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Zum Schutz eines ungeborenen Kindes kann gemäß § 1666 BGB die gerichtliche Auflage an die werdende Mutter gerechtfertigt sein, wegen ihrer Schwangerschaft Hilfe durch die fachärztliche Beratung und Behandlung durch eine Frauenärztin/ einen Frauenarzt in Anspruch zu nehmen und sich in eine Kinderklinik zu begeben.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, sich wegen ihrer Schwangerschaft sofort der Hilfe durch die fachärztliche Beratung und Behandlung durch eine ihr vom Jugendamt zu vermittelnde Frauenärztin/ einen ihr vom Jugendamt zu vermittelnden Frauenarzt zu unterziehen und sich in eine ihr vom Jugendamt zu vermittelnde Kinderklinik zu begeben.
Es wird angeordnet, dass die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung vor ihrer Zustellung an die Antragsgegnerin zulässig ist.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Verfahrenswert: 1.500 €
G r ü n d e :
2I.
3Das Jugendamt hat das Familiengericht eingeschaltet, weil es davon ausgeht, dass die Antragsgegnerin mit Drillingen schwanger ist. Das Jugendamt hält die Antragsgegnerin für erziehungsungeeignet. Das Jugendamt geht deshalb von einer Kindeswohlgefährdung aus. Hilfen konnten vom Jugendamt mangels Zusammenarbeit der Antragsgegnerin nicht installiert werden. Eine fachärztliche Begleitung der Schwangerschaft ist nicht belegt. Die Antragsgegnerin hat vielmehr gegenüber dem Jugendamt in Abrede gestellt, schwanger zu sein.
4Das Gericht hat in dem daraufhin eingeleiteten Hauptsacheverfahren (33 F 96/20) am 23.02.2021 und 11.03.2021 Anhörungstermine durchgeführt, an denen die persönlich geladene Antragsgegnerin unentschuldigt nicht teilgenommen hat, obwohl im Zusammenhang mit der Ladung zum Termin vom 11.03.2021 ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass sie mit einer zwangsweisen Vorführung rechnen müsse, falls sie auch diesen Termin unentschuldigt nicht wahrnehmen sollte.
5Im Anschluss an den Anhörungstermin vom 23.02.2021 hat das Gericht im Hauptsacheverfahren einen Verfahrensbeistand bestellt. Dessen Bemühungen um einen Kontakt zu der Antragsgegnerin sind indes erfolglos geblieben.
6II.
7Die Entscheidung beruht auf § 49 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 BGB.
8Nach § 49 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht.
9Ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden in diesem Sinne ist wegen der nach den Angaben der Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes gegebenen fortgeschrittenen Schwangerschaft der Antragsgegnerin zu bejahen.
10Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet oder sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind (§ 1666 Abs. 1 BGB). Zu diesen gerichtlichen Maßnahmen gehört insbesondere das Gebot, öffentliche Hilfen der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB).
11Auf dieser Grundlage kann das Familiengericht die Eltern dazu anhalten, ärztliche Untersuchungen oder Behandlungen des Kindes wahrzunehmen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.12.2017, 10 UF 21/16, zitiert nach Juris mit weiteren Nachweisen, u.a. FamRZ 2018, 829f.).
12Da sich der Schutz gemäß § 1666 BGB nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht nur auf ein bereits geborenes Kind, sondern im Grundsatz auch schon auf ein noch ungeborenes Kind erstreckt, muss das auch für die schwangere Antragsgegnerin gelten.
13In der juristischen Literatur ist allerdings umstritten, ob über § 1666 BGB der schwangeren Frau Verhaltensweisen untersagt werden können, die nicht auf Tötung des Embryos abzielen, wohl aber zu schweren gesundheitlichen Schäden oder auch zu seinem Tod führen können (siehe zum Problem Staudinger/Coester 2016 BGB § 1666 Rn 25, 25a). Während teilweise die direkte oder analoge Anwendung von § 1666 BGB grundsätzlich abgelehnt wird, hält die überwiegende Meinung das grundsätzliche Schutzsystem der §§ 1666 ff. BGB auch schon für das noch ungeborene Kind für anwendbar (Staudinger/Coester, a.a.O., m. w. N.).
14Das Gericht schließt sich dieser überzeugenden Auffassung an, weil das Bundesverfassungsgericht zu Recht mehrfach die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens betont hat. Zudem schließt der Wortlaut des § 1666 BGB (Wohl des „Kindes“) es nicht aus, hierunter auch das noch ungeborene Kind zu erfassen (ebenso AG Bad Iburg, Beschluss vom 18.07.2017, 5 F 379/17 SO, zitiert nach Juris mit weiteren Nachweisen, u.a. NJW 2017, 2630f.).
15Darüber hinaus wird in der juristischen Literatur die Auffassung vertreten, die Vorschrift des § 1666 BGB sei keine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Eltern nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG), so dass die Anordnung einer körperlichen bzw. psychiatrischen Untersuchung oder einer psychotherapeutischen Behandlung eines Elternteils darauf nicht gestützt werden könne (Döll in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 1666 BGB, Rn. 15a mit weiteren Nachweisen).
16Diese Auffassung wird vom erkennenden Gericht indes in dieser Allgemeinheit ebenfalls nicht geteilt. Zwar greift die getroffene Anordnung in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragsgegnerin nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ein; zu berücksichtigen ist auf der anderen Seite allerdings, dass der Staat nach dem Grundgesetz verpflichtet ist, auch das ungeborene Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht hat ihren Grund ebenfalls in Art. 1, 2 GG. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Die Rechtsordnung muss die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten. Dieses Lebensrecht wird nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet (BVerfG, Urteil vom 28.05.1993, 2 BvF 2/90, zitiert nach Juris mit weiteren Nachweisen, u.a. NJW 1993, 1751ff.). Insofern wird es bei Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Elternteils letztlich stets auf die jeweiligen Umstände des konkreten Einzelfalles ankommen (ebenso OLG Bremen, Beschluss vom 02.11.2009, 4 UF 83/09, zitiert nach Juris mit weiteren Nachweisen, u.a. FamRZ 2010, 821).
17Die gerichtliche Anordnung zur fachärztlichen Beratung und Behandlung der Antragsgegnerin ist danach angezeigt, weil das Gericht nach den Mitteilungen des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes davon ausgeht, dass die Antragsgegnerin aktuell hochschwanger ist, aber die gebotene fachärztliche Beratung und Behandlung im Zusammenhang mit dieser Schwangerschaft nicht belegt ist und daraus eine erhebliche Gefährdung des Wohls der ungeborenen Kinder abzuleiten ist. Der Antragsgegnerin ist es auch zumutbar, sich zu deren Abwendung der gerichtlich angeordneten fachärztlichen Beratung und Behandlung zu unterziehen. Im Vergleich zur drohenden Gefahr für das Wohl der ungeborenen Kinder ist dies nämlich ein verhältnismäßig geringfügiger und zumutbarer Eingriff in ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht.
18Von der gerichtlichen Anordnung einer weitergehenden Maßnahme, wie die einer zwangsweisen Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung zum Zwecke einer Zwangsberatung bzw. Zwangsbehandlung, hat das Gericht dagegen abgesehen, da ein solch erheblicher Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Elternteils nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG in den Regelungen in § 1666 BGB, insbesondere in § 1666 Abs. 3 BGB, nicht aufgeführt wird (vgl. auch Döll in: Erman, BGB, 16. Auflage 2020, § 1666 Rn. 15a mit weiteren Nachweisen). Eine zwangsweise Unterbringung nach den §§ 312ff. FamFG hat ihre Grundlage nicht im Familienrecht und der Zuständigkeit des Familiengerichts, sondern im Betreuungsrecht und der Zuständigkeit des Betreuungsgerichts. Die Vorschrift des § 1666 BGB wird im Zusammenhang mit den Unterbringungssachen gemäß § 312 FamFG nämlich nicht genannt. Unterbringungssachen im Sinne dieser Vorschrift haben ihre Grundlagen in den §§ 1906, 1906a BGB oder im PsychKG. Zuständig dafür ist aber nicht das Familiengericht, sondern das Betreuungsgericht. Die in § 151 Nr. 6 und Nr. 7 FamFG angesprochene freiheitsentziehende Unterbringung betrifft schlussendlich die zwangsweise Unterbringung eines Kindes, nicht aber die zwangsweise Unterbringung eines Elternteils.
19Die hier getroffene Anordnung unterliegt der Vollstreckung nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 FamFG i.V.m. § 888 ZPO. Danach kann eine zwangsweise Vollstreckung durch die Verhängung von Zwangsgeld und Zwangshaft erfolgen. Die Antragsgegnerin muss deshalb mit der sofortigen gerichtlichen Verhängung von Zwangshaft rechnen, um sie notfalls dadurch zu bewegen, Hilfe durch die fachärztliche Beratung und Behandlung durch eine ihr vom Jugendamt zu vermittelnde Frauenärztin/ einen ihr vom Jugendamt zu vermittelnden Frauenarzt und eine ihr vom Jugendamt zu vermittelnde Kinderklinik in Anspruch zu nehmen, falls sie der gerichtlichen Auflage auf eine Aufforderung des Jugendamtes hin nicht unverzüglich freiwillig nachkommen sollte. Die Verhängung von Zwangsgeld erscheint wegen der Dringlichkeit der Sache nicht zielführend. Sie verspricht keine Aussicht auf Erfolg, weil die Antragsgegnerin die Anhörungstermine am 23.02.2021 und 11.03.2021 unentschuldigt nicht wahrgenommen hat und der Versuch des Verfahrensbeistandes im Hauptsacheverfahren 33 F 96/20, Kontakt zur Antragsgegnerin aufzunehmen, gescheitert ist.
20Das Gericht hat wegen der Dringlichkeit gemäß § 53 Abs. 2 FamFG angeordnet, dass die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung vor ihrer Zustellung an die Antragsgegnerin zulässig ist.
21Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 51 Abs. 4, 81 FamFG.
22Die Verfahrenswertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 41, 42 Abs. 3 FamGKG.
23Rechtsbehelfsbelehrung:
24Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf Antrag ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen und aufgrund dieser erneut zu entscheiden.
25Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
26Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.