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Es wird folgender Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft V., vertreten durch ihren Verwalter I., V. gefasst:
Die Eigentümergemeinschaft beschließt, dass der Miteigentümer C. die bauliche Veränderung der Terrasse der Erdgeschosswohnung zu entfernen und den ursprünglichen Zustand, wie er aus dem Foto Bl. 15 d. A. ersichtlich ist, wiederherzustellen hat.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 €.
Es wird folgender Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft V., vertreten durch ihren Verwalter I., V. gefasst:
2Die Eigentümergemeinschaft beschließt, dass der Miteigentümer C. die bauliche Veränderung der Terrasse der Erdgeschosswohnung zu entfernen und den ursprünglichen Zustand, wie er aus dem Foto Bl. 15 d. A. ersichtlich ist, wiederherzustellen hat.
3Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 €.
5T a t b e s t a n d:
6Der Kläger ist einer von drei Miteigentümern der Wohnungseigentümergemeinschaft V. in D.. Sein Miteigentumsanteil ist verbunden mit dem Sondereigentum an der im Dachgeschoss gelegenen Wohnung. Auf die Teilungserklärung vom 19.05.1981 (UR-Nr. 125 des Notars U., Bl. 55 ff d. A.) wird Bezug genommen.
7Der Miteigentümer C. hält das Sondereigentum an der im Erdgeschoss gelegenen Wohnung. Die Erdgeschosswohnung verfügt über eine Terrasse. Der Miteigentümer C. nahm einen Umbau der Terrasse vor, ohne zuvor eine Zustimmung der Eigentümergemeinschaft einzuholen. Hierbei entfernte er die bisherige Begrenzung zum gemeinschaftlichen Garten und erneuerte und vergrößerte die Terrassenfläche in Richtung Garten. Auf die zur Akte gereichten Fotos Bl. 15 ff d. A. wird Bezug genommen, wobei die Fotos Bl. 15 und 16 den Zustand vor dem Umbau und die Fotos Bl. 17 bis 22 den Zustand nach dem Umbau zeigen. Die Fläche der Terrasse ist dabei um ca. 13,3 qm größer geworden.
8Auf der Eigentümerversammlung vom 25.03.2021 fasste die Eigentümergemeinschaft zwei Beschlüsse im Zusammenhang mit der Terrasse. Unter TOP 8 fasste die Gemeinschaft folgenden Beschluss:
9„Die Eigentümergemeinschaft beschließt die bauliche Veränderung in Form einer Terrassenerweiterung von ca. 13,3 qm für die Erdgeschosswohnung. Die Nutzung der Terrasse wird ausschließlich der Erdgeschosswohnung zugestanden. Die Kosten für die Erstellung sowie die Folgekosten zur Erhaltung der Terrasse werden ausschließlich von der Erdgeschosswohnung getragen. Die Terrassenerweiterung steht autark auf Säulen und ist nicht mit dem Gebäude verbunden. Die Dielen liegen lediglich auf der vorhandenen Terrasse auf. Durch die Erweiterung der Terrasse um 13,28 qm erhöht sich der Wohnflächenanteil der Erdgeschosswohnung um 3,32 qm. Ab der Jahresabrechnung 2019 wird diese Erhöhung in der Nebenkostenabrechnung berücksichtigt.“
10Unter TOP 14 stimmt die Eigentümergemeinschaft über folgenden Beschlussantrag ab:
11„Der Wohnungseigentümer der Dachgeschosswohnung wünscht die Entfernung der baulichen Veränderung Terrasse EG Wohnung. Die Eigentümergemeinschaft beschließt die Entfernung der baulichen Veränderung.“
12Dieser Antrag ist mit einer JA- und zwei NEIN-Stimmen abgelehnt worden.
13Der Kläger hat die vorgenannten Beschlüsse mit einer am 26.04.2021 eingegangenen Klage angefochten (12 C 524/21), die Klage jedoch wieder zurückgenommen.
14Der Kläger ist der Ansicht, die Veränderung der Terrasse durch den Miteigentümer C. stelle eine grundlegende Umgestaltung der Wohnlage dar. Das Gebäude sei ursprünglich durch ein einheitliches Bild, nämlich die in der gleichen Größe gebauten Balkone, geprägt gewesen. Dies habe sich durch die Vergrößerung der überdachten Terrasse wesentlich verändert. Eine solche Umgestaltungsmaßnahme dürfe nicht durch Mehrheitsbeschluss gestattet werden, zumal der Miteigentümer der bisherigen Fläche der Terrasse noch einmal mindestens das Dreifache an Fläche hinzugefügt habe.
15Der Kläger beantragt,
16folgenden Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft WEG V., vertreten durch deren Verwalter I., V. zu fassen:
17Die Eigentümergemeinschaft beschließt, dass die bauliche Veränderung der Terrasse der Erdgeschosswohnung des Eigentümers C. entfernt und der ursprüngliche Zustand wie auf Blatt 15 der Akte wieder hergestellt wird.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Die Beklagte meint, die Beschlussfassung zu TOP 8 entspreche ordnungsgemäßer Verwaltung. Es liege keine grundlegende Umgestaltung vor. Zudem könne nach der WEG-Reform als Folge eines Beschlusses nach § 20 Abs. 1 WEG auch ein Sondernutzungsrecht entstehen.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
22Die Beschlussklage ist gem. § 44 WEG zulässig.
23Sie ist auch gem. § 18 Abs. 2 WEG begründet, denn es entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung, dass die Beklagte von dem Miteigentümer C. den Rückbau der neu errichteten Terrasse verlangt. Nach Maßgabe des § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG hat jeder Wohnungseigentümer gegenüber der Gemeinschaft einen Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung. Regelmäßig entspricht es ordnungsmäßiger Verwaltung, gegen unzulässige bauliche Veränderungen anderer Wohnungseigentümer vorzugehen (BeckOGK/Kempfle, 1.12.2021, WEG § 20 Rn. 256).
24Der Miteigentümer C. hat das gemeinschaftliche Eigentum beeinträchtigt, indem er seine Terrasse umgebaut und unter Inanspruchnahme des gemeinschaftlichen Gartens erheblich, nämlich um 13,28 qm, vergrößert hat, ohne dass hierzu ein Beschluss der Eigentümergemeinschaft über die Genehmigung dieser Maßnahme vorgelegen hätte.
25Dem Verlangen des Klägers steht der bestandskräftige Beschluss, den die Beklagte unter TOP 8 auf der Eigentümerversammlung vom 25.03.2021 gefasst hat, nicht entgegen.
26Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beschluss entgegen § 20 Abs. 4 WEG gefasst worden ist. Gem. § 20 Abs. 4 WEG dürfen bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, nicht beschlossen und gestattet werden. Ein Verstoß gegen § 20 Abs. 4 WEG führt aufgrund der Wortverwendung „dürfen“ nicht zu einer Nichtigkeit, sondern nur zu einer Anfechtbarkeit der Beschlussfassung gem. § 20 Abs. 1 WEG (Kallenborn in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 20 WEG 1. Überarbeitung (Stand: 04.10.2021), Rn. 57; BeckOK BGB/Hügel, 60. Ed. 1.11.2021, WEG § 20 Rn. 30; MüKoBGB/Rüscher, 8. Aufl. 2021, WEG § 20 Rn. 55). Der Beschluss vom 25.03.2021 ist jedoch bestandskräftig geworden.
27Der Beschluss ist jedoch aus anderem Grunde nichtig. Die Eigentümergemeinschaft hatte für eine derartige Beschlussfassung keine Beschlusskompetenz, denn es hätte hierfür einer Vereinbarung bedurft. Die Eigentümerversammlung kann nur soweit durch Mehrheitsentscheidungen tätig sein, wie die ihr zur Verfügung stehende Beschlusskompetenz reicht, etwa explizit aus § 19 Abs. 1 und 2 WEG oder aus einer anderen Regelung im WEG wie z.B. §§ 9b Abs. 2, 12 Abs. 1, 17 Abs. 1, 20 WEG. Ohne Beschlusskompetenz gefasste Mehrheitsentscheidungen sind nichtig.
28Hier hat die Eigentümergemeinschaft unter TOP 8 eine weitreichende Regelung beschlossen. Diese beinhaltet nicht allein die Gestattung der bereits vorgenommenen baulichen Veränderung und Vergrößerung der Terrasse um 13,3 qm. Der Beschluss gewährt darüber hinaus auch dem Eigentümer der Erdgeschosswohnung ein alleiniges Nutzungsrecht an der Terrasse. Außerdem enthält der Beschluss eine Regelung, dass sich durch die Erweiterung der Terrasse der Wohnflächenanteil der Erdgeschosswohnung um 3,32 qm erhöhe und dies in der Jahresabrechnung berücksichtigt werden solle. Faktisch führt dies dazu, dass der Sondereigentümer der Erdgeschosswohnung einen Teil der Gartenfläche künftig zur alleinigen Nutzung erhält.
29Nach der bis zum 30.11.2020 geltenden Rechtslage durfte eine bauliche Maßnahme nicht beschlossen werden, wenn das Ergebnis des Bauvorhabens nur einzelnen bau- und zahlungswilligen Wohnungseigentümern zur Verfügung stehen sollte. Denn durch die Gestattung der baulichen Maßnahme wird diesen Eigentümern ein Sondernutzungsrecht an dem für die Maßnahme vorgesehenen Grundstücksteil eingeräumt, während die übrigen Wohnungseigentümer entgegen § 13 Abs. 2 S. 1 WEG a.F. von dem Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums ausgeschlossen wären. Die Schaffung eines Sondernutzungsrechts bedurfte einer Vereinbarung mit der Folge, dass ein mehrheitlich gefasster Beschluss nichtig war (BGH V ZR 96/16, Urteil vom 13.01.2017, juris Rdn. 30 ff).
30Ob und inwieweit diese Rechtsprechung des BGH auf die seit dem 01.12.2020 geltende Reform des WEG übertragbar ist, ist – soweit ersichtlich – noch nicht obergerichtlich geklärt. Nach in der Literatur vertretener Auffassung kann die vorgenannte Rechtsprechung auf Beschlüsse nach § 20 Abs. 1 WEG n.F. nicht übertragen werden, da das Entstehen faktischer Sondernutzungsrechte nunmehr gerade die gesetzlich vorgesehene Folge eines solchen Beschlusses sei (BeckOGK/Kempfle, 1.12.2021, WEG § 20 Rn. 103). Gem. § 21 Abs. 1 S. 1 WEG trägt derjenige Wohnungseigentümer die Kosten der baulichen Veränderung allein, auf dessen Verlangen die Gemeinschaft sie ihm gestattet hat. Nur diesem Eigentümer gebühren gem. § 21 Abs. 1 S. 2 WEG die Nutzungen. Dem liegt der Grundsatz zu Grunde, wer zahlt, dem gebührt auch das Recht zur Nutzung. Sind dies nicht wie in § 21 Abs. 2 WEG alle Wohnungseigentümer, kommt es zu einer exklusiven Nutzung der durch die baulichen Veränderungen geschaffenen Vorteile. Der oder die berechtigten Wohnungseigentümer erlangen so im Ergebnis ein faktisches Sondernutzungsrecht (BeckOK BGB/Hügel, 60. Ed. 1.11.2021, WEG § 21 Rn. 16; (Kallenborn in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 21 WEG 1. Überarbeitung (Stand: 20.10.2021), Rn. 16). Da andererseits aber auch nach neuem Recht Sondernutzungsrechte nur durch Vereinbarung, nicht aber durch Beschluss begründet werden können, birgt dies die Gefahr der Umgehung der sonst notwendigen Vereinbarung.
31Zur Lösung des Problems ist insbesondere die Regelung des § 21 Abs. 4 WEG in den Blick zu nehmen. Das faktische Sondernutzungsrecht des § 21 Abs. 1 S. 2 WEG unterscheidet sich nämlich von einem rechtsgeschäftlichen Sondernutzungsrecht dadurch, dass andere Miteigentümer gem. § 21 Abs. 4 S. 1 WEG gegen angemessenen finanziellen Ausgleich eine Mitbenutzung verlangen können (BeckOK BGB/Hügel, 60. Ed. 1.11.2021, WEG § 21 Rn. 16). Es ist daher genauer zu unterscheiden, ob es sich um ein einfaches Nutzungsrecht oder ein Sondernutzungsrecht handelt. Letzteres setzt den dauerhaften vollständigen Ausschluss der übrigen Wohnungseigentümer von Teilen des Gebäudes oder des Grundstücks voraus. Bauliche Veränderungen, die einen Teil des Gemeinschaftseigentums betreffen, den die übrigen Wohnungseigentümer bisher im engeren Sinne nicht nutzen konnten, beinhalten keine Einräumung eines Sondernutzungsrechts. Wer also eine Satellitenschüssel an der Fassade anbringt, nutzt nicht die Fassade exklusiv, sondern nur seine eigene Schüssel. Gleiches gilt für die spätere Anbringung eines Balkons. Der Umbau einer gemeinschaftlichen Gartenfläche zu einer Terrasse, kann hingegen die unzulässige Einräumung eines Sondernutzungsrechts darstellen, die nicht beschlossen werden kann. Die Fläche wird dem Bauwilligen faktisch exklusiv überlassen. Andere werden diese Fläche nicht mehr benutzen wollen und können. Hier wäre ein Beschluss nach § 21 Abs. 1 nichtig (Jennißen in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 21 WEG, Rn. 18a, b).
32So verhält es sich hier. Die Eigentümergemeinschaft hat durch Beschluss einem Miteigentümer die Errichtung einer privaten Terrasse gestattet, die direkt an die Wohnung des Eigentümers angrenzt. Eine Mitbenutzung durch andere Wohnungseigentümer ist entgegen § 21 Abs. 4 WEG ersichtlich dauerhaft nicht gewollt, auch nicht bei Kostenbeteiligung. Dies zeigt sich zum einen in der Art und dem Zweck der baulichen Maßnahme, die die bisherige Terrasse des Miteigentümers C. ersetzen und vergrößern sollte. Die Absicht, die anderen Eigentümer dauerhaft auszuschließen, kommt aber auch in dem weiteren Beschlusstext zum Ausdruck. Die Eigentümer haben beschlossen, dass die vergrößerte Fläche der Terrasse in die Wohnfläche der Erdgeschosswohnung einberechnet wird. Dies ist eine faktische Vergrößerung des Sondereigentums des Miteigentümers C. außerhalb des Grundbuchs. Damit haben die Eigentümer nicht nur ein faktisches, sondern ein tatsächlich umfassendes Sondernutzungsrecht begründet, das andere Eigentümer auf Dauer ausschließt. Ein solches bedarf aber immer noch einer Vereinbarung. Das Gericht schließt sich der Auffassung von Jennißen (s.o.) an, dass der Beschluss aus diesem Grunde nichtig ist.
33Damit liegt eine bauliche Maßnahme vor, die durch die Eigentümergemeinschaft nicht wirksam gestattet worden ist. Der Kläger kann daher von der Beklagten ein Tätigwerden mit dem Ziel des Rückbaus verlangen. Dies erfolgt in der Weise, dass die Beklagte entsprechende Ansprüche gegen den Miteigentümer C. geltend macht. Das Gericht ist in der Beschlussersetzungsklage nicht an den Wortlaut des Klageantrags gebunden, so dass der Tenor entsprechend dem offensichtlich verfolgten Ziel des Klägers gefasst worden ist.
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 709 S. 1 ZPO.
35Gegenstandswert: 4.000,00 €