltung das Szenario durchgespielt worden sei, wie mit starken Publikumsbewegungen umzugehen sei, die beispielsweise wetterbedingt bei starken Regenfällen vom Veranstaltungsgelände in den Tunnel zurückströmen. Hierfür sei die temporäre Sperrung des „Ausgangs am oberen Rampenkopf“ als sinnvoll erachtet und deshalb vereinbart worden, dass die Polizei für dieses Szenario Einsatzkräfte bereitstelle, die im Nordbereich der Rampe eine Sperrung einrichten könnten. Die Einsatzleiter der Polizei hätten dem unter der Bedingung, dass während des gesamten Veranstaltungszeitraums in räumlicher Nähe Einsatzfahrzeuge der Polizei geparkt werden könnten, zugestimmt.
Prof. Dr. T führt hierzu aus, die Nutzung von Fahrzeugen hätte die Menschen vom Versuch, das Gelände zu verlassen, abgehalten. Nicht berücksichtigt worden sei insofern allerdings, welche Auswirkungen das auf die Menschenmenge gehabt hätte,
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die auf das Gelände komme (Zufluss durch das Eingangssystem, durch die Tunnel), denn das System des gemeinsamen Bereichs (Tunnel und Rampe für Zustrom und Abstrom) bedeute, dass eine Blockierung an der Rampe Auswirkungen sowohl auf den Zustrom als auch den Abstrom habe. Das hätte während der Planungsphase der Veranstaltung berücksichtigt werden sollen (Bl. 44791 HA). Die Menschenmenge, die das Gelände über die Rampe verlassen sollte, hätte vom oberen Bereich der Rampe weggeleitet werden können; eine solche Überfüllung der „gemeinsamen Konfiguration“ (Tunnel/Rampe) sei jedoch anscheinend nicht berücksichtigt worden (Bl. 44791-44792 HA).
An anderer Stelle in seinen Antworten vom 26.06.2015 ergibt sich aus den Ausführungen von Prof. Dr. T indes, dass es nach seiner Auffassung im Falle einer solchen Blockierung des Rampenkopfes durch Fahrzeuge nicht zu der „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe im selben Ausmaß und zum selben Zeitpunkt gekommen wäre.
So führt Prof. Dr. T unter Punkt 5.26.2 des Gutachtens vom 14.03.2013 zu der Frage, welche Maßnahmen hätten ergriffen werden müssen, um den Schadenseintritt (Tod und Verletzung von Besuchern der Veranstaltung) mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit durch den Veranstaltungsorganisator oder durch die Behörden (Stadt/Polizei) nach Erkennen der Schadensmöglichkeit durch Ergreifen konkreter Maßnahmen abzuwenden, aus:
„Eine frühzeitige Intervention, speziell während der beobachteten Verzögerungen am Eingang, waren erste Hinweise auf die sich entwickelnden Ereignisse und hätten den Notfallstatus für die Veranstaltung auslösen müssen. Die vereinbarten Maßnahmen hätten ergriffen werden müssen, als das Eingangssystem nicht den Zutritt der Menschenmenge im erwarteten Tempo erlaubte. Es ist jenseits der Erkenntnisse des Gutachters, wie die vereinbarten Notfallszenarien geplant bzw. umgesetzt wurden, während sich die Ereignisse entwickelten.“ (Bl. 40761 HA)
Befragt, welche „vereinbarten Maßnahmen“ er meine und mit welchem Erfolg sie wann hätten ergriffen werden müssen, bezieht sich Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 (Bl. 44801-44802 HA) erneut auf die o.g. Stellungnahme de Ange-
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schuldigten G (Anlage zum Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt S vom 26.08.2011, Bl. 25008-25231 HA, dort Bl. 25067 HA), wonach die temporäre Sperrung des „Ausgangs am oberen Rampenkopf“ als sinnvoll erachtet und deshalb vereinbart worden sei, dass die Polizei für dieses Szenario Einsatzkräfte bereitstelle, die im Nordbereich der Rampe eine Sperrung einrichten könnten.
Damit korrespondierend hatte Prof. Dr. T bereits in der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“ unter Punkt 27.1. auf die Frage, ob es eine Möglichkeit gegeben hätte, die Besucher zu einem anderen Ausgang zu lenken, mit „ja“ geantwortet und weiter ausgeführt, „der obere Bereich der Rampen hätte durch Polizeifahrzeuge an Ort und Stelle blockiert werden müssen. Das hätte der Menge signalisiert, dass es vorne ein Problem gab, und es gab Platz für eine natürliche Auflösung der Menge.“ (Bl. 29889 HA). Einen genauen Zeitpunkt, wann diese Blockierung durch die Polizeifahrzeuge hätte stattfinden müssen, nennt er hingegen weder in dieser Ausarbeitung noch in seinem Gutachten vom 14.03.2013 oder in den Antworten vom 26.06.2015.
Wenn also nach seinen Ausführungen eine Möglichkeit, den Schadenseintritt (Tod und Verletzung von Besuchern der Veranstaltung) mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nach Erkennen der Schadensmöglichkeit durch Ergreifen konkreter Maßnahmen abzuwenden, die Blockierung des Rampenkopfes mit Polizeifahrzeugen gewesen wäre, ergibt sich aus diesen Ausführungen gleichzeitig – insoweit in Abweichung von seiner dies offen lassenden Antwort auf die konkrete Frage hierzu aus dem Beschluss der Kammer vom 17.02.2015 – die Antwort auf die Frage, ob die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe in diesem Ausmaß und zu diesem Zeitpunkt ebenfalls entstanden wäre, wenn der obere Bereich der Rampe Ost durch Polizeifahrzeuge blockiert worden wäre. Denn wenn durch eine Blockierung des Rampenkopfes mit Fahrzeugen der Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte abgewendet werden können, wäre in diesem Fall auch die „Menschenverdichtung“ am 24.07.2010 am Fuß der Stellwerkstreppe nicht in demselben Ausmaß und zu demselben Zeitpunkt entstanden.
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Im Übrigen sind die Ausführungen von Prof. Dr. T zu der in diesem Zusammenhang mit Beschluss vom 17.02.2015 gestellten Frage, wieso es – wie Prof. Dr. T unter Punkt 5.26.2 in seinem Gutachten vom 14.03.2013 (siehe oben) ausführt – „jenseits der Erkenntnisse des Gutachters (sei), wie die vereinbarten Notfallszenarien geplant bzw. umgesetzt wurden, während sich die Ereignisse entwickelten", nicht nachvollziehbar.
So antwortet er hierauf (Bl. 44802 HA), er sei „nicht qualifiziert, eine Aussage zu Eignung der deutschen Polizeimaßnahmen bei Überfüllungen, der deutschen Polizei-Übungsmaßnahmen für überfüllte Bereiche oder Polizeiverfahren für den Umgang mit Überfüllungssituationen zu machen“. So wie er den Veranstaltungsplan verstehe, sei der Veranstalter für die Sicherheit der Menschen verantwortlich und die Rolle der Polizei werde als „Öffentliche Ordnung“ zitiert. Damit verkennt Prof. Dr. T jedoch, dass er als Gutachter jedenfalls (innerhalb seines Fachgebiets) dazu hätte Aussagen treffen sollen, ob die ergriffenen bzw. zu ergreifenden Maßnahmen das Geschehen personenstromrelevant beeinflussten; diese Beurteilung der personenstromrelevanten „Ausübung der vereinbarten Notfallszenarien“ war von seinem Gutachtenauftrag umfasst. Tatsächlich nahm er solche Wertungen teilweise auch in Bezug auf einzelne Polizeimaßnahmen vor, indem er etwa ausführte, die Positionierung der Polizeiketten (ohne gleichzeitige Schließung der Eingangssysteme) sei ein Fehler gewesen (Punkt 15.8 der Ausarbeitung „Duisburg – 24. Juli 2010, Vorfall bei der Loveparade, Antwort auf die Fragen der Staatsanwaltschaft vom 13. Februar 2012, Professor Dr. T, K S , 19. März 2012 – V9“, Bl. 29885 HA).
(gg) Zusammenfassung
Ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter (unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, Polizeiketten, Beiseiteziehen von Heraszaunelementen an der Vereinzelungsanlage West, Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich, abgedeckter Gullydeckel am Rampenfuß, unterbliebene Blockierung des oberen Bereichs der Rampe Ost durch Polizeifahrzeuge) für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war/waren, wird im Gutachten von Prof. Dr. T teilweise widersprüchlich, teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet, weshalb auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T nicht beurteilbar ist und damit unaufgeklärt bleibt,
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ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde. Hierin liegt ein Verstoß gegen die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse.
(f) Angaben zu den sich hinter den Polizeiketten stauenden Besuchern
Die Ausführungen von Prof. Dr. T zu der Anzahl der sich hinter den Polizeiketten stauenden Besucher sind ebenfalls nicht nachvollziehbar, was einen weiteren Verstoß gegen die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse darstellt.
Im Gutachten vom 14.03.2013 führt Prof. Dr. T aus:
„3.7.3 Aufgrund der Beschränkung des Zustroms (43.788 Menschen pro Stunde - ca. 730 Menschen pro Minute), würde die Menschenmenge, die im Tunnel festgehalten wird, und bei offenem Eingangssystem, den Bereich hinter den Polizeiabsperrungen (Ost und West) in einem Tempo von ungefähr 730 Menschen pro Minute füllen.“ (Bl. 40739 HA)
Nach seinen weiteren Ausführungen beträgt die Anzahl der pro Stunde maximal das Gelände durch die Eingänge West und Ost betretenden Besucher zwischen 41.874 und „~46.740“[Fußnote 89], was damit zusammenhängt, dass er die schmalsten Stellen der Eingangssysteme in seinen Ausführungen jeweils unterschiedlich bemaßt. Damit könnte es zu einem maximalen Zustrom von 697,9 (41.874 Personen : 60 Minuten) bis 779 (46.740 Personen : 60 Minuten) Personen pro Minute auf das Gesamtgelände kommen. Aufgeteilt auf die Einlässe Ost und West kommt Prof. Dr. T zu einem Zustrom von 12.792 (aus der „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ (Bl. 41163-41177 HA)) bis 14.760 (aus dem Gutachten vom 14.03.2013) Personen/Stunde, d.h. 213,2 bis 246 Personen/Minute, für das Eingangssystem Ost und 29.028 (aus dem Gutachten vom 14.03.2013) bis 33.948 (aus der „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S "Metho-
[Fußnote 89: Vgl. hierzu die Ausführungen oben unter C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) (α)]
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denanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ (Bl. 41163-41177 HA)) Personen/Stunde, d.h. 483,8 bis 565,8 Personen/Minute, für das Eingangssystem West.
Im Gutachten vom 14.03.2013 führt Prof. Dr. T sodann weiter aus:
„3.7.8 Gegen 16.13 Uhr löst sich der Polizeiabsperrung im Osten auf. Er war für ungefähr 16 Minuten installiert und hielt in dieser Zeit die Menschenmenge zurück. Anschließend strömt die Menschenmenge von den Eingangspunkten bis zu der Stelle herein, wo sich der Zwischenfall ereignet. Die Anzahl wird auf 9.000 bis 11.000 Menschen geschätzt.
3.7.9 Gegen 16.20 Uhr löst sich der Polizeiabsperrung im Westen auf. Er war für ungefähr 30 Minuten installiert. Hier werden 19.000 bis 21.000 Menschen geschätzt.“ (Bl. 40739 HA)
Die darin benannten – unklar auf welcher Basis – geschätzten Zahlen stimmen jedoch nicht mit der von Prof. Dr. T benannten Anzahl von maximal das Gelände bei Vollbetrieb der Eingangssysteme betretenden Besucher überein. Denn wenn sich hinter der 16 Minuten installierten Polizeikette im Osten 9.000 bis 11.000 Menschen aufstauten, würde dies einen Zustrom von 562,5 bis 687,5 Personen/Minute durch die Vereinzelungsanlage Ost bedeuten. Nach den Berechnungen von Prof. Dr. T lag deren Maximalkapazität konstruktionsbedingt indes bei 213,2 bis 246 Personen/Minute. Wenn sich hinter der Polizeikette im Westen in 30 Minuten 19.000 bis 21.000 Besucher aufstauten, müssten 633,3 bis 700 Personen/Minute den Tunnel durch die Vereinzelungsanlage West betreten haben; diese hat allerdings nach den Berechnungen von Prof. Dr. T lediglich eine konstruktionsbedingte Maximalkapazität von 483,8 bis 565,8 Personen/Minute.
Hinzu kommt, dass ab 15.54 Uhr die Vereinzelungsanlage Ost und ab 15.55 Uhr die Vereinzelungsanlage West (zunächst) vorläufig geschlossen waren (vgl. S. 392 der Anklageschrift, Bl. 36756 HA), so dass deshalb jedenfalls nicht die Gesamtkapazität an zuströmenden Besuchern erreicht werden konnte. Die Vereinzelungsanlage Ost war in der Folge immer wieder für einige Minuten abwechselnd geöffnet und geschlossen, was ebenfalls ein Erreichen des Maximalzustromwerts nicht zuließ.
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Zwar kam es nach den Ausführungen in der Anklageschrift um 16.02 Uhr zu einem Zaundurchbruch in unmittelbarer Nähe der Vereinzelungsanlage West, die Vereinzelungsanlage „drohte, überrannt zu werden“ und spätestens ab 16.17 Uhr wurden dort keine Kontrollen an den Schleusen mehr vorgenommen, so dass der Besucherstrom ungebremst durch die Schleusen floss (vgl. S. 362-363 der Anklageschrift, Bl. 32726-32727 HA). Dass sich durch eine solche – lediglich für drei Minuten bis zur Auflösung der Polizeikette im Tunnel West um 16.20 Uhr fehlende Personenkontrolle – der Wert der pro Minute durch die Vereinzelungsanlage West auf das Gelände strömenden Besucher so erhöhte, dass durchschnittlich 633,3 bis 700 Personen/Minute anstelle der errechneten Maximalkapazität von 483,8 bis 565,8 Personen/Minute durch die Einlassstelle West hinter die 30 Minuten bestehende Polizeikette strömten, ergibt sich aus den Ausführungen von Prof. Dr. T gerade nicht. Vor allem hätte dies keine Auswirkungen auf die ebenfalls fehlerhafte Berechnung des Zustroms durch die Vereinzelungsanlage Ost und damit die Anzahl der sich hinter der im Tunnel Ost gebildeten Polizeikette stauenden Besucher.
(g) Verwendete Dokumente
Prof. Dr. T stützte sein Gutachten – wie er nochmals ausdrücklich in seinen Antworten vom 26.06.2015 (Bl. 44728 HA) bestätigte – „speziell“ auf die im „Anhang B – Amtlich übersetzte Dokumente“ angeführten Dokumente. Soweit die Verwendung des Wortes „speziell“ genutzt wurde, um zu kennzeichnen, dass er daneben auch weitere Dokumente verwendete, stützt er sein Gutachten aber jedenfalls nicht ausdrücklich auf solche und gibt auch nicht an, um welche Dokumente es sich dabei gehandelt haben soll.
Indes gibt es weitere Dokumente, die Prof. Dr. T seiner Begutachtung nicht zugrunde gelegt hat, die aber für diese relevant sein könnten. Damit liegt eine Verletzung der Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung vor.
So hat Prof. Dr. T beispielsweise keines der das polizeiliche Einsatzkonzept – insbesondere zu den zur Besucherstromsteuerung zwischen dem Duisburger Haupt-
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bahnhof und den Vereinzelungsanlagen geplanten Vorsperren – betreffenden Dokumente berücksichtigt.[Fußnote 90]
Diese Dokumente hätten durchaus für die Begutachtung insbesondere im Hinblick auf die von Prof. Dr. T unter Punkt 3.2.14 seines Gutachtens vom 14.03.2013 geforderten Maßnahmen („Interventionen“) im Sinne von polizeilichen Vorsperren sowie zu der Frage, inwieweit die von ihm anhand von Videoaufzeichnungen und Bildern angenommenen Polizeikontrollen an den Zugangswegen (Punkt 5.7.3 des Gutachtens vom 14.03.2013 sowie Bl. 44776-44778 HA) den geplanten Vorsperren entsprachen bzw. diese tatsächlich vollzogen wurden, relevant sein können.[Fußnote 91]
(4) Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordent-lichen Sachverständigen
Prof. Dr. T verletzte seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen, indem er sich in seinem Gutachten nicht wie von der Staatsanwaltschaft erfragt mit der konkreten Durchführung der Loveparade – wozu auch die konkreten Abläufe am Veranstaltungstag gehören – befasste, sondern lediglich eine Risikoanalyse im Hinblick auf die Planung vor der Veranstaltung vornahm (dazu (a)).
Daneben verstieß Prof. Dr. T gegen seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen, weil die von ihm vorgenommene Risikoanalyse nur auf den – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen beruhte und schon aus diesem Grund nicht geeignet ist, auch nur ihre Funktion als Risikoanalyse zu erfüllen. Denn eine Risikoanalyse, wie Prof. Dr. T sie unter Verwendung weniger grundlegender Plandokumente und insbesondere der erwarteten Besucherzahlen durchführt, um planerische Grundprobleme hinsichtlich der Geländekapazität des Ein- und Ausgangssystems zu prüfen, kann nur dann ein etwa bestehendes Risiko abbilden, wenn die tatsächlich zu erwartenden Besucherzahlen dazu verwendet werden (dazu (b)).
[Fußnote 90: Vgl. hierzu C. II. 2. b. cc. (2).
Fußnote 91: Vgl. C. II. 2. b. cc. (2).]
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Des Weiteren verletzte er seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen, indem er den Tunneldurchfluss trotz Behauptung der zu engen Dimensionierung und der fehlenden Zweckeignung der Tunnel nicht berechnete (dazu (c)).
Es stellt ferner einen Verstoß gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen dar, dass die Begutachtung insbesondere im Hinblick auf die Kausalitätsprüfung ohne ausreichende (Grund-)Kenntnisse des deutschen Rechts erfolgte (dazu (d)) sowie dass Prof. Dr. T das Gutachten aus Sicht eines „britischen Gutachters zur Beratung bei fremdsprachigen Fällen“, hier ohne Beachtung der nationalen (deutschen) technischen Normen, erstellte (dazu (e)).
Die Grundpflicht zur Gewissenhaftigkeit bei der Gutachtenerstattung und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen wird durch die Anforderungen des jeweiligen Auftrags und die dafür erforderlichen fachlichen Anforderungen bestimmt (Zimmermann, Pflichten des Sachverständigen, Teil 2, Der Bausachverständige, Heft 4/2013, 50). Hier war es für den Sachverständigen, der mit der Erstellung eines Gutachtens zur Fragestellung „Was waren die Ursachen der Menschenverdichtung am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg (unter Berücksichtigung der Planungen sowie der Durchführung) und welche Möglichkeiten der Verhinderung gab es?“ (Bl. 20832 HA) beauftragt wurde, geboten, sich mit sämtlichen (innerhalb seines Fachgebiets liegenden) für die Auftragserfüllung wesentlichen Punkten in seinem Gutachten auseinanderzusetzen, und sich, soweit zur Erstattung des Gutachtens erforderlich, (Grund-)Kenntnisse des deutschen Rechts, insbesondere auch zum Kausalitätsbegriff, zu verschaffen und sich mit den nationalen (deutschen) technischen Normen zu befassen, die in dem konkreten Fall Anwendung finden könnten. Dies lässt das von Prof. Dr. T vorgelegte Gutachten indes vermissen.
(a) Risikoanalyse im Hinblick auf die Planung vor der Veranstaltung
Dem Gutachten von Prof. Dr. T liegt eine von ihm so genannte Risikoanalyse zugrunde. Er prüfte – wie er in seinen Antworten vom 26.06.2015 bekräftigte (vgl. Bl. 44753-44754 HA) – nur, ob unter Verwendung weniger grundlegender Plandokumente planerische Grundprobleme hinsichtlich der Geländekapazität des Einlass-
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bereichs vorlagen (“several potential problems lying in wait“), die nach seiner Ansicht zu einem Versagen der Genehmigung im Vorfeld hätten führen müssen. Nicht hingegen untersuchte er im Einzelnen weiter, ob die von ihm anhand des verwendeten Zahlenmaterials errechneten Kapazitätsgrenzen für den Maximaldurchfluss in den ermittelten Engstellen des Geländes (insbesondere an der Verengung auf 10,59 Meter auf der Rampe Ost) auch tatsächlich (und bejahendenfalls innerhalb welcher Zeiträume) am 24.07.2010 erreicht oder überschritten wurden. Dies stellt vor dem Hintergrund des erteilten Auftrags einen Verstoß gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen dar.
Hierzu gibt Prof. Dr. T an:
„Die Personen, die sich durch die Rampe (10,59 m) bewegten, wurden nicht tatsächlich physisch gezählt. Es sollte das Ziel einer Menschenmengenanalyse sein, das Potential für Probleme aufgrund der Anzahl der Menschen, insbesondere Probleme hinsichtlich Überfüllung und Gedränge, vor der Veranstaltung festzustellen. Das ist die Beschaffenheit einer Risikoanalyse, nämlich das Schadenspotential vorherzusehen und abzuschwächen. Zu diesem Zweck wird eine Annäherung für den Menschenmengenfluss verwendet. Wenn ein Teil des Systems zu einer Überfüllung eines Bereichs zu führen scheint, sollte das Konzept überarbeitet werden.“ (Bl. 44754 HA)
„Man sollte nicht durcheinanderbringen den "Machbarkeitsnachweis", der eine vollständige Analyse des Geländes voraussetzt, um alle Parteien zufrieden zu stellen, dass das Gelände funktionieren wird (den Ansprüchen genügen wird) und einen Risikoanalyse-Ansatz (1: Die Risikoanalyse als Ansatz wird in einer ganzen Reihe von Dokumenten herausgestellt, z.B.: " ... "), der bewertet, ob es potentielle, zu erwartende Probleme gibt. Der Gegenstand einer Risikoanalyse ist nicht die genaue Vorhersage von Unfällen. Der Gegenstand einer Risikoanalyse ist Kennzeichnung und Verhinderung von Unfällen.“ (Bl. 41163 HA)
„Der Gegenstand einer Risikoanalyse ist keine genaue Vorhersage wann oder wie ein Unfall geschehen kann. Der Gegenstand der Risikoanalyse ist die Verhinderung eines Unfalles.“ (Bl. 41177 HA)
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„Um eine Metapher zu bemühen, die Näherungsanalyse ist wie eine roter Strich auf dem Tacho eines Autos. Wenn der Motor unterhalb des roten Strichs läuft, dann arbeitet der Motor gemäß Spezifikation. Wenn der Fahrer den Motor über den roten Strich hinaus hoch dreht, dann steigt die Wahrscheinlichkeit eines Motorschadens deutlich. Das ist der Kernpunkt der Analyse. Die Betriebsgrenzen für Menschenmengen (die rote Linie) sind in der EN13200-1:2003 definiert. Mindestbreite x 82 Personen pro Meter pro Minute. Im Betrieb, kann der Menschenfluss diesen Wert übersteigen. Allerdings steigt dann auch das damit verbundene Risiko von Störungen (Stolpern, Ausrutschen, Stürze, Überfüllung und Schadenspotential). Das ist der Zweck dieser Gestaltungswerte für den Besucherfluss.“ (Bl. 44754 HA)
Prof. Dr. T führt somit aus, dass, wenn wie in seinem von ihm als Metapher bezeichneten Beispiel der rote Strich auf dem Tacho eines Autos überschritten werde, das Risiko von Störungen im Sinne eines Motorschadens steige. Damit ist aber – angesichts des Gutachtenauftrags unzureichend – lediglich ein Risiko beschrieben und noch nicht gesagt, dass es auch tatsächlich zu einer solchen Störung kommt bzw. kommen muss. Und selbst wenn es zu einer Störung kommt oder – um in seinem Beispiel zu bleiben – beim Auto ein Motorschaden aufgetreten ist, steht damit nicht zugleich fest, dass dieser auf der Überschreitung des „roten Strichs auf dem Tacho“ beruht. Denn auch dann wären immer noch verschiedene andere Ursachen hierfür denkbar und die konkrete Ursache müsste geklärt werden. Denkbar wäre insofern beispielsweise auch, dass – wie allgemeinbekannt – der Motorschaden infolge eines Marderbisses in den Kühlmittelschlauch, aufgrund Verschleißes des Motors, des Einfüllens falschen Kraftstoffes, eines fehlenden Ölwechsels, eines Zylinderkopfdichtungsschadens oder eines Zahnriemen- oder Keilriemenrisses entstanden ist.
Prof. Dr. T hat die Ursachen der „Menschenverdichtung“ im Sinne einer Prüfung der tatsächlichen Umstände hier indes nicht ermittelt, sondern sich – so seine Antwort „Ja.“ (Bl. 44754 HA) auf die entsprechende Frage der Kammer aus dem Beschluss vom 17.02.2015 – darauf beschränkt, in seiner Begutachtung die Planung der Veranstalterin in einer Näherungsanalyse („first-pass-approximation“) darauf zu untersuchen, ob unter Verwendung weniger grundlegender Plandokumente planerische Grundprobleme hinsichtlich der Geländekapazität des Einlassbereichs vorlagen
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(„several potential problems lying in wait“), die zu einem Versagen der Genehmigung im Vorfeld hätten führen müssen. Er hat hierzu ausgeführt:
„Das System enthielt grundlegende Fehler. Das hätte während der Planung und während des Lizenzierungs-/Genehmigungsverfahrens festgestellt werden müssen. Eine angemessen kompetente Person hätte dies anhand der Ankunfts-/Weggangsdaten im Vergleich mit den Maßen der Zustrom-/Abstrombereiche feststellen müssen.“ (Bl. 44754 HA)
Einer Überprüfung der tatsächlichen Umstände, insbesondere der tatsächlich am Veranstaltungstag an- und abströmenden Besucher, hätte es jedoch bedurft, um überhaupt einen Beweis dafür zu erbringen, dass die – von Prof. Dr. T angenommene und von der Staatsanwaltschaft angeklagte – Nichteignung des Ein- und Ausgangssystems zum Durchfluss der Besucher auch tatsächlich ursächlich war bzw. sich im konkreten Taterfolg realisiert hat.
Insofern führt es auch nicht weiter, wenn Prof. Dr. T in seiner „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ (Bl. 41163-41177 HA) ausführt:
„Eine differenzierte Analyse wäre zu demselben Ergebnis gekommen – dieses Gelände hatte grundlegende Fehler und sollte abgelehnt worden sein.“ (Bl. 41168 HA)
Diese, ohne „differenzierte Analyse“ aufgestellte, bloße Behauptung ohne Begründung kann eine Überprüfung der tatsächlichen Umstände, insbesondere der tatsächlich am Veranstaltungstag an- und abströmenden Besucher, nicht ersetzen.
(b) Risikoanalyse auf der Basis „manipulierter“ Planzahlen
Die Risikoanalyse von Prof. Dr. T beruht darüber hinaus nur auf den – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen und ist schon aus diesem Grund nicht geeignet, auch nur ihre Funktion als Risikoanalyse zu erfüllen. Denn eine Risikoanalyse, wie Prof. Dr. T sie unter Verwendung weniger grundlegender Plandokumente und insbesondere der erwarteten Besucherzahlen durchführt, um planerische Grundprob-
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leme hinsichtlich der Geländekapazität des Einlassbereichs zu prüfen, kann nur dann ein etwa bestehendes Risiko abbilden, wenn die tatsächlich zu erwartenden Besucherzahlen dazu verwendet werden. Auch insoweit verstößt Prof. Dr. T damit gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen.
Prof. Dr. T legt seiner Risikoanalyse die im „Bewegungsmodell E “ angegebenen Planzahlen zu dem Zu- und Abstrom von Besuchern als bei der Planung verwendete Zahlen zugrunde, obwohl es sich nach seinen Äußerungen in dem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ bei diesen Planzahlen zu seiner Überzeugung um „manipulierte Daten“ handelt („Wir haben außerdem eine Grafik, die angefertigt wurde, die Ihnen die Kapazität am Standort zeigt. Das hier ist also eine Summe aller ein- und abgehenden Personen, und dieser Wert darf zu keinem Zeitpunkt über die Genehmigungsbedingung von 235.000 Personen auf dem Gelände steigen. Man hat die Daten also tatsächlich manipuliert, damit diese Kurve nie über diesen Wert steigt. Man hat einige Zugangs- und Abgangszahlen geändert und damit ein bisschen jongliert.“ (vgl. die ins Deutsche übersetzte Transkription der Audiodatei „keynote-mmu-29th-nov-2013.mp3“, Bl. 42327-42341 HA, dort Bl. 42339 HA)).
Wenn er aber davon ausgeht, dass „einige Zugangs- und Abgangszahlen geändert und damit ein bisschen jongliert“ wurde, bedeutet dies, dass die aus seiner Sicht letztlich in der Tabelle eingetragenen Zahlen nicht mehr den tatsächlichen Erwartungen entsprachen, sondern „passend gemacht wurden“. Damit entfällt aber die – im Gutachten unterstellte – Richtig- und Verlässlichkeitserwartung im Hinblick auf die verwendeten Zahlen, weshalb sie nicht einer Begutachtung des Risikos (Risikoanalyse) zugrunde gelegt werden können.
Auf entsprechende Frage der Kammer aus dem Beschluss vom 17.02.2015, weshalb er in seinem Gutachten die Zahlen zu Zu- und Abstrom aus dem „Bewegungsmodell E “ als vermeintliche Planzahlen des Veranstalters zur rechnerischen Ermittlung eines Planungsfehlers zugrunde gelegt habe, obwohl es sich ausweislich seiner Äußerung in dem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ um „manipulierte Daten“ gehandelt habe, hat Prof. Dr. T lediglich geantwortet:
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„Wie bereits gesagt, waren beide Gutachten frei zugänglich und öffentlich verfügbar, dazu gehörte auch die Analyse der Daten. Der Begriff "manipulierte Daten" ist der Begriff, der im zweiten Gutachten benutzt wurde.“ (Bl. 44743 HA)
Dies erklärt jedoch nicht, warum er die Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell E “ trotz des Umstandes, dass er sie – auch schon zum Zeitpunkt der Erstellung seines Gutachtens („Der Begriff „manipulierte Daten“ ist der Begriff, der im zweiten Gutachten benutzt wurde.“, Bl. 44743 HA) und nicht erst zu dem des (zeitlich später liegenden) Vortrags – für „manipuliert“ hielt, verwendete.
Erst recht erklärt sich nicht, warum er an diesen Zahlen aus dem „Bewegungsmodell E “ auch noch in seiner mit E-Mail vom 28.11.2014 (Bl. 41368 HA, Bl. 41351 f. HA) an Oberstaatsanwalt N übermittelten „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ (Bl. 41163-41177 HA) festhielt. Denn diese Ausführungen erfolgten zu einem zeitlich deutlich nach seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“, in dem er seine Auffassung der Manipulation dieser Zahlen äußerte, liegenden Zeitpunkt. In dieser „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ führt Prof. Dr. T – die erneute Verwendung dieser Planzahlen bestätigend – aus:
„Wir können nun das mögliche Ausmaß des Problems ermitteln aus den vorausberechneten Ankunfts- und Abflussraten. Diese finden wir in den Daten, Bewegungsmodell E , wie unten in der Tabelle gezeigt.“ (Bl. 41165 HA)
„Die vorhergesagten Besucherzahlen sind ein wesentliches Element im Planungsprozess. Ziel ist es, diese Zahlen zu nutzen um zu bestimmen, ob das Gelände die Kapazität für die vorhergesagten Besucherzahlen aufweist, dies muss die Zustrom-/ Abstrom Kapazität einschließen.“ (Bl. 41173 HA)
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Überdies ist es inhaltlich schon falsch, dass der Begriff „manipulierte Daten“ von ihm bereits im zweiten Gutachten (gemeint ist damit ausweislich seiner weiteren Ausführungen (vgl. Bl. 44742 HA) das Gutachten vom 14.03.2013) benutzt wurde; dort wird an keiner Stelle der Begriff „manipulierte Daten“ genannt oder sonst darauf eingegangen, dass die Zahlen manipuliert worden seien. Wenn die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 ausführt, Prof. Dr. T spreche zwar nicht von „manipuliert“, aber von „verändert“ („changed“), so vermag dies seine Ausführungen, er habe den Begriff „manipulierte Daten“ schon im zweiten Gutachten benutzt, auch nicht zu erklären. Denn in der insoweit von der Staatsanwaltschaft zitierten Fundstelle (Punkt 2.4.1 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 32400 HA, in der Neuübersetzung Bl. 40695 HA) bildet Prof. Dr. T die „Besucherprognose LP2010.ppt“ und darunter das teilweise abweichende Zahlen enthaltende „Bewegungsmodell E “ ab und kommentiert beide mit: „Die Daten in der Tabelle „Bewegungsmodell E aus FVorauswertung H Ex1021_11_D066_2_ehd2, PIGSP08_Produktionsleitungsx-S S " zeigen, dass diese Zahlen gegenüber denen der Tabelle Besucherprognose LP2010.PPT verändert wurden.“, was allerdings eine bloße Beschreibung darstellt und nicht den Vorwurf, die Daten seien „manipuliert“ worden, deckt. Überdies wurden in dieser Tabelle nur die Zugangszahlen geändert (vgl. die farbliche Markierung der entsprechend veränderten Zahlen in der Tabelle). In seinem Vortrag bezieht Prof. Dr. T sich jedoch gerade nicht nur auf die Zugangszahlen, sondern führt vielmehr aus: „Man hat einige Zugangs- und Abgangszahlen geändert (…)“, was die von der Staatsanwaltschaft nunmehr vorgebrachte (Bl. 45195-45196 HA) – in der Anklage im Übrigen noch abweichend vorgenommene („Es liegen nach alledem keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Angeschuldigten G , H , J und I bei ihren Planungen tatsächlich von anderen Zahlen ausgegangen sein könnten.“, S. 456 der Anklageschrift, Bl. 36820 HA, Hervorhebung durch die Kammer) – „Deutung“ widerlegt.
Indem Prof. Dr. T trotz seiner Überzeugung, es habe sich um „manipulierte“ Daten gehandelt, und ohne Befassung mit der sich daraus ergebenden Problematik der Zugrundelegung solcher Daten, die Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell E “ seiner Risikoanalyse zugrunde legte, verstieß er gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen.
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Dies gilt auch, wenn man der Auffassung der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 folgen würde, wonach die Annahme von Prof. Dr. T, die Zahlen seien „manipuliert“ worden, zu Gunsten[Fußnote 92] der Angeschuldigten wirke, weil so von einer verhältnismäßig geringen Besucheranzahl ausgegangen werde (Bl. 45198 HA). Denn auch wenn dies zutreffend sein sollte, was allerdings nicht der Fall ist, hätte Prof. Dr. T seine Risikoanalyse, ohne dies kenntlich zu machen, bewusst auf falsche Zahlen gegründet und damit – mögen diese Zahlen auch zu Gunsten der Angeschuldigten wirken – gegen die ihn als Gutachter treffende Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen verstoßen.
(c) Berechnung des Tunneldurchflusses
Prof. Dr. T führt in seinem Gutachten vom 14.03.2013 aus, auch die Tunnel seien – neben den Vereinzelungsanlagen West und Ost und der Rampe Ost – zu eng dimensioniert und „aufgrund der potentiellen Überfüllung während der Spitzenzeiten des Umstellungszeitraumes im Tunnel-/Rampensystem (Zustrom + Abstrom)“ (vgl. Punkte 5.2.3, 5.2.4 und 5.29.1) nicht „für den Zweck geeignet“ gewesen (vgl. Punkte 2.22.9 und 4.1.1). „Ein Laie (könne) verstehen, dass es für die Tunnel-/ Rampenkapazität eine Grenze“ gebe (Punkt 5.12.5). Um dies einzuschätzen, bedürfe es „eines Mindestmaß(es) an mathematischen Fertigkeiten“, d.h. „die Fähigkeit, die Zustromrate und die Abstromrate zu addieren“, denn „beim Tunnel/bei der Rampe“ handele es sich „um ein kombiniertes Strömen - in das System hinein und wieder heraus“ (Punkt 5.12.8).
Obwohl Prof. Dr. T die Tunnel pauschal einerseits als systemrelevant, andererseits als falsch dimensioniert bewertet, verhalten sich die Ausführungen in seinem Gutachten nicht zu konkreten Berechnungen in Bezug auf die Durchflusskapazität der Tunnel, die den – begründeten – Schluss, auch die Tunnel hätten einen „Dimensionierungsfehler“ aufgewiesen, tragen könnten. Dies stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen dar.
[Fußnote 92: Vgl. hierzu oben unter C. II. 2. b. cc. (1) (a) (aa) (α).]
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Überdies bedürfte es – was die Frage der Erfolgsursächlichkeit einer etwaigen Fehlerhaftigkeit der Planung des Tunneldurchflusses angeht – weiter der Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Tunnel am 24.07.2010 tatsächlich ausgestaltet waren, d.h. wie breit sie (an verschiedenen Stellen) waren, um überhaupt eine solche Berechnung vornehmen zu können. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015, den von ihr am 27.05.2015 beauftragten Ermittlungen der Maße des Tunnels komme keine Relevanz für das Verfahren zu (Bl. 45222 HA).[Fußnote 93]
Zu den Tunneln gab es zum Zeitpunkt der Gutachtenerstattung durch Prof. Dr. T nur die – leicht divergierenden – Bemaßungen im Plan „Östliche Rampe, Karl-Lehr-Straße/Alter Güterbahnhof, Tatortvermessung“ des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen (Sonderbände, Papierakte, Vermessungen Unglücksort Loveparade 2010 LKA, Vermessungen Unglücksort Loveparade 2010, elektronische Seitenzahl 49) mit 17,93 m (Tunnelbreite links, wobei der Tunnel West gemeint sein dürfte) und 17,91 m (Tunnelbreite rechts, wobei der Tunnel Ost gemeint sein dürfte) sowie im Plan „Einbringung der Absperrungen in Skizze“ des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen (Sonderbände, Papierakte, Vermessungen Unglücksort Loveparade 2010 LKA, Vermessungen Unglücksort Loveparade 2010, elektronische Seitenzahl 33) mit den Angaben 17,87 m (Tunnel Ost) und 17,9 m (Tunnel West).
Nur diese Maße hätten von Prof. Dr. T seiner Begutachtung – was jedoch mangels konkreter Berechnungen in Bezug auf die Durchflusskapazität der Tunnel nicht erfolgte – zugrunde gelegt werden können. Nunmehr sind zusätzlich weitere – abweichende – Maße ermittelt worden. Denn die Staatsanwaltschaft beauftragte am 27.05.2015 die Polizei mit einer „Abklärung der tatsächlichen Breite des Tunnels“ (Bl. 45266 HA). Ausweislich des Berichts von KOK K und KHK E vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen vom 31.07.2015 (Sonderordner LKA NRW Darstellung einer Großschadenslage Vermessung Tunnelanlage, elektronische Seitenzahl 3 ff.) wurde „die Tunnelanlage“ bereits am 29.07.2010 mittels Laserscanners durch KHK S digital erfasst und gesichert. Die Auswertung erfolgte schließlich am 28.07.2015 aus den bereits am 29.07.2010 erhobenen Messdaten.
[Fußnote 93: Dazu oben unter C. II. 2. a. dd. (3) (b).]
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Dabei ergab sich, dass die Breite der Tunnelanlage nicht gleichbleibend ist. Vielmehr variiert die Breite zwischen 16,41 m (vom Container zur gegenüberliegenden Tunnelwand (Rampe Ost)) und 20,32 m (am Beginn der Tunnelwand Eingang-West). Diese Maße waren Prof. Dr. T bei seiner Begutachtung nicht bekannt und konnten folglich von ihm auch nicht berücksichtigt werden.
(d) (Grund-)Kenntnisse des deutschen Rechts
Prof. Dr. T verfügt nicht über (Grund-)Kenntnisse des deutschen Rechts, insbesondere nicht über solche zum Kausalitätsbegriff. Daher legte er seiner Begutachtung ein – bezogen auf das deutsche Recht – fehlerhaftes Verständnis der rechtlichen Grundlagen zugrunde, womit er gegen seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen verstieß.
Bei der Begutachtung hatte Prof. Dr. T – wie er in seinen Antworten vom 26.06.2015 angibt – trotz entsprechender Bitte seinerseits (Bl. 44729 HA) keine Unterstützung und/oder Beratung. Er erhielt insbesondere trotz der ihm aufgegebenen Ursachenbetrachtung (Gutachtenauftrag der Staatsanwaltschaft: „Was waren die Ursachen der Menschenverdichtung am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg (unter Berücksichtigung der Planungen sowie der Durchführung) und welche Möglichkeiten der Verhinderung gab es?“ (Bl. 20832 HA)) nach seiner Darstellung keine Hinweise darauf, wie er den dem deutschen Strafrecht zugrunde liegenden Kausalitätsbegriff, dessen Kenntnis/Verständnis für eine Ursachenbetrachtung erforderlich ist, definieren sollte.
Prof. Dr. T ging von Grundlagen des angloamerikanischen Rechtskreises aus, die er dem von ihm in der Fußnote 2 bei Ziffer 1.9.2 seines Gutachtens vom 14.03.2013 zitierten Artikel “Causation in Law“ der Stanford Encyclopedia of Philosophy entnahm. Hierzu führt er aus:
„Es gab keine Anweisung bezüglich der Differenzierung, oder fehlenden Differenzierung, oder der Definitionen von "proximate" oder "distal causation" nach deutschem Recht. Da die Kausalität ein komplexes rechtliches Konzept ist, wurden die so verstandenen Definitionen der Begriffe "proximate" und "distal causality" aufgenommen
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um Referenzbegriffe für die Definitionen und den Wortlaut des Gutachtens zu geben.“ (Bl. 44730 HA).
Prof. Dr. T definiert darüber hinaus den von ihm verwendeten Begriff des „ursächlichen Zusammenhangs“ bzw. der „Verursachung“ in einem unzulässigen Zusammenhang mit Vorhersehbarkeit wie folgt:
„Eine Verursachung wird im Zusammenhang von Vorhersehbarkeit bewertet. Das kann festgestellt werden durch „kann ein angenommenes Risiko vernünftig vor der Veranstaltung vorhergesehen werden?“ Eine Verursachung bezieht sich auf eine bestimmte Handlung oder Unterlassung, die in einen Schaden mündet. Dies bezieht sich auf alle vernünftig vorhersehbaren Risiken auf dem Gelände.“ (Bl. 41533 HA)
„Rechtliche Verursachung wird gemeinhin ausgedrückt als eine Frage der „Vorhersehbarkeit“. Es war vernünftigerweise vorhersehbar, dass es Gedränge in dem System geben würde (Überfüllung), was ein ernsthaftes Risiko für Leib und Leben ist.“ (Bl. 41172 HA)
Die von Prof. Dr. T angewendeten Voraussetzungen für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs bzw. einer Verursachung weichen indes von der im deutschen Strafrecht vorherrschenden Äquivalenztheorie grundlegend ab, denn hiernach ist eine Handlung immer dann Ursache eines Erfolges, wenn die Handlung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., Vor § 13 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen).
Indem Prof. Dr. T die Komponente des „vernünftig Vorhersehbaren“ zur Voraussetzung für das Vorliegen einer „Verursachung“ macht, grenzt er den Begriff der Kausalität – insofern Kausalitäts- und Fahrlässigkeitsbegriff unzulässig vermengend – einerseits bereits abweichend von der Äquivalenztheorie deutlich ein, denn beispielsweise atypische Geschehensabläufe wären nach der im Gutachten von Prof. Dr. T verwendeten Definition gerade nicht kausal. So führen die Verteidiger d Angeschuldigten I , Rechtsanwälte Z , Dr. v und Prof. Dr. R , in ihrem Schriftsatz vom 29.10.2015 auch zutreffend aus, der von Prof. Dr. T verwendete Kausalitätsbegriff greife zu eng, denn gerade „unvorhersehbare
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Zusammenhänge (könnten) in einem ursächlichen Zusammenhang stehen und vorhersehbare Zusammenhänge (könnten) in einem nicht ursächlichen Zusammenhang stehen“ (Bl. 45804 HA).
Andererseits führt die von Prof. Dr. T angenommene Definition zu einer Erweiterung, denn es kommt danach – anders als im deutschen Strafrecht gefordert (vgl. hierzu Fischer, StGB, 63. Aufl., Vor § 13 Rn. 31 ff. mit weiteren Nachweisen) – nicht darauf an, ob sich das Risiko auch tatsächlich realisiert hat. Insofern prüft Prof. Dr. T auch lediglich die Planung und kommt zu dem Ergebnis, dass bereits diese fehlerhaft und die Schädigung vorhersehbar gewesen sei. Ob sich diese fehlerhafte Planung – und darauf kommt es für die Frage an, ob die Angeschuldigten sich (wahrscheinlich) strafbar gemacht haben – aber auch tatsächlich realisiert hat, d.h. die Schädigung gerade aufgrund der fehlerhaften Planung eingetreten ist, begutachtet er hingegen nicht, sondern nimmt lediglich eine indes unzureichende so genannte Risiko- bzw. Näherungsanalyse vor (vgl. beispielsweise die Ausführungen in den Antworten vom 26.06.2015, Bl. 44753 ff. HA).[Fußnote 94]
Darüber hinaus gibt es nach der Äquivalenztheorie die von ihm verwendete Unterscheidung zwischen unmittelbaren/direkten (“proximate“) und mittelbaren/zugrundeliegenden (“distal“) Ursachen nicht. Vielmehr werden hiernach alle Bedingungen gleich gewertet und es wird erst über die Zurechnung von Handlungserfolgen eine Einschränkung vorgenommen (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., Vor § 13 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen). Insofern beruhen die Bewertungen von Prof. Dr. T, insbesondere im Hinblick auf die von ihm so bezeichneten “proximate“ und “distal causes“, auf nicht mit dem deutschen Recht konformen Voraussetzungen.
In Anwendung dieses (fehlerhaften) Kausalitätsbegriffs erfasst Prof. Dr. T etwa – für eine Kausalitätsbetrachtung nach hiesigem Verständnis unbrauchbar – die nach seiner Auffassung fehldimensionierte Auslegung der Vereinzelungsanlagen als sog. mittelbares/distales Versagen der Planung (vgl. Punkt 2.13.6 sowie 4.1 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40709 HA sowie Bl. 40743 HA), wobei er aber unter einer „mittelbaren Ursache“ („distal cause“, Bl. 32394 HA) Folgendes versteht:
[Fußnote 93: Vgl. oben C. II. 2. b. cc. (4) (a).]
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„(…) ein(en) größere(n) Zusammenhang, in dem Einzelpersonen Handlungen vornehmen. Zum Beispiel Umstände, bei denen eine Handlung die Schädigungswahrscheinlichkeit beträchtlich erhöht, der entstehende Schaden jedoch intuitiv einer späteren Intervention zugeschrieben wird“ (vgl. Punkt 1.9.2 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40689 HA)
Überdies stuft Prof. Dr. T in der maßgeblichen Zusammenfassung seiner Gutachtenergebnisse zwar einen „mehrstündigen Menschenstrom durch die Rampenverengung“ als „unmittelbares Versagen“ („proximate failure“, Bl. 32448 HA) ein (vgl. Punkt 4.1.1 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40743 HA), sieht aber gleichzeitig die „Rampenverengung“ auf 10,59 Meter selbst als „mittelbares Versagen“ („distal failure, Bl. 32448 HA) an (vgl. Punkt 4.1.1 des Gutachtens vom 14.04.2013, Bl. 40743 HA).
(e) Anwendung nationaler Normen
Die Begutachtung durch Prof. Dr. T erfolgte (lediglich) aus Sicht eines „britischen Gutachters zur Beratung bei fremdsprachigen Fällen“ (vgl. Bl. 44729 HA), hier ohne Beachtung der nationalen (deutschen) technischen Normen. Einem Gutachten, das die bestehenden nationalen Regeln erst gar nicht erfasst und sich nicht mit nationalen Normen befasst, fehlen die wesentlichen Grundlagen, um die geforderte Sachkunde zu vermitteln. Zwar ist eine bloße Rechtsanwendung nicht Gegenstand der Begutachtung durch einen (technischen) Sachverständigen, dieser muss jedoch – um die Begutachtung ordnungsgemäß durchführen zu können – die dabei zu beachtenden nationalen technischen Normen kennen (bzw. in Erfahrung bringen) und berücksichtigen, woran es hier fehlt. Insoweit verstieß er gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen.
Bei der Begutachtung fanden nationale Normen wie beispielsweise die Sonderbauverordnung NRW oder einschlägige deutsche DIN-Normen[Fußnote 95] keine Berücksichtigung. Prof. Dr. T gibt hierzu in seinen Antworten vom 26.06.2015 an, er habe keine spezifischen Anweisungen bezüglich der Bestimmungen des deutschen Rechts erhalten und sei nur beauftragt worden, die zur Verfügung gestellten Informationen innerhalb der Grenzen seines Fachgebiets zu prüfen (Bl. 44732 HA). Soweit Frau F angibt,
[Fußnote 95: Vgl. hierzu die Ausführungen unter C. II. 2. a. dd. (2) (a) und (b).]
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sie habe Prof. Dr. T „die deutschen Voraussetzungen erklärt (z.B. Sonderbauverordnung und die allgemeine „Situation“ rund um das Thema Veranstaltungssicherheit)“ (Bl. 40949 HA), ergibt sich Entsprechendes aus den Antworten von Prof. Dr. T schon nicht; jedenfalls hat er diese deutschen Normen nicht in seinem Gutachten berücksichtigt. Vielmehr führt er aus:
„Es gab keine Unterstützung/Beratung bezüglich Fragen der deutschen Rechtsordnung, trotz Anfragen zu Referenzbegriffen. Bucks New University und G4S (mein Arbeitgeber) haben sich auf die Position eines britischen Gutachters zur Beratung bei fremdsprachigen Fällen geeinigt.“ (Bl. 44729 HA)
dd. Weitere Beweismittel
Die Anklage stützt den Vorwurf, das Ein- und Ausgangssystem sei nicht geeignet gewesen, die ankommenden und abreisenden Besucher sicher zu führen, es sei daher – erst recht unter Berücksichtigung einer planwidrigen Verengung der Rampe Ost – zu einer Überschreitung der maximalen Durchflusskapazität gekommen,[Fußnote 96] auf die Ausführungen von Prof. Dr. T (vgl. S. 465 ff. der Anklageschrift, Bl. 36829 ff. HA). Diese tragen den Vorwurf indes aus den vorgenannten Gründen nicht.[Fußnote 97] Aber auch nach Auswertung des übrigen Akteninhalts durch die Kammer ergeben sich keine Beweismittel für einen solchen Vorwurf.
(1) Gutachten von V B (I )
Die Staatsanwaltschaft Duisburg beauftragte unmittelbar nach Aufnahme der Ermittlungen am 24.07.2010 zunächst mündlich B mit der Erstellung eines Gutachtens (vgl. Vermerk von Staatsanwalt O vom 29.07.2010, Bl. 522 HA) sowie mit undatiertem Schreiben (Bl. 625 HA) im Anschluss nochmals schriftlich. Frau B legte in der Folge das Gutachten „Loveparade 24. Juli 2010 Duisburg, Sachverständigengutachten 31. Oktober 2010“ (Sonderbände, Papierakte, INVITA, Sachverständigengutachten I ) vor. Am 31.10.2015 übersandte B „vor dem Hintergrund der Bewertung der Anklageschrift und deren möglichen Einwänden der Strafverteidiger bis zum (…) 31. Okt. 2015“ (Bl. 45777 HA) – ohne entsprechen-
[Fußnote 96: Zu den Einzelheiten des Anklagevorwurfs vgl. oben B. I. 2. a. cc..
Fußnote 97: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (2) (c) (cc), C. II. 2. a. dd. (2) (d) sowie C. II. 2. b. bb. und cc..]
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de Beauftragung durch Staatsanwaltschaft oder Gericht – eine weitere Stellungnahme (Bl. 45777-45784 HA).
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.02.2014 wird Frau B zwar als Beweismittel unter der Kategorie „III. Sachverständige und sachverständige Zeugen“ genannt, auf ihr Gutachten wird aber in der Anklageschrift an keiner Stelle Bezug genommen. Allein im Abschlussvermerk vom 10.02.2014 (Bl. 35052 HA) bezieht die Staatsanwaltschaft sich zum Beleg einer fehlerhaften Anbringung von die Rettungswege kennzeichnenden Schildern auf die Ausführungen von Frau B („Tatsächlich waren Schilder, welche die Rettungswege auf dem Gelände auswiesen - soweit überhaupt vorhanden - so niedrig angebracht, dass sie für die Besucher nicht weithin sichtbar waren.“, vgl. die Ausführungen im Gutachten B , S. 123 f.).
Das Gutachten kann einen Beweis für die angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen auch nicht erbringen. Zum einen beruht das Gutachten lediglich auf den bis zum 31.10.2010 vorliegenden Ermittlungsergebnissen, soweit Frau B hiervon Kenntnis hatte, zum anderen ergibt sich aus seinem Inhalt kein solcher Beweis.
(a) Gutachtenstand 31.10.2010
Das Gutachten wurde ausweislich seines Deckblatts am 31.10.2010 fertiggestellt. Daher konnten auch nur die bis dahin vorliegenden Ermittlungsergebnisse – soweit sie Frau B mitgeteilt wurden – Berücksichtigung finden. Alle weiteren Ermittlungsergebnisse fanden keinen Eingang in die gutachterliche Stellungnahme.
Auch in den weiteren Ausführungen vom 31.10.2015 verweist Frau B darauf, dass es sich nicht um neue Erkenntnisse handele, sondern diese aus dem seinerzeit zur Verfügung gestellten und bearbeiteten Material resultierten (Bl. 45777 HA).
Bei den nicht zu ihrer Kenntnis gelangten Ermittlungsergebnissen handelt es sich jedoch um wesentliche Erkenntnisse. So konnten etwa aufgrund erst nach Fertigstellung des Gutachtens erfolgten Verfassens diverse polizeiliche Ermittlungsberichte nicht Gegenstand der Begutachtung werden, denen aber durchaus Relevanz zukommen könnte (vgl. nur beispielsweise „Bericht Hauptspur 16 – Eingangsanlage
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Ost – Karl-Lehr-Straße/Grabenstraße“ des KHK F vom PP Köln vom 28.01.2011 (Bl. 20289-20309 HA), „Ergänzender Vermerk zur Vereinzelungsanlage West“ des KHK H vom PP Köln vom 31.01.2011 (Bl. 20955-20965 HA), „Bericht Objektive Feststellungen auf den Zu- und Abgangsrampen der „Loveparade““ des KHK B vom PP Köln vom 05.07.2011 (Bl. 23476-23665 HA), „Ermittlungsbericht“ des KHK B vom PP Köln vom 29.09.2011, Bl. 25845-26011 HA).
Das Fehlen wesentlicher weiterer Ermittlungsergebnisse schon voraussehend wird im Gutachten ausgeführt:
„Dieser Bericht kann den Anspruch auf Vollständigkeit in der Betrachtung aller Ereignisse im Vorfeld der Loveparade 2010 oder während ihrer Durchführung am 24. Juli 2010 in Duisburg nicht erfüllen, da keine Gewährleistung auf Vollständigkeit der zur Verfügung stehenden Unterlagen besteht.“ (S. 17 des Gutachtens)
Weiter wird zwar im Gutachten ausgeführt:
„Sofern weitere Unterlagen keine neuen oder anders lautenden bzw. widersprüchlichen Sachverhalte darstellen, wird jedoch die hier dargestellte Folgerung letztendlich mit einer weiterführenden Betrachtung identisch sein.“ (S. 17 des Gutachtens)
Ob diese weiteren Unterlagen, d.h. alle nach dem 31.10.2010 gewonnenen Ermittlungsergebnisse, jedoch „keine neuen oder anders lautenden bzw. widersprüchlichen Sachverhalte“ beinhalten, ist zumindest zweifelhaft. Um dies herauszufinden, müsste die Gutachterin den kompletten, nach dem 31.10.2010 zur Akte gelangten Akteninhalt sichten und auswerten. Dies wäre jedoch eine als wesentliche Ermittlung[Fußnote 98] zu qualifizierende Tätigkeit.
(b) Kein Beweis der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen
Aus dem Inhalt des Gutachtens ergibt sich kein Beweis für die angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen. Es verhält sich nämlich – auch in den entsprechenden Antworten zu den durch die Staatsanwaltschaft gestellten Fragen 4 und 5 („Ist die kon-
[Fußnote 98: Vgl. dazu im Folgenden C. II. 2. b. ee..]
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zeptionelle Planung geeignet gewesen, eine sichere Lenkung der Besucherströme zu gewährleisten?“, S. 7 des Gutachtens, sowie „Ist insbesondere das Sicherheitskonzept des Veranstalters geeignet gewesen, Lösungen für Gefahren bereit zu halten? Ist namentlich der erwartete gleichzeitige Zu- und Abstrom von Besuchern (…) hinreichend berücksichtigt worden?“, S. 8 des Gutachtens) – nicht zu den (auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T) konkret erhobenen Anklagevorwürfen. Gleiches gilt für die weiteren Ausführungen vom 31.10.2015.
Das Gutachten zählt vielmehr verschiedene – nicht den konkreten Anklagevorwürfen zugrundeliegende – Fehler auf, die bei der Planung gemacht worden sein sollen: Es hätte aufgrund gegenläufiger Besucherströme eines getrennten Wegekonzepts mit verschiedenen Bahnen für ein- und ausgehende Besucher bedurft. Das Verhältnis von Besucheranzahl, Besucherstrom und Besucherverhalten auf dem vorhandenen Veranstaltungsraum habe nicht im Einklang zu der nutzbaren Gesamtfläche des Geländes gestanden. Daneben seien Fehler bei der Planung der Evakuierung gemacht und keine Lösungen für den Fall einer Massenpanik erdacht worden. Auch die weitere Stellungnahme vom 31.10.2015 enthält keine die konkreten Anklagevorwürfe betreffenden Ausführungen.
Im Gutachten wird zur Frage der Planung im Hinblick auf die Besucherströme insbesondere wie folgt ausgeführt:
„Das Verhältnis von Besucheranzahl, Besucherstrom und Besucherverhalten auf dem vorhandenen Veranstaltungsraum, inkl. der Zugänge Tunnel und Rampen, stand nicht im Einklang zu der nutzbaren Gesamtfläche.“ (S. 138 des Gutachtens)
„Eine Evakuierung der Menschen, ob 250.000 oder auch mehr, wurde nicht als notwendig erachtet. Somit kamen die in der Vorbereitung planenden Gutachter und Brandschützer zu der Erkenntnis, dass eine wesentlich geringere Fluchtwegbreite und eine einzige Eingangssituation ausreichen werden.
Der Fall, dass zunächst einzelne und bereits im frühen Verlauf der Veranstaltung größer werdende Personengruppen das Gelände verlassen möchten, wurde bei der konzeptionellen Planung der Wegeführung jedoch gänzlich vernachlässigt.
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Es hätte der Veranstalterin, den genehmigenden Behörden und Gutachtern auffallen müssen, dass die Breite der Wege nicht nur einen, sondern zwei gegenläufige Besucherströme aufnehmen muss.
Etwaige Vorkehrungen eines sog. Tunnelmanagements, dem Einrichten verschiedener Bahnen / Fahr- / Laufspuren, wurden nicht umgesetzt.
Durch Simulationen ist die Wahrscheinlichkeit als nicht relevantes Risiko eingestuft worden, basierend auf etwaigen Erfahrungen der Veranstalterin und deren Gutachtern (Brandschutz-, Entfluchtungsanalyse sowie dem beauftragten Sachverständigen und Prüfer der Stadt).“ (S. 139 des Gutachtens)
„Sowohl in der Konzeption, als auch der Begutachtung für die Loveparade 2010 in Duisburg ist kein Massenpanik-Szenario im Veranstaltungsraum, inkl. Tunnel, erarbeitet, geprüft und umgesetzt worden.“ (S. 140 des Gutachtens)
„Die Einhaltung der Vorgaben der Genehmigung zur Nutzungsänderung, 250.000 Personen gesamt auf dem Veranstaltungsraum, hätte bei einem geführten Weg-system auf dem Gelände keine Opfer gefordert.“ (S. 141 des Gutachtens)
„Der Fall, dass zunächst Einzelne und bereits im frühen Verlaufe der Veranstaltung größer werdende Personengruppen wieder das Gelände verlassen wollen, wurde bei den Planungen vernachlässigt, obwohl im Konzept zur Rechtfertigung der maximalen Zahl von 250.000 Besuchern eine ständige Fluktuation vorausgesetzt wurde. Dabei hätte auffallen müssen, dass die Breite der Wege nicht mehr nur einen, sondern zwei Besucherströme aufnehmen muss. Eine Wegeführung oder (Hinweis-) Beschilderung zur Besucherlenkung, insbesondere an kritischen Stellen, wie den Zu- und Abwegen durch die Tunnel, kam nicht zum Einsatz.“ (S. 142 des Gutachtens)
„In den Haupteingangsbereichen (hier: Tunnel Ost/West über die beiden Rampen) wurde zu keinem Zeitpunkt zwischen Zustrom und Ablauf der Besucher, mit entsprechender Organisation, Beschallung für Durchsagen, Beschilderung und getrennter Wegeführung unterschieden.“ (S. 145 des Gutachtens)
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„Der Entfluchtung oder gesteuerten Einlasskontrolle sowie der erforderlichen, geordneten Wegeführung durch die Tunnel Ost und West bis zur Rampe, wurde nur geringfügige Beachtung geschenkt.“ (S. 145 des Gutachtens)
„Unabhängig von der Personenmenge galt es, die Besucher in den Ein- und Ausgangswegen kontrolliert, sicher und geordnet zu führen. Entsprechend des zuvor beschriebenen Tunnel-Wegesystems von Prof. H sollten für die Tunnel Ost und West unter Berücksichtigung der sich entgegenkommenden Besucherströme dringend entsprechende Bahnen konzeptionell geplant und umgesetzt werden. In der Regel führen zu Zeiten mit hoher Besucherdichte mehrere Bahnen einwärts und bereits eine Bahn auswärts. Eine Spur bleibt immer frei für die Rettungsfahrzeuge. Die bedeutet im Umkehrschluss bei Verlassen des Geländes sind mehrere Bahnen Ausgang und eine für Rettungsfahrzeuge eingerichtet. Bei einer gegebenen Tunnelbreite von ca. 16,50 m ist dies realistisch und praktikabel umsetzbar.“ (S. 146 des Gutachtens)
„Entgegen der Entfluchtungsanalyse verdeutlichte die Wegbeschreibung zum Veranstaltungsgelände der Loveparade 2010 im Tunnel Ein- und Ausgangsbereich beider Richtungen Ost und West, im Bereich der Rampe jene "gefährliche Kreuzungssituation" der möglichen "vier" Besucherströme, die dringend vermieden werden sollte. Diese planerisch konzipierte und realisierte Wegführung konnte in Anbetracht der prognostizierten Personenzahl nur in einer Katastrophe enden. Diese Kreuzungssituation war von 16 Tunnelstreifen - oder mehr - nicht zu steuern.“ (S. 158 des Gutachtens)
„Zu den im Vorfeld benannten Uhrzeiten, zwischen 17.00 h bis 22.00 h konnte das Gelände den Besucherzugang in der Kürze der Zeit nicht aufnehmen.“ (S. 176 des Gutachtens)
„Die Sicherheit im Tunnel und auf der Rampe war bedingt durch fehlende, getrennte Wegführung und Beschilderung nicht gegeben sowie personell unterbesetzt.
Die Kreuzungssituation der vier Besucherströme, Ost- und West-Eingang sowie Ost- und West-Ausgang war von den beauftragten Tunnelstreifen nicht zu regulieren. Es
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wurde im Haupteingangsbereich inkl. Tunnel und Rampen nie zwischen Zu- und Abstrom der Besucher unterschieden.“ (S. 182 des Gutachtens)
„Die Haupt- und Nebenrampe hätten gut sichtbar mit Ein- und Ausgang getrennt ausgeschildert sein müssen. Beide Rampen hätten, wie im Konzept der Veranstalterin beschrieben, durchgehend geöffnet und durch Ordner bewacht sein müssen.“ (S. 197 des Gutachtens)
„Das Verhindern von Überlastungen im Ein- und Ausgangsbereich, vor dem Tunnel, im Tunnel und auf der Rampe hätte nur durch ein ordentlich geführtes Bahnensystem erreicht werden können.“ (S. 204 des Gutachtens)
Das Gutachten untersucht mithin nicht, ob die Planung – wie auch zum Anklagevorwurf gemacht – im Hinblick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe und des Tunnels unter keinen Umständen geeignet war, die erwarteten Besucherströme zwischen 15 und 19 Uhr sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zu führen, da es – angesichts der prognostizierten Besucherströme unter Berücksichtigung der Gestaltung des Geländes – zwangsläufig zu einer Überschreitung der maximalen Durchflusskapazität habe kommen müssen. Insbesondere wird im Gutachten weder eine Durchflusskapazität des Eingangs-/Ausgangssystems bestimmt, noch der Zeitraum von 15 bis 19 Uhr im Hinblick auf etwaige Überschreitungen dieser Durchflusskapazität anhand von Planzahlen bewertet. Vielmehr geht Frau B in ihrem Gutachten davon aus, dass es bei „Einhaltung der Vorgaben der Genehmigung“ sowie zusätzlich „einem geführten Wegesystem auf dem Gelände keine Opfer“ gegeben hätte.
Auch verhält sich das Gutachten nicht zur Dimensionierung und Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen und zu dem entsprechenden Anklagevorwurf, dass diese – im Hinblick auf deren Positionierung und Durchlassbreiten – nicht geeignet gewesen seien, einen sicheren Durchfluss des erwarteten Besucherstroms zu gewährleisten. Schließlich ist nicht erörtert, inwieweit – entsprechend dem Anklagevorwurf –planerisch von einem sog. „Mitzieheffekt“ hinsichtlich größerer Besuchermengen am Rampenkopf ausgegangen worden sein soll, der tatsächlich – wie zu erwarten – nicht eingetroffen sei.
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Soweit das Gutachten in Antwort auf die gestellte Frage 3 („Sind die Vorgaben der Genehmigung bzw. die Auflagen in tatsächlicher Hinsicht eingehalten worden?“) Ausführungen zu etwaigen Auflagenverstößen enthält, setzt es sich nicht mit der durch die Anklage in Bezug genommenen „Auflage“ Nr. 6, aus der – so die Anklage – folge, dass die Rampe Ost als Fluchtweg von Hindernissen freizuhalten gewesen sei, auseinander.
Stattdessen verhält es sich lediglich allgemein – insoweit über bloße Behauptungen ohne erkennbare wissenschaftliche Begründung nicht hinausgehend und ohne insbesondere den anwendbaren konkreten Sorgfaltspflichtmaßstab zu benennen – zu der Frage, ob die Veranstaltung im Hinblick auf die Führung der prognostizierten Besucherströme sorgfaltswidrig geplant war, weil diese nicht in verschiedenen Bahnen getrennt erfolgte, ohne sich mit den konkret angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen zu befassen oder diese zu belegen.
(2) Wissenschaftliche Ausarbeitung von Prof. Dr. H und M
Ausweislich des Vermerks von Staatsanwältin T vom 27.06.2012 (Sonderbände, Papierakte, Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H , Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H .pdf, elektronische Seitenzahl 3) wurde durch Presseberichte bei der Staatsanwaltschaft Duisburg bekannt, dass der ursprünglich als Sachverständiger vorgesehene Prof. Dr. H (vgl. Bl. 17549-17552 HA sowie Bl. 17986 HA) eine wissenschaftliche Ausarbeitung zu den Ereignissen bei der Loveparade 2010 im Internet unter http://www.f.....com.....pdf veröffentlicht hatte. Die Staatsanwaltschaft ließ diese in englischer Sprache veröffentliche Ausarbeitung von Prof. Dr. H und M in der Folge übersetzen und nahm sie zur Akte (Sonderbände, Papierakte, Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H , Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H .pdf, elektronische Seitenzahlen 66-113).
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.02.2014 wird diese Ausarbeitung von Prof. Dr. H und P M zwar als Beweismittel unter der Kategorie „VI. Aktenbestandteile und Sonderbände insgesamt“ genannt, auf sie wird aber in der Anklageschrift an keiner Stelle Bezug genommen.
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Auch diese Ausarbeitung von Prof. Dr. H und M kann einen Beweis für die angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen nicht erbringen.
Zum einen wurde diese Ausarbeitung ohne Auswertung des Akteninhalts lediglich auf der Basis öffentlich zugänglicher Dokumente erstellt, zum anderen ist sie inhaltlich nicht geeignet, einen solchen Beweis zu erbringen.
(a) Auswertung des Akteninhalts
In der Ausarbeitung wird darauf verwiesen, dass sie (lediglich) auf öffentlich zugänglichen Materialien beruhe. Es wird dazu ausgeführt:
„Eine große Reihe von öffentlich zugänglichen Dokumenten ist nun verfügbar (für eine Sammlung von Links siehe Quellennachweis). Hierzu zählen die Planungsdokumente, das Ereignisprotokoll der Aufsichtsbehörde der Stadt Duisburg und die Evakuierungsanalyse. Die öffentlich zugänglichen Materialien und Augenzeugenberichte belaufen sich nun auf mehrere hundert Seiten und über 500 Videoaufzeichnungen.“ (S. 3/50 der Ausarbeitung)
„Um eine unabhängige Einschätzung zu ermöglichen, bezieht sich unsere Analyse größtenteils auf öffentlich zugängliche, authentische Materialien.“ (S. 3/50 der Ausarbeitung)
Gerade weil Prof. Dr. H und M aber nur die öffentlich zugänglichen Materialien und nicht den Akteninhalt kennen, konnten sie ihrer Bewertung wesentliche Ermittlungsergebnisse (beispielsweise polizeiliche Ermittlungsberichte) nicht zugrunde legen.
Dementsprechend wird in der Ausarbeitung zudem ausgeführt:
„Bitte beachten Sie: Wenn wir uns auf sekundäre Quellen (wie z.B. öffentliche Medienberichte) beziehen, verwenden wir manchmal Formulierungen wie z.B. „anscheinend“ bzw. „scheint“, um darauf hinzuweisen, dass ein Zugang zu den Primärquellen für eine eingehende Analyse wünschenswert wäre.“ (S. 3/50 der Ausarbeitung)
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Um einen umfassenden Überblick über die Ermittlungsergebnisse zu erlangen, müssten Prof. Dr. H und M daher – für den Fall, dass sie als Sachverständige bestellt werden sollten – zunächst den kompletten Akteninhalt sichten und auswerten; dies wäre jedoch eine als wesentliche Ermittlung zu qualifizierende Tätigkeit.[Fußnote 99]
(b) Kein Beweis der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen
Aus dem Inhalt der Ausarbeitung ergibt sich überdies kein Beweis für die angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen.
Die Ausarbeitung belegt nicht die (auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T) erhobenen Anklagevorwürfe, sondern stellt sie vielmehr in Frage.
So führt die Ausarbeitung wie folgt (fehlerhaft hinsichtlich der (dort nicht bekannten) tatsächlich durch das Landeskriminalamt NRW abweichend bestimmten Maße der Örtlichkeit) aus:
„Der kleinste Gesamtdurchmesser der Tunnel im Osten und im Westen betrug zirka 20 Meter (…). Die Rampe selbst war 26 Meter breit und 130 Meter lang (…). Basierend auf dem maximalen Strömungswert von 1.225 Personen pro Meter pro Sekunde (…), würde dies einen hypothetischen, maximalen Strom von 114.660 Personen pro Stunde und eine Dichte von 1,75 Personen pro Quadratmeter bedeuten, wenn die gesamte Rampenbreite nutzbar gewesen wäre. Die tatsächliche Kapazität war jedoch aufgrund folgender Faktoren (siehe auch Abschnitt 2.3) wesentlich niedriger:
Der Wert für den maximal zulässigen Menschenstrom ist unpraktisch, möglicherweise unsicher und daher nicht als Planungsgrundlage geeignet.
Es ist zu erwarten, dass Gegenströme die Kapazität um 6 bis 14 % reduzieren. Dies resultiert in einem hypothetischen Strom von 96.608 Personen pro Stunde.
[Fußnote 99: Vgl. dazu im Folgenden C. II. 2. b. ee..]
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3. Die 90-Grad-Biegung zu und von den Tunneln reduziert erwartungsgemäß auch die Kapazität.
4. Auch das Gehen in Kolonnen vermindert die Kapazität weiter.
5. Alkohol und Drogen haben erwartungsgemäß auch einen negativen Einfluss auf die Kapazität.
6. Eine beträchtliche Kapazität muss auch wegen der Zäune, des Imbissstandes und der Fahrzeuge[Fußnote 100] seitlich der Rampe verloren gegangen sein.“ (Seite 5/50 der Ausarbeitung)
Prof. Dr. H und M gelangen auf dieser Grundlage unter Verwendung eines von dem Wert im Gutachten von Prof. Dr. T (82 Personen/Meter/Minute) abweichenden Durchflussmaximalwerts und unter anderem der weiteren Feststellung, dass nicht nur Zäune, sondern auch ein Imbissstand und die abgeparkten Polizeifahrzeuge für einen „beträchtlichen“ tatsächlichen Kapazitätsverlust sorgten, unter Bezugnahme auf „das Strömungsmodell des Veranstalters“[Fußnote 101] zu der – allerdings mindestens überwiegend nicht den Unglückszeitraum betreffenden – Feststellung, dass der planerische Gesamtzu- und -abfluss von Besuchern im Zeitraum zwischen 17 und 18 Uhr nicht von der „breiten Rampe“ (gemeint: Rampe Ost) hätte bewältigt werden können. Indes stellen sie diese Feststellung zum einen ausdrücklich unter den Vorbehalt des fehlenden Einsatzes geeigneter Massenkontrollmaßnahmen, zum anderen weisen sie auf die (durch Prof. Dr. T in diesem Zusammenhang mit nicht nachvollziehbarer Begründung nicht berücksichtigte[Fußnote 102]) planerische Funktion der Rampe West zu Abstromzwecken hin.
Dass tatsächlich – unter Berücksichtigung der vorgesehenen Personensteuerungselemente sowie der Funktion der Rampe West als weiterer Abgang – im Hinblick auf
[Fußnote 100: Gemeint: die dort in Reihe abgestellten Polizeifahrzeuge.
Fußnote 101: Tabelle 1, Seite 5/50 der Ausarbeitung:
„Das Strömungsmodell des Veranstalters ging von folgenden Zahlen aus:
Zeit Erwarteter Zufluss pro Stunde Erwarteter Abfluss pro Stunde
14.00 - 15.00 Uhr 55.000 10.000
15.00 - 16.00 Uhr 55.000 50.000
16.00 - 17.00 Uhr 55.000 45.000
17.00 - 18.00 Uhr 90.000 55.000“
Fußnote 102: Vgl. C. II. 2. a. dd. (3) (e), C. II. 2. b. bb. sowie C.II. 2. b. cc. (3) (d).]
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die Durchflusskapazität der Rampe Ost pflichtwidrig geplant wurde, stellen sie daher im Ergebnis gerade nicht fest. Sie führen vielmehr aus:
„Laut Tabelle 1 erwarteten die Veranstalter zwischen 17.00 und 18.00 Uhr einen Zufluss von 90.000 Personen und einen Abfluss von 55.000 Personen. Dies hätte nicht von der breiten Rampe ohne Einsatz geeigneter Massenkontrolle bewältigt werden können. Probleme hätten bereits bei geringeren Stromzahlen erwartet werden müssen, weil dort Fahrzeuge und ein Imbiss-Stand sowie Zäune auf der Rampe waren, welche die Kapazität beträchtlich reduziert haben müssen. Dieser Risikofaktor war sicherlich vom Crowd Management Konzept zu berücksichtigen. Tatsächlich wurde die Seitenrampe (siehe Abbildung 1) als zusätzliche Ausgangsrampe zugerechnet, und das Organisationskonzept sah die Möglichkeit der Reduzierung der Besucherströme durch „Absperrvorrichtungen“ (Zugangskontrollpunkte) vor, die sich vor den Tunneleingängen befanden (…). Trotz dieser Tatsache wurde die Zugangskontrolle stoßweise wegen des großen Drucks durch hereinkommende Besucher aufgegeben (…). Das Festivalgelände selbst war anscheinend nicht überlaufen (…).“ (S. 7/50 der Ausarbeitung, Hervorhebungen durch die Kammer)
Weiter wird unter Berücksichtigung der ihnen bekannten Ausführungen im (ersten) Gutachten von Prof. Dr. T vom 09.12.2011 ausgeführt:
„Die Analyse der effektiven Kapazität der Hauptrampe deutet darauf hin, dass die Probleme auf der Rampe vorhersehbar waren, und es erhebt sich die Frage, weshalb dort Hindernisse platziert wurden. Jedoch sollte eine vollständige Bewertung auch das Vorhandensein der Seitenrampe (siehe Abbildung 1) berücksichtigen. Darüber hinaus erreichten aufgrund der angewendeten Zugangskontrollen die Ströme auf der Hauptrampe bei weitem nicht die erwarteten Ströme. Dies kann direkt aus der Tatsache abgeleitet werden, dass – bevor der Strom in diesem Bereich von 16.02 Uhr an zwischen den beiden dreieckigen Hindernissen, die den engsten Teil der Rampe bestimmten, kontrolliert wurde – es zu keiner Zeit einen signifikanten Stau gegeben hatte. Dies ist deutlich in den Überwachungsvideos zu sehen (…). Demgegenüber wäre ein aktiver Engpass durch die Bildung einer Warteschlange gekennzeichnet (…). Menschenschlangen haben sich nicht in der Mitte der Rampe
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gebildet, sonder eher am oberen Ende, wo Besucher gerade versuchten, das Festivalgelände zu betreten. Dies ist jedoch nicht die Stelle, wo sich das Massenunglück ereignete. Weil man also die Probleme in der Mitte der Rampe erwarten musste, wo sich die dreieckigen Hindernisse befanden, wurde das Massenunglück tatsächlich nicht durch diese Hindernisse verursacht. Der Verlauf der Ereignisse, die das Massenunglück zur Folge hatten, involvierte eine Menge dazu beitragender Faktoren, die wir im Folgenden darstellen. Das Ergebnis unserer Studie ist im Einklang mit einem Zitat, das sich auf das Hillsborough Unglück im Jahr 1989 bezieht, anscheinend auf den Erzbischof von York zurückgeht und in der Doktorarbeit von T zu finden ist (…): „Ereignisse in der Größenordnung von Hillsborough geschehen weder aus einem einzigen Grund, noch ist es normalerweise möglich, die Schuld einem einzigen Sündenbock zuzuschreiben…Unglücke passieren, weil eine ganze Reihe von Fehlern, Fehleinschätzungen und Missgeschicke in tödlicher Kombination zusammenkommen.““ (S. 8 f./50 der Ausarbeitung, Hervorhebungen durch die Kammer)
Dabei kommen Prof. Dr. H und M im Übrigen – anders als Vita Berrer – zu dem Ergebnis, eine fehlende Trennung der gegenläufigen Besucherströme habe für den „Normalveranstaltungsbetrieb“ gerade kein erfolgsursächliches Planungsdefizit dargestellt:
„Es ist bekannt, dass dichte Gegenströme nicht stabil sind und gegenseitige Blockierungen hervorrufen können, was Massenunglücke verursachen kann (…). Aus solchen Gründen wird empfohlen, die Flussrichtungen bei Massenveranstaltungen zu trennen. Es war jedoch nicht die Instabilität der dichten Gegenströme, die das Geschehnis in Duisburg verursachten. Die fehlende Trennung der Flussrichtungen ermöglichte jedoch keine Räumung der Rampe, nachdem sie durch die Auflösung von zwei Kordonen von Menschen überfüllt wurde.“ (S. 22/50 der Ausarbeitung)
Auch belegt die Ausarbeitung nicht den Anklagevorwurf, dass die Vereinzelungsanlagen im Hinblick auf ihre Positionierung und Durchlassbreiten nicht geeignet waren, einen sicheren Durchfluss des erwarteten Besucherstroms zu gewährleisten. Vielmehr führt sie ein (für möglich erachtetes) Zuflusskapazitätsproblem (jedenfalls
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maßgeblich und ohne Nennung von Alternativursachen) auf die verspätete Öffnung des Geländes zurück:
„Wenn man bedenkt, dass das Festivalgelände und die Zuflusskapazität zu gering war (insbesondere weil der Zutritt durch Planierungsarbeiten verspätet wurde)…“ (S. 14/50 der Ausarbeitung)
„Infolge der Verspätungen bei der Fertigstellung der Planierarbeiten (…) wird das Festivalgelände der Love Parade später als erwartet eröffnet (…). Dies impliziert eine frühzeitige Überlastung der Zugangspunkte und verursachte eine ungeduldige Menschenmenge (insbesondere da außerhalb des Festivalgeländes die sanitären Einrichtungen, die Versorgung und Unterhaltung wahrscheinlich zu spärlich waren)“. (S. 14/50 der Ausarbeitung)
Schließlich ist nicht erörtert, inwieweit – entsprechend dem Anklagevorwurf – planerisch von einem sog. „Mitzieheffekt“ hinsichtlich größerer Besuchermengen am Rampenkopf ausgegangen worden sein soll, der tatsächlich – wie zu erwarten – nicht eingetroffen sei. So setzt sich die Ausarbeitung bereits nicht mit der insoweit maßgeblichen Planung auseinander, sondern formuliert zusammenfassend lediglich bestimmte Abläufe beschreibend und den konkreten Anklagevorwurf nicht belegend:
„Das Zusammenspiel der Floats mit der Menschenmenge ermöglicht keinen hinreichenden Zufluss zum Festivalgelände. Dies erfordert anscheinend, dass Einsatzkräfte des Crowd Management von den Absperrvorrichtungen zum Ende der Rampe verlegt werden, um den Zufluss zu verbessern; die gewünschte Unterstützung von VIPs scheint ebenfalls einige Arbeitskräfte in Anspruch zu nehmen (…).“ (S. 27/50 der Ausarbeitung)
Zudem lässt die Ausarbeitung offen, ob planerisch vorgesehene Maßnahmen (Ordner, Floats) grundsätzlich geeignet gewesen wären, Verdichtungen am Rampenkopf aufzulösen. So heißt es diesbezüglich lediglich – tatsächliche Umstände im Veranstaltungsablauf heranziehend:
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„Während die Veranstalter die Möglichkeit von Zuflussproblemen (…) in Betracht gezogen haben, nahmen sie an, dass dies von „Antreibern“ am oberen Ende der Rampe gehandhabt werden könnte und die Floats ebenfalls genutzt werden könnten, um die Problem[e] zu vermindern (indem die Floats die Menschenmenge auf das Festivalgelände locken und sich die Menschen mit ihnen dort hinbewegen). (…) Anscheinend gab es jedoch nicht ausreichend genug Antreiber (…) und die Floats schafften es nicht, die Zuflussprobleme zu beheben. Es sieht so aus, dass die Floats durch die dichte Menschenmenge abgebremst wurden, was wiederum den Zufluss der Besucher behinderte. Hierdurch wurde eine ungünstige Rückkopplungsschleife erzeugt.“ (S. 15/50 der Ausarbeitung)
Mit etwaigen Fehlern im Rahmen der Erteilung der Nutzungsänderungsgenehmigung sowie der Bauüberwachung bzw. dem etwaigen Verstoß gegen Auflagen der Nutzungsänderungsgenehmigung setzt sich die Ausarbeitung nicht auseinander.
Insgesamt kommen Prof. Dr. H und M vielmehr zu dem – die Anklagevorwürfe nicht belegenden – Ergebnis, die Geschehnisse beruhten auf einem „systemischen Versagen“, d.h. auf einem Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Faktoren im Sinne von Interaktionseffekten, wobei der der Anklage zugrunde liegende Aspekt eines Durchflusskapazitätsdefizits des Ein- und Ausgangssystems (insbesondere der Rampe Ost) von ihnen gerade nicht aufgeführt wird.
In der Ausarbeitung heißt es insofern insbesondere:
„Deshalb haben viele Unglücke nicht nur einen einzigen Faktor als Ursache. Sie sind das Resultat von Interaktionseffekten. Dies trifft auch auf das Love Parade Unglück zu, das, wie wir es unten darlegen, als Resultat einer systemischen Instabilität verstanden werden kann. Der Begriff „systemische Instabilität“ wird hier für Situationen benutzt, wo kleine Störungen eine Reihe von Ereignissen durch wechselseitige Verstärkungseffekte in einer Art und Weise auslösen können, dass die Dinge schließlich außer Kontrolle geraten, selbst wenn jeder einzelne sich sehr bemüht.“ (S. 24/50 der Ausarbeitung)
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„Die folgende Analyse erörtert Domino-Effekte, die (höchst wahrscheinlich) zum Love Parade Unglück in Duisburg beigetragen haben.
- Berlin lehnt die Ausrichtung der Love Parade (LP) ab, und andere Städte übernehmen sie.
Die Love Parade zieht von Stadt zu Stadt. Dies schafft jedes Mal neue, organisatorische Herausforderungen (an schwierigeren Standorten als Berlin, das über breite Straßen und weiträumige Flächen verfügt). Die Änderung von Organisations-Teams macht es schwierig, bei mehreren Veranstaltungen Erfahrungen in der Führung von Menschenmengen (Crowd Management) sammeln zu können.
- Wuppertal muss die Love Parade absagen, weil es die Sicherheitsherausforderungen nicht bewältigen kann.
- Duisburg/Essen wird zur Kulturmetropole 2010 gewählt. Man steht unter Druck, ein attraktives Kulturprogramm vorzulegen. Dieser Umstand scheint den politischen Willen zur Genehmigung der Love Parade geschaffen zu haben.
- Das Festivalgelände in Duisburg bietet keine Kapazitätsreserven und impliziert eine Reihe von organisatorischen Schwierigkeiten. Im Tunnel und auf der Rampe werden die Zuflüsse und Abflüsse nicht getrennt und es gibt keine separate Fahrstrecke für Rettungswagen (d.h., sie müssen auch den Tunnel nutzen).
- Um Sicherheitsbedenken zu bewältigen, wird eine Evakuierungsstudie in Auftrag gegeben. Sie konzentriert sich hauptsächlich auf Evakuierungsszenarien, die eine maximale Anzahl von gleichzeitig vorhandenen Besuchern unterstellt, so wie es vom Sicherheitskonzept der Stadt verlangt wurde.
- Wegen der späten Genehmigung der Veranstaltung könnte das Sicherheitskonzept "in letzter Minute" fertiggestellt worden sein (und umgekehrt). Die wahrscheinliche Konsequenz hieraus ist, dass die Notfallpläne nicht ausreichend gewesen sein könnten und vielleicht nicht hinreichend geübt werden konnten. Wahrscheinlich war auch nicht genügend Zeit für eine gute Koordination zwischen Organisatoren und Polizeikräften zu sorgen.
- Infolge der Verspätungen bei der Fertigstellung der Planierarbeiten wird das Festivalgelände der Love Parade später als erwartet eröffnet. Dies impliziert eine frühzeitige Überlastung der Zugangspunkte und verursachte eine ungeduldige Menschenmenge (insbesondere da außerhalb des Festivalgeländes die sanitären Einrichtungen, die Versorgung und Unterhaltung wahrscheinlich zu spärlich waren).
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- Leute betreten das Gebiet der Love Parade später und kehren früher zurück als erwartet.
- Das Zusammenspiel der Floats mit der Menschenmenge ermöglicht keinen hinreichenden Zufluss zum Festivalgelände. Dies erfordert anscheinend, dass Einsatzkräfte des Crowd Management von den Absperrvorrichtungen zum Ende der Rampe verlegt werden, um den Zufluss zu verbessern; die gewünschte Unterstützung von VIPs scheint ebenfalls einige Arbeitskräfte in Anspruch zu nehmen.
- Die Führung von Menschenmengen (Crowd Management) hat Probleme, die Absperrvorrichtungen zu kontrollieren und versucht, die Unterstützung durch die Polizei zu organisieren.
- Es gibt Probleme bei der Kommunikation und Koordination zwischen Organisatoren und Polizei. Geeignete Kommunikationsmittel fehlen oder funktionieren nicht zuverlässig. Daher ist das Feedback zwischen Sachlage, Crowd Management und der Menschenmenge unzureichend.
- Wegen Kommunikationsproblemen und einem Schichtwechsel der Polizei könnte dich Unterstützung er Polizei verzögert worden sein. Darüber muss es für die Polizisten der neuen Schicht schwierig gewesen sein, sich einen Überblick der Lage zu verschaffen.
- Vielleicht aufgrund der Dringlichkeit der Lage wird die Entscheidung getroffen, zwei Polizeikordone in den zur Rampe führenden Tunneln zu bilden. Ein dritter Polizeikordon wird in der Mitte der Rampe eingerichtet, wo Zäune die Breite der Rampe verringern. Dies soll verhindern, dass die das Festivalgelände verlassenden Besucher von hinten die Polizeikordone untergraben.
- Wahrscheinlich wegen des hohen Drucks der ankommenden Menge werden die Polizeikordone im Tunnel aufgegeben. Hierdurch wird das Problem am oberen Ende der Rampe durch ein viel größeres Problem in der Mitte ersetzt: Viele Besucher gehen durch den Tunnel zum unteren Rampenbereich, während viele andere am oberen Ende warten, um die Veranstaltung zu verlassen. Da der dritte Kordon den Zufluss und Abfluss der Menschen blockiert, wachsen die aus ankommenden und hinausgehenden Besuchern bestehenden Stauungen auf beiden Seiten des Kordons 3 schnell an. Dieser Kordon wird aufgelöst, weil er nicht effektiv ist, und es wird ein neuer Polizeikordon am oberen Ende der Rampe gebildet.
- Zu diesem Zeitpunkt ist die Situation in der Menge bereits kritisch. Die fehlende Trennung der gegenläufigen Stromrichtungen macht es schwierig, Menschen he-
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rauszulassen ohne andere hereinzulassen. Deshalb ist eine effektive Evakuierung der Rampe nicht möglich.
- Die auf der Rampe befindlichen Menschen versuchen, der lebensgefährlichen Situation zu entkommen – über die Treppe, den Mast/die Mastbäume und den Container. Diese könnten als "Meute" fehl interpretiert worden sein, die versucht, sich ihren Weg zu dem zu kontrollierenden Festivalgelände zu bahnen. Bemühungen zur Druckentlastung werden erst sehr spät wirksam.
- Mangels separater Fluchtwege müssen Zäune und Kordone geöffnet werden, damit das Rettungsfahrzeug passieren kann. Dies schafft Öffnungen für einen weiteren Menschenzufluss.
- Die Überfüllung verursacht eine gefährliche "Massenturbulenz". Viele Menschen fallen hin und türmen sich auf. Die Einsatzkräfte können die Menschen nicht schnell genug erreichen. 21 Menschen sterben an Erstickung, und mehr als 500 werden verletzt.
- Da eine unerwartet hohe Zahl von Menschen Hilfe benötigt, gibt es nicht genügend Einsatzkräfte am Unglücksort. Deshalb wird im Tunnel ein Sichtungsverfahren vorgenommen. Somit erhalten viele Menschen, die sich in einem kritischen Gesundheitszustand befinden, keine erste Hilfe.“ (S. 25/50-28/50 der Ausarbeitung)
(3) Angaben von Prof. Dr. T
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 10.02.2014 wird Prof. Dr. T als Zeuge benannt, zudem werden bei der Aufzählung der Beweismittel unter der Kategorie „IV. Urkunden“ unter anderem eine Stellungnahme von Prof. Dr. T zum Verkehrskonzept während der Loveparade (dort benannt als BMO S 13 Bl. 119, nach neuer Aktennummerierung BMO S 13, elektronische Seitenzahl 134), eine E-Mail von ihm an d Angeschuldigte B zur Entfluchtungsanalyse (dort benannt als BMO S 8, Bl. 121, nach neuer Aktennummerierung BMO S 8, elektronische Seitenzahl 139-140) und Vermerke über eine Erörterung mit ihm am 12.07.2010 über die Planungen für die Zu- und Abwege bei der Loveparade (Bl. 7100 ff. HA) angeführt sowie unter der Kategorie „VI. Aktenbestandteile und Sonderbände insgesamt“ eine Personenakte, ein Beweismittelordner (BMO S 52) und ein Sonderheft „Auskünfte S “ genannt. Die angeklagten
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Sorgfaltspflichtverletzungen werden jedoch in der Anklageschrift nicht auf Ausführungen von Prof. Dr. T gestützt.
Aus dem Akteninhalt ergeben sich auch keine Ausführungen von Prof. Dr. T , die einen Beweis für die angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen erbringen könnten.
In seiner „Stellungnahme zum Verkehrskonzept der Loveparade in Duisburg 2010“ vom 31.05.2010 (BMO S 13, elektronische Seitenzahl 134) nimmt Prof. Dr. T lediglich allgemein gehalten Stellung in Bezug auf die Besuchersteuerung zwischen dem Hauptbahnhof und dem Veranstaltungsgelände.
In seiner zeugenschaftlichen Vernehmung am 19.03.2012 gibt er an, er habe in allgemeiner Form und ohne konkrete Kenntnisse zu haben, „vor dem Tunnel und der Rampe“ gewarnt, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Evakuierung (Bl. 28404 HA).
In einer E-Mail an d Angeschuldigte B vom 16.07.2010, 17.41 Uhr (BMO S 8, elektronische Seitenzahl 139-140) führt Prof. Dr. T aus, die ihm vorliegende Entfluchtungsanalyse der TraffGo basiere im Wesentlichen auf dem Einsatz etablierter Simulationsverfahren zur Berechnung von Menschenströmen und -dichten. Innerhalb der Möglichkeiten von Simulationsuntersuchungen seien die Ergebnisse nachvollziehbar und für die beschriebenen Szenarien als realistisch anzusehen. Damit sei indes nicht ausgesagt, dass sich eventuell die Menschen vor Ort in den entsprechenden Situationen anders (wohl gemeint: nicht auch anders) verhalten könnten und abweichende Szenarien entstünden. Die Ergebnisse der Analyse ließen im Kern den Schluss zu, dass eine Entfluchtung des Veranstaltungsgeländes im Rahmen eines vertretbaren Risikos, insbesondere durch hohe Personendichten, möglich sei. Allerdings komme dem Zugang zum Gelände durch den Tunnel Karl-Lehr-Straße eine besondere Rolle zu, die in jedem Falle eine detailliertere Betrachtung benötige.
In dem Ergebnisprotokoll von PHK S vom PP Duisburg vom 12.07.2010 zur „Besprechung am 12.07.2010 zur Problematik Sperrstellen“ (Bl. 7102-7103 HA) wird
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geschildert, Prof. Dr. T habe in dieser Besprechung geäußert, er erachte das gewählte Verfahren der Meldesystematik für zuvor festgelegte Bereiche zur Feststellung der Füllung des Veranstaltungsraumes als geeignet. Weiter habe Prof. Dr. T mitgeteilt, die Besucherströme sollten, solange es möglich sei, ungehindert fließen können, nur im Bedarfsfall sollte eine Segmentierung vorgenommen werden, um eine Drucksituation auf eine bestimmte Stelle entschärfen zu können.
In der im Schriftsatz seines Bevollmächtigten, Rechtsanwalt H , vom 08.11.2010 – dessen Inhalt Prof. Dr. T ausweislich seiner diesbezüglichen Angaben in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung vom 19.03.2012 zum Inhalt seiner Zeugenvernehmung macht (Bl. 28395 HA) – enthaltenen „Stellungnahme aus wissenschaftlicher Sicht“ (Bl. 11549-11551 HA) wird zwar ausgeführt, im Tunnel Karl-Lehr-Straße und im Tunnel im Bahnhof habe aufgrund der räumlichen Begrenzung nur eine beschränkte Kapazität zur Verfügung gestanden, so dass sich die Frage stelle, ob diese Bereiche überhaupt bei realistischer Betrachtung in der Lage gewesen wären, die Besucherströme zu bewältigen. Es wird sodann jedoch unter Zugrundelegung eines „Durchlasses“ von 1,33 Personen pro Meter und Sekunde der „Fluss“ für die „breite Rampe“ (gemeint: Rampe Ost), deren Breite mit 18 Metern bemessen wird, mit circa 86.000 Personen pro Stunde, für die „schmale Rampe“ (gemeint: Rampe West), die mit 7 Metern eingerechnet wird, mit circa 33.500 Personen pro Stunde und für den Tunnel von beiden Seiten, dessen Maß – nach den Vermessungen des Landeskriminalamts NRW[Fußnote 103] deutlich zu gering – mit je 14 Metern angegeben wird, von circa 134.000 Personen pro Stunde berechnet. Mögliche Gegenströme könnten nach den Ausführungen zu „Reduktionen um 10-15 %“ führen, „also immer noch über 100.000 Personen pro Stunde über die Rampen“. Im Ergebnis wird daher lediglich festgestellt, dass es unerlässlich gewesen sei, die Anzahl der Besucher im Tunnel zu überwachen. Sei die kritische Grenze nicht erreicht, könne das Konzept funktionieren; falls zu viele Menschen in Richtung Tunnel drängten, sei ein Steuerungskonzept notwendig. Für den Fall der Überfüllung mit nicht zeitnaher Entfluchtung wird weiter ausgeführt, in einer solchen Situation hätte damit gerechnet werden müssen, dass die Menschen die Treppe zur Flucht nutzen würden; diese hätte des-
[Fußnote 103: Vgl. dazu C. II. 2. a. dd. (3) (b) sowie C. II. 2. b. cc. (4) (c).]
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halb entsprechend gesichert oder einer sicheren Verwendung zur Entfluchtung zugeführt werden müssen.
Zu einer – entsprechend dem Anklagevorwurf der Staatsanwaltschaft – fehlerhaften Dimensionierung des Ein- und Ausgangssystems im Hinblick auf die Durchflusskapazität fehlt es somit an konkreten Ausführungen von Prof. Dr. T . Vielmehr geht er davon aus, dass das „Konzept funktionieren“ könne, wenn die Anzahl der Menschen im Tunnel überwacht würde und dass es – für den Fall, dass zu viele Menschen in Richtung Tunnel drängten, – ein Steuerungskonzept gebe.
Im Übrigen hat auch Prof. Dr. T nur partielle Kenntnisse von den Planungsunterlagen. Ausweislich seiner Angaben in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung vom 19.03.2012 hatte er einen Ordner mit „Ausklapp-Plänen“ erhalten mit Stand Mai 2010 (Bl. 28408 HA). Er bekundete weiter, er habe zwar auch Zugriff auf den „Sharepoint“ der Stadt Duisburg gehabt, darauf aber nie zugegriffen, weil er diesen für seine Aufgabenerledigung nicht benötigt habe (Bl. 28409 HA). Um einen umfassenden Überblick über die tatsächlichen Umstände zu erlangen, müsste Prof. Dr. T – würde er als Sachverständiger bestellt werden – daher zunächst den kompletten Akteninhalt sichten und auswerten; dies wäre jedoch eine als wesentliche Ermittlung[Fußnote 104] zu qualifizierende Tätigkeit.
(4) Angaben von Dr. O
Dr. O nahm ausweislich seiner zeugenschaftlichen Vernehmung vom 04.08.2010 (Bl. 892-895 HA) am 30.07.2010 per E-Mail Kontakt zur Polizei in Köln auf und übersandte dieser eine von ihm gefertigte „Analyse der Besucherzahlen und der Ereignisse auf der Rampe zum Veranstaltungsgelände während der Loveparade 2010 in Duisburg“ (Bl. 883-891 HA). Im Rahmen des von ihm zum damaligen Zeitpunkt für seinen Arbeitgeber, die Vereinigung zur Förderung des deutschen Brandschutzes, koordinierten Forschungsprojekts „Risiko Großveranstaltungen – Planung, Evakuierung, Rettungskonzepte“ führte er Veranstaltungsanalysen verschiedener Großveranstaltungen durch, in deren Rahmen er die jeweiligen Veranstaltungen besuchte und mit Filmmaterial dokumentierte. Die von ihm in diesem Zu-
[Fußnote 104: Dazu im Folgenden C. II. 2. b. ee..]
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sammenhang erbetene Filmerlaubnis für den Eingangsbereich des Veranstaltungsgeländes der Loveparade 2010 erhielt er von der M GmbH nicht; er bekam jedoch die Gelegenheit, aus einem Büro der Stadt Duisburg in der 14. Etage des Hoist-Hauses zu filmen. Von dort konnte er allerdings die von ihm so bezeichnete „Tunnelanlage“ nicht einsehen, weil der Blick dorthin durch die Hallen des ehemaligen Güterbahnhofs versperrt war.
Aus dem Akteninhalt lassen sich keine Ausführungen des von der Anklage bereits nicht als Beweismittel benannten Dr. O entnehmen, die einen Beweis für die von der Anklage angenommenen Sorgfaltspflichtverletzungen erbringen könnten.
Denn weder aus seiner zeugenschaftlichen Vernehmung vom 04.08.2010 (Bl. 892-895 HA) noch aus der von ihm erstellten „Analyse der Besucherzahlen und der Ereignisse auf der Rampe zum Veranstaltungsgelände während der Loveparade 2010 in Duisburg“ vom 30.07.2010 (Bl. 883-891 HA) ergeben sich tragfähige Belege für die von der Anklage angenommenen Sorgfaltspflichtverletzungen. Dr. O führt lediglich aus, er habe anhand einer physikalischen Formel den maximalen Personenfluss im Tunnel in eine Richtung berechnet. Insofern ist hierdurch – wobei unklar bleibt, auf welcher Basis er seine Berechnungen vornahm – nur ein Teilaspekt des Anklagevorwurfs angesprochen; es fehlt indes gänzlich an einer Befassung mit den Vereinzelungsanlagen sowie der Rampe Ost und West als wesentlichen Komponenten des Ein- und Ausgangssystems und etwaigen für diese zu beachtenden Maßstäben.
Überdies hat Dr. O keine Kenntnis des Akteninhalts und müsste – würde er als Sachverständiger bestellt werden – daher zunächst den kompletten Akteninhalt sichten und auswerten; dies wäre jedoch eine als wesentliche Ermittlung[Fußnote 105] zu qualifizierende Tätigkeit.
[Fußnote 105: Dazu im Folgenden C. II. 2. b. ee..]
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ee. Weitere Ermittlungen
Weitere Ermittlungen, die einen hinreichenden Beweis für die angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen erbringen könnten, konnten von der Kammer im Zwischenverfahren nicht durchgeführt werden.
Denn zu solchen Ermittlungen ist die Kammer vorliegend weder berechtigt noch gehalten.[Fußnote 106]
Da das von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eingeholte Gutachten von Prof. Dr. T unverwertbar ist und keinen Beweis für die Sorgfaltspflichtverletzungen bieten kann und es auch keine weiteren Beweismittel hierfür gibt, bedürfte es weiterer Ermittlungen. Insofern käme die Einholung eines neuen Gutachtens (eines anderen Sachverständigen) in Betracht. Dies ist der Kammer im Rahmen des § 202 StPO im Zwischenverfahren nicht möglich.[Fußnote 107] Dabei würde es sich gerade um eine „wesentliche Ermittlung“ und nicht nur um „einzelne Beweiserhebungen“ handeln. Denn ein neues Sachverständigengutachten (oder auch eine Weiterbefassung eines bereits in Grundzügen mit der Sache vertrauten Sachverständigen bzw. hierzu zu Bestellenden) müsste sich unter anderem insbesondere mit der Auswertung der (umfangreichen) Planungsunterlagen auseinandersetzen, um die Frage beantworten zu können, ob die angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen vorlagen.
3. Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg
Einen hinreichenden Verdacht, dass die Angeschuldigten J , G , H und I die ihnen in der Anklageschrift vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen begangen haben, unterstellt[Fußnote 108], fehlt es an einem hinreichenden Verdacht einer Kausalität dieser Sorgfaltspflichtverletzungen bzw. ihrer Realisierung im konkreten Taterfolg.
[Fußnote 106: Vgl. hierzu oben bei C. II. 2. a. dd. (2) (e).
Fußnote 107: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (2) (e).
Fußnote 108: Vgl. die Zusammenfassung oben unter B. I. 2. a. cc..]
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a. Rechtliche Grundlagen
Sowohl der strafrechtliche Vorwurf der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB als auch der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB setzen voraus, dass der strafrechtliche Erfolg auf einem objektiv pflichtwidrigen Verhalten beruht und der Ablauf für den Täter subjektiv vorhersehbar und vermeidbar war. Sofern der strafrechtliche Erfolg auf mehreren Ursachen beruht, ist wiederum jede Ursache für sich strafrechtlich relevant, wenn ohne sie der Erfolg in seiner konkreten Gestalt nicht eingetreten wäre (vgl. etwa OLG Düsseldorf, 3 Ws 649/02, OLGSt § 222 Nr. 10).
Maßgeblich ist die ursächliche Verbindung zwischen dem wirklichen Geschehensablauf und dem konkreten Erfolg; der Umstand, dass der sozialschädliche Erfolg später aufgrund anderer Ereignisse und in anderer Weise ebenfalls eingetreten wäre, beseitigt die Ursächlichkeit der realen Bewirkungshandlung nicht (vgl. BGH, NStZ 1981, 218). Es genügt dabei, dass die Handlung eine (mit-)ursächliche Bedingung für den konkreten Erfolg war oder dessen Eintritt beschleunigt hat (vgl. BGH, NStZ 1981, 218). Dabei wird der Ursachenzusammenhang grundsätzlich nicht dadurch unterbrochen, dass ein Dritter fahrlässig oder vorsätzlich in das Kausalgeschehen eingreift, sofern er dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also Bedingung seines eigenen Eingreifens war (vgl. BGH, NJW 1994, 205; OLG Celle, NJW 2001, 2816). Anders verhält es sich allerdings, wenn ein Ereignis die Wirkung des bisherigen Ursachenzusammenhangs vollständig beseitigt und unter Eröffnung einer neuen Kausalkette den Erfolg allein herbeiführt (vgl. etwa BGH, NJW 1994, 205; OLG Celle, NJW 2001, 2816).
Verletzung einer Sorgfaltspflicht und Erfolgsverursachung begründen dabei für sich allein noch nicht den Unrechtstatbestand; vielmehr muss im Todes- bzw. Verletzungserfolg aufgrund eines tatbestandsadäquaten Verletzungsverlaufs gerade die „Pflichtwidrigkeit“ des Täterverhaltens, mithin diejenige rechtliche Gefahr zum Ausdruck kommen, die durch die Sorgfaltspflichtverletzung geschaffen oder gesteigert worden ist und deren Eintritt nach dem Schutzzweck der Norm vermieden werden sollte (vgl. etwa BGH, GA 1988, 184; OLG Karlsruhe, DAR 2006, 340).
Die Ermittlung des konkreten Ursachenverlaufs hat nicht nur Bedeutung für die Frage der Kausalität bzw. der Realisierung der Pflichtverletzungen im konkreten Taterfolg,
330
sondern darüber hinaus gerade auch für die Frage der Vorhersehbarkeit, denn der Erfolg in seiner konkreten Gestalt und der Kausalverlauf in seinen wesentlichen Merkmalen müssen objektiv voraussehbar gewesen sein. Dabei erfordert Vorhersehbarkeit zwar nicht, dass der Angeschuldigte die Folgen seines (Nicht-)Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; tritt der konkrete Erfolg jedoch durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen für den Täter alle – ebenfalls wiederum nicht in allen Einzelheiten – erkennbar sein (vgl. BGH, NJW 2015, 96, 98; OLG Hamm, Beschl. v. 12.01.2016, 3 RVs 91/15 – veröffentlicht bei nrwe.de; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 15, Rn. 12 a).
b. Darstellung der Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg in der Anklageschrift
Die in der Anklageschrift erfolgte Beschreibung des Geschehensablaufs sowie die Annahme der Kausalität bzw. der Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg beruhen wesentlich (jedenfalls) auf zwei durch die Anklage selbst als notwendig und unverzichtbar dargestellten tatsächlichen Umständen, nämlich dass zum einen die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planung d Angeschuldigten J , G , H und I angenommenen Besucherstromzahlen eingetroffen sind (aa.), sowie dass zum anderen das Unglücksgeschehen ab 16.02 Uhr (bzw. „wahrscheinlich bereits gegen 15.30 Uhr“) nicht mehr zu verhindern war, weshalb in der Anklageschrift (rechtsfehlerhaft unter Annahme einer hypothetischen Kausalität und mit Folgen für die Vorhersehbarkeit) unter Verweis auf ein von ihr als vergleichbar angesehenes (Alternativ-)Geschehen auf die notwendige Begründung des konkreten und vollständigen Ursachenverlaufs ab 15.30 Uhr bzw. 16.02 Uhr bis zur Entstehung der in der Anklageschrift beschriebenen „Menschenverdichtung“ zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr am Fuß der Stellwerkstreppe verzichtet wird (bb.).
aa. Eintreffen der prognostizierten Besucherströme
Die Kausalität bzw. Realisierung der von der Anklage vorgeworfenen Pflichtverletzungen im konkreten Taterfolg setzt, wie von der Anklage – insoweit zutreffend – angenommen (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA) und unter dem Aspekt der Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg für unerlässlich gehalten (S. 498 der Anklageschrift, Bl. 36862 HA), insbesondere voraus, dass die Besucherströme (min-
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destens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planung d Angeschuldigten J , G , H und I angenommenen Besucherstromzahlen eingetroffen sind. Denn die in der Anklageschrift gegenüber d Angeschuldigten J , G , H und I erhobenen Vorwürfe[Fußnote 109] beruhen auf der Annahme, dass die prognostizierten Besucherströme mit Blick auf die Durchgangsbreitendefizite des Ein- und Ausgangssystems im Zeitraum zwischen 15 und 19 Uhr unter keinen Umständen sicher auf das und von dem Gelände geführt werden konnten.
Dementsprechend heißt es in der Anklageschrift bei der Darstellung des Komplexes „Einhaltung und Überwachung der Genehmigung“ (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA):
„Da das Besucheraufkommen am Veranstaltungstag der Besucherprognose weitestgehend entsprach, wurde der als maximale Durchflusskapazität wissenschaftlich anerkannte – und hier ohnehin nach unten zu korrigierende – Wert von 82 Personen/Meter/Minute aufgrund dieser Verengung in noch erheblich weitergehendem Maße überschritten“.
Weiter führt die Anklage im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen aus:
„Nach der allgemeinen Lebenserfahrung war sicher zu erwarten, dass angesichts der mathematisch nachweisbaren Überlastung des Systems bei Eintreffen der Zuschauerprognose gefährliche und letztlich tödliche Menschenverdichtungen entstehen würden.“ (S. 498 der Anklageschrift, Bl. 36862 HA, Hervorhebung durch die Kammer)
Ebenso hebt der Abschlussvermerk vom 10.02.2014 diesen auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft für die Annahme einer Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg notwendigen Zusammenhang hervor (Bl. 34966 HA, Hervorhebungen im Fettdruck durch die Kammer):
[Fußnote 109: Vgl. im Einzelnen oben B. I. 2. a. cc..]
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„Nach den Ergebnissen des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. T und der Auswertung der weiteren Beweismittel war für den Tod von 21 Veranstaltungsbesuchern und die Verletzung von wenigstens 652 weiteren Personen zum einen die Ungeeignetheit des von den verantwortlichen Mitarbeitern der M GmbH geplanten Zu- und Abgangssystems zum Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zur Bewältigung der erwarteten und am Veranstaltungstag auch tatsächlich eingetroffenen Besucher ursächlich. Aufgrund der Wahl und Ausgestaltung des Zu- und Abgangssystems über die Karl-Lehr-Straße und die östliche Rampe musste es angesichts der erwarteten und am Veranstaltungstag auch eingetroffenen Besucher in diesen Bereichen zwangsläufig zu lebensgefährlichen Personenstauungen kommen.
Zum anderen war die östliche Zu- und Abgangsrampe am Veranstaltungstag nicht frei von Hindernissen: Vielmehr verengten genehmigungswidrige Zaunbauten den für Veranstaltungsbesucher nutzbaren Zu- und Abgang auf 10,59 Meter, was den Personendurchfluss weiter erheblich reduzierte und das Entstehen der tödlichen Personenstauungen begünstigte.“
bb. Unumkehrbarkeitszeitpunkt und Annahme hypothetischer Kausalität
In der Anklage wird zudem als tatsächlicher Zeitpunkt, ab dem das Unglücksgeschehen nicht mehr zu verhindern gewesen sei, 16.02 Uhr (bzw. „wahrscheinlich bereits gegen 15.30 Uhr“) genannt. Daraus wird weiter gefolgert, dass ab diesem „Unumkehrbarkeitszeitpunkt“ ein Eingreifen Dritter in den Kausalverlauf, insbesondere in Form der Errichtung von Polizeiketten sowie von Maßnahmen an den Vereinzelungsanlagen, das Geschehen nicht (mehr) strafbarkeitsrelevant beeinflussen konnte, d.h. es auf die konkrete „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr keinen Einfluss hatte, weil es ab diesem Zeitpunkt ohnehin zu „vergleichbaren Personenverdichtungen mit vergleichbaren Folgen“ (S. 496 der Anklageschrift, Bl. 36860 HA) gekommen wäre und auch eine „objektive Zurechnung des Taterfolges (…) nicht durch das Dazwischentreten Dritter“ entfällt (S. 493 der Anklageschrift, Bl. 36857 HA).
So heißt es in der Anklage (S. 495-496 der Anklageschrift, Bl. 36859-36860 HA, Hervorhebungen durch die Kammer):
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„Jedenfalls befanden sich gegen 15.30 Uhr vor den Vereinzelungsanlagen bereits die Menschenmengen, die bis 16.00 Uhr und unmittelbar danach in das Zugangssystem drängten. Hätten sich diese Besucherströme ohne die Errichtung der Polizeiketten auf der Zu- und Abgangsrampe an den Zauneinbauten vereinigt und wären ungehindert auf den dort bereits entstandenen Personenstau am Rampenkopf getroffen, wäre es zu vergleichbaren Personenverdichtungen mit vergleichbaren Folgen gekommen. Insoweit muss insbesondere berücksichtigt werden, dass weder durch die Errichtung noch den Zusammenbruch der Polizeiketten zusätzliche Personen in das Zugangssystem gelangten, die nicht auch sonst die Vereinzelungsanlagen passiert und die Zu- und Abgangsrampe erreicht hätten.“
„Die Polizeiketten hatten nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen Professor Dr. T, der Auswertung sämtlicher Funkprotokolle und der weiteren oben bezeichneten Beweismittel, keinen Einfluss auf das Entstehen der Menschenverdichtung am Fuß der Zu- und Abgangs-rampe. Zum einen war der tödliche Verlauf der Menschenverdichtung jedenfalls nach 16.02 Uhr ohnehin nicht mehr umkehrbar.“ (S. 401-402 der Anklageschrift, Bl. 36765-36766 HA)
Unabhängig von dem fehlenden Beleg des in der Anklage behaupteten „Unumkehrbarkeitszeitpunkts“ spätestens um 16.02 Uhr, „wahrscheinlich bereits gegen 15.30 Uhr“, durch das Ermittlungsergebnis[Fußnote 110], ist der von der Anklage gezogene Schluss, es wäre – ab diesem Zeitpunkt – ohnehin zu „vergleichbaren Personenverdichtungen mit vergleichbaren Folgen“ gekommen, und der damit verbundene Verzicht auf die notwendige Begründung des konkreten und vollständigen Ursachenverlaufs, der zu der „Menschenverdichtung“ zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr am Fuß der Stellwerkstreppe führte, nicht zulässig.
Insoweit stellt die Anklage auf eine hypothetische Kausalität ab, indem sie auf ein anderes, von ihr als vergleichbar angesehenes (Alternativ-)Geschehen verweist, das stattdessen zu (irgend)einem Zeitpunkt ohnehin eingetreten wäre, überdies ohne zu
[Fußnote 110: Vgl. sogleich C. II. 3. c. aa. (1).]
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erkennen zu geben, in welcher Form (Ort, Zeit, individualisierte Folgen) auch nur Vergleichbarkeit vorliegen soll. Insoweit wird jedoch gerade nicht – wie erforderlich (vgl. BGH, NStZ 1981, 218; OLG Düsseldorf, 3 Ws 649/02, OLGSt § 222 Nr. 10) – die für eine Kausalität bzw. Realisierung der Pflichtverletzungen im konkreten Taterfolg notwendige ursächliche Verbindung zwischen dem wirklichen Geschehensablauf und dem konkreten Erfolg hergestellt.
Soweit die Anklage dem Verhalten Dritter („Öffnung und Schließung der Vereinzelungsanlagen oder ergriffene polizeiliche Maßnahmen“) hingegen „Einfluss auf den Ablauf der Katastrophe in seiner konkreten Gestalt“ zumisst (S. 495 der Anklageschrift, Bl. 36859 HA) bzw. davon ausgeht, dass „eine Reihe von (Zwischen-)Hand-lungen Dritter“ „in das Kausalgeschehen hinein gewirkt (hätten) und die tatsächlichen Abläufe am Ereignistag beeinflussten“ (S. 493-494 der Anklageschrift, Bl. 36857-36858 HA), wird nicht ausgeführt, wie dieser Einfluss konkret ausgesehen haben soll. Dies wäre indes erforderlich gewesen, um den konkreten und vollständigen Kausalverlauf zu begründen und eine Beurteilung unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit zu ermöglichen.[Fußnote 111]
Im Gegensatz zu der Beschreibung eines Einflusses auf den Ablauf bzw. eines Hineinwirkens in das Kausalgeschehen wird demgegenüber an anderer Stelle der Anklageschrift beispielsweise im Hinblick auf die gebildeten Polizeiketten wiederum ausgeführt, diese hätten „keinen Einfluss auf das Entstehen der Menschenverdichtung am Fuß der Zu- und Abgangsrampe“ gehabt, was unter anderem – nicht nachvollziehbar – damit begründet wird, die Schließung der beiden Vereinzelungsanlagen sei „sogar unerlässlich (gewesen), um eine Verstärkung der Menschenverdichtung im Tunnel der Karl-Lehr-Straße und der östlichen Rampe zu vermeiden“ (S. 401-402 der Anklageschrift, Bl. 36765-36766 HA).
c. Beweisbarkeit der Kausalität bzw. der Realisierung im konkreten Taterfolg
Für die Kausalität bzw. die Realisierung der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Tatverfolg besteht kein Beweis.
[Fußnote 111: Vgl. dazu oben C. II. 3. a..]
335
Teilweise fehlt es bereits an einem Beleg der in der Anklageschrift zur Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg behaupteten Umstände durch das Ermittlungsergebnis (dazu aa.).
Soweit sich das Gutachten des von der Staatsanwaltschaft beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. T zu dem Anklagevorwurf verhält, kann es einen Beweis für die Kausalität bzw. die Realisierung der vorgeworfenen Pflichtverletzungen im konkreten Taterfolg nicht erbringen (dazu bb.). Denn es enthält schon gar keine Grundlage für eine geeignete Prüfung der Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg, weil Prof. Dr. T lediglich eine Risikoanalyse vornimmt. Es fehlt auch an einer nachvollziehbaren Befassung mit den tatsächlichen Geschehnissen am Veranstaltungstag, insbesondere dem tatsächlichen Besucherprofil. Schließlich wird im Gutachten von Prof. Dr. T teilweise widersprüchlich, teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet, ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter (unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, Polizeiketten, Beiseiteziehen von Heraszaunelementen an der Vereinzelungsanlage West, Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich, abgedeckter Gullydeckel am Rampenfuß, unterbliebene Blockierung des oberen Bereichs der Rampe durch Polizeifahrzeuge) für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-) ursächlich war/waren, weshalb auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T nicht beurteilbar ist und damit unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde.
Das Gutachten kann überdies keinen Beweis für die Anklagevorwürfe erbringen, weil es wegen erheblicher Verstöße von Prof. Dr. T gegen Grundpflichten eines Sachverständigen unverwertbar ist (dazu cc.).
Es sind auch weder andere Beweismittel für einen solchen Beweis ersichtlich (dazu dd. und ee.) noch kann ohne die erforderliche, aber fehlende Ermittlung des tatsächlichen Besucherprofils sowie ohne eine nachvollziehbare Befassung mit der etwaigen Ursächlichkeit einer ggf. fehlerhaften Ausführung der Planung und/oder des Eingreifens Dritter bereits im Wege einer Gesamtschau auf eine Kausalität bzw. Realisie-
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rung der Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg geschlossen werden (dazu ff.).
Die Kammer ist überdies im Zwischenverfahren weder gehalten noch berechtigt, weitere Ermittlungen, die einen solchen Beweis ggf. erst erbringen könnten, durchzuführen (dazu gg.).
aa. Beleg der in der Anklage behaupteten Umstände durch das Ermittlungsergebnis
Wesentliche in der Anklageschrift zur Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg behauptete Umstände werden nicht durch das Ermittlungsergebnis belegt.
(1) Beleg für die Behauptung, um 16.02 Uhr, „wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr“ sei der Verlauf unumkehrbar gewesen
Der in der Anklage – als Grund für die Unbeachtlichkeit von Maßnahmen Dritter im Rahmen der Kausalität bzw. Realisierung der Pflichtverletzungen im konkreten Taterfolg – benannte „Unumkehrbarkeitszeitpunkt“ 16.02 Uhr bzw. „wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr“ ergibt sich nicht aus den insoweit von der Anklageschrift als Beweis für diese Behauptung benannten Ausführungen von Prof. Dr. T. Aus seinen Ausführungen folgt des Weiteren auch gerade nicht, „dass die zu diesem Zeitpunkt eingetretene endgültige Überlastung des Zu- und Abgangssystems zu einer Personenverdichtung in dem später tatsächlich eingetretenen Ausmaß führte“.
In der Konkretisierung der Anklage heißt es:
„Jedenfalls ab 16.02 Uhr bestand sowohl für die Polizei beziehungsweise das Ordnungsamt als auch für die Veranstalterin keine Möglichkeit mehr, die Zuspitzung der Situation zu verhindern. Der letztlich tödliche Verlauf der Menschenverdichtungen auf der Rampe war nicht mehr abwendbar.“ (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA)
Hierzu wird im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ausgeführt:
„Die Polizeiketten hatten nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen Professor Dr. T, der Auswertung sämtlicher Funkprotokolle und der weiteren oben bezeichneten Beweismittel, keinen Einfluss auf das Entstehen der Menschenverdichtung am Fuß der Zu- und Abgangs-
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rampe. Zum einen war der tödliche Verlauf der Menschenverdichtung jedenfalls nach 16.02 Uhr ohnehin nicht mehr umkehrbar.“ (S. 401-402 der Anklageschrift, Bl. 36765-36766 HA)
„Zudem war es bereits nach dem Zusammenbruch der westlichen Vereinzelungsanlage ab 16.02 Uhr nicht mehr umkehrbar, dass die zu diesem Zeitpunkt eingetretene endgültige Überlastung des Zu- und Abgangssystems zu einer Personenverdichtung in dem später tatsächlich eingetretenen Ausmaß führte. Der Umstand, dass die Besucher an den Vereinzelungsanlagen nicht zurückgehalten werden konnten und diese weiter in das Zugangssystem strömten, machte es unmöglich, den Taterfolg zu verhindern (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T, BI. 32664 d. A., Rn. 5.15.4; BI. 32669 d. A., Rn. 5.28.1). Die völlige Überlastung des Zu- und Abgangssystems aufgrund der schwerwiegenden Planungsfehler war Ursache für den Eintritt des Taterfolges (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T, BI. 32653 d. A., Rn. 5.2 ff.; BI. 32660 d. A., Rn. 5.12 ff.) und nicht die aussichtlosen Versuche der Polizeikräfte vor Ort, die Besucherströme - obendrein in Unkenntnis der aufgrund von Fehlplanungen zwangsläufigen Überlastung des Systems und der angesichts einer erteilten Genehmigung irrigen Annahme, das Zugangssystem sei grundsätzlich geeignet, die prognostizierten Besucherzahlen aufzunehmen - zu steuern.“ (S. 497 der Anklageschrift, Bl. 36861 HA)
„Zur gleichen Zeit (16.02 Uhr) wurde die Sperrung des Zugangs an der Vereinzelungsanlage West durch die Ordner der Veranstalterin kurzfristig wieder aufgehoben (…). Spätestens ab diesem Zeitpunkt - wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr - bestand nach dem Ergebnis der Ermittlungen keine Möglichkeit mehr, die Zuspitzung der Situation und den letztlich tödlichen Verlauf der Menschenverdichtung auf der östlichen Rampe zu verhindern.“ (S. 322 der Anklageschrift, Bl. 36686 HA)
Soweit die Anklage sich zum Beleg des von ihr behaupteten Umstandes, ab 16.02 Uhr, „wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr“, sei das Unglücksgeschehen nicht mehr zu verhindern gewesen, weil „nicht mehr umkehrbar (gewesen sei), dass die zu diesem Zeitpunkt eingetretene endgültige Überlastung des Zu- und Abgangssystems zu einer Personenverdichtung in dem später tatsächlich eingetretenen Ausmaß führte“, auf das Gutachten von Prof. Dr. T und konkret auf seine Ausführun-
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gen unter Punkt 5.15.4 sowie Punkt 5.28.1 stützt, ergibt sich weder aus den zitierten Stellen des Gutachtens (sowohl in der noch der Anklage zugrunde liegenden Übersetzung als auch in der nach Anklageerhebung beauftragten Neuübersetzung) noch aus dem weiteren Inhalt des Gutachtens vom 14.03.2013, den nach Anklageerhebung verfassten E-Mails von Prof. Dr. T an die Staatsanwaltschaft, den Antworten von Prof. Dr. T vom 26.06.2015 oder einem anderen Beweismittel Derartiges.
Die in Bezug genommenen Passagen des Gutachtens von Prof. Dr. T vom 14.03.2013 lauten:
„5.15.4 Jedoch wäre die Schließung der beiden Eingangssysteme (Ost und West) unerlässlich gewesen, um Staus in den Tunneln zu vermeiden.“
(Bl. 40757 HA in der Neuübersetzung; diese Ausführungen beziehen sich auf die Frage „Gibt es irgendweIche Beweise, dass die verstärkte Menschenansammlung (teilweise) durch Polizeibeamte verursacht wurde - vielleicht durch das Einrichten von Polizeiabsperrungen? Insofern dies der Fall ist. Ab weIchem Zeitpunkt?“)
„5.28.1 a) Bis zu dem Zeitpunkt, als die Polizeiabsperrungen versagten (aufgrund der bis hinter die Polizeiabsperrungen strömenden Menschenmengen). Es ist wichtig anzumerken, dass es ein unmittelbares Versagen war, die Menschen an den Eingangspunkten weiter auf das Gelände zu lassen. Der Plan war, die Tore zu schließen.“
(Bl. 40762 HA in der Neuübersetzung; „a)“ dürfte sich auf die Untergliederung der Frage in a) und b) beziehen, Frageteil a) lautet: „Bis zu welchem Zeitpunkt hätten diese (gemeint sind den Schadenseintritt abwendende) Maßnahmen den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert?“)
Prof. Dr. T bezeichnet an keiner Stelle seines Gutachtens 16.02 Uhr bzw. 15.30 Uhr als konkrete Uhrzeit, ab der das Unglücksgeschehen nicht mehr zu verhindern gewesen sei. Von der Kammer mit Beschluss vom 17.02.2015 – wie schon von der Staatsanwaltschaft mit den Nachfragen im Februar 2012 – nach dem konkreten Zeitpunkt befragt, bis zu dem Maßnahmen des Veranstalters oder der Behörden nach Erkennen der Schadensmöglichkeit den „Erfolg“ mit an Sicherheit grenzender Wahr-
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scheinlichkeit hätten verhindern können, nannte Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 einen solchen ebenfalls nicht.
Auch lässt sich aus seinen Ausführungen nicht auf 16.02 Uhr bzw. 15.30 Uhr als Zeitpunkt, ab dem das Unglücksgeschehen nicht mehr zu verhindern gewesen sei, schließen. Wenn Prof. Dr. T unter Punkt 5.28.1 seines Gutachtens vom 14.03.2013 auf die Frage nach dem Zeitpunkt, bis zu dem der Erfolg durch bestimmte Maßnahmen hätte verhindert werden können, antwortet, dies sei „bis zu dem Zeitpunkt, als die Polizeiabsperrungen versagten (aufgrund der bis hinter die Polizeiabsperrungen strömenden Menschenmengen)“, gewesen, wird damit gerade ein späterer Zeitpunkt (und nicht „16.02 Uhr“ bzw. „15.30 Uhr“) als „Unumkehrbarkeitszeitpunkt“ in Bezug genommen. Denn die Polizeiabsperrungen wurden ausweislich der Konkretisierung der Anklage „im östlichen Verlauf des Tunnels gegen 16.13 Uhr und im westlichen Verlauf des Tunnels gegen 16.20 Uhr durchbrochen“ (S. 22 der Anklageschrift, Bl. 36386 HA), die dritte Polizeikette auf der Rampe „wurde gegen 16.28 Uhr aufgelöst“ (S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA).
Unter Punkt 17.19 der Ausarbeitung „Duisburg - 24. Juli 2010, Loveparade-Vorfall, Sachverständigenbericht Professor Dr. T FIMA, 9. Dezember 2011“ (Bl. 27764 HA) benennt Prof. Dr. T einen noch späteren Zeitpunkt, nämlich den Zeitraum ab 17 Uhr als „vorhersehbaren Zeitpunkt“, zu dem es aus planerischer Sicht frühestens „zu gefährlichen Hochrisikostufen“ kommen würde.[Fußnote 112]
Auch in der – auf S. 401-402 der Anklageschrift, Bl. 36765-36766 HA, benannten – Auswertung sämtlicher Funkprotokolle oder in anderen Beweismitteln – insbesondere in dem Bericht „Objektive Feststellungen auf den Zu- und Abgangsrampen der „Loveparade““ von KHK B (Bl. 23476-23665 HA) – finden sich keine Hinweise darauf, dass ab 16.02 Uhr bzw. 15.30 Uhr das konkrete Unglücksgeschehen nicht mehr zu verhindern war.
Weder aus den zitierten Ausführungen von Prof. Dr. T noch aus seinen sonstigen Ausführungen ergeben sich ferner auch nur Anhaltspunkte dafür, dass eine „zu die-
[Fußnote 112: Vgl. hierzu im Einzelnen unten C. II. 2. c. aa. (3).]
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sem Zeitpunkt eingetretene endgültige Überlastung des Zu- und Abgangssystems zu einer Personenverdichtung in dem später tatsächlich eingetretenen Ausmaß führte“. Soweit Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 angibt, „die Überfüllung und die folgenden Reaktionen der Menschenmenge (hätten sich) in ähnlicher Weise auch während der Hauptzustrom-/abstromzeiten entwickelt“ (Bl. 44783 HA), bezieht sich dies auf die Frage der Kammer, ob die „Menschenverdichtung" am Fuß der Stellwerkstreppe im selben Ausmaß und zum selben Zeitpunkt auch entstanden wäre, wenn es die Einrichtung und Auflösung der drei Polizeiketten zwischen 15.50 Uhr und 16.30 Uhr (Tunnel West, Tunnel Ost, Rampe Ost) nicht gegeben hätte, und damit auf einen anderen Gesichtspunkt. Zudem ergäbe sich aus dieser Antwort auch gerade nicht, dass ab einem Zeitpunkt 16.02 Uhr (bzw. 15.30 Uhr) sämtliches Drittverhalten in Bezug auf den Kausalverlauf irrelevant wäre mit der Folge, dass es zwingend zu „einer Personenverdichtung in dem später tatsächlich eingetretenen Ausmaß“ gekommen wäre, weil Prof. Dr. T sich dabei zum einen nur auf die Polizeiketten und zum anderen auf ein – bei deren Hinwegdenken – nur ähnliches Geschehen zu den Hauptzustrom-/-abstromzeiten bezieht, mithin auf einen durch ihn nicht näher bezeichneten Zeitpunkt (irgendwann) innerhalb eines ggf. mehrstündigen Zeitraums, ohne auch nur auszuführen, woraus sich die Ähnlichkeit ergeben soll. Dies würde aber jedenfalls bedeuten, dass die Ereignisse nicht in ihrer konkreten Gestalt, mithin nicht in örtlicher und zeitlicher Hinsicht identisch sowie mit identischen Folgen, stattgefunden hätten.
(2) Beleg für die Behauptung, die Polizeiketten hätten keinen Einfluss auf das Entstehen der „Menschenverdichtung“ gehabt
Belege für die – ungeachtet der an anderer Stelle abweichenden Darstellung eines tatsächlichen Einflusses unter anderem der „ergriffene(n) polizeiliche(n) Maßnahmen“ „auf den Ablauf der Katastrophe in seiner konkreten Gestalt“ (S. 495 der Anklageschrift, Bl. 36859 HA) – erhobene Behauptung in der Anklage, die Polizeiketten hätten keinen Einfluss auf das Entstehen der „Menschenverdichtung“ gehabt, finden sich weder in den Ausführungen von Prof. Dr. T noch in anderen Beweismitteln.
Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklage wird angeführt:
„Die Polizeiketten hatten nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen Professor Dr. T, der Auswertung
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sämtlicher Funkprotokolle und der weiteren oben bezeichneten Beweismittel, keinen Einfluss auf das Entstehen der Menschenverdichtung am Fuß der Zu- und Abgangsrampe. Zum einen war der tödliche Verlauf der Menschenverdichtung jedenfalls nach 16.02 Uhr ohnehin nicht mehr umkehrbar.“ (S. 401-402 der Anklageschrift, Bl. 36765-36766 HA)
„Die völlige Überlastung des Zu- und Abgangssystems aufgrund der schwerwiegenden Planungsfehler war Ursache für den Eintritt des Taterfolges (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T, BI. 32653 d. A., Rn. 5.2 ff.; BI. 32660 d. A., Rn. 5.12 ff.) und nicht die aussichtslosen Versuche der Polizeikräfte vor Ort, die Besucherströme - obendrein in Unkenntnis der aufgrund von Fehlplanungen zwangsläufigen Überlastung des Systems und der angesichts einer erteilten Genehmigung irrigen Annahme, das Zugangssystem sei grundsätzlich geeignet, die prognostizierten Besucherzahlen aufzunehmen - zu steuern.“ (S. 497 der Anklageschrift, Bl. 36861 HA)
Die Ausführungen auf S. 401-402 der Anklageschrift, Bl. 36765-36766 HA sind Teil einer als „abschließende Bewertung“ betitelten Zusammenfassung im Abschnitt „Errichtung von Polizeiketten“ (S. 389-402 der Anklageschrift, Bl. 36753-36766 HA). In dieser Zusammenfassung wird zwar pauschal als primäres Beweismittel auf die „Feststellungen von Prof. Dr. T“ verwiesen, Ausführungen von Prof. Dr. T kommen indes im Abschnitt „Errichtung von Polizeiketten“ nicht zur Sprache; dort wird an keiner Stelle Prof. Dr. T als Beweismittel auch nur benannt.
In seinem Gutachten von 14.03.2013 führt Prof. Dr. T auch an keiner Stelle aus, die Polizeiketten hätten keinen Einfluss auf die „Menschenverdichtung“ gehabt. Vielmehr gibt er in seinen Antworten vom 26.06.2015 auf die Frage, ob die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe in diesem Ausmaß und zu diesem Zeitpunkt auch entstanden wäre, wenn es die Einrichtung und Auflösung der drei Polizeiketten zwischen 15.50 Uhr und 16.30 Uhr (Tunnel West, Tunnel Ost, Rampe Ost) nicht gegeben hätte, an, „die Überfüllung und die folgenden Reaktionen der Menschenmenge (hätten sich) in ähnlicher Weise auch während der Hauptzustrom-/ abstromzeiten entwickelt“ (Bl. 44783 HA), was aber bedeuten würde, dass die Ereignisse nicht in ihrer konkreten Gestalt, mithin nicht in örtlicher und zeitlicher Hinsicht
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identisch sowie mit identischen Folgen, stattgefunden hätten. Insofern trifft es nach den Ausführungen von Prof. Dr. T nicht zu, dass die Polizeiketten – wie von der Anklage unter Verweis auf die Ausführungen von Prof. Dr. T behauptet – keinen Einfluss auf die „Menschenverdichtung“ hatten.
Auch aus anderen Beweismitteln ergibt sich nicht, dass die Polizeiketten keinerlei Einfluss auf das Entstehen der „Menschenverdichtung“ hatten.
(3) Beleg für die Behauptung, die prognostizierten Besucherströme hätten jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr unter keinen Umständen sicher auf das Gelände geführt werden können
Der in der Anklage behauptete Umstand, die prognostizierten Besucherströme hätten jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr unter keinen Umständen sicher auf das Gelände geführt werden können, deckt sich nicht mit dem Ermittlungsergebnis.
In der Konkretisierung der Anklage heißt es:
„Bei einer sorgfaltsgemäßen Erstellung der Planungsunterlagen wäre jederzeit deutlich geworden, dass die prognostizierten Besucherströme mit Blick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe (18,28 Meter an der schmalsten Stelle) und des Tunnels - jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr - unter keinen Umständen sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs geführt werden konnten.“ (S. 9 der Anklageschrift, Bl. 36373 HA)
„Im Einzelnen hätten unter Berücksichtigung des erwarteten Zu- und Abstroms der Besucher folgende Werte errechnet und der Entscheidung zugrunde gelegt werden müssen:
15.00 Uhr - 16.00 Uhr: 95,73 Personen/Meter/Minute
16.00 Uhr - 17.00 Uhr: 91,17 Personen/Meter/Minute
17.00 Uhr - 18.00 Uhr: 132,20 Personen/Meter/Minute
18.00 Uhr - 19.00 Uhr: 86,62 Personen/Meter/Minute“
(S. 11 der Anklageschrift, Bl. 36375 HA)
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„Zaunbauten verengten die für die Zuführung der Besucher nutzbare Durchgangsbreite der östlichen Rampe von 18,28 Metern genehmigungswidrig, so dass am Veranstaltungstag an der nunmehr engsten Stelle eine Durchgangsbreite von nur noch 10,59 Meter vorhanden war.“ (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA)
„Faktisch wäre ein Besucherdurchfluss an der engsten Stelle zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr von durchschnittlich 175,09 Personen/Meter/Minute und im Einzelnen wie folgt abzuwickeln gewesen:
15.00 Uhr- 16.00 Uhr: 165,25 Personen/Meter/Minute
16.00 Uhr- 17.00 Uhr: 157,38 Personen/Meter/Minute
17.00 Uhr- 18.00 Uhr: 228,20 Personen/Meter/Minute
18.00 Uhr- 19.00 Uhr: 149,51 Personen/Meter/Minute“
(S. 18-19 der Anklageschrift, Bl. 36382-36383 HA)
Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird hierzu ausgeführt:
„Im Hinblick auf die anerkannten Vorgaben zum maximalen Personendurchsatz in einer Richtung von 82 Personen/Meter/Minute (Durchgangsbreite) (vgl. die Ausführungen des Gutachter Professor Dr. T, BI. 32594 d. A., Rn. 1.5 ff.) – welche auch die Entfluchtungsanalyse ausdrücklich benannte (1,33 Personen/Meter/Sekunde = 79,8 Personen/Meter/Minute, vgl. BMD S-7, BI. 111) - war eine sichere Abwicklung des prognostizierten Zuschauerzu- und -abflusses über den Tunnel Karl-Lehr-Straße und die östliche Zu- und Abgangsrampe - insbesondere in der Zeit zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr - unmöglich.“ (S. 467 der Anklageschrift, Bl. 36831 HA)
Die Anklage bezieht sich damit zwar auf die Ausführungen von Prof. Dr. T zum maximalen Personendurchsatz von 82 PersonenIMeterIMinute, errechnet jedoch die von ihr angegebenen stündlichen Durchflusswerte selbst. Das Gutachten von Prof. Dr. T – auf das die Anklage insoweit auch keinen Bezug nimmt – enthält diese stündlichen Berechnungen nicht.
Dabei entspricht der von der Staatsanwaltschaft aufgrund dieser Berechnungen gezogene Schluss – die prognostizierten Besucherströme hätten mit Blick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe und des Tunnels jedenfalls
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zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr unter keinen Umständen sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs geführt werden können – schon nicht den Ausführungen von Prof. Dr. T.
Zwar enthält das Gutachten von Prof. Dr. T vom 14.03.2013 in den Ausführungen zu Punkt 2.17.10 („Aus der Arbeitsblattanalyse geht hervor, dass 40.344 Menschen pro Stunde das Gelände verlassen könnten und es zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr (wo der Zustrom dann abfällt und das Eingangssystem nur für den Abstrom geöffnet werden kann) einen Bedarf für die Bereitstellung eines "Puffers" für mehrere Tausend Menschen gegeben hätte.“, Bl. 40716 HA) eine Nennung des Zeitraums 15 bis 19 Uhr, allerdings nicht in der von der Staatsanwaltschaft in der Anklage beschriebenen Weise, sondern lediglich dahingehend, dass es in dieser Zeit eines „Puffers“ bedurft hätte. Dass es in dieser Zeit unmöglich gewesen wäre, die Besucher sicher auf das Gelände zu führen, findet sich in seinen Ausführungen nicht.
Prof. Dr. T geht vielmehr – anders als die Staatsanwaltschaft – davon aus, dass die sich aus den fehlerhaften Planungen (Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute) vorhersehbar ergebende kritische Zeit zwischen 17 und 24 Uhr gewesen wäre. Denn er führt unter Punkt 17.19 der Ausarbeitung „Duisburg - 24. Juli 2010, Loveparade-Vorfall, Sachverständigenbericht Professor Dr. T FIMA, 9. Dezember 2011“ (Bl. 27764 HA) aus:
„Die kombinierte Strömung würde die Mindestweite übersteigen und die Menschenüberfüllung zu gefährlichen Hochrisikostufen zu einem vorhersehbaren Zeitpunkt (Ende der Parade) führen.“
Befragt, welchen Zeitpunkt er mit „Ende der Parade“ meine, führt Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus, damit gemeint sei „die "Abschlusskundgebung" oder AK, wie im Dokument "Love Parade 2010, Duisburg, Sicherheitskonzept - BauA Stand: 28.06.2010 bezeichnet“ (Bl. 44803 HA). In diesem von ihm zitierten Dokument wird die Zeit der Abschlusskundgebung mit „17.00 bis 24.00 Uhr“ angegeben (Bl. 44804 HA).
345
Damit ist die der Anklage zugrunde liegende Annahme, zwischen 15 und 19 Uhr hätten die prognostizierten Besucherströme unter keinen Umständen sicher auf das Gelände geführt werden können, jedenfalls für den Zeitraum von 15 bis 17 Uhr – und damit auch für den von der Staatsanwaltschaft angenommenen „Unumkehrbarkeitszeitpunkt“ sowie für weite Teile des Unglückszeitraumes ab 16.30 Uhr – nicht durch die Ausführungen von Prof. Dr. T belegt.
Auch andere Beweismittel für diese Behauptung der Anklage sind nicht ersichtlich.
bb. Beweis für die Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg durch das Gutachen von Prof. Dr. T
Die Anklage stützt den Vorwurf, die Sorgfaltspflichtverletzungen durch d Angeschuldigten J , G , H und I [Fußnote 113] hätten – den Angeschuldigten zurechenbar – zu den Todesfällen und Verletzungen am 24.07.2010 geführt, auf die Ausführungen von Prof. Dr. T.
So führt die Anklage aus:
„Die völlige Überlastung des Zu- und Abgangssystems aufgrund der schwerwiegenden Planungsfehler war Ursache für den Eintritt des Taterfolges (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. T, BI. 32653 d. A., Rn. 5.2 ff.; BI. 32660 d. A., Rn. 5.12 ff.).“
(S. 497 der Anklageschrift, Bl. 36861 HA (Hervorhebung durch die Kammer) zur Strafbarkeit d Angeschuldigten D , auf die die Anklage für d Angeschuldigten H (S. 535 der Anklageschrift, Bl. 36899 HA) und über ihn für d Angeschuldigten G (S. 539 der Anklageschrift, Bl. 36903 HA), d Angeschuldigten I (S. 544 der Anklageschrift, Bl. 36908 HA) und d Angeschuldigten S (S. 551 der Anklageschrift, Bl. 36915 HA) Bezug nimmt.)
Das Gutachten von Prof. Dr. T kann jedoch – auch unter Einbeziehung der nach der Anklageerhebung erfolgten diversen weiteren Ausführungen von Prof. Dr. T in E-Mails an die Staatsanwaltschaft bzw. in seinen Antworten vom 26.06.2015 auf die
[Fußnote 113: Vgl. zu den konkreten Vorwürfen oben unter B. I. 2. a. cc..]
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ihm mit Beschluss der Kammer vom 17.02.2015 gestellten Fragen – nicht den Beweis der Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg erbringen.
Prof. Dr. T nimmt lediglich eine „Risikoanalyse“ anhand von Planungsunterlagen vor, ohne die tatsächlichen Verhältnisse am Veranstaltungstag zu berücksichtigen. [Fußnote 114]
Aus seinen Ausführungen lassen sich daneben bereits keine Schlüsse darauf ziehen, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) – wie von der Anklage selbst als notwendige Voraussetzung eines Kausalzusammenhangs angenommen (S. 18, 498 der Anklageschrift, Bl. 36382, 36862 HA) – tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den Planungen der Angeschuldigten eingetroffen sind. Prof. Dr. T war vielmehr – unabhängig von der seiner Begutachtung unter Verstoß gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse zugrunde gelegten Annahme, die von ihm für „manipuliert“ gehaltenen Planzahlen stimmten mit den tatsächlichen Besucherzahlen überein[Fußnote 115] – eine Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen weder konkret (dazu (1)) noch annäherungsweise mittels einer Schätzung (dazu (2)) möglich.
Ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war/waren, wird im Gutachten von Prof. Dr. T teilweise widersprüchlich, teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet, weshalb auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T nicht beurteilbar ist und damit unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde (dazu (3)).
[Fußnote 114: Vgl. dazu C. II. 2. b. cc. (4) (a) und (b).
Fußnote 115: Vgl. hierzu oben unter C. II. 2. b. cc. (3) (c).]
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(1) Ermittlung konkreter Besucherzahlen
Die Kammer ersuchte Prof. Dr. T mit Beschluss vom 17.02.2015, verschiedene (Besucher-)Zahlenwerte zu ermitteln. Daraufhin teilte Prof. Dr. T in seinen Antworten vom 26.06.2015 mit:
„Mit den zur Verfügung gestellten Bildern war es aufgrund der Bildauflösung nicht möglich, eine genaue Zählung vorzunehmen.“ (Bl. 44792 HA).
Er führte weiter aus, die Anzahl der Veranstaltungsbesucher, die sich am 24.07.2010 gegen 12.01 Uhr jeweils vor den Vereinzelungsanlagen Ost und West versammelt hätten, sei aufgrund des beschränkten Sichtfeldes des Videoüberwachungssystems nicht feststellbar (Bl. 44755 HA).
Wie hoch im Zeitraum von 12 bis 16 Uhr der tatsächliche Besucherzustrom (Ankunft an beiden Vereinzelungsanlagen Ost und West) und der tatsächliche Besucher-abstrom (Verlassen der Veranstaltung über die Ausgänge bei den Vereinzelungsanlagen Ost und West) sowie jeweils der tatsächliche stündliche Personenzufluss über die Rampe Ost in Richtung Szenefläche/Floatstrecke zwischen 12 und 15.55 Uhr bzw. der tatsächliche stündliche Personenabfluss von der Szenefläche/Floatstrecke über die Rampe Ost in Richtung Karl-Lehr-Straße (Tunnel) zwischen 12 und 15.55 Uhr gewesen seien, könne er ebenfalls nicht angeben. Aufgrund der Beschaffenheit und Qualität der Videobilder der Eingangssysteme (iGuard-System-Video) und der „Beschränkungen des Systems“ sei es nicht möglich, genaue Zählungen vorzunehmen. Die Kamerabilder von den Eingangssperren am Eingang West begännen um circa 13.34 Uhr, als sich „anscheinend“ bereits lange Schlangen vor den Eingängen Ost und West gebildet hätten. Die Aufzeichnungen der Rampen-Kamera (Kamera 13) begännen um 13.19 Uhr und zeigten, dass nur sehr wenige Personen (5-10 pro Minute) das Gelände verließen. Die Aufzeichnungen seien darüber hinaus nicht durchgehend und es werde von dem interessierenden Bereich auf allen Kamerapositionen weggeschwenkt (Bl. 44759 HA).
Auf die weitere Frage, wie viele Besucher im Zeitraum nach 15.55 Uhr (nach dem vorläufigen, zeitweisen Schließen der Vereinzelungsanlage West) bzw. 15.54 Uhr (nach dem vorläufigen, zeitweisen Schließen der Vereinzelungsanlage Ost) bis 17 Uhr den Bereich der Vereinzelungsanlage West bzw. Ost in Richtung Tunnel/Karl-
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Lehr-Straße passierten, führt Prof. Dr. T anhand ausgewählter Standbilder (vgl. Bl. 44760-44763 HA) aus, der Kamerawinkel der iGuard-Videoaufzeichnung zeige über lange Zeit das Eingangssystem West nicht. Es sei zwar ersichtlich, dass die Schlange länger werde, aber man könne nur Teile der Menschenmenge am Eingang West sehen. Erst ein Bild um 16.15 Uhr zeige das Eingangssystem, der Kamerawinkel habe sich bewegt. Allerdings beschränke die Auflösung der zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen, ihre Winkel und Schatten die Möglichkeit, eine genaue Zählung vorzunehmen. Der Eingangsbereich der Vereinzelungsanlage Ost sei zwar auf den Aufzeichnungen zu sehen und es sei erkennbar, dass die Menschen sich langsam bewegten, der Besucherfluss komme immer wieder zum Stillstand und fließe danach wieder (Bl. 44764-44771 HA). Eine Vergrößerung (Zoomen) der Bilder zeige jedoch deren „Auflösungsprobleme“ (Bl. 44764 HA). Damit ist Prof. Dr. T eine – von ihm auch nicht durchgeführte – Zählung oder auch nur eine Schätzung aufgrund der „Verpixelung“ der Bilder nicht möglich.
Andere Zählmethoden (Zählen mit einem Clicker, Videoverarbeitung) – so führt Prof. Dr. T weiter aus – seien nur während der Veranstaltung möglich (Bl. 44755 HA); solche seien nicht vorgenommen worden. Er sei daher nicht in der Lage, die tatsächlichen stündlichen Flussraten zu bestimmen (Bl. 44759 HA).
Soweit Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 3.4.1 ausführt:
„Anhand des Video-(Überwachungs-)Bildes (unten) können wir deutlich erkennen, dass die Rampenverengung, - wie im Eingangsmodell (First-Pass-Modell) angenommen - fast in vollem Umfang genutzt wurde.“ (Bl. 40730 HA),
und dazu einen (einzigen) Screenshot einer Aufnahme der Rampe Ost mit dem Zeitstempel 15.50.13 Uhr abbildet, ermöglicht dies keinen Rückschluss auf konkrete Zahlenangaben. Dass zu diesem von ihm hier in Bezug genommenen Zeitpunkt die Durchflusskapazität der Rampenverengung überschritten oder auch nur vollständig erreicht war, lässt sich hieraus gerade nicht entnehmen („fast in vollem Umfang genutzt“).
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Soweit er in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 3.5.9 den identischen Screenshots erneut abbildet und unter Punkt 3.5.10 ausführt (Hervorhebung durch die Kammer):
„An dieser Stelle der Veranstaltung gibt es sowohl an den östlichen als auch an den westlichen Eingangssystemen große Menschenmengen. Die Rampe ist oben voll, und die Beschränkung (10,59 m) erreicht die volle Kapazität.“,
setzt er sich damit zum einen in Widerspruch zu seinen Ausführungen unter Punkt 3.4.1, zum anderen lässt sich auch hieraus nicht entnehmen, dass die Durchflusskapazität der Rampenverengung um 15.50.13 Uhr überschritten war.
Schlüsse auf Durchflussmengen oder auf andere Zeitpunkte werden durch seine Ausführungen sowohl unter Punkt 3.4.1 als auch 3.5.9 und 3.5.10 überdies nicht ermöglicht.
Auch die Zahlen, die Prof. Dr. T im Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ nennt („Wir haben also ein volles Gelände, vielleicht 200.000 Personen auf diesem Gelände. Wir wissen, dass wir an den Toren, weil wir das auf unseren Kameras sehen können, 100.000 Personen haben, 50.000 an beiden Tunneleingängen, die die Zugangspunkte völlig verstopfen, und dass man die Menge in keiner Weise da herausbekommen kann.“ (Bl. 42339 HA)), sind keine tatsächlich ermittelten oder geschätzten Besucherzahlen am Veranstaltungstag, sondern sollen nach seinen Antworten vom 26.06.2015 – entgegen der an sich klaren Formulierung – nur Beispiele sein. Prof. Dr. T gibt insoweit an, er habe diese Zahlen „nur zur Veranschaulichung des Problems, eine Menschenmenge vom Eingangssystem weg zu führen, genannt“ (Bl. 44774-44775 HA).
(2) Schätzung der Besucherzahlen
Prof. Dr. T war – entgegen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015, wonach für eine mangels Unmöglichkeit einer konkreten Berechnung allein mögliche Schätzung der Besucherzahlen „mit dem Sachverständigen Prof. Dr. T der weltweit führende und besonders erfahrene Spezialist im
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Bereich des „Crowd Management“ zur Verfügung“ stehe (Bl. 45222 HA) – eine auch nur ansatzweise Schätzung der Besucherzahlen gerade nicht möglich.
Mit Beschluss vom 17.02.2015 wurde Prof. Dr. T ersucht, für den Fall, dass sich eine zahlenmäßig genaue Festlegung in Bezug auf die erbetenen Besucherzahlen nicht erreichen lasse, jeweils eine Größenordnung im Sinne einer annäherungsweisen Ermittlung anzugeben, mithin eine Schätzung vorzunehmen. Konkrete Zahlen konnte er nicht angeben und auch die im Falle der Unmöglichkeit konkreter Zahlenangaben erbetenen Schätzungen hat Prof. Dr. T nicht vorgenommen. Vielmehr führt er in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus, er habe nur anhand der vor der Veranstaltung verfügbaren Informationen Hinweise auf ein Störungspotential abschätzen können (Bl. 44755 HA). Dies erlaubt jedoch nicht die Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen, weil bei einer solchen Vorgehensweise entsprechend einer abweichenden Zielrichtung die tatsächlichen Verhältnisse keine Berücksichtigung finden.
Der „rechtliche Hinweis“ der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015 (Bl. 45222 HA), nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes sei bei der Gesamtbetrachtung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und anderer lndiztatsachen zu berücksichtigen, dass ein Sachverständiger auch dann zur Wahrheitsfindung beitragen könne, wenn er zwar keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermöge, seine Schlussfolgerungen die zu beweisenden Tatsachen aber mehr oder weniger wahrscheinlich machten, löst die Problematik der fehlenden Zähl- bzw. Schätzmöglichkeit durch Prof. Dr. T im Hinblick auf die tatsächlichen Besucherzahlen sowie deren Erforderlichkeit zum Beleg des Anklagevorwurfs nicht auf.
In der zitierten Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes vom 02.08.1995 (2 StR 221/94, NStZ 1995, 590) wird zur Frage der Feststellung eines Ursachenzusammenhangs zwischen chemischen Substanzen und Gesundheitsschäden ausgeführt, die Feststellung der für das Strafverfahren bedeutsamen Tatsachen, insbesondere auch der Nachweis von Kausalzusammenhängen, verlange keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewissheit, es genüge vielmehr ein mit den Mitteln des Strafverfahrens gewonnenes, nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das keinen vernünftigen Zweifel bestehen lasse. Für den
351
(dort) zu entscheidenden konkreten Fall bedeute dies, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen einer Holzschutzmittelexposition und einer Erkrankung nicht etwa nur dadurch nachweisbar sei, dass entweder die Wirkungsweise der Holzschutzmittelinhaltsstoffe auf den menschlichen Organismus naturwissenschaftlich nachgewiesen oder alle anderen möglichen Ursachen einer Erkrankung aufgezählt und ausgeschlossen würden. Ein Ausschluss anderer Ursachen könne vielmehr – ohne deren vollständige Erörterung – auch dadurch erfolgen, dass nach einer Gesamtbewertung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und anderer Indiztatsachen die – zumindest – Mitverursachung des Holzschutzmittels zweifelsfrei festgestellt werde.
Auch nach dieser Entscheidung bedarf es in dem von der Kammer zu entscheidenden Fall – unabhängig davon, dass auch eine vorgenommene Gesamtschau keinen Beleg des Kausalzusammenhangs erbringen kann[Fußnote 116] – als solcher Erkenntnisse bzw. Indiztatsachen jedoch entweder konkreter oder zumindest annäherungsweise aufgrund von Schätzungen ermittelter Angaben zu den am Veranstaltungstag tatsächlich auf dem Gelände eintreffenden bzw. dieses verlassenden Besuchern. Denn die in der Anklageschrift gegenüber d Angeschuldigten J , G , H und I erhobenen Vorwürfe beruhen notwendig auf der Annahme, dass die prognostizierten Besucherströme im tatrelevanten Zeitraum unter keinen Umständen sicher auf das Gelände geführt werden konnten. Eine Kausalität bzw. Realisierung der d Angeschuldigten J , G , H und I vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg setzt damit wiederum insbesondere voraus, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) auch tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage angenommenen Planungen der Angeschuldigten vorhanden waren.
Insofern kommt es nicht darauf an, ob sich auch schon bei tatsächlich deutlich geringeren Besucherzahlen als von der Anklage als im Rahmen der Planung erwartet und am Veranstaltungstag tatsächlich vorhanden angenommen Probleme ergeben hätten. Denn ein solcher Vorwurf ist – sollte er, was nicht ermittelt ist, überhaupt zutreffend sein – jedenfalls nicht Gegenstand der Anklage, die von einer sorgfaltswidrigen Planung aufgrund einer – durch eine tatsächliche Engstelle (10,59 Meter) noch ver-
[Fußnote 116: Vgl. im Folgenden C. II. 3. c. ff..]
352
stärkten – Überschreitung der maximalen Durchflusskapazität (im Hinblick auf die erwarteten Besucherströme) und deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg („bei Eintreffen der Zuschauerprognose (entstünden) gefährliche und letztlich tödliche Menschenverdichtungen“, S. 498 der Anklageschrift, Bl. 36862 HA) ausgeht.[Fußnote 117]
(3) Fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder Eingreifen Dritter
Ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter (unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, Polizeiketten, Beiseiteziehen von Heraszaunelementen an der Vereinzelungsanlage West, Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich, abgedeckter Gullydeckel am Rampenfuß, unterbliebene Blockierung des oberen Bereichs der Rampe durch Polizeifahrzeuge) für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-) ursächlich war/waren, wird im Gutachten von Prof. Dr. T teilweise widersprüchlich, teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet, weshalb auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T nicht beurteilbar ist und damit unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde.[Fußnote 118]
cc. Verwertbarkeit des Gutachtens von Prof. Dr. T
Das Gutachten von Prof. Dr. T kann darüber hinaus auch keinen Beweis für den Vorwurf erbringen, die Sorgfaltspflichtverletzungen durch die Angeschuldigten J , G , H und I hätten – den Angeschuldigten zurechenbar – zu den Todesfällen und Verletzungen am 24.07.2010 geführt, weil es wegen erheblicher Verstöße von Prof. Dr. T gegen Grundpflichten eines Sachverständigen unverwertbar ist:[Fußnote 119]
(1) Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität
Prof. Dr. T verletzte seine Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität. Denn er behauptet nicht nur in seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“, bei der Planung der Loveparade seien Daten (Planzahlen zu Besucher-
[Fußnote 117: Vgl. oben unter B. I. 2. a. aa. sowie cc..
Fußnote 118: Vgl. hierzu C. II. 2. b. cc. (3) (e).
Fußnote 119: Vgl. hierzu im Einzelnen oben C. II. 2. b. cc..]
353
strömen) „manipuliert“ worden und „einfache Mathematik“ oder gar „einfachste Mathematik“ bzw. „Mathematik für Anfänger“, die sein Sohn im Alter von vier Jahren bereits beherrscht habe, nicht angewendet worden, sondern führt auch in seinem im Jahr 2014 veröffentlichten Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ an verschiedenen Stellen aus, einfache mathematische Rechenwege seien von den „Teams, die die Veranstaltung geplant und genehmigt haben“, nicht beachtet worden. Zudem legt er sich im Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ – obwohl er solche konkreten Zahlen tatsächlich nicht nennen kann – auf konkrete Besucherzahlen fest, wobei er die genannten Zahlen – wie er allerdings nicht kenntlich macht und nur auf Nachfrage mitteilt – nur als „zur Veranschaulichung des Problems“ genannte Zahlen verstanden wissen will. Darüber hinaus schildert Prof. Dr. T in diesem Vortrag auf der Basis dieser nicht tatsächlich ermittelten, sondern lediglich „gegriffenen“ Zahlen ein – in dieser Form tatsächlich nicht ermitteltes – „Überfüllungsszenario“, womit er ebenfalls einen neutralen Standpunkt verläßt. Diese Umstände lassen für einen vernünftigen Angeschuldigten den Schluss auf eine Beeinträchtigung der Neutralität von Prof. Dr. T ihm gegenüber zu.
Daneben legt Prof. Dr. T sich in den Vorträgen „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ und „Crowd Safety – Major City Events (Space, Time, Direction, Flow), Emergency Planning Society – Webinar 1st July 2013” sowie in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ konkret und fallbezogen sowie für eine breite Öffentlichkeit zugänglich bereits darauf fest, dass „Planungsfehler, Genehmigungsfehler und betriebliche Fehler“ gemacht wurden und ein „Durchsatzproblem“ im Sinne eines „Designfehlers“ bzw. die „Diskrepanz zwischen dem Fassungsvermögen (Fläche) eines Raums und der Anzahl von Menschen (…), die versuchen in diesen Raum zu gelangen“, zu dem Geschehen bei der Loveparade führten, was zu der weiteren Besorgnis führt, Prof. Dr. T könne von dieser Einschätzung auch im Falle von sich in einer etwaigen Hauptverhandlung ergebenden anderen bzw. weiteren Erkenntnissen aufgrund seiner schon öffentlich gemachten Äußerungen wegen eines – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlustes nicht abrücken.
Dazu kommt, dass die Gesamtumstände der Gutachtenerstellung weitere Zweifel an der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität von Prof. Dr. T wecken. Prof. Dr. T ging davon aus, nicht eigenverantwortlich als unabhängiger Sachver-
354
ständiger, sondern als Angestellter der Buckinghamshire New University bzw. des Sicherheitsunternehmens G4S das Gutachten zu erstellen. Er ließ deshalb die Herangehensweise für sein Gutachten durch die Universität bzw. G4S (fremd-)bestim-men, räumte Repräsentanten der Universität bzw. der Haftpflichtversicherung Änderungsbefugnisse ein, die diese auch wahrnahmen, „um sicherzustellen, dass weder der Ruf der Universität noch der von G4S leidet“, und und legte ihnen das Gutachten zur „QA“ (Qualitätssicherung) sowie Gutachteninhalte „zur abschließenden Genehmigung“ vor, womit er ihnen die Letztverantwortlichkeit (auch) für den Inhalt des Gutachtens übertrug. Überdies beauftragte Prof. Dr. T bei der Gutachtenerstellung Hilfskräfte, deren Aufgabenerfüllung er mangels eigener deutscher Sprachkenntnisse nicht überprüfen konnte, mit der Auswahl der der Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente, so dass er für die Auswahl der Dokumente nicht die Verantwortung übernehmen konnte. Schließlich verstieß er gegen seine Verschwiegenheitspflicht. Zusammen mit seinen unsachlichen Äußerungen sowie der öffentlichen Festlegung auf bestimmte Ursachen für die Ereignisse bei der Loveparade 2010, die jeweils schon für sich allein diese Besorgnis begründen, rechtfertigen diese Umstände die Besorgnis der Befangenheit.
(2) Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung und zur verantwortlichen Überwachung der eingesetzten Hilfskräfte
Prof. Dr. T verletzte ebenfalls – was bereits bei der Würdigung der Gesamtumstände der Gutachtenerstellung die Besorgnis seiner Befangenheit mitbegründete – die Pflichten zur persönlichen Gutachtenerstattung und zur verantwortlichen Überwachung der eingesetzten Hilfskräfte, indem er wesentliche Aufgaben (die Auswahl der seiner Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente), zu denen er selbst als beauftragter Sachverständiger berufen gewesen wäre, durch Dritte ausführen ließ, ohne deren Aufgabenerfüllung überprüfen zu können.
(3) Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse
Prof. Dr. T verstieß zudem gegen seine Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse. Denn er beschränkte die Anknüpfungstatsachen
355
seines Gutachtens auch innerhalb seines Fachgebiets von Anfang an, indem er seine Mitarbeiterinnen F und S , denen er die Auswahl der seinem Gutachten zugrunde gelegten Dokumente übertrug, anwies, ihm lediglich Dokumente zur Frage „War das Gelände sicher?“ herauszusuchen, obwohl er nach dem ihm von der Staatsanwaltschaft gestellten Gutachtenauftrag gehalten war, sämtliche in Betracht kommenden Ursachen zu begutachten, und nicht nur solche, die die Sicherheit des Geländes betrafen.
Zudem legte er seinem Gutachten die Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell Elßner-V 2 0.xls“ zugrunde, ohne seine Annahme, diese Zahlen hätten bei der Planung tatsächlich Verwendung gefunden, begründen zu können. Darüber hinaus basiert seine Begutachtung auf der Annahme, die – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen stimmten mit den tatsächlichen Besucherzahlen überein, obwohl er diese Annahme ebenfalls nicht nachvollziehbar belegen kann. Damit setzt er die von ihm für „manipuliert“ gehaltene Planung und die realen Umstände – nicht nachvollziehbar und damit gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse verstoßend – gleich. Denn es war ihm weder möglich, konkrete Angaben zu den tatsächlichen Besucherzahlen zu machen, noch diese annäherungsweise mittels einer Schätzung zu ermitteln, was gegebenenfalls seine Annahme eines Eintreffens der Planzahlen hätte bestätigen können. Vielmehr konnten selbst unter Annahme der in seinem Gutachten errechneten maximalen Anzahl der das Veranstaltungsgelände bei jederzeitiger Maximalauslastung der Vereinzelungsanlagen – wobei er selbst nicht von deren planerisch absehbarem Versagen ausgeht – pro Stunde betretenden Besucher die Planzahlen auf dem Gelände jedenfalls zwischen 12 bzw. 13 und 19 Uhr nicht erreicht werden. Prof. Dr. T setzt sich ferner nicht damit auseinander, in welchem Verhältnis die Anzahl der abströmenden Besucher aufgrund des von ihm selbst als limitiert angesehenen Zustroms ebenfalls zu verringern wäre. Aus den Ausführungen von Prof. Dr. T ergeben sich überdies Hinweise darauf, dass die Planzahlen nicht erreicht wurden.
Überdies berücksichtigte er den geplanten Abgang von Zuschauern über die Rampe West mit nicht nachvollziehbarer Begründung nicht, was einen Verstoß gegen die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse darstellt.
356
Indem darüber hinaus seine Einschätzungen zur Frage, inwieweit eine gegebenenfalls fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter zur „Menschenverdichtung“ führte(n), in sich widersprüchlich und nicht verständlich blieben, verletzte er seine Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse.
Ferner verletzte er die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, indem seine Ausführungen zu der Anzahl der sich hinter den Polizeiketten stauenden Besucher nicht nachvollziehbar sind.
Schließlich verletzte er die Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung dadurch, dass er sein Gutachten „speziell“ auf die im „Anhang B – Amtlich übersetzte Dokumente“ angeführten Dokumente stützte, obwohl es weitere, von ihm nicht berücksichtigte Dokumente gibt, die für die ihm aufgegebene Begutachtung relevant sein könnten.
(4) Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordent-lichen Sachverständigen
Prof. Dr. T verletzte des Weiteren seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen. Denn er befasste sich in seinem Gutachten nicht wie von der Staatsanwaltschaft erfragt mit der konkreten Durchführung der Veranstaltung, wozu auch die konkreten Abläufe am Veranstaltungstag gehören, sondern nahm lediglich eine Risikoanalyse im Sinne einer ex ante-Betrachtung im Hinblick auf die Planung vor der Veranstaltung vor. Die von ihm vorgenommene Risikoanalyse beruht überdies nur auf den – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen und ist schon aus diesem Grund nicht geeignet, auch nur ihre Funktion als Risikoanalyse zu erfüllen. Denn eine Risikoanalyse, wie Prof. Dr. T sie unter Verwendung weniger grundlegender Plandokumente und insbesondere der Besucherplanzahlen durchführt, um planerische Grundprobleme hinsichtlich der Geländekapazität des Einlassbereichs zu prüfen, kann nur dann ein etwa bestehendes Risiko abbilden, wenn die tatsächlich zu erwartenden Besucherzahlen dazu verwendet werden.
357
Des Weiteren verletzte Prof. Dr. T seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen, indem er den Tunneldurchfluss trotz Behauptung einer zu engen Dimensionierung und der fehlenden Zweckeignung der Tunnel nicht berechnete, die Begutachtung ohne ausreichende (Grund-)Kenntnisse des deutschen Rechts, insbesondere unter Verwendung eines unzutreffenden Kausalitätsbegriffs, durchführte und das Gutachten aus Sicht eines „britischen Gutachters zur Beratung bei fremdsprachigen Fällen“, hier ohne Beachtung der nationalen (deutschen) technischen Normen, erstellte.
dd. Weitere Beweismittel für das Eintreffen der Besucherplanzahlen
Es gibt neben dem einen Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen am Veranstaltungstag nicht erbringenden sowie unverwertbaren Gutachten von Prof. Dr. T nach derzeitigem Ermittlungsstand keine weiteren Beweismittel, die einen solchen Beweis erbringen könnten.
(1) Gutachten von B ( )
Das Gutachten „Loveparade 24. Juli 2010 Duisburg, Sachverständigengutachten 31. Oktober 2010“ (Sonderbände, Papierakte, , Sachverständigengutachten ) von B ( ) kann einen Beweis dafür, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planungen der Angeschuldigten angenommenen Besucherplanzahlen eingetroffen sind, nicht erbringen. Zum einen beruht das Gutachten lediglich auf den bis zum 31.10.2010 vorliegenden Ermittlungsergebnissen, soweit Frau B hiervon Kenntnis hatte, zum anderen ist es inhaltlich nicht geeignet, einen solchen Beweis zu erbringen, denn es enthält keine Ausführungen zu den tatsächlichen Besucherzahlen. Gleiches gilt für die weiteren Ausführungen vom 31.10.2015 (Bl. 45777 bis 45784 HA).
(a) Gutachtenstand 31.10.2010
In dem Gutachten, das ausweislich seines Deckblatts am 31.10.2010 fertiggestellt wurde, konnten nur die bis dahin vorliegenden Ermittlungsergebnisse – soweit sie Frau B mitgeteilt wurden – Berücksichtigung finden. Alle weiteren Ermittlungsergebnisse, darunter diverse polizeiliche Ermittlungsberichte, fanden keinen Eingang in die gutachterliche Stellungnahme – auch nicht in die weitere Stellungnahme vom
358
31.10.2015.[Fußnote 120] Um herauszufinden, ob diese neue oder anderslautende bzw. widersprüchliche und damit die ihrer Begutachtung zugrunde liegende Sachlage verändernde Sachverhalte darstellen, müsste die Gutachterin den kompletten, nach dem 31.10.2010 zur Akte gelangten Akteninhalt auswerten. Dies wäre jedoch eine als wesentliche Ermittlung zu qualifizierende Tätigkeit.[Fußnote 121]
(b) Kein Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen
Das Gutachten von Frau B kann auch nicht als Beweis für ein Eintreffen der Besucherplanzahlen dienen, denn dieses Gutachten – einschließlich der Stellungnahme vom 31.10.2015 – enthält schon keine Ausführungen zu den tatsächlichen Besucherzahlen. Im Gegenteil führt Frau B sogar aus, die genaue Besucherzahl vor den Schleusen, im Eingangsbereich, hinter den Schleusen und vor dem Tunnel, im Tunnel, auf der Rampe und auf der Szenenfläche sei zu keinem Zeitpunkt konkret überprüfbar gewesen oder gezählt worden und basiere lediglich auf – von verschiedenen Beobachtern am 24.07.2010 vorgenommenen, allerdings stark voneinander abweichenden – Schätzungen. Die Besucherzahl habe auch zu keinem Zeitpunkt konkret gezählt und real ermittelt werden können.
Im Einzelnen führt sie wie folgt aus:
„Die genaue Besucherzahl vor den Schleusen, im Eingangsbereich, hinter den Schleusen und vor dem Tunnel, im Tunnel, auf der Rampe und auf der Szenenfläche ist zu keinem Zeitpunkt konkret überprüfbar oder gezählt worden und basierte lediglich auf Schätzungen.
Die Besucherzahlen der verschiedenen Beobachter weichen stark voneinander ab. Die Perspektive aus den Polizeihubschraubern vermitteln ein anderes Bild an die Bilder die am Boden zur gleichen Zeit gemacht wurden.“ (S. 136 des Gutachtens)
„Die tatsächliche Besucheranzahl, die in den Tunnel West- und Ostseite einströmte, wurde subjektiv vom Sicherheitsbeauftragten im Container, Position "Aufgang Rampe", bewertet.
[Fußnote 120: Vgl. hierzu C. II. 2. b. dd. (1) (a).
Fußnote 121: Vgl. dazu im Folgenden C. II. 3. c. gg..]
359
Die Besucherzahl konnte zu keinem Zeitpunkt konkret gezählt und real ermittelt werden.
Alle Angaben zu Personenzahlen, die für die Sicherheit der Menschen im Tunnel, auf der Rampe und der oberen Szenefläche kalkuliert wurden, basierten auf Schätzungen der Veranstalterin.
Bedingt durch die Länge der Tunnelseiten West- ca. 128 m und Ostseite ca. 256 m, sowie der hohen Menschendichte, die sich zeitgleich in den Tunnelseiten befanden, ist auch eine Schätzung der Besucheranzahl nicht genau durchzuführen.“ (S. 149 des Gutachtens)
„Es lassen sich nur die vorderen Reihen der Menschengruppen schätzen und lediglich vermuten, wie viele Menschen in der Tiefe des Tunnels je Seite sich voraussichtlich befunden haben.“ (S. 150 des Gutachtens)
„Vergegenwärtigt man sich das Flächenaufmaß der Hauptrampe, wird deutlich, dass es sich bei dem abströmenden Besucheraufkommen um maximal ca. 5.000 - 7.000 Personen handelte, die das Gelände verlassen wollten.“ (S. 154 des Gutachtens)
„Auf der Straße und vor den Eingangsschleusen der Karl-Lehr-Straße sowie hinter den Schleusen und im Tunnel befand sich eine unzählbare Menge an Besuchern, die das Gelände der Loveparade erreichen wollte.“ (S. 158 des Gutachtens)
„Die von der Veranstalterin prognostizierte Personenzahl von 250.000 Besuchern erscheint vor dem Hintergrund des gesichteten Bildmaterials (Foto und Film) unrealistisch.“ (Bl. 178 des Gutachtens)
„Das zuvor beschriebene Webcam-Controlling war ausschließlich auf die Szenenfläche des Geländes oberhalb der Rampe ausgelegt. Die installierten Tunnelkameras ließen eine genaue Kalkulation der unkontrolliert einströmenden Besuchermengen nicht zu.“ (S. 189 des Gutachtens)
Insoweit bietet das Gutachten von B mangels konkreter Besucherzahlenangaben bzw. valider Schätzungen keinen Beweis für ein Eintreffen der Besucherplanzahlen.
360
Zudem geht die Gutachterin offenbar – ohne hierfür Berechnungs-/Schät-zungsgrundlagen zu benennen – davon aus, dass tatsächlich mehr als 250.000 Personen sich gleichzeitig auf dem Gelände befanden, indem sie ausführt:
„Es ist nicht erkennbar, dass zuvor benannte involvierte Personen, in Kommunikation zu den Besuchern (Ravern) im Vorfeld, irgendeinen tragfähigen Versuch unternommen hatten, die Besucherzahl gemäß Baugenehmigung auf 250.000 Menschen, abzüglich des zuvor benannten Personals, zu limitieren.“ (S. 195 des Gutachtens)
„Die Begrenzung der Personenzahl auf 250.000 Pax, sowie deren Verteilung 2 pax/qm Fläche, gemäß Genehmigung des Bauamtes, hätte eingehalten werden müssen.“ (S. 204 des Gutachtens)
Damit steht das Gutachten indes in Widerspruch zu den Ermittlungsergebnissen, die der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg zugrunde gelegt sind, heißt es hierin doch:
„Anhaltspunkte dafür, dass sich am Veranstaltungstag tatsächlich mehr als 250.000 Personen in dem umzäunten Bereich hinter den Vereinzelungsanlagen aufhielten oder eine Überschreitung der zulässigen Gesamtbesucherzahl zumindest drohte und dies ursächlich für das Unglück am Fuß der Rampe gewesen sein könnte, liegen nicht vor.“ (S. 412 der Anklageschrift, Bl. 36776 HA)
(2) Wissenschaftliche Ausarbeitung von Prof. Dr. H und M
Die wissenschaftliche Ausarbeitung von Prof. Dr. H und M (Sonderbände, Papierakte, Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H , Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H .pdf, elektronische Seitenzahl 66-113) kann einen Beweis dafür, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planungen der Angeschuldigten angenommenen Besucherplanzahlen eingetroffen sind, nicht erbringen.
361
Zum einen wurde diese Ausarbeitung ohne Auswertung des Akteninhalts, lediglich auf der Basis öffentlich zugänglicher Dokumente erstellt, zum anderen ist sie inhaltlich nicht geeignet, einen solchen Beweis zu erbringen.
(a) Keine Auswertung des Akteninhalts
Die Ausarbeitung beruht nur auf den öffentlich zugänglichen Materialien und nicht auf dem Akteninhalt, weswegen Prof. Dr. H und M wesentliche Ermittlungsergebnisse (beispielsweise polizeiliche Ermittlungsberichte) unbekannt sind, die sie der Begutachtung folglich auch nicht zugrunde legen konnten.[Fußnote 122] Um einen umfassenden Überblick über die tatsächlichen Umstände zu erlangen, müssten Prof. Dr. H und M daher zunächst den kompletten Akteninhalt auswerten; dies wäre jedoch eine als wesentliche Ermittlung zu qualifizierende Tätigkeit.[Fußnote 123]
(b) Kein Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen
Die Ausarbeitung von Prof. Dr. H und M kann auch nicht als Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen dienen. Denn sie enthält nur einzelne Stellen (Perspektive der Kamera Nr. 13) und Uhrzeiten (zwischen 13.27 und 15.40 Uhr) berücksichtigende Ausführungen zu den tatsächlichen Besucherzahlen, die ferner – da erheblich niedriger geschätzt als die von der Anklage angenommenen Planzahlen – mindestens nicht stützen, dass die Besucherzahlen – wie von der Anklage angenommen – jedenfalls im Wesentlichen entsprechend den Planungen eingetroffen sind.
Zu den Besucherzahlen wird in der Ausarbeitung lediglich angeführt:
„Schätzungen auf Grundlage der Überwachungsvideos von Kamera 13 deuten darauf hin, dass die tatsächlichen Menschenströme beträchtlich unterhalb der Werte in obiger Tabelle[Fußnote 124] lagen. Laut Quellennachweis (...),[Fußnote 125]variierte der Zufluss im der Zeit
[Fußnote 122: Vgl. die Ausführungen zu C. II 3. c. dd. (2) (a).
Fußnote 123: Dazu im Folgenden C. II. 3. c. gg..
Fußnote 124: Gemeint ist die auf Seite 5/50 der Auswertung eingefügte Tabelle des erwarteten Zuschauerzu- und -abstroms im Zeitraum 14-18 Uhr:
Zeit Erwarteter Zufluss pro Stunde Erwarteter Abfluss pro Stunde
14.00 - 15.00 Uhr 55.000 10.000
15.00 - 16.00 Uhr 55.000 50.000
16.00 - 17.00 Uhr 55.000 45.000
17.00 - 18.00 Uhr 90.000 55.000
Fußnote 125: Zugang
Zeit |
Minuten |
Gezählt/Min. |
Festgelegt |
Besucher |
Besucher/h |
Mopavent/h |
Real vs. Lopav |
13:27-13:40 |
13 |
300-350 |
350 |
4550 |
21000 |
60000 |
35,00% |
13:40-14:00 |
20 |
280-480 |
450 |
9000 |
27000 |
60000 |
45,00% |
14:00-14:20 |
20 |
350-550 |
500 |
10000 |
30000 |
55000 |
54,55% |
14:20-14:40 |
20 |
420-450 |
440 |
8800 |
26400 |
55000 |
48,00% |
14:40-15:00 |
20 |
350-600 |
500 |
10000 |
30000 |
55000 |
54,55% |
15:00-15:20 |
20 |
600-750 |
700 |
14000 |
42000 |
55000 |
76,36% |
15:20-15:40 |
20 |
450-680 |
660 |
13200 |
39600 |
55000 |
72,00% |
Ø |
55,06% |
Abgang
Zeit |
Minuten |
Gezählt/Min. |
Festgelegt |
Besucher |
Besucher/h |
Mopavent/h |
Real vs. Lopav |
13:27-13:40 |
13 |
3-7 |
5 |
65 |
300 |
0 |
#DIV/0! |
13:40-14:00 |
20 |
3-20 |
15 |
300 |
900 |
0 |
#DIV/0! |
14:00-14:20 |
20 |
6-16 |
10 |
200 |
600 |
10000 |
6,00% |
14:20-14:40 |
20 |
17-30 |
25 |
500 |
1500 |
10000 |
15,00% |
14:40-15:00 |
20 |
35-80 |
60 |
1200 |
3600 |
10000 |
36,00% |
15:00-15:20 |
20 |
40-80 |
60 |
1200 |
3600 |
50000 |
7,20% |
15:20-15:40 |
20 |
60-250 |
150 |
3000 |
9000 |
50000 |
18,00% |
Ø |
16,44% |
362
zwischen 14.00 und 15.00 Uhr zwischen 280 und 600 Personen pro Minute und der Abfluss zwischen 6 und 80 Personen pro Minute. Zwischen 15.00 und 15.40 Uhr variierte dieser Wert zwischen 450 und 750 Personen pro Minute und der Abfluss zwischen 40 und 250 Personen pro Minute. Dies liegt 30 bis 50% unterhalb der Erwartungen des Organisators der Love Parade und impliziert eine maximale Besucherzahl von 175.000 Personen auf dem Festivalgelände.“ (Seite 5/50 der Ausarbeitung)
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Autoren den auf die in ihrem Quellennachweis (http://m......) abgebildete Tabelle zum Zugang zurückgehenden Mindestzuflusswert von 280 Personen pro Minute zwischen 14 und 15 Uhr fehlerhaft zitieren; der Mindestzuflusswert von gezählten 280 Besuchern pro Minute bezieht sich auf die Zeit zwischen 13.40 und 14.00 Uhr. Richtigerweise variierte der Zufluss danach in der Zeit zwischen 14.00 und 15.00 Uhr zwischen 350 und 600 Personen pro Minute.
363
Da die referenzierten Zahlen deutlich unter den in der Anklage (S. 110 der Anklageschrift, Bl. 36474 HA) zugrunde gelegten Besucherzahlen liegen, können sie das Eintreffen der Besucherplanzahlen nicht beweisen.[Fußnote 126]
(3) Angaben von Dr. O
Dr. O – weder er selbst noch die von ihm gefertigte Analyse werden in der Anklageschrift als Beweismittel genannt – führt in seiner „Analyse der Besucherzahlen und der Ereignisse auf der Rampe zum Veranstaltungsgelände während der Loveparade 2010 in Duisburg“ (Bl. 883-891 HA) zwar gewisse Besucherzahlen an. Seine Analyse kann jedoch einen Beweis für ein Eintreffen der Besucherplanzahlen nicht erbringen. Zum einen wurde diese Analyse ohne Auswertung des Akteninhalts, lediglich auf der Basis der eigenen Beobachtungen am Veranstaltungstag aus dem Hoist-Haus bzw. auf Basis der von ihm von dort gefertigten und später ausgewerteten Aufnahmen erstellt, zum anderen ist sie inhaltlich nicht geeignet, einen solchen Beweis zu erbringen, denn sie enthält nur Ausführungen zu den Besucherzahlen an ausgewählten Stellen und zu ausgewählten Uhrzeiten, nicht jedoch umfassende – wie von der Kammer mit Beschluss vom 17.02.2015 (siehe dort Frage 7) von Prof. Dr. T erfragte und zum Beweis der Kausalität bzw. Realisierung der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg jedenfalls erforderliche – konkrete Zahlenangaben bzw. valide Schätzungen.
Dr. O schätzt in seiner Analyse die Gesamtzahl der in der Stadt befindlichen Besucher der Loveparade (ohne Angabe, wer davon und wenn ja wann auf das Gelände gelangte oder dieses verließ) auf 350.000 um 17.00 Uhr. Für 14.00 Uhr schätzt er eine Besucherzahl von circa 71.000 Personen auf dem Gelände, für 14.30 Uhr von 88.000 Personen und für 18.18 Uhr von 146.000 Personen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es in der Zeit von 14.00 bis circa 17.15 Uhr einen Zustrom von circa 33.000 Personen pro Stunde gab und dass daher das „Zu- und Abstromkonzept“ der Veranstalterin (vgl. hierzu die Tabelle auf Bl. 885 HA) zu keinem Zeitpunkt realisiert werden konnte, d.h. dass die Zu- und Abstromprognosen bei weitem unterschritten wurden.
[Fußnote 126: Vgl. dazu näher im Folgenden unter C. II. 3. c. dd. (5) (d).]
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Da die von Dr. O angegebenen Zahlen deutlich unter den von der Anklageschrift als Planungen der Angeschuldigten angenommenen Besucherplanzahlen liegen, können sie einen Beweis dafür, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planungen der Angeschuldigten angenommenen Besucherplanzahlen eingetroffen sind, nicht erbringen.
(4) Angaben von Prof. Dr. T
Aus dem Ermittlungsergebnis ergeben sich keine Ausführungen von Prof. Dr. T [Fußnote 127], die einen Beweis für ein Eintreffen der Besucherplanzahlen erbringen könnten.
Denn Prof. Dr. T äußert sich nur allgemein zu Fragen der Verkehrsführung bzw. der Frage, ob bestimmte Bereiche in der Lage waren, die Besucherströme zu bewältigen. Konkrete Ausführungen zu den tatsächlichen Umständen finden sich in seinen Ausführungen hingegen an keiner Stelle. Auch die im Schriftsatz seines Bevollmächtigten, Rechtsanwalt H , vom 08.11.2010 enthaltene „Stellungnahme aus wissenschaftlicher Sicht“ (Bl. 11549-11551 HA) beinhaltet schon keine Angaben zur Besucheranzahl am Veranstaltungstag.
(5) Weitere Personenzählungen
Auch weitere Personenzählungen, die am Veranstaltungstag durchgeführt wurden, bieten keinen Beweis dafür, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planungen der Angeschuldigten angenommenen Besucherplanzahlen eingetroffen sind.
(a) Erhebung der Auslastung der einzelnen Sektoren
In der Anklageschrift wird als Beweismittel unter „VI. Aktenbestandteile und Sonderbände insgesamt“ der Beweismittelordner „BMO S-28 Stadt Duisburg, Dez. II, Sektorenüberwachung“ benannt. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird bei den Ausführungen zur „Ermittlung der Besucherzahlen“ (S. 405 der Anklageschrift,
[Fußnote 127: Vgl. zu den verschiedenen in der Anklage benannten, auf Äußerungen etc. von Prof. Dr. T zurückgehenden Beweismitteln C. II. b. dd. (3).]
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Bl. 36769 HA) hierzu unter anderem die „Tabelle zur Auslastung der Sektoren“ (dort bezeichnet als BMO S-28, Bl. 12, nach neuer Aktennummerierung BMO S 28, elektronische Seitenzahl 19), die „Erläuterung zum Erhebungsverfahren der Auslastungszahlen zur LP2010“ d Angeschuldigten G vom 25.08.2011 (Bl. 25222-25223 HA), die Tabelle „FINAL_Auslastung Publikum M _FINAL.xls“ (dort bezeichnet als „Excel-Tabelle der M GmbH“, BMO V-003.2, Bl. 201 ff., nach neuer Aktennummerierung BMO V 3.2 Band 1, elektronische Seitenzahl 251) sowie der Vermerk „Befüllung des Geländes“ des KOK A vom 28.10.2011 (Bl. 29029-29051 HA), letzterer doppelt, als Beweismittel genannt.
Diese – und weitere in der Akte befindliche Beweismittel zu demselben Themenkomplex – können indes weder für sich allein noch in ihrer Gesamtheit einen Beweis für ein Eintreffen der Besucherplanzahlen erbringen. Denn aus ihnen ergeben sich keine belastbaren Zahlen über den tatsächlichen Besucherzu- und -abfluss am Veranstaltungstag, sondern lediglich zur prozentualen Auslastung einzelner Sektoren. Überdies ergibt sich hieraus nur eine in zeitlicher und örtlicher Hinsicht punktuelle Dichte- und gerade keine Durchflussbestimmung.
Wie im Vorfeld der Veranstaltung im Rahmen des Szenarienworkshops vom 08.07.2010 (vgl. Bl. 4281-4292 HA) zum Szenario „Überfüllung des Veranstaltungsraums (Veranstaltungsgelände/Wegführungen/Hauptbahnhof)“ zwischen Teilnehmern der Berufsfeuerwehr Duisburg, der Stadt Duisburg (Mitarbeiter des Ordnungsamtes), der Bundespolizeidirektion Sankt-Augustin, der Polizei Duisburg sowie d Angeschuldigten G , I und H für die M GmbH, wobei die drei Angeschuldigten allerdings lediglich von 11.15 Uhr bis 12.30 Uhr an dem von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr dauernden Workshop teilnahmen, festgelegt wurde, sollte die Feststellung, ob der Veranstaltungsraum überfüllt sei, nicht über die Zählung von Besuchern, sondern über die Angabe einer prozentualen Auslastung erfolgen. Dazu wurde folgendes Verfahren beschlossen:
„Die Polizei definiert eine Auslastung anhand von Luftbildern und einer Bewertung des jeweiligen Einsatzabschnittsführers sowohl auf dem Veranstaltungsgelände als auch auf den Wegführungen.
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Die Ordnungsbehörde gewinnt Erkenntnisse über die prozentuale Auslastung der Wegführungen anhand der Einschätzung ihres Außendienstes.
Die Bundespolizei meldet eine Einschätzung der Auslastung am Hauptbahnhof Duisburg (anreisende/abreisende Personen).
Der Veranstalter übermittelt die anhand von Rasterkameras gewonnenen Erkenntnisse zur Auslastung des Veranstaltungsgeländes.“ (Bl. 4283 HA)
Diese Erkenntnisse sollten stündlich gemeldet und von Mitarbeitern des Ordnungsamtes zusammengefasst werden. Zur einheitlichen Handhabung wurden sowohl die Wegführungen als auch das Veranstaltungsgelände in Sektoren unterteilt und hierfür folgende Sektoren festgelegt (Bl. 4283-4285 HA sowie die auf S. 407 der Anklageschrift, Bl. 36771 HA abgebildete Sektorenkarte, Fundstelle beispielsweise BMO S 28, elektronische Seitenzahl 20):
- Sektoren W-1 bis W-4 (Wegführung West vom Hauptbahnhof bis zu den Vereinzelungsanlagen West)
- Sektoren O-1 bis O-3 (Wegführung Ost vom Hauptbahnhof bis zu den Vereinzelungsanlagen Ost)
- Sektor V-1 (KarI-Lehr-Tunnel inklusive Zu- und Abgänge: Karl-Lehr-Tunnel bis Düsseldorfer Straße (westlich) und Grabenstraße (ostwärtig) mit den Zu- und Abgängen auf das/von dem Gelände bis zur ebenen Fläche auf dem Gelände südlich der Hallen)
- Sektor V-2 (Südbereich: südlicher Bereich ab westlich und ostwärtig der Zu- und Abgänge)
- Sektor V-3 (Bereich der Hallen - Paradestrecke (West/Ost): Bereich um die Hallen (westlich und ostwärtig) ab der ebenen Fläche bis zum Bühnenbereich (nördlich))
- Sektor V-4 (Bühnenbereich: nördlicher Bereich ab Standort der Bühne (inklusive) einschließlich Chill-Out-Area).
Bei der Polizei erfolgte die vereinbarte Erhebung durch Lageeinschätzungen der jeweiligen Einsatzabschnittsführer. Die Beamten vor Ort, die die Zahlen bzw. die Auslastung der einzelnen Sektoren erhoben, hatten keine besondere Qualifikation für diese Aufgabe; Schulungen gab es nicht. Allerdings erheben die Kräfte der Bereitschaftspolizei auch bei anderen Einsätzen ähnliche Zahlen und verfügen deshalb über eine gewisse Erfahrung. Es fanden innerhalb einer Hundertschaft zudem gewis-
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se Kontrollen in dem Sinne statt, dass die einzelnen Gruppenführer die Zahlen für ihren Bereich an die jeweiligen Zugführer meldeten, die wiederum diese Zahlen mit ihren eigenen Eindrücken verglichen und an den Hundertschaftsführer weitermeldeten. Auch dieser verglich die Zahlen mit seinen persönlichen Eindrücken und gab sie dann an die entsprechende Abschnittsbefehlsstelle weiter. Welche einzelnen Beamten der vor Ort befindlichen Einheiten die entsprechenden Schätzungen vorgenommen haben, kann indes nicht mehr nachvollzogen werden (vgl. Bericht „Auslastung der Veranstaltungsfläche und Wegstrecken“ des KHK W , Bl. 29023-29028 HA, dort Bl. 29026-29027 HA).
Für die vereinbarte Erhebung der Auslastungszahlen waren bei der Stadt Duisburg die städtischen Mitarbeiterinnen T und M eingesetzt, die vom Dach des Hoist-Hauses die Auslastungszahlen schätzten. Frau T , ausgebildete Kauffrau für Bürokommunikation, war zum damaligen Zeitpunkt Sachbearbeiterin beim Ordnungsamt im Bereich des Landeshundegesetzes sowie Vorzimmervertreterin (vgl. ihre Angaben in ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung vom 07.02.2011, Bl. 17674 HA). Frau M war beim Job-Center tätig (vgl. die diesbezüglichen Angaben der Zeugin T in ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung vom 07.02.2011, Bl. 17675 HA). Beide hatten sich freiwillig als Beobachterinnen auf dem Hoist-Haus gemeldet, ohne Vorkenntnisse in diesem Bereich zu haben oder eine spezielle Einweisung in ihre Aufgabe zu erhalten; als Hilfsmittel wurden ihnen lediglich Ferngläser zur Verfügung gestellt (vgl. die Angaben der Zeugin T , Bl. 17675 und 17678 HA sowie den Vermerk „Befüllung des Geländes“ des KOK Abendroth vom 28.10.2011, Bl. 29029-29051 HA, dort Bl. 29036-29037 HA). Neben Frau T und Frau M war der weitere städtische Mitarbeiter M , der nach einer Ausbildung im mittleren Dienst bei der Stadt Duisburg ein Studium der Verwaltungsbetriebswirtschaftslehre an der FHÖV absolviert hatte und zum damaligen Zeitpunkt als Sachbearbeiter im Bereich Ordnungswidrigkeiten und Straftaten nach dem Tierschutzgesetz tätig war, ebenfalls auf dem Dach des Hoist-Hauses eingesetzt und machte Fotografien vom Veranstaltungsgelände und vom Bahnhofsvorplatz, die Frau T und Frau M bei der Schätzung der Besucherauslastung Hilfe leisten sollten (vgl. seine diesbezüglichen Angaben in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung vom 07.02.2011, Bl. 17664-17665 HA, die Angaben der Zeugin T hierzu, Bl. 17676 HA sowie den Vermerk „Befüllung des Geländes“ des KOK
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A vom 28.10.2011, Bl. 29037 HA). Vom Hoist-Haus konnte allerdings der Sektor V-1 nicht eingesehen werden (vgl. die Angaben der Zeugin T , Bl. 17675 HA).
Die M GmbH erhob ihrerseits die Auslastungszahlen über die Auswertung von stündlich erstellten Screenshots der Aufnahmen der aufgebauten Kameras. Bei der M GmbH war V damit betraut, diese Auslastungszahlen zu ermitteln. Er studierte Elektrotechnik und arbeitete seitdem im Bereich der Prozess- und Anlagenautomatisierung von Industrie- und Produktionsanlagen; während des Studiums war er nebenberuflich im Sicherheitsgewerbe tätig (vgl. seine diesbezüglichen Angaben in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung vom 02.03.2011, Bl. 19763 HA). Von d Angeschuldigten I , den er seit Jahren kannte, wurde er gefragt, ob er für die M GmbH tätig sein und die Bedienung des Video-systems bei der Loveparade in Duisburg übernehmen wolle (vgl. seine diesbezüglichen Angaben, Bl. 19764 HA). In diesem Bereich war er zuvor noch nicht tätig geworden, d.h. er hatte noch nie bei einer Veranstaltung ein Kamerasystem bedient (vgl. seine diesbezüglichen Angaben, Bl. 19767 HA). Zur Erhebung der Auslastungszahlen hatte der Betreiber des Kamerasystems an ausgewählten Kameras in Länge und Breite definierte Ausschnitte als Kamerapositionen eingerichtet, die über den Bildschirm des Kamerasystems während der Veranstaltung aufgerufen werden konnten. Es handelte sich nach den Angaben des V um die Kamera Nr. 4 (Rampenbereich und allgemeine Bewegungsflächen) für den Sektor V-1, die Kamera Nr. 13 (Überlauffläche Süd) bis 16 Uhr und die Kamera Nr. 12 ab 17 Uhr für den Sektor V-2, die Kamera Nr. 3 (Floatstrecke rechts und links des Güterbahnhofsgebäudes) für den Sektor V-3 sowie die Kamera Nr. 8 (kompletter AK-Platz und direkter Bereich vor der Südtribüne) für den Sektor V-4. Die für den Sektor V-1 ausgewählte Kamera Nr. 4 deckte allerdings nur den Rampenbereich und den darüber liegenden Bereich ab, nicht hingegen den Bereich des Tunnels Karl-Lehr-Straße. Mit den von diesen Kameraaufzeichnungen jeweils einmal stündlich gefertigten Screenshots wurde über die Grundfläche (in m2) mit der Anzahl der auf dieser Fläche befindlichen Personen und der geplanten Anzahl der Besucher je Quadratmeter eine prozentuale Auslastung errechnet. Zur Auszählung der in diesen Bereichen befindlichen Personen verwendete Herr V das Zählwerkzeug des Bildverarbeitungsprogramms Corel Draw und zählte über Klicks auf den Screenshots die Personen,
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wobei das Programm die Mausklicks auf dem Bildschirm mitzählte (vgl. die diesbezüglichen Angaben des Zeugen V , Bl. 19765 und 19770 HA und sein Gedächtnisprotokoll „Ablauf rund um die Loveparade“, Bl. 19777-19778 HA sowie die „Erläuterung zum Erhebungsverfahren der Auslastungszahlen zur LP2010“ d Angeschuldigten G , Bl. 25222-25223 HA).
Sowohl von den städtischen Mitarbeitern als auch von Seiten der Polizei erfolgte nur die Weitergabe prozentualer Auslastungszahlen in Bezug auf die einzelnen Sektoren; lediglich Herr V erfasste einmal stündlich konkrete Zahlen, die er in die Tabelle „FINAL_Auslastung Publikum LoPA 2010_FINAL.xls“ (vgl. beispielsweise Bl. 19781, 19783 HA) eintrug, die sodann über eine Excelrechnung eine prozentuale Auslastung berechnete.
Die von den städtischen Mitarbeitern, der Polizei und Herrn V erhobenen Zahlen sind indes weder aussagekräftig noch belastbar.
Gegen eine Aussagekraft der von den städtischen Mitarbeitern und der Polizei erhobenen Auslastungszahlen spricht bereits, dass es sich dabei nur um prozentuale Auslastungswerte handelt, nicht jedoch um tatsächliche Angaben von Besucherzahlen. Allein aus den prozentualen Auslastungszahlen bestimmter Sektoren lassen sich auch keine Rückschlüsse auf konkrete Besucher(durchfluss)zahlen ziehen.
Des Weiteren spricht gegen die Belastbarkeit der von den städtischen Mitarbeitern erhobenen Werte, dass es sich dabei um bloße Schätzungen durch dazu weder aufgrund von Vorkenntnissen besonders geeignete noch gesondert geschulte Personen handelte, die noch dazu lediglich aus weiter Entfernung vom Dach des Hoist-Hauses und lediglich unter Zuhilfenahme von Ferngläsern sowie der von einem weiteren Mitarbeiter aufgenommenen Fotografien erfolgten. Da sich bei den von der Polizei erhobenen Werten eine Zuordnung der meldenden Beamten nicht mehr nachvollziehen lässt, ist über die Qualifikation des jeweils Meldenden nichts bekannt. Grundsätzlich hatten aber auch sie weder eine entsprechende Qualifikation noch wurden sie gesondert für diese Aufgabe geschult; sie waren lediglich aufgrund vorangegangener Einsätze möglicherweise erfahren im Bereich des Abschätzens von Personenzahlen, wobei allein der Umstand, eine bestimmte Tätigkeit bereits ein- oder mehrmals zuvor
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ausgeübt zu haben, noch keine Aussage über die Präzision der Aufgabenerfüllung, hier also der vorgenommenen Schätzung, zulässt.
Aber auch gegen die Übertragbarkeit der von Herrn V (ohnehin auch nur einmal stündlich) anhand von Screenshots gezählten Besucher für einen ausgewählten Ausschnitt auf einen ganzen Sektor bestehen durchgreifende Bedenken. Denn eine solche Hochrechnung, soll sie aussagekräftig sein, würde voraussetzen, dass die Besucherdichte auf dem ausgewählten, nur einen kleinen Teilbereich des Gesamtgeländes abbildenden Bildausschnitt der in dem gesamten Sektor, für den diese Hochrechnung erfolgt, jedenfalls in etwa entspricht. Die Annahme, dass gerade eine vorab ausgewählte Kameraposition einmal stündlich ein nahezu statistisches Mittel der in dem gesamten Sektor befindlichen Besucher zeigt, erscheint äußerst unwahrscheinlich.
Diese Zweifel an der Belastbarkeit der erhobenen Werte bestehen umso mehr, als die einzelnen, von verschiedenen Personen für denselben Zeitraum und denselben Sektor erhobenen Werte mehrheitlich deutlich voneinander abweichen. So wird die Auslastung des Sektors V-1 (KarI-Lehr-Tunnel inklusive Zu- und Abgänge: Karl-Lehr-Tunnel bis Düsseldorfer Straße (westlich) und Grabenstraße (ostwärtig) mit den Zu- und Abgängen auf das/von dem Gelände bis zur ebenen Fläche auf dem Gelände südlich der Hallen) beispielsweise um 14 Uhr von der Polizei mit 100%, von der M GmbH hingegen nur mit 48% angegeben. Der Sektor V-2 (Südbereich: südlicher Bereich ab westlich und ostwärtig der Zu- und Abgänge) wird um dieselbe Zeit von der Polizei als zu 40%, von der Stadt als zu 5% und von der M GmbH als zu 14% ausgelastet angesehen. Diese mehrheitlich unterschiedlichen und auch deutlich voneinander abweichenden Auslastungswerte betreffen den gesamten Erhebungszeitraum und sämtliche Sektoren (vgl. zu weiteren Details die Tabelle „Auslastung der Veranstaltungsfläche und Wegstrecken“, beispielsweise BMO S28, elektronische Seitenzahl 19).
Für den Tunnel Karl-Lehr-Straße wurden überdies von der Stadt und der M GmbH gar keine Zahlen erfasst, denn dieser konnte weder von den städtischen Mitarbeitern auf dem Hoist-Haus eingesehen, noch von der M GmbH ausgewer-
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tet werden, weil die dort befindlichen Kameras nicht zur Erhebung der Auslastungszahlen eingerichtet worden waren.
(b) Polizeilich ausgewertetes Video- und Fotomaterial zur Auslastung der Rampe Ost
Auch die von KHK B in seinem Bericht „Objektive Feststellungen auf den Zu- und Abgangsrampen der „Loveparade““ vom 05.07.2011 (Bl. 23476-23665 HA) vorgenommene Auswertung des Video- und Fotomaterials zur Auslastung der Rampe Ost kann einen Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen nicht bieten.
Denn hieraus ergeben sich keine Zahlen über den tatsächlichen Besucherzufluss und -abfluss am Veranstaltungstag auf der Rampe Ost, sondern lediglich zu dem Befüllungsgrad der Rampe Ost. Überdies ergibt sich hieraus nur eine (zudem pauschale) Dichte- und gerade keine Durchflussbestimmung.
So führt KHK B aus, zwischen 13.30 und 14 Uhr habe sich der Rampenkopf in der Nähe der Floats zunehmend mit Besuchern gefüllt, auf der Rampe sei aber noch kein Stau zu erkennen gewesen (Bl. 23504 HA). Um 14.15 Uhr sei ein deutlicher Rückstau am Kopf der Rampe sichtbar (Bl. 23505 HA), um 14.30 Uhr stauten sich die Menschen bis etwa in Höhe des letzten Lichtmastes an der Westmauer, um 14.40 Uhr habe sich der Rückstau am Rampenkopf erheblich verringert (Bl. 23508 HA). Gegen 15 Uhr habe sich der Stau an dieser Stelle nahezu aufgelöst, auf dem Lichtbild der Kamera 12 seien große Lücken in der Menschenmasse am oberen Teil der Rampe erkennbar. Um 15.15 Uhr sei die Anzahl der sich stauende Menschen am Rampenkopf wieder deutlich angestiegen, die Besucher hätten wieder dicht gedrängt gestanden (Bl. 23510 HA). Um 15.30 habe sich der Rückstau am Rampenkopf gegenüber 15.15 Uhr deutlich erhöht (Bl. 23512 HA), um 15.33 Uhr habe sich der Rückstau dann fast bis zum unteren Teil der Mittelinsel ausgedehnt, die Zaunabsperrungen rechts und links am Rampenkopf seien überrannt worden (Bl. 23514 HA). Um 15.44 Uhr habe sich der Stau im mittleren Rampenbereich – er vermute auf Grund der Entlastung über die Grünflächen – ein wenig entspannt; der Stau im Bereich des Rampenkopfes sei indes unverändert geblieben (Bl. 23515 HA). Zwischen 15.45 und 16.00 Uhr habe die Personenzahl am unteren und mittleren Rampenbereich kontinuierlich abgenommen, was er weiter auf ein Abfließen der Menschen über die Grün-
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streifen östlich und westlich der Rampe zurückführe (Bl. 23516 HA). Um 16 Uhr habe sich die Menschenmenge im mittleren Rampenabschnitt weiter aufgelöst, es sei erkennbar, dass Ordner den Böschungsbereich der Rampe abgesperrt hätten (Bl. 23517 HA). Auf den Bildern der Kamera 13 sei zu erkennen, dass sich eine Menschenansammlung „im Bereich des ehemaligen Geländeeinganges“ (gemeint: unterer Bereich der Rampe Ost) gebildet habe. Ursächlich hierfür dürfte nach seiner Einschätzung die dort seit etwa 16.01 Uhr aufgestellte Polizeikette gewesen sein. Aus Sicht der Kamera stauten sich im weiteren Verlauf mehr Menschen oberhalb als unterhalb der Kette (Bl. 23517 f. HA). Die Menschenmenge habe sich am Rampenkopf um 16.41 Uhr (gemeint dürfte 16.14 Uhr sein, vgl. die Überschrift des entsprechenden Abschnitts, Bl. 23517 HA) erheblich verringert (Bl. 23518 HA). Während im oberen Rampenbereich noch ein kleiner Rückstau zu erkennen sei und die Zuschauermengen im mittleren Rampenbereich geringer würden, habe sich jedoch der ganze untere Bereich innerhalb weniger Minuten gefüllt, was er auf die Auflösung der Polizeikette im Tunnel Ost um 16.14 Uhr sowie im Tunnel West um 16.20 Uhr zurückführe; um 16.17 Uhr hätten erste Personen die westliche Treppenabsperrung, um 16.23 Uhr den östlichen Lichtmast erklettert (Bl. 23519 HA).
(c) Durchflussangaben durch Polizeibeamte
Einzelne Polizeibeamte meldeten Durchflusszahlen (lediglich zum Zustrom) an den Vereinzelungsanlagen. Diese Angaben bieten indes keine Grundlage für einen Beweis dafür, dass die Besucherzu- und -abströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planungen der Angeschuldigten angenommenen Besucherplanzahlen eingetroffen sind.
So wurde um 12.26 Uhr gemeldet, 61 Personen pro Minute passierten die Vereinzelungsanlage Ost. Um 13.00 Uhr wurde für die Einlassstelle Ost ein „normaler Zustrom“ von 200 Personen pro Minute und für den Eingang West ein „reduzierter Zustrom“ von 120 Personen pro Minute gemeldet; insgesamt hätten seit Einlassbeginn um 12.00 Uhr etwa 25.000 Personen durch die beiden Eingänge das Gelände betreten. Um 13.32 Uhr wurde gemeldet, beide Eingänge seien voll geöffnet, circa 200 bis 250 Personen pro Minute kämen hinein; insgesamt dürften bislang pro Eingangsseite jeweils 18.000 Personen auf das Gelände gelangt sein. Um 14.00 Uhr wurde gemeldet, am Eingang West liege der Durchlass bei 500 Personen pro Minute. Um 14.18
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Uhr und 14.22 Uhr wurde jeweils mitgeteilt, die Vereinzelungsanlage West laufe mit voller Auslastung von 500 Personen pro Minute. Um 15.01 Uhr wurde gemeldet, am Eingang West liege der Durchlass bei 500 bis 600 Personen pro Minute, am Eingang Ost bei 300 Personen pro Minute (vgl. Vermerk „Durchlassmengen der Einlassschleusen – Planung und Realisierung“ des KHK F vom 07.09.2011, Bl. 26757-26775 HA, dort Bl. 26760-26761 HA, Vermerk des KHK K vom 08.11.2010, Bl. 12522-12582 HA, dort Bl. 12524-12526, 12531 HA, und Vermerk „Wesentliche Lupus-Meldungen sowie die internen Abschnittdokumentationen zu den Geschehnissen an der Rampe“, BMO P 61.6, elektronische Seitenzahl 387-425, dort Seiten 396-397).
Zwar käme man bei Annahme des maximal angegebenen Zustroms von 500-600 Besuchern pro Minute am Eingang West sowie von 300 Besuchern am Eingang Ost um 15.01 Uhr – würde man diese Angaben auf die gesamte Stunde von 15 bis 16 Uhr hochrechnen – mit 48.000-54.000 Personen in den Bereich der in der Anklage (S. 110 der Anklageschrift, Bl. 36474 HA) zugrunde gelegten Zuflusswerte von 55.000 Besuchern pro Stunde – allerdings nur – für den Zeitraum zwischen 15 und 16 Uhr. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich lediglich um eine punktuelle Beobachtung um 15.01 Uhr handelt und sich daraus keine Rückschlüsse auf den Zustrom für die restliche Zeit bis 16 Uhr ergeben. Überdies ist zu bedenken, dass die Vereinzelungsanlagen ab 15.54 bzw. 15.55 Uhr vorübergehend geschlossen waren.
Für die weiteren mitgeteilten Durchflusszahlen gilt ebenfalls, dass es sich dabei lediglich um Angaben zum Besucherzufluss zu wenigen einzelnen Zeitpunkten handelt, die kein Gesamtbild ermöglichen. Sie bleiben überdies weit hinter den in der Anklageschrift benannten Besucherzahlen zurück.
Auch unter Zugrundelegung der mitgeteilten Schätzungen zum Gesamtbesucherdurchfluss (um 13.00 Uhr wurde gemeldet, seit Einlassbeginn um 12.00 Uhr hätten etwa 25.000 Personen durch die beiden Eingänge das Gelände betreten, um 13.32 Uhr wurde gemeldet, insgesamt dürften bislang pro Eingangsseite jeweils 18.000 Personen auf das Gelände gelangt sein) käme man bei Weitem nicht auf die in der Anklageschrift (S. 110 der Anklageschrift, Bl. 36474 HA) als tatsächlich auf dem Ge-
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lände eingetroffen zugrunde gelegten Prognosen von 45.000 Besuchern pro Stunde zwischen 12 und 13 Uhr und 60.000 Besuchern pro Stunde zwischen 13 und 14 Uhr.
Hinsichtlich der Belastbarkeit aller genannter Zahlen gilt zudem, dass sich nicht mehr nachvollziehen lässt, wer jeweils die meldenden Beamten waren (vgl. Bericht „Auslastung der Veranstaltungsfläche und Wegstrecken“ des KHK W , Bl. 29023-29028 HA, dort Bl. 29026 HA), so dass über die Qualifikation des jeweils Meldenden nichts bekannt ist. Die eingesetzten Polizeibeamten hatten grundsätzlich weder eine entsprechende Qualifikation noch wurden sie gesondert für diese Aufgabe geschult (vgl. Bericht „Auslastung der Veranstaltungsfläche und Wegstrecken“ des KHK W , Bl. 29023-29028 HA, dort Bl. 29027 HA); einige von ihnen waren lediglich aufgrund vorangegangener Einsätze möglicherweise erfahren im Abschätzen von Zahlen, wobei allein der Umstand, eine bestimmte Tätigkeit bereits ein- oder mehrmals zuvor ausgeübt zu haben, noch keine Aussage über die Präzision der Aufgabenerfüllung, hier also der vorgenommenen Zählung oder Schätzung, zulässt.
(d) Zählung des Zu-/Abstroms von Besuchern „mittels Kamera 13“
Auch die von Prof. Dr. H und M zitierte „Stichprobenzählung mittels Kamera 13“ auf der Seite http://m......[Fußnote 128] kann keinen Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen bieten.
Zum einen beschränkt sich die Zählung auf die Besucherzu- und -abgangszahlen auf der Rampe Ost (Bildmaterial der Kamera Nr. 13) zwischen 13.27 Uhr und 15.40 Uhr. Zum anderen weichen die bei den anhand einzelner Zählungen für kürzere Zeiträume von maximal 20 Minuten erfolgten Hochrechnungen ermittelten Werte massiv nach unten von den der Anklageschrift als tatsächlich auf dem Gelände eingetroffen zugrunde gelegten Planzahlen ab. So gibt es nach dieser Zählung beispielsweise zwischen 14 und 15 Uhr einen durchschnittlichen Zugang von 28.800 Besuchern (Zugang 14.00-14.20 Uhr hochgerechnet auf Besucher/Stunde: 30.000, 14.20-14.40 Uhr: 26.400, 14.40-15 Uhr: 30.000, was zu einem Mittelwert von 28.800 Besucher/Stunde im Zeitraum 14-15 Uhr führt), während nach den in der Anklageschrift
[Fußnote 128: Vgl. hierzu C. II. 3. c. dd. (2) (b).]
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auf Seite 110 (Bl. 36474 HA) referenzierten Planzahlen mit einem Zustrom von 55.000 Besuchern in derselben Zeit gerechnet wurde, der so auch tatsächlich jedenfalls im Wesentlichen stattgefunden haben soll. Gleiches gilt für den Abstrom. Hier gehen die von der Anklage als eingetroffen angenommenen Planzahlen von einem Abstrom von 10.000 Besuchern in der Zeit zwischen 14 und 15 Uhr aus. Nach der von Prof. Dr. H und M zitierten hochgerechneten Stichprobenzählung auf der Seite http://m..... bestand hingegen ein durchschnittlicher Abgang von 1.900 Besuchern in der Zeit zwischen 14 und 15 Uhr (14-14.20 Uhr hochgerechnet auf Besucher/Stunde: 600, 14.20-14.40 Uhr: 1.500, 14.40-15 Uhr: 3.600, was zu einem Mittelwert von 1.900 abgehenden Besuchern/Stunde im Zeitraum 14 bis 15 Uhr führt).
Da diese Zahlen deutlich unter den von der Anklage als tatsächlich eingetroffen zugrunde gelegten Prognosen liegen, können sie das Eintreffen der Besucherplanzahlen nicht beweisen.
(e) Weitere Zählungen durch Polizeibeamte
Auch die von einzelnen Polizeibeamten vorgenommenen weiteren Zählungen/Schätzungen, insbesondere zu vor den Vereinzelungsanlagen wartenden Besuchern, können keine Grundlage für einen Beweis des Eintreffens der Besucherplanzahlen bieten.
So wurde vom Einsatzabschnitt Schutz der Veranstaltung um 11.31 Uhr mitgeteilt, vor den Vereinzelungsanlagen hielten sich jeweils circa 500 Personen auf. Um 12 Uhr wurde vom Raumschutz West gemeldet, vor der Vereinzelungsanlage West befinde sich eine sehr große Menschengruppe (10.000 Personen). Vom Raumschutz West wurde um 12.58 Uhr mitgeteilt, im Kreuzungsbereich befinde sich eine große Menschenmenge (circa 5.000 Personen). Um 13.33 Uhr wurde gefunkt, der Raumschutz West habe mitgeteilt, vor der Einlassstelle Düsseldorfer Straße/Karl-Lehr-Straße warteten circa 20.000 Menschen im Kreuzungsbereich. Um 13.55 Uhr und 14.50 Uhr teilte der Raumschutz West jeweils mit, 7.000 Personen seien im Kreuzungsbereich. Um 14.50 Uhr meldete der Flugkoordinator, auf den Zulaufstrecken befänden sich circa 50.000 bis 100.000 Personen. Um 15.29 Uhr gab die „Fliegerstaffel“ durch, „im Veranstaltungsraum“ seien insgesamt „circa 350.000 bis 500.000
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Personen“ (vgl. Vermerk „Wesentliche Lupus-Meldungen sowie die internen Abschnittdokumentation zu den Geschehnissen an der Rampe“, BMO P 61.6, elektronische Seitenzahl 387-425, dort S. 389, 391, 393, 395, 399, 402, Vermerk „Zeitlicher Ablauf der Geschehnisse im EA Raumschutz West“ von POR W vom 27.07.2010, BMO P 22, elektronische Seitenzahl 13-16, dort S. 13-14, und Vermerk „Zur DPA-Meldung von Montag, 26.07.2010, 19:02 h Loveparade-Chef: Verhängnisvolle Polizei-Anweisung“ des PHK M , BMO P 61.5, elektronische Seitenzahl 74-76, dort S. 74).
An der Belastbarkeit dieser Zahlen im Hinblick auf die Qualifikation des nicht mehr im Einzelnen zu ermittelnden Zählenden/Schätzenden bestehen bereits Zweifel.[Fußnote 129] Zudem geben diese Zahlen – wenn überhaupt – nur das Besucheraufkommen an einzelnen Stellen und zu einzelnen Zeitpunkten wieder, ohne jedoch auch nur annähernd ein konkretes Gesamtbild zu ermöglichen und insbesondere ohne die – der Anklage zugrunde liegende (vgl. S. 110 der Anklageschrift, Bl. 36474 HA) – Annahme des Eintreffens der prognostizierten Besucherströme auch nur im Ansatz zu belegen.
(f) Zählung durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen
Am 26.08.2010 wurde das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen beauftragt, Bildmaterial im Hinblick auf die Erhebung einer validen Zuschaueranzahl im Bereich der östlichen Rampe auszuwerten. KHK’in P erstellte daraufhin am 18.01.2011 den Bericht „Ermittlungen im Zusammenhang mit der Loveparade 2010, Erhebung der Zuschaueranzahl im Bereich der östlichen Rampe“ (Sonderbände, Vermessungen Unglücksort Loveparade 2010, Vermessungen Unglücksort Loveparade 2010.pdf, elektronische Seitenzahl 64-73).
Die Ergebnisse dieser Auswertung können indes ebenfalls keinen Beweis für ein Eintreffen der Besucherplanzahlen erbringen. Denn es handelt sich hierbei nur um die Auswertung der am Fuß der Rampe zu einer bestimmten Uhrzeit (die verwendeten Bilder tragen den Zeitstempel 16.45.43 und 16.45.50 Uhr) befindlichen Personen. Insofern ergeben sich hieraus keine aussagekräftigen Zahlen über den tatsächlichen
[Fußnote 129: Siehe oben unter C. II. 3. c. dd. (5) (a).]
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Besucherzu- und -abfluss, sondern lediglich zur Auslastung am Fuß der Rampe zur untersuchten Zeit, was überdies lediglich eine in zeitlicher und örtlicher Hinsicht punktuelle Dichte- und gerade keine Durchflussbestimmung ermöglicht.
Ausweislich des Berichts wurden die zur Verfügung gestellten Bildmaterialien der Kamera Nr. 13 der M GmbH, der Einsatzhundertschaft, eines Pressefotografen und des Hubschraubers der Bundespolizei geprüft und festgestellt, dass hinsichtlich der Bildqualität lediglich das Bildmaterial der Kamera Nr. 13 der M GmbH für eine Auswertung im Sinne des Auftrages zumindest eingeschränkt geeignet sei. Die Geeignetheit sei als lediglich eingeschränkt bewertet worden, weil die Tiefenschärfe, die Auflösung und die perspektivische Abbildung der östlichen Rampe nur eine eingeschränkte Auswertung zuließen und zudem die Kamera nicht senkrecht auf die Zuschauer gerichtet gewesen sei, weshalb nur die Köpfe der Besucher gezählt werden könnten, ohne feststellen zu können, wo (in welchem der für die Auswertung festgelegten Raster) die einzelnen Personen genau stünden.
Nachdem ausgewählte Standbilder im Hinblick auf Kameraschwenke überlagert worden seien, um ein Bild der gesamten Rampe zu erhalten, sei ein Raster auf die Bilder gelegt und es seien so 964 Raster von je 1x1 Meter generiert worden. In diesen Rastern seien mittels des Programms „Photoshop“ die Köpfe der abgebildeten Personen gezählt worden. Aufgrund der Tiefenschärfe und der Bildauflösung hätten jedoch nur die Raster 1 bis 392 ausgewertet werden können. Die in den 392 ausgewerteten Rastern enthaltenen 68 Rasterfragmente, d. h. Raster, in denen nicht auf der ganzen Fläche Zuschauer abgebildet seien, seien nicht in die Berechnung der durchschnittlichen Zuschaueranzahl pro auswertbarem Raster einbezogen worden. Aufgrund der perspektivischen Darstellung sei nicht auszuschließen, dass größere Personen kleinere Personen überdeckten bzw. sich bereits Personen am Boden befänden und deshalb auf den Bildern nicht sichtbar seien. Darüber hinaus seien die Köpfe der Zuschauer gezählt und nicht der tatsächliche Standort der Personen bestimmt worden. Dadurch könne die gezählte Personenanzahl von der in einem Raster wirklich stehenden Anzahl abweichen, wenn eine Person sich in ein Raster beuge, eine große Person in ein anderes Raster hineinrage oder eine kleinere Person in einem anderen Raster zu sehen sei. In den ausgewerteten Rastern (1-392) seien 3.056 Personen, also durchschnittlich 7,8 Personen gezählt worden. Die durchschnittliche Anzahl er-
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höhe sich auf 9,4 Personen, wenn die 68 Rasterfragmente nicht berücksichtigt würden.
Hierzu hat KHK’in P in ihrem auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft vom 27.05.2015 erstellten Nachbericht vom 17.06.2015 (Bl. 45271-45274 HA) weiter ausgeführt, die durchschnittliche Zahl von 9,4 Personen stelle keine „Nettozahl“ dar. Den Wert 9,4 habe sie ermittelt, indem sie die Gesamtzahl der gezählten Personen durch die Anzahl der auswertbaren Raster dividiert habe (3.056:324). Berücksichtige man hingegen die Zahl der in den 68 nicht oder nur eingeschränkt auswertbaren Rastern gezählten 304 Personen nicht und dividiere nur die Anzahl der in den 324 vollständig auswertbaren Rastern gezählten Personen durch die Anzahl der auswertbaren Ra-ster (2.752:324), ergebe sich eine durchschnittliche Anzahl von 8,5 Personen pro Raster. Hierbei handele es sich um die „Nettozahl“, also sicher gezählte Anzahl an Personen in sicher auswertbaren Rastern.
Da das Verfahren in dieser Form erstmalig angewendet worden sei, gebe es auch keine Erfahrungswerte, aus denen sich eine valide Aussage zu der Schwankungsbreite ableiten lasse.
Allein der Umstand, dass nach der Auswertung um 16.45 Uhr in dem Bereich am Fuß der Rampe 3.056 bzw. 2.752 Personen gezählt wurden, was – je nach Berechungsmethode – zu einer Personendichte von 7,8 bis 9,4 Personen pro m2 führt, kann jedoch nicht den Anklagevorwurf der sorgfaltswidrigen Planung im Hinblick auf die Führung der prognostizierten Besucherströme und die fehlende Geeignetheit des geplanten Eingangs- und Ausgangssystems zur sicheren Führung der ankommenden und abreisenden Besucher aufgrund zwangsläufiger Überschreitung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute belegen. Denn insofern reicht es nicht aus, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt (zudem während der Unglückszeit) sich viele Besucher dicht gedrängt an einer Stelle aufhielten, was lediglich das Ergebnis eines vorangegangenen Prozesses beschreibt und auch auf andere Ursachen zurückgeführt werden könnte, beispielsweise entsprechend dem „Bericht Objektive Feststellungen auf den Zu- und Abgangsrampen der „Loveparade““ des KHK B vom PP Köln vom 05.07.2011 (Bl. 23476-23665 HA) auf die Aufstauwirkung der Polizeikette zwischen den Zaundreiecken:
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„Auf den Bilder(n) der Kamera 13 ist zu erkennen, dass sich eine Menschenansammlung im Bereich des ehemaligen Geländeeinganges bildet. Ursächlich hierfür dürfte die dort seit etwa 16:01 Uhr aufgestellte Polizeikette sein.“ (Bl. 23517 f. HA unter der Überschrift „4.1.8 Auslastung 16:00 bis 16:15 Uhr“)
„Während im oberen Rampenbereich noch ein kleiner Rückstau zu erkennen ist und die Zuschauermengen im mittleren Rampenbereich geringer werden, füllt sich der ganze untere Bereich innerhalb weniger Minuten (Auflösung Polizeikette Tunnel Ost 16:14 Uhr – Polizeikette Tunnel West 16:20 Uhr).“ (Bl. 23519 HA unter der Überschrift „4.1.9 Auslastung 16:15 bis 16:30 Uhr“)
„Um 16:24:48 Uhr ist auf Kamera 13 an den Menschenströmungen erkennbar, dass die Polizeiabsperrung am „Durchgang“ aufgehoben wird. Sofort setzt sich, deutlich sichtbar und zügig, ein 1-2 Meter breiter Menschenstrom am westlichen Zaundreieck in Richtung Westtunnel in Bewegung. Zeitgleich strömen Personen vom Rand des Tunnelausgangs zum Rampenkopf.“ (Bl. 23520 HA unter der Überschrift „4.1.9 Auslastung 16:15 bis 16:30 Uhr“)
Es bedarf vielmehr eines Beweises dafür, dass der Umstand, dass sich zu einem bestimmten Zeitpunkt viele Besucher dicht gedrängt an einer Stelle aufhielten, entsprechend dem Anklagevorwurf Folge der d Angeschuldigten J , G , H und I vorgeworfenen Ungeeignetheit des Ein- und Ausgangssystems zur sicheren Führung der Besucherströme wegen Überschreitung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute war. Dieser Beweis ist indes durch eine sowohl in zeitlicher als auch in örtlicher Hinsicht punktuelle Dichtebestimmung (um 16.45 Uhr und damit bereits innerhalb des Unglückszeitraums am Fuß der Rampe Ost) nicht erbracht.
Durch die Zählung des Landeskriminalamts NRW lassen sich zudem bereits nicht die in der Anklage behaupteten Angaben zur ungefähren Größe der sich im Bereich der Zu- und Abgangsrampe zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr bildenden „Menschenverdichtung“ („mehrere zehntausend Personen“, S. 6 der Anklageschrift, Bl. 36370 HA) belegen. Denn von KHK’in P wurden die am Fuß der Rampe um 16.45.43
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bzw. 16.45.50 Uhr befindlichen Personen gezählt, wobei sie auf eine Besucherzahl von lediglich 3.056 Personen kam.
(6) Videoaufzeichnungen und Bildmaterialien
Aus den in der Akte befindlichen Videoaufzeichnungen und Bildmaterialien ergibt sich nach derzeitigem Ermittlungsstand kein Beweis für ein Eintreffen der Besucherplanzahlen. Anhand der Video- und Bilddateien wurde keine Zählung der am Veranstaltungstag anwesenden Besucher (weder im Hinblick auf die Gesamtzahl der auf dem Veranstaltungsgelände anwesenden Besucher noch auf die zu bestimmten Zeiten das Ein- und Ausgangssystem passierenden Besucher) durchgeführt; Prof. Dr. T hat hierzu angegeben, eine Zählung anhand dieser Materialien sei nicht möglich.[Fußnote 130]
Soweit Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 3.4.1 ausführt:
„Anhand des Video-(Überwachungs-)Bildes (unten) können wir deutlich erkennen, dass die Rampenverengung, - wie im Eingangsmodell (First-Pass-Modell) angenommen - fast in vollem Umfang genutzt wurde.“ (Bl. 40730 HA),
und dazu ausschließlich einen (einzigen) Screenshot einer Aufnahme der Rampe Ost mit dem Zeitstempel 15.50.13 Uhr abbildet, ermöglicht dies keinen Rückschluss auf konkrete Zahlenangaben.
Auch soweit er in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 3.5.9 den identischen Screenshots erneut abbildet und unter Punkt 3.5.10 ausführt (Hervorhebung durch die Kammer):
„An dieser Stelle der Veranstaltung gibt es sowohl an den östlichen als auch an den westlichen Eingangssystemen große Menschenmengen. Die Rampe ist oben voll, und die Beschränkung (10,59 m) erreicht die volle Kapazität.“,
[Fußnote 130: Siehe oben bei C. II. 3. c. bb. (1).]
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setzt er sich damit zum einen in Widerspruch zu seinen Ausführungen unter Punkt 3.4.1, zum anderen folgen auch hieraus keine konkreten Zahlenangaben.
S fordert in seinem „Methodenkritischen Gutachten zum "Sachverständigen-Gutachten über die Love Parade am 24. Juli 2010 in Duisburg, Version 3.15, 14. März 2013"“ (Bl. 38575-38586 HA) eine solche Auswertung („Für die Ermittlung von Ursachen, welche am Veranstaltungstag zu den Menschenverdichtungen mit Todesfolge in Umgebung der Treppe geführt haben, wäre eine Zählung anhand der Videos notwendig, bei der eine zeitliche und räumliche Auflösung der Personenströme entsprechend der tatsächlichen Gegebenheiten am Veranstaltungstag erfolgt.“, Bl. 38582 HA, „Für eine tragfähige Ursachenanalyse müssten vor Allem die am Veranstaltungstag aufgetretenen Besucherzahlen bestimmt werden. Dies wäre beispielsweise durch manuelle Stichprobenzählungen anhand des Videomaterials aus den Überwachungskameras möglich.“, Bl. 38585 HA). Ob diese Auswertung jedoch tatsächlich durchführbar oder wie von Prof. Dr. T angegeben aufgrund der Qualität der Materialien nicht möglich ist, kann S – anders als Prof. Dr. T, dem das Material zur Verfügung stand – nicht beurteilen, denn ausweislich seiner Ausführungen lagen ihm die Bild-/Videodateien nicht vor, er nutzte lediglich Videomaterial aus dem Blog http://m.....com/ (Bl. 38575-38576 HA).
Überdies ist nicht ermittelt, dass überhaupt ein Sachverständiger eine solche Zählung vornehmen kann. Auf den Ermittlungsauftrag der Staatsanwaltschaft an die Polizei vom 27.05.2015 zu prüfen, ob das Landeskriminalamt NRW oder ein zu benennender Dritter durch Auswertung des vorhandenen Bild- und Videomaterials die Zahl der tatsächlichen Besucher valide schätzen könne (Bl. 45266 HA), hat EKHK mit Vermerk vom 17.08.2015 (Bl. 45346 ff. HA) ausgeführt, der Einsatz der vom Landeskriminalamt NRW zur photogrammetrischen Vermessung (Vermessung aus Photographien) genutzten Software der Schweizer AG (E 10) beinhaltete im vorliegenden Fall in verschiedenen Punkten Schwierigkeiten (die Kameras waren nicht senkrecht auf die Zuschauer gerichtet; größere Personen können kleinere überdecken; am Boden befindliche Besucher sind nicht zu sehen; es kann nicht ermittelt werden, wo die Person steht, wenn nur ihr Kopf zu sehen ist), überdies werde das Verfahren in dieser Form erstmalig angewendet, so dass es keine Erfahrungs-
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werte gebe, aus denen sich valide Aussagen zur Schwankungsbreite der Ergebnisse ableiten ließen. Ob durch die Benennung eines Dritten genauere Daten erhoben werden könnten, sei nicht mit Sicherheit zu klären gewesen.
(7) Gesamtbetrachtung der weiteren Beweismittel
Auch aus einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung der weiteren Beweismittel (Ausführungen von B , Prof. Dr. H und M , Dr. O , Prof. Dr. T , verschiedene Beweismittel zu Erhebungen der Auslastung der Sektoren, eine Auswertung des Video- und Fotomaterials zur Auslastung der Rampe Ost im Bericht „Objektive Feststellungen auf den Zu- und Abgangsrampen der „Loveparade““ vom 05.07.2011 von KHK B , von Polizeibeamten gemeldete Durchflusszahlen (zum Zustrom) an den Vereinzelungsanlagen, die „Stichprobenzählung mittels Kamera 13“ auf der Seite http://m.....com..., von Polizeibeamten vorgenommene Zählungen/Schätzungen insbesondere zu vor den Vereinzelungsanlagen wartenden Besuchern, der Bericht „Ermittlungen im Zusammenhang mit der Loveparade 2010, Erhebung der Zuschaueranzahl im Bereich der östlichen Rampe“ des Landeskriminalamts NRW vom 18.01.2011 sowie in der Akte befindliche Videoaufzeichnungen und Bildmaterialien) ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Eintreffen der Besucherplanzahlen:
Entweder ergeben sich aus den Beweismitteln schon gar keine (ein Gesamtbild ermöglichenden) Zahlen zum tatsächlichen Besucherzu- und -abfluss im Ein- und Ausgangssystem, insbesondere auf der Rampe Ost, oder diese sind – aufgrund der dargestellten Bedenken gegen die Art ihrer Erhebung bzw. die Qualifikation des Erhebenden oder aufgrund der Widersprüchlichkeit der gefundenen Ergebnisse zu anderen, für denselben Bereich zur selben Zeit erhobenen Zahlen – nicht belastbar bzw. aussagekräftig. Im Übrigen könnten die Zahlen, soweit sie überhaupt einen Besucherdurchfluss abbilden, – da erheblich niedriger als die der Anklage zugrunde gelegten Planzahlen – einen solchen Beweis nicht erbringen.
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ee. Weitere Beweismittel für die (Nicht-)Ursächlichkeit der fehlerhaften Ausführung der Planung und/oder des Eingreifens Dritter
Ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war/waren, ergibt sich nach derzeitigem Ermittlungsstand weder aus dem insoweit nicht nachvollziehbaren sowie insgesamt unverwertbaren Gutachten von Prof. Dr. T noch aus anderen geeigneten Beweismitteln, weshalb unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr im Sinne der erhobenen Anklagevorwürfe (unzureichende Durchflusskapazität) vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde.
Hierzu bedürfte es der (sachverständigen) Auseinandersetzung einerseits mit der Durchflusseignung des Ein- und Ausgangssystems sowie andererseits mit den tatsächlichen Abläufen am Veranstaltungstag, insbesondere im Hinblick auf eine gegebenenfalls fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter. An solchen Beweismitteln fehlt es. Weder das Gutachten „Loveparade 24. Juli 2010 Duisburg, Sachverständigengutachten 31. Oktober 2010“ (Sonderbände, Papierakte, I , Sachverständigengutachten I ) von V B (I ) noch die wissenschaftliche Ausarbeitung von Prof. Dr. H und M (Sonderbände, Papierakte, Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H , Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H .pdf, elektronische Seitenzahl 66-113) enthalten entsprechende Ausführungen. Auch aus anderen Beweismitteln ergibt sich hierzu nichts.
ff. Gesamtschau der Abläufe am 24.07.2010
Ohne die erforderliche, aber fehlende Ermittlung des tatsächlichen Besucherprofils sowie ohne eine nachvollziehbare Befassung mit einer ggf. fehlerhaften Ausführung der Planung und/oder dem Eingreifen Dritter sowie der etwaigen Ursächlichkeit solchen Verhaltens kann nicht bereits im Wege einer Gesamtschau auf eine Kausalität bzw. Realisierung der von der Anklage angenommenen Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg geschlossen werden.
Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NStZ 1995, 590), wonach der Nachweis von Kausalzusammenhängen keine absolute, von
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niemandem anzweifelbare Gewissheit verlange und vielmehr ein mit den Mitteln des Strafverfahrens gewonnenes, nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genüge, das keinen vernünftigen Zweifel bestehen lasse, sowie dass ein Ausschluss von Ursachen auch dadurch erfolgen könne, dass nach einer Gesamtbewertung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und anderer Indiztatsachen die – zumindest – Mitverursachung zweifelsfrei festgestellt werde, ergibt sich keine andere Bewertung.
Es lässt sich nämlich auch im Wege einer solchen Gesamtschau der sich aus den Ermittlungsergebnissen ergebenden tatsächlichen Abläufe am 24.07.2010 nicht darauf schließen,
- dass eine planerische wie tatsächliche Fehldimensionierung des Eingangs-/ Ausgangssystems dazu beitrug, dass es „angesichts der erwarteten Besucherzahlen zwangsläufig zu lebensgefährlichen Menschenverdichtungen“ im Zeitraum zwischen 15 und 19 Uhr kam, da den „prognostizierten Besucherströmen“ insoweit kein ausreichender Raum zur Verfügung stand, um sich sicher zu bewegen (S. 10, 136 der Anklageschrift, Bl. 36374, 36500 HA),
- dass, da das Besucheraufkommen am Veranstaltungstag der Besucherprognose „weitestgehend“ entsprochen habe (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA), der als maximale Durchflusskapazität „wissenschaftlich anerkannte“ – und hier ohnehin nach unten zu korrigierende – Wert von 82 Personen/Meter/Minute aufgrund einer zusätzlichen Verengung in noch erheblich weitergehendem Maße überschritten wurde (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA) und
- dass „infolgedessen“ die „wissenschaftlich anerkannte“ – und von allen Angeschuldigten zu beachtende – maximale Durchflusskapazität auf der östlichen Rampe zeitweise um mehr als das Doppelte überschritten wurde (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA).
Denn die Anklage nennt vielmehr selbst eine Vielzahl von tatsächlichen Umständen, die gegen einen solchen plangemäßen Besucherstromfluss auf das und von dem Veranstaltungsgelände sprechen.
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So benennt die Anklage – teilweise im Anklagesatz, teilweise im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen – eine Vielzahl von planwidrigen Entwicklungen, die nach eigener Einschätzung der Anklageschrift Einfluss auf die tatsächlichen Personenströme hatten. Diese sprechen in ihrer Gesamtheit – jedenfalls ohne die (nicht vorhandene) auch nur ungefähre numerische Erfassung des tatsächlichen Besucherprofils am 24.07.2010 sowie ohne eine Klärung, ob durch eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde – dagegen, dass es sich um einen plangemäßen Zu- und Abfluss der Besucherströme mit der Folge eines erfolgskausalen Durchflussdefizits zur Tatzeit handelte:
1. Verspätete Öffnung des Veranstaltungsgeländes um 12.01 Uhr statt um 11.00 Uhr mit der Folge eines – planwidrigen – erheblichen Besucherstaus im Kreuzungsbereich Düsseldorfer Straße/Karl-Lehr-Straße (vgl. S. 21, 311, 360 der Anklageschrift, Bl. 36385, 36675, 36724 HA)
2. Fehlende vollständige Besetzung sämtlicher 16 Schleusen der Vereinzelungsanlage West (zunächst nur 11 Schleusen besetzt) ab Veranstaltungsbeginn um 12.01 Uhr; die Schleuse West arbeitete nach der Anklage bis zumindest 13 Uhr nur mit „halber Kapazität“ (S. 360 der Anklageschrift, Bl. 36724 HA)
3. Fehlende vollständige Besetzung sämtlicher 16 Schleusen der Vereinzelungsanlage Ost (zunächst nur 14 Schleusen besetzt) ab Veranstaltungsbeginn für etwa 1,5 Stunden (S. 367 der Anklageschrift, Bl. 36731 HA) mit der Folge einer Kapazitätseinschränkung
4. Vorübergehendes Schließen der Vereinzelungsanlagen in Folge einer polizeilichen Anweisung gegen 12.58 Uhr (vgl. S. 312 der Anklageschrift, Bl. 36676 HA) mit der Folge einer Kapazitätseinschränkung
5. Fehlende Besetzung von acht Schleusen der Vereinzelungsanlage West gegen 13.00 Uhr bis etwa 14.00 Uhr (vgl. S. 312, 361 der Anklageschrift, Bl. 36676, 36725 HA) mit der Folge einer Kapazitätseinschränkung
6. Verspätete Öffnung des Ausgangs aus dem Veranstaltungsgelände erst gegen 13.27 Uhr (S. 361 der Anklageschrift, Bl. 36725 HA)
7. Unkontrollierter Zustrom von Besuchern gegen 14.06 Uhr im Bereich der Vereinzelungsanlage West, nachdem Zaunteile überlaufen wurden (vgl. S. 314 der Anklageschrift, Bl. 36678 HA)
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8. Umleiten von Besucherströmen durch Polizeikräfte von der Zulaufroute West hin zur Zulaufroute Ost gegen 14.30 Uhr (S. 315 der Anklageschrift, Bl. 36679 HA)
9. Planwidriges Passieren von Besuchern in den Veranstaltungsraum durch eine Zaunlücke nach Durchfahrt eines Rettungswagens gegen 15.19 Uhr sowie 15.33 Uhr (S. 317, 319 der Anklageschrift, Bl. 36681, 36683 HA)
10. Umwerfen der Begrenzungszäune zum oberen Veranstaltungsgelände und Erreichen des Geländes auf hierzu nicht vorgesehenem Wege über die Böschungen der Rampe Ost durch Besucher ab etwa 15.35 Uhr (S. 319 der Anklageschrift, Bl. 36683 HA) mit der Folge einer Verbreiterung der Rampe auf „bis zu 32 Meter“ unter Mitbenutzung der am Rampenkopf beidseitig vorhandenen Böschungen als Aufgang zum Gelände (S. 398 der Anklageschrift, Bl. 36762 HA, 3. Absatz) sowie eines Nachlassens des Rückstaus vom Rampenkopf in die Rampe Ost hinein zwischen 16.00 und 16.10 Uhr (S. 401 der Anklageschrift, Bl. 36765 HA)
11. Sperrung der Tunnel West und Ost durch Polizeiketten von etwa 15.50 Uhr bis 16.20 Uhr (West) sowie 15.57 Uhr bis 16.13/16.14 Uhr (Ost) auf Anordnung der Zeugen PR H und PHK M mit hieraus folgender entsprechender Bildung erheblichen „Personendrucks“ bei gleichzeitig nur kurzfristiger Schließung der Vereinzelungsanlagen West und Ost ab 15.54 Uhr (S. 22, 392 sowie 395 bis 397 der Anklageschrift, Bl. 36386, 36756 sowie 36759 bis 36761 HA)
12. Zufluss auf das Gelände auch über die westliche Rampe ab ca. 15.55 Uhr aufgrund polizeilicher Anordnung der (planwidrigen) Verwendung auch der Rampe West als Zugangsrampe (S. 393 der Anklageschrift, Bl. 36757 HA)
13. Errichtung einer (auftragswidrig kurzzeitig in Richtung Tunnel durchlässigen) Polizeikette auf der Rampe Ost auf Höhe und unter Nutzung der von der Anklageschrift als (mit)kausal erachteten Verengung auf 10,59 Meter um 16.01 Uhr mit der Folge deren Durchflusssperre bis 16.28 Uhr und der Bildung eines „zunehmenden Rückstaus“ auf der Rampe Ost (S. 397-399 der Anklageschrift, Bl. 36761-36763 HA)
14. Durchfahrt eines Rettungswagens durch die Vereinzelungsanlage West gegen 16.00 Uhr sowie Zaundurchbruch mit der Folge des planwidrigen („unkontrollierten“) Zuflusses einer „unbestimmten Anzahl an Personen“ (S. 322, 392 der Anklageschrift, Bl. 36686, 36756 HA)
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15. Zaundurchbruch von 50-60 Personen auf das Veranstaltungsgelände gegen 16.02 Uhr (S. 322 der Anklageschrift, Bl. 36686 HA)
16. Öffnen der Vereinzelungsanlage West gegen 16.02 Uhr und endgültige Aufgabe der Vornahme von Personenkontrollen gegen 16.17 Uhr bei der Vereinzelungsanlage West mit der Folge „ungebremst(en)“ Besucherzustroms (S. 363 der Anklageschrift, Bl. 36727 HA und S. 393 der Anklageschrift, Bl. 36757 HA)
17. Durchfahrt eines Rettungswagens durch die Vereinzelungsanlage West gegen 16.32 Uhr, wobei es nach vom Zeugen H auf Anweisung des Zeugen POK B vorgenommener Öffnung von Bauzäunen zu einem unkontrollierten Zustrom von Personen und damit einem „erhöhten Zugang“ kam (S. 326, 327 der Anklageschrift, Bl. 36690, 36691 HA)
18. Erweiterung der unter Punkt 17. genannten Öffnung durch Wegziehen weiterer Bauzaunelemente Minuten nach der Durchfahrt des Rettungswagens gegen 16.36 Uhr durch Ordner im Bereich der Vereinzelungsanlage West mit der Folge, dass „einige Minuten lang ungehindert Veranstaltungsbesucher in Richtung Tunnel beziehungsweise östliche Rampe“ strömten (S. 365 der Anklageschrift, Bl. 36729 HA)
19. „Intervallöffnungen“ der „Schleuse Ost“ durch den Zeugen S trotz bestehender Polizeikette im Tunnel Ost ab 15.54 Uhr, um den „Druck stoßweise zu mindern“ (S. 368 f. der Anklageschrift, Bl. 36732 f. HA), wobei die „Schließung der beiden Vereinzelungsanlagen sogar unerlässlich“ gewesen sei, „um eine Verstärkung der Menschenverdichtung im Tunnel der Karl-Lehr-Straße und der östlichen Rampe zu vermeiden“ (S. 402 der Anklageschrift, Bl. 36766 HA).
Weder die Anklageschrift vom 10.02.2014 noch das vorgelegte Gutachten des durch die Staatsanwaltschaft Duisburg beauftragten Prof. Dr. T enthalten eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit trotz dieser bereits seit Beginn der Veranstaltung auftretenden erheblichen „Planabweichungen“ durch die tatsächlichen Ereignisse im Veranstaltungsablauf von der dem Anklagevorwurf zugrunde liegenden Einschätzung eines „weitestgehenden“ Eintreffens der Planzahlen des Veranstalters am Veranstaltungstag auf dem Veranstaltungsgelände und daher einer Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität auszugehen sein soll mit der Folge, dass zu einem vorhersehbaren Zeitraum (15-19 Uhr) an vorhersehbarer Stelle (Fuß der Stellwerkstreppe auf der Rampe Ost) „zwangsläufig“ mit der Folge von Gefahr für Leib oder Leben der
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Besucher kein hinreichender Platz mehr zur Verfügung stand. Vielmehr ergibt sich spätestens mit Sperrung der Tunnel West und Ost durch die Polizeiketten von etwa 15.50 Uhr bis 16.20 Uhr (West) sowie von 15.57 Uhr bis 16.13/16.14 Uhr (Ost) mit entsprechender Bildung von erheblichem „Personendruck“ bei gleichzeitig nur kurzfristiger, temporärer Schließung der Vereinzelungsanlagen West und Ost sowie mit Errichten der weiteren Polizeikette von 16.01 Uhr bis 16.28 Uhr in einer Engstelle der Rampe Ost als dem (nach den Planungen) einzigen Zugang mit der Folge einer Durchflusssperre und der Bildung eines „zunehmenden Rückstaus“, schließlich aufgrund der ab ca. 15.55 Uhr erfolgten Umleitung der Besucher über die Rampe West als weiterem – planwidrig geschaffenen – Zugangspunkt eine grundlegende tatsächliche „Umgestaltung“ des geplanten Ein- und Ausgangssystems (Zugang lediglich über die Rampe Ost) und der damit verbundenen (nach der Planung allenfalls durch Sperrungen der Vereinzelungsanlagen zu beeinflussenden) Führung der Besucherströme durch die vor Ort vorgenommenen (insbesondere polizeilichen) Maßnahmen.
Ebenso spricht das in der Anklageschrift wiedergegebene Ermittlungsergebnis dagegen, dass – so aber in der Konkretisierung der Anklage (S. 19 der Anklageschrift, Bl. 36383 HA) ausgeführt – die Verengung der Durchgangsbreite der Rampe Ost durch die am Veranstaltungstag vorhandenen Zaundreiecke den „unglücksverursachende(n) Personenstau und die daraus resultierenden Todesfälle und Verletzungen mitverursacht“ hat. Denn ab 16.01 Uhr wurde der Personendurchfluss auf der Rampe Ost durch Positionierung einer Polizeikette genau auf Höhe der Zaundreiecke und unter Einbeziehung eben dieser „Engstelle“ in die Durchgangssperre zunächst im Wesentlichen sowie kurz darauf vollständig unterbunden. Daher musste jegliche einen Personendurchfluss an dieser Stelle etwa behindernde Auswirkung der Zaundreiecke und der durch sie bewirkten Verengung auf (nur noch) 10,59 Meter in Ermangelung zunächst eines nennenswerten sowie alsbald jedweden Personendurchflusses für die Dauer der Sperrung durch die Polizeikette entfallen.
Die Anklage beschreibt überdies selbst nicht das engebedingte Entstehen einer Durchflussproblematik im Sinne eines personenstrombedingten Aufstauens gegenläufiger Personenströme im Bereich der Engstelle von 10,59 Meter, sondern die Bildung einer auch nach Auflösung der Polizeikette andauernden, weitgehend statischen Menschenansammlung als Folge einer durch Errichten einer Polizeikette her-
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vorgerufenen Komplettsperre. Dass die Engstelle zwischen den Zaundreiecken vor Errichten der Polizeikette um 16.01 Uhr und vor Eintritt des von der Anklage bezeichneten „Unumkehrbarkeitszeitpunkts“ um 16.02 Uhr („wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr“)[Fußnote 131] eine durchflussrelevante Bedeutung im Sinne der tatsächlichen Überschreitung eines Durchflussmaximalwertes erlangt hätte, beschreibt die Anklage nicht und dies ergibt sich auch nicht aus dem Ermittlungsergebnis.
Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen heißt es hierzu (S. 398 der Anklageschrift, Bl. 36762 HA):
„Um 16.01 Uhr bildete der Zeuge PHK R daraufhin eine Polizeikette mit dem Auftrag, zu verhindern, dass die rückströmenden Besucher den beiden anderen Polizeiketten im östlichen und westlichen Tunnelabschnitt in den Rücken liefen.
Die Polizeikette wurde im unteren Rampenbereich in der dort durch Gitter bewirkten Verengung in Höhe der Stellwerktreppe aufgezogen. Die Breite zwischen den Zaunelementen in Höhe der Treppe, also am tatsächlichen Standort der Polizeikette, betrug genau 10,59 Meter. Diese Stelle war damit auch die engste der gesamten Rampe.“
Zur Sperrwirkung der Polizeikette heißt es weiter (S. 398 f. der Anklageschrift, Bl. 36762 f. HA, Hervorhebung durch die Kammer):
„In der Zeit zwischen 16.02 Uhr und 16.11 Uhr passierten keine Personen die Kette in Richtung Rampenkopf, wobei zu diesem Zeitpunkt aus den Tunneln der Karl-Lehr-Straße nur wenig Zulauf über die gesicherten Aufnahmen der Kamera 13 der M GmbH festgestellt werden kann. Der Bereich um den Container war von Veranstaltungsbesuchern weitgehend frei. Aus Richtung Rampenkopf bewegten sich in zunehmender Zahl Besucher auf die Polizeikette zu, die das Gelände verlassen wollten. Diese konnten die Polizeikette bis 16.02 Uhr durch eine Durchlassstelle in Richtung Tunnel sukzessive passieren. Die anfängliche Wirkrichtung dieser Polizeikette stimmte aus nicht feststellbaren Gründen nicht mit der von den Zeugen PR H und PHK M geäußerten Absicht, keine Personen mehr in den Tunnel in
[Fußnote 131: Siehe dazu C. II. 3. c. aa. (1).]
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den Rücken der dortigen Ketten gelangen zu lassen, überein. Es bildete sich dennoch auch ein zunehmender Rückstau zum Rampenkopf hin.“
An anderer Stelle im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird dagegen als Zeitpunkt der „Undurchlässigkeit“ der gebildeten Polizeikette auf der Rampe Ost (abweichend von der gerade zitierten Zeitangabe 16.02 Uhr) 16.12 Uhr benannt und ausgeführt:
„Die Polizeikette auf der östlichen Rampe war erst ab 16.12 Uhr in beide Richtungen undurchlässig, als der Abstrom aus Richtung des Rampenkopfes zunahm. Damit erhöhte sich auch der Rückstau der Menschen zum Rampenkopf hin.
Nachdem es zwischen 16.13 Uhr und 16.20 Uhr zur Auflösung der Polizeiketten im Tunnel gekommen war, stand lediglich noch die Polizeikette auf der östlichen Rampe in Höhe der Stellwerkstreppe.“ (S. 399 f. der Anklageschrift, Bl. 36763 f. HA, Hervorhebung durch die Kammer)
„Ab 16.18 Uhr erfolgte aus den Tunneln etwa zeitgleich von Osten und Westen wieder einsetzender Zustrom von Besuchern. Auch vom Kopf der Rampe strömten zahlreiche Menschen nach unten zur Polizeikette. Um 16.20 Uhr war die Menge im unteren Bereich der Rampe deutlich angewachsen. Der Rückstau auf beiden Seiten der Polizeikette war derart angewachsen, dass man diese auf den Aufnahmen der Kamera 13 der M GmbH kaum noch erkennen konnte.“ (S. 400 der Anklageschrift, Bl. 36764 HA)
„Um 16.24 Uhr war die Polizeikette auf der östlichen Rampe auf den Aufzeichnungen
der Kamera 13 der Veranstalterin in der Menschenmenge kaum noch zu erkennen, stand aber noch. Die Menschenmenge in diesem Bereich verblieb demgemäß auch zunächst noch statisch.“ (S. 400 der Anklageschrift, Bl. 36764 HA, Hervorhebung durch die Kammer)
Zur weiteren Entwicklung (Verlegung der Polizeikette auf der Rampe Ost an den oberen Rampenkopf) heißt es:
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„Mit Auflösung der Kette auf der östlichen Rampe änderte sich zunächst an der zuvor beschriebenen Situation wenig. Die Menge und die Menschenkonzentration in Höhe der Treppe auf der östlichen Rampe blieben weitgehend statisch. Die Menschenmenge im unteren Bereich der östlichen Rampe verdichtete sich weiter.
Am Kopf der östlichen Rampe wurde etwa um 16.32 Uhr aus den Kräften des 2. Zuges der 15. BPH, die zuvor die Sperrlinie weiter unten gebildet hatten, eine lockere "Kette" gebildet.“ (S. 401 der Anklageschrift, Bl. 36765 HA, Hervorhebung durch die Kammer)
Mithin hatte sich bereits zum Zeitpunkt der Auflösung der Polizeikette auf Höhe der Zaundreiecke (gegen 16.28 Uhr, S. 23 der Anklageschrift, Bl. 36387 HA) eine über den Zeitpunkt der „Auflösung“ der Polizeikette hinaus „statisch bleibende“, den unteren Bereich der Rampe Ost vollständig füllende Menschenmenge gebildet.
Soweit es in der Anklageschrift schließlich heißt, der Personenstau habe „seine größte Dichte vor den genehmigungswidrigen Zauneinbauten auf der Rampe, auf deren Höhe sich die dritte Polizeikette“ befunden habe (S. 22 f. der Anklageschrift, Bl. 36386 f. HA), erreicht, fehlt es bereits an Ermittlungsergebnissen, die diese Annahme tragen. Vor allem aber leitet sich – diese Annahme als zutreffend unterstellt – hieraus keine Erfolgsursächlichkeit der durch die Zaundreiecke „im Normalbetrieb“ bewirkten Verengung der Rampe Ost im Sinne eines Durchflusshindernisses ab, denn ab dem „Undurchlässigkeitszeitpunkt“ (16.02 Uhr, S. 398 der Anklageschrift, Bl. 36762 HA bzw. 16.12 Uhr, S. 399 der Anklageschrift, Bl. 36763 HA) waren die Zaundreiecke integraler Bestandteil der „dritten Polizeikette“ und der damit bezweckten und bewirkten Vollsperrung der Rampe Ost.
Damit spricht das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dagegen, dass die Verengung der Durchgangsbreite der Rampe Ost durch die am Veranstaltungstag vorhandenen Zaundreiecke den „unglücksverursachende(n) Personenstau und die daraus resultierenden Todesfälle und Verletzungen“ – wie für die Kausalitätsprüfung zu fordern – konkret „mitverursacht“ hat.
Auch in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 14.09.2015 (dort Bl. 45208 bis 45213 HA) werden schließlich (weitere) wesentliche „Diskrepanzen
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zwischen Planung und Durchführung der Loveparade sowie Verschiebungen bei den Eingangssystemen im Laufe der Veranstaltung“ benannt. So sei es zu Abweichungen zwischen „den CAD-Plänen und der genauen Platzierung der Vereinzelungsanlagen im Zeitpunkt des Beginns der Veranstaltung“ gekommen (Bl. 45208 HA). Zu Recht führt insoweit aber die Staatsanwaltschaft weiter aus, dass die durch Prof. Dr. T angegebenen Personendurchflussmengen einen „ungehinderten Fluss“ voraussetzten, ohne aber hieraus Schlüsse für die Frage der Kausalität bzw. Realisierung der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg zu ziehen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern trotz der beschriebenen wesentlichen tatsächlichen Abweichungen am Veranstaltungstag dennoch die erhobenen Anklagevorwürfe gerechtfertigt sein sollen.
Der weitere – in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 14.09.2015, nicht aber in der Anklageschrift – bezeichnete Umstand, dass zudem die Zäune vor der Vereinzelungsanlage West im Verlauf des Veranstaltungstages grundlegend im Aufbau verändert worden seien, dass nämlich dem „offiziellen Aufbau“ (Bl. 45211 HA) spätestens ab 13.30 Uhr drei weitere Zaunelemente hinzugefügt worden seien, die dafür gesorgt hätten, dass „die ankommenden Besucher in der Folgezeit in einer Art Schleuse zusammengedrängt“ worden seien, stellt eine weitere personenstromrelevante tatsächliche Abweichung von der bestehenden Planung dar, zumal auch nach den Ausführungen der Staatsanwaltschaft (Bl. 45212 HA) „die Veränderungen in den Vereinzelungsanlagen unterschiedliche Maße der Breite der Durchgänge und der Fließmenge“ zur Folge hatten. Sowohl die insoweit angesprochenen am Veranstaltungstag veränderten tatsächlichen Maße der Vereinzelungsanlage als auch die möglicherweise hierdurch veränderte tatsächliche „Fließmenge“ von Besuchern in Richtung Veranstaltungsgelände bleiben unaufgeklärt.
Damit nicht belegt – gerade auch nicht durch die Ausführungen des Prof. Dr. T –, zudem im Widerspruch zum Anklagevorwurf (plangemäßer Zu- und Abfluss) stehend und im Hinblick auf das vorliegende Ermittlungsergebnis nicht nachvollziehbar ist die weitere Annahme in der staatsanwaltschaftlichen Stellungnahme vom 14.09.2015, wonach „gerade ein verminderter Zu- und Abfluss“ zu verstärkter Warteschlangenbildung und im Laufe des Veranstaltungstages zu einem Versagen des Ein- und Ausgangssystems führte, wobei mit dem Zusammenbruch der Vereinzelungsanlagen die
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Überfüllung erfolgt sei, die das System nicht mehr habe bewältigen können (Bl. 45212 HA). Hiernach wird nämlich – in Abkehr vom Anklagevorwurf und ohne (sachverständige) Belegführung – nunmehr ein (planwidriger) verminderter Zu- und Abfluss und gerade nicht die erwarteten und tatsächlich eingetroffenen Personenströme im Ein- und Ausgangssystem, die „zwangsläufig“ zu lebensgefährlichen „Menschenverdichtungen“ führen mussten, weil „die maximale Durchflusskapazität auf der östlichen Rampe zeitweise um mehr als das Doppelte überschritten war“ (vgl. S. 10, 18, 19, 136 der Anklageschrift, Bl. 36374, 36382, 36383, 36500 HA), als konkret erfolgsursächlich erachtet.
gg. Weitere Ermittlungen
Weitere Ermittlungen, die einen hinreichenden Beweis für die Kausalität bzw. Realisierung der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg erbringen könnten, konnten von der Kammer im Zwischenverfahren nicht durchgeführt werden.
Denn zu solchen Ermittlungen ist die Kammer vorliegend weder berechtigt noch gehalten.[Fußnote 132]
Da das von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eingeholte (unverwertbare) Gutachten des Prof. Dr. T aber gerade keinen Beweis für die Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzungen im konkreten Taterfolg bieten konnte, es hierfür auch keine weiteren Beweismittel gibt und auch die vorgenommene Gesamtschau der ermittelten tatsächlichen Umstände keinen entsprechenden Beweis erbringen kann, bedürfte es jedenfalls weiterer Ermittlungen. Insofern käme vor allem die Einholung eines neuen Gutachtens (eines anderen Sachverständigen) in Betracht. Dies ist jedoch aus den oben ausgeführten Gründen im Rahmen des § 202 StPO nicht möglich, denn dabei würde es sich gerade um eine „wesentliche Ermittlung“ zur Komplettierung eines nach derzeitigem Stand unzulänglich belegten Anklagevorwurfs und nicht nur um „einzelne Beweiserhebungen“ handeln.
4. Weitere Sorgfaltspflichtverletzungen
[Fußnote 132: Vgl. hierzu oben C. II. 2. a. dd. (2) (e) sowie C. II. 2. b. ee..]
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Weitere, einen hinreichenden Tatverdacht gegenüber den Angeschuldigten J , G , H und I begründende, für den konkreten Taterfolg kausale Sorgfaltspflichtverletzungen sind nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis nicht ersichtlich.
a. Planerische Lage der Szenefläche (Floatstrecke)
Ungeachtet dessen, dass die Kammer einen möglichen Vorwurf der planerischen Fehlpositionierung der Szenefläche einschließlich der sog. Floatstrecke unmittelbar am Rampenkopf der Rampe Ost als nicht von der Anklageschrift umfasst angesehen hat[Fußnote 133], besteht – unterstellt dieser Vorwurf wäre von der Anklageschrift umfasst – auch insoweit nach dem vorliegenden Ergebnis der Ermittlungen kein hinreichender Tatverdacht gegenüber den Angeschuldigten J , G , H und I .
aa. Sorgfaltspflichtverletzung
Zum einen sind die Ausführungen von Prof. Dr. T als Beweismittel eines entsprechenden Sorgfaltspflichtverstoßes – wie ausgeführt wegen diverser Verstöße von Prof. Dr. T gegen Grundpflichten eines Sachverständigen – nicht verwertbar.[Fußnote 134]
Zum anderen ergibt sich aus seinen Ausführungen kein Beweis für eine derartige Sorgfaltspflichtverletzung, denn Prof. Dr. T beschreibt – wie ebenfalls bereits ausgeführt – lediglich, dass die „Parade dicht am Eingangspunkt des Paradefestgeländes (d.h. an der oberen Seite der Rampe)“ verlaufe (Punkt 3.6.7 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40738 HA, Hervorhebung durch die Kammer) bzw. führt auf die ausdrückliche erneute Frage der Staatsanwaltschaft, ob die Strecke der Floats zu dicht am Zutrittsbereich zum Festgelände verlaufe, unter Punkt 5.13.1 des Gutachtens vom 14.03.2013 aus (Bl. 40754 HA, Hervorhebung durch die Kammer):
„Die Strecke der Floats verlief sehr dicht am oberen Ende der Rampe entlang…“
Weiter führt er unter Punkt 5.27.3 seines Gutachtens vom 14.03.2013 aus (Bl. 40762 HA):
[Fußnote 133: Vgl. oben B. I. 2. a. bb. (1).
Fußnote 134: Vgl. oben C. II. 2. b. cc..]
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„Die Lage der Float-Parade und deren unmittelbare Nähe zur oberen Seite der Rampen sorgten für eine verstopfte Fläche. Wie an der oberen Seite der Hauptrampe beobachtet, ist es bei Stauungen schwierig, die Menschenmenge mit Hilfe von "Pushern" zu bewältigen.“
Damit trifft er jedoch keine Aussage darüber, ob und ggf. inwiefern die Float-Strecke fehlerhaft situiert war.
Gerade auch in den Schlussfolgerungen von Prof. Dr. T wird schließlich ein entsprechendes planerisches Versagen einer Fehlpositionierung der Floatstrecke selbst nicht aufgezählt (vgl. Punkte 4.1 bzw. 4.2 des Gutachtens vom 14.03.2013, Bl. 40743 HA), so dass sich nach dem Ermittlungsergebnis keine zureichenden Anhaltspunkte hierfür ergeben.
Soweit Prof. Dr. T in seiner „Antwort auf spezifische Punkte, die in dem Dokument 140460DEEN-Methodenkritisches Gutachten Prof. S _ "Methodenanalyse des Expertenberichtes" erhoben wurden“ (Bl. 41163-41177 HA) ausführt, es habe mit einem „erwarteten Stau am Rampenkopf“ gerechnet werden müssen, „Pusher“ seien gebraucht worden, „der Rampenkopf, die erwarteten Massenströme und die Nähe zu den Floats (hätten) den Einsatz von "Pushern" nötig (gemacht), um die Menge um das/auf dem Gelände herum zu bewegen“ (Bl. 41169 HA), beziehen sich diese Ausführungen zum einen bereits nicht auf die – überdies insgesamt nicht näher von ihm begutachtete – Lage der Floatstrecke, zum anderen wird hiermit aber auch kein Planungsdefizit am Rampenkopf begründet, sondern lediglich ein tatsächlicher Einsatz von „Pushern“ zur Bewältigung einer vorhersehbaren und vorhergesehenen („Der Organisator der Veranstaltung kannte das Problem ohne eine Computersimulation zu benutzen.“, Bl. 41169 HA) Situation für nötig erachtet.
Weitere Beweismittel, die hinreichenden Beweis für eine sorgfaltswidrige Planung im Hinblick auf die Lage der Floatstrecke erbringen könnten, gibt es nach Auswertung des Akteninhalts durch die Kammer nicht.
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Das Gutachten „Loveparade 24. Juli 2010 Duisburg, Sachverständigengutachten 31. Oktober 2010“ (Sonderbände, Papierakte, I , Sachverständigengutachten I ) von B kann einen Beweis für eine sorgfaltswidrige Planung im Hinblick auf die Lage der Floatstrecke nicht erbringen. Zum einen beruht das Gutachten lediglich auf den bis zum 31.10.2010 vorliegenden Ermittlungsergebnissen, soweit Frau B hiervon Kenntnis hatte, so dass sie den kompletten, nach dem 31.10.2010 zur Akte gelangten Akteninhalt auswerten müsste, um ein umfassendes Gutachten erstatten zu können. Dies wäre jedoch eine als wesentliche Ermittlung zu qualifizierende Tätigkeit.[Fußnote 135] Zum anderen ist das Gutachten inhaltlich nicht geeignet, einen solchen Beweis zu erbringen. Denn die Gutachterin äußert sich zur Frage der Positionierung der Floatstrecke lediglich allgemein und insoweit über bloße Behauptungen ohne erkennbare wissenschaftliche Begründung nicht hinausgehend wie folgt:
„Die Paradestrecke führte entgegen des Uhrzeigersinnes um das Gebäude des alten Güterbahnhofs herum.
Für die ankommenden Besucher auf der oberen Szenenfläche bedeutete dies zuerst Neuorientierung auf dem Gelände.
Eine ausreichende und übersichtliche Ausschilderung wurde nicht geplant.
Die Besucher mussten sich, wie beim Karneval, nur einen guten Platz aussuchen und stehen bleiben, denn die Floats fuhren ihre Runden um sie herum.
Die Planung der Floatstrecke und die Fehleinschätzung des Besucherverhaltens waren maßgeblich für die Rückstausituation auf der Rampe und im Tunnel verantwortlich.“ (S. 177 des Gutachtens)
Welche tatsächlichen Umstände vorlagen, insbesondere inwiefern die Floatstrecke fehlerhaft geplant war sowie (in etwa) wie viele Besucher sich deshalb an welcher Stelle stauen mussten bzw. tatsächlich stauten und wie sich hieraus eine maßgebliche Verantwortlichkeit für die „Rückstausituation auf der Rampe (Ost) und im Tunnel“ – damit vor allem auch für die Bildung der „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe – ergeben könnte, führt sie hingegen nicht aus. Auch eine diesbezügliche weitere (sachverständige) Klärung wäre mit einer Auswertung des kompletten
[Fußnote 135: Vgl. bereits oben C. II. 2. b. dd. (1) (a) sowie C. II. 2. b. ee..]
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Akteninhalts verbunden und insofern als – nicht von der Kammer zu veranlassende[Fußnote 136] – wesentliche Ermittlung einzustufen.
Die Ausarbeitung von Prof. Dr. H und M (Sonderbände, Papierakte, Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H , Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H .pdf, elektronische Seitenzahl 66-113) kann ebenfalls einen Beweis für eine sorgfaltswidrige Planung im Hinblick auf die Lage der Floatstrecke nicht erbringen. Zum einen wurde diese Ausarbeitung ohne Auswertung des Akteninhalts, lediglich auf der Basis öffentlich zugänglicher Dokumente erstellt, [Fußnote 137] zum anderen kommen Prof. Dr. H und M gerade nicht zu dem Ergebnis, das Geschehen beruhe auf einer sorgfaltswidrigen Planung im Hinblick auf die Lage der Floatstrecke; vielmehr sehen sie ein „systemisches Versagen“ als Ursache an. Als einen der zu diesem „systemischen Versagen“ führenden Umstände bewerten sie, dass das (tatsächliche) Zusammenspiel der Floats mit der Menschenmenge (am Veranstaltungstag) keinen hinreichenden Zufluss zum Festivalgelände ermöglichte. Sie führen hierzu aus:
„Das Zusammenspiel der Floats mit der Menschenmenge ermöglicht keinen hinreichenden Zufluss zum Festivalgelände. Dies erfordert anscheinend, dass Einsatzkräfte des Crowd Management von den Absperrvorrichtungen zum Ende der Rampe verlegt werden, um den Zufluss zu verbessern; die gewünschte Unterstützung von VIPs scheint ebenfalls einige Arbeitskräfte in Anspruch zu nehmen (…).“ (S. 27/50 der Ausarbeitung)
Insoweit beziehen sich diese Ausführungen aber nicht auf die planerische Lage der Floatstrecke an sich, sondern vielmehr auf das tatsächliche Zusammenspiel zwischen Floats und Menschenmenge gegebenenfalls unter Einsatz von Ordnerkräften des Crowd Managements. Eine weitere (sachverständige) Klärung, inwieweit die Lage der Floatstrecke an sich (jedenfalls mit-)ursächlich gewesen sein könnte, wäre mit
[Fußnote 136: Vgl. bereits oben C. II. 2. b. dd. (1) (a) sowie C. II. 2. b. ee..
Fußnote 137: Vgl. bereits oben C. II. 2. b. dd. (2) (a).
Fußnote 138: Vgl. oben C. II. 2. b. dd. (2) (b).]
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einer Auswertung des kompletten Akteninhalts verbunden und insofern als – nicht von der Kammer zu veranlassende[Fußnote 139] – wesentliche Ermittlung einzustufen.
Soweit schließlich verschiedene Zeugen – im Einzelnen die Zeugen S (Bl. 19045 f. HA), P (Bl. 10550 HA), Dr. W (Bl. 21270 HA), PR B (Bl. 18152, 18164 HA) und PD K (Bl. 27300 HA) – in ihren Vernehmungen auf den Umstand der aus ihrer Sicht (tatsächlich) bestehenden Engesituation am Rampenkopf – unter anderem aufgrund der dort angrenzend verlaufenden Floatstrecke – hinweisen, vermag dies nicht die erforderliche (bauveranstaltungstechnische) Sachkunde zur Beurteilung der Frage der Sorgfaltsgemäßheit der zu Genehmigungszwecken eingereichten – von der den Zeugenaussagen zugrunde liegenden tatsächlichen Situation überdies unter Umständen abweichenden – Planung hinsichtlich der Positionierung der Floatstrecke sowie der Wirkweise etwaig vorgesehener „Ausgleichsmaßnahmen“ (z.B. Floatmanagement, Ordnerplanung) zu vermitteln. Denn die Angaben der Zeugen vermögen – auch wenn sie wie die Zeugen Sch und P , die Meister der Veranstaltungstechnik sind (Bl. 19041 HA, Bl. 10547 HA), mit der Gestaltung von Veranstaltungen Erfahrungen haben – nicht die Beurteilung der (den Zeugen nicht bekannten) Veranstaltungsplanung durch einen Sachverständigen zu ersetzen.
bb. Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg
Überdies ergibt sich aus den Ermittlungen auch kein Nachweis der Kausalität bzw. Realisierung einer (planerischen wie tatsächlichen) Fehlsituierung der Floatstrecke im konkreten Taterfolg. Inwiefern nämlich die Positionierung der Floatstrecke selbst planerisch wie tatsächlich (mit-)ursächlich für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe der Rampe Ost in ihrer konkreten Gestalt gewesen sein soll, wird weder in der Anklageschrift noch im Ermittlungsergebnis – insbesondere auch nicht im Gutachten des Prof. Dr. T – ersichtlich.
Unabhängig davon wären weitere – wesentliche und daher von der Kammer nicht im Zwischenverfahren zu veranlassende[Fußnote 140] – Ermittlungen zur Kausalität bzw. Realisie-
[Fußnote 139: Vgl. oben C. II. 2. b. dd. (2) (a) sowie C. II. 2. b. ee..
Fußnote 140: Vgl. oben C. II. 2. b. ee..]
399
rung der Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg erforderlich (im Hinblick auf die tatsächliche Ausführung der Floatstrecke am Veranstaltungstag, etwaige Abweichungen von der Planung und deren personenstromrelevante Auswirkungen, insbesondere auch bei den am „Rampenkopf“ vorhandenen Zaunaufbauten, deren tatsächlicher Aufbau nach dem vorliegenden Video-/Bildmaterial von der Planvorgabe (vgl. Anlage 18, BMO V 01, elektronische Seitenzahl 256) abwich, sowie im Hinblick auf den tatsächlichen Floatfahrbetrieb).
b. Sonstige Sorgfaltspflichtverletzungen
Wie bereits ausgeführt[Fußnote 141] stellen sich die lediglich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen benannten Vorwürfe des (planerisch) gemeinsamen Ein- und Ausgangs bei gleichzeitigem Zu- und Abstrom sowie der Planung gegenläufiger und sich kreuzender Personenströme als inhaltliche Teilaspekte des erhobenen Anklagevorwurfs dar.
Hinsichtlich des ebenfalls ausschließlich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen angesprochenen weiteren Vorwurfs der aufgrund begrenzender Betonwände bzw. mangelnden Platzes für Notfälle planerisch fehlenden Kompensierung von Überlastungen[Fußnote 142] ist nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis bereits nicht ersichtlich, welcher zusätzliche (Notfall-)Platzbedarf an welcher Stelle des Ein- und Ausgangssystems in welcher Form konkret hätte eingeräumt werden müssen und inwieweit sich aus diesem (zudem nicht vorgeworfenen) Unterlassen ein Ursachen-/Pflicht-widrigkeitszusammenhang zu den ausweislich der Anklage durch die plangemäße Zu-/Abführung der Besucher im Regelveranstaltungsbetrieb bereits eingetretenen Todes-/Verletzungsfällen herleiten ließe. Insoweit bedürfte es jedenfalls weitergehender – wesentlicher – Ermittlungen.
Nach den zusammenfassenden Ausführungen im Abschlussvermerk vom 10.02.2014 stützt sich die Anklage allein auf ein planerisches – tatsächlich durch eine Verengung auf 10,59 Meter noch verstärktes – Durchflussdefizit des Regelbetriebs im Zu- und Abgangsbereich als ursächliche Pflichtverletzung, nicht aber auf eine fehlerhafte
[Fußnote 141: Vgl. oben B. I. 2. a. bb. (2) und (3).
Fußnote 142: Vgl. oben B. I. 2. a. bb. (4).]
400
Evakuierungs-/Notfallplanung für den Bereich der Tunnel Karl-Lehr-Straße sowie der Rampe Ost; dementsprechend schildert die Anklage auch den Kausalverlauf nicht dahingehend, dass ein Fehlschlagen der Entfluchtung/Evakuierung etwaig (mit-)ur-sächlich für den Taterfolg gewesen wäre. [Fußnote 143]
Soweit Fehler im Bereich „Crowd Control, Crowd Management sowie beim Orientierungssystem“ (allein) im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in Bezug genommen werden, ist – wie ausgeführt – bereits nicht ersichtlich, welchem Angeschuldigten insofern welches konkrete Tatverhalten vorgeworfen werden soll. [Fußnote 144] Eine Ursächlichkeitsannahme durch die Staatsanwaltschaft ist nach dem Ermittlungsergebnis überdies nicht gegeben (vgl. Bl. 34966 HA).
Soweit nach dem in der Anklageschrift beschriebenen Ermittlungsergebnis sonstige Umstände als nicht ursächlich ausscheiden[Fußnote 145], konnte die Kammer – mangels gegenteiligen Ermittlungsergebnisses – diese nicht als Grundlage eines Vorwurfs einer kausalen Sorgfaltspflichtverletzung in Betracht ziehen.
Soweit schließlich im Abschlussvermerk teilweise andere Tathandlungen als in der Anklageschrift selben Datums bezeichnet werden[Fußnote 146], konnte die Kammer die lediglich im Abschlussvermerk, nicht aber in der Anklage zum Anklagevorwurf erhobenen Vorwürfe nicht als Grundlage eines Vorwurfs einer kausalen Sorgfaltspflichtverletzung heranziehen.
5. Hinreichender Verdacht für eine Strafbarkeit gemäß § 319 Abs. 1, Abs. 4 StGB
Soweit über die von der Anklageschrift allein in Bezug genommene etwaige Strafbarkeit gemäß §§ 222, 229 StGB hinaus der Verdacht einer (tateinheitlich verwirklichten) Strafbarkeit der Angeschuldigten J , G , H und I gemäß § 319 Abs. 1, Abs. 4 StGB durch fehlerhafte Planung eines „Baues“ im Sinne der Vorschrift in Betracht gezogen werden könnte (vgl. zum Konkurrenzverhältnis der Delikte Es-
[Fußnote 143: Vgl. bereits oben B. I. 2. a. bb. (4).
Fußnote 144: Vgl. bereits oben B. I. 2. a. bb. (5).
Fußnote 145: Vgl. oben B. I. 2. a. bb. (6).
Fußnote 146: Vgl. oben B. I. 2. a. bb. (7).]
401
ser/Keuten, NStZ 2011, 314, 322), scheidet ein solcher jedenfalls deshalb aus, weil bereits ein Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik – wie ausgeführt – nicht belegt ist.[Fußnote 147]
III. Tatverdacht gegen die Angeschuldigten D , F und E (Tatvorwürfe zu Lasten der weiteren Geschädigten)
Auch gegenüber den Angeschuldigten D , F und E fehlt es nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis aus tatsächlichen Gründen an einem hinreichenden Tatverdacht wegen einer Straftat.
1. Konkurrenzen
Die den Angeschuldigten D , F und E vorgeworfenen Pflichtverletzungen (sorgfaltswidrige Genehmigungserteilung und pflichtwidrige Vernachlässigung der Kontrolle der Umsetzung der Genehmigungsauflagen am Veranstaltungstag) sind als einheitliche Tat im Sinne von natürlicher Handlungseinheit (§ 52 StGB) einzuordnen. Eine solche natürliche Handlungseinheit und damit nur eine Tat liegt vor, wenn zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein einheitliches Tun erscheint (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., Vor § 52 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen). Dies ist hier der Fall, denn eine sorgfaltswidrige Genehmigungserteilung einerseits und ein pflichtwidriges Vernachlässigen der Kontrolle der Umsetzung der Genehmigungsauflagen am Veranstaltungstag, dem nächsten Tag, andererseits stehen in einem solchen engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang.
2. Sorgfaltspflichtverletzung durch Genehmigungserteilung
Ein hinreichender Verdacht hinsichtlich der mit der Anklageschrift vorgeworfenen objektiven Sorgfaltspflichtverletzung durch die erfolgte Genehmigungserteilung ist nicht gegeben.
Nach § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NRW darf eine Baugenehmigung nur erteilt werden, soweit öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Daraus folgt – umgekehrt – die (durch die Anklage zutreffend in Bezug genommene) Sorgfaltspflicht der
[Fußnote 147: Vgl. dazu oben ausführlich C. II. 2. a. dd. (2) (c).]
402
genehmigenden Stelle, die Genehmigung zu versagen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung nicht vorliegen, mithin dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen (vgl. etwa Gädtke/Czepuck/ Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 75 Rn. 81).
a. Genehmigung trotz fehlender planerischer Eignung des Ein- und Ausgangssystems
Den Angeschuldigten D , F und E wird vorgeworfen, im Vorfeld der Veranstaltung bei der Genehmigungserteilung außer Acht gelassen zu haben, dass nach der ihnen vorgelegten Planung die prognostizierten Besucherströme mit Blick auf die Durchgangsbreiten der Rampe Ost und des Tunnels zwischen 15 und 19 Uhr unter keinen Umständen hätten sicher auf das Gelände geführt werden können. Der Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute für das Ein- und Ausgangssystem sei hinsichtlich der Rampe Ost, des Tunnels und der Vereinzelungsanlagen nicht berücksichtigt worden. Es hätten nach den prognostizierten Zahlen vielmehr durchschnittlich 101,43 Personen/Meter/Minute abgewickelt werden müssen, im Einzelnen zwischen 15 und 16 Uhr 95,73 Personen/Meter/Minute, zwischen 16 und 17 Uhr 91,17 Personen/Meter/Minute, zwischen 17 und 18 Uhr 132,20 Personen/Meter/Minute sowie zwischen 18 und 19 Uhr 86,62 Personen/Meter/Minute. Der maximal mögliche Personendurchsatz sei nicht den tatsächlich erwarteten Besucherströmen gegenübergestellt worden. Auch die Entfluchtungsanalyse habe lediglich eine maximale Durchflusskapazität von 43,85 Personen/Meter/Minute beinhaltet. Es habe – auch im Hinblick auf die in der Entfluchtungsanalyse ausdrücklich angesprochene Vermeidung von gegenläufigen und sich kreuzenden Besucherströmen – eine offenkundige Unvereinbarkeit von Planung und Entfluchtungsanalyse vorgelegen.[Fußnote 148]
Dahin stehen kann, inwieweit auch den Angeschuldigten F und E jeweils die letzlich durch den Angeschuldigten D erfolgte Genehmigungserteilung vorgeworfen werden kann. Unabhängig hiervon ist nämlich zwar eine generelle Pflicht der Angeschuldigten D , F und E zur Überprüfung der konkreten baulichen Gefahrengeneigtheit des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte bei der Führung der erwarteten Besucherströme im Hinblick
[Fußnote 148: Vgl. im Einzelnen bereits oben B. I. 2. b. aa..]
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auf die Vorgaben des § 3 BauO NRW anzunehmen. Indes lässt sich nach dem Ermittlungsergebnis eine konkrete Sorgfaltspflicht zur rechnerischen Überprüfung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute im Hinblick auf das Ein- und Ausgangssystem der Veranstaltung zum maßgeblichen Genehmigungszeitpunkt nicht feststellen.
Auch insoweit ermangelt es zudem der Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen der Sorgfaltspflichtverletzung in Bezug auf die Prüfung der planerischen Durchflusseignung des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte.
Schließlich fehlt es an einem Beweis für die konkret angeklagte Sorgfaltspflichtverletzung der fehlenden Überprüfung eines Durchflussmaximalwerts des Ein- und Ausgangssystems von 82 Personen/Meter/Minute; Entsprechendes (fehlender Beweis) gilt für den Umstand der Kausalität bzw. Realisierung der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg.
aa. Konkretes Maß der Sorgfaltspflicht
Die konkret vorgeworfene Sorgfaltspflichtverletzung der fehlerhaften Erteilung der Baugenehmigung gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 BauO NRW setzt notwendig voraus, dass sich die Prüfungspflicht der Angeschuldigten D , F und E bei der Erteilung der beantragten Genehmigung auch auf den (für erfolgsursächlich erachteten) Umstand der (fehlenden) Eignung des Ein- und Ausgangssystems unter Durchflusskapazitätsgesichtspunkten durch rechnerische Überprüfung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute erstreckte (vgl. zum Erfordernis der Verletzung einer von der Genehmigung umfassten konkreten Prüfungspflicht durch den genehmigenden Amtsträger: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.01.1993, 3 Ws 649/92, dort Bl. 11 f. sowie Bl. 15 f.).
(1) Antragsumfang und Genehmigungsgegenstand
Grundsätzlich ist es Sache des Antragstellers im Baugenehmigungsverfahren – innerhalb der Grenzen, die einer Zusammenfassung oder Trennung objektiv gesetzt sind – festzulegen, was das Vorhaben und damit der zu beurteilende Verfahrensgegenstand für die Bauaufsichtsbehörde sein soll (vgl. BVerwG, BRS 36 Nr. 158; Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, 64. AL, 05/2009, § 75 Rn. 38).
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Gegenstand deren Würdigung ist das Vorhaben des Antragstellers, wie es einerseits durch seinen Bauantrag, andererseits aber auch durch die zum Baugesuch eingereichten Bauvorlagen konkretisiert und begrenzt wird (vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, 64. AL, 05/2009, § 75 Rn. 38 mit weiteren Nachweisen). Für die Auslegung eines Bauantrags ist nämlich zum einen auf die Angaben des Bauherrn in dem Bauantrag, zum anderen aber auch auf die von ihm eingereichten Bauvorlagen abzustellen (vgl. OVG NRW, BauR 2001, 755). Soweit dabei eingereichte Bauvorlagen von der Behörde mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehen sind, werden sie zum inhaltlichen Bestandteil der Baugenehmigung und haben Anteil an ihren Rechtswirkungen; ohne Zugehörigkeitsvermerk nehmen sie nicht an der gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 BauO NRW vorgeschriebenen Schriftform der Baugenehmigung und damit an ihrer Beweisfunktion teil (vgl. OVG NRW, BauR 2001, 755). Mündliche Absprachen zwischen Bediensteten der Bauverwaltung und dem Bauwilligen sind hingegen für den Inhalt der erteilten Baugenehmigung regelmäßig ohne Bedeutung (vgl. OVG NRW, BauR 2001, 755).
Das (nordrhein-westfälische) Bauordnungsrecht enthält zwar keine allgemeine Anzeige- oder Genehmigungspflicht für Veranstaltungen. Genehmigungsbedürftig gemäß §§ 63 Abs. 1, 75 Abs. 1 S. 1 BauO NRW können indes zu Veranstaltungszwecken genutzte bauliche Anlagen sowie Räume besonderer Art oder Nutzung (sog. Sonderbauten) im Sinne von §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 S. 1 BauO NRW bzw. §§ 54 Abs. 1, 85 Abs. 1 Nr. 5 BauO NRW i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SBauVO NRW sein, wenn in diesen baulichen Anlagen bzw. unter Einbeziehung baulicher Anlagen für den Besucherbereich Veranstaltungen stattfinden sollen, wobei sich die Genehmigung auf die bauliche Anlage bzw. den Sonderbau selbst, indes mit der vorgesehenen spezifischen Nutzung als Versammlungs-/Veranstaltungsstätte bezieht.
(a) Auslegung des Bauantrages
Die Auslegung des Bauantrages unter Berücksichtigung der eingereichten Bauvorlagen ergibt, dass eine Nutzungsänderung zum temporären Betrieb einer Versammlungsstätte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 SBauVO NRW in dem durch Bauzäune sowie sonstige Bauten/bauliche Anlagen umgrenzten räumlichen Bereich von den Vereinzelungsanlagen auf der Karl-Lehr-Straße (Ost und West) ausgehend über die Verkehrsfläche des Straßenraumes sowie der Tunnel der Karl-Lehr-Straße unter Einbe-
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ziehung der beiden Rampen Ost und West sowie der näher bestimmten Fläche im Bereich des weiteren „Alten Güterbahnhofsgeländes“ durch die M GmbH beantragt und damit zum Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens wurde.
Als rechtsfehlerhaft erweist es sich hingegen, die Teile des funktionellen Zu-/Ab-gangsbereichs der Versammlungsstätte (Bereiche der Karl-Lehr-Straße (sowie Tunnel) bzw. der Rampen Ost (und West)) als nicht vom (Bau-)Antrag der M GmbH vom 10.06.2010 und damit auch nicht vom Genehmigungsgegenstand der Bauaufsichtsbehörde umfasst anzusehen. Dies ist zum einen nicht mit der tatsächlichen Antragslage vereinbar und verkennt zum anderen, dass Versammlungsstätten im Sinne der §§ 54 Abs. 1, 85 Abs. 1 Nr. 5 BauO NRW i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SBauVO NRW – bei bestehenbleibender Anwendbarkeit (sonder-)bauordnungs-rechtlicher Vorgaben (vgl. dies außer Acht lassend das durch die Verteidiger des Angeschuldigten C eingereichte Rechtsgutachten des Rechtsanwalts Dr. S „Baurechtliche Beurteilung der Loveparade 2010 in Duisburg“ vom 06.02.2015 (Gutachten Dr. S), Bl. 43406 ff. HA, insbesondere Bl. 43461 f. HA; ferner die „Erwiderung auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 22.04.2015“ des Rechtsanwalts Dr. S vom 19.08.2015 (im Folgenden: Erwiderung Dr. S ), Bl. 45463 ff. HA, insbesondere Bl. 45464 f. HA) – ohne Weiteres öffentliche Verkehrsflächen einbeziehen können, wobei nicht nur die Bereiche der Szeneflächen bzw. der Veranstaltungsfläche im engeren Sinne einer Versammlungsstätte einer (sonder-)bauordnungsrechtlichen Reglementierung unterliegen.
Zwar beschränkt sich der Wortlaut des Antrages der M GmbH vom 10.06.2010 zunächst auf eine temporäre Nutzungsänderung des „Geländes des ehemaligen Güterbahnhofs“, woraus sich ein entsprechender Wille zur Beschränkung des Antrages ergeben könnte. So heißt es in dem für das Baugenehmigungsverfahren maßgeblichen „Antrag auf Erteilung erforderlicher baurechtlicher Genehmigungen für die Durchführung der Loveparade 2010“ der M GmbH vom 10.06.2010 nämlich:
„Namens und mit Vollmacht der Veranstalterin beantragen wir vorsorglich noch einmal ausdrücklich die Erteilung für die Durchführung der Loveparade 2010 am 24. Juli 2010 in Duisburg, auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs (im Folgenden:
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Veranstaltungsgebiet), erforderlicher baurechtlicher Genehmigungen, insbesondere hinsichtlich einer Nutzungsänderung der Fläche durch die geplante einmalige Nutzung (…)“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 25)
Indes verweist der unmittelbar anschließende weitere Wortlaut des Antrags bereits selbst zur weitergehenden (erforderlichen) Konkretisierung auf die Veranstaltungsbeschreibung:
„wie in der Veranstaltungsbeschreibung festgehalten.“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 25).
Damit wird aber auch die Veranstaltungsbeschreibung – jedenfalls soweit sie konkretisierende Angaben zu den von einer Nutzung als Versammlungsstätte betroffenen Flächen enthält – zum Gegenstand des Bauantrages. In der dem Antrag letztlich – zudem auch mit der Funktion einer Baubeschreibung – beigefügten (und damit maßgeblichen) Veranstaltungsbeschreibung mit Stand 16.07.2010 heißt es – insoweit die auch im Antrag gewählte Begrifflichkeit des „Veranstaltungsgebietes“ aufgreifend und konkretisierend – auf Seite 1 im Rahmen der „Allgemeinen Veranstaltungsbeschreibung“:
„Die Veranstaltung wird in allen Teilen auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs, ergänzt um Teilflächen des öffentlichen Straßenlandes im Bereich des Tunnels der Karl-Lehr-Straße stattfinden (im Folgenden: „Veranstaltungsgebiet“ bzw. „Veranstaltungsgelände“).“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 28 ff.)
Unter Ziffer 1.3 „Veranstaltungsgelände“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 29) werden der Bereich des Tunnels der Karl-Lehr-Straße ebenso wie die Rampe Ost („Zufahrt Fa. Strake“) als Zu- und Abflussbereiche ausdrücklich erwähnt.
Unter Ziffer 2.1 „Herrichtung Veranstaltungsgelände“ wird unter Punkt 5 „Haupt Zu- und Abwegung (gelb)“ die Rampe Ost als (herzurichtendes) Veranstaltungsgelände in Bezug genommen, unter Ziffer 2.2 a) „Frei zugängliche Veranstaltungsflächen“ heißt es unter „Eingangsbereich“:
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„Der zentrale Ein- und Ausgang zur bzw. vom Veranstaltungsgelände erfolgt vom Karl-Lehr-Tunnel im südlichen Teil des Geländes über die mittlere (breite) Rampe. (Jetzige Zufahrt zur Baufirma S ).“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 35, Hervorhebung durch die Kammer)
Unter Ziffer 2.2 d) „Zu- und Ablaufstrecken“ heißt es:
„Um die Besucherströme vom Hauptbahnhof zum Veranstaltungsgelände (und zurück) möglichst weitläufig zu entzerren, hat die Stadt Duisburg eine Wegeführung entwickelt, die vom Bahnhof aus Richtung Osten und Westen jeweils über einen zentral geführten Laufweg zum südlich gelegenen Eingang der Veranstaltungsfläche (an der Karl-Lehr-Str.) führt.“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 37, Hervorhebung durch die Kammer)
Unter 3.2 „Eingangssituation Karl-Lehr-Tunnel“ wird ausgeführt:
„Das Veranstaltungsgelände wird entsprechend dem Zu- und Abwegekonzept der Stadt Duisburg nur über den Südzugang Karl-Lehr-Tunnel für das allgemeine Publikum zu erreichen sein (…) Da es sich um den einzigen regulären Zu- bzw. Ausgang handelt, hat die Besuchersteuerung in diesem Bereich besondere Bedeutung. Ziel ist es, sowohl den reibungslosen Besucherfluss im Eingangsbereich zu gewährleisten, als auch auf Ereignisse auf dem Veranstaltungsgelände flexibel reagieren zu können. Das setzt die Möglichkeit voraus, den Zustrom in den Tunnel zu regulieren und die Zugänge ggf. komplett zu sperren. Im Straßenraum vor dem Einlassbereich ist kurzzeitig mit Besucherkonzentrationen zu rechnen.(…)
Der Einlass gliedert sich in die Bereiche
(…)
b) Vereinzelungsanlagen in der Straßenmitte (Länge 28m) mit Servicekontrollposten
c) Deeskalierungsgruppen hinter der Vereinzelungssperre
d) Mobile Streifen im Tunnel
e) Bedeckungsposten im Tunnel (Böschung zur Autobahn)
f) Bedeckungsteam für die Ein-/Ausfahrtstore
(…)
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Auf jeder Eingangsseite gibt es ein von zuströmenden Publikum freigehaltenen Bereich, der allein als betriebsmäßiger Ausgang nutzbar sein wird.(…)“ (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 42 f.)
Bereits dieser durch die Antragstellerin im Rahmen der Veranstaltungsbeschreibung vorgenommenen Konkretisierung des Antrages ist zu entnehmen, dass der gestellte Antrag ein einheitliches Veranstaltungsgelände betreffen sollte, welches als Versammlungsstätte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 SBauVO NRW neben Szeneflächen gerade auch den weiteren Bereich der gesamten Baulichkeit einer Versammlungsstätte im dort bezeichneten Sinne umfassen sollte – so nämlich auch die weiteren Besucherbereiche, insbesondere auch den bei den Vereinzelungsanlagen Ost und West beginnenden und über die Rampe Ost hin zu der Szenefläche der Floatstrecke führenden Eingangs- und (unter zusätzlicher Nutzung der Rampe West) Ausgangsbereich.
Darüber hinaus ergibt sich aber auch aus den (jedenfalls auch mit der Funktion als Bauvorlagen) überreichten Lageplänen und sonstigen Baubeschreibungen, dass der für das Genehmigungsverfahren maßgebliche Bereich der Versammlungsstätte auch auf der Rampe Ost sowie im weiteren (öffentlichen) Bereich der Karl-Lehr-Straße bis hin zu den geplanten Vereinzelungsanlagen als notwendige (und einen Bestandteil derselben bildende) Zu- bzw. Abgangsbereiche der Versammlungsstätte liegen sollte. So zeigen etwa die dem Bauantrag beigefügten Anlagen B11 und B12 (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 197 ff.) sowie die (zudem als zum Bescheid gehörig grüngestempelte) weitere Anlage B18 (BMO V 01, elektronische Seitenzahl 256), dass durch Bauzäune eine umschlossene Einzäunung auch der Eingangsbereiche von den Vereinzelungsanlagen bis hin zum Tunnel Karl-Lehr-Straße erfolgen sollte.
Im Hinblick auf die Antragsfassung sowie den Inhalt der dort in Bezug genommenen Veranstaltungsbeschreibung und der überreichten Lagepläne und Baubeschreibungen steht daher fest, dass sowohl der Bereich der Karl-Lehr-Straße ab den Vereinzelungsanlagen als auch der Bereich der Rampe Ost selbst als Ein-/Ausgangsbereich der Veranstaltung durch die Veranstalterin – nutzungsänderungsrelevant – zu Veranstaltungszwecken (einheitlich) als Versammlungsstätte genutzt werden sollten. Dass überdies für die Antragstellerin das Vorhaben nur in der Zusammenfassung der Baulichkeiten des Eingangsbereichs der Karl-Lehr-Straße, der Rampe Ost sowie des
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weiteren ehemaligen Güterbahnhofsgeländes sinnvoll war, belegt ebenfalls, dass es sich um ein einheitliches Vorhaben handeln sollte, das insgesamt – einschließlich der Ein-/Ausgangsbereiche – oder überhaupt nicht bauaufsichtsrechtlich genehmigt werden sollte (vgl. auch Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, 64. AL, 05/2009, § 75 Rn. 85). Gegenstand der baurechtlichen Prüfung sollte die sich darbietende Baulichkeit in ihrer durch die Nutzung als Versammlungsstätte – einschließlich Eingangs- und Ausgangsbereich – bestimmten Funktion als Einheit sein (vgl. Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 3 Rn. 97).
(b) Reichweite des Genehmigungsgegenstandes
Der Genehmigungsgegenstand umfasste daher die in diesem Sinne baulich eingegrenzte bzw. räumlich gefasste, zu Veranstaltungszwecken genutzte Baulichkeit als Versammlungsstätte, wozu neben dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs als Veranstaltungsbereich im engeren Sinne (oberhalb der Rampe Ost) auch die beiden Rampen Ost und West sowie die weiteren (Zu- bzw. Abgangs-)Bereiche der Karl-Lehr-Straße jeweils bis zu den Vereinzelungsanlagen als ebenfalls zu Veranstaltungszwecken genutzte und baulich abgegrenzte Ein- bzw. Ausgangsbereiche, an denen Einlasskontrollen stattfinden sollten und tatsächlich auch stattfanden, gehörten.
(aa) Einheitliche Versammlungsstätte
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 SBauVO NRW enthält die SBauVO NRW (in Umsetzung von §§ 54, 85 Abs. 1 Nr. 5 BauO NRW) besondere (öffentlich-rechtliche) Vorschriften für den Bau bzw. Betrieb unter anderem von sog. Versammlungsstätten im Freien mit Szeneflächen, deren Besucherbereich mehr als 1.000 Besucher fasst und die ganz oder teilweise aus baulichen Anlagen bestehen (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SBauVO NRW). Gemäß § 2 Abs. 1 SBauVO NRW sind wiederum Versammlungsstätten bauliche Anlagen oder Teile baulicher Anlagen, die für die gleichzeitige Anwesenheit vieler Menschen bestimmt sind. Dabei belegen etwa auch die (Bau-)Vorschrift des § 30 SBauVO NRW sowie die (Betriebs-)Vorschriften des § 32 Abs. 2 SBauVO NRW sowie des § 43 Abs. 4 S. 2 SBauVO NRW, dass der Verordnungsgeber grundsätzlich auch die Ein- und Ausgänge der Versammlungsstätte als vom Versammlungsstättenbegriff umfasst ansieht.
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Für Großveranstaltungen im Freien enthält das Bauordnungsrecht hingegen grundsätzlich keine Vorgaben, wenn sie allgemein ohne Einlasskontrollen zugänglich sind und auf Flächen stattfinden, die nicht eingezäunt sind, also jederzeit und ungehindert über öffentliche Verkehrsflächen betreten oder verlassen werden können (vgl. so zur Rechtslage zusammenfassend auch den Bericht der Projektgruppe „Sicherheit bei Großveranstaltungen im Freien“, Düsseldorf, Februar 2013, S. 23, Bl. 33760 HA).
Wenn aber – wie im vorliegenden Fall – durch Ein- bzw. Aufbauten und Absperrungen in Form von Bauzäunen bzw. Vereinzelungsanlagen bauliche Anlagen geschaffen werden, mit denen der allgemeine Besucherverkehr ausgeschlossen wird/werden kann, bedarf die Nutzung einer entsprechenden Baulichkeit, die bislang nicht für Veranstaltungszwecke genehmigt worden ist, einer Änderung der Nutzungsgenehmigung gemäß § 75 BauO NRW. Eine genehmigungs- bzw. anzeigepflichtige Nutzungsänderung liegt nämlich bereits vor, wenn sich die neue Nutzung von der bisherigen (legalen) Zweckbestimmung dergestalt unterscheidet, dass sie anderen oder weitergehenden Anforderungen bauordnungs- oder bauplanungsrechtlicher Art unterworfen ist oder unterworfen werden kann. Das ist wiederum schon dann der Fall, wenn – wie vorliegend – die bloße Möglichkeit besteht, dass die Zulässigkeit des geänderten Vorhabens nach den Bauvorschriften anders beurteilt werden kann (vgl. Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 3 Rn. 98 mit weiteren Nachweisen).[Fußnote 149]
Durch die installierten (Bau-)Zäune bzw. vorhandenen Wandbereiche/sonstigen baulichen Eingrenzungen, die vorhandenen Szeneflächen sowie einen Besucherbereich, der mehr als 1.000 Besucher fasste, entstand eine – § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SBauVO NRW unterfallende – abgegrenzte bauliche Einheit als Versammlungsstätte im Freien von den Vereinzelungsanlagen (im öffentlichen Verkehrsraum) an über die Zu-/ Abgangsrampe Ost sowie die Rampe West bis hin zu den Szeneflächen (Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., 2011, § 1, S. 90; vgl. zur nachfolgenden Entwicklung und Änderung der MBO sowie MVStättV auch
[Fußnote 149: In Nordrhein-Westfalen geht die Verwaltungspraxis der Bauordnungsbehörden davon aus, dass bereits eine erstmalige bisher nicht genehmigte Nutzung einer baulichen Anlage für eine Veranstaltung die Genehmigungspflicht auslöst, vgl. hierzu den Bericht der Projektgruppe „Sicherheit bei Großveranstaltungen im Freien“, Düsseldorf, Februar 2013, S. 23, Bl. 33760 HA.]
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Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 4. Aufl., 2015, Einführung, S. 12 f.).
(bb) Straßenrechtliche Vorgaben
Dass hingegen Versammlungsstätten, die selbst keine Anlagen des öffentlichen Verkehrs im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BauO NRW darstellen, ihrerseits unter Inanspruchnahme auch solcher errichtet bzw. genutzt werden, führt nicht zum Entfallen der Anwendbarkeit bauordnungsrechtlicher Vorgaben, sondern gemäß § 75 Abs. 3 S. 2 BauO NRW bleibt lediglich die etwa bestehende Verpflichtung zur (zusätzlichen) Einholung einer Sondernutzungserlaubnis zur Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrsraumes von der bauaufsichtsrechtlichen Genehmigungspflicht unberührt (vgl. etwa auch zu § 65 Nr. 40 BauO NRW ausdrücklich Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, 64. AL, 05/2009, § 65 Rn. 201). Insoweit geht die Annahme fehl, es handele sich, soweit die Karl-Lehr-Straße unter Errichtung von Bauzäunen (als bauliche Anlagen) zu Veranstaltungszwecken genutzt werde, (ausschließlich) um eine nach verkehrsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilende Nutzung einer Anlage des öffentlichen Verkehrs (vgl. so aber Gutachten Dr. S , Bl. 43406 ff. HA, dort Bl. 43461 f. HA; ferner Erwiderung Dr. S , Bl. 45464 f., 45472 HA).
Vielmehr umfasst der Begriff der Versammlungsstätte im Freien gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SBauVO NRW auch solche dort genannten Versammlungsstätten, die zu Nutzungszwecken (teilweise) in Bereichen des öffentlichen Straßenraumes verortet sind, soweit im Übrigen die gesetzlichen Kriterien vorliegen (vgl. hierzu im Einzelnen Klode, Muster-Versammlungsstättenverordnung, 2007, S. 33). Sinn und Zweck der Vorschrift ist es gerade, Versammlungssituationen in Gänze zu erfassen, in denen der Besucherbereich – nicht lediglich der Bereich der Szeneflächen – durch bauliche Anlagen „gefasst“ oder „begrenzt“ wird (vgl. Klode, a.a.O.). Die Begrenzung wiederum kann sich aus (Bau-)Zäunen, Absperrungen, aber gerade auch aus vorhandenen baulichen Anlagen als „natürliche Begrenzung“ ergeben, ohne dass erheblich wäre, ob die Abgrenzung im öffentlichen Verkehrsraum selbst erfolgt oder auf privatem Grund (vgl. Klode, a.a.O.). Unabhängig hiervon handelt es sich bei den eingrenzenden Bauzäunen sowie Vereinzelungsanlagen selbst ebenfalls um bauliche Anlagen im Sinne der §§ 1, 2 BauO NRW (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, DÖV 2006,
412
790 f.; für Einfriedungen vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 30.06.2006, 10 B 471/06; für Gehege OVG NRW, Beschl. v. 10.07.2002, 10 A 2220/02) und nicht um Anlagen des öffentlichen Verkehrs.
Entgegen der Tatsachendarstellung im Gutachten Dr. S erfolgte die Einzäunung der Veranstaltungsstätte im Übrigen nicht nur „zur Gewährleistung der Sicherheit des Bahnverkehrs“ im Bereich der oberen Veranstaltungsfläche (Bl. 43431, 43437 HA), sondern gerade auch – so insbesondere im vom Bahnverkehr am weite-sten entfernt gelegenen Eingangs-/Ausgangsbereich der Karl-Lehr-Straße – zum Zwecke der Abgrenzung der Versammlungsstätte gegenüber Anliegergrundstücken sowie gegenüber dem öffentlichen Verkehr.
(cc) Eisenbahnrechtliche Vorgaben
Fehl geht schließlich die Einwendung im Gutachten Dr. S , im Hinblick auf die Anwendbarkeit eisenbahnrechtlicher Vorgaben hinsichtlich der Rampe Ost als Anlage des öffentlichen Verkehrs gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BauO NRW, nämlich als sog. „Betriebsanlage der Eisenbahn“ im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 EBO, fehle es bereits an einer bauaufsichtsrechtlichen (Genehmigungs-)Zuständigkeit des Bauordnungsamts für diesen Bereich.
Es handelt sich bei der beantragten Nutzung der Baulichkeit der Rampe Ost zu Veranstaltungszwecken nämlich jedenfalls um eine bahnverträgliche (Zwischen-)Nut-zung dieses Teils der Baulichkeit der Versammlungsstätte. Bereits in dem durch Rechtsanwalt Dr. S in Bezug genommenen Antrag der Deutsche Bahn AG vom 06.07.2010 – mithin im Vorfeld der bauaufsichtsrechtlichen Genehmigungsentscheidung vom 21./23.07.2010 – weist die Deutsche Bahn AG darauf hin, dass für die den Bereich der Rampe Ost einschließenden Flurstücke 335 und 336 mit den Flurstücken 152 (vormals 138) und 81 (insgesamt) kein Verkehrsbedürfnis mehr bestehe und eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung auch nicht mehr zu erwarten sei (vgl. auch Gutachten Dr. S , Bl. 43425 HA). Ferner wird in dem Antrag mitgeteilt, dass ein Verfahren nach § 11 AEG, mithin die Abgabe bzw. die Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen, nicht erforderlich sei, da keine betriebsnotwendigen Anlagen (mehr) vorhanden seien (vgl. Sonderbände, Eisen-
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bahn-Bundesamt, Verwaltungsakte 54130 Paw 2650_61, 31.pdf, elektronische Seitenzahl 6).
Unabhängig von einer etwaig vorliegenden eisenbahnrechtlichen Widmung des Bereichs der Rampe Ost (noch) im Genehmigungszeitpunkt wurde die Rampe Ost – ebenso wie das weitere „Alte Güterbahnhofsgelände“ – tatsächlich nicht (mehr) bahntypisch genutzt. Nach der technischen Fertigstellungsmitteilung der DB Netz AG (bereits) vom 13.07.2009 wurden die auf der „Aurelis-Fläche“ vormals befindlichen Gleise und Weichen vom Bestandsnetz der DB Netz AG abgebunden und zurück gebaut, die Hauptkabeltrasse wurde verlagert (vgl. Sonderbände, Eisenbahn-Bundesamt, Verwaltungsakte 54130 Paw 2650_61, 31.pdf, elektronische Seitenzahl 8).
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass weder die Rampe Ost noch der weitere Bereich des ehemaligen Güterbahnhofgeländes nach den zum Zeitpunkt der Genehmigung bestehenden örtlichen Verhältnissen Eisenbahnbetriebsbezogenheit gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 EBO im Sinne ihrer Verkehrsfunktion und des räumlichen Zusammenhangs zum Eisenbahnbetrieb aufwiesen. Es liegen nämlich keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das „Alte Güterbahnhofsgelände“ einschließlich der Rampe Ost nach seiner Verkehrsfunktion im Genehmigungszeitpunkt Zwecken des Eisenbahnbetriebs diente. Insbesondere fehlen jegliche tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Rampe Ost als Ladestraße bahnbetrieblichen Zwecken diente. Auch nach den tatsächlichen räumlichen Verhältnissen war der Bereich der Rampe Ost nicht äußerlich klar erkennbar dem Bahnverkehr zugeordnet. Inwieweit sich dies daraus ergeben soll, dass es eine Grenze zum Bürgersteig der öffentlichen Verkehrsfläche gab (so Gutachten Dr. S , Bl. 43446 HA), ist nicht nachzuvollziehen. Dies mag die Fläche der Rampe Ost nämlich vom öffentlichen (Straßen-)Verkehrsbereich abgegrenzt haben, hat aber keinen Aussagegehalt hinsichtlich einer erforderlichen positiven Zuordnung zum Eisenbahnbetrieb (vgl. BVerwGE 102, 269, 274 f.; VGH München, BauR 2015, 85 f.), welche tatsächlich nicht bestand.
Soweit in der Erwiderung Dr. S weiter ausgeführt wird:
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„Bei den insgesamt drei von der Karl-Lehr-Straße auf Bahngelände verlaufenden Zugangsrampen handelt es sich nach § 4 Abs. 1 S. 2 EBO um bauliche Anlagen einer Eisenbahn, die den Zu- und Abgangsverkehrs zum Güterbahnhofsgelände allein und ausschließlich ermöglichen. Bei der heute noch vorhandenen Zugangsrampe steht das Schild mit der Aufschrift Bahngelände“ (Bl. 45471 HA),
lässt sich hieraus (die Richtigkeit der Angaben unterstellt) hinsichtlich der tatsächlichen Beschilderungssituation der – gerichtsbekannt aktuell nicht mehr als Zugangsrampe zum Bahngelände bestehenden – Rampe Ost im Genehmigungszeitpunkt im Jahr 2010 sowie zur Frage des räumlichen Zusammenhangs zum Eisenbahnbetrieb nichts ableiten.
Es ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich, dass das beantragte Vorhaben im Widerspruch zur entsprechenden Fachplanung stand und insbesondere als Betriebsanlage einer Eisenbahn dem Planfeststellungsvorbehalt des § 18 AEG unterfiel. Insoweit führt das durch die Verteidiger d Angeschuldigten C vorgelegte Gutachten von Dr. S vielmehr selbst (insoweit zutreffend und für das „Alte Güterbahnhofsgelände“ auch so angenommen) aus, dass Vorhaben, die auf Bahngelände verwirklicht werden sollen, ohne unter den eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsvorbehalt zu fallen, und die mit der fachplanerischen Zweckbindung der Eisenbahnbetriebsanlage in Einklang stehen, in formeller und materieller Hinsicht dem allgemeinen Baurecht unterliegen und auch ohne eine förmliche „Entwidmungserklärung“ genehmigt werden können (vgl. Gutachten Dr. S , Bl. 43445 HA). Über die Zulässigkeit solcher Vorhaben entscheidet die zuständige Baugenehmigungsbehörde (vgl. BVerwGE 81, 111; VGH München, BauR 2015, 85). So verhält es sich vorliegend indes nicht nur hinsichtlich des Veranstaltungsgeländes im engeren Sinne (Bereich des „Alten Güterbahnhofs“, so Erwiderung Dr. S , Bl. 45470 f. HA), sondern auch (und erst recht) hinsichtlich des Zu-/Abgangsbereichs der Rampe Ost.
(c) „Verfahrenserleichterung“
Ein Fall der Genehmigungsfreiheit gemäß § 65 BauO NRW ist schließlich nicht anzunehmen. Ferner findet auch das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren des § 68 Abs. 1 BauO NRW – wie auch in der Anklageschrift zutreffend angenommen – keine Anwendung.
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(2) Rechtliche Vorgaben
Die Prüfungspflicht der Angeschuldigten D , F und E hinsichtlich der Erteilung der beantragten Nutzungsänderung bezog sich zwar grundsätzlich (auch) auf die nutzungsspezifische bauliche Eignung des Ein- und Ausgangssystems der Veranstaltungsstätte zur Personenstromführung (vgl. zum Erfordernis der Verletzung einer von der Genehmigung umfassten Prüfungspflicht durch den genehmigenden Amtsträger OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.01.1993, 3 Ws 649/92, Bl. 11 f. sowie Bl. 15 f.). Allerdings steht nach dem Ermittlungsergebnis nicht fest, dass die Angeschuldigten D , F und E tatsächlich dem Anklagevorwurf entsprechend eine konkrete Amtspflicht zur rechnerischen Überprüfung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute im Hinblick auf die Bereiche der Karl-Lehr-Straße/Tunnel sowie der Rampe Ost und insbesondere der (bereits nach ihrer Funktion auf Durchflussbegrenzung ausgelegten) Vereinzelungsanlagen Ost und West traf.
Dies setzte nämlich voraus, dass eine öffentlich-rechtliche Vorschrift im Sinne des § 75 BauO NRW zum Genehmigungszeitpunkt im Juli 2010 insoweit prüfungsrelevante Vorgaben für die Erteilung der Nutzungsänderungsgenehmigung enthalten hätte. Indes ergibt sich eine solche Prüfungspflicht im Hinblick auf die in der Anklageschrift angenommene konkrete Sorgfaltspflicht zur Überprüfung eines rechnerischen Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute für das Ein- und Ausgangssystem von Versammlungsstätten (hier: Bereich der Karl-Lehr-Straße (Tunnel), der Rampe Ost sowie der Vereinzelungsanlagen Ost und West) weder aus der SBauVO NRW noch aufgrund der Vorgaben des – im vorliegenden Fall nicht durch speziellere Regelungen der SBauVO NRW verdrängten – § 3 BauO NRW.
(a) Sonderbauverordnung NRW
Die SBauVO NRW enthält – nach derzeitigem wie damaligem Stand im Jahre 2010 – keine spezifische Regelung hinsichtlich der Anforderungen an die personenstrombezogene Eignung des Ein- und Ausgangssystems einer Veranstaltungsstätte, so gerade auch nicht unter Kapazitäts-/Durchflussgesichtspunkten. Insbesondere enthält die SBauVO NRW keine Vorgabe der notwendigen Prüfung der schmalsten oder einer sonstigen Stelle des Ein- und Ausgangssystems einer Versammlungsstätte unter
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Durchflussgesichtspunkten durch rechnerische Überprüfung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute.[Fußnote 150]
Ungeachtet dessen beinhaltet die SBauVO NRW normative Vorgaben mit Personenstromrelevanz:
So enthält zunächst § 1 Abs. 2 S. 1, 3 SBauVO NRW eine Bemessungsformel für die Gesamtanzahlbemessung der Besucher auf für diese zugänglichen Flächen der Versammlungsstätte im Freien, welche nach dem Ermittlungsergebnis (unter anderem) auch der Entscheidung des Bauamtes der Stadt Duisburg zur Festlegung der Besucherhöchstzahl von 250.000 auf dem Gesamtgelände zugrunde lag. In diesem Zusammenhang können zwar auch die veranstalterseitigen Planungszahlen des Besucherprofils Relevanz für die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit anhand des Flächennachweises gehabt haben. Indes weist die Anklage zum einen ausdrücklich darauf hin, dass eine (auch nur ansatzweise) Überschreitung der festgesetzten Höchstbesucherzahl für keinen Zeitraum der Veranstaltung habe festgestellt werden können (vgl. S. 412 der Anklageschrift (unten), Bl. 36776 HA), zum anderen erhebt die Anklage selbst nicht den Vorwurf einer – nach den Ausführungen im Abschlussvermerk vorhandenen (vgl. Bl. 35067-35071 HA), aber ohne entsprechende Nennung in der Anklage ohne Bedeutung bleibenden – fehlerhaften behördlichen Besucherzahlfestsetzung, welche sich zudem – was auch im Abschlussvermerk nicht begründet wird – erfolgsursächlich ausgewirkt hätte.
Darüber hinaus hat die (maximal zulässige) Gesamtbesucherzahl gemäß § 7 Abs. 4 SBauVO NRW Relevanz für die Bemessung der lichten Breite der Rettungswege (in allen ihren Teilen). Insoweit erachtet die Anklage jedoch einen (angenommenen) Verstoß hiergegen bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit durch den erteilten Dispens von der erforderlichen Rettungswegbreite (ausdrücklich) als nicht erfolgsursächlich (vgl. S. 479-481 der Anklageschrift, Bl. 36843-36845 HA).[Fußnote 151] Die Anklage führt den Taterfolg auch nicht auf eine Fehlbemessung der Rettungswegbreite und ein etwaiges Evakuierungsversagen des Rettungswegsystems im Evakuierungsfall –
[Fußnote 150: Vgl. bereits oben C. II. 2. a. dd. (2) (a).
Fußnote 151: Vgl. bereits oben B. I. 2. d. bb..]
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etwa aufgrund fehlender Rettungswegbreite – zurück, sondern auf ein Versagen des Planbetriebs des Ein- und Ausgangssystems.
Soweit die Anklage darüber hinaus in den rechtlichen Ausführungen die Herleitung eines Wertes von 83,3 Personen/Meter/Minute als allgemein bestehende Durchflusskapazitätsvorgabe für Durchgangswege von Versammlungsstätten (im Freien) auf § 7 Abs. 4 SBauVO NRW gründet (vgl. S. 489 der Anklageschrift, Bl. 36853 HA), ist dies – wie ausgeführt – rechtsfehlerhaft.[Fußnote 152]
Als fehlgehend stellt sich überdies der – zudem nicht durch eine erforderliche sachverständige Einschätzung belegte – Vorwurf dar, dass sich bei einem „Vergleich“ der von der M GmbH erstellten Besucherprognose mit der Entfluchtungsanalyse der T GmbH „offenkundig“ ergeben hätte, dass die Führung „aller Besucher über die östliche Rampe unrealistisch“ gewesen sei (S. 12 der Anklageschrift, Bl. 36376 HA). Dass nämlich eine Entleerung des gesamten Veranstaltungsgeländes über die östliche und westliche Rampe bei einer erwarteten Besucherzahl von 250.000 Personen im Evakuierungsfall und einer zugrunde gelegten Durchgangsbreite von insgesamt rund 25 Metern drei Stunden und 48 Minuten gedauert hätte, wobei „selbst bei einem Entfluchtungsszenario lediglich eine maximale Durchflusskapazität von nur 43,85 Personen/Meter/Minute erreicht werden“ könnte (S. 12 der Anklageschrift, Bl. 36376 HA), hat keinen Aussagegehalt dahin, welche normativen Anforderungen an den planerischen Regelbetrieb des Ein- und Ausgangssystems unter Durchflussgesichtspunkten zu stellen waren. Insbesondere besteht keine normative Vorgabe im Sinne einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift gemäß § 75 BauO NRW, dass ein entsprechender „Vergleich“ (von ohnehin – jedenfalls ohne entsprechende sachverständige Einschätzung – nicht vergleichbaren Sachverhalten) durch die Bauaufsicht im Baugenehmigungsverfahren durchzuführen gewesen wäre.
(b) § 3 Bauordnung NRW
Die auf der MVStättV beruhende SBauVO NRW stellt in Ausfüllung der Ermächtigungsgrundlage des § 85 BauO NRW keine in sich abgeschlossene Regelung dar; vielmehr gelten für Tatbestände, für die die SBauVO NRW keine speziellen – erleich-
[Fußnote 152: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (2) (a).]
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ternden oder erschwerenden – Regelungen enthält, unverändert die Vorschriften der BauO NRW fort, mithin gerade auch die Vorgaben des § 3 BauO NRW (vgl. Löhr/Gröger, Bau und Betrieb von Versammlungsstätten, 3. Aufl., Einführung S. 80; 4. Aufl., Einführung S. 26). Dies gilt gerade auch im vorliegenden – atypischen – Fall.[Fußnote 153]
Insoweit wird die Erteilung einer Baugenehmigung im Hinblick auf eine angestrebte Nutzungsänderung einer baulichen Anlage als Versammlungsstätte wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1, Abs. 4 BauO NRW regelmäßig dann abzulehnen sein, wenn der Ein- und Ausgangsbereich einer Versammlungsstätte unter Leib und Leben der Besucher konkret gefährdenden Nutzungssicherheitsdefiziten leiden sollte. Dabei gehört unter Nutzungssicherheitsgesichtspunkten gerade der Ein- und Ausgangsbereich einer Versammlungsstätte (im Freien) zu den risikoträchtigsten Bereichen der baulichen Anlage, zumal dieser Bereich nach seinem Nutzungszweck durch sämtliche Besucher der Veranstaltung genutzt werden muss.
Dies gilt im konkreten Fall insbesondere auch deshalb, weil das Ein- und Ausgangssystem weder in dem vorliegenden Brandschutzgutachten noch der Entfluchtungsanalyse der Firma T GmbH einer (besonderen) Prüfung unterworfen wurde, woraufhin der durch das Bauamt im Verfahren beauftragte Prof. Dr. T noch am 16.07.2010 Folgendes mitteilte:
„Die mir vorliegende Entfluchtungsanalyse der Fa. T , basiert i.W. auf dem Einsatz etablierter Simulationsverfahren zur Berechnung von Menschenströmen und ‑dichten. (…) Die Ergebnisse der Analyse lassen im Kern den Schluss zu, dass eine Entfluchtung des Veranstaltungsgeländes im Rahmen eines vertretbaren Risikos, insbesondere durch hohe Personendichte möglich ist. Allerdings kommt dem Zugang zum Gelände durch den Tunnel Karl-Lehr-Straße eine besondere Rolle zu, die in jedem Falle eine detaillierte Betrachtung benötigt. Das Gutachten stützt die Aussage der Veranstalter, dass die Vorkehrungen zur Entfluchtung des Veranstaltungsgeländes bei einem vertretbaren Risiko ausreichend sind. Dieser Meinung schließe ich mich im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Informationen und
[Fußnote 153: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (2) (b) (aa).]
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Unterlagen an." (S. 203 der Anklageschrift, Bl. 36567 HA, Hervorhebung durch die Kammer)
Allerdings ergibt sich das Bestehen der von der Anklage angenommenen Prüfungspflicht eines rechnerischen Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute für den Bereich der Karl-Lehr-Straße (Tunnel), der Rampe Ost sowie der Vereinzelungsanlagen Ost und West auf der Grundlage des vorliegenden Ermittlungsergebnisses nicht. Denn eine solche konkrete Pflicht folgt nicht aus den im Rahmen des § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW zu berücksichtigenden DIN-Normen und es liegen nach dem Ermittlungsergebnis auch keine Erkenntnisse vor, aus denen sich eine solche Pflicht als allgemein anerkannte Regel der Technik aus dem allgemeinen Bausicherheitsgebot des § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW ableiten ließe.
(aa) DIN-Normen (§ 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW)
Soweit § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW darauf verweist, dass die entsprechenden allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten sind, wurde wie ausgeführt – im Nachgang zu den Ereignissen der Loveparade 2010 – durch Ziffer 6.9 der DIN-Norm Zuschaueranlagen – Teil 7: Eingangs und Ausgangsanlage und Wege (DIN EN 13200-7:2014) im Jahr 2014 eine Verpflichtung zur konkreten Bemessung von Durchgangskapazitäten von Durchgangswegen, die zu einem Zugangs- oder Ausgangsweg gehören, vorgesehen. Eine entsprechende DIN-Vorgabe zur rechnerischen Überprüfung der Durchgangskapazität für Eingangs- und Ausgangssysteme von Versammlungsstätten bestand im tatrelevanten Zeitraum hingegen nicht.[Fußnote 154]
(bb) Allgemeines Bausicherheitsgebot (§ 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW)
Inwiefern das allgemeine Bausicherheitsgebot des § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BauO NRW im Jahr 2010 darüber hinaus auch unabhängig von der seinerzeit fehlenden DIN-Normierung eine konkret-rechnerische Durchgangskapazitätsprüfung des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte als allgemein anerkannte Regel der Technik erforderte, bedarf (tragfähiger) sachverständiger Prüfung und Erörterung. Die nach § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW beachtlichen Regeln bedürfen nämlich nicht zwingend einer förmlichen Anerkennung; insoweit ist die Beauftragung eines Sach-
[Fußnote 154: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (2) (b).]
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verständigen erforderlich, um den konkreten Prüfungsmaßstab zu ermitteln (vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte/Radeisen, BauO NRW, 60. AL, 02/2008, § 3 Rn. 45, 52).
Mangels Verwertbarkeit sowie Tragfähigkeit der Ausführungen von Prof. Dr. T sowie aufgrund Fehlens weiterer diesbezüglicher Beweismittel kann nach dem derzeitigen Ermittlungsstand eine entsprechende – auf eine sachverständige Bewertung zu stützende – konkrete Prüfungspflicht der Angeschuldigten D , F und E nicht angenommen werden.[Fußnote 155]
bb. Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen der Sorgfaltspflichtverletzung
Es ermangelt – eine entsprechende Sorgfaltspflicht der Angeschuldigten D , F und E unterstellt – zudem der Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen der angeklagten Verletzung einer solchen Sorgfaltspflicht, insbesondere in Bezug auf eine Pflicht zur Prüfung der planerischen „Durchflusseignung“ des Ein- und Ausgangssystems der betroffenen Versammlungsstätte (bestehend aus den Vereinzelungsanlagen West und Ost, den Tunneln West und Ost, der Rampe Ost sowie der Rampe West) im Hinblick auf einen – ggf. auch angesichts der Gegenläufigkeit von Besucherströmen noch (wie auch immer) zu verringernden – Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute einschließlich des in den Anklagevorwurf einbezogenen sog. „Mitzieheffekts“.
Dies gilt aus den bereits im Hinblick auf die Angeschuldigten J , G , H und I im Einzelnen angeführten Gründen[Fußnote 156], mithin, soweit die Anklage einerseits eine zu geringe planerische Breite der Rampe Ost (planerische Nichtbeachtung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute) zugrunde legt und weiter anführt, dieser Wert sei im Hinblick auf bestimmte Gegebenheiten weiter nach unten zu korrigieren, ohne dass aber andererseits ein entsprechend korrigierter Wert dem Ermittlungsergebnis oder der Anklage zu entnehmen wäre.
[Fußnote 155: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (2) (b) (bb) (α), C. II 2. a. dd. (2) (c) (cc) sowie C. II. 2. b. cc..
Fußnote 156: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (a).]
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Darüber hinaus bezieht die Anklage zum einen – über den Bereich der Rampe Ost hinaus – auch die beiden Tunnel West und Ost in den erhobenen Vorwurf eines (vermeintlich) planerisch „zu engen“ Ein- und Ausgangssystems ein, ohne deren maßgebliche Planbreiten anzugeben und diese rechnerisch in Bezug auf den planerisch jeweils zuzuschreibenden stündlichen Besucheranteil entsprechend den Ausführungen zur Rampe Ost überprüft zu haben, wobei eine Verletzung des durch Prof. Dr. T angenommenen Durchflussmaximalwertes (82 Personen/Meter/Minute) im Bereich der Tunnel mindestens fraglich ist. [Fußnote 157]
Zum anderen bleibt, soweit die Anklage weiter eine „besondere Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe“ (S. 10 der Anklageschrift, Bl. 36374 HA) einbezieht, offen, um welche (Plan-)Stelle es sich in örtlicher Hinsicht konkret handeln soll und welche Planungsgebote bzw. planerischen Anforderungen insoweit verletzt worden sein sollen. [Fußnote 158]
Ferner ist – wie ausgeführt[Fußnote 159] – nicht ersichtlich, welche Auswirkungen innerhalb des Vorwurfs der planerischen Nichteignung des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte die konkret vorgeworfene Fehlplanung der beiden Vereinzelungsanlagen hinsichtlich einer (nach der Anklage letztlich erfolgsursächlichen) Überschreitung des Durchflussmaximalwerts insbesondere auf der Rampe Ost gehabt haben soll.
Soweit die Anklage ausführt, die Dimensionierung und die Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen seien nicht geeignet gewesen, einen sicheren Durchfluss des erwarteten Besucherstroms zu gewährleisten, die Tore der Vereinzelungsanlagen seien – ineffizient und in für die Bewältigung des erwarteten Besucherstroms nicht geeigneter Art und Weise (S. 126 der Anklageschrift, Bl. 36490 HA) – parallel zum Zustrom der Besucher angeordnet worden, wobei – nach dem Inhalt der Anklageschrift – die geringste Durchlassbreite (Einlass) an der Vereinzelungsanlage West 5,9 Meter und an der Vereinzelungsanlage Ost 3 Meter betragen habe, was im Hinblick auf den erwarteten Zu- und Abstrom unzureichend gewesen sei und zu Rückstau bzw. Warte-
[Fußnote 157: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (b).
Fußnote 158: Vgl. oben unter C. II. 2. a. dd. (3) (c).
Fußnote 159: Vgl. unter C. II. 2. a. dd. (3) (d).]
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schlangen bei Zu- und Abstrom habe führen müssen, so dass die Besucher nicht sicher auf das Gelände geführt würden bzw. dieses verlassen könnten (S. 9, 126-128 der Anklageschrift, Bl. 36373, 36490-36492 HA), die maximale Zustromkapazität der Vereinzelungsanlagen Ost und West habe – bei maximaler Kapazitätsauslastung – lediglich 43.788 Menschen/Stunde (S. 127 der Anklageschrift, Bl. 36491 HA), die maximale Abstromkapazität lediglich 40.344 Menschen/Stunde (S. 128 der Anklageschrift, Bl. 36492 HA) betragen, so dass die erwarteten Besucherströme nicht hätten bewältigt werden können (S. 126-128 der Anklageschrift, Bl. 36490-36492 HA), fehlt es bereits an Ermittlungen zu den geplanten Maßen der Vereinzelungsanlagen als Grundlage einer solchen Annahme. Überdies ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen die konkret vorgeworfene Fehlplanung der Vereinzelungsanlagen hinsichtlich einer (nach der Anklage erfolgsursächlichen) Überschreitung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute insbesondere auf der Rampe Ost gehabt haben soll. Die angenommene Limitierung des Besucherzuflusses (43.788 Besucher pro Stunde) lässt sich jedenfalls nicht mit der gleichzeitigen Annahme eines stündlichen Zustroms von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern im Zeitraum von 13 bis 19 Uhr auf das Gelände vereinbaren. Insofern ist auch nicht ermittelt, in welchem Verhältnis die zu erwartenden Abflusszahlen aufgrund des faktisch durch die Kapazitätsgrenze der Vereinzelungsanlagen limitierten Zugangs gegenüber den Planzahlen zu kürzen wären. Ferner bleibt ein geplanter Abstrom über die Rampe West rechnerisch unberücksichtigt.
Unabhängig davon, dass noch nach Anklageerhebung die Maße der Vereinzelungsanlagen und darauf beruhend der maximale Besucherzustrom auf das Gelände durch Prof. Dr. T wiederholt von den in der Anklageschrift enthaltenen Werten abweichend angegeben wurden[Fußnote 160], ohne dass dies zur Ermittlung der tatsächlich maßgeblichen Werte und ggf. einer entsprechenden „Anpassung“ der Anklage geführt hätte, ergibt sich bereits aus den Ausführungen in der Anklageschrift selbst, dass die in der Anklage angenommene Verletzung der Durchflussmaximalkapazität auf der Rampe Ost – die Durchflusswerte der Tunnel werden bereits nicht beziffert – in der vorgeworfenen Gestalt nicht vorgelegen haben kann:
[Fußnote 160: Siehe hierzu unter C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd) (α).]
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Nach der Anklage war der Zufluss durch die Vereinzelungsanlagen (bereits planerisch) auf lediglich 43.788 Menschen/Stunde (S. 127 der Anklageschrift, Bl. 36491 HA) begrenzt, was hingegen die Anklageschrift bei der Angabe der etwaigen planerischen Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität auf der Rampe Ost nicht berücksichtigt. Die dort in Bezug genommenen Planzahlen gehen ersichtlich von dem Fall aus, dass sämtliche ankommenden Besucher (planerisch) durch die Vereinzelungsanlagen bewältigt werden könnten und auf das Gelände gelangten, was indes nach dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft zur Gesamtkapazität des Eingangssystems gerade nicht der Fall sein konnte. Ob überhaupt und bejahendenfalls zu welchem Zeitpunkt – gerade auch unter Berücksichtigung des weiteren Planelements des Vorsperrensystems durch die Polizei – ein „Überrennen“ bzw. eine Wirkungslosigkeit der Vereinzelungsanlagen planerisch determiniert war, so dass die Anzahl der ankommenden Besucher nunmehr derjenigen der auf das Gelände gelangenden Besuchern entsprechen konnte, erläutert die Anklage nicht; Derartiges ergibt sich auch nicht aus dem Ermittlungsergebnis. Vielmehr nimmt auch Prof. Dr. T insoweit lediglich an, dass die Planung hinsichtlich der Vereinzelungsanlagen auf einen (erheblichen) Rückstau vor den Vereinzelungsanlagen – nicht aber auf deren grundsätzliche Funktionslosigkeit mit der Folge des Zuflusses auch eines die Kapazitätsgrenzen der Vereinzelungsanlagen überschreitenden Personenanteils – ausgelegt war.
Es ist des Weiteren schon nicht ermittelt, in welchem Verhältnis die zu erwartenden Abflusszahlen aufgrund des faktisch durch die Kapazitätsgrenze der Vereinzelungsanlagen limitierten Zugangs gegenüber den Planzahlen zu kürzen wären. Die demgemäß ermittelten verringerten Abstromzahlen wären jedenfalls (rechnerisch) bei der Bestimmung des Durchflussprofils einzubeziehen. Weiter wäre überdies (rechnerisch) bei der Bestimmung des Durchflussprofils auf der Rampe Ost auch die – durch die Anklage (fehlerhaft erst) ab etwa 18 Uhr angenommene – planerische Funktion der Rampe West als zusätzlicher regulärer Abgang zu berücksichtigen gewesen, was zwangsläufig zu einer weiteren Reduzierung des von der Anklage berechneten jeweiligen stündlichen Durchflusswertes auf der Rampe Ost sowie insbesondere auch des Durchschnittswertes des Personendurchflusses von 15 bis 19 Uhr geführt hätte.
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Schließlich wird auch die tatsächlich vorhandene Planung zum sog. „Mitzieheffekt“ durch die Anklage lediglich unvollständig erfasst und bewertet. [Fußnote 161]
Mangels Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen bleibt die angeklagte Verletzung der Sorgfaltspflicht zur Prüfung der planerischen „Durchflusseignung“ des Ein- und Ausgangssystems der betroffenen Versammlungsstätte (bestehend aus den Vereinzelungsanlagen West und Ost, den Tunneln West und Ost, der Rampe Ost sowie der Rampe West) im Hinblick auf einen – ggf. noch (wie auch immer) zu verringernden – Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute einschließlich des in den Anklagevorwurf einbezogenen sog. „Mitzieheffekts“ unaufgeklärt. Eine solche Klärung würde jedenfalls weitere wesentliche Ermittlungen erfordern.
cc. Darstellung der Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg in der Anklageschrift
Die in der Anklageschrift erfolgte Beschreibung des Geschehensablaufs sowie die Annahme der Kausalität bzw. der Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg beruhen wesentlich (jedenfalls) auf zwei durch die Anklage selbst als notwendig und unverzichtbar dargestellten tatsächlichen Umständen, nämlich, dass zum einen die Besucherströme (mindestens im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als Planung der Angeschuldigten J , G , H und I angenommenen Besucherstromzahlen, die nach der Anklage auch der Genehmigungserteilung durch die Angeschuldigten D , F und E zugrunde lagen, eingetroffen sind, sowie dass zum anderen das Unglücksgeschehen ab 16.02 Uhr (bzw. „wahrscheinlich bereits gegen 15.30 Uhr“) nicht mehr zu verhindern war, weshalb in der Anklage (indes rechtsfehlerhaft unter Annahme einer hypothetischen Kausalität und mit Folgen für die Vorhersehbarkeit) auf die notwendige Begründung des konkreten und vollständigen Ursachenverlaufs ab 15.30 Uhr bzw. 16.02 bis zur Entstehung der in der Anklageschrift beschriebenen „Menschenverdichtung“ zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr am Fuß der Stellwerkstreppe verzichtet wird.[Fußnote 162]
[Fußnote 161: Vgl. im Einzelnen oben C. II. 2. a. dd. (3) (f).
Fußnote 162: Vgl. hierzu oben C. II. 3. b..]
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dd. Beweisbarkeit der Sorgfaltspflichtverletzung sowie deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg
Es fehlt bereits an Belegen für wesentliche, die Sorgfaltspflichtverletzung sowie deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg betreffende Behauptungen der Anklageschrift durch das Ermittlungsergebnis (dazu (1)).
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen besteht – die von der Anklage angenommene konkrete Pflicht zur Prüfung der planerischen „Durchflusseignung“ des Ein- und Ausgangssystems der betroffenen Versammlungsstätte (bestehend aus den Vereinzelungsanlagen West und Ost, den Tunneln West und Ost, der Rampe Ost sowie der Rampe West) im Hinblick auf einen Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute einschließlich des in den Anklagevorwurf einbezogenen sog. „Mitzieheffekts“ unterstellt – kein Beweis für die den Angeschuldigten D , F und E in der Anklageschrift vorgeworfene Sorgfaltspflichtverletzung sowie die Kausalität bzw. Realisierung dieser Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg.
Die Anklage stützt den Vorwurf, die Angeschuldigten D , F und E hätten die Genehmigung im Hinblick auf die Führung der prognostizierten Besucherströme fehlerhaft erteilt, das geplante Eingangs- und Ausgangssystem sei nicht geeignet gewesen, die ankommenden und abreisenden Besucher sicher zu führen, auf die Ausführungen von Prof. Dr. T (vgl. die Ausführungen zur Strafbarkeit des Angeschuldigten D , S. 465 ff. der Anklageschrift, Bl. 36829 ff. HA sowie S. 497 der Anklageschrift, Bl. 36861 HA, auf die die Anklage für den Angeschuldigten F (S. 504 der Anklageschrift, Bl. 36868 HA: „Hinsichtlich aller sonstigen objektiven Tatbestandsmerkmale ergeben sich keine Abweichungen zu den vorstehenden Ausführungen zum strafrechtlich relevanten Verhalten des Angeschuldigten D , da für den Angeschuldigten F – als gleichberechtigtem Sachbearbeiter – erkennbar die gleichen Maßstäbe anzulegen sind, die bereits für den Angeschuldigten D festgestellt wurden.“) und den Angeschuldigten E (S. 505 der Anklageschrift, Bl. 36869 HA: „Zunächst wird vollumfänglich auf die rechtlichen Ausführungen zur Strafbarkeit der Angeschuldigten D und F Bezug genommen.“) Bezug nimmt).
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Das Gutachten von Prof. Dr. T kann jedoch – auch unter Einbeziehung der nach der Anklageerhebung erfolgten diversen weiteren Ausführungen von Prof. Dr. T in E-Mails an die Staatsanwaltschaft bzw. in seinen Antworten vom 26.06.2015 auf die ihm mit Beschluss der Kammer vom 17.02.2015 gestellten Fragen – den Beweis für eine Verletzung der von der Anklage angenommenen Sorgfaltspflicht (Prüfung der Einhaltung eines Durchflussmaximalwertes von 82 Personen/Meter/Minute für die Planung der (Durchgangs-)Wege des Ein- und Ausgangssystems einer solchen Versammlungsstätte bei der Genehmigungserteilung) nicht erbringen (dazu (2)).
Aus dem Gutachten von Prof. Dr. T lassen sich auch keine Schlüsse darauf ziehen, dass die – unterstellte – Sorgfaltspflichtverletzung kausal war bzw. sich im konkreten Taterfolg realisiert hat. Denn es enthält schon keine Grundlage für eine geeignete Prüfung der Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg, weil Prof. Dr. T lediglich eine Risikoanalyse vornimmt. Es fehlt auch an einer nachvollziehbaren Befassung mit den tatsächlichen Geschehnissen am Veranstaltungstag, insbesondere damit, ob die von der Anklage als Planungen der Angeschuldigten J , G , H und I angenommenen Besucherzahlen, die nach der Anklage auch der Genehmigungserteilung durch die Angeschuldigten D , F und E zugrunde lagen, tatsächlich am 24.07.2010 (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) eingetroffen sind. Schließlich wird im Gutachten von Prof. Dr. T teilweise widersprüchlich, teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet, ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-) ursächlich war/waren, weshalb auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T nicht beurteilbar ist und damit unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde (dazu (3)). Das Gutachten ist überdies unabhängig davon wegen erheblicher Verstöße von Prof. Dr. T gegen Grundpflichten eines Sachverständigen unverwertbar (dazu (4)).
Es liegen auch nach derzeitigem Ermittlungsstand keine anderen Beweismittel vor, die die von der Anklage angenommene Sorgfaltspflichtverletzung und deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg belegen könnten (dazu (5)). Es kann auch nicht bereits im Wege einer Gesamtschau auf eine Kausalität bzw. Realisierung der – unterstellten – Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg geschlossen
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werden (dazu (6)). Die Kammer ist schließlich im Zwischenverfahren weder gehalten noch berechtigt, weitere Ermittlungen, die einen solchen Beweis erbringen könnten, durchzuführen (dazu (7)).
(1) Beleg der in der Anklage behaupteten Umstände durch das Ermittlungsergebnis
Es fehlt bereits an einem Beleg der – für die Beurteilung des Anklagevorwurfs relevanten – Behauptung, die Rampe West habe erst ab etwa 18 Uhr als Ausgang dienen sollen, durch das Ermittlungsergebnis.[Fußnote 163]
Überdies werden wesentliche in der Anklageschrift zur Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg behauptete Umstände nicht durch das Ermittlungsergebnis belegt. [Fußnote 164]
So ergibt sich der in der Anklage – als Grund für die Unbeachtlichkeit von Maßnahmen Dritter im Rahmen der Kausalität bzw. Realisierung der Pflichtverletzungen im konkreten Taterfolg – benannte „Unumkehrbarkeitszeitpunkt“ 16.02 Uhr (bzw. „wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr“) nicht aus den insoweit von der Anklageschrift als Beweis für diese Behauptung benannten Ausführungen von Prof. Dr. T. Aus seinen Ausführungen folgt des Weiteren auch gerade nicht, „dass die zu diesem Zeitpunkt eingetretene endgültige Überlastung des Zu- und Abgangssystems zu einer Personenverdichtung in dem später tatsächlich eingetretenen Ausmaß führte“. Auch in der – auf S. 401-402 der Anklageschrift, Bl. 36765-36766 HA, benannten – Auswertung sämtlicher Funkprotokolle oder in anderen Beweismitteln – insbesondere in dem Bericht „Objektive Feststellungen auf den Zu- und Abgangsrampen der „Loveparade““ von KHK B (Bl. 23476-23665 HA) – finden sich keine Hinweise darauf, dass ab 16.02 Uhr bzw. 15.30 Uhr das konkrete Unglücksgeschehen nicht mehr zu verhindern war.
Darüber hinaus finden sich Belege für die Behauptung, die Polizeiketten hätten keinen Einfluss auf das Entstehen der „Menschenverdichtung“ gehabt, ebenfalls nicht in
[Fußnote 163: Vgl. hierzu C. II. 2. b. aa..
Fußnote 164: Vgl. dazu im Einzelnen oben C. II. 3. c. aa. (1) bis (3).]
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den Ausführungen von Prof. Dr. T. Auch aus anderen Beweismitteln ergibt sich nicht, dass die Polizeiketten keinerlei Einfluss hatten.
Der überdies in der Anklage behauptete Umstand, die prognostizierten Besucherströme hätten jedenfalls zwischen 15.00 Uhr und 19.00 Uhr unter keinen Umständen sicher auf das Gelände geführt werden können, deckt sich nicht mit dem Ermittlungsergebnis.
(2) Beweis für die Sorgfaltspflichtverletzung durch das Gutachten von Prof. Dr. T
Aus dem Gutachten von Prof. Dr. T lässt sich nicht tragfähig eine Verletzung des nach der Anklageschrift bei der Genehmigungserteilung einzuhaltenden – unabhängig von dessen mangelndem Beleg[Fußnote 166] unterstellten – Sorgfaltspflichtmaßstabes zur Prüfung einer planerischen „Durchflusseignung“ des Ein- und Ausgangssystems der Versammlungsstätte (bestehend aus den Vereinzelungsanlagen West und Ost, den Tunneln West und Ost, der Rampe Ost sowie der Rampe West) im Hinblick auf einen Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute herleiten.[Fußnote 166]
So lassen die Ausführungen von Prof. Dr. T zwar den Rückschluss darauf zu, dass er von einer Verletzung des von ihm zugrunde gelegten Durchflussmaximalwertes von 82 Personen/Meter/Minute bei der Planung der Zugangs- und Ausgangswege der Versammlungsstätte ausgeht. Eine Verletzung der – unterstellten – Sorgfaltspflicht einer Planung (bzw. Prüfung dieser Planung im Rahmen der Genehmigungserteilung) mit einer Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute für die (Durchgangs-)Wege des Ein- und Ausgangssystems einer solchen Versammlungsstätte wird aber weder durch das Gutachten von Prof. Dr. T vom 14.03.2013 noch durch seine nachfolgenden diversen Ausführungen tragfähig belegt.
Denn Prof. Dr. T ermittelt bereits den maximalen Tunneldurchfluss in seinem Gutachten nicht, sondern führt hierzu lediglich aus, auch die (von ihm als systemrelevant eingestuften) Tunnel seien – neben den Vereinzelungsanlagen West und Ost und
[Fußnote 165: Siehe oben C. II. 2. a. dd. (2).
Fußnote 166: Vgl. hierzu im Einzelnen die vergleichbaren Erwägungen bei C. II. 2. b. bb..]
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der Rampe – zu eng dimensioniert und „aufgrund der potentiellen Überfüllung während der Spitzenzeiten des Umstellungszeitraumes im Tunnel-/Rampensystem (Zustrom + Abstrom)“ (vgl. Punkte 5.2.3, 5.2.4 und 5.29.1 des Gutachtens vom 14.03.2013) nicht „für den Zweck geeignet“ gewesen (vgl. Punkte 2.22.9 und 4.1.1 des Gutachtens vom 14.03.2013). Konkrete Berechnungen in Bezug auf die Durchflusskapazität der Tunnel, die den – begründeten – Schluss, auch die Tunnel hätten einen „Dimensionierungsfehler“ aufgewiesen, tragen könnten, führt er hingegen nicht durch.[Fußnote 167] Es wird daher durch die Ausführungen von Prof. Dr. T nicht belegt, dass der Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute in den Tunneln planerisch überschritten wurde.
Daneben berücksichtigt Prof. Dr. T bei den Bewertungen einer Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität von 82 Personen/Meter/Minute (insbesondere auf der Rampe Ost) zum einen nicht die Limitierung der maximal auf das Veranstaltungsgelände gelangenden Besucher durch die Vereinzelungsanlagen, deren Maße er überdies nicht tragfähig ermittelte, und setzt sich nicht mit Fragen im Hinblick auf die Limitierung des Zustroms zu verringernder Abstromzahlen auseinander. [Fußnote 168] Zum anderen berücksichtigt er bei den Durchflussberechnungen zur Rampe Ost nicht den geplanten Abstrom von Besuchern über die Rampe West, denn wenn (nach der Planung) Besucher das Gelände auch über die Rampe West verlassen hätten, hätte dies zu einer geringeren Anzahl der das Gelände über die Rampe Ost verlassenden Besucher und damit zu einer geringeren Gegenläufigkeit der Ströme auf der Rampe Ost geführt und insofern auch Auswirkungen auf die Durchflusskapazität gehabt. [Fußnote 169] Es wird daher durch die Ausführungen von Prof. Dr. T nicht belegt, dass auch unter Berücksichtigung dieser Umstände – zu ermittelnder Tunneldurchfluss, Limitierung der auf das Gelände gelangenden Besucherzahl durch die Vereinzelungsanlagen (wobei zu ermitteln wäre, in welchem Verhältnis deshalb auch die Abstromzahlen zu kürzen wären) und Abstrom auch über die Rampe West – der Durchflussmaximalwert von 82 Personen/Meter/Minute im Ein- und Ausgangssystem überschritten wurde.
[Fußnote 167: Vgl. hierzu C. II. 2. b. cc. (4) (c).
Fußnote 168: Vgl. C. II. 2. b. cc. (3) (c) (dd).
Fußnote 169: Vgl. C. II. 2. b. cc. (3) (d).]
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(3) Beweis für die Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg durch das Gutachten von Prof. Dr. T
Die Kausalität bzw. Realisierung der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg lässt sich mit den Ausführungen von Prof. Dr. T ebenfalls nicht belegen.
Prof. Dr. T nimmt zum einen lediglich eine „Risikoanalyse“ anhand von Planungsunterlagen vor, ohne die tatsächlichen Verhältnisse am Veranstaltungstag zu berücksichtigen.[Fußnote 170]
Aus seinen Ausführungen lassen sich zum anderen bereits keine Schlüsse darauf ziehen, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) – wie von der Anklage angenommen (S. 18 der Anklageschrift, Bl. 36382 HA) – tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den – nach der Anklage der Genehmigung durch die Angeschuldigten D , F und E zugrunde gelegten – Planungen der Angeschuldigten J , G , H und I eingetroffen sind.
Prof. Dr. T war vielmehr – unabhängig von der seiner Begutachtung unter Verstoß gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse zugrunde gelegten Annahme, die von ihm für „manipuliert“ gehaltenen Planzahlen stimmten mit den tatsächlichen Besucherzahlen überein – eine Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen weder konkret noch annäherungsweise mittels einer Schätzung möglich, so dass er einerseits seine Annahme des Eintreffens der Besucherplanzahlen nicht belegen kann. Andererseits folgt daraus, dass seine Angabe, die Planzahlen „scheinen“ eingetroffen zu sein, nicht auf konkret oder annäherungsweise ermittelten Zahlen beruht, und seine – ohnehin nicht nachvollziehbare – Begründung dafür, weshalb die Planzahlen eingetroffen zu sein „scheinen“ (Polizeikontrollen an den Zugangswegen, signifikanter Stau am Eingangssystem, schnelles Anwachsen der Menschenmenge/Gedränge an den Abstrompunkten, vgl. Punkt 5.7.3 des Gutachtens vom 14.03.2013), auch ihm keine konkrete Zählung oder auch nur Schätzung der am Veranstaltungstag auf dem Veranstaltungsgelände eingetroffenen
[Fußnote 170: Vgl. dazu C. II. 2. b. cc. (4) (a) und (b).]
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Besucherzahlen ermöglicht, denn hierauf beruft er sich in Beantwortung der Aufforderung, die tatsächlichen Besucherzahlen am Veranstaltungstag zu zählen bzw. zu schätzen, gerade nicht. Unabhängig davon würden die von ihm gewählten Parameter auch keinen Schluss auf die Anzahl der auf das Veranstaltungsgelände gelangenden Besucher zulassen, weil sie lediglich Bereiche außerhalb des Veranstaltungsgeländes betreffen.
Konkrete Besucherzahlen kann Prof. Dr. T nicht ermitteln.[Fußnote 171] Er führt insoweit aus:
„Mit den zur Verfügung gestellten Bildern war es aufgrund der Bildauflösung nicht möglich, eine genaue Zählung vorzunehmen.“ (Bl. 44792 HA).
Andere Zählmethoden (Zählen mit einem Clicker, Videoverarbeitung) – so seine weiteren Ausführungen – seien nur während der Veranstaltung möglich (vgl. Bl. 44755 HA); solche seien nicht vorgenommen worden.
Auch die Zahlen, die Prof. Dr. T in seinem Vortrag “Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ nennt („Wir haben also ein volles Gelände, vielleicht 200.000 Personen auf diesem Gelände. Wir wissen, dass wir an den Toren, weil wir das auf unseren Kameras sehen können, 100.000 Personen haben, 50.000 an beiden Tunneleingängen, die die Zugangspunkte völlig verstopfen, und dass man die Menge in keiner Weise da herausbekommen kann.“ (Bl. 42339 HA)), sind keine tatsächlich ermittelten oder geschätzten Besucherzahlen am Veranstaltungstag. Prof. Dr. T gibt insoweit an, er habe diese Zahlen „nur zur Veranschaulichung des Problems, eine Menschenmenge vom Eingangssystem weg zu führen, genannt“ (Bl. 44774-44775 HA).
Auch eine nur ansatzweise Schätzung der Besucherzahlen ist Prof. Dr. T – entgegen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14.09.2015, wonach für eine mangels Unmöglichkeit einer konkreten Berechnung allein mögliche Schätzung der Besucherzahlen „mit dem Sachverständigen
[Fußnote 171: Vgl. hierzu oben C. II. 2. b. cc. (3) (c) (cc).]
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Prof. Dr. T der weltweit führende und besonders erfahrene Spezialist im Bereich des „Crowd Management“ zur Verfügung“ stehe (Bl. 45222 HA) – nicht möglich.
Prof. Dr. T wurde mit Beschluss der Kammer vom 17.02.2015 ersucht, für den Fall, dass sich eine zahlenmäßig genaue Festlegung in Bezug auf die erbetenen Besucherzahlen nicht erreichen lasse, jeweils eine Größenordnung im Sinne einer annäherungsweisen Ermittlung anzugeben, mithin eine Schätzung vorzunehmen. Konkrete Zahlen konnte er nicht angeben und auch die im Falle der Unmöglichkeit konkreter Zahlenangaben erbetene Schätzung hat Prof. Dr. T nicht vorgenommen. Vielmehr führt er in seinen Antworten vom 26.06.2015 aus, er habe nur anhand der vor der Veranstaltung verfügbaren Informationen Hinweise auf ein Störungspotential abschätzen können (Bl. 44755 HA). Dies erlaubt jedoch nicht die Ermittlung der tatsächlichen Besucherzahlen, weil bei einer solchen Vorgehensweise entsprechend einer abweichenden Zielrichtung die tatsächlichen Verhältnisse keine Berücksichtigung finden.
Ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter (unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, Polizeiketten, Beiseiteziehen von Heraszaunelementen an der Vereinzelungsanlage West, Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich, abgedeckter Gullydeckel am Rampenfuß, unterbliebene Blockierung des oberen Bereichs der Rampe durch Polizeifahrzeuge) für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-) ursächlich war/waren, wird schließlich im Gutachten von Prof. Dr. T teilweise widersprüchlich, teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet, weshalb auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T nicht beurteilbar ist und damit unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde.[Fußnote 172]
(4) Verwertbarkeit des Gutachtens von Prof. Dr. T
Das Gutachten von Prof. Dr. T ist – unabhängig davon, dass dadurch weder die Sorgfaltspflichtverletzung noch deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Tat-
[Fußnote 172: Vgl. hierzu C. II. 2. b. cc. (3) (e).]
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erfolg belegt werden – wegen erheblicher Verstöße gegen Grundpflichten eines Sachverständigen unverwertbar.[Fußnote 173]
So verletzte Prof. Dr. T seine Pflicht zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität:
In seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ gibt er an, bei der Planung der Loveparade seien Daten (Planzahlen zu Besucherströmen) „manipuliert“ worden und „einfache Mathematik“ oder gar „einfachste Mathematik“ bzw. „Mathematik für Anfänger“, die sein Sohn im Alter von vier Jahren bereits beherrscht habe, nicht angewendet worden. Damit korrespondierend führt er in seinem im Jahr 2014 veröffentlichten Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ an verschiedenen Stellen aus, einfache mathematische Rechenwege seien von den „Teams, die die Veranstaltung geplant und genehmigt haben“, nicht beachtet worden. Überdies legt er sich in seinem Vortrag „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ auf konkrete Besucherzahlen fest, obwohl er solche konkreten Zahlen tatsächlich nicht nennen kann. Dies macht er indes nicht kenntlich und teilt nur auf Nachfrage mit, dass er die genannten Zahlen nur als „zur Veranschaulichung des Problems“ verstanden wissen will. Darüber hinaus schildert Prof. Dr. T in diesem Vortrag auf der Basis dieser tatsächlich nicht ermittelten, sondern lediglich „gegriffenen“ Zahlen ein – in dieser Form tatsächlich nicht ermitteltes – „Überfüllungsszenario“. Diese Umstände lassen für einen vernünftigen Angeschuldigten den Schluss auf eine Beeinträchtigung der Neutralität von Prof. Dr. T ihm gegenüber zu.
Daneben legt Prof. Dr. T sich in seinen Vorträgen „Keynote lecture MMU – 29th Nov 2013“ und „Crowd Safety – Major City Events (Space, Time, Direction, Flow), Emergency Planning Society – Webinar 1st July 2013” sowie in seinem Fachbuch „Introduction to Crowd Science“ für eine breite Öffentlichkeit zugänglich konkret und fallbezogen bereits darauf fest, dass „Planungsfehler, Genehmigungsfehler und betriebliche Fehler“ gemacht wurden und ein „Durchsatzproblem“ im Sinne eines „Designfehlers“ bzw. die „Diskrepanz zwischen dem Fassungsvermögen (Fläche) eines Raums und der Anzahl von Menschen (…), die versuchen in diesen Raum zu gelan-
[Fußnote 173: Vgl. hierzu im Einzelnen oben C. II. 2. b. cc..]
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gen“, zu dem Geschehen bei der Loveparade führte. Dies begründet die zusätzliche Besorgnis, Prof. Dr. T könne von dieser Einschätzung auch im Falle weiterer, sich in einer etwaigen Hauptverhandlung ergebender anderer Erkenntnisse aufgrund seiner schon öffentlich gemachten Äußerungen nicht abrücken. Denn ein solches Abrücken von seiner bereits öffentlich kundgemachten Position könnte für ihn mit einem – jedenfalls zu besorgenden – Ansehensverlust einhergehen und daher seiner Neigung, auch anderen Erkenntnissen offen gegenüberzustehen, abträglich sein. So leitet er gerade aus seinem Einsatz als Sachverständiger anlässlich der Loveparade in Duisburg in seinem Fachbuch eine besondere Reputation her („WARUM SIE UNS ZUHÖREN SOLLTEN?“).
Schließlich wecken die Gesamtumstände der Gutachtenerstellung weitere Zweifel an der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität von Prof. Dr. T. Denn er ging davon aus, nicht eigenverantwortlich als unabhängiger Sachverständiger, sondern als Angestellter der Buckinghamshire New University bzw. des Sicherheitsunternehmens G4S das Gutachten zu erstellen. Deshalb ließ er die Herangehensweise für sein Gutachten durch die Universität bzw. G4S (fremd-)bestimmen, räumte Repräsentanten der Universität bzw. der Haftpflichtversicherung seines Arbeitgebers Änderungsbefugnisse ein, die diese auch wahrnahmen, „um sicherzustellen, dass weder der Ruf der Universität noch der von G4S leidet“, und legte ihnen das Gutachten zur „QA“ (Qualitätssicherung) sowie Gutachteninhalte „zur abschließenden Genehmigung“ vor, womit er ihnen die Letztverantwortlichkeit (auch) für den Inhalt des Gutachtens übertrug. Hinzu kommt, dass Prof. Dr. T bei der Gutachtenerstellung Hilfskräfte, deren Aufgabenerfüllung er mangels eigener deutscher Sprachkenntnisse nicht überprüfen konnte, mit der Auswahl der der Begutachtung zugrunde gelegten Dokumente betraute. Schließlich verstieß er gegen seine Verschwiegenheitspflicht. Zusammen mit seinen unsachlichen Äußerungen sowie der öffentlichen Festlegung auf bestimmte Ursachen für die Ereignisse bei der Loveparade 2010, die jeweils schon für sich allein diese Besorgnis begründen, rechtfertigen diese Gesamtumstände der Gutachtenerstellung die Besorgnis der Befangenheit.
Dadurch, dass er die Auswahl der seinem Gutachten zugrunde gelegten Dokumente und damit eine wesentliche Aufgabe, zu der er selbst als beauftragter Sachverständiger berufen gewesen wäre, durch Dritte ausführen ließ, ohne deren Tätigkeit über-
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prüfen zu können, verletzte Prof. Dr. T – was bereits im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände der Gutachtenerstellung die Besorgnis seiner Befangenheit mitbegründete – die Pflichten zur persönlichen Gutachtenerstattung und zur verantwortlichen Überwachung der eingesetzten Hilfskräfte.
Prof. Dr. T verletzte zudem die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse:
Er beschränkte die Anknüpfungstatsachen seines Gutachtens auch innerhalb seines Fachgebiets von Anfang an, indem er seine Mitarbeiterinnen F und S , denen er die Auswahl der seinem Gutachten zugrunde gelegten Dokumente übertrug, anwies, ihm lediglich Dokumente zur Frage „War das Gelände sicher?“ herauszusuchen, obwohl er nach dem ihm von der Staatsanwaltschaft gestellten Gutachten-auftrag gehalten war, innerhalb seines Fachgebiets sämtliche in Betracht kommenden Ursachen zu begutachten, und nicht nur solche, die die Sicherheit des Geländes betrafen.
Prof. Dr. T legte seinem Gutachten sodann die Planzahlen aus dem „Bewegungsmodell E -V 2 0.xls“ zugrunde, ohne seine Annahme, diese Zahlen hätten bei der Planung tatsächlich Verwendung gefunden, begründen zu können. Darüber hinaus basiert seine Begutachtung auf der Annahme, die – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen stimmten mit den tatsächlichen Besucherzahlen überein, obwohl er diese Annahme nicht nachvollziehbar belegen kann. Damit setzt er die von ihm für „manipuliert“ gehaltenen Planzahlen und die realen Umstände – nicht nachvollziehbar und damit gegen die Pflichten zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung und zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse verstoßend – gleich. Prof. Dr. T konnte sowohl keine konkreten Angaben zu den tatsächlichen Besucherzahlen machen, als auch diese nicht annäherungsweise mittels einer Schätzung ermitteln, was gegebenenfalls seine Annahme eines Eintreffens der erwarteten Planzahlen hätte bestätigen können. Vielmehr konnten selbst unter Annahme der in seinem Gutachten errechneten maximalen Anzahl der das Veranstaltungsgelände bei jederzeitiger Maximalauslastung der Vereinzelungsanlagen – wobei er selbst nicht von deren planerisch absehbarem
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Versagen ausgeht – pro Stunde betretenden Besucher die von ihm zugrunde gelegten Planzahlen auf dem Gelände jedenfalls zwischen 12 bzw. 13 und 19 Uhr nicht erreicht werden. Prof. Dr. T setzt sich zudem nicht damit auseinander, in welchem Verhältnis aufgrund des von ihm selbst als limitiert angesehenen Zustroms auch die Abstromwerte zu verringern wären. Innerhalb seiner verschiedenen Ausführungen geht er nicht nachvollziehbar von unterschiedlichen (geplanten) Bemaßungen der „Eingangssysteme“ aus und kommt dadurch zu verschiedenen Werten im Hinblick auf die maximale Anzahl von Besuchern, die das Veranstaltungsgelände pro Stunde betreten konnten. Darüber hinaus ergeben sich aus dem Gutachten Hinweise darauf, dass die Planzahlen tatsächlich nicht erreicht wurden. Prof. Dr. T berücksichtigte ferner den geplanten Abgang von Zuschauern über die Rampe West in seinen Berechnungen mit nicht nachvollziehbarer Begründung nicht.
Dadurch, dass seine Einschätzungen zur Frage, inwieweit eine gegebenenfalls fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter zur „Menschenverdichtung“ führte(n), in sich widersprüchlich und nicht verständlich bleiben, verletzte Prof. Dr. T seine Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse.
Ferner verletzte er seine Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung gefundener Ergebnisse, indem seine Ausführungen zu der Anzahl der sich hinter den Polizeiketten stauenden Besucher nicht nachvollziehbar sind.
Indem Prof. Dr. T sein Gutachten „speziell“ auf die im „Anhang B – Amtlich übersetzte Dokumente“ angeführten Dokumente stützte, obwohl es weitere, von ihm unberücksichtigt gelassene Dokumente gibt, die für die ihm aufgegebene Begutachtung relevant sein könnten, verletzte er ebenfalls die Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der fachlichen Beurteilung.
Prof. Dr. T verletzte des Weiteren seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen:
Er befasste sich in seinem Gutachten nur unzureichend und damit nicht wie von der Staatsanwaltschaft erfragt mit der konkreten Durchführung der Loveparade, wozu
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auch die konkreten Abläufe am Veranstaltungstag gehören, sondern nahm lediglich eine Risikoanalyse im Sinne einer ex ante-Betrachtung im Hinblick auf die Planung vor der Veranstaltung vor. Seine Risikoanalyse beruht überdies nur auf den – von ihm für „manipuliert“ gehaltenen – Planzahlen. Schon aus diesem Grund ist sie nicht geeignet, auch nur ihre Funktion als Risikoanalyse zu erfüllen. Denn eine – wie von Prof. Dr. T unter Verwendung weniger grundlegender Plandokumente und insbesondere der erwarteten Besucherzahlen durchgeführte – Risikoanalyse, deren Ziel es ist, planerische Grundprobleme hinsichtlich der Geländekapazität des Einlassbereichs zu prüfen, kann nur dann ein etwa bestehendes Risiko abbilden, wenn die tatsächlich zu erwartenden Besucherzahlen verwendet werden.
Darüber hinaus verletzte Prof. Dr. T seine Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen, indem er den Tunneldurchfluss trotz Behauptung der zu engen Dimensionierung und der fehlenden Zweckeignung der Tunnel nicht berechnete.
Überdies führte er seine Begutachtung ohne ausreichende (Grund-)Kenntnisse des deutschen Rechts, insbesondere unter Verwendung eines unzutreffenden Kausalitätsbegriffs, durch und erstellte das Gutachten aus Sicht eines „britischen Gutachters zur Beratung bei fremdsprachigen Fällen“, hier ohne Beachtung der nationalen (deutschen) technischen Normen, was ebenfalls einen Verstoß gegen die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit und zur Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Sachverständigen darstellt.
(5) Weitere Beweismittel
Das Gutachten von Prof. Dr. T erbringt keinen Beweis für den Vorwurf der (wegen fehlender Prüfung der Planung auf die Einhaltung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute) sorgfaltswidrigen Genehmigungserteilung sowie der Kausalität bzw. Realisierung dieser vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg, so wie er in der Anklage erhoben wurde. Nach derzeitigem Ermittlungsstand gibt es auch keine weiteren Beweismittel für die angenommene Sorgfaltspflichtverletzung (dazu (a)) sowie für die Kausalität bzw. Realisierung dieser Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg (dazu (b)).
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(a) Weitere Beweismittel für die Sorgfaltspflichtverletzung
Das Gutachten „Loveparade 24. Juli 2010 Duisburg, Sachverständigengutachten 31. Oktober 2010“ (Sonderbände, Papierakte, I , Sachverständigengutachten I ) von B (I ) kann einen Beweis für die Sorgfaltspflichtverletzung nicht erbringen. Zum einen beruht das Gutachten lediglich auf den bis zum 31.10.2010 vorliegenden Ermittlungsergebnissen, soweit Frau B hiervon Kenntnis hatte, zum anderen ist es inhaltlich nicht geeignet, einen solchen Beweis zu erbringen. Denn es verhält sich nicht dazu, ob die zu Genehmigungszwecken vorgelegte Planung – wie zum Anklagevorwurf gemacht – im Hinblick auf die Durchgangsbreiten der östlichen Zu- und Abgangsrampe und des Tunnels unter keinen Umständen geeignet war, die erwarteten Besucherströme zwischen 15 und 19 Uhr sicher auf das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zu führen. Insbesondere wird im Gutachten weder eine Durchflusskapazität des Ein- und Ausgangssystems bestimmt, noch der Zeitraum von 15 bis 19 Uhr auf etwaige Überschreitungen dieser Durchflusskapazität bewertet. Es werden auch keine Ausführungen zur Dimensionierung und Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen im Hinblick auf deren Positionierung und Durchlassbreiten gemacht. Gleiches gilt für die weiteren Ausführungen von Frau B vom 31.10.2015 (Bl. 45777 bis 45784 HA).[Fußnote 174]
Auch die wissenschaftliche Ausarbeitung von Prof. Dr. H und P M (Sonderbände, Papierakte, Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H , Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H .pdf, elektronische Seitenzahl 66-113) kann einen solchen Beweis nicht erbringen. Diese Ausarbeitung wurde einerseits ohne Auswertung des Akteninhalts, lediglich auf der Basis öffentlich zugänglicher Dokumente erstellt und belegt andererseits nicht den (auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T) konkret erhobenen Anklagevorwurf, sondern stellt ihn vielmehr in Frage. Denn die Autoren gelangen zwar unter Verwendung eines von dem Wert im Gutachten von Prof. Dr. T (82 Personen/Meter/Minute) abweichenden Durchflussmaximalwertes unter Bezugnahme auf „das Strömungsmodell des Veranstalters“ zu der – allerdings mindestens überwiegend nicht den von der Anklage in Bezug genommenen Zeitraum von 15 bis 19 Uhr betreffenden – Feststellung, dass der planerische Gesamtzu- und -abfluss von Besuchern im Zeitraum zwischen 17
[Fußnote 174: Vgl. im Einzelnen hierzu C. II. 2. b. dd. (1).]
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und 18 Uhr von der „breiten Rampe“ (gemeint: Rampe Ost) nicht ohne Einsatz geeigneter „Massenkontrolle“ hätte bewältigt werden können. Dass tatsächlich – unter Berücksichtigung der vorgesehenen Personensteuerungselemente sowie der Funktion der Rampe West als weiterer Abgang – im Hinblick auf die Durchflusskapazität der Rampe Ost pflichtwidrig geplant wurde, stellen sie jedoch gerade nicht fest. Auch belegt die Ausarbeitung nicht den Anklagevorwurf, dass die Vereinzelungsanlagen im Hinblick auf ihre Positionierung und Durchlassbreiten nicht geeignet waren, einen sicheren Durchfluss des erwarteten Besucherstroms zu gewährleisten.[Fußnote 175]
Auch die Angaben von Prof. Dr. T vermögen keinen Beweis für die angeklagte Sorgfaltspflichtverletzung zu erbringen. Vielmehr lässt sich seinen Ausführungen entnehmen, dass er davon ausging, dass das „Konzept funktionieren“ könne, wenn die Anzahl der Menschen im Tunnel überwacht würde und es – für den Fall, dass zu viele Menschen in Richtung Tunnel drängten – ein Steuerungskonzept gebe. [Fußnote 176]
Dem Akteninhalt lassen sich schließlich keine Ausführungen des von der Anklage bereits nicht als Beweismittel benannten Dr. D O entnehmen, die einen Beweis für die von der Anklage angenommene Sorgfaltspflichtverletzung erbringen könnten. [Fußnote 177]
(b) Weitere Beweismittel für die Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg
Es gibt neben dem einen Beweis für die Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzung im Erfolg nicht erbringenden sowie unverwertbaren Gutachten von Prof. Dr. T nach derzeitigem Ermittlungsstand keine weiteren Beweismittel, die einen solchen Beweis erbringen könnten.
(aa) Weitere Beweismittel für das Eintreffen der Besucherplanzahlen
Neben dem einen Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen nicht erbringenden sowie unverwertbaren Gutachten von Prof. Dr. T gibt es nach derzeitigem
[Fußnote 175: Vgl. im Einzelnen hierzu C. II. 2. b. dd. (2).
Fußnote 176: Vgl. im Einzelnen oben C. II. 2. b. dd. (3).
Fußnote 177: Vgl. im Einzelnen oben C. II. 2. b. dd. (4).]
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Ermittlungsstand keine weiteren Beweismittel, die einen solchen Beweis erbringen könnten.
Das Gutachten „Loveparade 24. Juli 2010 Duisburg, Sachverständigengutachten 31. Oktober 2010“ (Sonderbände, Papierakte, I , Sachverständigengutachten I ) von V B (I ) kann einen Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen nicht erbringen. Denn es beruht lediglich auf den bis zum 31.10.2010 vorliegenden Ermittlungsergebnissen, soweit Frau B hiervon Kenntnis hatte, und enthält auch inhaltlich bereits keine Ausführungen zu den tatsächlichen Besucherzahlen. Gleiches gilt für die weiteren Ausführungen von Frau B vom 31.10.2015 (Bl. 45777 bis 45784 HA). [Fußnote 178]
Auch die wissenschaftliche Ausarbeitung von Prof. Dr. H und P M (Sonderbände, Papierakte, Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H , Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H .pdf, elektronische Seitenzahl 66-113) kann einen solchen Beweis nicht erbringen. Zum einen wurde diese Ausarbeitung ohne Auswertung des Akteninhalts, lediglich auf der Basis öffentlich zugänglicher Dokumente erstellt, zum anderen ist sie inhaltlich nicht geeignet, einen solchen Beweis zu erbringen. Denn sie enthält bereits nur einzelne Stellen (Perspektive der Kamera 13) und Uhrzeiten (zwischen 13.27 und 15.40 Uhr) berücksichtigende Ausführungen zu den tatsächlichen Besucherzahlen, die ferner – da erheblich niedriger als die von der Anklage als der Genehmigung zugrunde liegend angenommenen Planzahlen – deren Eintreffen nicht belegen. [Fußnote 179]
Die Angaben von Dr. D O können ebenfalls einen solchen Beweis nicht erbringen. Zum einen wurde die von Dr. O vorgenommene Analyse ohne Auswertung des Akteninhalts, lediglich auf der Basis der eigenen Beobachtungen am Veranstaltungstag aus dem Hoist-Haus bzw. auf Basis der von ihm von dort gefertigten und später ausgewerteten Aufnahmen erstellt, zum anderen ist sie inhaltlich nicht geeignet, einen solchen Beweis zu erbringen, denn sie enthält nur Ausführungen zu den Besucherzahlen an ausgewählten Stellen und zu ausgewählten Zeitpunkten, nicht jedoch umfassende konkrete Zahlenangaben bzw. valide
[Fußnote 178: Vgl. im Einzelnen hierzu C. II. 3. c. dd. (1).
Fußnote 179: Vgl. im Einzelnen hierzu C. II. 3. c. dd. (2).]
441
Schätzungen. Da die von Dr. O angegebenen Zahlen zudem die von der Anklageschrift als der Genehmigung zugrunde liegend angenommenen Planzahlen deutlich unterschreiten, können sie deren Eintreffen bereits nicht beweisen.[Fußnote 180]
Auch aus den Angaben von Prof. Dr. T folgt kein Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen. Denn Prof. Dr. T äußert sich nur allgemein zu Fragen der Verkehrsführung bzw. der Frage, ob bestimmte Bereiche in der Lage waren, die Besucherströme zu bewältigen. Konkrete Ausführungen zu den tatsächlichen Umständen finden sich in seinen Ausführungen hingegen an keiner Stelle. Auch die im Schriftsatz seines Bevollmächtigten, Rechtsanwalt H , vom 08.11.2010 enthaltene „Stellungnahme aus wissenschaftlicher Sicht“ (Bl. 11549-11551 HA) enthält bereits keine Angaben dazu, wie viele Besucher sich am Veranstaltungstag in welchem Bereich aufhielten. [Fußnote 181]
Auch weitere Personenzählungen, die am Veranstaltungstag durchgeführt wurden, bieten keinen Beweis dafür, dass die Besucherströme (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) tatsächlich am 24.07.2010 entsprechend den von der Anklage als der Genehmigung zugrunde liegend angenommenen Planzahlen eingetroffen sind, und damit nicht für die Kausalität bzw. Realisierung der angeklagten Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg:
Aus den verschiedenen Beweismitteln zur Erhebung der Auslastung der Sektoren ergeben sich – die Frage verlässlicher Erhebung der Zahlen außer Acht gelassen – keine belastbaren bzw. aussagekräftigen Zahlen über den tatsächlichen Besucherzu- und -abfluss am Veranstaltungstag, sondern lediglich zur – bei den einzelnen Zählungen für denselben Zeitraum und Sektor mehrheitlich überdies stark voneinander abweichenden – prozentualen Auslastung einzelner Sektoren. Überdies ergibt sich hieraus nur eine in zeitlicher und örtlicher Hinsicht punktuelle Dichte- und gerade keine Durchflussbestimmung. [Fußnote 182]
[Fußnote 180: Vgl. zu den Einzelheiten C. II. 3. c. dd. (3).
Fußnote 181: Vgl. im Einzelnen oben C. II. 3. c. dd. (4).
Fußnote 182: Vgl. im Einzelnen hierzu C. II. 3. c. dd. (5) (a).]
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Auch aus der von KHK B in seinem Bericht „Objektive Feststellungen auf den Zu- und Abgangsrampen der „Loveparade““ vom 05.07.2011 (Bl. 23476-23665 HA) vorgenommenen Auswertung des Video- und Fotomaterials zur Auslastung der Rampe Ost ergeben sich keine Zahlen über den tatsächlichen Besucherzu- und -ab-fluss am Veranstaltungstag auf der Rampe Ost, sondern lediglich zu dem Befüllungsgrad der Rampe Ost. Überdies ergibt sich hieraus nur eine (zudem pauschale) Dichte- und gerade keine Durchflussbestimmung.[Fußnote 183]
Die von einzelnen Polizeibeamten gemeldeten (punktuell erhobenen und daher nicht hochrechenbaren, zudem lediglich den Zustrom betreffenden) Durchflusszahlen an den Vereinzelungsanlagen – die Frage verlässlicher Erhebung der Zahlen außer Acht gelassen – liegen deutlich unter den der Anklageschrift als tatsächlich eingetroffen zugrunde gelegten Prognosen. [Fußnote 184]
Auch die ermittelten Werte der von Prof. Dr. H und P M zitierten „Stichprobenzählung mittels Kamera 13“ auf der Seite http://m....., die sich lediglich auf die Besucherzu- und -abgangszahlen auf der Rampe Ost (Bildmaterial der Kamera Nr. 13) zwischen 13.27 Uhr und 15.40 Uhr beschränkt und auf der Basis einzelner Zählungen für kürzere Zeiträume von maximal 20 Minuten Hochrechnungen vornimmt, weichen von den der Anklageschrift als tatsächlich auf dem Gelände eingetroffen zugrunde gelegten Prognosezahlen massiv (nach unten) ab. [Fußnote 185]
Weitere, von einzelnen Polizeibeamten vorgenommene Zählungen/Schätzungen, insbesondere zu der Anzahl der vor den Vereinzelungsanlagen wartenden Besucher – die Frage verlässlicher Erhebung der Zahlen außer Acht gelassen –, geben nur das Besucheraufkommen an einzelnen Stellen und zu einzelnen Zeitpunkten wieder, ohne jedoch ein konkretes Gesamtbild zu ermöglichen und insbesondere ohne die – der Anklage zugrunde liegende (vgl. S. 110 der Anklageschrift, Bl. 36474 HA) – An-
[Fußnote 183: Vgl. im Einzelnen hierzu oben C. II. 3. c. dd. (5) (b).
Fußnote 184: Vgl. im Einzelnen oben C. II. 3. c. dd. (5) (c).
Fußnote 185: Vgl. im Einzelnen C. II. 3. c. dd. (5) (d).]
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nahme des Eintreffens der prognostizierten Besucherströme auch nur im Ansatz zu belegen. [Fußnote 186]
Darüber hinaus ergeben sich auch aus dem Bericht „Ermittlungen im Zusammenhang mit der Loveparade 2010, Erhebung der Zuschaueranzahl im Bereich der östlichen Rampe“ des Landeskriminalamts NRW vom 18.01.2011 (Sonderbände, Vermessungen Unglücksort Loveparade 2010, Vermessungen Unglücksort Loveparade 2010.pdf, elektronische Seitenzahl 64-73) keine aussagekräftigen Zahlen über den tatsächlichen Besucherzu- und -abfluss am Veranstaltungstag. Denn es wurde nur eine Auswertung der am Fuß der Rampe zu einer bestimmten Uhrzeit (die verwendeten Bilder tragen den Zeitstempel 16.45.43 und 16.45.50 Uhr) befindlichen Personen vorgenommen. Insofern ergeben sich hieraus keine aussagekräftigen Zahlen über den tatsächlichen Besucherzu- und -abfluss am Veranstaltungstag, sondern lediglich zur Auslastung am Fuß der Rampe zum untersuchten Zeitpunkt (um 16.45 Uhr innerhalb des Unglückszeitraums), was überdies nur zu einer in zeitlicher und örtlicher Hinsicht punktuellen Dichte- und gerade nicht zu einer Durchflussbestimmung führt. [Fußnote 187]
Aus den in der Akte befindlichen Videoaufzeichnungen und Bildmaterialien ergibt sich schließlich nach derzeitigem Ermittlungsstand kein Beweis für das Eintreffen der Besucherplanzahlen. [Fußnote 188] Anhand der Video- und Bilddateien wurde keine Zählung der am Veranstaltungstag anwesenden Besucher (weder im Hinblick auf die Gesamtzahl der auf dem Veranstaltungsgelände anwesenden Besucher noch auf die zu bestimmten Zeiten das Ein- und Ausgangssystem passierenden Besucher) durchgeführt; Prof. Dr. T hat hierzu ausgeführt, eine Zählung anhand dieser Materialien sei nicht möglich. [Fußnote 189] Soweit Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 3.4.1 ausführt: „Anhand des Video-(Überwachungs-)Bildes (unten) können wir deutlich erkennen, dass die Rampenverengung, - wie im Eingangsmodell (First-Pass-Modell) angenommen - fast in vollem Umfang genutzt wurde.“ (Bl. 40730 HA), und dazu einen (einzigen) Screenshot einer Aufnahme der Rampe Ost mit dem Zeitstem-
[Fußnote 186: Vgl. oben C. II. 3. c. dd. (5) (e).
Fußnote 187: Vgl. oben C. II. 3. c. dd. (5) (f).
Fußnote 188: Vgl. hierzu oben C. II. 3. c. dd. (6).
Fußnote 189: Siehe oben C. II. 3. c. bb. (1).]
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pel 15.50.13 Uhr abbildet, ermöglicht dies keinen Rückschluss auf konkrete Zahlenangaben. Auch soweit er in seinem Gutachten vom 14.03.2013 unter Punkt 3.5.9 den identischen Screenshots erneut abbildet und unter Punkt 3.5.10 ausführt: „An dieser Stelle der Veranstaltung gibt es sowohl an den östlichen als auch an den westlichen Eingangssystemen große Menschenmengen. Die Rampe ist oben voll, und die Beschränkung (10,59 m) erreicht die volle Kapazität.“, setzt er sich damit zum einen in Widerspruch zu seinen Ausführungen unter Punkt 3.4.1, zum anderen folgen auch hieraus keine konkreten Zahlenangaben.
Auch aus einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung dieser weiteren Beweismittel ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein Eintreffen der Besucherplanzahlen: Entweder ergeben sich aus den Beweismitteln schon gar keine (ein Gesamtbild ermöglichenden) Zahlen zum tatsächlichen Besucherzu- und -abfluss im Ein- und Ausgangssystem, insbesondere auf der Rampe Ost, oder diese sind – aufgrund der dargestellten Bedenken gegen die Art ihrer Erhebung bzw. die Qualifikation des Erhebenden oder aufgrund der Widersprüchlichkeit der gefundenen Ergebnisse zu anderen, für den selben Bereich zur selben Zeit erhobenen Zahlen – nicht belastbar bzw. aussagekräftig. Im Übrigen könnten die Zahlen, soweit sie überhaupt einen Besucherdurchfluss abbilden, – da erheblich niedriger als die der Anklage zugrunde gelegten Planzahlen – einen solchen Beweis nicht erbringen.
(bb) Weitere Beweismittel für die (Nicht-)Ursächlichkeit der fehlerhaften Ausführung der Planung und/oder des Eingreifens Dritter
Ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war/waren, ergibt sich nach derzeitigem Ermittlungsstand (wie dargestellt) weder aus dem insoweit nicht nachvollziehbaren sowie insgesamt unverwertbaren Gutachten von Prof. Dr. T noch aus anderen geeigneten Beweismitteln, weshalb unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr im Sinne des erhobenen Anklagevorwurfs (unzureichende Durchflusskapazität) vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde.
Vielmehr bedürfte es der (sachverständigen) Auseinandersetzung einerseits mit der Durchflusseignung des Ein- und Ausgangssystems sowie andererseits mit den tat-
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sächlichen Abläufen am Veranstaltungstag, insbesondere im Hinblick auf eine gegebenenfalls fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter. An solchen Beweismitteln fehlt es. Weder das Gutachten „Loveparade 24. Juli 2010 Duisburg, Sachverständigengutachten 31. Oktober 2010“ (Sonderbände, Papierakte, I , Sachverständigengutachten I ) von V B (I ) noch die wissenschaftliche Ausarbeitung von Prof. Dr. H und P M (Sonderbände, Papierakte, Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H , Wissenschaftliche Ausarbeitung Prof. Dr. H .pdf, elektronische Seitenzahl 66-113) enthalten entsprechende Ausführungen. Auch aus anderen Beweismitteln ergibt sich hierzu nichts.
(6) Gesamtschau der Abläufe am 24.07.2010
Es kann auch nicht bereits im Wege einer Gesamtschau auf eine Kausalität bzw. Realisierung der von der Anklage angenommenen Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg geschlossen werden. Es lässt sich nämlich auch im Wege einer solchen Gesamtschau der sich aus den Ermittlungsergebnissen ergebenden tatsächlichen Abläufe am 24.07.2010 – entgegen den entsprechenden Annahmen in der Anklage – nicht darauf schließen, dass eine planerische wie tatsächliche Fehldimensionierung des Ein- und Ausgangssystems dazu beitrug, dass es „angesichts der erwarteten Besucherzahlen zwangsläufig zu lebensgefährlichen Menschenverdichtungen“ im Zeitraum zwischen 15 und 19 Uhr kam, da den „prognostizierten Besucherströmen“ insoweit kein ausreichender Raum zur Verfügung stand, um sich sicher zu bewegen, und dass, da das Besucheraufkommen am Veranstaltungstag der Besucherprognose „weitestgehend“ entsprochen habe, der nach der Anklage als maximale Durchflusskapazität „wissenschaftlich anerkannte Wert“ von 82 Personen/Meter/Minute aufgrund einer zusätzlichen Verengung in noch erheblich weitergehendem Maße überschritten wurde.
Denn die Anklage nennt selbst eine Vielzahl von tatsächlichen Umständen, die in ihrer Gesamtheit – jedenfalls ohne die (indes nicht vorhandene) auch nur ungefähre numerische Erfassung des tatsächlichen Besucherprofils am 24.07.2010 – dagegen sprechen, dass es sich um einen solchen plangemäßen Zu- und Abfluss der Besucherströme mit der Folge eines erfolgskausalen Durchflussdefizits zur Tatzeit handelte, so etwa die verspätete Öffnung des Veranstaltungsgeländes mit der Folge eines
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planwidrigen erheblichen Besucherstaus, die zeitweise nicht vollständige Besetzung sämtlicher Schleusen der Vereinzelungsanlagen mit der Folge einer Kapazitätseinschränkung, das Nachlassen eines zunächst bestehenden Rückstaus vom Rampenkopf in die Rampe Ost hinein zwischen 16.00 und 16.10 Uhr nach dem Niederreißen von Zäunen auf der Rampe Ost, die Sperrung der Tunnel West und Ost durch Polizeiketten von etwa 15.50 Uhr bis 16.20 Uhr (West) sowie 15.57 Uhr bis 16.13/16.14 Uhr (Ost) mit hieraus folgender Bildung erheblichen „Personendrucks“ bei gleichzeitig nur kurzzeitiger Schließung der Vereinzelungsanlagen West und Ost ab 15.54 Uhr, der (planwidrige) Zufluss auf das Gelände auch über die westliche Rampe ab ca. 15.55 Uhr aufgrund polizeilicher Anordnung der Verwendung auch der Rampe West als Zugangsrampe, die Errichtung einer (auftragswidrig kurzzeitig in Richtung Tunnel durchlässigen) Polizeikette auf der Rampe Ost auf Höhe und unter Nutzung der von der Anklageschrift als (mit)kausal erachteten Verengung auf 10,59 Meter um 16.01 Uhr mit der Folge einer Durchflusssperre bis 16.28 Uhr und der Bildung eines „zunehmenden Rückstaus“, das Öffnen der Vereinzelungsanlage West gegen 16.02 Uhr und die endgültige Aufgabe der Vornahme von Personenkontrollen dort gegen 16.17 Uhr mit der Folge „ungebremst(en)“ Besucherzustroms, die Durchfahrt eines Rettungswagens durch die Vereinzelungsanlage West gegen 16.32 Uhr, wobei es bei einer Öffnung von Bauzäunen zu einem unkontrollierten Zustrom von Personen und damit einem weiter „erhöhten Zugang“ kam, die Minuten nach der Durchfahrt des Rettungswagens gegen 16.36 Uhr erfolgte Erweiterung der Öffnung durch Wegziehen weiterer Bauzaunelemente durch Ordner im Bereich der Vereinzelungsanlage West mit der Folge, dass „einige Minuten lang ungehindert Veranstaltungsbesucher in Richtung Tunnel beziehungsweise östliche Rampe“ strömten, schließlich „Intervallöffnungen“ der „Schleuse Ost“ trotz bestehender Polizeikette im Tunnel Ost ab 15.54 Uhr, um den „Druck stoßweise zu mindern“.
Damit ergibt sich aber spätestens mit Sperrung der Tunnel West und Ost durch die Polizeiketten von etwa 15.50 Uhr bis 16.20 Uhr (West) sowie 15.57 Uhr bis 16.13/16.14 Uhr (Ost) mit der Folge der Bildung erheblichen „Personendrucks“ bei gleichzeitig nur kurzzeitiger Schließung der Vereinzelungsanlagen West und Ost sowie mit Errichten der weiteren Polizeikette von 16.01 Uhr bis 16.28 Uhr in einer Engstelle der Rampe Ost als dem (nach den Planungen) einzigen Zugang mit der Folge einer Durchflusssperre und der Bildung eines „zunehmenden Rückstaus“,
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schließlich aufgrund der ab ca. 15.55 Uhr erfolgten Umleitung der Besucher über die Rampe West als weiterem – planwidrig geschaffenen – Zugangspunkt eine grundlegende tatsächliche „Umgestaltung“ des geplanten Ein- und Ausgangssystems (lediglich Zugang über die Rampe Ost) und der damit verbundenen (nach der Planung allenfalls durch Sperrungen der Vereinzelungsanlagen zu beeinflussenden) Führung der Besucherströme in dem Ein- und Ausgangssystem durch die vor Ort vorgenommenen (insbesondere polizeilichen) Maßnahmen.
Ebenso spricht das in der Anklageschrift wiedergegebene Ermittlungsergebnis dagegen, dass die Verengung der Durchgangsbreite der Rampe Ost durch die am Veranstaltungstag vorhandenen Zaundreiecke den „unglücksverursachende(n) Personenstau und die daraus resultierenden Todesfälle und Verletzungen mitverursacht“ hat. Denn ab 16.01 Uhr wurde der Personendurchfluss auf der Rampe Ost durch Positionierung einer Polizeikette genau auf Höhe der Zaundreiecke und unter Einbeziehung eben dieser „Engstelle“ in die Durchgangssperre zunächst im Wesentlichen sowie kurz darauf vollständig unterbunden. Daher musste jegliche einen Personendurchfluss an dieser Stelle etwa behindernde Auswirkung der Zaundreiecke und der durch sie bewirkten Verengung auf (nur noch) 10,59 Meter in Ermangelung zunächst eines nennenswerten sowie alsbald jedweden Personendurchflusses für die Dauer der Sperrung durch die Polizeikette entfallen. Die Anklage beschreibt überdies selbst nicht das engebedingte Entstehen einer Durchflussproblematik im Sinne eines personenstrombedingten Aufstauens gegenläufiger Personenströme im Bereich der Engstelle von 10,59 Meter, sondern die Bildung einer auch nach Auflösung der Polizeikette andauernden, weitgehend statischen Menschenansammlung als Folge einer durch Errichten einer Polizeikette hervorgerufenen Komplettsperre. Dass die Engstelle zwischen den Zaundreiecken vor Errichten der Polizeikette um 16.01 Uhr und vor Eintritt des von der Anklage bezeichneten „Unumkehrbarkeitszeitpunkts“ um 16.02 Uhr, „wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr“, tatsächlich eine durchflussrelevante Bedeutung im Sinne der tatsächlichen Überschreitung eines Durchflussmaximalwertes erlangt hätten, beschreibt die Anklage nicht und dies ergibt sich auch nicht aus dem Ermittlungsergebnis.
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(7) Weitere Ermittlungen
Weitere Ermittlungen, die einen hinreichenden Beweis für die von der Anklage angenommene Sorgfaltspflichtverletzung sowie die Kausalität bzw. Realisierung dieser Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg erbringen könnten, konnten von der Kammer im Zwischenverfahren nicht durchgeführt werden. Denn zu solchen Ermittlungen ist die Kammer vorliegend weder berechtigt noch gehalten. Da das von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eingeholte (unverwertbare) Gutachten des Prof. Dr. T aber gerade keinen Beweis für die Sorgfaltspflichtverletzung und deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg bieten konnte, es hierfür auch keine weiteren Beweismittel gibt und auch die vorgenommene Gesamtschau der ermittelten tatsächlichen Umstände keinen Beweis für die Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg erbringen kann, bedürfte es jedenfalls weiterer Ermittlungen. Insofern käme vor allem die Einholung eines neuen Gutachtens (eines anderen Sachverständigen) in Betracht. Dies ist jedoch aus den oben ausgeführten Gründen im Rahmen des § 202 StPO nicht möglich, denn dabei würde es sich gerade um eine „wesentliche Ermittlung“ zur Komplettierung eines nach derzeitigem Stand unzulänglich belegten Anklagevorwurfs und nicht nur um „einzelne Beweiserhebungen“ handeln. [Fußnote 190]
b. Genehmigung trotz fehlenden Einvernehmens (§ 43 Abs. 2 SBauVO NRW)
Soweit den Angeschuldigten D , F und E weiter vorgeworfen wird, die Prüfung versäumt zu haben, ob das erforderliche Einvernehmen nach § 43 Abs. 2 SBauVO NRW erzielt worden sei, welches tatsächlich nicht vorgelegen habe, kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Angeschuldigten D , F und E nach § 43 SBauVO NRW überhaupt inhaltliche Prüfungspflichten hinsichtlich des Sicherheitskonzepts trafen. Falls solche inhaltlichen Prüfungspflichten im Hinblick auf das Sicherheitskonzept angenommen würden, bezögen sie sich ebenfalls auf die Prüfung der Einhaltung des Durchflussmaximalwerts im Ein- und Ausgangssystem der Versammlungsstätte; insoweit gälten die zu einer solchen Sorgfaltspflichtverletzung und deren Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg getätigten Ausführungen entsprechend.
[Fußnote 190: Vgl. hierzu C. II. 2. b. ee. sowie C. II. 3. c. gg..]
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Nach dem Ermittlungsergebnis hatte die versäumte Prüfung hinsichtlich des Nichtvorliegens des Einvernehmens über das Sicherheitskonzept jedenfalls „keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den Todes- und Verletzungsfällen“ (vgl. S. 473 der Anklageschrift, Bl. 36837 HA sowie im Folgenden S. 473-478 der Anklageschrift, Bl. 36837-36842 HA). Die fehlende Prüfung belege vielmehr lediglich, dass „maßgeblichen Vorschriften und Umständen nicht die notwendige Aufmerksamkeit“ gewidmet worden sei (vgl. S. 473 der Anklageschrift, Bl. 36837 HA).
Nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis kann damit aber jedenfalls die Erfolgsursächlichkeit einer etwaigen Pflichtverletzung durch Versäumen der Prüfung des Vorliegens des erforderlichen Einvernehmens nach § 43 Abs. 2 SBauVO NRW nicht angenommen werden. Hiermit korrespondierend wird im Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft vom 10.02.2014 ausdrücklich die Ursächlichkeit eines entsprechenden Umstandes ausgeschlossen (vgl. Bl. 34966 HA).
3. Sorgfaltspflichtverletzung durch versäumte Auflagenkontrolle/„Bauüber-wachung“
Soweit den Angeschuldigten D , F und E vorgeworfen wird, vor Öffnung des Geländes am 24.07.2010 die Kontrolle der baulichen Anlagen hinsichtlich der Umsetzung der erteilten Genehmigung pflichtwidrig versäumt zu haben, indem sie (jeweils) nicht geprüft hätten, ob die Auflagen eingehalten würden, und ihnen vorgeworfen wird, sie hätten im Einzelnen (jeweils) die (für den Taterfolg mitursächliche) zusätzliche Verengung erkennen und deren Beseitigung veranlassen müssen sowie die auflagenwidrig unzureichende Anpralllast der Zäune zum Anlass eines Eingreifens nehmen müssen, ist ebenfalls kein hinreichender Tatverdacht anzunehmen.
a. Anpralllast der Zäune
Die Anklage führt zu dem Vorwurf der versäumten Auflagenkontrolle hinsichtlich der Anpralllast der Zäune im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen Folgendes aus:
„Die Ermittlungen haben ferner ergeben, dass die von der M GmbH bestellte und von der D Absperrung GmbH verbaute Zaunmaterial eine geringe Quali-
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tät aufwies. So bestätigte der Zeuge D , dass es sicherlich qualitativ hochwertigere Elemente gebe und auch er über derartige Elemente verfügt habe.
Auf dem vorliegenden Bildmaterial ist ferner erkennbar, dass Elemente von Vereinzelungsanlagen mit Panzerband umwickelt waren. Dies habe nach Angaben der Zeugen D und M jedoch nicht zur Verbindung von Elementen der Vereinzelungsanlagen beziehungsweise zur Stabilisierung des Aufbaus als solchem, sondern lediglich dem Schutz der Besucher gedient.
Jedenfalls waren die verwendeten Mobilzaun-Elemente nicht geeignet, einer Anpralllast von zwei Kilonewton pro Meter nach Maßgabe der Auflage unter Nr. 5 der Genehmigung vom 23.Juli 2010 standzuhalten.
Der Zeuge S bemerkte am Veranstaltungstag die geringe Qualität des verwendeten Absperrmaterials und sprach den Zeugen Dr. H darauf an. Nach Ansicht des Zeugen S handelte es sich lediglich um im Gegensatz zu Zaunelementen für Veranstaltungen als minderwertig zu betrachtende Baustellenzäune. Der Zeuge Dr. H teilte seine Meinung. Die durch die M GmbH verwendeten Heras-Zäune entsprachen in der Qualität und Widerstandsfähigkeit tatsächlich nicht den robustesten auf dem Markt verfügbaren Zäunen. Die von der M GmbH vorgesehenen Kostenkalkulationen ließen jedoch die Verwendung teurerer Zaunelemente nicht zu. Für den Zaunbau war der Angeklagte H verantwortlich.
Die Qualität des Zaunmaterials war nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T und den weiteren oben benannten Beweismitteln, nicht ursächlich für die Menschenverdichtung auf der Rampe und die hieraus resultierenden tödlichen Verletzung. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Zaunanlagen mit der geforderten Anpralllast die konkrete Gefahrensituation sogar verschärft hätten.“ (S. 428 f. der Anklageschrift, Bl. 36792 f. HA, Hervorhebungen durch die Kammer)
Schon nach dem zum erhobenen Anklagevorwurf in der Anklageschrift mitgeteilten gegenteiligen Ermittlungsergebnis besteht mithin kein hinreichender Verdacht einer entsprechenden erfolgsursächlichen Sorgfaltspflichtverletzung durch die Angeschuldigten D , F und E .
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b. Zusätzliche Verengung auf der Rampe Ost
Soweit den Angeschuldigten D , F und E weiter vorgeworfen wird, vor Öffnung des Geländes am 24.07.2010 die Kontrolle der baulichen Anlagen hinsichtlich der Umsetzung der erteilten Genehmigung pflichtwidrig versäumt zu haben, indem sie (jeweils) nicht geprüft hätten, ob die Auflagen eingehalten würden, sie hätten die (für den Taterfolg mitursächliche) zusätzliche Verengung (im Bereich der Rampe Ost) erkennen und deren Beseitigung veranlassen müssen, scheidet der Vorwurf fehlerhafter Auflagenkontrolle bereits mangels Flucht-/Rettungs-wegeigenschaft der Rampe Ost sowie im Übrigen mangels inhaltlicher Verletzung der „Auflage“ Nr. 6 aus.[Fußnote 191]
Bezöge man den Vorwurf auf die (vorhandene) tatsächliche Abweichung der Zaunaufbauten auf der Rampe Ost zum Planstand in den Bauplänen, in denen die Rampe Ost nicht durch Zaunaufbauten verengt ist, und eine insoweit mangelhafte Bauüberwachung gemäß § 61 BauO NRW bzw. (nach Genehmigungserteilung) gemäß § 81 BauO NRW – wie es die rechtliche Würdigung in der Anklageschrift wiederum nahelegt (vgl. S. 481 der Anklageschrift, Bl. 36845 HA) –, ermangelt es – die Dienstpflicht
der Angeschuldigten D , F und E zur Anwesenheit unterstellt[Fußnote 192] – an der Ermittlung wesentlicher Voraussetzungen der angeklagten Pflichtverletzung. Eine solche (erfolgsursächliche) Pflichtverletzung durch mangelhafte Bauüberwachung würde voraussetzen, dass das Ein- und Ausgangssystem der Versammlungsstätte baurechtswidrig ausgestaltet war und insofern einer Bauüberwachung durch die Angeschuldigten D , F und E nicht Stand gehalten hätte. Denn die Verengung durch die Zaundreiecke auf 10,59 Meter auf der Rampe Ost ist auch
[Fußnote 191: Vgl. dazu oben C. II. 2. a. ee. (1).
Fußnote 192: Eine etwaige (strafrechtlich relevante) Handlungspflicht ist für die Angeschuldigten D , F und E lediglich während ihrer Dienstzeit anzunehmen (vgl. zu den Anforderungen BGH, NJW 1993, 544 f.; BGH, NStZ 2000, 147), welche nach Kapitel 3 Nr. 3.2.3.1 der einschlägigen „Allgemeinen Dienstanweisung der Stadt Duisburg“ nur bei entsprechender Abstimmung mit bzw. bei gesonderter Einzelfallweisung durch einen (Dienst-)Vorgesetzten am 23.07.2010 (Freitag) nach 17.30 Uhr bestanden hätte. Zweifelhaft ist insoweit die Herleitung zur Dienstpflicht des Angeschuldigten D in der Anklageschrift, wenn im Anschluss an die Feststellung, der Angeschuldigte D sei selbst von einer Notwendigkeit zur Abweichung im Einzelfall ausgegangen, die eine Kontrolltätigkeit außerhalb der üblichen Arbeitszeiten erforderlich gemacht habe, ausgeführt wird: In solchen Fällen ist eine Dienstverpflichtung - wie geschehen - außerhalb der Geschäftszeiten ausdrücklich möglich und sogar geboten. Eine solche kann durch jeden Vorgesetzten, also auch den Angeschuldigten D selbst, angeordnet werden.“ (S. 484 der Anklageschrift, Bl. 36848 HA). Dass der Angeschuldigte D – nach dem Verständnis der Anklageschrift – für bzw. gegen sich selbst eine Dienstpflicht hätte anordnen müssen, scheidet mangels Personenverschiedenheit offensichtlich aus.]
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nach der Anklage in Bezug auf die Pflicht zur Einhaltung des Durchflussmaximalwerts im Gesamtzusammenhang des Ein- und Ausgangssystems der Veranstaltung zu bewerten[Fußnote 193].
Die Anklage behauptet zwar, es habe fehlerhafte – zu einer Baurechtswidrigkeit führende – Planungen auch hinsichtlich der Tunnel West und Ost sowie hinsichtlich einer „besondere(n) Engstelle am oberen Ende der östlichen Rampe“ (Rampenkopf) gegeben. Dies führt sie jedoch weder näher aus noch gibt es entsprechende Ermittlungsergebnisse. [Fußnote 194] Soweit die Anklage eine fehlerhaft geplante Dimensionierung und Ausgestaltung der Vereinzelungsanlagen annimmt, fehlt es bereits an wesentlichen Ermittlungen zu den geplanten Maßen der Vereinzelungsanlagen als Grundlage einer solchen Annahme. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen die konkret vorgeworfene Fehlplanung der Vereinzelungsanlagen hinsichtlich einer (nach der Anklage erfolgsursächlichen) Überschreitung des Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute insbesondere auf der Rampe Ost gehabt haben soll. Die von der Anklage, Prof. Dr. T folgend, angenommene Limitierung des Besucherzuflusses (43.788 Besucher pro Stunde) lässt sich jedenfalls nicht mit der gleichzeitigen Annahme eines stündlichen Zustroms von 55.000 bis zu 90.000 Besuchern im Zeitraum von 13 bis 19 Uhr auf das Gelände vereinbaren. Insofern ist auch nicht ermittelt, in welchem Verhältnis die zu erwartenden Abflusszahlen aufgrund des faktisch durch die Kapazitätsgrenze der Vereinzelungsanlagen limitierten Zugangs gegenüber den Planzahlen zu kürzen wären. [Fußnote 195] Ferner berücksichtigt die Anklage bei der Berechnung einer Überschreitung der Durchflussmaximalkapazität nicht den planerischen Einsatz auch der Rampe West zu Abflusszwecken. [Fußnote 196] Schließlich werden die Planungen hinsichtlich eines so bezeichneten „Mitzieheffekts“ am Rampenkopf unvollständig und fehlerhaft erfasst. [Fußnote 197] Insoweit fehlt es nach derzeitigem Ermittlungsstand an wesentlichen Ermittlungen zu einer entsprechenden Pflichtverletzung.
[Fußnote 193: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3).
Fußnote 194: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (b) und (c) sowie C. II. 2. b. bb..
Fußnote 195: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (d).
Fußnote 196: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (e).
Fußnote 197: Vgl. oben C. II. 2. a. dd. (3) (f).]
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Ferner ermangelt es eines Beweises einer solchen Pflichtverletzung (mangelhafte Bauüberwachung wegen unterbliebener Prüfung der Einhaltung eines Durchflussmaximalwerts von 82 Personen/Meter/Minute für die (Durchgangs-)Wege des Ein- und Ausgangssystems) sowie der Kausalität bzw. Realisierung einer solchen – unterstellten – Pflichtverletzung im konkreten Taterfolg.
Das Gutachten von Prof. Dr. T kann – auch unter Einbeziehung der nach der Anklageerhebung erfolgten diversen weiteren Ausführungen von Prof. Dr. T in E-Mails an die Staatsanwaltschaft bzw. in seinen Antworten vom 26.06.2015 auf die ihm mit Beschluss der Kammer vom 17.02.2015 gestellten Fragen – den Beweis für eine solche Pflichtverletzung sowie die Kausalität bzw. Realisierung der vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg nicht erbringen. Prof. Dr. T geht zwar von einer Verletzung eines sorgfaltsgemäß zu berücksichtigenden Durchflussmaximalwertes von 82 Personen/Meter/Minute insbesondere im Ein- und Ausgangssystem aus, belegt eine solche Sorgfaltspflichtverletzung aber nicht tragfähig. [Fußnote 198] Auch eine Kausalität bzw. Realisierung einer solchen Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg ergibt sich aus seinen Ausführungen nicht. Denn Prof. Dr. T nimmt lediglich eine „Risikoanalyse“ anhand von Planungsunterlagen vor, ohne die tatsächlichen Verhältnisse am Veranstaltungstag zu berücksichtigen. [Fußnote 199] Aus seinen Ausführungen lassen sich auch bereits keine Schlüsse darauf ziehen, dass die von der Anklage angenommenen Besucherplanzahlen, die nach der Anklage auch der Genehmigungserteilung durch die Angeschuldigten D , F und E zugrunde lagen, tatsächlich am 24.07.2010 (mindestens jedenfalls im Wesentlichen) auf dem Veranstaltungsgelände erreicht wurden. [Fußnote 200] Ob und gegebenenfalls inwieweit eine fehlerhafte Ausführung der Planung und/oder ein Eingreifen Dritter (unterbliebene Schließung der Vereinzelungsanlagen, Polizeiketten, Beiseiteziehen von Heraszaunelementen an der Vereinzelungsanlage West, Einfahrt eines Polizeifahrzeugs in den Rampenbereich, abgedeckter Gullydeckel am Rampenfuß, unterbliebene Blockierung des oberen Bereichs der Rampe durch Polizeifahrzeuge) für die „Menschenverdichtung“ am Fuß der Stellwerkstreppe (allein-)ursächlich war/waren, wird schließlich im Gutachten von Prof. Dr. T teilweise widersprüchlich,
[Fußnote 198: Vgl. oben C. II. 2. b. bb..
Fußnote 199: Vgl. dazu C. II. 2. b. cc. (4) (a) und (b).
Fußnote 200: Vgl. hierzu im Einzelnen oben C. II. 3. c. bb..]
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teilweise nicht nachvollziehbar beantwortet, weshalb auf der Grundlage der Ausführungen von Prof. Dr. T nicht beurteilbar ist und damit unaufgeklärt bleibt, ob nicht ein gänzlich anderer, den Angeschuldigten nicht mehr vorwerfbarer Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde. [Fußnote 201] Darüber hinaus ist das Gutachten von Prof. Dr. T wegen erheblicher Verstöße gegen Grundpflichten eines Sachverständigen insgesamt unverwertbar. [Fußnote 202]
Es gibt neben dem einen Beweis für die Sorgfaltspflichtverletzung sowie die Kausalität bzw. Realisierung im konkreten Taterfolg nicht erbringenden sowie unverwertbaren Gutachten von Prof. Dr. T nach derzeitigem Ermittlungsstand keine weiteren Beweismittel, die einen Beweis für die von der Anklage angenommene Sorgfaltspflichtverletzung und die Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg erbringen könnten. [Fußnote 203]
Es kann auch nicht bereits im Wege einer Gesamtschau auf eine Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg geschlossen werden. [Fußnote 204] Es lässt sich nämlich auch im Wege einer solchen Gesamtschau der sich aus den Ermittlungsergebnissen ergebenden tatsächlichen Abläufe am 24.07.2010 nicht darauf schließen, dass eine planerische wie tatsächliche Fehldimensionierung des Ein- und Ausgangssystems dazu beitrug, dass es „angesichts der erwarteten Besucherzahlen zwangsläufig zu lebensgefährlichen Menschenverdichtungen“ im Zeitraum zwischen 15 und 19 Uhr kam. Denn die Anklage nennt selbst eine Vielzahl von planwidrigen, personenstromrelevanten Ereignissen, die in ihrer Gesamtheit – jedenfalls ohne die (indes nicht vorhandene) auch nur ungefähre numerische Erfassung des tatsächlichen Besucherprofils am 24.07.2010 sowie ohne eine nachvollziehbare Befassung mit einer ggf. fehlerhaften Ausführung der Planung und/oder dem Eingreifen Dritter sowie der etwaigen Ursächlichkeit solchen Verhaltens – dagegen sprechen, dass es sich um einen plangemäßen Zu- und Abfluss der Besucherströme mit der Folge eines erfolgskausalen Durchflussdefizits zur Tatzeit handelte. Spätestens mit Sperrung der Tunnel West und Ost durch die Polizeiketten mit der Folge der Bil-
[Fußnote 201: Vgl. hierzu C. II. 2. b. cc. (3) (e).
Fußnote 202: Vgl. hierzu im Einzelnen oben C. II. 2. b. cc. sowie C. II. 3. c. cc..
Fußnote 203: Vgl. hierzu im Einzelnen oben C. II. 2. b. dd. und C. II. 3. c. dd. und ee..
Fußnote 204: Vgl. im Einzelnen oben C. II. 3. c. ff..]
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dung erheblichen „Personendrucks“ bei gleichzeitig nur kurzzeitiger Schließung der Vereinzelungsanlagen sowie mit zeitlich nachfolgendem Errichten der weiteren Polizeikette in einer Engstelle der Rampe Ost als dem (nach den Planungen) einzigen Zugang mit der Folge einer Durchflusssperre und der Bildung eines „zunehmenden Rückstaus“, schließlich aufgrund der Umleitung der Besucher über die Rampe West als weiterem – planwidrig geschaffenen – Zugangspunkt erfolgte eine grundlegende tatsächliche „Umgestaltung“ des geplanten Ein- und Ausgangssystems und der Führung der Besucherströme durch die vor Ort vorgenommenen (insbesondere polizeilichen) Maßnahmen. Die Anklage beschreibt überdies selbst nicht das engebedingte Entstehen einer Durchflussproblematik im Sinne eines personenstrombedingten Aufstauens gegenläufiger Personenströme im Bereich der Engstelle von 10,59 Meter, sondern die Bildung einer auch nach Auflösung der Polizeikette andauernden, weitgehend statischen Menschenansammlung als Folge einer durch Errichten einer Polizeikette hervorgerufenen Komplettsperre. Dass die Engstelle zwischen den Zaundreiecken vor Errichten der Polizeikette um 16.01 Uhr und vor Eintritt des von der Anklage bezeichneten „Unumkehrbarkeitszeitpunkts“ um 16.02 Uhr, „wahrscheinlich aber bereits gegen 15.30 Uhr“, tatsächlich eine durchflussrelevante Bedeutung im Sinne der tatsächlichen Überschreitung eines Durchflussmaximalwertes erlangt hätten, beschreibt die Anklage nicht und dies ergibt sich auch nicht aus dem Ermittlungsergebnis.
Weitere Ermittlungen, die einen hinreichenden Beweis für die von der Anklage angenommene Sorgfaltspflichtverletzung und die Kausalität bzw. Realisierung der Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Taterfolg erbringen könnten, konnten von der Kammer im Zwischenverfahren nicht durchgeführt werden. Denn zu solchen – hier wesentlichen – Ermittlungen zur Komplettierung eines unzulänglich belegten Anklagevorwurfs ist die Kammer weder berechtigt noch gehalten.[Fußnote 205]
4. Weitere Sorgfaltspflichtverletzungen
Soweit – unter dem Aspekt der fehlerhaften Genehmigungserteilung bzw. Bauüberwachung – weitere Umstände (Fehlpositionierung der Szenefläche, gemeinsamer Ein- und Ausgang bei gleichzeitigem Zu- und Abstrom, planerisch fehlende Kompensierung von Überlastungen, Fehler bei Crowd Control, Crowd Management sowie
[Fußnote 205: Vgl. hierzu oben C. II. 2. b. ee. und C. II. 3. c. gg..]
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beim Orientierungssystem) als erfolgsursächliche Sorgfaltspflichtverletzungen der Angeschuldigten D , F und E in Betracht gezogen werden könnten, gelten die zu den Angeschuldigten J , G , H und I erfolgten Ausführungen entsprechend;[Fußnote 206] insoweit fehlt es aus den dort dargestellten Gründen an einem hinreichenden Tatverdacht auch gegenüber den Angeschuldigten D , F und E .
IV. Tatverdacht gegen die Angeschuldigten B und C (Tatvorwürfe zu Lasten der weiteren Geschädigten)
Hinsichtlich des gegenüber den Angeschuldigten B und C erhobenen Vorwurfs, es (jeweils) unterlassen zu haben, im Vorfeld der Veranstaltung die Angeschuldigten D , F und E ordnungsgemäß zu überwachen, die vorgeworfenen Planungsfehler und die daraus folgende fehlende Genehmigungsfähigkeit zu erkennen und einzugreifen, sowie vor Veranstaltungsbeginn für eine Anwesenheit von Mitarbeitern des Bauamtes und für eine Auflagenkontrolle bzw. ab-schließende Kontrolle hinsichtlich der zusätzlichen Verengung und der nicht hinreichend standfesten Zäune zu sorgen, fehlt es ebenfalls an hinreichendem Tatverdacht.
1. Konkurrenzen
Die angeklagten Pflichtverletzungen sind als einheitliches Unterlassen einzuordnen und stellen damit eine einheitliche Verwirklichung des Straftatbestandes dar. Denn das vorgeworfene Unterlassen eines Eingreifens vor Erteilung der Genehmigung dauerte nach Erteilung der Genehmigung fort, so dass eine Änderung der für die Strafbarkeit maßgeblichen Umstände nicht eintrat (vgl. hierzu den Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft vom 10.02.2014, Bl. 35526 HA).
2. Überwachungsdefizit im Genehmigungsverfahren
Soweit den Angeschuldigten B und C ein im Rahmen ihrer jeweiligen Garantenpflicht aufgetretenes Überwachungsdefizit hinsichtlich der Angeschuldigten D , F und E im Genehmigungsverfahren vorgeworfen wird, wird auf die diesbezüglichen Ausführungen betreffend die fehlende Ermittlung wesentlicher
[Fußnote 206: Vgl. hierzu oben C. II. 4..]
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Voraussetzungen für die von der Anklage angenommene Sorgfaltspflichtverletzung, insbesondere im Hinblick auf eine konkrete Pflicht zur Prüfung der planerischen Durchflusseignung des Ein- und Ausgangssystems, sowie die fehlende Beweisbarkeit einer – (zu Recht) auch von der Anklage als erforderlich für die Strafbarkeit der Angeschuldigten B und C erachteten – erfolgsursächlichen Pflichtverletzung der Angeschuldigten D , F und E Bezug genommen.[Fußnote 207] Entsprechend fehlt es auch hinsichtlich des (abgeleiteten) Vorwurfs eines Überwachungsdefizits in Bezug auf die den Angeschuldigten D , F und E vorgeworfenen Pflichtverletzungen im Genehmigungsverfahren an der Annahme hinreichenden Tatverdachts gegenüber den Angeschuldigten B und C .
3. Unterlassen einer Anordnung zur Anwesenheit/„Auflagenkontrolle“
Da ein hinreichender Verdacht hinsichtlich erfolgsursächlicher Sorgfaltspflichtverletzungen bezüglich des Umstandes der zusätzlichen Verengung der Rampe Ost (10,59 Meter) und/oder nicht hinreichend standfester Zäune[Fußnote 208] nicht besteht, fehlt es auch an einem hinreichenden Verdacht bezüglich des Anklagevorwurfs einer unterlassenen Anordnung zur Anwesenheit bzw. „Auflagenkontrolle“ vor Veranstaltungsbeginn durch die Angeschuldigten B und C . Steht nämlich nicht fest, dass die den Angeschuldigten D , F und E vorgeworfenen Pflichtverletzungen (Auflagenkontrolle/Bauüberwachung) vorlagen und kausal waren bzw. sich im konkreten Taterfolg realisiert haben, ist auch nicht ersichtlich, dass insoweit eine Pflichtverletzung der Angeschuldigten B und C bestand und kausal war bzw. sich im konkreten Taterfolg realisiert hat.
V. Tatverdacht gegen den Angeschuldigten A (Tatvorwürfe zu Lasten der weiteren Geschädigten)
Auch hinsichtlich des gegenüber dem Angeschuldigten A erhobenen Vorwurfs, er habe sich im Vorfeld der Veranstaltung aufgrund vorliegender konkreter Anzeichen persönlich die Ergebnisse der baurechtlichen Prüfung vorlegen lassen und gewährleisten müssen, dass seine Mitarbeiter den Prüfungs- und Überwachungspflichten nachkommen sowie eine (rechtswidrige) Genehmigung nicht erteilt
[Fußnote 207: Vgl. hierzu oben C. III. 2..
Fußnote 208: Vgl. oben C. III. 3..]
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werde, ferner habe er zwischen dem 13. und dem 16.07.2010 pflichtwidrig und vorwerfbar entschieden, dass die mit der Genehmigungserteilung befassten Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag weder im Krisenstab noch andernorts im Dienst sein und die Einhaltung der Auflagen der Genehmigung vom 21./23.07.2010 überwachen sollten, weshalb Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag nicht anwesend gewesen seien und nicht überprüft hätten, ob die Auflagen der erteilten Genehmigung beachtet würden, so dass die fortbestehende genehmigungswidrige Verengung des Zu- und Abgangsbereichs am Fuß der östlichen Rampe unerkannt und unbeanstandet geblieben sei, fehlt es an hinreichendem Tatverdacht.
1. Konkurrenzen
Die angeklagten Pflichtverletzungen sind als einheitliche Tat zu bewerten. Das vorgeworfene Unterlassen eines Eingreifens vor Erteilung der Genehmigung durch den Angeschuldigten A dauerte nach Erteilung der Genehmigung fort, wobei eine Änderung der für die Strafbarkeit maßgeblichen Umstände nicht eintrat. Eine neue Tat oder eine weitere tateinheitliche Verwirklichung des Tatbestandes liegt daher nicht vor, vielmehr stellt das Untätigbleiben des Angeschuldigten A vor und nach der Genehmigungserteilung ein einheitliches Unterlassen dar.
2. Überwachungsdefizite
Soweit dem Angeschuldigten A vorgeworfen wird, er habe sich aufgrund vorliegender konkreter Anzeichen persönlich die Ergebnisse der baurechtlichen Prüfung vorlegen lassen und gewährleisten müssen, dass seine Mitarbeiter den Prüfungs- und Überwachungspflichten nachkommen, was er unterlassen habe, er habe es sogar unterlassen, sich über den Fortgang und den Inhalt des Genehmigungsverfahrens umfassend unterrichten zu lassen, etwa hinsichtlich Bewertungen zur Zulässigkeit und Sicherheit der zu errichtenden baulichen Anlagen und des ihm als einzigem Ein- und Ausgang bekannten Tunnel- und Rampenbereichs; er hätte darauf hinwirken müssen, dass eine rechtswidrige Genehmigung nicht erteilt werde, setzt der gegenüber dem Angeschuldigten A erhobene (abgeleitete) Vorwurf den hinreichenden Nachweis entsprechender erfolgsursächlicher Sorgfaltspflichtverletzungen
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der Angeschuldigten D , F und E bzw. B und C voraus, woran es indes fehlt.[Fußnote 209]
Entsprechendes gilt, soweit dem Angeschuldigten A vorgeworfen wird, zwischen dem 13. und dem 16.07.2010 pflichtwidrig und vorwerfbar entschieden zu haben, dass die mit der Genehmigungserteilung befassten Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag weder im Krisenstab noch andernorts im Dienst sein und die Einhaltung der Auflagen der Genehmigung vom 21./23.07.2010 überwachen sollten, weshalb Mitarbeiter des Amtes für Baurecht und Bauberatung am Veranstaltungstag nicht vor Ort gewesen seien und nicht überprüft hätten, ob die Auflagen der erteilten Genehmigung beachtet wurden, so dass die fortbestehende genehmigungswidrige Verengung des Zu- und Abgangsbereichs am Fuß der östlichen Rampe unerkannt und unbeanstandet geblieben sei. Insoweit fehlt es bereits an einem Nachweis einer erfolgsursächlichen Sorgfaltspflichtverletzung hinsichtlich der Verengung des Zu- und Abgangsbereichs am Fuß der östlichen Rampe auf 10,59 Meter[Fußnote 210], der jedoch jedenfalls erforderlich wäre, um einen hinreichenden Tatverdacht für eine erfolgsursächliche pflichtwidrige unterlassene Dienstanordnung durch den Angeschuldigten A zu begründen.
D. Anträge im Zwischenverfahren
Dem von der Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 06.11.2014 (Bl. 40108 HA) gestellten Antrag, vor dem Hintergrund der von der Kammer zur Stellungnahme übermittelten Schilderung des Zeugen D K (vgl. Vfg. 59, Bl. 39690 HA) die Verfolgung insofern gemäß § 154 a Abs. 1, Abs. 2 StPO auf die übrigen Teile der angeklagten Tat bzw. die übrigen Gesetzesverletzungen zu beschränken, war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 154 a StPO nicht nachzukommen. Denn es ist nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen nichts dafür ersichtlich, dass die von D K erlittenen Verletzungen auf die „Menschenverdichtung“ im Bereich der östlichen Rampe zurückzuführen sind[Fußnote 211]; insofern handelt es sich
[Fußnote 209: Vgl. oben C. III. 2. und 3. sowie C. IV. 2. und 3..
Fußnote 210: Vgl. hierzu oben C. III. 3 sowie C. IV. 3..
Fußnote 211: Vgl. dazu oben C. I..]
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schon nicht um einen Teil der den Angeschuldigten mit der Anklageschrift zur Last gelegten Tat.
Soweit von den Verteidigern der Angeschuldigten weitere Beweiserhebungen im Zwischenverfahren angeregt und/oder beantragt wurden, war diesen Begehren nicht nachzugehen, weil sie nur als Hilfsanträge für den Fall einer von der Kammer beabsichtigten Eröffnung des Hauptverfahrens gestellt wurden bzw. in diesem Sinne auszulegen sind und ihnen für die hier getroffene Entscheidung (einer Nichteröffnung) keine weitere Bedeutung zukommt (vgl. hierzu Schneider, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 201 Rn. 18).
E. Kostenentscheidung
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO.
Hiernach hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten zu tragen. Die Nebenkläger tragen die durch ihre Beteiligung entstandenen Kosten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 472 Rn. 2).